Zum Inhalt der Seite

Drachenkind

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich bin mir bei dem letzten Abschnitt über Draco nicht sicher. Ich glaube, es wäre besser gewesen ihn wegzulassen, weil er sonst für Verwirrung sorgt. Was meint ihr?
Trotzdem wünsche ich euch viel Spaß. Im nächsten Jahr werde ich diese Geschichte auf jeden Fall abschließen. Außerdem hab ich noch zwei weitere Ideen zu ein paar Special im Kopf, aber mal schauen, wann ich die umsetzen kann. Ich werde mich nicht hetzen lassen.

Hoffe wir lesen uns wieder.

LG Maidlin

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Komplett anzeigen

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Vorkehrungen

Es entwickelte sich eine Art Routine.

Zwei Mal täglich wurde Draco zu Hera geführt, um sich für eine gewisse Zeit um sie zu kümmern. Immer kamen vier Männer, die ihn aus seinem Gefängnis holten und zum Pferdestall schafften. Während er ihren Stall säuberte, frisches Stroh darin verteilte – im Gegensatz zu ihm bekam Hera täglich welches, genauso wie frische Wasser und Hafer – und sie striegelte, standen die vier Männer vor der Box und rührten sich nicht. Doch bereits am dritten Tag schien sie ihre Aufgabe zu langweilen. Sie unterhielten sich, ihre Blicke schweiften umher und sie gähnten sichtbar. Sie störten sich nicht an seiner Gesellschaft und vielleicht hielten sie ihn auch für Schwachsinnig. Es war Draco egal. Es konnte ihm nur nützen.

Wenn er seine Aufgaben im Stall beendet hatte, führte er Hera zur Koppel. John Barringtons hatte einen Teil davon extra für Hera und den Hengst abgrenzen lassen. Zuerst legte Draco immer erst Hera ihr Zaumzeug an. Danach kümmerte er sich um den Rappen, der in der Box neben Heras untergebracht war, in der Hoffnung, dass sie sich so bereits näher kamen. Doch bisher hatte Hera keinerlei Anstalten gemacht sich auch nur für ihn zu interessieren. Es hatte Draco sehr gewundert, dass er auch für den Rappen zuständig war, aber offenbar lag Barrington letztendlich mehr an einem Fohlen als an seinem Stolz. Da Draco der Einzige war, den Hera an sich heran ließ, war es nur logisch so. Schließlich wurde Hera bereits unruhig, wenn sich ein Fremder auch nur näherte. Selbst Dracos Wachleute hatte Hera noch immer nicht akzeptiert und scheute jedes Mal, wenn einer von ihnen lauter wurde oder sich ihr näherte.

Trotzdem ließ John Barrington ihn nie vergessen, dass er sein Gefangener war. Auch war er noch immer davon überzeugt, dass er es mit einem echten Drachen zu tun hatte. Draco bekam Essen und Trinken, gerade so viel, dass es reichte um ihn bei Kräften zu halten.

Und er bekam Schläge. Jeden Abend kam Barrington zu ihm, als bräuchte er diese Beschäftigung um anschließend gut schlafen zu können. Barrington verzichtete auf die Peitsche. Er hatte Gefallen daran gefunden, ihn mit Fäusten zu schlagen. Er sagte, er könnte damit besser zielen und hatte Draco im nächsten Moment in den Magen geschlagen. Doch das war nicht der einzige Grund, erkannte Draco schnell. Barringtons Faust hinterließ nie offensichtliche Verletzungen, die einer Behandlung bedurften. Gegen die blauen Flecke konnte Doktor Storm nichts ausrichten, er konnte ihm lediglich etwas gegen die Schmerzen geben, aber auch davon hielt Draco Abstand. Es war bei weitem nicht so schlimm, wie zuvor und dieses Mittel benebelte seinen Verstand so sehr, dass ihm selbst das Denken schwer fiel.
 

Eines Abends nachdem Barrington mit seinem Schlägen für diesen Tag geendet hatte, nahm dieser Dracos linke Hand, an der Doktor Storm den Verband am Tag zuvor abgenommen hatte, und betrachtete sie prüfend. Er drehte sie ein paar Mal in seiner eigenen Hand und sah sich dann die Handfläche an. Es sah beinah so aus, als wollte er mit Daumen und Zeigefinger die Größe messen und schnalzte dabei mit der Zunge. Draco erwartete bereits erneuten Schmerz, umso überraschter war er, als nichts dergleichen geschah. Aber in Barringtons Augen erkannte er wieder dieses Funkeln. Danach hatte er Dracos rechten Arm genommen und sich sein Werk besehen, wie er es flüsternd genannt hatte. Noch immer war die Wunde nicht verheilt und blutete auch hin und wieder, wenn Draco den Arm zu sehr beanspruchte. Die Buchstaben, die Barrington eins in seinen Arm geritzt hatte, waren nicht mehr zu erkennen. Es war nur noch eine einzige Wunde, die wie ein Krater in seinem Arm klaffte. Draco erwartete, dass er von neuem beginnen würde sie mit dem Messer aufzureißen, doch auch das geschah nicht. Stattdessen verließ Barrington schweigend sein Gefängnis und Draco starrte ihm leicht ungläubig hinterher. Seine Brust zog sich zusammen. Was immer in Barringtons Kopf vorgegangen sein mochte, er war sicher, dass er es erfahren würde.
 

Draco stand vor dem Zaun der Weide und beobachtete Hera, wie diese dem Rappen, dessen Name Nachthimmel war, immer wieder auswich und in eine vollkommen andere Richtung lief als der Hengst. Dieser versuchte zwar ihr näher zu kommen, offenbar wollte er sich mit ihr paaren, doch sobald er es versuchte stieß Hera ihn unsanft von sich. Irgendwann gab der Hengst bis zum nächsten Tag auf und beide standen in großer Entfernung voneinander. Es schien als würde Hera seine Anwesenheit geradeso akzeptieren. Draco wusste, dass er etwas tun sollte, damit Hera das andere Tier an sich heran ließ, aber er war ratlos. Außerdem lag ihm selbst auch nicht sehr viel daran. Es war ihm vollkommen egal, ob Barrington sein Fohlen bekam oder nicht.

Es war ein Nachmittag, wie einige zuvor, an dem Draco draußen bei den Tieren stand und sie beobachtete. Er wusste, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis man ihn wieder in das dunkle Verließ bringen würde, umso mehr versuchte er die warmen Sonnenstrahlen zu genießen. Die vier Wachleute standen um ihn herum und schienen abermals von ihrer Aufgabe gelangweilt. Aus den Augenwinkeln jedoch sah Draco, wie sie plötzlich steif wurden. Barrington musste sich nähern.

Er sollte recht behalten. Nur wenige Augenblicke später trat John Barrington an die Koppel heran und betrachtete die grasenden Tiere schweigend.

„Fortschritte?“, fragte er an niemand bestimmtes gewandt, aber da Draco ihm sowieso nicht antworten würde, tat es einer der Wachmänner. „Keine, Sir. Er hat versucht sich ihr zu nähern, aber sie stößt ihn immer wieder von sich.“

John Barrington brummt kurz unzufrieden. Hera hatte Barrington wohl ebenso bemerkt, denn sie wurde unruhiger und tänzelte auf der Stelle hin und her. Sie schien genau zu spüren, dass dieser Mensch nie etwas Gutes brachte. Obwohl Draco versucht nicht auf Barrington neben sich zu achten, konnte er doch dessen Blick auf sich spüren.

„Mitnehmen.“, befahl dieser dann plötzlich und die vier Wachleute reagierten sofort. Sie packten Draco grob an den Armen und stießen ihn vorwärts. Draco stolperte oft, da seine Füße noch immer in Ketten lagen. Was würde nun mit ihm geschehen? Er war sich fast sicher, dass Barrington nichts tun würde, was ihm länger schadete. Dafür brauchte er ihn zu sehr. Sie wählten nicht den direkten Weg in das Verließ zurück und langsam wuchs in Draco die Unruhe. Wo brachte man ihn hin? Hinter sich hörte er Hera laut wieher und als es ihm gelang sich noch einmal umzudrehen, sah er wie sie am Zaun stand und sich aufbäumte. Er konnte ihre Unruhe verstehen, doch gleichzeitig versuchte er sich einzureden, dass sie ihm nicht schlimmeres antun konnten, als sie bereits getan hatten.

Sie führten ihn zu einem Teil der Burganlage, den er noch nicht gesehen hatte. Ein weites Gebäude tauchte in seinem Blickfeld auf. Es hatte ein großes Tor, welches im Moment weit offen stand. In dem Gebäude selbst erkannte Draco allerlei metallende Geräte. An verschiedenen Stellen standen Ambosse, an denen mächtige Hammer lehnten. An den Wänden hingen Hufeisen, Speerspitzen, Schwerter, die noch nicht fertig schienen. Hinten in der Ecke brannte ein großes loderndes Feuer. Es war stickig und das Atmen fiel ihm schwer. Er musste ein Husten unterdrücken, als sich seine Lungen mit der schweren Luft füllten. Draco wusste nicht, wie dieser Ort hieß und erst recht nicht, was er dort sollte.

„Ist es fertig?“, bellte Barrington durch den großen Raum und aus der hintersten, rechten Ecke kam ein kleiner, älterer, gedrungener Mann. Er war kahl und sein Gesicht verrußt. Über seiner Kleidung hatte er eine Schütze angelegt, die aussah wie gewebtes Metall, doch sicher war sich Draco nicht. Es wurde immer seltsamer. Der Mann schaute Draco einen Moment überrascht an. Als er anschließend antwortete, entblößte er eine Reihe fehlender Zähne.

„Es hat die richtige Temperatur erreicht. Ich muss sagen, ich bin stolz auf dieses Werk. Das Motiv ist einmalig und so fein, wie es noch keines gab. Mein Sohn hat euren Entwurf vorzüglich umgesetzt. Ihr werdet sicher nicht enttäuscht sein. Möchtet ihr es zuvor an einem anderen Tier ausprobieren, bevor es eure edlen Pferde schmücken soll?“, fragte der Mann.

„In der Tat, das möchte ich.“, antwortete Barrington und Dracos Nackenhaare stellten sich dabei auf. „An ihm hier.“, fügte er an und zog Draco an dem dünnen Hemd, welches man ihm gegeben hatte, nach vorn. Abermals stolperte er, doch in seinem Kopf raste es. Was sollte an ihm probiert werden? Das freudige Gesicht des Mannes war bei Barringtons Worten zusammengefallen. Stattdessen lag darauf nun Entsetzen. Draco Herz schlug heftig in seiner Brust und seine Augen sahen sich suchend im Raum um. Es gab so vieles was ihm Schmerz zufügen konnte, realisierte er schwach. „Gibt es ein Problem?“, fragte Barrington drohend, nachdem der ältere Mann noch immer nicht reagiert hatte.

„N-Nein.“ ,stotterte er. „Natürlich nicht. Wo... Wo soll es hin?“

Draco sah verwirrte von einem zum anderen. Er verstand einfach nicht wovon sie sprachen. Was sollte er bekommen, was eigentlich Pferde schmückte?

John Barrington packte Dracos linke Hand, während ein Wachmann die Rechte noch festhielt, und zog sie nach vorn. „Hierher. Es dürfte passen.“, sagte er mit einem hämischen Grinsen auf dem Gesicht.

„Wie ihr meint.“, antwortete sein Gegenüber und trotz des verrußten Gesichts, meinte Draco zu erkennen, wie viel Blasser es geworden war.

„Auf den Boden mit ihm und festhalten.“, gab Barrington den Befehl. Die vier Wachleute stellten sich hinter Draco. Einer von ihnen stieß ihn in die Kniekehlen, so dass er zu Boden sackte. Als nächstes packte ihn jemand im Nacken und drückte ihn nach vorn, so dass er mit dem Bauch auf dem Boden lag. Einer setzte sich auf seinen Rücken, zwei anderen auf seine Beine. Der Vierte hielt Dracos rechten Arm nach hinten und den linken nach vorn. Es war Draco unmöglich sich zu rühren. John Barrington beugte sich nach unten und Draco fing seinen selbstgefälligen Blick auf. Es kostete ihn Anstrengung den Kopf erhoben zu halten, doch er wollte sehen, was mit ihm geschehen sollte. Barrington nahm Dracos linke Hand und drehte sie so, dass die Handfläche nach oben zeigte. Dann hielt der Wachmann sie wieder fest umklammert.

„Perfekt.“, murmelte Barrington und trat einen Schritt zurück. Draco folgte seinem Blick und sah den älteren Mann, der nun etwas in den Händen hielt.

Es war ein langer Eisenstab. An dem Ende, welches der Mann weit von sich hielt, sah es so aus, als würde eine Scheibe darauf sitzen. Fast gewann Draco den Eindruck, als würde ein verschlungenes Muster darin zu sehen sein. Doch er konnte es nicht richtig erkennen, denn das Metall glühte so hell und orange, wie er es erst bei einem Sonnenaufgang gesehen hatte. Je näher der Mann kam, desto mehr spürte Draco die Hitze, die von diesem seltsamen Gegenstand ausging. Barrington zog sich einen festen, ledernen Handschuh an, wie ihn auch der alte Mann trug und nahm die Eisenstange andächtig aus der Hand des anderen. Der Wachmann, der Dracos Arme festhielt, packte nun sein Handgelenk und drückte es mit solch einer Stärke auf den Boden, das es schmerzte. Doch der Gedanken schwand, als Draco sah, wie Barrington das glühende Eisen mit dem runden Ende nach unten senkte, langsam und immer weiter. Er platzierte es über seiner Handfläche, drehte es noch ein wenig, bis er offenbar die richtige Position gefunden hatte. Dann drückte er die glühende Scheibe auf Dracos Handfläche.
 

Jemand trug seinen Körper. Das war alles, was Draco wahrnahm, als er die Augen für einen kurzen Moment öffnete. Seine Beine schleiften über den Boden. Sein linker Arm fühlte sich an, als würde er brennen. Dann wieder Schwärze.
 

Als er wieder erwachte, spürte er, wie etwas seinen rechten Arm durchschnitt. Er riss die Augen auf und sah Barrington, über sich gebeugt. Gleichzeitig nahm er wahr, dass er sich wohl wieder im Verließ befand. Barrington hielt ein Messer in seiner Hand, an dessen Klinge Blut haftete. Draco brauchte nicht hinzusehen, um zu wissen, dass Barrington seine alte Wunde am rechten Arm erneut geöffnet hatte. Erst als ihm dieser Gedanke kam, merkte er, wie klein doch dieser Schmerz im Vergleich zu dem in seiner linken Hand war. Doch noch bevor er nachsehen konnte, was diese unglaubliche Qual verursachte, wurde er von Barrington abgelenkt. Dieser holte einen kleinen goldenen Kelch aus seiner Gürteltasche. Er war nicht besonders groß und passte gerade in Barringtons Hand. Verwirrt sah Draco das Stück an. Grob griff John Barrington nach Dracos blutenden Arm und hielt ihn nach oben. Seine Finger drückten oberhalb der Wunde zu, so dass das Blut noch mehr herausfloss, je fester er drückte. Gleichzeitig hielt Barrington den Kelch darunter und fing den roten Lebenssaft darin auf.

Der Schmerz in Dracos linker Hand wuchs indessen immer weiter. Man hatte ihm das glühende Metall auf die Hand gesetzt und die Pein, war so heftig gewesen, dass er sofort das Bewusstsein verloren hatte. Doch der Schmerz war zu groß, dass selbst die Dunkelheit ihn nicht halten konnte. Seine Hand brannte, als würde sie direkt in Flammen gehalten.

Als Barrington seinen rechten Arm losließ, wurde er etwas von dem Schmerz abgelenkt. Fassungslos sah Draco, wie Barrington den Kelch mit seinem Blut darin an die Lippen setzte und daraus trank. In jenem Moment schien der Schmerz vergessen. Draco konnte einfach nicht glauben, was er da sah.

Es war das erste Mal, dass Draco den Anblick dieses Mannes nicht ertragen konnte, den Blick abwand und die Augen schloss. Trotzdem hörte er, wie Barrington sich über die Lippen leckte.

„Mmh... mit ein bisschen Wein ist es sicher vorzüglich.“, stellte Barrington schmatzend fest und Draco hörte den erfreulichen Unterton in seiner Stimme. „Ich hätte früher darauf kommen sollen.“ Dann hörte er, wie Barrington entfernte. Erst als er weg war, nahm Draco alles andere wahr. Es war kein Wachmann bei ihm gewesen, der ihn festgehalten hatte, dachte er. Er versuchte sich die linke Hand zu besehen, doch als er versuchte den Arm zu bewegen, spürte er, wie sehr sein Körper zitterte. Er atmete durch den Mund. Wie lange schon? Doch als er versuchte ihn zu schließen und normal zu atmen, bekam er keine Luft. Das Zittern schien alle Luft aus seinen Lungen zu schüttelten.

Langsam zog Draco den linken Arm zu sich und drehte die Hand so, dass er ihm schwachen Kerzenlicht etwas sehen konnte. Etwas war in seine Handfläche eingebrannt worden. Ein rundes Muster, in dessen Mitte etwas anderes lag. Er konnte es nicht erkennen. Die Haut war verbrannt, rot und schwarz und roch auch so. Blasen hatten sich gebildet und waren aufgesprungen. Ihm wurde übel, doch das Zittern verhinderte, dass er sich übergeben konnte.

Mit bebendem Körper kroch er in die hinterste Ecke seines Gefängnisses und krümmte sich dort zusammen.
 

Der Schmerz wollte nicht weniger werden. Draco saß in seiner dunklen Zelle und krümmte sich so sehr, dass ihm bereits auch Bauch und Rücken wehtaten. Die linke Hand presste er so fest er konnte an seinen Körper. Er glaubte, dass dadurch der Schmerz weniger wurde oder wenigstens das Zittern aufhörte. Er wollte es sich einreden. Der rechte Arm blutete nur noch schwach. Er machte sich keinerlei Gedanken darüber. Er konnte nicht darüber nachdenken.

Immer dann, wenn er es überhaupt nicht mehr ertragen konnte, nahm Draco den nassen Stoffe, den er auf die Verbrennung gelegt hatte, vorsichtig herunter. Er hatte sein Hemd zerrissen und mit Wasser befeuchtet, in der Hoffnung, dass dies ihm Linderung verschaffen könnte. Doch es währte nie lange. Er drehte den nassen Stoff ein wenig, um vielleicht doch noch eine kühle Stelle zu finden, mit der er seine Hand beruhigen konnte. Aber es war schon lange nicht mehr feucht und kalt genug.

Er würde den Stoff abermals nass machen müssen, dachte er müde. Der Becher mit seinem Wasser war nur noch halb voll und neben dem brennenden Schmerz, verspürte Draco auch unglaublichen Durst.

Langsam nahm er den Stoff von der Wunde und drehte die Hand noch einmal gegen das Kerzenlicht. Es sah noch immer genauso furchtbar aus, wie zuvor. Nur glaubte Draco jetzt das Muster besser erkennen zu können. Dabei war es nicht einmal ein richtiges Muster, sondern zwei ineinander verschlungene Buchstaben: J und B.

Sie waren nun für immer in seine Haut gebrannt.

Mit rechts nahm Draco den Becher und setzte ihn an die trockenen Lippen. Er trank einen Schluck, dann noch einen. Mehr erlaubte er sich nicht, dabei dürstete ihm nach so viel mehr. Doch er wusste nicht, wann er das nächste Mal etwas zu trinken bekommen würde.

Im Anschluss ließ er ein wenig des Wassers auf das Tuch tropfen, um es sich wieder auf die Hand zu legen. Übrig blieb ein kleiner Schluck im Becher, den Draco am liebsten sofort getrunken hätte. Doch er stellte den Becher wieder ab.

Als der nasse und doch kalte Stoff seine verbrannte Hand berührte, keuchte er auf und schloss die Augen, um die Übelkeit zu bekämpfen. Ungläubig schüttelte er den Kopf. Wann würde es enden?, dachte er. Das Zittern hörte nicht auf und er zog die Knie an, um sich noch kleiner, noch steifer zu machen. Sein Körper war am Ende, doch der Schmerz wollte ihn nicht schlafen lassen.

Unbewusst nahm Draco wahr, wie Henry vor seinem Gefängnis aufstand und die Tür öffnete. Doch er reagierte nicht einmal darauf. Das Zittern wurde heftiger und er merkte, wie ihm kalt wurde, während seine Hand in Flammen zu stehen schien. Zum ersten Mal zweifelte Draco an sich selbst. Er wusste nicht, wie viel er noch würde ertragen können.

Henry kam näher und Draco schaffte es gerade noch ihn anzusehen. Sein Blick war verschwommen, trotzdem glaubte er auf dem Gesicht des Anderen so etwas wie Mitgefühl zu entdecken. Unter anderen Umständen wäre es ihm wohl zu wieder gewesen, doch jetzt war es ihm gleich. Draco beobachtete, wie Henry wortlos den Becher neben ihm füllte. Anschließend nahm er ihn und gab ihm Draco direkt in die unversehrte Hand. Ein wenig Wasser schwappte über den Rand, als er den Becher in den zitternden Händen hielt. Vielleicht hätte er misstrauisch sein sollten, doch sein Durst war größer und er setzte den Becher an und trank begierig daraus. Er leerte ihn in einem Zug, schaffte es aber nicht einmal mehr ihn auch wieder abzustellen. Henry nahm ihn und füllte ihn noch einmal. Dann stellte er ihn neben Draco ab. Wortlos verließ er die Zelle, genauso wie er sie auch betreten hatte.

Draco lehnt sich erneut gegen die kalten Mauersteine und presste die Stirn dagegen. Es fühlte sich gut an, doch den Schmerz in seiner Hand konnte er nicht nehmen. Und die Kälte kroch immer mehr durch seinen Körper.
 

In dieser Nacht schlief er nicht. Vielleicht nickte er für ein paar kurze Augenblicke vor Erschöpfung ein, doch der Schmerz weckte ihn gleich wieder auf. Auch der nasse und kühle Stoff, verschafften keine dauerhafte Linderung. Das Zittern hatte ein wenig nachgelassen, doch Draco glaubte fast, dass sein Körper nur zu erschöpfte dafür war. Er fror unglaublich und egal, wie klein er sich machte, die Kälte saß in ihm fest.
 

Dass sich ihm am nächsten Morgen die Wachmänner näherten bemerkte er kaum. Das Öffnen der Zellentür klang wie von einem anderen Ort, genauso die Schritte und Stimmen, die plötzlich neben ihm waren. Die Männer zogen ihn auf die Beine und stießen ihn vorwärts, damit er lief, doch er konnte es nicht. Nur mühsam schaffte er es einen Schritt vor den anderen zu setzen, aber er konnte kaum sein eigenes Gewicht tragen. Sie musste ihn mehr ziehen, als das er selbst lief.

An den Weg konnte Draco sich nicht mehr erinnern. Auf einmal stand er vor Hera, spürte ihren warmen Atem im Nacken und wie er sie mit der gesunden Hand berührte. Es dauerte eine ganze Weile, ehe er sich daran erinnern konnte, warum er eigentlich bei ihr war. Noch nie, war ihm so etwas geschehen. Noch nie hatte er nach einer Erinnerung suchen müssen. Doch auch darüber dachte er nicht nach. Er konnte nicht. Beschwerlich öffnete er die Box und als er es geschafft hatte, musste er ausruhen, um weitere Kräfte zu sammeln. Dann griff er zu der Bürste, die er am vergangenen Morgen vor der Box abgelegt hatte und wollte sie striegeln. Er drehte sich zu ihr um, sah ihre vertraute Gestalt und dann...
 

Etwas Kaltes auf seinem Gesicht und seiner Hand weckte ihn. Es war kühl und obwohl sein Körper ihm immer noch unglaublich kalt erschien, wirkte es doch beruhigend auf ihn. Er versuchte nicht die Augen zu öffnen, sondern sich so zu orientieren. Er roch Pferde und Stroh, also musste er noch im Stall sein.

„Draco?“, hörte er eine männliche Stimme an seinem Ohr und es schien ihm eine Ewigkeit zu dauern, ehe er sie als Alexanders erkannte. Annies Bruder rüttelte an seiner Schulter und nur wiederwillig öffnete Draco die Augen ein wenig. Würde er sehen, so glaubte er, würde er wieder Schmerzen spüren. Und so war es auch. Je mehr sein Bewusstsein in die Wirklichkeit zurückkehrte, desto deutlicher konnte er das Pochen und Brennen in seiner Hand spüren. Ein Becher Wasser wurde an seine Lippen gesetzt und er trank es ohne Wiederspruch. Es waren nur wenige Schlucke und er wollte eigentlich mehr, doch als er sich bereits daran verschluckte, war er froh, dass es eben nicht mehr gewesen war. Durch das Husten wachte er jedoch ganz auf und es gelang ihm die Augen zu öffnen. Er blickte direkt in Alexanders braune.

„Diese Wahnsinnigen...“, hörte er jemand anderen murmeln und sah nach vorn. Dort erkannte er Doktor Storm. Dieser beugte über seine Hand und hielt das Tuch fest, dass sie kühlte.

Verwirrte sah Draco noch einmal zu Alexander. Stumm bat er ihn um eine Erklärung. „Du bist umgekippt.“, antwortete dieser leise. „Deine Wachen wollten zu dir, doch Hera hat sie nicht gelassen. Daraufhin haben sie Barrington Bescheid gegeben und der tobte vor Wut. Davon hat sich Hera aber auch nicht beeindrucken lassen.“ Draco spürte ein kurzes Schütteln an seiner Schulter und warme Luft, die ihn in den Nacken geblasen wurde. Hera stupste seine Wange mit ihrem weichen Maul an, um ihm wohl zu sagen, dass er ihr nun etwas schuldete.

„Ich war zufällig heute da und habe Barringtons Geschenk gebracht. Er hat mich sofort zu ihr geschickt. Es hat eine Ewigkeit gedauert, bis sie mich zu dir gelassen hat. Doktor Storm kam gerade eben erst. Laut den Wachen bist du schon eine ganze Weile weggetreten. Wundert mich gar nicht.“ Die letzten Worte klangen eher wie ein Knurren.

Draco schluckte und schloss die Augen wieder. Der Arzt hatte inzwischen das Tuch wieder entfernt und sobald der kühlende Stoff weg war, schien es nur umso mehr zu brennen. Kurz stöhnte Draco auf. Ob vor Schmerz oder Müdigkeit konnte er nicht sagen.

„Ich brauche mehr Licht.“, sagte Doktor Storm laut und sofort wurde es heller in der Box. Wie viele Leute waren noch da? Es war gerade Morgen gewesen, als man ihn zu Hera gebracht hatte, dachte Draco träge.

„Ich sehe es mir jetzt an.“, sagte Doktor Storm und es dauerte einen Moment bis Draco begriff, dass er mit ihm sprach. „Ich berühre es auch. Ich kann dir nicht versprechen, dass es nicht wehtun wird.“, Gleich darauf fuhr er mit den Finger bereits die Ränder der Brandwunde entlang. Draco biss die Zähne aufeinander und unterdrückte einen Schrei. Sein Atem ging hektisch. Es schmerzte nicht so sehr, aber allein die Vorstellung, die Angst vor dem Schmerz ließ ihn fast wahnsinnig werden. Alexander berührte ihn an den Schultern und drückte ihn nach unten. Erst als der ältere Mann die Finger wegzog und sich seine Hand nur besah, atmete Draco erleichtert auf. Dann setzte das Zittern wieder ein.

„Was ist?“, hörte er Alexander fragen und Sorge schwang in dessen Stimme mit.

„Es ist sehr tief.“, antwortete der Arzt, „Ich denke jedoch nicht, dass sie den Knochen erreicht haben und das ist wohl sein Glück. Es kann sich entzünden und wird es wohl auch.“ Kaum hatte er zu Ende gesprochen, legte er eine Hand auf Dracos Stirn und dieser zuckte bei der unerwarteten Berührung zusammen. „Oder bereits hat.“, fügte Doktor Storm an. „Er ist fiebrig.“

„Was ist hier los?“, brüllte Barrington irgendwo von der Seite und sofort wurde Hera unruhig. Sie wieherte laut. Alexander ließ ihn los und beruhigte wohl Hera. Wie er das machte, bekam Draco nicht mehr. Sein Körper fühlte sich an, als würde er gleichzeitig in Flammen stehen und vor Kälte erfrieren.

„Ihre Gastfreundschaft ist wirklich sehr seltsam.“, sagte Doktor Storm scharf, offenbar ohne jede Furcht vor Barrington.

„Ihr wagt es!“, schrie Barrington ihn an. Etwas donnerte gegen die Holztür und entsetzte Aufschreie waren zu hören. Draco versuchte die Augen abermals zu öffnen und sah gerade noch, wie Hera erneut gegen die Tür schlug. John Barrington war rot vor Zorn, doch in seinen Augen lag Bewunderung für das Pferd.

„Ich habe eine Frage an euch. Sie ist einfach und ihr braucht sie nur mit ja oder nein zu beantworten.“, fuhr Doktor Storm ungerührt fort. „Wollt ihr dass dieser Mann lebt?“

Draco konnte ihn klar und deutlich verstehen und wünschte doch er könnte es nicht. Die Antwort auf diese Frage war eindeutig.

„WAS?!“, kreischte John Barrington.

„Es ist ganz einfach. Ich habe den Eindruck, dass ihr nur darauf wartet, dass er sterben wird. Ich kann das für euch schneller geschehen lassen. Alles wäre besser, als ihn so etwas anzutun. Er ist bereits jetzt mehr Tod als lebendig.“, sagte Doktor Storm sachlich.

„Ihr wagt es mir so etwas direkt ins Gesicht zu sagen?“, fragte Barrington und klang fast ein wenig ungläubig.

„Ich sage nur die Wahrheit. Was ist euch lieber? Sein Leben oder sein Tod? Mehr will ich nicht wissen. Aber als Arzt kann ich nicht zusehen, wie ihr ihn weiter foltert, noch dazu vollkommen grundlos wie mir scheint. Außerdem möchte ich nicht sinnlos meine Zeit vergeuden. Wenn ihr vorhabt ihn ohnehin zu töten, dann sagt es mir besser gleich, dann kann ich mir die Behandlung sparen.“ Die Stimme des Arztes war fast ein wenig kalt und Draco schauderte. Hing davon nun sein Leben ab? Er versuchte den Mann, der ihn in den letzten Wochen so oft behandelt hatte, zu fixieren, doch seine Augen wollten nicht still halten. Vielleicht war es besser so, dachte Draco.

„Ihr imponiert mir.“, antwortete Barrington zu Dracos Überraschung und er glaubte fast so etwas, wie ein Lächeln aus dessen Stimme zu hören. „Dennoch solltet ihr euch in Zukunft gut überlegen, was ihr sagt. Kümmert euch um ihn. Tod nützt er mir noch weniger, als so schon.“ Die Drohung in seinen Worten war nicht zu überhören, dennoch konnte es Draco kaum glauben. Was das gerade wirklich geschehen oder träumte er immer noch? Barringtons Schritte entfernten sich und kurz darauf hörte Draco Doktor Storm erleichtert aufatmen. „Das war knapp“, flüsterte dieser, so dass nur Draco und Alexander es hören konnten. Dann hörte Draco etwas rascheln und schlussfolgerte, dass der Arzt wohl etwas suchen musste.

„Was machen sie?“, hörte er Annies Bruder neugierig fragen.

„Ich gebe ihm etwas gegen die Entzündung und das Fieber. Es ist eigentlich ein Schimmelpilzpulver, aber es hilft gegen eine Menge Krankheiten. Es ist dafür aber auch schwer herzustellen. Ich habe es erst vor kurzem entdeckt.“, beantwortete der Arzt Alexander Frage.

„Wasser.“, wies der Arzt noch jemand anderen an, denn Alexander bewegte sich nicht, sondern hielt seinen Kopf.

„Was machen sie noch?“, wollte er weiter wissen. Abermals wurde ein Becher an Dracos Lippen gesetzt und inzwischen war es ihm egal, was er trank. Er wollte nur irgendetwas trinken. Es schmeckte bitter und hatte einen seltsamen, leicht verfaulten Nachgeschmack, aber es war zu ertragen. „Dann gebe ich ihm noch ein bisschen Opium, damit er ein wenig Schlaf finden kann und dann sehe ich mir beide Verletzungen noch einmal genauer an. Ich habe in die Salbe mit den Ringelblumen etwas von dem Schimmelpilz gemischt, dass ich auch auf den anderen Arm auftragen werde. Vielleicht heilt es so schneller. Außerdem braucht er ein anständiges Bett. Aber wenn er ihn nicht in Ruhe lässt, ist es sowieso zwecklos.“

Alexander beugte sich noch ein wenig vor und Draco konnte ihn flüstern hören: „Es dauert nicht mehr lange.“

Dieses Mal bestand er nicht darauf zu bleiben.
 

Annie lief vor dem Weinkeller auf und ab. Wo blieben sie nur? Die Verkostung für den Wein, den Alexander Barrington geschenkt hatte, sollte jetzt stattfinden. Sie wollte auch daran teilnehmen. Aber vor allem wollte sie diese Gelegenheit nutzen sich noch einmal genau hier umzusehen. Sie musste die Räumlichkeiten kennen, wenn sie ihren Plan umsetzten wollten. Außerdem hatte sie nun vielleicht eine Idee, wie sie die Bediensteten des Schlosse außer Gefecht setzten konnte.

Aber warum kamen sie nicht? Annie hatte Alexander mit einem schwer beladenen Wagen bereits vor einer ganzen Weile in den Hof fahren sehen. Die Fässer waren gleich in den Keller geschafft worden, auch das hatte sie von ihrem Fenstern aus gesehen. Dann hatte sie ein wenig gewartet, bevor sie nach unten gegangen war. Sie hatte fest damit gerechnet, die Männer bereits anzutreffen.

Einen Moment überlegte, sie ob sie nach draußen gehen und nachsehen sollte. Möglicherweise waren Alexander und Barrington noch bei Hera. Annie hatte es bisher vermieden das Tier zu sehen, weil sie wusste, dass Draco nun für sie zuständig war. Sie wollte ihn nicht sehen. Sie wusste nicht, wie sie reagieren würde. Alexander hatte ihr von seiner Antwort erzählt, von seinem ‚Nein‘ und ihr Bruder hatte ganz recht gehabt: Sie akzeptierte es nicht.

Sie presste die Lippen zusammen und strich sich über den Bauch. Nachdem das Kind sich die ganze Nacht bewegt und sie munter gehalten hatte, schien es jetzt zu schlafen. Auch Annie hatte sich nach dem Essen noch einmal hingelegt, doch die Wichtigkeit dieses Termins hatte sie nicht lange schlafen lassen. Ihre innere Stimme sagte ihr, dass das Kind schon bald geboren würde. Auch Doktor Storm mahnte sie jedes Mal Aufregung zu vermeiden. Aber sie würde erst Ruhe finden, wenn Draco nicht mehr in dieser Burg war. Dann konnte sie sich entspannen. Dabei erzählten weder ihr Bruder noch der Arzt ihr, was Draco angetan wurde. Es konnte nur furchtbar sein.

Vielleicht war es ja gerade das, was sie jetzt taten, überlegte sie und ihr Herzschlag beschleunigte sich schon wieder. Sie musste nachsehen! Gerade als sie den langen Gang zum Weinkeller verlassen wollte, kam ihr Jonathan Semerloy entgegen.

„Wohin des Weges?“, fragte er mit seiner glatten Stimme.

„Ich wollte sehen, wo mein Gemahl und mein Bruder bleiben. Der Wein ist schon im Keller und die Probe sollte längst beginnen.“, sagte sie ebenso geschmeidig. Ihre Nervosität vor ihm hatte sie fast gänzlich abgelegt. Natürlich konnte sie ihn noch immer nicht einschätzen, aber sie verspürte keine Angst mehr. Vielleich weil ihre Angst ständig bei jemand anderem war, genauso wie ihr ganzes Denken, Fühlen und Sein.

„Warum seid ihr so erpicht darauf?“, fragte Jonathan weiter. Sie hasste es, wenn er alles was sie sagte und tat in Frage stellte. Als wäre alles verdächtig oder falsch. Obwohl er dieses Mal gar nicht so unrecht hatte, dachte sie still.

„Der Wein ist sehr bekömmlich und ich hatte gehofft auch ein Schluck zu bekommen.“, antwortete sie gerade heraus und lächelte leicht. „Außerdem möchte ich meinem Mann einen Vorschlag unterbreiten.“

„Ihr mögt diesen Wein?“, fragte er interessiert.

„Ja, sehr gern sogar. Er ist wirklich sehr schmackhaft.“

„Und was für einen Vorschlag? Sagt es mir und ich werde euch seine Antwort mitteilen.“

Annie sah ihm direkt in die Augen. Wer sehr sie seine arrogante Art verabscheute.

„Ich verzichte dankend. John wird entscheiden und nicht ihr.“, antwortete sie kühl und gefasst. Einer von Semerloys Mundwinkeln zuckte nach oben. Sie wusste, dass er es genoss, wenn sie ihn so behandelte und wie um ihre Gedanken zu unterstreichen, streckte er eine Hand aus und nahm eine ihrer Haarsträhnen zwischen seine Finger. Würde sie nicht solche Kopfschmerzen davon bekommen, würde sie die Haare immer hochgesteckt tragen, dachte sie zum wiederholten Male verärgert. Dann würde er solche Gelegenheiten nicht mehr bekommen.

Jonathan drehte die Strähne zwischen den Finger und ließ sie dann wieder fallen. „Nicht mehr lange.“, murmelte er. Annie wagte es nicht einmal nachzufragen, was er damit meinte.

„Sie kommen gleich. Es gab eine kleine... Komplikation mit unserem... Gefangenen.“, sagte er langsam.

Augenblicklich erstarrte Annies Gesicht, doch als sie das Grinsen sah, welches sich augenblicklich in Semerloys Gesicht stahl, riss sie sich zusammen und versuchte ihn gleichgültig anzusehen. Er hatte nur auf ihre Reaktion gewartet.

„Gibt es ein Problem?“, fragte er weiter.

„Nein. Ich frage mich nur, wie diese Komplikation wohl entstanden sein mag.“, antwortete sie fast ein wenig zu scharf. Daraufhin zuckte Semerloy bloß mit den Schultern und wandte sich ab. „Ich denke, da kommen sie.“

Verwirrte blickte Annie nach vorn und konnte dann tatsächlich Schritte und Stimmen hören. Es waren John Barrington und Alexander und offenbar diskutierten sie über etwas.

„So etwas habe ich noch nicht erlebt! Wie konnte er es nur wagen! Dafür wird er bezahlen, das schwöre ich und zwar bitterlich!“, sagte Barrington so laut, dass Annie es bereits von weitem hören konnte. Sofort bekam sie Angst und versuchte aus Alexanders Antwort herauszufinden, um wen es ging. Natürlich konnte sie es sich bereits denken.

„Sir, ich bin sicher, er hat nicht aus Respektlosigkeit gehandelt und ganz gewiss nicht, um euch anzugreifen. Er nimmt nur seine Arbeit sehr ernst, das ist alles.“

„Seien sie bloß still!“, fauchte Barrington ihn an. „Ich könnte durchaus auf die Idee kommen, dass sie es sogar begrüßen, dass er nun für Tage nicht nach dem Pferd sehen kann!“

Annie sah nun die beiden Männer und Alexander hob gerade abwehrend die Hände. „Sir, nichts liegt mir ferner. Ich wünsche mir, dass Hera ein Fohlen bekommt, was nur ihnen gehört. Ich bin mir durchaus bewusst, dass dies wohl die einzige Chance ist und dafür bin ich dankbar. Ich hege den leisen Wunsch, dass sie dann etwas umgänglicher werden könnte.“

„Sparen sie sich das! Ich habe genau gesehen, wie besorg sie um ihn waren! Das Tier ist ihnen vollkommen egal!“

Alexander blieb stehen und Annie bekam es mit der Angst zu tun. Wovon sprachen sie? Was war geschehen?

„Ich muss ihnen wiedersprechen.“, sagte ihr Bruder mit fester Stimme. „Hera ist mein bestes Pferd und ich würde es nur sehr ungern sehen, wenn ihr Schaden wiederfährt. Natürlich bin ich ein wenig besorgt um ihn. Schließlich ist er der einzige der sich um sie kümmern kann. All ihre anderen Männer scheinen nicht in der Lage zu sein, sie zu beruhigen. Sie lässt sie ja nicht einmal in ihre Nähe.“

„Wollen sie etwa sagen, dass mein Männer unfähig sind, sich um sie zu kümmern?“, fragte John Barrington mit Grabesstimme.

Alexander schüttelte den Kopf. „Mitnichten. Ich habe ihre Pferde gesehen und ihre Männer leisten exzellente Arbeit. Nur scheint Hera keinen von ihnen zu akzeptieren und für ein Fohlen ist es wichtig, dass sie sich wohlfühlt. Es wäre schlichtweg Schade, wenn ihr Wunsch ein Fohlen von ihr zu bekommen oder vielleicht sogar mehrere, nur daran scheitert, dass niemand zu ihr gelangt. Deswegen war ich so schnell bei ihm. Er ist nun mal der Einzige, der sie zu verstehen scheint, dem sie vertraut. So verrückt es auch klingen mag. Ich sagte ihnen bereits, dass wohl an seinem Schwachsinn liegen muss.“

Daraufhin sagte Barrington nichts, sondern drehte sich um und sah Annie.

„Was willst du hier?!“, fragte er und klang entnervt.

„Die Weinprobe, Sir.“, sagte sie und verbeugte sich leicht. „Wenn ihr es erlaubt, würde ich gern daran teilnehmen. Außerdem habe ich einen Vorschlag zu unterbreiten.“ Annie schluckte heftig. Sie hatte einen denkbar ungünstigen Zeitpunkt gewählt. Barrington war bereits jetzt schon wütend und aufgebracht. Er würde es sicherlich ablehnen.

„Ich rate euch mich heute nicht noch mehr zu provozieren.“, knurrte er und Annie warf ihrem Bruder einen raschen Blick zu. Dieser schüttelte leichte den Kopf. Er würde es ihr nicht erzählen, dachte sie. In den letzten Wochen verschwieg er ihr immer mehr. Sie wusste zwar, dass er es zu ihrem Schutz tat, aber sie konnte nicht richtig dankbar dafür sein. Sie malte sich nur immer schrecklichere Bilder aus.

John Barrington entriegelte die Tür, die nur durch einen einfachen Balken gesichert war. Anscheinend machte er sich keine Sorgen darum, ob jemand seinen Wein anrührte oder nicht. Es würde wohl ohnehin niemand wagen. Kaum hatte Annie den Weinkeller betreten wurde die Luft um sie herum kühler und es roch nach vergangenen Jahren. Aber auch der Alkoholgeruch der bereits geöffneten Fässer lag schwer in der Luft oder aber von jenen Momenten in denen doch etwas verschüttet worden war. Genau konnte es Annie nicht sagen. An den Wänden waren die Fackeln zuvor schon entzündet worden und tauchten den sonst so düsteren Raum in ein warmes Licht.

Links und rechts waren die Wände von schweren, fest verschlossenen Fässern gesäumt. Die langen Reihen ließen die Raum schmaler erscheinen, als er eigentlich war. Dennoch war er immer noch groß genug, damit vier Leute nebeneinander Platz fanden. Vereinzelt standen einige Fässer vor den Reihen. Diese waren in Benutzung. Zu viert gingen sie auf die neun Fässer zu, die fast am Ende des Raumes standen.

„Neun Fässer? Dann muss der Wein ja wirklich fantastisch sein, wenn sie mir so viele davon zukommen lassen.“, sagte Barrington und klang schon weitaus besänftigter.

„Von mir stammen nur fünf, Sir.“, sagte Alexander und bevor Barrington etwas erwidern konnte, fügte er an: „Die anderen vier sind von meiner Schwester. Sie bat mich zusätzlich um diese Fässer. Der Wein ist von minderer Qualität.“

Barrington drehte sich zu ihr um und das Funkeln und der Zorn schienen sofort zurück zu sein. „Die Fässer sollen natürlich nicht für euch bestimmt sein.“, sagte Annie hastig. „Nie würde es mir einfallen, euch so etwas zuzumuten.“ Sie verbeugte sich leicht um ihre Unterwürfigkeit zu demonstrieren.

„Und was haben diese Fässer, dann in meinem Weinkeller verloren?“, fragte Barrington scharf.

„Das möchte ich euch gern erklären, doch vielleicht probiert ihr erst einmal von denen, die mein Bruder euch mitbrachte. Er möchte sicher wissen, ob er euren hohen Ansprüchen gerecht werden kann, bevor ihr euch mir zuwendet.“, sage sie demütig.

„Nun gut, ich will auch nicht länger warten. Der Morgen war schließlich furchtbar genug.“ Jonathan Semerloy reicht Barrington zwei silberne Kelche, die er vom Deckel eines anderen Fasses genommen hatte. Dann wies Barrington Alexander an: „Öffnet ein Fass.“

Dieser nahm den langen Eisenstab, der vor den Fässern gelegen hatte und setzte die schmale Seite am Decke des Weinfasses an. Er vollführte einige Hebelbewegungen und der Deckel gab wenige Augenblicke später lautlos und geschmeidig nach. Kaum war der Decke zur Seite genommen worden, konnte man das feine Aroma des Weines riechen.

„Es riecht schon einmal sehr vielversprechend.“ lobte Barrington und auch Annie konnte nicht umhin das anzuerkennen. Dabei war ihr bisher jeglicher Alkohol zu wieder gewesen, seit sie das Kind unter ihrem Herzen trug. Nur hin und wieder trank sie einen Schluck, weil es ihr von Doktor Storm wirklich empfohlen worden war.

„Bitte, Sir.“, sagte Alexander bescheiden und trat einen Schritt zu Seite. Barrington und Semerloy tauchten beide ihre silbernen Kelche in das Fass und rochen dann noch einmal prüfend an dem Wein. „Sehr süß, nicht unbedingt mein Geschmack.“, sagte Jonathan Semerloy und Annie sah auf dem Gesicht ihres Bruders, dass sein Lächeln gefälscht war. „Trinken sie nur erst einmal einen Schluck. Ich bin sicher, sie werden nicht enttäuscht sein.“, antwortete er höflich.

Die beiden Männer tranken und schmeckten den Wein mit ihrer Zunge nach. Nach einem Moment des Schweigend nickte John Barrington schließlich. „Nicht schlecht.“, sagte er und trank ganz aus. Dann nahm er sich noch ein zweites Mal nach.

„Das Aroma ist süß und die Kirschen schmeckt man heraus. Aber sobald er Gaumen und Kehle erreicht, wird er leicht säuerlich und herb. Genauso, wie ein guter Wein sein sollte. Er ist schwer und perlt am Rand herab. Die Farbe allein ist einmalig. Selten habe ich Wein von solch einen intensiven, dunklen Rot gesehen. Man gewinnt fast den Eindruck es handle sich um Blut.“, lobte Barrington. „Was meint ihr Jonathan?“

„Auch wenn es mir nicht gefällt, so muss ich euch doch recht geben. Ich mag süße Weine nicht und ich kenne Kirschwein zur Genüge, doch dieser hier war sehr überraschend.“, konnte er auch nicht anders urteilen. Alexander atmete tief aus und Annie konnte seine Erleichterung förmlich spüren. Dass sie den Wein akzeptierten und für gut befanden, war äußerst wichtig. Jetzt musste sie ihn nur noch von ein paar anderen Dingen überzeugen.

„Ich freue mich, dass dieser Wein ihnen so mundet.“, sagte Alexander. „Ich bin sicher ihre Gäste werden in den höchsten Tönen von ihnen sprechen, wenn sie die Gelegenheit haben ihn zu probieren.“

„Meine Gäste? Ich denke nicht, dass ich diesen Wein mit ihnen teilen werde.“, sagte Barrington und Annie blieb das Herz fast stehen. „Da trinke ich ihn doch lieber allein.“

Alexander lachte kurz. „Verzeiht, Sir, aber ich kann euch beruhigen. Wenn ihr die Befürchtung habt, dass nicht genügend von dem edlen Tropfen für euch bleibt, so kann ich gern noch einmal ein paar weitere Fässer liefern lassen. Mein Freund hat noch jüngere Jahrgänge, die diesen hier aber in nichts nachstehen. Ich bin sicher, er würde die Ehre zu schätzen wissen, wenn ihr seinen Wein an eurem Ehrentag serviert.“

„Nun, wenn das so ist, dann bringt mir noch fünf weitere Fässer. Ich denke, das dürfte genügen. Wann und wie wird der Wein hergestellt?“, fragte John Barrington sehr interessiert.

„Im Sommer werden die Kirschen geerntet und handverlesen, selbstverständlich. Die Gärung geschieht den ganzen Herbst und Winter über, in drei Mal so großen Fässern wie diesen hier. Erst dann werden sie abgefüllt, um in diesen Fässern noch ein weiteres Jahr oder auch zwei zu reifen, bevor es getrunken werden kann.“

„Ich würde mir das gern einmal anschauen. Die Herstellung von gewöhnlichem Wein kennt man ja zur Genüge, aber ich würde gern sehen, was ihr Freund noch dazugibt.“

„Natürlich, Sir. Wenn sie wünschen kann ich gleich einen Termin vereinbaren, wenn ich die weiteren fünf Fässer bestelle.“

„Wunderbar! Sie sind ja doch zu etwas zu gebrauchen!“, rief Barrington und nahm noch einmal einen vollen Kelch nach, den er in einem Zug leerte.

„Schon besser.“, sagte er dann mehr zu sich selbst, als zu jemand bestimmtes. Semerloy hatte seinen Kelch noch immer in der Hand und nippte kurz daran. Sein Blick blieb auf Annie haften, ganz so als würde er auf etwas warten.

„Was hat es mit den anderen Fässern auf sich?“, fragte Jonathan Semerloy deswegen und auch Barrington wurde hellhörig. „Ich rate euch, dass es einen guten Grund dafür gibt, warum sich minderwertiger Wein in meinen Räumen befindet sollte. Meine Geduld ist heute sehr dünn.“, sagte er drohend.

„Nun...“, begann Annie zaghaft. „Da es solch ein ehrenvoller Tag ist, dachte ich, dass wir vielleicht auch die Bediensteten daran teilhaben lassen sollten.“

Schweigend und mit eiskaltem Blick sah ihr Gegenüber sie an, doch Annie sprach mutig weiter. Zu viel hing davon ab. „Würdet ihr diesen Tag mit ihnen feiern und sei es auch nur durch einen Schluck Wein, den ihr ihnen gönnt, würden sie euch noch mehr schätzen und noch härter für euch arbeiten. Sie würden alles für euch tun, nicht aus Angst, sondern aus Dankbarkeit und Respekt. Da bin ich mir sicher.“

Spöttisch zog sich einer von Barringtons Mundwinkel nach oben. „Ich habe noch nie etwas schwachsinnigeres gehört.“, sagte er dann. „Ihr amüsiert mich. Mir ist egal, aus welchen Gründen sie mir gehorchen, Hauptsache sie tun es. Ich werde sie nicht verwöhnen, nur um Treue von ihnen zu bekommen. Da habe ich meine ganze eigenen Methoden.“ Er grinste bei diesen Worten und Annie war nicht einmal überrascht. Natürlich hatte sie mit dieser Antwort gerechnet. Aber sie hatte es versuchen wollen, denn die andere Möglichkeit behagte ihr noch weniger. „Natürlich, ihr habt recht. Ich werde die Fässer wieder entfernen und wegkippen lassen.“, sagte sie und verbeugte sich tiefer als zuvor.

„Eure neue Art gefällt mir, obwohl ich das widerspenstige lieber mochte. Ich hoffe ihr gedenkt nicht so zu bleiben, das würde mich zu schnell langweilen.“

„Ganz gewiss nicht.“, presste sie zwischen den Zähnen hervor. Barrington musterte sie und brach dann in schallendes Gelächter aus. „So gefällt mir das schon besser! Ich hoffe eurer Geschenk ist genauso... interessant, wie das eures Bruders.“

„Selbstverständlich.“, log sie ohne mit der Wimper zu zucken. Sie hatte nicht einmal darüber nachgedacht, dass sie ihm auch etwas schenken müsste.

„Aber den Wein wegkippen, auch wenn er von minderer Qualität ist... Ich frage mich, ob das nicht eine Verschwendung wäre. Vielleicht könnte man ihn weniger liebsamen Gästen servieren.“

„Es liegt ganz bei euch.“, erwiderte Annie. „Ich werde tun, was ihr wünscht.“ Sie schlug die Augen nieder.

„Wunderbar! Ich denke darüber nach.“ Barrington lachte immer noch, als er sich dem Ausgang zuwandte. „Alexander sie kommen mit mir. Hera muss heute noch ihrem Partner begegnen, nicht das alles für umsonst war. Sie werden das heute machen. Ich hoffe man hat ihn inzwischen schon fortgeschafft.“, sagte Barrington und klang weit weniger amüsiert. Trotzdem sah Annie ein schiefes Grinsen auf seinem Gesicht. Sie musste tief durchatmen, um nicht augenblicklich danach zu fragen, was vorgefallen war.

Stattdessen wandte sie den Blick ab und sah sich Jonathan gegenüber. Schweigend sahen sie sich einen Moment an.

„Wie kommt ihr darauf den Bediensteten etwas schenken zu wollen?“, fragte er sie und sie konnte nicht einmal sagen, dass Spott in seiner Stimme lag.

„Warum nicht? Sie sind nicht viel schlechter als wir. Ihnen verdanken wir, das bequeme Leben, welches wir jeden Tag führen. Man muss sie nur einmal beobachten und man bekommt einen kleinen Eindruck dessen, was sie wirklich vollbringen. Ich glaube, wir wissen es nicht zu schätzen. Es kann nicht schaden, ihre Arbeit ein wenig anzuerkennen. Ich bin sicher, wir würden nur davon profitieren.“, erwiderte sie ehrlich.

Auf sein Gesicht zog sich ein Lächeln. „Das gefällt mir und ich kann euch nur recht geben.“, sagte er, doch er sah sie dabei nicht an. Seine Gedanken schienen ganz wo anders zu sein.

Verblüfft sah Annie ihn an. Sie hatte nicht damit gerechnet, sondern eher damit, dass er sich genauso über sie lustig machen würde, wie Barrington.

„Danke.“, sagte sie trotzdem.

„Ihr seht in allem immer nur das gute oder?“, fragte er sie schließlich und nun war sie noch erstaunter.

„Ich versuche es.“ Sie wusste nicht, warum sie ihm ehrlich antwortete. Vielleicht weil sie sich dadurch von ihm unterscheiden wollte.

„Seht ihr auch in mir etwas Gutes?“

„Ich habe die Suche danach schon längst aufgegeben.“, antwortete sie ohne Umschweife.

„In der Tat.“, erwiderte er und bildete sie sich das ein oder war er tatsächlich ein wenig gekränkt?

„Glaubt ihr aber, ich habe es jemals besessen?“, fragte er weiter. Fragend sah sie ihn an. Was sollte das? Versuchte er etwa eine Unterhaltung mit ihr zu führen?

„Ich weiß es nicht.“, antwortete sie. „Ich kann es mir schwer vorstellen. Vielleicht, bevor ihr John Barrington kennenlerntet.“

Jetzt zog sich ein spöttisches Lächeln über seine Lippen. „Vielleicht habt ihr recht.“

„Wie kommt es dass ihr so...“

„Was? Dass ich so nett sein kann?“

„Nein, ich wollte sagen, menschlich.“

Jetzt musste er wirklich lachen, wurde aber gleich wieder ernst. „Das ist eure schuld.“, gab er zu und Annie glaubte sogar, dass er sie anzwinkerte. Doch kaum hatte er das gesagt, wurde er wieder ernst und in sich gekehrt, als hätte er sich an etwas Unliebsames erinnert. „Oder es liegt einfach an der Jahreszeit.“, fügte er leise an. Doch bevor sie Gelegenheit hatte etwas zu erwidern oder nachzufragen, änderte sich sein Gesichtsausdruck abermals und der Mann mit dem sie sich gerade beinah normal unterhalten hatte, schien verschwunden.

„Wolltet ihr nicht etwas von dem Wein?“, fragte sie schließlich und hielt ihr den Kelch hin.

„Ja, das wollte ich, aber...“ Ganz bestimmt werde ich mit dir nicht aus einem Becher trinken. Amüsiert schaute er sie an.

„Manchmal seid ihr wirklich leicht zu durchschauen und dann seid ihr wieder so geheimnisvoll wie das innere eines Kunstwerks.“, sagte er und Annie wusste nicht, ob es ein Kompliment war oder eher eine Beleidigung.

„Ihr kennt euch mit Kunst aus?“, entfuhr es ihr, weil es sie wirklich überraschte.

„Ja.“, antwortete er und schien mit seinem Blick wieder wo ganz anders zu sein. „Ich habe es sogar studiert, auch wenn ihr mir den Intellekt wohl nicht zugetraut hättet. Sogar vier Jahre lang. Kunst und Architektur, es war recht... interessant.“

„Wie kam es dazu?“

Er zuckte mit den Schultern, doch in seinen Augen lag auf einmal eine tiefe Traurigkeit. Plötzlich kam Annie Semerloy verändert vor oder sie sah ihn anders. Vielleicht war dieser Mann wirklich einmal ein anderer gewesen. Nicht so ein Scheusal. Sie glaubte einen kurzen Blick auf den Mann zu erhaschen, der ein einmal gewesen war. Doch was war geschehen, dass ihn dann so veränderte?

„Ich bin erstaunt.“, sagte sie ehrlich. Doch mit ihren Worten schien der andere Mann wieder verschwunden zu sein und der ihr bekannte, selbstgefällige Jonathan Semerloy stand wieder vor ihr.

„Was ist nun? Wolltet ihr nicht einen Schluck von dem guten Wein?“

„Ich habe keinen Becher.“, sprach sie das offensichtliche aus. Er lächelte schief.

„Ich biete euch meinen an.“

„Nein, danke.“

Schweigend standen sie sich gegenüber, bis sich Jonathan Mundwinkel wieder leicht nach oben zog. „Ich könnte John sicher überreden, euren Vorschlag anzunehmen.“

„Warum solltet ihr das tun?“, fragte sie misstrauisch zurück.

„Ich mag euch, wenn es euch noch nicht aufgefallen ist. Ihr... erinnerte mich an jemanden.“, sagte er und Annie sah überrascht auf. Da war er wieder gewesen, dieser andere Mann. Seine Stimme hatte voll Sehnsucht und Schmerz geklungen. Doch es verschwand abermals so schnell, wie es gekommen war.

„Wie sollte es mir aufgefallen sein?“, fragte sie stattdessen zurück. Sie konnte nicht richtig damit umgehen, wenn er sich so ihr gegenüber verhielt. „Ihr benehmt euch nicht wie ein Gentleman in meiner Gegenwart.“

„Und trotzdem könnt ihr euch mir nicht entziehen.“, konterte er.

„Nur in euren Träumen.“, erwiderte sie sofort. Diesen Jonathan Semerloy kannte sie. Mit seinen Worten konnte er sie gewiss nicht betören.

„Das ist einer der Gründe, warum ich euch mag. Ihr sagt, was ihr denkt.“

„Ich sollte gehen.“, erwiderte sie daraufhin und wandte sich um.

„Ich dachte, ich sollte mit John sprechen.“

„Ich verzichte. Was ihr als Dank verlangt, könnte ich nicht zahlen.“

„Oh, ich verlange nichts. Es bereitet mir Freude zu sehen, wie sich die Dinge entwickeln, zu erraten, was ihr vorhabt und ob es euch vielleicht gelingt, den guten John doch noch zu ändern.“

„Es liegt nicht in meiner Absicht ihn zu ändern. Das könnte niemand.“

„Da muss ich euch allerdings recht geben. Was ist nun? Nehmt ihr mein Angebot an.“, fragte er noch einmal und hielt ihr den Kelch abermals hin.

Annie wusste, dass wenn sie wollte, dass Jonathan seinen Einfluss bei Barrington ausnutzte, sie es mit dem Kelche besiegeln musste. Sie musste davon trinken.

Aber das war es auch gewesen, was sie sich insgeheim erhofft hatte. Sie hatte Jonathan Semerloys Neugier erwägt und schon fast darauf vertraut, dass er sie weiter nach ihrem Vorschlag fragen würde. Er war noch die einzige Möglichkeit, die ihr blieb um ihre Vorhaben zu realisieren. Barringtons Geburtstag war bereits in ein paar Tagen. Sie hatte schlicht keine Zeit mehr.

„Ich habe nichts weiter vor. Ich möchte diesen Ort nur erträglicher für alle machen.“, sagte sie mit fester Stimme und griff nach dem silbernen Kelch. Sie setzte ihn an und trank ohne weiter darüber nachzudenken, dass sie womöglich die gleiche Stelle berührte, wie er zuvor mit seinen Lippen. Der Wein war süß und schwer, genauso wie Barrington es beschrieben hatte. Sie nahm nur einen kleinen Schluck und spürte beinah augenblicklich, wie er durch ihren Körper floss und für eine angenehme Wärme sorgte.

Sie reichte Jonathan Semerloy den Kelch zurück und er trank den letzten Schluck. Vorher drehten der den Becher so, dass er genau aus der Stelle trank, an der zuvor ihre Lippen gelegen hatten. Ein Schauer durchlief ihren Körper, ob dieser intimen Geste.

Semerloy stellte den Becher auf eines der Fässer und lächelte sie an. Was geht wohl in seinem Kopf vor, fragte sich Annie zum wiederholten Male.

„Wir sollten vielleicht gehen, nicht das noch jemand auf falsche Gedanken kommt.“, sagte er und ließ Annie vortreten. Schweigend verließen sie den Weinkeller. Sie würde noch vorsichtiger sein müssen.

Und sie brauchte irgendein Geburtstagsgeschenk für John Barrington.
 

Sein Körper zitterte nur noch. Wann immer Draco aufwachte, bebte sein Körper, seine Muskeln, sein Fleisch. Er selbst wusste nicht, ob es nun von dem Schmerz kam oder von dem Fieber, von dem Doktor Storm gesprochen hatte. Aber es hörte nicht auf und jedes Mal, wenn er von neuem erwachte, schien es schlimmer zu sein, als zuvor.

Man hatte ihn in einen anderen Raum gebracht. Es war ein kleinerer Raum, ohne Fenster, aber vielleicht war er wärmer. So genau konnte er das nicht sagen, da ihm abwechselnd heiß und kalt war und manchmal auch beides gleichzeitig. Sein Blick war noch immer verschwommen und immer, wenn er versuchte etwas zu erkennen, wurde ihm nur noch schwindliger.

Wann würde es aufhören?, fragte er sich.

Doktor Storm kam hin und wieder, vielleicht auch regelmäßig. Draco konnte es nicht genau sagen, da er anfangs nicht einmal die Momente zwischen Traum und Wachen richtig unterscheiden konnte. Manchmal träumte er, dass Barrington zu ihm kam, einen weiteren Schnitt in seine Haut machte und wieder Blut in dem goldenen Kelch auffing. Er träumte auch von Annie oder Alexander und sie erschienen ihm immer so real. Der Mediziner legte jedes Mal neue Verbände an Arm und Hand an.

Gleichgültigkeit befiel ihn in seinem Krankenbett, wie er sie bisher nur einmal erlebt hatte: als Annie zu Barrington ging. Entweder er würde leben oder sterben.

Zum Kämpfen hatte er keine Kraft mehr.
 

Nur sehr langsam besserte sich sein Zustand. In Tagen konnte er nicht mehr zählen, nur noch in wachen Momenten und davon gab es nicht sehr viele.


Nachwort zu diesem Kapitel:
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Das Schimmelpilzpulver gibt es auch heute noch als sehr wirksames Medikament: Penicillin.^^ Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: enni
2012-06-07T05:12:20+00:00 07.06.2012 07:12
Ich wüsste da ein wunderschönes Geschenk für Barringtons Geburtstag, ein Messer zwischen die Rippen. Es könnte aber auch ein Schwert sein und weil es für Barrinton ist darf es auch ruhig kostbar bestückt sein, wir wollen ja nicht das jemand denkt wir würden ihn nichts gönnen. *bekräftigend nickt* Ich könnte mir vorstellen Jonathan würde mir mit seinen etwas merkwürdigen Sinn für Humor rechtgeben. XD

Weil wir grad von den guten sprechen, jetzt haut er uns aber seine faszinierende Seite um die Ohren das uns sehen und hören vergeht! XD Eine interessante Unterhaltung hatte er da mit Annie. Was mir aber an der ganzen Szene am allerbesten gefallen hat (und nein, ich meine nicht die stelle in der er Annie dazu trinkt aus einem Becher mit ihn zu trinken und dann mit absicht von derselben stelle trinkt, wo ihre Lippen waren [hinterlistiches Schlitzohr! XD] nein das ist meine zweitliebste stelle *grins*) ist bestimmt die szene wo Annie mit ihrer schlauheit ihn benutzt für ihre zwecke! *lol* Ich hab mich so diebisch darüber gefreut das Annie da so schlau ist, ich kanns dir gar nicht wirklich in Worte fassen. Semerloy, zu wärest bestimmt stolz auf sie! >.< Und jetzt will ich natürlich wissen wie der gute so geworden ist wie er ist! Story please!

Zu Draco kann ich in diesen Kapitel nicht viel sagen, es ist einfach nur entsetzlich und ich bin grad am überlegen wie man Draco von dieser von dir verursachten Verschandlung retten kann! Wärest du nicht schon so weit mit den nächsten Kapiteln, dann würde ich versuchen dich mit Kirschwein zu bestechen um alles irgendwie ungeschehen zu machen. Das der arme mit Brandmal rumrennen muss, besonders gezeichnet von dem Arsch, ist mir fast unterträglich. Auch wenn ich jetzt mal zugebe das das zeichen schon sehr schön ist! Der Schmidsohn hat gute arbeit geleistet (und du auch!) XD.

Ach und bevor ich es vergesse, man siehe mal an, es gibt also wirklich was, was Draco aus seiner Sturheit reisen kann, ein Brandeisen! Mensch hätte ich das mal letztes Kapitel gewusst wo ich mir überlegt hab ihn zu schlagen! *lach*

Jetzt bin ich aber mal gespannt ob der plan den Annie und Alexander da geschmiedet haben hinhaut. Freu mich darauf das zu lesen! >.<

hdl enni
Von:  funnymarie
2012-01-02T18:56:25+00:00 02.01.2012 19:56
huhu^^
sorry, dass ich beim kapitel davor keinen kommentar hinterlassen habe!
so nun zum kapitel^^
ich fand es toll, aber langsam wünsche ich mir wirklich für drake, dass er da raus kommt!
er hat, denke ich, schon mehr mitgemacht, als man ertragen kann
und barrington! er soll verrecken!
ganz einfach krepieren! dieser hirnverbrannte unterbelichtete kranke arsch
und bald wird also das kind geboren werden?!
ob es seinem vater wohl sehr ähnlich sieht?
und was es wohl wird?
wie geht es eigentlich der frau von alexander?
ich freu mich also auf das nächste kapitel und hoffe, dass meine fragen in diesem alle beantwortet werden^^
also frohes neues und bis zum nächsten kapitel
lg funnymarie


Zurück