|Nami in Not|
Die Sonne hatte sich schon gesenkt und immer noch war die Navigatorin der Strohhutbande nicht zum Schiff zurückgekehrt. Mit ausdruckslosem Gesicht war sie in der Stadt umhergewandert. Zur Flying Lamb wollte sie nicht, denn sie war zu feige um Sanji zu begegnen. Natürlich musste sie das irgendwann tun. Sie konnte doch nicht nur wegen diesem Vorfall die Bande verlassen. Den Traum und die Freunde aufgeben und davonrennen. Das durfte sie einfach nicht und das stand fest. Allerdings wusste sie auch nicht, wie es weitergehen würde. Immer wieder musste sie an diese kalte Stimme und den beinahe verachtenden Blick denken. Wieso war sie denn so blind gewesen? Wieso hatte sie nicht sehen können, wie schrecklich ihr Betragen gewesen war? Prüfend überdachte sie noch einmal die ganzen Situationen und hätte den Kopf am liebsten gegen eine Wand geschlagen. Diese ganzen Dinge, die sie gesagt hatte – dieser Egoismus und die Überheblichkeit – das alles hatte sie nicht bemerkt! Wie schlimm musste es denn sein, wenn man so etwas ständig ertragen musste. Und die ganze Zeit über hatte Sanji sie wie immer behandelt. Nie hatte er sich über sie aufgeregt oder war sauer auf sie. Gleichgültig schien sie ihm deswegen auch nicht zu sein. So groß, wie sie sich immer vorgekommen war, so klein fühlte sie sich. Klein und unbedeutend. Jetzt wo seine Geduld am Ende war. Hatte sie wirklich derart bösartige Worte gesprochen? Es kam ihr vor, als hätte es ein anderer Mensch getan. Warum sah sie das alles jetzt ein, wo es zu spät war? Wie dämlich sind manche Menschen doch, weil sie erst eine Katastrophe brauchen, damit sie ihre Augenbinde lösen. Es war schon dunkel, als Nami sich entschied, endlich zum Schiff zurück zu kehren. Die anderen schliefen schon und machten sich keine allzu großen Sorgen, da sie doch selbstständig genug war und manchmal länger wegblieb. Im Hafen merkte sie schon von weitem, dass in der Küche noch ein Licht brannte und sofort spürte sie die tonnenschwere Last, die ihr Herz bedrückte. War es nur das Gefühl, einem guten Freund gegenüber schuldig geworden zu sein? Einen Moment lang hielt sie inne und überlegte, ob sie nicht lieber in der Stadt übernachten sollte. Geld hatte sie ja genug. Plötzlich hörte sie hinter sich Schritte.
„Na wen haben wir denn da? Hast du dich verlaufen, Mäuschen?“, erklang eine raue Männerstimme, doch die Diebin sah nur Schatten.
„N-nein, ich komme zurecht, danke…“, stammelte sie und entfernte sich ein paar Schritte. Da trat die Gestalt aus dem Schatten in das Laternenlicht. Es war ein großgewachsener, kräftiger Mann mittleren Alters mit schwarzen Haaren, die kurzgeschnitten waren. Unzählige Narben zierten seine nackten muskulösen Arme und in seinen Augen blitzte es gefährlich. Dazu trug er ein mächtiges Schwert über die Schulter gelegt, das mit seinen Zacken wie eine Säge aussah. Diese sahen aus, als hätte er sie mit einer grünlichen Salbe eingeschmiert.
„Wirklich? Willst du nicht lieber einem einsamen Mann wie… zum Beispiel mir… Gesellschaft leisten?“ Er spuckte zur Seite. „Du bist eine ganz schön Süße… und so kurvenreich. Genau mein Typ.“
„Vergiss es.“ Namis Ton sollte eigentlich selbstbewusster klingen, aber das tat er einfach nicht.
„Hab dich nicht so. Komm mit mir…“ Der Fremde hielt sie an einem Arm fest. „Sonst passiert dir hier draußen noch etwas.“ Sein Grinsen hatte etwas Bedrohliches.
„Ich sagte, nein!“, schrie die Navigatorin über den ganzen Hafen, doch keine Menschenseele war zu sehen. Der Mann zog sie zu sich heran und höhnte:
„Tja, ich fürchte, du wirst keine Wahl haben.“ Als sie versuchte an ihren Stab zu kommen, packte er sie auch schon am zweiten Arm und wollte sie fortschleifen. Aber da kam eine andere Stimme aus dem Dunkeln.
„Endlich hast du einen richtigen Mann gefunden, was Nami?“ Diese Stimme war unverwechselbar.
„Sanji!!!“, rief sie verzweifelt. Ein roter Punkt glühte im Schatten und der Koch bewegte sich langsam auf die Beiden zu. Einen richtigen Mann wollte sie – da hatte sie ihn nun und was tat sie? Ihr Blick flehte um Hilfe und die Versuche sich loszureißen misslangen, weil es ihr an Kraft fehlte. Genauso wie er es ihr vorausgesagt hatte. Wo war ihr Stolz hin? Er war auf die Flying Lamb zurückgekehrt und hatte sich zunächst gezwungen, nicht an sie zu denken, aber dauernd hatte er hinausgesehen und erwartet, dass sie den Hafen entlang zu dem Schiff kommen würde. Nach Sonnenuntergang hatte er noch öfter hinausgespäht, bis er den Schrei vernahm. In dem Moment war ihm bereits egal gewesen, was sie gesagt hatte und eigentlich war er doch unglaublich dumm, zu ihr zu eilen, aber so war es nun mal… Man konnte dem Herzen nicht befehlen und auch nichts verbieten.
„Ist das etwa ein Freund von dir?“, raunte der Fremde Nami zu, doch diese wusste nicht, was sie darauf nach dem letzten Gespräch mit dem Smutje antworten sollte.
„Lass sie einfach in Ruhe. Mehr musst du nicht wissen.“, kam von Sanji, der immer noch rauchte.
„In Ruhe lassen? Wieso sollte ich? Ich will mir noch einen schönen Spaß mit der Kleinen machen!“ Dabei lachte der Mann dreckig und sein Griff wurde nur noch fester.
„Ich wiederhole mich nur ungern.“, warnte der Koch ruhig.
„Sonst was? Was kannst du denn ausrichten, du Bohnenstange? Drohst mir, Jake Jadder, persönlich?“ Langsam hörte sich der Fremde aggressiver an.
„Jake-was?... Noch nie gehört?“ Sanji zuckte gleichgültig mit den Schultern. Dadurch wurde Jake nur noch wütender.
„Das wirst du ganz bestimmt, sofern ich dich nicht in Stücke schneide! Wenn ich gnädig bin, gibt’s nur ein paar schöne Narben als Erinnerung!“, brüllte er und schleuderte Nami zu Boden. Diese raffte sich auf und stolperte hinter einige Kisten, von denen viele am Hafen zu finden waren. Mit klopfendem Herzen verfolgte sie die weiteren Geschehnisse. Selbstverständlich wurde Sanji angegriffen, aber er war um einiges flinker, als Jake mit seinem schweren Schwert. Einmal nur hatte der Smutje kurz nicht aufgepasst und die Zacken rissen sein Hemd auf. Den Blutflecken nach zu urteilen hatten sie sich ihm in die Seite gebohrt. Mit schmerzverzerrtem Gesicht dachte er nicht daran aufzugeben. Die Navigatorin hatte ihre Hände vor den Mund geschlagen und ihr Puls raste schon vor Sorge und Aufregung. In Gedanken betete sie darum, dass Jake Sanji nicht noch einmal erwischte. Das Schwert war zwar schwer und dadurch der Mann langsam, aber wenn er einmal traf, dann war es kein sanfter Hieb. Ein deftiger Kick traf ihn ins Gebiss und er spuckte Blut.
„Das wirst du bereuen, du Hampelmann!“, tobte er und setzte alles daran, Sanji zu treffen. Mit der Verletzung war es nicht mehr so einfach auszuweichen und einmal war es sogar so knapp, dass Jake ihm um ein Haar den Schädel gespalten hätte. Schließlich benutze der Koch seine stärkste Attacke, denn länger hätte er es nicht durchhalten können. Der kräftige Körper des Mannes flog einige Meter weit und krachte mitten in die Kisten, in denen zum Transport bereite Kohle gelagert wurde. Danach zuckten seine Finger nur ein paar Mal und er bewegte sich nicht mehr. Tot war er zwar nicht, aber bestimmt für einige Stunden bewusstlos und musste nach dem Aufwachen bestenfalls mit ein paar gebrochenen Rippen rechnen. Der Smutje wartete einige Sekunden und als er seinen Sieg sicher glaubte, sank er zu Boden.
„Sanji!“ Sofort eilte Nami zu ihm hin.
„Bist du schwer verletzt?“
„Wie ungewohnt besorgt und sanft ihre Stimme doch klingt.“ Das waren die letzten Gedanken, bevor es um ihn herum dunkel wurde.
„Nein!“, schrie die Diebin auf. War die Wunde etwa so tief? Sorgsam entfernte die blutverklebten Hemdfetzen. Der Anblick ließ sie schaudern. Die Wunde schien nicht sonderlich tief, aber anstatt nur rot zu sein, hatte sie einige grünliche Stellen, die sich auszubreiten schienen.
„Oh Gott, was ist das?“, flüsterte sie entsetzt. Ganz egal, was es war. Sanji brauchte jetzt Chopper.
„Warte hier, ich werde Hilfe holen… Chopper wird alles wieder richten.“, sagte sie leise zu dem bewusstlosen Koch, obwohl ihr klar war, dass er sie nicht hören konnte. Schnellstens rannte sie zu der Flying Lamb und auf dem Weg liefen ihr Tränen übers ganze Gesicht.