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Unter Wasser

"Gib mir die Hand, ich muss dich spüren, fast wär ich nicht mehr aufgewacht..."
von

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Kapitel 2 - Ich warte immer noch darauf

Ich warte immer noch darauf
 


 

„Klonk.

Schlürf.

Blubb.“

Sie konnte sogar die Geräusche inzwischen mit sprechen.

Immerhin war es ihr alltägliches Ritual, sich an diesem Automaten um diese Zeit ihren Kaffee zu holen.

Wie immer warf die Maschine einen Becher aus und goss die braune Flüssigkeit hinein. Dann noch einen Schuss Milch rein, für den Zucker würde sie selber sorgen.

Mit dem heißen Getränk in der Hand schlürfte sie nun weiter.

„Morgen.“, murmelte sie kurz der Schwester zu. Den üblichen Weg zurück. Mit dem Kaffee als Balanceinstrument schlängelte sie sich durch und war bald darauf bei der letzten Tür angelangt. Als sie diese öffnete zeigte sich ihr ein äußerst friedliches Bild.

Das Fenster stand offen, der Wind wehte durch die weißen Vorhänge und mitten in dem, durch milden Sonnenschein erhellten Raum, lag er. Vollkommen reglos verpennte er mal wieder den ganzen Tag.

Wäre nicht das kalte Piepen im Hintergrund gewesen, Henrike hätte glatt gelächelt.

Sie stellte den Becher ab, neben der kleinen Sonnenblume, welche an seinem Nachtisch stand.

Sonnenblumen… Ihre und Jans Lieblingsblumen.

Obwohl es verboten war, hatte sie eine eingetopfte Pflanze ins Krankenhaus geschmuggelt. Henrike mochte abgeschnittene Blumen nicht sonderlich. War ja eigentlich fast so, als würde man Leichen verschenken und lange hielten sie eh nicht.

Dann lieber etwas, was sogar noch wuchs, wenn man sich darum kümmerte. Sie musste nur noch einen Platz finden, wo man die Blume nicht entdecken konnte und sie gleichzeitig noch Licht bekam.

„Verpennen ist eigentlich meine Aufgabe…“ sagte sie und setzte ein schiefes Lächeln auf.

Wenigstens war er in einen Raum verlegt worden, der nicht gleich an eine Leichenhalle erinnerte. So kam sie sich nicht andauernd vor, als würde sie einen längst Verstorbenen besuchen.

Müde blickte sie sich um. Da kam ihr eine Idee…

Die Krankenhausbibel. Brauchte in diesem Raum eh keine Sau. Daher öffnete sie die Schublade und holte diese hervor. Sie ging damit zur Fensterbank und stellte das Buch aufgeklappt hin. Die kleine Pflanze wurde dazwischen gestellt.

Wenn man das Buch nicht entfernte oder nicht ganz zum Fenster (an dem ja gleich das Bett stand) ging, konnte man das kleine Verbrechen nicht entdecken. Und es bekam so genügend Sonnenlicht, um noch tüchtig zu wachsen.

Nur das beste, für Jans und ihr Baby.

Sie lächelte sachte.

Doch was nun?

Sie sah aus dem Fenster. Unten auf dem Weg humpelte ein kleiner Junge auf Krücken mühselig vorwärts. Er versuchte allein vorwärts zu kommen, doch weit kam er nicht. Dennoch gab er nicht auf und schaute immer wieder stolz zu seiner Mutter hoch, welche neben ihm bleib, als setzte sie gerade zum Sprung an. Jederzeit bereit, ihn auf zu fangen.

Sie war blond, ihr Gesicht wirkte aber sehr erfahren und hatte ein paar kleine Falten. Gerade das machte sie schön.
 

Henrike ging zurück. Und tat das, was sie immer hier machte:

Warten.

Sie hockte auf dem Stuhl, direkt an seinem Bett und malte Kreise auf seinem Bauch.

Nach ein paar Minuten, legte sie auch ihren Kopf auf ihm ab.

So wie immer eigentlich.

So konnte sie ihn wenigstens körperlich ein bisschen spüren…
 

~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~
 

Stunden später war Henrike fast wieder auf seinem warmen Bäuchlein eingedöst.

Auf ihm zu liegen und allein seinen Atem zu hören… das war einfach immer noch zu schön.

Wenn sie dann die Augen schloss, konnte sie sich die Welt wieder zu Recht träumen, und sich einbilden, dass er bloß schlief.

Allerdings wollte sie nicht einschlafen. Jedenfalls nicht, wenn sie nicht unbedingt schlafen musste. Denn… fast jedes Mal, kamen wieder Alpträume…

Sie waren fast nie identisch, aber immer wieder schmerzhaft.

Deswegen zockelte sie nochmals los, um sich einen neuen Kaffee zu holen.

Das Haus war nun wesentlich belebter. Allerdings registrierte sie es so gut wie gar nicht mehr.

Dazu bedeckte ihr Innerstes ihr Leben zu sehr.

Lachen fiel ihr schwer, auch wenn sie es hin und wieder tat. Jedoch hatten sich viele schon wieder bei ihr gewundert, weshalb sie die meiste Zeit über gefasst war. War immerhin nicht typisch für sie. Henrike beschäftige dies selbst hin und wieder, aber nie lange.

Innerlich wusste sie die Antwort ja.

Mit der Zeit war sie so traurig geworden, dass sie nicht mehr weinen konnte…
 

Mit dem Pappbecher in der Hand ging sie zurück. Wieder den weißen Gang. In dem es von Desinfektionsmitteln und Medikamenten nur so stank.

Hier hing auch eine Uhr, wie man sie sonst nur von den Bahnhöfen kannte.

Henrike hasste mittlerweile alles, an diesem Gang. Bis auf die Menschen, die hier herum schlürften. Konnten schließlich nichts dafür, dass sie ebenfalls hierher verband waren.

Völlig in sich versunken kam sie seinem Zimmer immer näher. Auf ein neues fröhliches Ausharren. Sie drücke die Klinke nach unten und stieß die Tür auf…
 

„Madame?“

Wie?

Verwundert drehte sie sich um. DAS kam ihr doch bekannt vor…

Tatsächlich!

Da stand der Mann, der ihr am Unfallort geholfen hatte.

Perplex glotzte sie ihn an.

„Oh…hi…“, mehr kriegte sie nicht heraus.

Er war es. Er hatte bräunliche Haut und einen schwarzen Schnurrbart.

Moment… hatte er einen Bart gehabt, damals? Sie wusste es nicht mehr, es war einfach zu hektisch gewesen…

„Das ich Sie hier treffe… wie geht es Ihnen? Alles gut verheilt?“

Er kam mit einem ehrlich freudigen Lächeln auf sie zu, doch sie blieb perplex.

„Ich… ja… bin heil…“, stotterte sie und batschte sich imaginär erstmal eine. War gar nicht so einfach wach zu werden, wenn man den ganzen Tag nur mit Trübsal blasen verbrachte.

Ihr fiel in diesem Moment auf, dass er Dirk ähnelte. Nicht nur wegen dem Bart…

„Ein Glück. Das sah wirklich schlimm aus, damals… Aber… ich glaub, ich muss mich bei Ihnen entschuldigen.“

„Was?“, verdutzt weiteten sich ihre Augen ein Stück. Wieso denn entschuldigen?

„Sie sind eine Mademoiselle. Ich habe mich vertan.“

Augenblicklich schoss ihr Blut in die Wangen. Kein Wunder. Typisch Franzosen, die wussten halt, wie man das Maul des Gegenübers ordentlich in Honig eintunkt.

„Oh man, ich werd rot….“, halb lachend hob sie den Kaffeebecher vor ihr Gesicht.

Der Mann lachte. „Eine richtige Mademoiselle… trotz Ihrer brennenden Haare.“

Brennend? Der hatte vielleicht Ausdrücke.

„Sie brauchen mich aber nicht siezen…“

Warum sagte sie nun ausgerechnet so was? Oh man, sie musste echt ganz schön isoliert sein…

„Dann du aber auch nicht.“ Das brachte sie wieder zum grinsen.

Da kam ihr noch ein Gedanke. „Aber was machst du hier. Du warst doch gar nicht verletzt… oder?“ Sie schaute ihn besorgt an, er schüttelte beschwichtigend den Kopf.

„Meine Mutter muss öfter hierher…“

Ach so, wohl etwas chronisches… auch nicht schön. Bevor er wieder etwas sagen konnte, platzte Henrike jedoch.

„Danke!!!“

Er zuckte ein bisschen zusammen, da sie es ihm beinahe ins Gesicht gebrüllt hatte. Ein paar Leute guckten verdutzt, wandten sich dann aber wieder ihrem Lauf zu.

„Wie meinen?“

Tat der nur so, oder wusste er es echt nicht?

„Du hast mir als einziger geholfen. Alle andern sind einfach weiter gerannt…“

Der Mann betrachtete sie lange und zeigte keine Regung. Dann lächelte er wieder, leicht und charmant.

„Wenn du nicht da gewesen wärst, dann... wäre…“

Ihr Blick glitt in den Raum. Die Tür hielt sie ja noch immer offen. Er bemerkte, dass ihr Blick auf Jan ruhen blieb.

Rike verlor sich wieder. In Gedanken und in ihrer Traurigkeit…

„Wie lange schläft er schon?“, fragte er sanft. Anscheinend war er sich sicher darüber, in welchem Zustand Jan sich befand.

„Schon seit über einem Monat…“

Mitleidig blickte er an ihr vorbei, auf den fast leblosen Körper
 

„Das tut mir Leid…“
 

`Jaja…`

Henrike konnte nicht verhindern, das zu denken. Mit dem Spruch kam jeder an. Sagen konnte das jeder, aber insgeheim waren sie doch alle froh darüber, dass es ihn verwischt hatte und nicht sie. Elende Heuchler…

Aber ihm glaubte sie es. Er hatte so einen ehrlichen Ausdruck in den Augen, als könne er nicht einmal eine winzige Spinne (mit rotem Iro) oder seinen schlimmsten Feind belügen.

Sie hörte ihn sagen, dass er gehen müsse.

Von ihr aus…

War wohl auch besser, sie wollte nicht noch versehentlich Frust an ihm auslassen. Seine Hand streichelte noch kurz über ihre Schulter.
 

„Ich werde heute Abend eine Kerze für sie beide anzünden. Ich hoffe mit dir, dass dein Vater bald wieder aufwacht.“
 

Er ging.

Und winkte ihr noch kurz zu.

So bekam er nicht mit, dass Rikes Augen beinahe Suizid begangen (brich aus den Augenhöhlen sprangen).

Sie winkte ihm stumm zu und presste ganz fest die Lippen aufeinander. Sobald er um die nächste Ecke bog, flitzte sie ins Zimmer, schloss sofort die Tür und brach in so ein Gelächter aus, dass man sie für irre erklären musste.

Jan? Ihr Vater??? Oh mein Rod…

Sie presste die Hand auf den Mund und kriegte sich partout nicht mehr ein.

Henrike war es ja schon gewohnt, dass ihr Vater oft für ihren Opa gehalten wurde. Aber dass man ihren Freund für ihren Vater hielt???

Boah, sooooo groß war der Altersunterschiedlich doch auch nicht, oder???

`Tja, Jan. kommt davon, wenn man hier wie ne Mumie rum liegt…`

Henrike wischte sich ein paar Lachtränen aus den Augenwinkeln. Das hatte gut getan. Jetzt hatte sie wieder ein bisschen Kraft bekommen. Und die Kraft brauchte sie auch…

Zum sitzen.



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