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Dell'Arte della guerra

(Von der Kunst des Krieges) [Rufus/Reno/Tseng]
von

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Crollo

Crollo
 

Wieder saßen sie im Auto. In Tsengs innig geliebtem Sportwagen. Den er seit Jahren fuhr. Das einzige Ding zu dem er vielleicht eine Beziehung hatte.

Sah man von seinen Katzen ab.

Elena hatte er es einmal versucht zu erklären: "Dieses Auto kostet mehr als ein Reisbauer in zehn Jahren verdient. Und ich habe ihn mir von einem Monatsgehalt gekauft. Dieser Wagen gehört mir."

Damals hatte sie es nicht verstanden. Inzwischen begriff sie, wie wichtig ihm dieses verdammte Auto war.

Das es für ihn viel mehr als nur eine Ansammlung aus Blech bedeutete.
 

Sie schlürften ihren Kaffee aus Dosen, rauchten noch mehr Zigaretten. Während zwischen ihnen zum ersten Mal an diesem Abend friedliche Stille herrschte.

Die nach einer Weile von Elena unterbrochen wurde: "Verdammt, ich habe mehr Zeit neben dir in einem Auto verbracht, als mit Rude im Bett."

Tsengs Mundwinkel hoben sich zu einem feinen Lächeln. "Beschwert er sich deswegen?"

"Nicht direkt." Elena lachte wieder. "Es war nur eine Feststellung."

Die seltsamsten Gespräche, auch die besten hatte sie hier in diesem Auto geführt. Gelacht, geweint, geflucht. Alles neben einem Mann, von dem behauptet wurde, er ließe auch noch den Tod ein Formular ausfüllen und überprüfe die Rechtschreibung ehe der Schnitter ihn mitnehmen könne.

Wie viele Menschen kannten eigentlich Tseng?
 

Wieder Schweigen. Die Turk merkte, dass ihr Partner grübelte. Worüber konnte sie nur ahnen, denn war keine Emotion in dem schmalen Gesicht zu lesen, nichts in den grauen kalten Augen zu finden.
 

Fotos, Leichen. Es war das wievielte Mal in diesem Jahr, dass sie hinter Rufus her räumen mussten?Schweigen das mit Gil und Drohungen erkauft worden war.

Tote wutainesische Jungen.

Tseng hatte die Ähnlichkeiten bewusst übersehen. Eine Phase, die vorbei gehen würde. Rufus mochte schwarze Haare, einen bestimmten Typ Mann.

Kindliche Prägung. Elena hatte es treffend bestimmt.
 

Es hatte einen Moment, einen Morgen gegeben, an dem Tseng beinahe von sich aus den Fehler begangen hätte, in etwas mit Rufus hinein zu stolpern, das sie beide bereut hätten.

An diesem Morgen hatte Rufus ihn gestoppt.

Ein Morgen im Krankenhaus, der Tag an dem der damalige Vizepräsident seinem ersten Entzug zu gestimmt hatte.

Weil Tseng ihn darum gebeten hatte.

Nicht weil der zukünftige Präsident der Company sich das Hirn weg schnupfte. Sondern ein Freund Selbstmord auf Raten beging.

Nach einer Nacht, in der Rufus an seiner Seite gekuschelt geschlafen hatte. Wie der kleine Junge, der zu ihm ins Bett gekrochen war.

Der sich an seiner Seite vor der scheiß beschissenen Welt versteckt hatte.

Am Anfang hatte der blonde Junge Tseng an seine Schwester erinnert. Das selbe Grinsen, das nur schwer verbergen konnte, das etwas ausgefressen worden war.

Die selbe unbekümmerte Art, mit der er in Beschlag genommen wurde.

Er war ja da, passierte etwas.

Darauf hatte seine Schwester sich verlassen. Darauf verließ Rufus sich.

Nur seine Schwester hatte er nicht beschützen können.

Bittere Ironie, das er sie jahrelang für tot glaubte. Von Soldaten in Wutai ermordet. Bis er sie selbst erschoss. Weil sie ein Job war.

Rufus hatte er geschworen, ihn zu beschützen. Für ihn da zu sein. Sein Turk.

Die idealistische Vorstellung eines Jungen.

Er hatte es wirklich versucht, bis ihn sein Job immer mehr in Beschlag nahm, bis immer deutlicher wurde, das Veld nicht nur irgendeinen Turk persönlich ausbildete, sondern sich um seinen Nachfolger kümmerte.

Dass ihn andere im Department dafür hassten, sich fragten weshalb Velds Wahl ausgerechnet auf den Wuzzi gefallen war, erzählte er Rufus nicht.

Auch nicht, das es nicht nur bei verbalen Auseinandersetzungen blieb. Für blaue Flecken, gebrochene Knochen fanden sich immer irgendwelche Ausreden. Ein leichtes für einen Turk.

Vielleicht weil er Rufus etwas von der kindlichen Naivität erhalten wollte, von den Glauben, dass die scheiß beschissene Welt auch ein paar schöne, nette Dinge beinhaltete.

Oder er sich selbst einen Teil dieser Welt erhalten wollte. Einen Rückzugsort, an dem er nicht Turk sein musste. Sondern ein Junge sein konnte.

Aber Kinder wurden erwachsen.

Es gab andere zu denen Rufus lief. Immer häufiger.

Weil Tseng nicht da war, ihn seine eigene Ausbildung so beanspruchte.

Bis Rufus überhaupt nicht mehr zu ihm kam. Der kleine blonde Junge erwachsen geworden war.
 

Während Tseng den Wagen in Richtung des Sechsten Sektors lenkte, grübelte er darüber, wo der Schnitt genau eingetreten war.

Vielleicht an diesem einen Tag, wo er erschlagen, übermüdet von einer Mission zurück gekommen war. Nur duschen wollte, dann in sein Bett fallen.

Und Rufus sich an ihn hängte, ihm von seinem Tag erzählte, davon, dass irgendjemand ihn wieder Mädchen genannt hatte. Über andere belanglose Alltagsdinge sprach.

Der Tag an dem Tseng zum ersten Mal der Geduldsfaden gerissen war. Er unter der Dusche die Beherrschung verlor, Rufus anbrüllte, dass er diese Geschichten der nächsten Wand erzählen könnte, die es sicherlich interessanter fand als er.

Rufus verschwand.

Und Tseng fand ihn nicht, nachdem er geduscht hatte, sich für seine ruppige Art entschuldigen wollte. Dem Jungen erklären, das er wirklich nur müde war.

Am nächsten Morgen, um kurz nach vier rief Veld ihn in sein Büro. Hatte eine weitere Mission für ihn.

Tseng bekam nie die Gelegenheit Rufus zu sagen, das er eigentlich doch der bessere Gesprächspartner war, als eine dumme Wand.

Nach der Mission, wieder in Velds Büro, wurde ihm eröffnet, dass Rufus jemand anderen gefunden hatte, zu dem er rennen konnte. Einen SOLDIER, der ihm etwas über das Geschenk der Göttin erzählte, der sich um ihn kümmerte. Ihm die Art von Aufmerksamkeit zukommen ließ, die der Junge verdiente.

Was Veld dem Wutainesen verschwieg, war die Tatsache, dass er ihn weg geschickt hatte.

So wie er Tseng auf die Mission sand.

Zwei Jungen, welche Lektionen für ihr Leben lernen mussten.

Den kurzen, ätzenden Schmerz verdrängte Tseng sofort wieder. Rufus hatte seine Gründe, es war besser für ihn. Tseng ließ es darauf beruhen.
 

Überlegungen, die sich noch weiter im Kreis gedreht hätten, wäre nicht Cathys Bordell in Sichtweite gerückt.

Nach der Zerstörung des Wall Markets hatte sie erst in einem anderen Sektor unter der Platte ihr Geschäft wieder aufgebaut, nach Meteor dann direkt hier, in der Nähe des neuen Bahnhofs.

Es war eines der am besten laufenden Bordelle in der ganzen Stadt. Cathy achtete auf die Sauberkeit, darauf dass ein bestimmter höflicher Umgangston herrschte. Und auf Diskretion. Ihre Kunden konnten sich eigentlich sicher sein, das keine Details über ihre Besuche an die Öffentlichkeit drangen.

Eigentlich.

Mit den Turks existierte seit längerem eine Sondervereinbarung. Informationen waren auch in Edge die wichtigste Währung. Cathy gab dem Department ihre Informationen, dafür sorgten die Turks im Ausgleich dafür, dass sie etwas mehr Freiheiten als andere Bordellbesitzer hatte, nicht so oft Razzien durchgeführt wurden; Polizisten zwei Augen zudrückten, fanden sie Drogen oder minderjährige Prostituierte.
 

Tseng parkte seinen Wagen in einer Seitenstraße, einen Block entfernt. Zu viele der Männer, die das Bordell besuchten, kannten das Auto des Turks.

Elena und er stapften durch den bereits grau gewordenen Schnee, die Hände tief in die Taschen ihrer Jacketts vergraben.

"Ich hasse dieses Wetter." Tseng sah zum wiederholten Mal in dieser Nacht vorwurfsvoll in den Himmel.

Elena hakte sich bei ihm ein. "Schnee gehört zu diesem Tag. Du bist vermutlich der einzige Mensch in ganz Edge, der den Schnee heute Nacht so inbrünstig verabscheut."

"Ein willkürlich fest gesetztes Datum, an dem alle zwangsweise nett zueinander sein sollen? Grandioser PR-Gag."

Sie knuffte ihn in die Seite. Lächelte. "Keine Diskussion. Die haben wir jedes Jahr aufs Neue."

Mit einem Nicken in Richtung des bulligen Türstehers, immer noch bei Tseng eingehakt, betrat sie das Bordell.
 

Sofort wurden die beiden Turks von Wärme umhüllt. Sanfte Musik klang aus geschickt platzierten Lautsprechern.

"Ich hasse diesen Laden. Er ist so ... kitschig." flüsterte Elena leise. Sah sich um, in der Hoffnung dass sich seit ihrem letzten Besuch etwas an der Einrichtung verändert hätte.

Doch es war der selbe rosa und rote Plüsch, die selben mit weißen Leder bezogenen Sofas. Auf denen sich leicht bekleidete Frauen mit ihren Freiern amüsierten.

"Und es sind so viele Klischees." Sie hielt sich an Tseng fest, bemüht das Lächeln auf den Lippen zu halten.

"Davon leben Geschäfte wie diese." Ein kurzer beruhigender Druck seines Arms. "Und heute ist doch das Fest der Liebe. Es wird gerade nur in die Tat umgesetzt."

Elena verdrehte ihre Augen. "Tseng, du bist unmöglich."

Sie warteten immer noch im Eingangsbereich, ihre trainierten Sinne hatten die junge Frau bemerkt, die direkt nach ihrem Auftauchen in den hinteren, kaum ausgeleuchteten Teil des Flurs gehuscht war.

"Ah! Welch unerwarteter Besuch!" Cathys Stimme klang zuckersüß über die Musik. "Privater oder geschäftlicher Natur?" Die Frau kam mit einem so breiten, wie falschen Lächeln auf sie zu.

Eine knapp 50jährige Dame, die man in ihrer geschmackvollen Kleidung auch auf einer der gerade statt findenden Weihnachtsfeiern der höheren Gesellschaft erwarten könnte.

"Geschäftlich." Tseng ließ sich nicht von ihrem Lächeln, ihrem gekonnten Auftritt blenden. Und Cathy ließ die Maske fallen. "Folgt mir." In der Stimme schlagartig Professionalismus.
 

Die Turks wurden in ihr Büro geführt. In dem sich nichts des gerade so kritisch beäugten Kitsches fand. "Setzen Sie sich doch." bot sie ihnen höflich Platz auf zwei bequemen Bürostühlen an. Elena ließ sich auf einen der beiden fallen, Tseng blieb mit hinter dem Rücken verschränkten Händen stehen.

Cathy musterte sie beide einen Moment. Zwei Menschen wie sie unterschiedlicher kaum sein konnten.

In das hübsche, Sommersprossen überzogene Gesicht der jungen Frau hatten sich Lachfältchen gegraben. Mädchenhaft versuchte sie immer wieder die Haarsträhne aus dem Gesicht zu streichen. Eine zierliche Person, auf die Attribute wie 'Niedlich' und 'Süß' zu trafen. Und deren Grinsen einen vergessen lassen konnte, was sie war.

Ganz anders ihr Partner. Der einfach nur hier in ihrem Büro stehen musste, sie eindringlich ansehen. Und Cathy zum Zittern brachte.

Sie kannte die Geschichten, die man sich über den stillen, jungen Leiter des Departments erzählte. Sie wusste, dass die wenigsten übertrieben waren.

"Warum sind Sie hier?" kam sie dann auch direkt auf den Grund des Besuchs zu sprechen, nachdem sie den beiden einen Kaffee angeboten hatte. Der dankend abgelehnt wurde.

Elena griff unter ihr Jackett, warf Bilder auf Cathys Schreibtisch. "Deswegen. Unsere Quelle hat uns netter weise gezwitschert, dass Sie etwas damit zu tun haben." Das unschuldige Grinsen lag immer noch auf ihren Lippen. Ihre Stimme war schneidend, eiskalt. Ließ Cathy keinen Zweifel was mit dem Jungen passiert war.

Die ältere Frau hob die Fotos nicht auf. Warf nur einen kurzen Blick auf die Szene. Hob dann den Kopf. "Die Ähnlichkeit ist erstaunlich." Ihre grünen Augen fixierten sich auf Tsengs Gesicht. Suchten in ihm den Hinweis auf Betroffenheit, Ekel. Vielleicht auch Angst. Es war sein Boss, der gerade auf bestialische Weise ein Ebenbild von ihm um brachte. Doch der Ausdruck blieb blank, leer. Gab nicht einen Anhaltspunkt auf das was er fühlte.

"Wir reden hier nicht über Ähnlichkeiten. Wer hat diese Fotos gemacht?"

In dem Moment in welchem Tseng die Frage stellte, erhob Elena sich. Ging zur Tür, drehte den Schlüssel herum.

"Das ..." Cathys Augen weiteten sich.

"Können wir machen." Tseng lächelte. Liebenswürdig. Nichts sagend. "Also, wer hat diese Fotos gemacht, was hast du damit zu tun?" Sie bemerkte die Veränderung in seiner Stimme. Gerade noch um Freundlichkeit bemüht, jetzt scharf. Das höfliche Sie fiel weg.

Cathy tastete mit zitternden Fingern unter der Platte ihres Schreibtisches entlang, suchte den Alarmknopf.

Aus den Augenwinkeln bemerkte sie das Aufblitzen einer Klinge. Dann durch fuhr sie ein scharfer Schmerz im rechten Arm.

Elena, die an der Tür stand, säuberte sich mit dem zweiten Wurfmesser die Fingernägel der linken Hand. "Es ist nur der Arm, Cathy. Stell dir vor, wir kratzen dir mit der Klinge Nutte ins Gesicht. Wäre geschäftsschädigend, oder?"

"Hurensöhne!" zischte sie den beiden Turks entgegen, wissend, dass Schreien die schlechteste aller Alternativen wäre.

"Wer? Ich sehe keinen. Und Tseng wird leicht wütend, wenn man seine Mutter als Hure bezeichnet. Etwas Respekt wäre jetzt angebracht."

Der Leiter des Departments begutachtete fasziniert einen Briefbeschwerer, hob ihn prüfend hoch. "Ich frage ein letztes Mal freundlich: Wer hat diese Fotos gemacht? Im Auftrag von wem?"
 

Cathy hatte von Kindesbeinen an gelernt, sich gegen Bastarde durch zu setzen. In dem sie härter und gemeiner wurde, wie die meisten Männer in ihrem Leben. Männer, die aufgrund ihrer Erziehung nicht die Hand gegen eine Frau erhoben. Sie unterschätzten.

Diesem Mann, der hier in ihrem Büro stand, war es vollkommen egal. Er kannte keine anerzogene Rücksicht. Und ihm reichte ihr kurzes Zögern, das kurze Überlegen um seiner Frage Nachdruck zu verleihen.

Eine Hand die vor schnellte, sich um ihren Arm schloss. Die eigene Hand wurde auf die Schreibtischplatte gepresst. Dann der Briefbeschwerer auf die Finger geschmettert.

"Wer?" fragte er, lächelnd.

In Cathys Augen stiegen Tränen. Das Hirn begann langsam den Schmerz der gebrochenen Knochen zu verarbeiten.

"Sun ... Sun Ho." stammelte sie, versuchte das Bewusstsein zu behalten.

Tseng schien den Mann zu kennen, fragte nicht weiter nach ihm. Nur leise kam "Warum?" über seine Lippen. Während er Cathy den Zeigefinger ein zweites Mal brach.

"Es ... es sind ... Wuzzies..." Die Tränen ließen das teure Make-Up zerfließen. Das Blut, welches über Cathys Arm floss, durchtränkte den edlen Stoff ihres Kostüms.

"Han arrangiert es sicherlich nicht aus Mitleid mit unseren Landsleuten." Tsengs Puls schlug nicht schneller. Jede Bewegung blieb präzise. Ein weiterer Knochen wurde gebrochen. Der Schmerz hielt Cathy bei Bewusstsein.

"Nicht ... nicht ... Mitleid. Video ..." keuchte sie.

"Was für ein Video?"

"Mord... Video vom Mord."

Tseng ließ ihre Hand los. "Ho hat auch das Video?"

Es kostete Cathy alle Willensanstrengung zu nicken. Ihr Gegenüber zögerte jetzt tatsächlich eine Sekunde. Schien zu überlegen, was er tun sollte.

Das letzte was Cathy sah, war wie er unter sein Jackett griff, dann direkt in den Lauf einer Pistole.
 

"Scheiße. Der Anzug ist frisch aus der Reinigung!" Tseng blickte an sich herab, auf die feinen roten Spritzer, die sich in den Stoff saugten. "Laney, finde unauffällig das Mädchen, welches Cathy Bescheid gegeben hat, das wir eingetroffen sind. Sie wird sich über ihre Beförderung freuen."
 

Elena nickte, nahm die Fotos vom Schreibtisch, wischte das Blut von dem Papier. "Tseng, Kopfschüsse verursachen immer so eine Sauerei." tadelte sie ihn, und ignorierte die Leiche, die langsam hinter dem Schreibtisch vom Stuhl auf den Boden sackte.

Und tat das, was er ihr aufgetragen hatte.
 

Zwanzig Minuten später waren die Details diskret geklärt. Der gierige Blick in den Augen der jungen Frau bestätigte Tsengs Verdacht, dass sie schon länger auf den Posten aus war. Die Turks ihr die dreckige Arbeit abgenommen hatten.

Fressen und Gefressen werden. An dieser Regel würde sich nie etwas ändern.
 

Sun Ho, der in einem dreckigen Apartment im wutainesischen Viertel lebte, ließ sich nicht so schnell zum Reden bringen, wie Cathy.

Die Turks hatten seine Wohnungstür leise aufgebrochen. Es gab in dieser Nacht schon zu viele Zeugen ihrer Arbeit.

Ho war der erste, der vor ihnen flüchten wollte.

Nachdem Tseng mit ihm fertig war, noch mehr Fotoabzüge und eine DVD erhalten hatte, sprach das Blut, welches an seinem Anzug klebte, eine deutliche Sprache von den Ereignissen dieser Nacht.

Elena zog es dieses Mal vor, zu schweigen. Ihre Zigarette vor der Tür zu rauchen, während Tseng sich Blut von den Händen und aus dem Gesicht wusch.

Ein paar unbedachte Äußerungen gegenüber ShinRa, Rufus und dessen geistiger Verfassung von Seiten Hos hatten das an die Oberfläche gezerrt, was den ganzen Abend unter der viel zu ruhigen, viel zu gefassten Maske lauerte.

Es war einer der seltenen Momente gewesen, in denen auch Elena Angst vor Tseng hatte. In welchem selbst sie, so Turk wie er, es vor zog sich in den Hintergrund zu schieben. Bloß nicht in seine Aufmerksamkeit.

Ho war nicht einfach so gestorben. Für jede unbedachte Äußerung, jede Verwünschung, jeden Hinweis darauf, was für ein perverser Bastard Rufus doch war, hatte Tseng ihn leiden lassen.

Bis der Mann um seinen Tod winselte. Den Turk anflehte, es endlich zu beenden.

Tseng hatte ihm nicht den Gefallen getan, hatte ihn in Agonie zu Grunde gehen lassen. Mit Hos Leben gespielt wie eine Katze mit einer Maus.
 

Es war eine Seite an Tseng, die sehr wenige Menschen kannten. Die er so gut wie nie zeigte. Doch genau dieser Wille zur absoluten Gewalt, die Rücksichtslosigkeit hatte Velds Wahl auf genau ihn fallen lassen.

Tseng war ein Kämpfer, der sich gegen alles und jeden durchsetzte, sah er für sich den Vorteil. Der sich mit allem was er hatte für jene einsetzte, die seine Loyalität besaßen.

Und niemand beleidigte in seiner Nähe Rufus Shinra.

Diese Erfahrung hatte Elena schon öfters machen müssen. Dann verlor Tseng seine kühle Zurückhaltung, schlug und trat zu. So fest bis sein Gegenüber mindestens krankenhausreif am Boden lag. Wenn er ihn nicht direkt um brachte. Rude erklärte es ihr an einem Abend, als sie zusammen mit ihm und Reno in einer Bar wieder einmal versackt waren, folgendermaßen: "Für uns ist Rufus ein Teil von ShinRa. Für Tseng ist ShinRa Rufus."

Sie hatte eine Weile über diesen Satz nachdenken müssen, war damals noch zu jung und zu naiv gewesen, um ihn in seiner ganzen Konsequenz begreifen zu können.

Vollkommen verstanden, hatte sie ihn in jener Nacht, als Sephiroth in den ShinRa-Tower eindrang. Sich den Weg bis zum Büro des Präsidenten frei schlug.

Es wäre ihre Pflicht, ihre Verantwortung als Turks gewesen, den Präsidenten zu schützen. Mit ihrem Leben. Es kam kein Befehl, es tun. Tseng sah nur auf den Bildschirm, musterte die Kameraufzeichnungen aus dem Büro. Der große Schreibtisch im Blickwinkel des Objektives, dahinter die füllige Gestalt des alten Shinras, gebeugt über Briefe. Arbeitend, während einige Stockwerke unter ihm Sephiroth schon eine Blutspur hinterließ.

Tseng, der sich eine Zigarette anzündete.

Ein Bild, das sich unauslöschlich in Elenas Erinnerung gebrannt hatte: Der zierliche Wutainese, der den Rauch tief inhalierte, den Bildschirm ausstellte. Und leise, in Gedanken anscheinend an einem ganz anderen Ort verweilend, murmelte: "Der Präsident ist tot, lange lebe der Präsident. Lass es schmerzhaft werden, Sephiroth."
 

Leise Schritte, welche die Wohnung verließen. Das vorsichtige Schließen der Tür. "Fahren wir ins Büro. Ich will wissen, was auf dem Video ist." Tseng hielt die DVD hoch, auf deren Hülle feine Blutspritzer im dämmrigen Licht des Flurs glänzten.

"Will der Turk das wissen, weil es sein Job ist? Oder willst du es wissen, Tseng?" Elena schnippte ihre Zigarette auf den grauen Boden, trat sie aus, und hob den Stummel wieder auf. Keine unnötigen Spuren, die man zurücklassen könnte.

Ihr Partner legte den Kopf schief. Sah sie einen Moment nachdenklich an. "Ich glaube" er zögerte für die Dauer eines Augenblinzelns, "beides."
 

Der Schnee fiel inzwischen so dicht, dass sich eine weiße Decke über das Auto gelegt hatte. Sie es frei fegen mussten.

Schnee, der Geräusche dämpfte, den Dreck langsam unter sich verschwinden ließ. Als ob in dieser Nacht alles friedlich sein sollte.

"Schnee und Weihnachten in Kombination ... wer auch immer diese Idee hatte, ich erschieße ihn." tat Tseng ein weiteres Mal seinem Unmut laut kund. Elena lehnte sich zu ihm, strich ihm eine Haarsträhne hinter das Ohr, die sich aus seinem Zopf gelöst hatte. "Alles wird besser." erklärte sie ihm grinsend.

Irgendwann würden sie es vielleicht sogar glauben.
 

Das Büro war menschenleer bis auf eine Putzkraft, die ein letztes Mal in dieser Nacht das Laminat polierte.

Das leise Surren der Poliermaschine mischte sich mit dem Brummen der Server, dem Summen des Kühlschranks in der Kaffeeküche.

Tseng setzte als erstes einen Kaffee auf. In einer ganz gewöhnlichen, schlichten Kaffeemaschine, für die keine 100-seitige Bedienungsanleitung benötigt wurde.

Elena saß an dem kleinen Tisch, der gerade so neben zwei Stühlen noch in den Raum passte. "Wir können auch hoch." schlug sie vor. Oben, in dem Neubau, hätten sie wesentlich mehr Platz, war die Atmosphäre 'familiärer'.

"Können wir. Müssen wir aber nicht." Tseng stellte ihr eine Kaffeetasse hin. Lehnte sich selbst gegen die Arbeitsplatte. Eine Haltung, die noch mehr Erinnerung in Elena weckte. Er hatte immer so dar gestanden, gab es eines der spontanen Kaffee-Meetings, musste etwas schnell und inoffiziell besprochen werden. "Ich ziehe es vor, das Video in meinem Büro zu sehen, Laney. Nachdem ich mich geduscht und umgezogen habe."

Er streifte das Jackett von den schmalen Schultern, löste die Krawatte. Vor Elenas Augen wurde der Inhalt der Taschen auf den Tisch ausgeleert: Das PHS, Schlüssel, zwei billige Plastikfeuerzeuge, seine Geldbörse, Ausweise und Keycards, dazu eine Halsbandmarke. Darknations Marke. Rufus hatte sie Tseng gegeben, nachdem Cloud das Tier getötet hatte.

"Bin schnell duschen." Mit diesen Worten auf den Lippen verschwand Tseng aus der kleinen Kaffeeküche und ließ Elena für eine Weile mit ihren Gedanken alleine. Und mit den Besitztümern auf dem Tisch.

Die Turk zögerte nicht lange, griff nach der Geldbörse, sobald sie das Zuschlagen einer anderen Tür hörte. Schwarzes, teures Leder. Schlicht. Wie der meiste Luxus, den Tseng sich gönnte. Er protzte nie mit dem Geld, dass er verdiente. Vermutlich hatte er sich auch dieses Ding nur gekauft, weil es stabil und gut verarbeitet war.

Schnell sah sie den Inhalt des schwarzen Lederportmonee durch. Ein paar Geldscheine. Knapp 100 Gil. Nicht viel Bares für einen Mann in Tsengs Position. Eine ShinRa-Kreditkarte. Sein Führerschein. Ein Papier, auf dem Telefonnummern aufgelistet waren. Alles so aufregend wie das Nachtprogramm im Konzerneigenem Fernsehsender.

Interessanter war der hastig zusammengefaltete Strafzettel von gestern Morgen. Mal wieder für zu schnelles Fahren. Ausgestellt in der Nähe von Renos Wohnung. Eine Notiz in der schwer entzifferbaren Handschrift seines Stellvertreters: 'Moin Bastard! Hab futter für den doofen Kater besorgt & für dich. Is im Kühlschrank, ruf dich nachher an. Denk dran, heute is dein freier Tag!!!'

Und ein Foto, das vor Jahren gemacht wurde. Zwei Jungen zeigte, einer blond und einer mit schwarzen Haaren. Rufus und Tseng. Elena grinste, als sie das Bild betrachtete. Eines von diesen klassischen Urlaubsmotiven an der Costa del Sol. Sonne, Strand. Und Rufus schien Tseng dazu genötigt zu haben, mit auf dem Bild zu sein. Der Wutainese wirkte als wäre er auf der Flucht, zwang sich zu einem Grinsen, während Rufus die Arme um seine Hüfte gezogen hatte. Lachend. Ein kleiner Junge, welcher der Welt verkündete, dass Tseng Seines war.
 

Türenklappern hallte über den Flur.

Hastig steckte Elena das Foto zurück, platzierte das Portmonee so, wie es vor wenigen Minuten gelegen hatte.

Gerade rechtzeitig, bevor Tseng die Kaffeeküche wieder betrat. In frischer Anzughose und einem sauberen weißen Hemd, das er ausnahmsweise nicht akkurat zugeknöpft trug. Noch hing es offen herab, genau wie die Haare nicht in dem festen Zopf zurück gebunden waren. Nass über seine Schultern fielen.

Ließ Tseng sich so gehen, achtete nicht auf sein absolut korrektes Auftreten und Erscheinungsbild, war er wirklich müde und erschöpft.

Elena vermied den schrägen Seitenblick auf nackte Haut. Nicht nur auf einen zu dünnen, aber immer noch erstaunlich durch trainierten Körper, sondern auch auf die lange Narbe, die sich blass von Tsengs Unterkörper abhob.

Eine Narbe, die sie immer davon abschrecken würde, ihn zu berühren. Sie hatte ihn sterben sehen. Diese Narbe erinnerte sie an diesen schicksalhaften Tag im Tempel des Alten Volks. Erinnerte sie daran, dass auch Turks manchmal etwas katastrophal aus den Händen gleiten konnte.

Er trug sie deshalb. Hatte sie aus diesem Grund nicht durch Materia heilen lassen. Als Zeichen der eigenen Sterblichkeit.

Dann sah Elena aber doch genauer hin. Die Tätowierung auf seinem linken Rippenbogen, knapp unter dem Brustmuskel war ihr neu. Eine Lotusblume, eine schwarze Katze und ein Fuchs, die sich eng umschlangen. Traditionell Wutainesisch. Zwischen den Tieren eingewoben das ShinRa-Logo.

Typisch.

Tseng verlor nie viel Worte über Gefühle. Er brachte sie anders zum Ausdruck. Und der Klumpen in Elenas Magen verdichtete sich.

Er ignorierte das irritierte Kräuseln ihrer Nasenspitze, knöpfte sich das Hemd zu. Und versuchte dabei das Zittern der rechten Hand unter Kontrolle zu halten.

Frischen Kaffee goss er sich mit links in seine Tasse.

"Mein Büro." Mit der Tasse in der Hand, hielt er Elena die Tür auf. Sie zog sich vom Stuhl, ging an ihm vorbei und stupste ihn dabei gegen die Rippen. Genau an jene Stelle an welcher sich tätowierte Haut unter weißem Stoff versteckte. "Bastard." flüsterte sie leise. Und hoffte, das er das Brechen in dem Wort nicht bemerkte.
 

In Tsengs Büro packten sie seinen Laptop auf den kleinen Tisch, der vor dem Sofa stand. Ein Sofa, das häufig auch als Bettersatz her halten musste, arbeitete der Leiter des Departments mal wieder zu lange.

Die DVD wurde in das Laufwerk geschoben, zwei Zigaretten angezündet. Der PC brauchte eine Weile um die große Datei zu laden.

Zuerst wurde nur ein Raum gezeigt. Viel Plüsch, viel Kitsch. Elena schnaubte. "Welcher Kerl steht eigentlich auf so was?"

"Ich glaube keiner." Tseng ließ das Video schneller laufen. Die Kamera musste irgendwo in dem Zimmer versteckt sein, die Bildqualität war nicht die beste - körnig und überbelichtet.

Er stoppte die Aufnahme erst, als ein junger Mann in einem schwarzen Anzug den Raum betrat. Sie sahen erst nur sein seitliches Profil, grell überzeichnet. Hörten eine Stimme im Hintergrund: "Warte hier, Tseng."

"Sheng..." korrigierte der Junge die falsche Aussprache seines Namens.

Der Turk knurrte leise. "Typisch, sie kriegen den Unterschied zwischen weichem und hartem S nie hin."

Selbstschutz. Distanz. Zwischen sich und diesem Jungen, der in den nächsten Stunden sterben würde.

Elena kaute nervös auf ihrer Unterlippe herum. Versuchte die selbe Distanz zu wahren. Der Junge war nicht Tseng. Auch wenn er ihm viel zu ähnlich sah. Sogar das Bindi auf seiner Stirn war im schummrigen Licht des Raums gut zu erkennen. Über das er sich immer wieder kratzte. Es musste eine frische Tätowierung sein. Dann setzte er sich auf das Bett, wartete.
 

Tseng spulte vor, behielt dabei die Zeitangabe im Auge. Und es war der Turk in ihm, der gewissenhaft die Ereignisse notierte.
 

Mit dem Eintreten eines zweiten Mannes ließ er das Video wieder langsamer laufen. "Auftritt Shinra." wurde auf den Zettel gekritzelt, der neben dem Laptop auf dem Tisch lag. Die rechte Hand des Wutainesen zitterte inzwischen so stark, dass Elena ihnen die nächsten Zigaretten anzündete.
 

"Du brauchst keine Angst zu haben." Rufus kniete sich vor den Jungen. "Mein Wutainesisch ist nicht das Beste, aber ich hoffe du verstehst mich?"
 

"Man hört, von wem er es gelernt hat." Tseng inhalierte den Rauch seiner Zigarette und Elena erinnerte sich daran, wie Yuffie vor einiger Zeit im 7th Heaven ihr, Rude und Reno an den Kopf geworfen hatte, dass jeder Wutainese in Midgar wüsste, das Tseng aus dem Ghetto kam; zu den Menschen gehörte, die im strengen Kastensystem der Insel am unteren Ende der Nahrungskette zu finden waren.

"Mir gefällt deine Art zu sprechen viel besser, als dieser hochgestochene Shit, den Yuffie zum Beispiel von sich gibt." Elena schob einen Arm um Tsengs Hüfte, rutschte näher zu ihm. Spürte so, dass nicht nur seine Hand zitterte.

Auf dem Bildschirm konnten sie verfolgen wie Rufus den Jungen nach seinem Namen fragte, ihn richtig aussprach. Wissen wollte, ob er Hunger hatte. Fürsorglich, sanft.

Ihn dann regelrecht fütterte, mit Essen dass dieser Junge vermutlich noch nie zu sich genommen hatte.

Tseng ließ das Video laufen, bat Elena laut zu brüllen, sollte etwas aufregendes passieren und verschwand in die Kaffeeküche.

Nach einer gefühlten Ewigkeit - das Video gab sie als 19 Minuten und 43 Sekunden an - kehrte er in sein Büro zurück. In den Händen eine Thermoskanne, eine Flasche Wodka und zwei Gläser.

Elena lag schon ein dummer Spruch über Alkoholgenuss während der Arbeitszeit auf der Zunge. Den sie rechtzeitig herunter schluckte. Es passierte ja schließlich nicht jeden Tag, dass man Zeuge der eigenen Ermordung wurde.

Es war nicht das erste Glas, das Tseng sich mit der klaren Flüssigkeit füllte. Sie konnte es riechen. Nahm ihm die Flasche ab, und goss auch ihr Glas weit über die Hälfte voll.
 

"Du hast schöne Augen, schöne Haare."

Elena musste genau hin hören um Rufus zu verstehen. Der fast so fließend Wutai sprach, wie Tseng. Mit der selben melodischen Betonung in den Worten.

Und mit fasziniertem Ekel beobachtete sie, wie sanft der Präsident zu dem Jungen war.

"Schöne graue Augen." Worte, die vor einem zärtlichen Kuss folgten.

Neben ihr trank Tseng sein Glas in einem Zug aus.

Weitere Küsse, dann verschwand Rufus mit dem Jungen im Bad.

Das Video wurde vor gespult. Anscheinend war nur in einem Raum eine Kamera versteckt worden.

Gewissenhaft notierte der Turk das erneute Eintreten der Beiden. Schrieb in nüchternen Worten, in seiner akkuraten sauberen Handschrift die Zeit auf, den Beginn sexueller Aktivitäten.

"Tseng?" Elena wagte es schließlich ihn anzusprechen, als er das dritte Glas füllte. Nur wenige Sekunden versetzt zu dem leise, aber doch deutlich hörbaren Stöhnen Rufus, welches aus den Lautsprechern drang: "Tseng ..."

"Hm?" Der Wutainese riss den Blick von dem Bildschirm los, schreckte aus der morbiden Faszination auf, die ihn an die Bilder fesselte.

"Ist noch etwas zu essen im Kühlschrank?" eine billige Frage, die Suche nach einer Ausrede, um kurz aus dem Büro zu flüchten.

"Weiß ich nicht. Musst du nachsehen." Es war kein Lallen in Tsengs Stimme. Er sprach nur leiser als gewöhnlich um die Heiserkeit, das Beben in ihr zu verbergen.

"Gleich wieder da." Elena stand auf, stolperte zur Tür. Der erste Weg führte sie nicht in die Küche, sondern ins Bad.

Wo sie Wodka und Kaffee von sich gab.

Nachdem sie den Mund mit kaltem, klaren Wasser ausgespült hatte, zerrte sie ihr PHS aus der Tasche. Wählte Renos Nummer.

Und wartete. Ungeduldig von einem Fuß auf den anderen tretend.
 

Durch das große Fenster konnte man den fallenden Schnee beobachten. Seit einer halben Stunde tat Reno nichts anderes.

Hinter ihm piepsten und surrten Maschinen im immer gleich bleibenden Takt. Ächzte ein Beatmungsgerät.

Schnarchte Rude leise auf einem Sessel.

So eine Schicht in einem Krankenhaus war die langweiligste, die nervenaufreibendeste.

Jeder von ihnen hatte sie schon hinter sich gebracht.

Hatte an irgendeinem Bett gestanden. Gewartet.

Reno war kein gläubiger Mensch, aber selbst er wurde in solchen Stunden nachdenklich. Was wäre, wenn das Summen plötzlich aussetzte? Die Linien auf den Monitoren nur noch flach blieben?

Sein Leben würde sich ändern. Radikal. Und er bezweifelte, dass es eine Änderung sein würde, die ihm gefiel.

Das letzte Jahr war schon anstrengend genug gewesen. Hatte psychische Ressourcen gefressen, die er kaum aufbringen konnte.

Nicht nur der Job, der plötzlich zum größten Teil nur von zwei Leuten ausgeführt wurde, zerrte an ihm. Reno machte dafür weder Elena noch Rude einen Vorwurf. Sie hatten sich allen Luxus auf dieser Welt verdient. Und auch die Illusion des Friedens, der sie in Rufus Nähe einlullte, gönnte er seinen beiden besten Freunden.

Was er ihnen verübelte, war die Ignoranz gegenüber dem langsamen Verfall Tsengs.

Sicher - der Wuzzi, der in einem anderen Leben bestimmt etliche Herzen als Schauspieler gebrochen hätte, konnte es verstecken. Überspielen. Etwas, das Veld ihm ebenfalls beigebracht hatte: Die Umwelt täuschen. So gekonnt, dass auch Reno es erst übersah.

In dem ganzen Stress fiel ihm nicht auf, dass Tseng kaum noch etwas aß. Und Freunde des romantischen Candlelight-Dinners waren sie eh nie gewesen.

Doch dann kamen die Schnitte und Kratzer. Zuerst wie zufällig über die Unterarme. Nicht tief. Dann die Bisse in die Unterlippe. Die Reno deutlich fühlte, küssten sie sich. Vernarbtes Gewebe, immer wieder aufgerissen.

Schließlich tiefere Einschnitte auf der Innenseite der Oberschenkel. So geschickt versteckt, dass niemand sie sehen konnte.

Niemand außer Reno.

Schnitte, die sich Tseng zu bewusst zu fügte. Die sich mit keiner Allergie entschuldigen ließen, wie die Kratzer zuvor.

Und dann fand Reno durch Zufall das Speed. Auf der Suche nach Kopfschmerz-Tabletten in Tsengs Badezimmer.

Aufputschmittel, die Tseng nach 48 Stunden schnupfte, nach 72 Stunden, die er durchgearbeitet hatte. Schlaf war längst ein Fremdwort für ihn geworden. Und wenn er sich doch ein paar Stunden ausruhte, war es entweder auf dem Sofa in seinem Büro oder nach einem langen, kräftezehrenden Fick mit Reno.

Warum er es sich antat, wusste Reno selbst nicht genau.

Früher hätte er so jemand komplizierten wie Tseng spätestens zu diesem Zeitpunkt fallen gelassen. Nein, wenn er ehrlich zu sich war, viel früher. In dem Moment in welchem sich die ersten Probleme auch nur dezent am Horizont abzeichneten.

Hätte über die Schulter gewunken und mit einem Lächeln um die Lippen zurück gerufen, dass er viel Spaß im weiteren Leben wünschte. Das ja nicht mehr lange dauern könnte.

Tseng konnte er nicht fallen lassen.

Erst versuchte er sich einzureden, dass es sein Boss war. Ein Mann, der die Definition von 'Perfekt' in seinem persönlichem Wörterbuch geprägt hatte. Aber man nahm seinen Boss nicht in den Arm, schob sich nicht neben ihn auf das Sofa, um ihn beruhigend den Nacken zu kraulen.
 

Ein kurzes, lauter werdendes Surren brachte Reno dazu, den Blick von dem fallenden Schnee zu lösen. Prüfend zu Rufus zu sehen.

Nichts, was sich geändert hätte. Der Präsident der Company lag immer noch regungslos auf dem Bett. Die Geräte arbeiteten.

"Ich hab' ihn dir nich' weg genommen." flüsterte Reno. "Ich weiß ja nich' ma' ob ich ihn hab'."

Auf dem Sessel murmelte Rude irgendetwas im Schlaf, suchte sich eine bequemere Position.

Reno sah zu ihm, grinste schief. Sein Partner, sein bester Kumpel, erinnerte ihn wieder einmal an einen viel zu groß geratenen Jungen.

'Genau das richtige für Laney.' schoss es dem Turk durch den Kopf. Und Elena war das richtige für ihn. Die perfekte Ergänzung, redete sie doch meistens für zwei.

Die beiden hatten sich. Der Ring um Rudes Finger war nur die letzte Bestätigung.

"Scheiß Abend. 'nen dämlicheres Timing hätteste dir auch nich' aussuchen können, oder?" Die Frage war an den Präsidenten gerichtet.

Der schwieg. Still auf dem Bett lag. Genauso weiß im Gesicht war, wie der Schnee, der draußen still fiel.

"So ein beschissenes Timing!" Renos Hand fuhr unter sein Jackett, die Finger schlossen sich um die Zigarettenschachtel. Er brauchte jetzt dringend Nikotin.

Und nur mit wenigen Schritten durchquerte er den Raum, trat vor die Tür.

Der Flur war immer noch der selbe. Eine Komposition in grau. Nur huschten inzwischen mehr Ärzte durch die Gänge. War deutlich mehr Personal anwesend.

Was ein berühmter Patient nicht alles bewirken konnte?

Genau wie Tseng ein paar Stunden zuvor, ignorierte auch Reno das 'Rauchen Verboten!' Schild, zündete sich seine Zigarette an, und inhalierte gierig das Nikotin.

Seltsamerweise hinderte ihn niemand am Rauchen.

Stattdessen machten die Ärzte und Schwestern einen weiten Bogen um ihn. Tuschelten leise miteinander.

Reno machte sich nicht die Mühe, sich auf die Bewegungen ihrer Lippen zu konzentrieren. Er konnte sich denken, worüber sie sich ihre Mäuler zerrissen.

Und hoffte, dass Tsengs Warnung deutlich genug gewesen war. Sicherheitslücken finden, bedeutete noch mehr Arbeit.

Gerade in der Überlegung versunken, wie viele Leute sie erschießen müssten, sollte morgen früh auch nur in einer Zeitung Rufus Aufenthalt im Krankenhaus erwähnt werden, ignorierte er fast das sanfte Vibrieren seines PHS'.

Es dauerte länger als üblich, bis er das Summen in seiner Tasche spürte. Das Gerät heraus zog und die Nummer kontrollierte.

Für Tsengs Statusbericht war es zu früh. Den letzten hatte er erst vor einer Stunde via SMS erhalten.

Um so mehr irritierte es Reno, Elenas Nummer auf dem Display leuchten zu sehen.

"Laney, was gibbet?" fragte er und schnippte seine Zigarette in den Übertopf der Yuka-Palme.
 

Elena atmete erleichtert auf, als sie endlich Renos Stimme hörte. Den vertrauten Gossenslang im Ohr hatte.

"Scheiße gibt es, Reno! Du musst sofort ins Büro kommen. SOFORT!" Sie lehnte sich gegen die weiß gekachelte Wand des WC-Raums, fuhr sich mit einer Hand durch die blonden Strähnen, die ein weiteres Mal nicht so wollten wie sie. Ihr wieder ins Gesicht fielen, sobald sie die Finger zurück zog.

"Wir haben hier ein Video." Sie holte tief Luft. "Nicht irgendein Video. Rufus bringt auf diesem verdammten Video einen Jungen um, der als Tsengs Kopie durchgeht." Sie redete hastig, war kurz davor zu hyperventilieren.

"Laney, ganz ruhig." Am anderen Ende der Leitung wurde noch eine Zigarette angezündet. Eine Tür geöffnet.

"Ich bin ruhig!" Elenas kratzige Stimme strafte ihre Worte Lügen. "Absolut Ruhig. Reno, ich brauche dich hier!"

"Ich bin gleich bei dir." Der Slang war nicht mehr da. Nur ein winziges Detail. Eines, das Elena wieder unbewusst würgen ließ.

Durch das Mikrophon des PHS hörte sie, wie Reno an Rudes Schulter rüttelte. Schnarchen. Dann ein unwilliges Fluchen. Reno weckte seinen Partner.

Seine leise Stimme, die grummelte: "Dude, halt hier mal nen Auge auf den Scheiß. Laney is' gleich da."

Dann kurze Stille. Wieder Renos Stimme: "Frag nich'. Ich muss ins Büro. So schnell wie möglich."

Auch Elena würde nicht fragen.

Nahm die Dinge, wie sie kamen. Reno würde sich beeilen. So viel war sicher. Alle Verkehrsregeln, jede Ampel ignorierend.

Es war Reno.

Ein befriedigendes Wissen, das sie für einen Moment in einen warmen Kokon spann. In ein Gefühl aus Sicherheit. Reno, der sich schon um alles bemühen würde. Alles Übel dieser Welt von ihr fern halten. Weil es Reno war. Eine der wenigen Konstanten auf die Elena sich in ihrem Leben verlassen konnte. Reno, der immer da war. Der Ghetto-Junge. Der nie das Wort 'Manieren' buchstabieren könnte.

"Laney, was is' mit Tseng?" Die Illusion zerplatzte wie eine Seifenblase. Das Wissen, dass sie ihm im letzten Jahr mehr als einen Arschtritt verpasst hatte, schlug um so härter zu.

"Lässt sich mit Wodka voll laufen." zischte sie leise. Hörte ihre eigene Stimme. Die gehässig von den gekachelten Wänden wieder hallte.

"Wir tauschen Schichten. Bin in fünf Minuten da."

Sie konnte es nicht einmal bestätigen. Reno hatte aufgelegt.

Und sie wusste nicht, wem das laute "ARSCHLOCH!" galt, das sie den Fliesen entgegen schrie.

Bevor sie sich ein weiteres Mal den Mund mit kaltem Wasser ausspülte, die Finger durch die Haare zog. Den Blazer zurecht zog. Die Krawatte gerade rückte.

Sie war Turk. Sie hatte die Beherrschung zu bewahren. Sie musste ruhig bleiben. Egal welchen Scheiß das Universum ihr vor die Füße warf.
 

Sätze, die sie immer und immer wieder herunter betete, als sie das Bad verließ. Ihre Schritte sie unwiederbringlich zurück in Tsengs Büro führten.

In das Büro ihres Chefs. In das Büro des Mannes, der immer wusste, was sie zu tun hatten. Ihnen ruhig Anweisungen gab.

Der nicht auf seinem Sofa zu sitzen hatte, die Beine angezogen, die Arme um die Knie gezogen.

Der nicht auf einen Bildschirm starren sollte. Der nicht auf seiner Unterlippe herum kauen sollte. Dem nicht feine Tropfen Blut über das Kinn fließen sollten, ohne dass er sich dessen bewusst war.

Tseng hatte die Kontrolle in seinen Fingern zu behalten. Immer.

Alles andere kam einem Verrat an dem gleich, für was sie lebten.
 

Noch mehr Wodka.

Auf dem Bildschirm trieb es Rufus mit einem Stricher. Einem Jungen, den er für diese Nacht bezahlte.

Ratio.

Tseng bemühte sich genau um diesen. Versuchte es nüchtern zu betrachten.

Zündete sich noch eine Zigarette an. Drückte sie aus, nachdem er dreimal an ihr gezogen hatte.

Ließ zwanzig Sekunden später die nächste aus der Schachtel gleiten.

Sah auf seine Notizen.

Strich das, was er gerade geschrieben hatte durch. Schrieb es noch einmal. Dieses Mal gerade, auf einer Linie.

Ratio.

Die Beschreibung dessen was er sah. Objektiv.

Worte.

Buchstaben.

Noch einmal strich er sie durch. Schrieb das selbe auf den Zettel. Sah weiter auf den Bildschirm seines Laptops.

Zitterte.

Zuckte zusammen als er Schritte hörte. Viel zu laut. Viel zu leise.
 

Elena ließ sich wieder auf das Sofa fallen. Ihr Blick fiel auf das Papier, auf die durchgestrichenen, so perfekt formulierten Sätze.

Und vorsichtig hob sie ihre Hand, ließ ihren Zeigefinger über Tsengs Kinn gleiten. "Du blutest."

Das Video, das immer noch lief, zeigte Rufus, der Sheng ewige Liebe schwor. Ihm versicherte, das es schon immer so gewesen war. Rufus, der den Jungen fragte, ob er es nicht wisse? Ob er es nicht fühlte?

Sie widerstand dem Bedürfnis, dem Drang ein weiteres Mal auf zuspringen, zum Klo zu rennen.

Solange bis der Mann neben ihr leise wisperte: "Wir haben den verdammten S-Laut einen Sommer lang geübt. Solange bis er es begriffen hat. Bis er ihn richtig aussprechen konnte."

Elena konnte Tseng nicht fragen, was genau er meinte. Worauf er sich bezog. Sie wusste es. Und dieses Wissen ließ sie zum Papierkorb torkeln.

Bis ins Bad hätte sie es nicht geschafft.

Es war nur noch bittere Galle, die sie von sich gab.
 

"Laney?" Tseng kniete neben ihr, strich ihr mit der flachen Hand über den Rücken, zog sie vorsichtig zurück. Die andere Hand glitt in ihre Haare, hielt sie ihr aus dem Gesicht.

"Soll ich dir ein Glas Wasser holen?"

"Verpiss dich! Lass mich in Ruhe!" Elena schlug seine Hand zur Seite, schaffte es mühsam auf ihre Beine zu kommen. Das letzte was sie jetzt gebrauchen konnte, war jemand, der sich unter falscher Scheinheiligkeit um sie kümmerte.

Reichte es nicht schon, dass sie sich in Tsengs Büro übergeben musste? Jede Würde vor ihrem Chef verlor?

Ihr Chef, der zurück zuckte, auf dem Boden kniend und aus großen grauen Augen zu ihr auf sah.

Es war dieser Blick, der das letzte bisschen Selbstbeherrschung zusammen fallen ließ.

Der Blick, der dazu führte, das Elena in sich zusammen sank.

Sie konnte nicht mehr weinen. Obwohl sie es wollte.

Konnte nur auf dem verdammten Boden sitzen - helles Paket, Buche, wie der noch rationale Teil ihres Gehirns vermerkte.

"Tseng ... ich ... er ..." sie stammelte unzusammenhängende Worte, sah in die grauen Augen.

Augen, in denen sie viel zu viel Verstehen entdeckte. Viel zu viel Melancholie.

Etwas, dass nicht in diese Augen passte.

Sie hatten kalt zu sein. Anteilslos.

"Ich habe Reno angerufen." brachte sie schließlich in einem Satz heraus, der Sinn ergab.

Und im Hintergrund, auf einem PC-Bildschirm schlitzte Rufus einem Jungen die Kehle auf.
 

Schweigen.
 

Was sollten sie sich schon sagen? Leere Worthülsen an den Kopf werfen, die niemals das ausdrücken könnten, was sie fühlten?

Die nicht die Wut, den Hass, den Ekel beschreiben könnten?

Den Selbstzweifel.

'Es ist meine Schuld!'

Elena las den Gedanken in den grauen Augen. Die ihrem direkten Blick auswichen.

'Meine Schuld.'

Tseng, der tötete ohne mit einer Wimper zu zucken, fühlte sich plötzlich verantwortlich für das Leben all der Jungen, die in den letzten Monaten verschwunden waren. Deren Leichen aus dem Fluss gefischt wurden.

Und schuldig für das Leben eines jungen Mannes, der ein paar Kilometer von ihnen entfernt durch einen Schlauch atmete. Der weiter atmen musste, nicht sterben durfte.

"Ich ... ich hätte bei ihm bleiben sollen." wisperte Tseng gegen die Stille. Gegen das ungläubige Röcheln, gegen letzte Atemzüge, die aus den Lautsprechern drangen.
 

"TSENG!" Elenas Knie waren weich, ihr ganzer Körper widersetzte sich den Impulsen, die von ihrem Hirn ausgingen. Doch schaffte sie es, sich zu bewegen. Sich zu ihm zu schieben, die Arme um den zitternden Körper zu ziehen.

Sie wollte schreien, dass es nicht seine Schuld war. Dass das, was Rufus tat, krank war. Besessen. Von einer fixen Idee.

Abseits aller Relationen.

Aber sie blieb stumm.

Wer war sie, dass sie sich ein Urteil erlauben konnte? Ausgerechnet sie, die in dieser Nacht fünf Menschen erschossen hatte. In anderen Nächten noch mehr.

Sie hatte das Recht zu Urteilen vor langer Zeit verloren.

"Wodka?" Vorsichtig ließ sie den Mann los. Wissend, dass sie die falsche war, die ihm für ein paar Minuten Schutz bieten könnte.

Tseng nickte. Fuhr sich mit der Hand durch die immer noch offenen Haare.
 

Für Elena war es Beschäftigung, die Gläser auf zu füllen, dabei den Blick auf den Bildschirm vermeidend.

Nicht Rufus zu sehen zu müssen, wie er dem toten Jungen ewige Liebe schwor, ihn sanft in seinen Armen wog. Ihm durch die Haare strich.

Die Datei war noch nicht mal zu einem Viertel durch gelaufen.

Klare Flüssigkeit spritzte auf den Boden, als sie Tseng das Glas etwas zu kräftig in die Hand drückte.
 

Der Wodka brannte in seiner Kehle, gierig in einem Schluck herab gestürzt.

Er machte sich erst gar nicht die Mühe auf zu stehen, rutschte über den Boden zum Tisch. Sah zur leeren Flasche, die neben dem Laptop stand.

Mehr Alkohol. Etwas, dass sein Hirn in Watte packen würde. Das die Verbindungen zwischen den Synapsen unterbrach. Ihn für ein paar Stunden von den logischen Schlussfolgerungen befreite, die er sonst immer so schnell zog.

"Ich hol uns noch 'nen Wodka."

"Tseng, mein Wutai ist wirklich miserabel." Elena war ebenfalls zurück gerutscht, lehnte sich mit dem Rücken gegen das Sofa.

"Wodka. Für uns." Ihm war gar nicht aufgefallen, dass er in jene Sprache zurück gerutscht war, die er jahrelang nicht gesprochen hatte.

Sah man von den Flüchen ab.

Solange nicht bis ein nerviger kleiner Junge solange an seinem Hosenbein hing, bis er ihm begann die Basis bei zu bringen. Deklinationen, Präpositionen, Tempus.
 

Die Schritte Richtung Küche waren unsicherer als gewöhnlich. Undeutlich erinnerte Tseng sich an den Vorrat, der hinter dem Kaffee lagerte.

Für Notfälle. Wie Reno sagte.

Und Tseng definierte die momentane Situation als Notfall. Als persönliches Fiasko.

Seine Hand glitt in die Hosentasche, schloss sich um die kleine Tüte, die er vorhin aus den Tiefen seines Spindes gezogen hatte. Der Präsident der Company vögelte einen Stricher, und brachte ihn danach um. Den siebten innerhalb der letzten drei Monate.

Das waren die nüchternen Fakten.

Zu den Fakten zählte auch, dass die Turks sich um Diskretion bemüht hatten. Um die Vermeidung jeden Skandals. Erfolgreich.

Tseng streckte sich, zog die beiden Wodka-Flaschen heraus, die im Schrank gelagert waren.

Auch diesen Skandal würden sie verhindern können.

Seine Hände zitterten. Glas klirrte, als er die zwei Flaschen abstellte.

Das Gefühl der Hilflosigkeit hatte sich durch seine Maske geätzt.
 

In der Dunkelheit der Küche meinte er zwei blaue Augen zu entdecken, die ihn vorwurfsvoll ansahen, stumm die Frage stellten wo er gewesen war. Warum er ihn so alleine gelassen hatte.
 

Tseng schüttelte den Kopf, vertrieb die Illusion. Aus seiner Tasche zog er die Tüte, griff in eine andere Tasche, in der sich seine Ausweise befanden.

Schnell war eine weiße Linie auf der Ablage gezogen, dann ein Schein zusammen gerollt.

Er musste wach sein. Musste sich konzentrieren.

Wollte nicht schlafen.

Wollte sich nicht den Albträumen ausliefern, die kommen würden.
 

Das Speed wurde durch die Nase gezogen. Ging mit dem Alkohol im Blut direkt eine chemische Reaktion ein.

Es würde nicht lange dauern bis die gewollte Wirkung eintrat.

Und hinter Tseng, im Rahmen der Küchentür, erklang ein trockenes Husten.

"Ich sollte es dir direkt wieder aus der Nase prügeln, Idiot!"

Tseng fuhr herum. Reno bewegte sich vorsichtig auf ihn zu, die Hände ausgestreckt. Ein schiefes Grinsen im Gesicht.

"Ganz beschissene Idee, Tseng Tseng."

Das Grinsen täuschte über die Bewegung des sehnigen Mannes hinweg. Der plötzlich direkt vor ihm stand. Dessen Finger sich um seine Handgelenke schlossen. Die Arme fest hielten.

Tseng wehrte sich nur pro forma gegen den Griff. Zu betrunken, nun auch zu high um ihm wirklich Widerstand bieten zu können.

"Was machst'n für 'nen Scheiß?" Renos leise Stimme nahe seines Ohrs. Beruhigend. "Wir ham den Shit doch schon zu oft durch gekaut." Die Hände ließen seine Handgelenke los, streichelten langsam über seine Arme höher.

"Ich habe ihn alleine gelassen, Reno." Den Kopf gegen die Schulter des Größeren gelehnt, wich jede Körperspannung aus Tseng. "Ich hätte bei ihm bleiben müssen. Ich habe es ihm doch versprochen."

"Ich weiß." Geflüsterte Worte. Renos Hand glitt in Tsengs Nacken, kraulte ihn sachte am Haaransatz entlang. "Aber du hast ihn nich' alleine gelassen."

Der Wunsch, den verdammten Stecker zu ziehen, war plötzlich wieder da.
 

"Tseng?" Elenas Stimme klang hohl über den leeren Flur. Verloren zwischen den Büros.

"Laney, wir sin' inner Küche. Kannst ins Krankenhaus fahr'n. Ich bleib hier." rief Reno zurück, ohne sich von Tseng zu lösen.

Die Silhouette der Turk erschien im Türrahmen. "Okay, ruft durch, wenn ihr was braucht." Sie klang unsicher. Betreten. Presste dann zwischen zusammengebissenen Lippen hervor: "Reno, es ist der absolute Horror."

Dabei wollte sie etwas ganz anderes sagen. Reno nickte. Verstand die unausgesprochene Bitte, auf Tseng auf zu passen.

"Los, Rude hockt allein' im Krankenhaus. Beeil' dich besser."

Elena lächelte, dankbar für die elegante Möglichkeit des Rückzugs, welche Reno ihr gerade bot.

Sie verschwand ohne ein weiteres Wort.
 

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Anmerkung: Die Handlung des Videos ist Noctifers OS 'Maxima Culpa' entnommen

(http://animexx.onlinewelten.com/fanfiction/favoriten/275555/202029/)



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Kochouran
2008-12-24T02:11:24+00:00 24.12.2008 03:11
Gott,ich dachte mir,ich lese vor dem schlafengehen noch schnell eine nette geschichte bevor ich off-geh und - pustekuchen - jetzt hab ich dass hier gefunden und noch bis in die Nacht hinein gelesen.Weil man einfach nicht aufhören kann.Ich kann mich quaniela und Skalli_Otori nur anschließen.Die Beschreibung deiner Art der 'Realität' in der Ff hält einen gnadenlos in seinem Bann und lässt einen der Ff geradezu 'an den Lippen hängen' und nach den nächsten Kapitel fiebern.Ich hoffe du beendest das hier nicht allzu schnell!
P.s. 'Turk-Fluff' ist dass hier wirklich nicht und genau dass macht die FF ja so besonders - ich hoffe aber trotzdem,dass es 'fluffig' genug bleibt um die Hauptcharas am Leben zu lassen ^^°
P.S.2 *~Fröhliche Weihnachten~* ;P
Von:  Niela_DeAhrel
2008-09-25T21:26:05+00:00 25.09.2008 23:26
Ich bin entsetzt und zeitgleich tief betroffen... diese Geschichte ist so faszinierend und geht in solche Tiefen, dass es schon wehtut sie zu lesen, ich mich aber einfach nicht loseisen kann... es ist einfach wahnsinn wie du diese Stimmung hinkriegst. Jedes Wort haut voll in die Magengrube, setzt dem Schrecken immer noch ein bitteres Sahnehäubchen obendrauf, aber ich bin gefesselt und ich finde die Geschichte ienfach nur unglaublich toll... mach einfach weiter so!
Von:  Skalli_Otori
2008-09-24T11:20:11+00:00 24.09.2008 13:20
Wow, das trieb einem wirklich die Gänsehaut den Rücken runter und jede empfindliche Magen mit guter Vorstellungskraft, wird wohl das selbe tun wie Elena und Tseng. Aber ich für meinem Teil bin morbid fasziniert und sehr angetan von dem Kapitel. Ich war ziemlich überrascht, das es gleich sechs Seiten sind, aber jede Seite hat sich gelohnt und man dringt so schön tief in den kruden Kaninchenbau menschlicher Abgründe vor. Ich liebe es~! Man müsste die Story in ein Buch verwandeln, damit ich sie überall hin mitschleppen und lesen kann. Wunderbare Leistung!


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