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Die Herzschwert-Saga

Die Hüterin des Herzschwertes
von

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3. Akt: Der Weg der Schlange

Niemand kann genau sagen,

Wohin uns unser Weg führen wird.

Selbst wenn wir die Straßen und Wege auf Karten sehen vermögen,

Weis niemand, ob wir dem Weg weiter folgen

Oder einem anderen Pfad gehen werden.

Nur eins ist sicher:

Wir folgen dem Weg des Lebens bis an sein Ende.
 

Jardion,

Hüter der Hallen von Thorid
 

***
 

Vor ihnen türmten sich die mächtigen Gipfel des Gebirges auf. Wie die Krallen einer wilden Bestie ragten sie gen Himmel, als wollten sie die vorbei fliegenden Wolken einfangen und verspeisen. Doch nie schien es ihnen vergönnt zu sein diese zu erreichen. Doch diese Eigenart gab dem Gebirge seinen Namen, sondern seine Form, die in ganz Konass seines gleichen suchte. Wie eine Schlange schlängelten sich die Berge von den südlichen Winkeln in die nördlichen Winkel des Reiches im Osten. Antigas-Schlange-Gebirge nannten die Bewohner dieses Gebirge, denn einer legende nach, war das Gebirge einst eine riesige, Titanenverschlingende Schlange gewesen, die ganz Konass heim gesucht hatte, bis ein Titan Namens Antiga kam und sie zum Kampf heraus forderte. Der junge Titan wäre beinah von dem Ungetüm verschlungen worden, hätte er seinen Felsenzertrümmernden Hammer nicht bei sich getragen. Dem Hammer seine letzten Kräfte gebend, schwang Antiga ihn und traf den Kopf der Schlange. Das Ungetüm heulte auf und nur in wenigen Momenten versteinerte er die Schlange. Nun für immer in Stein gefangen konnte die Schlange keinen Schaden mehr anrichten. Antiga selber überlebte nur knapp den Kampf. Als er wieder genesen war, baute er sich über dem Ungetüm eine Festung in den Wolken, um dafür zu sorgen, dass die Schlange nie mehr zum Leben erwachen sollte.
 

Ian konnte nur staunen, als er seinen Blick hob, um den höchsten Gipfel des Gebirges aus zu machen. Es gelang ihm nicht, denn einige der Berge ragten weit hoch in den Himmel, wo ihre Gipfel einfach verschwanden. Der junge Mann hatte noch nie die hohen Berge gesehen, denn sein ganzes Leben lang war er in den Durgawäldern zu Hause gewesen und hatte nie einen Gedanken daran verschwendet, seine Heimat zu verlassen.
 

Er und seine Gefährten den ganzen, nächsten tag nord-östlich gezogen, bis sie nah den ersten Ausläufern des mächtigen Gebirges heraus gekommen waren. Fynn und Ian hatten sogleich vor Staunen die Augen weit aufgerissen und die felsigen Steilwände herauf geschaut, bis ihnen die Hälse steif geworden waren. Lorgren hatte sie sogleich weiter gedrängt, auf die Berge zu und gemeint, das sie sich schon bald an den Bergen satt sehen würden. Er hatte sie von allerlei Gefahren gewarnt, die ihnen in den Bergen begegnen würden. Lawinen und Steinschlägen, Monster und Unholde, die in den Höhlen des Gebirges hausten.
 

Ian hätte dem Wüstenreiter gerne eine Tracht Prügel verpasst, dafür, das er Fynn Angst eingejagt hatte. Doch allmählich verstand er, warum der Mann aus der Wüste dies alles erzählt hatte. Er wollte sicher gehen, das beide auf Schritt und Tritt die Augen auf behielten, damit sie nicht blind in Gefahr rein ritten.
 

Fynn war seit dem ruhig gewesen und hatte sich ängstlich überall umgesehen. Der Wirtssohn hatte dem Wüstenreiter immer wieder böse Blicke zugeworfen, doch dieser hatte nicht darauf reagiert, sondern war einfach weiter geritten und hatte seinen wachsamen Blick auf die Straße vor ihnen gerichtet.
 

Der Hengst Lorgrens hielt unvermittelt an, worauf die anderen ihre Tiere ebenfalls zügeln mussten. Der Wüstenreiter glitt aus dem Sattel und ging ein Stück voraus. Er kniete sich nieder und betrachtet die Straße, die schon seit Jahren nicht mehr bereist wurde. Ian ließ sich aus dem Sattel gleiten und half Fynn dabei, aus dem ihren zu kommen. Zusammen gesellten sie sich zu dem Einarmigen, der am Boden kauerte und den Boden anstarrte.
 

„Was ist los?“, fragte Fynn, als sie hinter ihrem Führer standen.
 

Er hob den Blick und sah die anderen an. „Spuren“, sagte er finster. „Von Orks.“ Die Blicke Ians und Fynns trafen sich, während Ian einen Dolch aus der Scheide an seinem Gürtel zog und Fynn näher an sich zog. Der Wüstenreiter erhob sich und sah beide an. „Die Spuren sind zwei Tage alt und führen in die Berge.“
 

„Dann können wir diesen Weg nicht nehmen“, meinte Ian, der Fynn zurück zu den Pferden führte.
 

Lorgren folgte ihm und schwang sich rasch in den Sattel. „Wir folgen weiter dem Weg“, sagte der Wüstenreiter entschieden.
 

„Da rein, wo Orks lauern?“, fragte Ian und sah den anderen an. „Vergiss es. Da ist es zu gefährlich für Fynn. Wir müssen eine sicherer Straße finden.“ Schnell ging Ian zu seinem Pferd und wühlte in einer der Satteltaschen herum. Rasch fand er, was er suchte. Eine Karte, die er ausrollte und eingehend studierte. „Was ist mit der Küstenstraße?“, fragte er Lorgren.
 

Der Jerisane schüttelte entschieden den Kopf. „Zu gefährlich“, sagte er. „Dort könnten weitere Meuchler lauern. Außerdem lässt man uns mit Fynn nicht passieren. Die Leute von der Küstenstraße mögen Halborks nicht sonderlich. Höchstens tot.“
 

Fynn stockte gleich der Atem, als sie dies hörte. Ian konnte es nur zu deutlich hören. Schnell wand er seinen Blick dem Mädchen zu und lächelte beruhigend, obwohl er selber innerlich aufgewühlt war. Er verstand nicht, was die Leute gegen Halborks hatten. Was war so schlimm an ihnen?
 

Als wenn Lorgren seine Worte gehört hätte, sagte er: „In der Gegend leben viele Banditen, wovon viele Halborks sind. Auch Piraten machen die Küsten unsicher und selbst dort findet man sie.“ Er sah den jungen Mann an, als wären seine Worte besonders an ihn gerichtet gewesen. „Die berge sind noch die beste Entscheidung.“
 

„Und was ist mit Taurin?“, wollte Ian wissen. Die mächtige Festungsstadt, die die Passstraße zwischen Helios und Jeris verteidigte, lag direkt an den Ausläufern des mächtigen Gebirges. Ian wusste, dass die Stadt seit sechshundert Jahren jeden Angreifer hatte abwehren können. Selbst die mächtigen Armeen Otomors waren an den Mauern und Verteidigern Taurins gezwungen gewesen, sich zurück zu ziehen.
 

Wieder verneinte Lorgren die Frage mit einem Kopfschütteln. „Dort werden die Skormklingen sicher schon lange sein“, sagte der Jerisane bestimmt. „Auch wenn die Stadtwache dies verhindern konnte, wage ich es nicht der Stadt zu nahe zu kommen. Die Stadt steht auf Kriegsfuß mit meinem Volk und einen Krieger werden sie sicher sofort einsperren, wenn er der Mauer zu nahe kommt.“ Er sah beide an. „Allein die Händler wissen, wie sie da rein kommen.“
 

Ian sah man deutlich an, dass ihm die Entscheidung, dass sie durch die Berge reisen würden, wo nun Orks auf sie lauern würden, nicht gefiel. Wären die Wesen nicht der Straße gefolgt, der sie jetzt selber folgten, würde Ian sich sicher wohler fühlen. Doch jetzt waren sie auf den Weg in die Berge, wo sie genau in die Arme der Orks liefen, die dort oben sicher schon auf sie warten würden.
 

Die kleine Gruppe ritt bis zum Abend. Unterwegs trafen sie auf niemanden. Keinen Menschen oder Ork, was Ian nur teilweise beruhigte. Sie kamen den Bergen immer näher. Lorgren ließ sie am Abend rasten. Der Wüstenreiter sagte, dass sie an diesem Tag die Ausläufer nicht mehr erreichen würden. Wie in der Nacht zuvor, übernahm Ian die erste Wache, wonach Lorgren die zweite übernahm. Fynn durfte wieder ausschlafen, denn der Einarmige meinte, sie bräuchte auf der langen Reise ihre ganze Kraft.
 

Am nächsten Morgen weckte Lorgren alle früh. Sobald sie gefrühstückt hatten, brachen sie ihr Lager ab und zogen weiter. Am späten Nachmittag erreichten sie die Ausläufer des Antigas-Schlange-Gebirges. Unter Lorgrens Führung drangen sie in die Berge ein, bis sie einem der Bergpfade folgen konnten. Der Wüstenreiter erwähnte, dass sie in einer der Höhlen für die Nacht Unterschlupf suchen würden, bis der Morgen graute. Sobald die ersten Sonnestrahlen den Fels und die Erde erwärmen würden, würden sie weiter ziehen und erst wieder am Abend rasten.
 

Ian war nicht wohl bei dem ganzen. Er fühlte sich von allen Seiten beobachtet. Er wusste nicht wieso. Waren hier schon Orks? Er sah sich immer wieder um, doch erblickte nichts. Ian merkte, wie nervös er war. Jeden Moment erwartete er, das von irgendwo eine Horde Orks hervor brach und über ihn und seine Gefährten her fiel. Er machte sich nicht allein um sich Sorgen. Seine größte Sorge galt Fynns Sicherheit. Nicht, weil sie die einzige Hoffnung darauf war, Otomor untergehen zu lassen, sondern weil sie ein wichtiger Teil seines Lebens war. Sie war für ihn wie die kleine Schwester, die er nie gehabt hatte. Als sie Kinder gewesen waren, hatte er sie immer vor den anderen Kindern beschützen müssen, besonders vor Garyn, dem Sohn des Holzfällers, der sie am häufigsten schikaniert hatte. Ian war stets größer gewesen als der Bursche, der sogar drei Jahre jünger gewesen war. Doch nun war Garyn tot, ermordet von den Klingen Skorms und Fynn benötigte nun seinen Schutz vor der üblen Meuchlerbande aus Otomor, die ihr nach dem Leben trachteten.
 

Er hatte sich geschworen sie zu beschützen, egal was kommen würde. Jetzt schwor er es erneut, als sie weiter an den Felswänden vorbei zogen. Egal was für ein Übel auf sie zu kommen würde, er würde nicht von ihrer Seite wichen und sie sogar gegen die Orks verteidigen, die irgendwo im Gebirge lauerten. Niemand würde an ihm vorbei kommen. Das schwor er bei seinem Leben.
 

***
 

Sadrojor sah in die Schale, die bis zum Rand mit Blut gefüllt war und musterte genau das Gesicht seines Feindes. Er sah zu Obrikhan, dem welken Oberhaupt der Bruderschaft von Skorm, der neben ihm stand und zufrieden grinste. Ein Grinsen, das ihm deutlich machte, wie mächtig Skorm doch war. Der Imperator richtet sich zu voller Größe auf, bis er den Priester um zwei Hauptlängen überragte. Er trug seine vergoldete Stahlrüstung, die ihn schon durch unzählige Schlachten begleitet hatte, wie auch viele seiner Vorfahren. An seiner Seite hing das Familienschwert der imperialen Familie ruhig in seiner Scheide.
 

„Ein Mädchen?“, fragte der Imperator und wies auf das Bild der Halbork, die sich ängstlich umsah. Der Priester hatte ihm nicht sagen können, wo sie nun war. Nur, das sie unterwegs war. Man konnte lediglich ihr Gesicht und einen Teil ihres Oberkörpers sehen.
 

Der Alte nickte. „Ein Mädchen“, bestätigte er sofort. „Sie ist die Hüterin des Schwertes. Zudem sogar noch eine widerliche Missgeburt.“ Er fing an zu kichern.
 

Sadrojor sah wieder in die Schale und runzelte die Stirn. Wie konnte ihm ein schwaches Mädchen gefährlich werden? Zudem eins, das nicht mal ganz ein Mensch war. Der Magus musste übertrieben haben, als er die Warnung ausgesprochen hatte. Er hatte einen jungen Mann erwartet, dessen Arme so dick wie seine Oberschenkel waren und der über eine Kraft verfügte, die an die eines Gottes heranreichen könnte. Aber ein Mädchen war ihm nie in den Sinn gekommen. Der Magus hatte ihn wohl für dumm verkaufen wollen.
 

Er schnaubte abfällig und wand sich endgültig von dem Gefäß ab. „Allmählich frage ich mich, ob der Magus noch ganz bei Trost ist“, brummte er gering schätzend. Wieder kicherte das alte Oberhaupt der Skormpriesterschaft.
 

Obrikhan räusperte sich und meinte: „Wir sollten dennoch vorsichtig sein. Der Magus ist ein mächtiger Mann und man erzählt sich, er könne in die Zukunft sehen.“
 

„Mir ist egal, was er kann oder nicht“; erwiderte der Imperator barsch. „Der alte Narr hat meine ganzen Pläne durcheinander gebracht. Und das nur wegen eines Mädchens, das angeblich in der Lage sein soll, das Herzschwert zu führen!“ Er wirbelte herum und machte sich auf die Kammer des Priesters zu verlassen.
 

Obrikhan hielt ihn am Arm fest. „Mein Herrscher“, krächzte der Alte und sah ihn mit seinen dunklen Augen in die seinen. „Wir dürfen die Gefahr nicht zu gering schätzen.“
 

Sadrojor sah ihn mit finsterer Miene an. Dennoch wunderte er sich über die Schnelligkeit des alten Mannes. Skorm musste ihn reich belohnt haben, für seine langen Dienste. „Das habe ich auch nicht vor“, knurrte er ihn an. „Schick deine Meuchler weiter aus. Wenn es sein muss, dann heuer noch welche an, die sich da unten in Helios noch besser auskennen. Nur schaff mir den Bastard vom Hals.“ Er befreite sich von den faltigen Fingern des Alten und schritt zur Tür.
 

In der Tür stehend, wand er sich noch einmal um und sagte: „Warte kurz. Befehl deinen Leuten, sie sollen das Mädchen gefangen nehmen und zu mir zu bringen.“
 

„Was ist, wenn sie sich weigert?“, wollte der alte Priester wissen.
 

„Dann tötet sie und bringt mir ihren Kopf.“
 

***
 

Vorsichtig setzte Fynn einen Schritt vor den anderen, während sie ihre Stute hinter sich her führt. Sie und ihre Gefährten wanderten über einen schmalen Pfad, der höchstens drei Schritt breit war, und den man nur hintereinander überwinden konnte, wenn man nicht Gefahr laufen wollte, in den Tot zu stürzen. Denn zu ihrer rechten befand sich eine tiefe Schlucht, die in einem ausgetrockneten Flussbett endete. Fynn konnte nicht genau schätzen wie weit es in die Tiefe ging, aber Lorgren meinte, es wäre tief genug, das sogar ein Sturmriese zu Tode kommen würde, wenn er darunter stürzte. Fynn glaubte ihm.
 

Es war bereits der fünfte Tag ihrer Reise durch das Gebirge von Antigas Schlange und sie waren noch keinem Monster oder Unhold über den Weg gelaufen. Wo auch immer die Ungeheuer waren, sie konnten ruhig dort bleiben, befand die kleine Halbork. Trotz des bisher sicheren Marsches fand sie in der Nacht nicht genügend Ruhe. Immer wieder glaubte sie, dass sie von jemanden beobachtet wurde. Sie wusste nicht, warum, aber das Gefühl wurde seit zwei Tagen immer intensiver. Sie hatte sich oft nach der Ursache umgesehen, aber nichts ausmachen können. Allmählich glaubte sie unter Verfolgungswahn zu leiden.
 

Lorgren führte sie weiter die Steilwand hinauf, bis sie ein Plateau erreicht hatten. Erleichtert endlich festen Boden unter den Füßen zu haben, sank Fynn auf den Boden und legte sich auf den Rücken. Der Aufstieg war für sie erschöpfend gewesen. Sie hatte immer darauf aufpassen müssen, dass sie auch ja den richtigen Fuß vor den anderen setzte. Da diese Strapaze fürs erste gemeistert war, wollte sie sich eine Pause gönnen. Doch Lorgren schein das anders zu sehen.
 

„Wir müssen weiter“, drängte der Jerisane, der bereits weiter ging, seinen Hengst am Zaumzeug haltend.
 

„Lass uns eine Pause machen“, bat Ian, der als letzter angekommen war. Er selber saß auch bereits auf dem Boden und hatte sich seien Stiefel ausgezogen, damit seine Füße etwas Luft bekamen.
 

„Dafür fehlt uns die Zeit“, sagte Lorgren tonlos. „Wir müssen uns beeilen, wenn wir die Berge schnell verlassen wollen.“ Als die andern sich nicht rührten, wand er sich ihnen zu. Er ließ sein Pferd stehen und ging zu Fynn, die er sogleich auf die Beine stellte.
 

„Lass sie ausruhen“, knurrte Ian und sprang sogleich auf, achtete nicht darauf, dass er nur einen Stiefel trug. „Siehst du denn nicht, wie müde sie vom langen Aufstieg ist?“
 

„Sie kann sich weiter oben ausruhen“, erwiderte der jerisane, während er dem jungen Mann starr ansah.
 

Fynn sah den Mann aus der Wüste bittend an. „Bitte, Lorgren“, sagte sie müde. „Nur eine kleine Pause. Dann brechen wir auch sofort wieder auf. Das verspreche ich.“
 

Der Einarmige sah sie schweigend an und schnaubte schließlich. „na gut“, sagte er barsch. „Aber nicht lange.“ Er wand sich von ihr ab und stampfte davon, um sich nach möglichen Gefahren umzusehen.
 

Erleichtert sank Fynn wieder auf ihr Hinterteil. Sie sah hinüber zu Ian, der dem Jerisanen finster hinterher sah, bevor er sich selber setzte. „Ganz ruhig“, sagte das Mädchen zu dem jungen Mann. „Bitte reg dich wegen ihm nicht immer so auf.“
 

„Leichter gesagt, als getan“, erwiderte Ian brummend. Er sah dem Jerisanen weiter nach. „Er legt es regelrecht darauf an, mich zu reizen. Er versucht sicher mich los zu werden.“
 

„Wieso sollte er so etwas machen?“
 

Ian sah sie ernst an. „Damit keiner da ist, um ihn daran zu hindern, dir weh zu tun“, sagte der junge Mann zu ihr.
 

Fynn sah ihn gelangweilt an. Seit beginn der Reise sprach Ian nur davon, das Lorgren ihr Leid zufügen wolle. Sie selber wusste, dass es nicht stimmte. Lorgren hatte bisher nichts in dieser Richtung unternommen und würde es in Zukunft nicht tun. Ians Sorgen erschienen ihr mehr als kindisch. Er befürchtet nur das Schlimmste.
 

Sie machte sich Sorgen um ihren Freund. Er hatte sich in nur wenigen Tagen so arg verändert. Er machte sich zu viele Sorgen, war Lorgren gegenüber ununterbrochen misstraurig und hatte immer etwas zu bemängeln. Er ließ sich von Lorgren recht schnell reizen und schien auf Streit regelrecht aus zu sein. Fynn erkannte Ian nicht wieder. Wieso veränderte ihn diese reise so sehr? Lag es an ihr? Machte die Sorge um sie Ian allmählich verrückt? Wenn dem so war, dann müsste sie ihn zurück schicken, so sehr es auch ihr wehtat. Sie wollte nicht die Schuld daran tragen, dass einer ihrer liebsten Freunde dem Wahnsinn verfiel.
 

Als sie ihn darauf ansprechen wollte, kam Lorgren geduckt herbei gehuscht. „Hier ist irgendwas“, sagte er mit leiser Stimme, während er seine Hand an den Griff seines Krummsäbels legte. Ian machte sich bereit den Dolch zu ziehen, den er bei sich trug, und sah sich hektisch um. Fynn selbst wusste nicht, was sie tun konnte. Sie war die einzige, die keine Waffe bei sich trug.
 

Lorgren half ihr auf die Beine und flüsterte: „Los, zu den Pferden.“ Die beiden gehorchten ihm. Ian führte Fynn zu ihrer Stute, die unruhig mit den Hufen scharrte. Lorgren sah sich weiter um, während Fynn auf steig und Ian nur wenig später ihrem Beispiel folgte.
 

Lautes Geheul erklang um sie herum. Aller Köpfe schossen hin und her, um heraus zu finden, von wo dieser Lärm stammte. Lorgren zog mit einer schnellen Bewegung seinen Krummsäbel aus der Scheide und rannte zu seinem Wüstenhengst, der kampfeslustig wieherte. Ians Gaul und Fynns Stute hingegen wieherten ängstlich und wollten sich davon machen, doch ihre Reiter hinderten sie daran.
 

Lorgren sprang auf sein Pferd und rief: „Weg hier!“ Er ließ die beiden anderen vor reiten, folgten ihnen aber dicht auf. Das Heulen steigerte sich, als sie das Plateau verließen. Sie ritten einen Abhang hinauf und fanden sich wenig später von einer Gruppe buckliger Gestalten umringt. Ihre Haut war so schwarz wie die Nacht. Ihre Gesichter waren übersät mit unzähligen Narben und Wunden, die sie fast bis zur Unkenntlichkeit entstellten. Sie trugen Waffen verschiedenster Arten bei sich und ihre Rüstungen waren nicht weniger wild durcheinander gewürfelt. Das einzige was ihre Kleidung glich machte war, das alles schwarz gehalten wurde und so dreckig war, das man sich fragte, wie dick die Schmutzschicht wohl sein mochte.
 

„Was sind das für Wesen?“, fragte Ian panisch, als die Kreaturen sich anschickten, über sie ehr zu fallen.
 

“Schwarz-Orks!“, brüllte Lorgren. Als wäre es das Zeichen zum Angriff gewesen, sprangen die missgestalteten Kreaturen hervor, um ihre Opfer zu überwältigen. Doch sie hatten nie zuvor mit einem Wüstenreiter und seinem tapferen Hengst zutun gehabt.
 

Einer der Orks sprang mit einem weiten Sprung auf den Jerisanen zu. Der Wüstenreiter schwang die krumme Klinge seiner Waffe über den Kopf und schlug mit Schwung zu. Der ork fiel mit durchtrennter Kehle zu Boden und rührte sich schon nicht mehr. Einer seiner Gefährten kam herbei geeilt, um den Krieger zu überwältigen, doch das Pferd des Wüstenreiters hatte eindeutig etwas dagegen. Es holte mit den Forderlaufen aus und trieb sie dem Unhold gegen den Kopf. Mit einem lauten Knacken brach der Schädel und ließ die Seele der Kreatur entweichen.
 

Ian hatte wesentlich weniger Erfolg mit den buckeligen Orks. Eine kleine Gruppe hatte ihn und seinen alten Gaul umzingelt. Das alte Tier tänzelte panisch im Kreis, während Ian die Unhold mit seinem Dolch halbwegs auf Abstand hielt. Die Orks hatten wesentlich bessere Waffen als er, die dazu über eine größere Reichweite verfügten. Doch die Orks ließen sich von der kleinen Waffe auf Abstand halten.
 

Fynn war zwischen Lorgren und Ian gefallen, wo sie den meisten Schutz vor den Orks hatte. Man sah ihr deutlich die Angst und Panik an, die sich ihrer bemächtigt hatte. Am liebsten wäre sie mit ihrer Stute davon geritten, aber wohin? Die Orks schienen überall zu sein. Sie brüllten und sprangen ihre Gefährten an, während sie nur zusehen konnte. Lorgren und sein stolzes Pferd streckten einen Gegner nach dem anderen nieder, während Ian die Orks nur auf Abstand halten konnte. Er hatte in der Zwischenzeit geschafft einem Ork die Klinge in die Brust zu rammen, doch der geringe Erfolg tat nicht dazu bei, das die Unholde sich zurück schlagen ließen.
 

Fynn bemerkte zu ihrer Linken eine Bewegung. Als sie sich dieser zu wand, erkannte sie, dass es einem Ork gelungen war, an ihren Beschützern vorbei zu kommen. Der Unhold grunzte hungrig und stierte sie gierig an. Sie stieß einen verängstigten Schrei aus. Ihre Stute erschrak und bäumte sich auf. Fynn verlor den Halt und stürzte von dem Tier, das sogleich reiz aus nahm. Sie landete hart auf ihrem Rücken und keuchte schmerzerfüllt auf.
 

Als sie sich aufrichtete, war der Ork bereits über ihr, das gezackte Schwert weit über den Kopf gehoben, um sie zu töten. Fynn riss die Augen weit auf. Ihr wollte kein Laut über die geöffneten Lippen kommen. Nein, sie wollte noch nicht sterben. Sie hielt schützend die Arme über sich, obwohl sie wusste, dass diese die Klinge nicht aufhalten vermochten. Sie schloss die Augen in der stummen Hoffnung, dass noch ein Wunder geschehen mochte.
 

Ein Kreischen erklang und sie öffnete sogleich ihre Augen. Sie sah, wie der Wüstenhengst den Ork mit einem kräftigen Tritt seiner Hinterläufe zu Boden schickte. Das Mädchen sah die ausgestreckte Hand Lorgrens, der auf sie herab sah. Sie sah ihn einen Moment lang an, bevor sie seine Hand ergriff und sich zu ihm in den Sattel ziehen ließ. Als sie hinter ihm saß, klammerte sich das Mädchen sofort an den Mann, der nun wieder seine tödliche Klinge in der Hand hielt und einen weiteren Feind nieder streckte. Wieder spürte sie diese angenehme Wärme, die von dem Anhänger ausging. Sie ließ sich wieder von ihr einlullen und schloss die Augen, denn sie wusste, dass sie bei Lorgren sicher wäre.
 

***
 

„Ian!“, brüllte der Wüstenreiter mit kräftiger Stimme. Als der junge Mann kurz zu ihm sah, reif er: „Weg hier!“ Ian nickte und gab seinem Pferd die Sporen. Der Gaul folgte der Aufforderung nur zu gerne und preschte gleich los, wobei er einige der Orks nieder ritt, ohne es mit zu bekommen. Lorgren gab seinem tapferen Hengst die Sporen und das Tier folgte der Anweisung ohne Mucken. Es bäumte sich einmal auf, traf dabei einen Ork vor die Brust und folgte dem anderen.
 

Der Gaul galoppierte durch die gelichteten Reihen der Kreaturen, die ihm rasch aus dem Weg sprangen, wenn sie die Chance dazu hatten. Einige wenige gerieten dem schweren Pferd vor die Hufe und wurden nieder getrampelt. Lorgren sah dabei zu, wie das Tier immer mehr die Kontrolle übernahm. Ian schaffte es nicht mehr das verängstigte Tier ruhig zu halten. Doch er schien dies nicht einmal zu müssen. Der Gaul rannte genau die Strecke entlang, die sie zu ihrer Flucht nehmen wollten.
 

Ein Pfeil schoss dicht an Lorgrens Ohr vorbei. Der Wüstenreiter sah auf und entdeckte Ork-Bogenschützen, die sich auf Simsen verteilt hatten, um ihre fliehende Beute aus sicherer Entfernung zu töten. Ein leiser Fluch entrang dem Jerisanen. Wenn er alleine wäre, könnte er ohne weiteres entkommen. Doch mit dem Mädchen hinter ihm und dem Burschen war das praktisch unmöglich.
 

Die Bogenschützen nahmen die fliehenden Gefährten unter Beschuss. Lorgren konnte dank der Geschicklichkeit seines Tieres und den schlechten Schießkünsten der Orks allen ausweichen, was aber nicht auf Ian zutraf. Ein Pfeil hatte sich in die Flanke seines Gaules gebohrt, doch das Tier schien den Schmerz nicht zu spüren. Ian selbst war bisher unverletzt geblieben, aber wie lange würde das so bleiben?
 

Der Gaul bäumte sich plötzlich auf und fiel rücklings um. Ian konnte nur mit knapper Not entkommen und verhindern von seinem Reittier zerquetscht zu werden. Ein Pfeil hatte sich in den Hals des Tieres gebohrt und ihm die Luftröhre durchtrennt. Es war sofort tot, noch bevor er am Boden lag.
 

Ian krabbelte unbeholfen davon, wich dabei etlichen Pfeilen aus. Lorgren ritt zu ihm, doch drang er nicht bis zu dem Wirtssohn durch. Fynn, die hinter ihm ritt, schrie ängstlich, als sie das sah.
 

„Lorgren!“, schrie sie. „Wir müssen Ian helfen!“
 

„Unmöglich“, knurrte der Wüstenreiter durch zusammen gebissene Zähne. Er hatte Recht. Eine Gruppe Orks war aus einem versteckten Tunnel gekrochen und hatten Ian von ihnen abgeschnitten. Nun musste er alleine zu Recht kommen. Mittlerweile hatten die Bogenschützen ihr Feuer eingestellt, da Lorgren und die anderen außer Reichweite ihrer Pfeile geraten waren.
 

„Aber wir können ihn doch nicht in Stich lassen“, wimmerte Fynn, die sich schon anschickte vom Pferderücken zu rutschen.
 

„Bleib hier“; knurrte Lorgren sie an und sie gehorchte. „Bring dich nicht unnötig in Gefahr, Mädchen.“ Er sah hinüber zu Ian, der immer weiter in die Enge getrieben wurde. In seinen Augen war der junge Mann längst verloren. Er konnte niemals hoffen, dem Jungen noch irgendwie helfen zu können. Allein die Götter waren dazu in der Lage.
 

Ian sah zu ihnen und brüllte aus Liebeskräften: „Bring Fynn hier weg!“ Man sah ihm deutlich an, das es ihm schwer fiel sie ziehen zu lassen, mit einem Mann, dem er misstraute. „Rette ihr Leben!“
 

„Ian!“, schrie Fynn, die lange schon begonnen hatte zu weinen.
 

„Verschwindet hier!“, brüllte Ian noch einmal, bevor er sich auf den Kampf konzentrieren musste.
 

Lorgren konnte nur leise für den jungen Mann beten. Er wendete sein Pferd und ritt davon, dicht gefolgt von einigen Orks, die ihre Flucht bemerkt hatten. Nun flogen ihnen wieder die Pfeile entgegen, doch diese waren mehr eine Gefahr für die Orks, die ihnen folgten, als für die Fliehenden selber. Der Wüstenhengst schoss, ohne sein Tempo zu mindern, an den Orks vorbei, zurück zu dem Plateau, wo sich immer noch einige der Orks aufhielten. Sie hatten die Stute umzingelt, die panisch wieherte und versuchte zu entkommen.
 

Lorgren knurrte leise, als er seinen Krummsäbel aus der Schiede zog, die Zügel zwischen die Zähne nahm und auf die missgestalteten Kreaturen zu ritt. Die schwarzhäutigen Unholde bemerkten den Reiter erst, als einer von ihnen dessen Klinge zum Opfer fiel. Sie wichen erschrocken zurück, kletterten Steilwände empor oder schlüpften in versteckte Erdlöscher.
 

Die Stute wollte wieder ausbrechen, doch Lorgren pfiff schrill, was das Tier inne halten ließ. In seinen Augen stand immer noch Angst und Panik geschrieben, doch auch eine gewisse Ruhe war zurückgekehrt. Lorgren wies Fynn an auf seinem Hengst zu bleiben, denn er würde sie vor den Orks beschützen. Er selber wechselte auf die graue Stute.
 

„Reite davon, Mädchen“, befahl er ihr.
 

„Wohin?“, fragte Fynn ängstlich, während sie immer zum Weg zurück sah, wo Ian alleine mit den Orks kämpfte.
 

“Mein Hengst wird dich leiten“, sagte er und wendete die Stute.
 

„Wohin willst du?“, fragte Fynn panisch.
 

„Ich versuche Ian zu retten“, rief er ihr zu, als er der Stute die Sporen gab. Das Tier bäumte sich auf und galoppierte zurück. Die Orks, die sie eben noch verfolgt hatten, erreichten sie, doch wichen hastig auseinander, als Lorgren auf sie zukam. Einige suchten lieber den Tot in der Tiefe, als sich von der Stute niedertrampeln zu lassen.
 

Lorgren wusste, das sein stolzer Wüstenhengst Fynn sicher von diesem Ort weg bringen würde. Das Tier hörte wie er den Ruf der Wüste. Dort wäre sie sicher vor den Schwarz-Orks, die die Hitze der Wüste nicht vertrugen und deshalb tief in den Bergen lebten. Sobald Fynn in der Wüste wäre, würde sie sicher von einer Karawane gefunden werden, die sie in die Heimatstadt seines Meisters bringen würde.
 

Bald erreichte er die Stelle, wo Ian alleine zurück geblieben war. Die Bogenschützen der Orks waren verschwunden, wahrscheinlich wollten sie sich am Kampf der anderen beteiligen, um etwas von der Beute ab zu bekommen. Als Lorgren um die letzte Biegung bog, sah er Ian, lebend, gefangen in einem Kreis von Orks, die versuchten ihn mit Speeren zu treffen. Doch der Junge hielt sich wacker und wehrte mit einem erbeuteten Schwert die groben Waffen ab. Vor ihm lagen drei tote Orks, einer davon hatte einen Dolch in der Brust stecken. Ian sah abgekämpft auf. Der Wüstenreiter wusste nicht, wie lange der junge Mann noch durchhalten würde, war eigentlich erstaunt, dass er überhaupt noch lebte.
 

Er wusste, dass er schnell handeln musste, wenn Ian überleben sollte. Gab der Stute die Sporen und sie wieherte auf, als sie auf die Orks zuschoss. Die Kreaturen wandten ihre Aufmerksamkeit dem Jerisanen zu. Sie rissen überrascht die Augen auf, waren aber nicht so feige, wie ihre anderen Artgenossen. Die vorderster Reihe wand sich ihm komplett zu und richtet seine Waffen auf ihn. Lorgren hob seinen Krummsäbel gen Himmel und ließ die Stute mitten in die üblen Geschöpfe springen.
 

Nun verloren die Orks doch ihren Mut und wichen panisch zurück. Einigen wurden von der Stute nieder gedrückt, als sie auf ihnen landete. Lorgrens Klinge wirbelte in einem tödlichen Kreis hin und her und streckte Orks nieder, die nicht schnell genug weg kamen.
 

Keuchend sah Ian ihn an, als der Jerisane ihn erreichte. Er humpelte zu ihm herüber, denn sein linkes Bein war von einer Ork-Klinge verwundet worden. Ein langer Schnitt war zu sehen, aus dem unentwegt Blut quoll. Lorgren half dem Wirtssohn rasch auf den Pferderücken und wendete die Stute, die mehr als begeistert davon war, das sie endlich von den Orks weg kam.
 

Die Orks waren schnell wieder mutig geworden und behinderten Lorgren und Ian nun daran zu entkommen. Ein Speer wurde nach ihnen gestoßen, doch Lorgren wehrte ihn einfach ab und drückte ihn weg. Er verfluchte sich. Wieso war er zurückgekehrt? Der Junge war schon lange dem Tode geweiht. Nun würde er sein Schicksal teilen und Fynn würde alleine reisen und wohlmöglich wieder von den Orks überfallen werden. Er hatte seinen Auftrag nicht erfüllt, wie er es geschworen hatte. Sein Herr wäre sicher enttäuscht von ihm. Sogar mehr als das. Seine Seele würde für immer durch die Länder ziehen, auf der suche nach Erlösung.
 

Plötzlich spürte Lorgren, wie sich Ian bewegte. Er warf einen Blick über die Schultern und sah, das der Bursch aus dem Sattel rutschte. „Was machst du da?“, brüllte der Jerisane ungläubig.
 

„Mach, dass du weg kommst“, knurrte Ian durch zusammen gebissene Zähne. Er sah den Mann aus der Wüste einen stummen Moment an, bevor er sich brüllend auf die überraschten Orks stürzte und wild mit dem Schwert um sich schlug. Die Orks wichen zurück, versuchten nur teilweise Ian zu stoppen, doch es brachte ihnen nichts.
 

Lorgren wusste, das Ian ihm eine Möglichkeit zur Flucht eröffnete. Dennoch rührte er sich nicht. Als er Ians Blick begegnete, sah er eine stumme Bitte in ihnen. Er verstand sie sofort. Kümmre dich um Fynn, war sie. Leicht nickte er, bevor er die Stute wendete und davon ritt.
 

***
 

Ian sah dem Mann aus der Wüste nach, als dieser davon ritt. Doch seine Aufmerksamkeit wurde gleich darauf von einem Ork erregt, der sich anschickte seinen Speer in Ians Rippen zu stoßen. Der erschöpfte Mann wich rechtzeitig aus, doch geriet er ins Stolpern. Er fing sich rasch wieder, als ein anderer Ork mit seiner Axt auf ihn losging. Er wehrte grade so die Waffe ab, drückte sie weg und wich weiter zurück.
 

Die Orks wurden immer hartnäckiger. Sie verloren allmählich die Geduld. Sie wollten Blut sehen, das nicht von ihnen stammte, erkannte Ian beunruhigt. Wie lange würde es dauern, bis sie über ihn her fielen? Er wusste es nicht und wollte es auch nicht wirklich. Er wollte nur hier weg. Um Fynn musste er sich keine Sorgen mehr machen. Lorgren würde sich um sie kümmern. Er hatte gesehen mit was für einer Einfachheit der Wüstenreiter seine Gegner niedergestreckt hatte. Bei ihm wäre Fynn sicher.
 

Aber er würde bald den Tot finden. Der Gedanke daran beflügelte seine letzten Kraftreserven. Er schlug nur umso wilder um sich, ließ die Orks zurück weichen, doch selber wich er auch zurück. Er musste einen Weg in die Freiheit finden. Doch wie mit einem verwundeten Bein und vor Müdigkeit protestierenden Knochen? Er wusste es nicht.
 

Ian riss die Augen auf, als eine Ferse keinen Boden fand. Der junge Mann warf einen Blick über die Schultern und riss noch weiter die Augen auf. Er war bis an den Rand einer Schlucht zurück gewichen. Wie sollte er jetzt noch an Flucht denken? Die Orks versperrten ihm alle Wege.
 

Wütend knurrte er. Warum spielte das Schicksal so übel mit ihm? Was hatte er getan, das er ein solches Los erhalten hatte? Seine Gedanken drifteten zu Fynn, die irgendwo in den Bergen vor den Ungeheuer flüchtete, behütet von Lorgren, dem Mann aus der Wüste. Mögen die Götter sie beschützen und behütet aus den Bergen führen, betete er stumm.
 

Ein Ork sprang vor und überraschte Ian. Der Unhold packte den Jungen an den Schultern. Ian sah ihn panisch an. Schnell trieb er dem Wesen sein Schwert in den bauch. Der Unhold heulte auf, doch ließ er ihn nicht los. Ian versuchte sich von ihm zu befreien, doch gelang es ihm nicht. Er versuchte noch einmal seine Klinge in den Wanst des Monsters zu treiben, doch sie ließ sich nicht heraus ziehen.
 

Der Ork, dessen Tot schon fest stand, funkelte ihn triumphierend an. Er öffnete das Maul, das von krummen und verfaulten Zähnen bestückt war und biss zu. Die widerlichen Zähne bohrten sich in die Schulter des jungen Mannes, der gequält aufschrie. Wie eine Schnappschildkröte verbiss sich der Unhold in ihn, sogar, als seine Lebenslichter erloschen.
 

Ian stiegen die Tränen in die Augen, während er sich des toten Körpers zu entledigen versuchte. Doch es gelang nicht. Der Kiffer des toten Wesens hatte sich verkrampft und die Zähne ließen sich nicht von seiner Schulter lösen, die wie Feuer brannte.
 

Die anderen Orks heulten auf, gerieten allmählich in einen Blutrausch, denn sie näherten sich dem Jungen. Ian wich zurück, geriet dabei wieder an den Rand des Abgrundes. Er versuchte sich von dem Ork zu befreien, mit aller Kraft, die er noch hatte. Ein stechender Schmerz durchzuckte ihn, als eine Speerspitze sich in seine Seite bohrte. Wieder schrie er auf. Blind vor Schmerz merkte er nicht, wie er einen weiteren Schritt zurück wich. Er verlor den halt und taumelte zurück. Seine Füße verloren den festen Boden unter den Füßen und er fiel.
 

Doch sein Sturz wurde gebremst, als die Orks herbei stürmten und die Beine ihres toten Artgenossen packten. Ian sah zu ihnen auf. Reflexartig hatte er sich an dem Leichnam festgehalten. Doch nun sah er seinen Tot kommen. Langsam wurden er und die Leiche hoch gezogen, doch Ian war nicht bereit von diesen üblen Geschöpfen gefressen zu werden.
 

Er schloss die Augen und bat Fynn um Vergebung, das er sie nicht hatte beschützen können. Er ließ den Ork los und kurz darauf spürte er, wie sein Gewicht ihn von dem festen griff des Ork-Kiffers befreite. Er schrie ein letztes Mal auf, als er mit einer klaffenden Wunde in der Schulter in die Tiefe stürzte.
 

***
 

Als Lorgren Fynn erreicht, hörte er den Schrei zu ihnen hallen. Kurz darauf erklang das empörte Heulen unzähliger Schwarz-Orks. Fynn riss die Augen weit auf und sah zu dem Wüstenreiter, der alleine zurückgekehrt war. „I-ian“, wimmerte sie. Lorgren wand den Blick ab und sah den Weg zurück, den er gekommen war. Der Junge war tot, dachte er und betet für dessen Seelenheil.
 

Als er zu Fynn sah, weinte das Mädchen bitterlich und hatte sich gegen den Hals des Wüstenhengstes gedrückt. Er konnte nur erahnen, wie tief ihr Schmerz war, nach dem Verlust des Wirtssohns. Das Gesicht des Mädchens war tränennass und von tiefem Schmerz verzerrt. Der Wüstenhengst wand seine Aufmerksamkeit dem Mädchen zu, als wolle er versuchen sie zu trösten.
 

Lorgren wand sich erneut dem Pfad zu und kniff die Augen leicht zusammen. Er selber konnte sich nicht mit dem Verlust eines Gefährten beschäftigen. Seine Aufgabe war es für die Sicherheit des Mädchens zu sorgen. Sie war die Hoffnung seines Reiches und unzähliger anderer. Sie musste schnell aus dem Gebirge geschafft werden, bevor die Orks sie noch erreichten.
 

„Wir müssen weiter“, sagte er ernst, führte die Stute neben seinen Hengst und berührte die bebende Schulter des Mädchens. Sie sah ihn verweint an, schluchzte bitterlich, während ihr die Tränen in Bächen über die Wangen liefen. Lorgren hielt dem Blick mit einiger Mühe stand. Er erkannte, dass ihr die Kraft für den langen Ritt fehlte.
 

Der Wüstenreiter wechselte auf sein Tier zurück, nahm Fynn zwischen sich und den Hals des Wüstenhengstes. Die Zügel der Stute befestigte er am Sattel und ritt so weiter. Den ganzen Weg über schluchzte Fynn, während sie sich gegen den Mann aus der Wüste presste, um etwas Trost zu finden. Lorgren wusste nicht, ob er der Richtige dafür war, der ihr dies geben konnte, doch merkte er, dass das Mädchen sich allmählich beruhigte und der Müdigkeit wegen einschlief.
 

So verlief der gesamte Tag, bis zum Abend. Lorgren ritt weiter. Sie waren zwar weit von dem Platz des Überfalls entfernt, dennoch konnte er das Risiko nicht eingehen, das die Orks sie immer noch verfolgten. So ließ er sie weiter reiten. Tier und Reiter waren erschöpft. Spät in der Nacht ließ Lorgren sie schließlich doch rasten. Fynn fand rasch wieder schlaf. Hengst und Stute legten sich ebenso schnell zur Ruhe. Nur der Wüstenreiter blieb auf, um Wache zu halten.
 

Trotz seiner eigenen Erschöpfung hielt Lorgren stur Wache. Er hatte Ian das Versprechen gegeben auf Fynn zu achten und er würde diesen Schur folge leisten, bis sein Leben ausgehaucht war. Bisher hatte er noch jeden Eid und Schur gehalten. In seinem Clan galt jeder Eidbrecher als Feigling und wurde verband. Jemand, der einen Eid nicht erfüllen konnte, konnte in der Wüste auch nicht überleben, sagte man. Lorgren zweifelte an diesen Worten, doch wäre eine Verbannung für ihn Schlimmer als der Tot. Der Clan war seine Familie, die er über alles schätzte und verehrte. Bei seinem Clan war er geboren worden, war zum Mann gereift und wurde zu einem Wüstenreiter ausgebildet, einem *Überlebenskünstler und Krieger, der hohes Ansehen genoss. Der Gedanke, dass er vielleicht irgendwann nicht zu seinem Clan zurückkehren könnte, ließ ihn immer wieder erschauern.
 

Lorgren schreckte aus seinen Gedanken auf, als er leise Geräusche hörte. Besorgt stellte er fest, dass sie sehr nahe waren. Er war zu unaufmerksam gewesen, tadelte er sich sofort, während er aufsprang und zu Fynn schlich. Das Mädchen schlief immer noch, schien zu träumen, denn eine kummervolle Träne lief ihr über die Wange. Sie träumt von Ian, erkannte der Jerisane.
 

„Wach auf“, flüsterte er ihr ins Ohr.
 

Die Halbork öffnete flatternd die Augen, denn der Schlaf hatte sie noch fest in seinem Griff. „Was..“, setzte sie an zu sprechen, doch Lorgren legte ihr einen Finger auf die Lippen, damit sie Schwieg. Fynn sah ihn verwirrt an, bis sie selber erkannte, dass Gefahr in Vollzug war. Ihre Augen weiteten sich vor Angst, als auch sie mit ihrem feinen Gehör die Geräusche hörte.
 

Lorgren wies sie an zu den Pferden zu gehen, während er darauf achtete, dass sie nicht überfallen wurden. Er schlich zu einer der Biegungen, von der die Geräusche kamen. Er lehnte sich dicht an die Felswand, um den Gegnern nicht die Gelegenheit zu geben, ihn zu entdecken und frühzeitig gewarnt zu werden.
 

Die Geräusche kamen immer näher und der Jerisane hörte Schritte und Stimmen, die näher kamen. Er lauschte genauer hin. Es war ein Gespräch im Gange, aber Lorgren konnte nicht verstehen, was die Fremden da sprachen. Sie sprachen in einer ihm unbekannten Sprache. Waren es wohlmöglich Händler die aus Helios kamen und sich in den Bergen verirrt hatten? Nein, das waren sicher keine Händler, erkannte er von selbst. Sie wären durch den Querpaß, der durch das Gebirge verlief und Helios und Jeris verband gereist. Dort konnte man sich unmöglich verirren. Doch wer nahte dann da? Freund oder Feind?
 

Die Schritte halten nur noch wenige Schritte von Lorgren wieder und der Wüstenreiter zog den Krummsäbel aus der Scheide. Eine Gestalt kam um die Biegung gebogen. Lorgren sah, das sie ihm nur bis zum Bauch reichte, dafür über aus breit und stämmig war. Im Mondlicht blitzte der Stahl auf, der den Körper des Fremden umhüllte, wie auch die schwere Axt, die auf dessen Schultern ruhte und der gehörnte Helm. Doch besonders fiel der lange Bart auf, der dem Fremden bis zur Hüfte ging.
 

Schnell sprang Lorgren aus seinem Versteck und richtet die Klinge seiner Waffe auf das kleine Geschöpft. Dieses, wie auch seine Kameraden, die grade um die Biegung kamen, schraken überrascht auf und zogen ihre Waffen. „Wer bist du?“, knurrte der erste, dem der Mann aus der Wüste gegenüber stand. „Was machst du hier?“
 

Der Wüstenreiter antwortet nicht sofort, sondern nahm die Gestalten genauer in Augenschein. Als er erkannte, wen er vor sich hatte, senkte er nur minimal seine Klinge. „Zwerge“, murrte er zur Antwort.
 

Die Zwergengruppe sah den Mann einige Augenblicke misstraurig an, bevor sie ihre Waffen sinken ließen. „Ein Wüstenbewohner“, brummte der Zwerg vor Lorgren und stemmte sich auf den Stiel seiner Waffe. „Euch trifft man verdammt selten hier oben an.“ Der Zwerg sah ihn kritisch von oben bis unten an. „Ist vielleicht auch besser so.“
 

Lorgren hätte sich beleidigt fühlen sollen, doch wusste er, dies zu unterdrücken. Es waren schließlich Zwerge und die hatten keine Ahnung von guten Manieren. Er funkelte lediglich den Zwerg kurz an, bevor auch er seine Waffe verschwinden ließ. Er wand sich von den kleinen Kriegern ab und marschierte zu Fynn.
 

Das Mädchen saß bereits auf ihrer Stute und war bereit sofort davon zu reiten. Als sie Lorgren sah, fragte sie: „Was ist los?“
 

„Es sind nur Zwerge“, meinte der Wüstenreiter und deutet ihr an, dass sie aus dem Sattel kommen sollte. Das Mädchen gehorchte, hielt sich aber weiter bei den Pferden auf.
 

„Da ist ja noch einer“, hörte der Wüstenreiter den Zwerg sagen, während die Zwergengruppe in das kleine Lager der beiden einmarschierte. „Los, Jungs. Wir schlagen hier unser Lager auf. Die beiden werden sich sicher über Gesellschaft freuen.“
 

„Ihr braucht euch nicht erst die Mühe machen“, sagte Lorgren und wand sich den Zwergen zu. Ein erster Überblick ließ ihn zehn bis an die Zähne bewaffnete Zwerge zählen. „Ich und meine Gefährtin werden sofort aufbrechen.“
 

„Hm?“ Der Zwerg sah ihn neugierig an. Sein Blick fiel auf Fynn und er erkannt sofort ihr Erbe. „Ah, verstehe. Bist wohl Sklavenhändler, wie? Na, keine Angst: Wir werden dir dein Mädchen schon nicht wegnehmen, obwohl wir nicht viel übrig haben für Sklavenhändler. Ist schließlich nur ne Halbork.“
 

Lorgren funkelte den Zwerg an, dessen Bart so grau wie Stein war. „Sie ist nicht meine Sklavin, Zwerg“, zischte er ihn an.
 

„Nicht?“, fragte der Zwerg und sah zwischen den beiden hin und her. „Hast Recht. Dafür trägt sie zu gute Kleider.“ Er runzelte darauf die Stirn. „Aber was suchst du dann hier oben? Kann mich nicht erinnern, dass das hier einer der üblichen Wanderwege der Menschen ist.“
 

„Wir sind auf dem Weg in die Wüste“, erwiderte der Jerisane nur, bevor er sich umwand und zu Fynn ging.
 

„Aha“, kam der trockene Kommentar des Zwerges. „Dennoch versteh ich nicht, was ihr hier oben sucht. Es wäre das Beste, du würdest uns das mal rasch erklären, Mann aus der Wüste.“
 

„Dafür habe ich keine Zeit“, knurrte Lorgren, als er Fynn wieder auf das Pferd half.
 

„Die musst du dir wohl nehmen“, sagte der Zwerg seelenruhig, während seine Kameraden das Lager aufschlugen. Er deutete zwei von ihnen an, Lorgren und Fynn zu umzingeln. „Das ist mein Sicherheitsbereich und ich kann euch nicht einfach ziehen lassen, ohne zu wissen, was ihr hier macht.“
 

Lorgren beachtete die beiden Zwerge nicht, die ihn und Fynn umstellten. Sein Blick hing allein auf ihren Anführer, der sich ruhig durch den grauen Bart strich. Dieser bedrohte so eben seine Mission, die für das Schicksal aller Völker so wichtig war. Er vermutete stark, dass den Zwergen dies ziemlich egal war. Lieber lebten die Zwerge unter der Erde und wühlten nach Schätzen, die sie in ihren Schmieden veredelten.
 

„Das geht dich nichts an, Zwerg“, sagte Lorgren kalt und legte die Hand an den Griff des Krummsäbels, Die Zwerge zu beiden Seiten machten sich kampfbereit.
 

„Ganz ruhig, Großer“, sagte der Zwergenanführer. „Wenn dir dein leben lieb ist, solltest du lieber kooperieren. Ich will nur wissen, was du in unseren Bergen suchst.“
 

„Lorgren“, hörte der Wüstenreiter die ängstliche Stimme Fynns. Er wand sich ihr zu und begegnete ihrem Blick. Er sah die stumme Bitte, keine Dummheiten zu begehen. Er nickte leicht, wand sich wieder den Zwergen zu, doch löste er nicht den Griff um seiner Waffe.
 

„Na raus mit der Sprache“, wies ihn der Zwerg an. Lorgren zögerte noch. Er wusste nicht, ob er diesen Zwergen vertrauen konnte. Schließlich könnte es sich um Agenten Otomors handeln, die auf der Suche nach Fynn waren. Zwar wusste er, das Otomor keine Mitglieder anderer Völker in den Reihen Skorms Klingen hatte, doch man konnte nie wissen.
 

Zu seiner Überraschung hörte er Fynn sprechen. „Wir sind auf dem Weg zum Herzschwert.“
 

***
 

Fynn saß am großen Feuer der Zwerge und genoss die Wärme, die davon ausging. Sie hatte dem Zwerg, der sich als Broko Nuggetbeiser vorgestellt hatte, den Sinn und Zweck ihrer Reise durch die Berge in wenigen Worten geschildert. Sie hatte genau die gleichen Worte dafür verwendet, die Lorgren einst verwendet hatte, um ihren Onkel aufzuklären. Broko und seine Zwerge hatten neugierig ihren Worten gelauscht und gelegentlich genickt. Lorgren hatte sich die ganze Zeit über im Hintergrund gehalten und geschwiegen. Sie wusste, dass er wütend auf sie war. Schließlich sollte die Reise geheim blieben. Doch Fynn hatte die freundliche Wärme der Zwerge im Schwertanhänger gespürt. Sie vertraute den kleinen Männern.
 

Broko hatte gesagt, das er und seine Leute sie in eine Siedlung ihres Volkes bringen würde, wo sie ihren Proviant aufstocken und sich ausruhen konnten. Fynn hatte ihm dafür gedankt. Lorgren hatte nur widerwillig zugestimmt. Fynn vermutete, das der Wüstenreiter lieber wieder unterwegs wäre, statt mit den Zwergen zu gehen. Als sie ihn gefragt hatte, was sei, war er ihr ausgewichen und hatte sich um die Pferde gekümmert. Niedergeschlagen hatte sie ihm nach gesehen.
 

Nun saß sie allein am Feuer und hing ihren Gedanken nach. Eine einzelne Träne lief ihr über die Wange, als sie an Ian dachte. Er war tot. Sie schloss die Augen und unterdrückte ein Schlurzen. Sie konnte es immer noch nicht glauben. Der immer gutgelaunte Ian weilte nicht mehr unter ihnen. Er hatte sie auf Ewig verlassen. Nun weilte er unter den ewigen Seelen anderer Verstorbener, in den Sphären der Götter. Der Schmerz des Verlustes saß tief in ihr. Noch vor einem Tag hatte er sich noch mit ihr unterhalten und nun war er weg, für immer. Wie hatte das alles nur geschehen können? Wie konnte das Schicksal nur so grausam zu ihr sein? Wie sollte sie ohne die aufbauenden Worte des Wirtssohnes nur die lange Reise überstehen können?
 

Ihre Gedanken schweiften zu Roland und Marta, die ihr Leben in Steindorf führten. Sie wussten nichts von dem Schicksal ihres Sohnes, gingen sicher davon aus, dass der junge Mann an der Seite der Halbork saß und sich vergnügt mit ihr unterhielt. Wenn sie nur wüssten, dachte Fynn. Marta würde es das Herz brechen, von dem Verlust ihres Sohnes zu hören. Und Roland? Er würde nicht mehr lachen können, wie man es von ihm gewohnt war. Beide wären sicher am Boden zerstört. Ian war ihr einziges Kind gewesen und beide hatten gehofft, Ian würde eines Tages das Gasthaus übernehmen. Doch so würde es nie kommen. Ian war ihnen genommen worden, von einer Horde Schwarz-Orks, die ihre Blutgier an dem jungen Mann gestillt hatten.
 

„Hier“, erklang eine Stimme wie polternde Steine zu ihrer rechten. Sie wand sich dem Sprecher zu und erkannte einen der anderen Zwerge. Er trug keinen Helm, wie die anderen Zwerge. Er war der einzige, dessen Bart so weiß wie Schnee und dessen Haupt kahl, wie das ihres Onkels war. Sein Gesicht wirkte Hart wie der Stein, den er unter der Erde abbaute, doch seine Augen strahlten in einem freundlichen Blau. Er hielt in einer Hand eine Schüssel mit dampfendem Eintopf und in der anderen einen Leib Brot.
 

„Danke“, murmelte das Mädchen und nahm den Eintopf entgegen. Der Zwerg nickte stumm und setzte sich zu ihr. Er brach das Brot und reichte ihr eine Hälfte, während er sich über die andere her machte. Schweigend aßen die beiden und sahen in das flackernde Feuer.
 

„Du bist die Hüterin“, brach der Zwerg mit seiner tiefen Stimme das Schweigen. Dabei sah er sie an, als wollte er versuchen in ihr Innerstes zu sehen.
 

Fynn senkte die Augen unter diesen eindringlichen Blick. Ihr war es unangenehm, plötzlich so viel Aufmerksamkeit zu genießen. Sie war es nicht gewohnt. „Lorgren sagt, ich wäre es“, sagte sie schüchtern. Als sie es wagte den Blick zu heben, sah der Zwerg längst wieder ins Feuer und schien nach zu denken. In der Miene des Zwerges konnte sie keine Regung ausmachen. Sie wirkte wie eine Maske aus Stein. Sie wusste, dass die Zwerge den Stein liebten und fragte sich, ob sie vielleicht aus welchem bestanden.
 

Der Zwerg räusperte sich und sah sie wieder an, diesmal nicht mehr so eindringlich. „Das ist unglaublich“, brummte er. „Eine Halbork soll die Hoffnung Konass sein. Zudem eine, die dem Volk ihres Vaters nur so wenig ähnlich ist. Da soll mich doch ein Stein überrollen.“ Der Zwerg grinste und schüttelte leicht den Kopf. „Wirklich unglaublich.“
 

Der Zwerg sah sie wieder an, während er von seinem Brot abbiss. „Und wieso?“, fraget Fynn, die sich im Moment etwas beleidigt fühlte. Sie wusste, dass sie nicht kräftig war, aber sie konnte es nicht auf sich sitzen lassen, dass man sie verspottete.
 

Der Zwerg sah sie wieder an, während er von seinem Brot abbiss. „Weil davon nichts in den Legenden steht“, sagte er schlicht. „Und es gibt hunderte von Legenden über das Herzschwert, Mädchen. Das kann ich dir sagen. Ich kenne zwar nicht alle, aber die ich kenne, erwähnen kein Mädchen, das Konass Hoffnung bringen wird.“
 

„Legenden?“ Sie sah ihn fragend an.
 

Der Zwerg nickte. „Jupp. Das Herzschwert ist eine legendenumwobene Waffe. Wir Zwerge, ob jung, ob alt, kennen sehr viele. Unseren Kindern erzählen wir sie und unsere Priester studieren sie.“ Er wand seine Aufmerksamkeit dem Feuer zu. „Und nicht nur die unseres Volkes. Die Legenden der Menschen studieren sie auch genau. Du musst wissen, alle magischen Waffen erregen die Aufmerksamkeit der Zwerge. Im Grunde alle magischen Werkarbeiten, die aus Erz gemacht wurden. Die restliche Magie interessiert uns nicht im Geringsten.“
 

Sie nickte verstehend. Fynn konnte sich erinnern, das einer der Trödler mal erzählt hatte, das die Zwerge große Handwerker und Schmiede waren. Mit Magie konnten sie gar nichts anfangen. Höchstens mit der, die man zur Herstellung von Waffen und Rüstungen gebrauchen konnten. Die einzige Magie die das stämmige Volk ausübte war die ihrer Götter.
 

„Fynn“, erklang die Stimme Lorgrens hinter den beiden. Die zwei wandten sich um und erblickten den Wüstenreiter, der auf sie zukam.
 

Als er bei ihnen stehen blieb, fragte das Mädchen: „Ja? Was ist?“
 

„Du solltest dich schlafen legen“, sagte der Jerisane ernst, wobei er den Zwerg keine Beachtung schenkte. „Es wird morgen ein langer Weg werden. Der Zwerg will früh aufbrechen.“
 

„Das ist eine gute Idee“, brummte der Zwerg mit dem weißen Bart. Er erhob sich und streckte sich einmal, bevor er sich würdevoll vor Fynn verneigte. „Du solltest auf den rat deines Freundes Hören, Hüterin. Selbst mit dem Pferd wird es nicht weniger erschöpfend.“ Er verneigte sich noch einmal, wünschte eine ruhige Nacht und ging davon.
 

Fynn sah dem Zwerg nach. Sie mochte ihn. Er schien ein freundlich Geselle zu sein und ihr Anhänger riet ihr, ihm zu vertrauen. Das würde sie tun. Darauf wand sie sich Lorgren zu, der ungerührt an Ort und Stelle stand, wie zuvor. Sie erhob sich und nickte ihm zu, bevor sie zu ihrem Schlafsack ging.
 

Sie legte sich zur Nacht nieder und kuschelte sich in den warmen Schlafsack rein. Sie wusste nicht, ob sie ruhen konnte. Nicht mit der Gewissheit, das sie von Ians Tot träumen würde. Doch die Wärme ihres Anhängers vertrieb rasch diese Zweifel, denn die Wärme lullte sie von neuen ein und ließ sie rasch einschlafen. Die Götter meinten es gut mit ihr, denn sie wurde von keinen Träumen in dieser Nacht geplagt.
 

***
 

Von seinem Platz aus betrachte die in eine weite braune Robe gewandete Gestalt das Lager der Zwerge. Niemand hatte seine Gegenwart gespürt, nicht einmal der aufmerksame Jerisane, der nah am Schlafplatz der kleinen Halbork Wache hielt. Das Mädchen selbst schlief schon tief und fest, was die Gestalt von ihrem Aussichtspunkt, einem hohen Sims, der in einer der unzähligen Steilwände lag, sehen konnte. Ihr kleines Abenteuer mit den Schwarz-Orks hatte sie sehr erschöpft, besonders, als ihr Freund, der junge Mann, die Klippe abgestürzt war. Die gestalt fühlte mit ihr. Jeden traf es schwer, wenn ein geliebter Mensch einem so brutal genommen wurde.
 

Nachdenklich strich sich die Gestalt über den langen weißen Bart, der aus der Kapuze seiner Robe hervor lugte. In ihr ruhte die Hoffnung aller freien Völker, das wusste er genau, doch konnte er nicht mehr unternehmen, als sie zu beobachten und ihr etwas auf die Sprünge zu helfen. Wie gerne würde er sich jetzt zu ihr begeben und in seien Obhut nehmen, doch sie war noch nicht so weit. Sie musste noch viel lernen und viele Gefahren auf sich nehmen, bevor sie den Weg zu ihm antreten konnte. Die Hüterin des Herzschwertes hatte eine lange Reise vor sich, dessen Ende selbst ihm verborgen blieb.
 

Mit einem Ächzen erhob sich der Alte und rieb sich die steif gewordenen Gelenke. Er nahm den knorrigen Stab, denn er zuvor auf seinem Schoss hatte liegen gehabt, in die Hand und stützte sich auf diesen. Langen Schritten suchte er seinen Weg herunter von dem Sims. Kleine Stufen ragten aus dem Stein, die er geschwind herunter huschte. Er hätte es einfacher gehabt von dem Sims zu kommen, doch ein kleiner Spaziergang würde seinem alten Körper sicher nicht schaden. Schnell hatte er die Stufen überwunden und erreichte eine Talsenke. Er klopfte mit seinem Stab auf eine der Stufen und wie durch Geisterhand versanken sämtliche Stufen in der Felswand.
 

Der Magus sah zufrieden dabei zu, wie seine Magie den Stein veränderte. Kurz darauf wand er sich von der Felswand ab und folgte einem verlassenen Trampelpfad, der seit Jahrhunderten von niemanden mehr benutzt worden war. Nicht einmal die Zwerge kannten ihn, die behaupteten, ihre Berge besser zu kennen, als jeder andere. Über diesen Fehler sah der alte Magier gerne hinweg, denn wie auch die Menschen, konnten sich auch die Zwerge irren.
 

Der Weg führte ihn tiefer in die Berge hinein, weiter runter in dessen dunkle Tiefen, in denen viele lichtscheue Geschöpfe hausten. Als die Dunkelheit immer weiter zunahm, ließ der Magus eine Lichtkugel vor sich erscheinen, die ihm den Weg beleuchten sollte. Rotglühende Augenpaare wichen vor dem ungewohnten Licht zurück in ihre Verstecke. Nur wenige blieben, um den fremden Gast zu beäugen. Der Magus ließ sich davon nicht beunruhigen, denn keins dieser Wesen konnte ihm im Entferntesten gefährlich werden.
 

Der Weg führte ihn bis in eine Schlucht, in der ein ausgetrocknetes Flussbett lag. Er ließ das Licht noch heller scheinen, um einen besseren Überblick zu erlangen. Sein prüfender Blick entdeckte nichts ungewöhnliches, weshalb er weiter wanderte. Lange Zeit schritt er den Lauf des trockenen Flusses ab, bis er das fand, was er gesucht hatte.
 

Mit schnellen Schritten war er bei dem regungslosen Körper, der verkrümmt auf einem Felsen lag und von dem man nur erahnen konnte, was es einst gewesen war. Der Blick war gen Himmel gerichtet. Sämtliche Knochen im Leib waren gebrochen, wie man auf den ersten Blick schon feststellten konnte. Einige der hiesigen Tiere hatten sich bereits an seinem Fleisch gütig getan, bevor der Magus erschienen war. Als der Alte sich vorbeugte und sein Ohr an den Mund des geschundenen Wesens legte, spürte er kaum merklich den Atem der armseligen Kreatur. Er lebte noch, zwar grade so, aber es würde reichen.
 

Der alte Magier stieß den Leib mit seinem Stab an, worauf ein gurgelnder Laut aus der Kehle des Geschöpfes kam. Sie lebte und spürte noch etwas. Es wurde immer besser. Rasch krempelte der alte Magier die Ärmel seiner Robe hoch und schloss die Augen. Leise fing er an einen aufwendigen Zauber zu sprechen. Plötzlich aufsteigender Wind bauschte den Stoff seiner Robe auf. Blaue Energie knisterte in den Händen und dem Stab des Magus auf, während seine Worte immer lauter wurden, das sie durch die ganze Schlucht halten.
 

Die gesamte Energie fing an sich im Stab des alten Magiers zu sammeln. Als er die letzte Silbe seines Zaubers gesprochen hatte, glühte der knorrige Stab in einem fahlen, blauen Licht. Der Alte öffnete seine Augen und sah sich das alte Stück genau an. Sein Zauber hatte wunderbar gewirkt. Nun musste er ihn nur noch anwenden.
 

Er stieß das geschundene Wesen leicht mit der Spitze seines Stabes an und das Licht des Stabs ging auf dieses über. Kein Laut kam von dem Wesen, als die Energie in es überging und seinen Körper das fahle Licht ausstrahlte. Der Magus beugte sich vor und betrachtet jede Stelle des Lichtes, bis er zufrieden nickte. Der gesamte Zauber war auf den Körper über gegangen. Nichts war in seinem Stab zurück geblieben.
 

„Nun, mein Junge“, sagte der Magus und tätschelte einen der gebrochenen Arme des Mannes. „Weiter kann ich dir leider nicht helfen. Aber sei unbesorgt. Mein Zauber wird dich vor allen Gefahren schützen, bis Hilfe eintreffen wird.“ Er legte ein freundliches Lächeln auf, wobei er wusste, dass der Mann kein Wort hören und ihn nicht sehen konnte. „Ach ja. Und deiner Freundin und dem Mann aus der Wüste geht es auch gut. Sie sind von verbündeten aufgelesen worden, die sich jetzt um sie kümmern werden. Du wirst sie bald wieder sehen, mein Junge.“ Noch einmal tätschelte er dem andern den Arm, bevor er sich abwandte und durch ein magisches Portal verschwand, das er mit einem Schwenk seines Stabes herbei gerufen hatte. Er musste sich keine Sorgen um den Burschen machen. Er würde bald von erfahrenden Männern und Frauen gefunden, die ihm die beste Pflege und Heilung zukommen lassen würden.
 

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Aviendha
2012-09-16T18:52:21+00:00 16.09.2012 20:52
Fynn tut mir echt leid. Was die in den letzten Tagen durchmachen musste... :(
Aber zum Glück wird's Ian ja bald besser gehen. ^^ Dachte ich mir doch, dass der so schnell nicht stirbt. Nya, in Fantasy-Geschichten glaube ich eh erst, dass jemand wirklich tot ist, wenn die Leiche gefunden wurde. :D
Deine Beschreibung der Kämpfe finde ich top gelungen. Du hast ein gutes Gespür dafür, wann du den Fokus auf einen anderen Charakter verschiebst.
Bin gespannt, wie es weiter geht. ^^
Von:  Nisichan
2010-09-13T23:22:17+00:00 14.09.2010 01:22
T___T Ian! Du gemeiner Schuft! Mir sowas anzutun! Mich einfach zum heulen zu bringen. Was fällt dir ein. Hast du ein Glück, dass du ihm den Magus geschickt hast, sonst hätte ich dir die Ohren lang gezogen >.<
Aber ich muss schon sagen, deine Kampfabhandlung war wirklich schön beschrieben, sehr dynamisch, hat mich voll mitgezogen. Sowas kannst du öfter bringen. Tust du höchstwahrscheinlich auch ^^ Deine Zwerge sind toll. Ich mag es sowieso wenn du Zwerge mit ins Spiel bringst ^^
Ich freue mich schon aufs nächste Kapitel.


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