Zum Inhalt der Seite

Step Into My World

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Step Forty-two… Love II

Es gibt nichts Schöneres als geliebt zu werden, geliebt um seiner selbst willen oder vielmehr trotz seiner selbst.
 

Victor Hugo
 

Mamoru Chiba
 

Es war ein Traumloser Schlaf und als ich die Augen aufschlug, warf die untergehende Sonne ihre orangen Strahlen in meine Wohnung. In meinem Kopf herrschte noch eine angenehme Stille und selbst wenn sie wieder da war, dann hatte Massanorie mir eine Kassette besprochen. Er hatte aufgenommen wie er aus einem Roman vorliest und gab sie mir, damit ich seine Stimme bei mir hatte.

Ein Teil von mir fand das so albern, so verrückt, aber der Teil in mir, der zurzeit überwog, der war unendlich dankbar.
 

Langsam richtete ich mich auf und sofort fiel mein Blick auf den Stoffbären welcher mich vom Tisch aus ansah. Er sah aus wie neu – seine Arme und Beine waren wieder festgenäht und sein Auge war auch wieder dran. Die blaue Schleife um seinen Hals war ordentlich gebunden und seine Knopfaugen sahen mich an, als wenn sie sich freuten.

Meine Hände griffen nach dem einzigen was mir geblieben war, dieser Bär hatte mir in etlichen Stunden Wärme gespendet und mir das Gefühl gegeben nicht allein zu sein. Ich fand das was Andrea mir erzählt hatte nicht albern, denn es war so. Wenn ich alleine war, dann war er da und wenn ich mich wieder nachts in den Schlaf weinte, dann spendete er mir Trost. Und wenn ich mich anstrengte, dann konnte ich, wenn ich ihn fest an mich presste und meine Nase in sein Fell vergrub, diesen Geruch von Flieder wahrnehmen und ich wusste tief in mir, dass das ihr Geruch war – dieser Geruch meiner Mutter war alles was mir geblieben war – ein Rettungsanker wenn ich völlig verloren war und ich redete mir ein, dass sie mich wirklich geliebt haben musste.

Und diesen Rettungsanker brauchte ich nun wieder. Ich drückte diesen letzten Rest einer Kindheit, die ich nicht kannte, an mich und presste mein Gesicht in das Fell meines Bären. Und ich konnte nicht anders als einfach nur leise zu weinen.

Ich war ganz allein und ich traute weder meinem Herzen noch den Worten von Menschen die mich vielleicht wirklich liebten. Und plötzlich fühlte ich mich wie damals – ich war ein Kind das man einfach allein gelassen hatte und niemand war da um mir zu sagen was ich jetzt tun sollte, der mich tröstete oder mich beschützte. Ich wollte doch nur verstehen, warum da niemand gewesen war – warum ich nicht gut genug war – nicht gut genug bin!

In mir war ein so tiefes Loch das selbst Massanories Liebesschwüre es nicht füllen konnten und ich wusste nicht wie ich es je füllen könnte.
 

Eine Hand strich mir durch die Haare, erschrocken zuckte ich zusammen und sah sie an, darauf bedacht mir die Tränen wegzuwischen. Vor anderen zu weinen, das hatte ich mir abgewöhnt, weil niemand meine Tränen sehen wollte, weil immer alle nur verärgert deswegen waren. Nur Massanorie durfte sie sehen – wenn ich es wollte.

Doch dann sah ich Andrea an und ich konnte sehen wie sie ebenfalls weinte. Völlig verständnislos sah ich sie an. Wieso weinte sie?
 

„Wie-wieso weinst du?“ kam es nur schluchzend von mir.

Sie schüttelte nur den Kopf und ein trauriges Lächeln huschte über ihre Lippen.

„Weil ich nichts tun kann. Weil mir das Herz zerspringt dich so zu sehen. Welche Mutter würde da nicht weinen…“

„Aber ich bin… ich bin keines deiner Kinder…“

Sie weinte weiter und sah mich mit einem Blick an, den ich noch nie zuvor bei jemand gesehen hatte der mich ansah. Ihre Hände strichen durch meine Haare und ich ließ es zu, weil ich diese Situation so seltsam fand. Und als sie mein Gesicht in ihre Hände nahm, da war da ein Gefühl, welches ich so nicht kannte, aber es fühlte sich so warm an, dass ich Angst hatte es könnte aufhören wenn sie mich losließ.

„Du dummer Junge. Du bist doch ein Teil meiner Familie und ich liebe dich, als wenn du mein eigen Fleisch und Blut wärst. Wie könnte man dich nicht lieben, du hast ein so wunderbares Wesen, eine solche Gutmütigkeit und einen unbändigen Stolz. In dir ist so viel Potenzial, soviel Liebenswürdigkeit und all das haben dir so viele Menschen versucht wegzunehmen. Und das ist nicht fair, es ist nicht fair, dass dich niemand beschützt hat, dass niemand da war um dir zu sagen, dass alles wieder gut wird. Das niemand dich in den Arm genommen hat um dir zu sagen, dass es ok ist wenn du einfach nur weinst…“

Sprachlos sah ich sie an und dann brach jeder Schutz den ich aufgebaut hatte seitdem ich ein Kind war, jede Mauer die ich errichtet hatte um mich zu schützen. Laut schluchzend sah ich sie an und weinte all die Tränen die sich seit Jahren angesammelt hatten. Ich spürte wie sich ihre Arme um mich legten und dann zog sie mich in eine tiefe Umarmung. Der Geruch von Zimt stieg mir in die Nase und die Wärme die sie ausstrahlte machte es mir unmöglich mich aus dieser Umarmung zu lösen.

Ihre Finger fuhren durch meine Haare und zogen mich in eine noch engere Umarmung und ihre leise Stimme drang zu mir.

„Es ist ok Mamoru. Ich bin ja da und ich verspreche dir, dass alles wieder gut wird. Ich liebe dich Mamoru und es wird alles wieder gut, ich passe auf dich auf.“

Immer und immer wieder wiederholte sie diese Worte und am Ende wollte ich sie wirklich glauben.
 

Andrea Lenjier
 

Das kalte Wasser zog sich in den Waschlappen den ich auswrang und ins Wohnzimmer brachte. Mamoru lag auf der Couch und rieb sich die Augen. Er hatte solange geweint, bis er keine Tränen mehr hatte. Aber ich glaubte das es gut war das er sich ausgeweint hatte, da waren so viele Tränen gewesen die er in sich hinein gefressen hatte und es war gut, dass er sie nun hinausgelassen hatte.

Mit einem Lächeln setzte ich mich neben ihn und griff nach seiner Hand die sich durch die Augen fuhr.

„Nicht reiben. Hier…“ ich legte den Waschlappen auf seine Augen. „Das hilft gegen das anschwellen der Augen. Dann brennt und juckt es auch gleich nicht mehr.“

Meine Finger fuhren durch seine Haare.

„Tut mir leid.“ Nuschelte er nur und schniefte wieder etwas.

„Du musst dich nicht entschuldigen. Alles was ich gesagt habe meinte ich auch und es ist alles ok, so wie ist.“

Mein Blick fiel auf die Uhr und ich seufzte leise.

„Du musst nicht hier bleiben… also… wenn du…“ „Mamoru?“ „Ja?“ „Alles gut. Ich habe nur geseufzt, weil ich weiß das Seijiro immer noch in der Firma ist und ich mir Sorgen mache. Das hat nichts mit dir zu tun.“

Lächelnd sah ich auf ihn hinunter und zupfte den Waschlappen wieder zu recht, weil Mamoru ihn sich von den Augen gezogen hatte um mich anzusehen.

„Ich bin mal eben in der Küche und mache uns etwas zu essen.“

„So richtig Hunger…“ „…hast du.“ Beendete ich seinen Satz und drückte seine Hand. „Du hast Massanorie doch versprochen was zu essen. Und ich möchte das auch.“

Langsam stand ich auf und wollte mich gerade umdrehen und gehen, als ich Mamoru betrachtete und ich nicht anders konnte. Noch einmal zupfte ich an dem Waschlappen, beugte mich hinunter und küsste ihn sanft auf die Stirn. „Alles wird wieder gut.“ Flüsterte ich nur bevor ich in die Küche ging.
 

Ich setzte eine Suppe auf und etwas Reis. Für mich machte ich etwas Milchreis, ein Unding wie Seijiro es nannte. Doch meine Gedanken drehten sich nur um Mamoru und ihn mir stieg diese tiefe Traurigkeit auf und ich fragte mich, was ich tun konnte. Ob es reichte, dass ich da war.

Mein Blick richtete sich auf die Stadt und die all die Lichter die sich langsam entzündeten und die Stadt selbst im Dunkeln hell erleuchtete.

Ob Mamoru uns hassen würde, wenn wir es ihm sagten?

Ob er dann vielleicht wirklich denken würde, dass dies der Grund für unsere Sympathie wäre?

So viele Fragen und keine Antworten.

Aber es brachte nichts! All die Fragen, all meine Zweifel, all meine Reue – sie halfen Mamoru nicht. Also weg damit!

Ich atmete tief ein und aus bevor ich mich zusammenriss und das tat was ich konnte und in diesem Moment war das kochen.
 

„Was machst du?“

Erschrocken fuhr ich zusammen, so sehr war ich in Gedanken versunken.

„Mamoru!“ ich lachte leise und atmete tief aus. „Hast du mich erschreckt.“

„Tut mir leid.“ Er zupfte an seinem Shirt herum. „Ich gehe besser wieder.“

„Mamoru?“ Er sah mich an. „Die Antwort auf deine Frage ist kochen. Eine Misosuppe und Reis für dich und Milchreis für mich.“

Er musterte mich. „Was ist denn Milchreis?“

Ich lachte leise und lächelte ihn an. „Das ist etwas sehr leckeres – für mich. Seijiro sagt, es wäre schrecklich Reis so zu behandeln. Er findet es eklig und sehr unjapanisch!“ Ich hob einen Zeigefinger hoch und ahmte meinen Mann nach, wie er mir eine Predigt über Essgewohnheiten in Japan hielt. Mamoru lächelte etwas und setzte sich auf einen Stuhl.

Fast wollte ich meinen, dass er meine Nähe suchte, aber vielleicht bildete ich mir das auch nur ein.

„Willst du gleich mal probieren? Wenn du nämlich auf Süßes stehst, dann könnte es dir eventuell doch schmecken.“

Skeptisch sah er mich an. „Was ist da denn drin?“

„Wenn du willst kannst du mir zusehen wie ich es mache.“

Einen Moment schwieg Mamoru, aber dann nickte er nur, stand auf und schaute mir zu.

„Also zuerst nehmen wir eine Vanilleschote, halbieren sie und streifen das Vanillemark ab und geben es in die Milch. Das ganze bringen wir dann mit dem Zucker zum Kochen.“ Mamoru nickte und sah mir zu. „Was ist denn eigentlich dein Lieblingsessen?“ Mein Blick haftete auf der Milch, damit sie nicht überkochte.

„Ich mag alles gern.“ Kam es automatisch von ihm.

„Hmm. Und wenn du dich entscheiden musst.“

Jetzt schwieg er.

„Entschuldige, du musst es mir nicht sagen. Aber ich dachte nur es wäre doch nett wenn ich es wüsste, dann könnte ich das mal für dich kochen. Für die anderen koche ich ja auch oft was sie besonders gern mögen.“

Aus den Augenwinkeln sah ich Mamoru kurz an, doch er schien zu überlegen. „Die Milch kocht.“ Kam es schließlich nur leise von ihm.

Anscheinend war Mamoru es gewöhnt sich anzupassen, bloß keine Wünsche oder Vorlieben haben. Ich zog den Topf von der heißen Platte und nahm den Reis in die Hand. „Jetzt geben wir den Reis in die Milch und etwas Gries, weil das kein Milchreis ist, sondern normaler Reis. Da brauchen wir etwas zur Unterstützung, damit das ganze etwas klebrig wird. Und dann lassen wir das ganz langsam köcheln.“

Ich schälte zwei Äpfel, hackte sie klein und briet sie in Butter, Puderzucker und Zitrone an, dann streute ich noch Zimt darüber und ließ alles köcheln, bis die Äpfel weich waren und die Soße eine Sirup-Konsistenz bekam.

Der Milchreis war fertig und hatte nun eine gute Temperatur zum essen bekommen. Ich teilte das Ganze in zwei Schalen, mischte einen Teil der Äpfel unter und gab den Rest über den Milchreis. Mamoru hatte mir die ganze Zeit schweigend zugesehen und zugehört. Aber er schien in Gedanken zu sein.
 

Etwas skeptisch betrachtete Mamoru das Schälchen vor ihm. Wir saßen an dem kleinen Küchentisch und ich war mir eigentlich sicher, dass Mamoru wie Seijiro nicht besonders auf den Geschmack stand. Aber die Misosuppe war fertig und auch ein bisschen Reis als Beilage dazu, wenn er es nicht mochte.

Ich nahm einen Löffel und war wirklich zufrieden mit meiner Kochkunst. Ich wollte mich ja nicht selber loben, aber mein Milchreis war einsame Spitze.

Schmunzelnd sah ich Mamoru zu wie er den Milchreis probierte.
 

Massanorie Lenjier
 

„Mum wird sich schon Sorgen machen.“ Mein Blick schweifte zu meinen Vater, der am Steuer saß und gerade vor einer roten Ampel hielt.

„Ja wahrscheinlich. Aber sie weiß, dass es wichtig war heute mitzukommen und die nächsten Tage eben auch. Der Jahresabschluss macht sich nicht von alleine und zu zweit geht es eben noch schneller.“

Ich nickte nur und bewegte meinen Kopf langsam hin und her. Mein Nacken brachte mich um und wusste, so langsam konnte ich bei aller Liebe nicht mehr auf der Couch schlafen.

Ob Mamoru heute etwas gegessen hatte – obwohl meine Mutter bei ihm war?

Hoffentlich hatte sie ihn nicht zu sehr bedrängt.

„Du brauchst Schlaf.“ Ich seufzte und nickte.

„Ja ich weiß.“ War alles was ich dazu sagte.
 

Wir saßen schweigend nebeneinander. Ja wir verstanden uns viel besser seit der Sache mit Mamoru und ich fand es gut in ihm eine Unterstützung zu haben, auch wenn ich es manchmal noch komisch fand. Wir sprachen uns mit jedem Tag etwas mehr aus und wir akzeptierten, dass wir beide nicht so gut über Gefühle und Fehler sprechen konnten – jedenfalls nicht miteinander. Mein Vater meinte nur, dass ich diese schlechte Eigenschaft von ihm hätte. Stimmte wohl, wobei wir uns ganz gut schlugen fand ich.

„Vielleicht kann deine Mutter heute bei Mamoru bleiben und du fährst nach Hause…“

„Ich glaube das ist keine gute Idee. Mama wird ihn sicherlich bemuttern und Mamoru mag sowas doch nicht und es könnte ihn wieder zurück werfen, wenn ich nicht da bin.“

„Ja… sie macht sich eben immer Sorgen, gerade um ihn.“ Wir bogen in die Straße von Mamorus Apartment ein. „Du weißt, dass sie ihn mag und dass sie sich nur Sorgen macht?“

Ich nickte und lächelte. „Kommst du mit hoch? Mamoru schläft sowieso und Mum freut sich bestimmt, wenn du sie Gentleman-Light oben abholst.“

„Als Wiedergutmachung weil es statt 18 Uhr, 23:46 Uhr geworden ist?“

„Jepp.“ „Gute Idee.“ Wir lachten beide etwas und ich musste mich zusammenreißen um eine Gähnen zu unterdrücken.
 

Ich rechnete damit, dass meine Mutter alleine im Wohnzimmer saß und Mamoru wie immer schlief. Aber als ich die Wohnung betrat hörte ich ihre Stimme und zuerst dachte ich sie würde eventuell telefonieren, aber als ich dann das Wohnzimmer betrat stockte ich.

Mamoru saß auf der Couch und hörte meiner Mutter zu, während diese in eine Näharbeit vertieft war – keiner von beiden bemerkte uns.

„… Massanorie zum Beispiel hat sehr spät Fahrrad fahren gelernt, erst mit zehn, weil die anderen Kinder ihn gehänselt haben. Und dann hat sein Großvater, also mein Vater, ihm es im Sommer beigebracht und es lief alles toll, bis er merkte, dass er nicht wusste wie man bremst und dann ist er mitten in ein Feld mit Brenneseln gefahren. Oh Mamoru, du hättest ihn sehen müssen, gekratzt hat er sich. Er hat sogar einige Narben davon behalten und zwar…“ „Mum!?“
 

Mamoru sah zuerst mich an und lächelte matt, aber als er meinen Vater sah, schreckte er hoch und wirkte angespannt. Mein Vater lächelte Mamoru an, doch dieser wich seinem Blick aus, zupfte an seinem Pullover und stand unschlüssig vor dem Sofa. Meine Mutter jedoch lächelte nur.

„Na ihr beiden. Da habt ihr euch aber Zeit gelassen.“ Sie legte eine Hose von Katrin weg, die sie gerade geflickt hatte.

Ich nickte nur und suchte Mamorus Blick. Das ihn die Gegenwart meines Vaters so nervös machte überraschte mich etwas, schließlich hatten die beiden sich eigentlich gut verstanden, aber nun schien Mamoru eine gewissen Ängstlichkeit ihm gegenüber an den Tag zu legen.

„Wo ist denn Sparky?“ mein Blick schweifte zu meiner Mutter, die ihre Nähutensilien zusammen packte und aufstand.

„Oh im Auto und schläft. Dad meinte, er könne die Nacht ruhig zu euch und dann komm ich morgen früh etwas eher und geh mit ihm eine Runde oder so…“ gab ich beiläufig als Antwort. „Ach so. Na dann.“ Plötzlich zuckte ich zusammen. Meine Mutter ging zu Mamoru, nahm seine Hand und deutet auf das Sofa und Mamoru setzte sich ohne Widerworte einfach hin. Dass er ihre Berührung zuließ wunderte mich und auch mein Vater hob nur eine Augenbraue und besah sich diesen Moment.

„Hast du etwas Suppe und Reis gegessen?“ Ich ignorierte das gerade eben und nahm mir vor mich später damit zu beschäftigen. Meine Aktentasche legte ich auf Mamorus Schreibtisch ab, ging zum Sofa und kniete mich vor ihn.

Mamoru antwortet mir nicht, sondern wirkte leicht überfordert.

„Wir sollten gehen und die beiden allein lassen.“ Meine Mutter lächelte mich an und dann meinen Vater, welcher nur nickte.

„Nein.“ Kam es in diesem Moment leise von Mamoru.

„Oh Mamoru, du solltest doch was essen. Du hast es mir versprochen.“ Wisperte ich nur und strich mir durch das Gesicht.

„Aber…“ Begann er, doch ich schüttelte nur den Kopf.

„…nicht aber. Du weißt doch, das du was essen musst. Das ist wichtig. Ich hab mich darauf verlassen, dass du dich an unser Versprechen hältst.“

„Massanorie…“ Doch ich ließ ihn nicht zu Wort kommen, stand auf und merkte nun endgültig, dass ich übermüdet war. Der Stress der letzten Tage, die Sorge, die Schlaflosigkeit, einfach alles kam nun hoch.

„Du hast es mir versprochen und hältst dich nicht dran. Ich muss mich auf der Arbeit konzentrieren und das kann ich nicht, wenn ich mir jetzt auch wieder Gedanken machen muss, dass du dich zu Tode hungerst…“

„Massanorie. Lass ihn ausreden.“ Meine Mutter fiel mir ins Wort und sah mich böse an. Doch Mamoru war schon im Schlafzimmer verschwunden und knallte die Schiebetür hinter sich zu.

„Wenn du ihn hättest ausreden lassen, dann hätte er dir gesagt, dass er keine Suppe und keinen Reis gegessen hat, aber dafür zwei Schalen voll mit Milchreis und Äpfeln. Das hat ihm nämlich sehr gut geschmeckt und er hatte richtig Hunger.“

Voller Scham sah ich sie an und wusste nicht was ich sagen sollte. Sie kam auf mich zu und strich mir über die Wange. „Du bist müde und gereizt, Massanorie. Vielleicht müssen wir uns doch eine andere Lösung einfallen lassen mit euch beiden.“

Sie seufzte und ging an mir vorbei. „Seijiro, geh doch bitte mit Massanorie in die Küche und kocht euch einen Tee. Ich komm gleich nach.“

Damit öffnete sie langsam die Schiebetür und verschwand im Schlafzimmer.
 

Andrea Lenjier
 

Massanorie war ebenso am Ende wie Mamoru, die letzten Tage hatten ihn so geschlaucht, dass er nun ohne einen Grund laut geworden war. Ich schloss die Schiebetür hinter mir leise und wartete einen Moment bis meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten.

Als ich endlich Umrisse und Konturen erkennen konnte, ging ich zum Bett, setzte mich und schaltete die kleine Nachttischlampe an. Das warme Licht erhellte den Raum etwas. Mamoru hatte sich ins Bett gelegt und ich konnte hören wie er leise weinte. Massanories Art hatte Mamoru aus der Bahn geworfen.

„Er hasst mich…“ schluchzte er nur leise, als ich die Decke etwas zurück zog und ihm durch die Haare strich. Sein Gesicht war zu mir gewandt. „Das ist nicht wahr und das weißt du. Er macht sich Sorgen…“

„Ich bin schuld. Weil ich…“

„Ach Mamoru, du bist nicht schuld. Massanorie muss nur einmal wieder richtig ausschlafen und etwas Kraft tanken.“

„Aber…“ er setzte sich auf und zog die Beine an. „Wenn ich nicht so ein Versager wäre, wenn ich…“ Meine Finger strichen durch seine Haare und ich zog ihn in eine Umarmung, die er zuerst nur widerwillig zuließ. Aber dann lehnte er sich an mich.

„Hör mir mal zu. Dir geht es nicht gut und das ist nicht deine Schuld. Sondern von anderen Menschen. Und Massanorie liebt dich und er will alles tun damit es dir besser geht, dabei vergisst er aber auch, auf sich selbst zu achten. Ihr beide seid zwei extreme und da ist es vielleicht auch nicht immer gut, wenn man auf einander hockt. Auch wenn er es gut meint.“

Mamoru nickte leicht und wischte sich die Tränen aus den Augen.

„Ich tu ihm also nicht gut.“ Kam es schluchzend von ihm. Leise lachend drückte ich Mamoru etwas und küsste ihn sanft auf die Schläfe. „Du bist mir wirklich einer… ach Mamoru. Es ist alles gerade sehr viel.“ Ich überlegte wie ich Mamoru klar machen sollte was ich meinte.

„Massanorie hat sich doch in den letzten Tagen Sorgen um dich gemacht oder?“

Das nicken nahm ich als ja.

„Und er hat für dich gekocht? Und sich um dich gekümmert? Und so?“ „Ja…“ kam es wispernd von ihm.

„Und warum macht er das wohl?“

Ein Schulter zucken.

„Weil er dich liebt. Und wenn es dem, den wir lieben schlecht geht, dann tun wir alles damit es ihm besser geht. So wie du, als Seijiro im Krankenhaus lag und du für uns alle da warst. Das hast du doch nicht nur gemacht, weil du dachtest das du es musst, oder?“

Nun schwieg Mamoru, und es dauerte einen Moment bis ich ein ganz leises Nein wahrnehmen konnte.

„Ich… ich… mag euch alle und wollte…“ Er zog die Beine noch etwas enger an. Mit einem schmunzeln hörte ich ihm zu.

„Ja ich weiß. Und genauso geht es uns auch. Wir wollen alle, dass es dir gut geht.“

„Aber ich bin es gar nicht wert, dass man sich so um mich kümmert. Und Seijiro wird sicherlich böse auf mich sein, weil ich Massanorie von der Arbeit ab halte – das weiß ich doch auch und ich will das nicht, aber… aber ich… ich will doch nur, dass es wieder so wird wie am Anfang. Aber jetzt hab ich Angst, dass ich vielleicht Massanorie nur mag, weil er da ist und weil ich nicht nein sagen kann und was ist denn, wenn das so ist? Ich hab doch nur ihn und er verdient doch was besseres, als mich, weil ich verrückt bin und Stimmen höre und…“ er begann bitterlich zu weinen.

„Shhh. Ist ja gut.“ Ich dachte darüber nach, während ich Mamoru im Arm hielt und fragte mich was wohl wäre, wenn Mamoru wirklich nur mit Massanorie zusammen war um nicht allein zu sein.
 

„Unagi.“

„Was?“ Verwirrt sah ich auf ihn hinunter.

„Du hast gefragt – was mein – Lieblingsessen ist.“ Kam es nur leise und stockend von ihm. Ich musste ein Lachen unterdrücken und seufzte.

„Aal? Wirklich? Na dann, werde ich mal schauen ob ich sowas hinbekomme.“

Flüsterte ich nur und strich ihm erneut durch die Haare. „Aber ich hab ja sogar schon mal ne Pfeffer-Essig-Suppe nach Szechuan Art gekocht – dann wird ja Aal ein Klacks sein.“

„Die Suppe ist eklig…“ kam leicht angeekelt von Mamoru. Ich lachte nun lauter.

„Oh ja und wie.“

Noch eine Weile saß ich so mit ihm da und hielt ihn im Arm.
 

„Mamoru?“

„Ja?“ seine Stimme klang schläfrig.

„Ich finde du solltest mit Massanorie und auch Seijiro reden und Ihnen sagen was du denkst, wovor du Angst hast.“

Er schüttelte heftig den Kopf.

„Du frisst immer alles in dich rein, all deine Sorgen und Ängste... dabei kann man diese Dinge nur klären, wenn man sie anspricht. Nur dann kann man Ängste bewältigen und Ihnen die Kraft rauben, dass sie das eigene Leben bestimmen.“ Er wollte etwas sagen, aber dann schwieg er.
 

Es dauerte einen Moment, aber dann hielt ich Mamorus Hand und wir standen im Türrahmen zur Küche – die mit vier Leuten nun wirklich voll war. Mamoru wischte sich die Tränen aus den Augen und Massanorie sah ihn traurig an.

„Es tut mir leid. Ich hätte dir zuhören sollen.“ Sprudelte es sofort aus ihm heraus als er Mamoru sah.

„Massanorie setz dich.“ Ich nickte meinem Sohn zu und sah zu Seijiro. „Soll ich, oder willst du?“ Mamoru drückte meine Hand und war nicht sonderlich von meiner Idee angetan, hatte aber in seinem jetzigen Zustand nichts dagegen zu setzen.

„Dann ich.“ Lächelnd sah ich meinen Mann an. „Mamoru hat Angst, dass du ihm die Schuld gibst, weil es Massanorie schlecht geht und das du denkst, dass er ihn von der Arbeit abhält. Und ihn deswegen nun nicht magst.“

Etwas irritiert sah mich Seijiro an und wandte seinen Blick dann zu Mamoru, der meine Hand losgelassen hatte und seine Arme um sich geschlungen hatte. Ihm liefen immer noch vereinzelte Tränen über die Wangen, aber er sagte nichts.

„Das ist doch Unsinn!“ entfuhr es meinem Mann und seine Stimme hatte einen ernsten Ton angenommen. Er nahm einen Schluck aus seiner Tasse und schüttelte den Kopf.

„Also wirklich… so was albernes. Das hier ist eine Ausnahmesituation, da hat niemand an irgendetwas Schuld.“ Ich drehte mich um und sah Mamoru an, welcher den Blick gehoben hatte und Seijiro musterte und anscheinend nicht verstand warum er so reagierte.

„Und Massanorie?“ Ich strich Mamoru einige Tränen von der Wange und lächelte ihn aufmunternd an.

„Er wird böse sein.“ Wisperte er nur und ich sah wie Massanorie ihn besorgt ansah.

„Ich werde nicht böse sein, versprochen. Das von vorhin tut mir leid, es war dumm und ich… ich muss einfach mal wieder schlafen und so. Aber das ist nicht deine Schuld – ich fresse ja immer alles in mich rein.“ „Ja tust du. Da seid ihr beiden euch sehr ähnlich!“ Ich lachte leise und sah Mamoru wieder an. Dieser zögerte und suchte meinen Blick. Ich umarmte ihn und drückte ihn fest. „Keine Sorge. Ich hab dir doch gesagt, dass ich da bin, alles wird wieder gut. Das glaubst du mir doch, oder?“ Er nickte nur leicht und atmete tief ein und aus und versuchte nicht mehr zu weinen. Als ich ihn los ließ, ging ich zu Seijiro, nahm ihm seine Tasse aus der Hand und nippte daran. „Hmm. Lecker.“ Ich lächelte und lehnte mich gegen seine Brust.

„Ich hab Angst, dass ich dich nicht liebe. Weil ich nicht weiß…“ Mamoru stockte und schluckte schwer. Wieder standen ihm die Tränen in den Augen.

Doch anscheinend hatte Massanorie die gleiche Angst wie er. „Das du nur bei mir bist, weil ich dich bedrängt habe und du nicht nein sagen kannst.“ Er lachte traurig und lächelte Mamoru dann an, bevor er auf ihn zuging.

„Ich hab diese Angst schon seit Tagen, aber ich weiß, dass selbst wenn es so ist und ich wünsche mir von Herzen, dass es nicht so ist, das ich trotzdem bei dir sein will. Weil ich es nicht ertrage, wenn es dem Mann den ich liebe schlecht geht – selbst wenn er mich nicht lieben kann.“

Mamoru begann zu weinen und Massanorie nahm ihn den Arm.

Ich atmete tief durch und musste selbst aufpassen nicht wieder zu weinen.

„Seijiro?“ „Hmm.“ Seine Arme schlossen sich um mich und ich konnte seinen Herzschlag in meinem Rücken spüren „Ich möchte dir etwas vorschlagen…“



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  niki28
2015-04-02T06:37:02+00:00 02.04.2015 08:37
Oh ha also das ist ein kapitel wo ich angefangen habe zu weinen, denn es ist wirklich toll wie du das schreiben kannst all diese gefühle kommen sehr gut rüber einfach toll! Bin gespannt was Andrea worhat damit es irgendwie besser für Mamuro wird!

Gruß niki



Von:  MangaMaus85
2015-04-02T06:03:32+00:00 02.04.2015 08:03
Oh je ;_; Da fließen aber die Tränen!

Den Milchreis mit Äpfeln sollte ich auch mal machen, das las sich sehr lecker :-D

Alles so emotional, das ist toll :)
Ich bin sehr gespannt, was Andrea vorzuschlagen hat :-D


Und ich hasse es, dass ich schon wieder 2 Sachen gefunden habe, die ich beim Korrekturlesen voll übersehen habe *grummel*


Zurück