Unwissend?
Kapitel 8
Unwissend?
~~Yamatos Pov~~
Tai liegt endlich im Bett.
Ich bin froh, dieses Badeerlebnis der besonderen Art hinter mich gebracht zu haben.
Ich habe fest die Augen geschlossen, wollte nicht gaffen oder gar über den Jungen herfallen.
Bin ich froh, dass ich hinter ihm gesessen habe, so konnte er mein schamrotes Gesicht nicht sofort erkennen.
Ich musste mich ja regelrecht zwingen, die Augen geschlossen zu halten!
Allein das, was meine Finger gefühlt haben, war Porno- verdächtig.
Seufzend nuckele ich an meinem Tee.
Nervennahrung.
Wenigstens schläft er jetzt.
Beim Abendessen hat er richtig reingehauen.
Wo lässt er das ganze Essen nur?
Ich hätte ihm ja eigentlich meinen Pudding noch geben wollen, aber vier Puddings mal eben zu verdrücken, fand ich mehr als ungesund.
Auch wenn er verdammt glücklich ausgesehen hat, als er die süße Speise gefuttert hat.
Auch wenn es schien, dass er vollkommen zufrieden mit sich und der Welt war.
Auch wenn ich es geliebt hätte, ihm meinen Pudding zu geben; ich muss auch bedenken, was gut für ihn ist.
Und ein Bauch voller Pudding ist das bestimmt nicht.
Davon kriegt er nur Bauchschmerzen oder Alpträume.
Ryo ist vorhin gegangen.
Will morgen wieder kommen, sagte er lächelnd.
Ich ahne, dass er Pudding kaufen wird.
Nur, damit Tai ihm nachher wieder wohl gesonnen ist.
Mein Brünetter ist einfach mit Pudding zu bestechen…
Yoshi duscht gerade, hatte einen anstrengenden Tag, mit der Band, der Presse, die natürlich wissen will, wo ich bin.
Aber er wäre nicht umsonst mein Manager, wenn er nicht alles hinkriegen würde.
Leise schleiche ich mich noch mal in Tais Zimmer.
Will wissen, ob er alles hat, was er braucht, möchte ihn eventuell schlafen sehen.
Eingekringelt hat sich mein Brünetter, in die Decke geschmiegt.
Es ist dunkel im Zimmer, dennoch sehe ich genau sein Gesicht.
Wie sanft es aussieht.
So entspannt.
Zufrieden.
Glücklich gehe ich nun auch schlafen.
Jetzt kann ich gut schlafen…
Der nächste Morgen beginnt fast schon hektisch.
Es ist Mittag, als ich aufstehe, ich komme gerade in die Küche, da sehe ich Tai wild gestikulierend mit Ryo und einem anderen Polizisten.
Tai soll vor Gericht.
Er muss vor Gericht.
Er hat keine andere Wahl, ansonsten würde er für seine Diebstähle auch hinter Gittern müssen.
Tai will nicht.
Schreibt immer wieder auf, dass er nicht sprechen will, dass man ihm eh nicht glauben wird.
Ryo versucht ihn zu beruhigen, tätschelt ihm die Schulter.
„Es gibt nun mal Dinge in deinem Bericht, Tai, die versteht das Gericht nicht. So zum Beispiel, als du sagtest, sie können dich nicht umbringen, da du das ‚Zeichen’ trägst. Was genau soll ich mir darunter vorstellen??“, fragt Ryo einfühlsam.
Tai schnaubt leise, sieht sich um.
Zunächst greift er sich die Taschenlampe, die dem Schwarzhaarigen aus der Brusttasche schaut.
Gerade will Ryo protestieren, da schnappt sich Tai die grüne Weinflasche, die Yoshi sich gestern genehmigt hatte.
Noch etwas kritisch beäugt mein Brünetter sie, ehe er sie über der Spüle zerschlägt.
Vor Schreck starren wir ihn an; wir, Yoshi, Ryo, der andere Polizist und ich, starren Tai an, wie er sich aus den Scherben die Größte schnappt.
Was hat er vor?
Etwas stürmisch schlüpft mein Brünetter aus seinem Shirt, zieht es sich so weit hoch, bis ich auf seiner rechten Schulter ein Tatoo sehen kann.
Ein schwarzer Drache.
Tai nimmt die Taschenlampe, leuchtet durch das zerbrochene, grüne Glas genau auf sein Tatoo und sein Drache erscheint plötzlich giftgrün.
Fasziniert betrachten wir es.
Fein gestochen.
Gefährlich und anmutig.
Hypnotisiert schreite ich auf ihn zu, berühre es sanft, möchte mir diese Kraft einverleiben.
Warum habe ich dieses Tatoo denn nicht vorher bemerkt?
Tai schüttelt mich regelrecht ab, zieht sein Shirt wieder hinunter und entsorgt die Scherben in der Spüle.
Fassungslos starren wir ihn an.
Verarbeiten das, was wir gerade eben gesehen haben.
„D-das ist also das Zeichen?“, stottert Ryo beeindruckt und hilft Tai beim Aufräumen.
Tai nickt nur, setzt sich dann hin, trinkt seinen Kakao aus.
Schweigen breitet sich am Tisch aus.
In der ganzen Küche, im Haus.
Irritierte Blicke werden zwischen 4 von uns ausgetauscht, nur mein Brünetter sieht stumm auf sein Frühstück.
„Wenn sie dir nichts tun können, Tai, warum versuchst du dann nicht, diese Bande hinter Gittern zu bringen? Dann können sie niemanden mehr schaden, am allerwenigsten dir…“, fängt Ryo leise an, berührt sachte die Hand meines Brünetten.
Nur kurz erwidert Tai den Blick, der ihm zugeworfen wird.
Ich kann geradezu sehen, wie er mit sich ringt.
Es ist nicht einfach für ihn.
Er ist in einer ungewissen Gegenwart, hat eine ungewisse Zukunft.
Wir haben leicht reden.
Tai hat nichts mehr.
Und wir verlangen, dass er uns immer mehr gibt.
Doch was bekommt er?
Seufzend fängt Tai an zu schreiben, langsam, da es ihm schwerfällt.
„Wenn ich vorm Gericht aussage, kann ich dann endlich Kari sehen??“, steht da mit leicht zittriger Schrift.
Lächelnd stelle ich mich hinter ihn.
Lege ihm die Hand auf die Schulter.
Ryo kichert leise, während sein Kollege uns ernst ansieht.
„Du würdest dann von uns in Sicherheit gebracht werden, während des Prozesses, und wenn du aussagst, dann darfst du zu deiner Schwester!“, sagt er nüchtern und verschränkt die Arme vor der Brust.
Der Brünette sieht auf. „Wann?“
Ich verstehe seine Ungeduld.
Ich würde meine Schwester auch sehen wollen, nach über 10 Jahren.
Ryo will antworten, doch sein Kollege ist mal wieder schneller.
„Wenn wir es für richtig halten! Wenn du in der Verhandlung nur Mist laberst, dann siehst du sie später, wenn du dich anstrengst, dann früher, so einfach ist das! In einer Stunde kommen unsere Kollegen und bringen dich in die Stadt. Du wirst in einen kleinen Möbellaster in die Stadt zum Gericht geschmuggelt, also mach dich fertig!“, sagt er kalt und steht auf.
Ryo, Yoshi und ich sind gleichermaßen erschrocken.
„Was? In einer Stunde?! Soll das ein Witz sein, Ryo?“, fauche ich, kralle mich kurz in Tais Schulter.
„Tai ist noch verletzt und braucht noch Ruhe! Da könnt ihr ihm doch keinen Prozess zumuten!“, pflichtet mir Yoshi bei, stellt sich neben mich, grapscht auch nach Tais Schulter.
Ryo nickt uns nur zu, ist auch nicht so ganz einverstanden mit dieser Lösung. „Es tut mir Leid… Tai, ich verspreche dir, ich werde mich für dich einsetzten! Du brauchst dir keine Sorgen zu machen!“
~~Taichis Pov~~
Baka- Chi!
Nun lasten 3 Hände auf meiner Schulter.
Doch die helfen mir keineswegs.
Argh, ich bin so dumm!
Nun muss ich ins Gericht, muss blöden Fragen antworten und darf nicht weglaufen, ansonsten sehe ich Kari niemals wieder.
Glatte Erpressung.
Seufzend warte ich auf meine Eskorte, kann nichts anderes tun, esse nicht mal den Schokopudding, den Ryo mir mitgebracht hat.
Mir ist eigentlich klar, dass Ice und die anderen dafür sorgen werden, dass ich nicht aussagen kann.
Sie werden mich suchen und erwischen, schießt es mir immer wieder durch den Kopf.
Und dann bin ich dran.
Ich bekomme eine Gänsehaut bei dem Gedanken an die Abreibung.
Es dauert nicht lange, dann werde ich von 2 Bullen begleitet nach draußen geführt.
Ein kleiner Umzugswagen, natürlich komplett verdeckt, keine Fenster hinten, wird mein Ticket in die Stadt sein.
Frustriert seufze ich auf.
Meine Fresse, dass kann nur schiefgehen…
Der Wagen fährt los.
Die beiden Bullen, die sich mir nicht mal vorgestellt haben, zocken Karten. Wau wau oder Tao Tao oder so was.
Ich sitze irgendwo hinten, hinter meinem Rücken müssten die Fahrer sitzen, habe mich zurückgezogen, male auf meinem Block herum.
Den hat mir Yama noch mitgegeben.
Tse, super.
Jetzt lästern die auch noch über mich.
Ich bin stumm, nicht taub.
Knurrend sehe ich den beiden zu, wie sie ihre Witze über mich machen.
‚Schau dir mal den Mopp an Haaren an!’
‚Warum brauchen die so einen Dreikäsehoch?’
‚Was hat der Punk mit Hauptinspektor Omeda zu schaffen?’
Als der Wagen hält, bin ich heilfroh über die Pause.
Fast fällt mir die Futterluke herunter, als ich sehe, wer unser Fahrer ist.
Zwei bullige Kerle, im Anzug, mit Sonnenbrille, wollen einen Umzugswagen, der sichtbar nicht bepackt ist, in die Stadt fahren?
Hallo?
Das rafft selbst Tanaka!
Und ich soll damit sicher in die Stadt gefahren werden?
Purer Selbstmord, so kann ich nicht in die Stadt.
Da muss ich wohl was tun….
~~Yamatos Pov~~
Gespannt warte ich im Gericht auf Tais Ankunft.
Gleich nachdem er losgefahren ist, bin ich vorausgefahren.
Ich kann ihn hier nicht alleine lassen.
Meine Aussage soll heute Abend ja auch noch aufgenommen werden.
Momentan sagt Ryo aus.
Omeda sitzt hinter dieser Türe und muss sich gerade mit Verteidigers Hilfe aus dem Knast herausreden, aber das gelingt ihm dieses Mal sicherlich nicht.
Ich werde dafür sorgen, dass dieser Hauptkommissar hinter Gitter kommt.
Und es ist ein gutes Gefühl.
Er wird bestraft.
Für all das, was er Tai angetan hat.
Für das Gefühl des kalten Colts an meiner Schläfe, in jener stürmischen Nacht, im stickigen Schuppen.
Für die Verbrechen, die er begangen hat.
Für die Angst, die er anderen beschert hat.
Für die, die er getötet hat.
Tais Vater, Tais Mutter, Beppo und alle anderen.
Omeda soll untergehen.
Mit ihm zusammen seine ganze Bande von kriminellen, Tanaka, Ice und wie sie nicht alle heißen.
Eingesperrt.
Der Freiheit beraubt.
Nie wieder eine Gefahr für irgendwen.
»Birds flying high
You know how I feel
Sun in the sky
You know how I feel
Breeze driftin' on by
You know how I feel
It's a new dawn
It's a new day
It's a new life
For me
And I'm feeling good
I'm feeling good«
Ich hoffe, dass Tai es mit meiner Aussage nicht so schwer haben wird.
Aber man wird ihm glauben.
Schließlich spricht er die Wahrheit.
Es ist ein gutes Gefühl, dieses Narbengesicht hinter Schloss und Riegel zu bekommen.
Es quasi schon zu wissen.
Es tut gut zu wissen, dass man auf der richtigen Seite steht.
Dass man jemandem hilft.
Ihn sogar beschützt, vor jemanden, der brutal ist.
Nun muss er nicht mehr leiden, der Brünette.
Nun hat seine Qual ein Ende.
Nun kann er leben, frei und unbeschwert.
Er kann lachen und gehen, wohin er will.
Er braucht keine Angst mehr vor Schlägen oder Folter zu haben.
Er kann sich eine Zukunft aufbauen.
»Fish in the sea
You know how I feel
River running free
You know how I feel
Blossom on the tree
You know how I feel
It's a new dawn
It's a new day
It's a new life
For me
And I'm feeling good«
Mein Leben startet auch neu.
Ich fange neu an.
Auf Neuland.
Habe kein Zuhause mehr, um mich in Sicherheit zu bringen.
Das ist explodiert.
Ich habe keinen Beruf mehr, der mir Glanz und Ruhm einbringt, der mich weltbekannt macht.
Das habe ich hinter mir gelassen.
Es ist ungewiss, wie die Zukunft aussehen wird, aber ich bilde mir ein, dass ich sie schon annehmlich gestalten werde.
Es kommt schließlich nicht auf das Geld an.
Nicht auf den Ruf.
Nicht auf das Aussehen.
Nicht auf die Stimme.
Sollte es zumindest nicht.
Meine Suche hat ein Ende gefunden.
Ich habe einen Freund, der sich an mir interessiert.
Der zwar ein wenig kompliziert ist, aber ist das Leben selber nicht ebenfalls kompliziert genug?
Wie oft war mir nach Schweigen zumute?
Wie oft habe ich mir gewünscht, einfach stumm zu sein?
Wie sehr habe ich nach Geheimnissen in einem Menschen gelechzt?
Wie sehr habe ich mir gewünscht, dass einer meine Launen erträgt, sie versteht, manchmal über sie schmunzelt, aber nicht gleich eine Szene daraus macht?
‚Ich nenn dich ab jetzt Yama, Yama!’
»Dragonfly out in the sun
you know what I mean, don't you know
Butterflies all havin' fun you know what I mean
Sleep in peace when day is done
That's what I mean
And this old world
Is a new world
And a bold world
For me
For me«
Alt gegen neu.
Qual gegen Freude.
Ungewissheit für Sicherheit.
Chaos für Ordnung.
Abgründe für neue Möglichkeiten zuschütten.
Unsicherheit für einen neuen Start sichern.
Gewalt gegen Liebe tauschen.
Wut gegen Verständnis tauschen.
Hass gegen die Wärme einer Familie.
Was ist verkehrt daran?
»Stars when you shine
You know how I feel
Scent of the pine
You know how I feel
Oh freedom is mine
And I know how I feel
It's a new dawn
It's a new day
It's a new life
It's a new dawn
It's a new day
It's a new life«
Alleine ist er auch nicht.
Er wird nie alleine sein.
Seine Schwester wird er treffen.
Sie wird vernarrt in ihn sein.
Wer wäre das nicht?
Ihr Bruder sieht gut aus, ist ganz schön clever und hat ein tolles Lächeln.
Und richtig nett ist er auch noch.
Und ich bin auch noch da.
So schnell wird er mich nicht los…
»It's a new dawn
It's a new day
It's a new life
It's a new life for me
And I'm feeling good
I'm feeling good
I'm feel so good
I'm feel so good«
Ich fühle mich gut.
Ich tue das Richtige.
Schmunzelnd hebe ich meine Tasche auf, blättere in den Wohnungsanzeigen herum, ehe ich aufgerufen werde.
Nun muss ich meine Aussage machen.
Jetzt liegt es an mir.
~~Taichis Pov~~
Ich hab die kurze Pause genutzt.
Was soll ich sagen?
Ich hänge an meinem Leben!
Nun renne ich schon seit über 20 Minuten aufgehetzt neben der Straße her, rein in die Stadt, auf unauffälligem Wege.
Ich weiß schließlich, wie es unauffällig geht.
Schnell erreiche ich die Stadt, schlüpfe durch die Gassen, die jahrelang mein zu Hause waren.
Ich weiß, wohin es geht.
Gericht; großes, hässliches Gebäude in der Innenstadt.
Gleich im Gebäude sind die Bullen daheim, man kann es gar nicht verfehlen.
Nur drinnen könnte ich mich verlaufen.
Muss eben hoffen, dass da Schilder oder so sind.
Fragen werde ich da gewiss keinen.
Wem sollte ich da schon trauen??
Ich geh da rein, schreib auf, was die von mir hören wollen, suche Kari und nichts wie raus aus der Stadt!
Ganz einfach!
Na ja, fast!
Muss erstmal heil da ankommen, heil ins Gebäude reinkommen, und das ohne Tanaka, Ice oder sonst wem zu begegnen.
Vordereingang kann ich vergessen.
Den bewacht Ice sicher.
Da fällt seine Visage nicht so auf.
Erst recht nicht der krumme Arm.
Schnell auf das nächste Hochhaus klettern.
Von dem Dach-, hops-, rüber auf das Dach vom Gericht.
Ist mir mal einfacher gefallen, als mein Knie noch heil war.
Na ja, Dach war etwas besser aufgepolstert als die letzten.
Tat der Fall nicht so weh.
Weitspringer hätte ich werden können, aber die tragen mir zu enge Trikots.
Laufen mag ich lieber.
Hab schnelle Beine.
Kann fest zutreten.
Die Tür, um ins Gerichtsgebäude zu gelangen, ist abgeschlossen.
Könnte ich Türschlösser knacken, würde ich jetzt nur Grinsen, da ich es aber nicht kann, kommt nun mal meine Stärke zum Einsatz.
Gezielt trete ich mit dem gesunden Bein gegen die Tür, dünnes Holz, tse, was haben die sich dabei gedacht?
Sofort zerspringt das Holz und ich hechte durch die aufgebrochene Tür, hinein ins Treppenhaus.
Wieder muss ich hetzten.
Wieder bin ich in Gefahr.
War ja nicht gerade leise.
Hat man sicher durchs ganze Haus gehört.
Mir egal, ich kann schnell sein, wenn ich muss.
Vier Stufen auf einmal nehmend-, gar nicht leicht mit dem kaputten Knie-, hechte ich die Treppe runter, höre schon von ganz unten hektische Rufe.
‚Auf dem Dach ist er!’
‚Holt ihn euch!’
‚Er darf nicht aussagen!’
Irgendwoher kenne ich diese Stimmen.
Doch sie jagen mir keine Angst ein.
Hohe Stimmen, keine schleimigen, tiefen, so wie die von Tanaka oder Ice.
Das sind nur ein paar Kids.
Halbstarke.
Vier Kerle vielleicht.
Dumm und einfältig.
Abgemagert und ängstlich.
Ein Blick von mir genügt und sie erstarren.
Nicht, weil ich wahnsinnig bin, sondern weil ich die Ruhe selbst bin.
Ein Tier auf der Flucht verliert den Kopf.
Es macht Fehler durch Hektik und Panik.
Läuft Haken und versucht so zu entkommen.
Es schlägt nicht zurück.
Es sieht dem Feind nicht in die Augen.
Es sagt nicht ‚Leck mich, du bekommst mich nicht!’!
Doch ich bleibe ruhig.
Benutze ausnahmsweise meinen Kopf.
Ich will Kari sehen, hallt es mir durch den Kopf.
Ein Singsang, der mich beruhigt.
Der mir die nötige Ruhe gibt, in dieser Situation.
Ich bin ruhig.
Ich spiele die Ruhe nicht.
Ihr kriegt mich nicht.
Ihr sperrt mich nicht noch einmal ein.
Tanaka vielleicht, sollte er mich erwischen.
Ice vielleicht, sollte er sein Messer zücken.
Aber ihr Armleuchter nicht.
Vor euch habe ich keine Angst.
Vor euch kusche ich nicht.
Egal wie viele ihr seid.
Versucht es, doch gegen meinen Willen kommt ihr nicht an.
Probiert es, aber ihr werdet meine Entschlossenheit nicht brechen können.
Ich will zu Kari.
~~Yamatos Pov~~
Es herrscht Chaos.
Die Polizisten laufen Amok, schreien sich gegenseitig Anweisungen entgegen und verlieren immer mehr den Überblick.
Ryo gestikuliert wild mit den Männern, die Tai eigentlich in die Stadt bringen sollten.
Doch Tai ist weg.
Hat nur einen Zettel geschrieben: ‚Wir sehen uns später!’.
Ich möchte wissen, was passiert ist.
Die Polizisten aus dem Lieferwagen sehen auch schlimm aus.
Ich habe gehört, dass sie angehalten wurden, kurz vor der Stadt.
Man hätte sie bedroht und den Wagen durchsucht.
Vielleicht hat Tai sie rechtzeitig genug gesehen.
Oder er hat es geahnt.
Versucht es deshalb auf seine Weise.
Baka!
Nun ist er ganz alleine!
Wo doch diese gefährlichen Typen nicht mal vor der Polizei zurückschrecken.
Ich mache mir Sorgen um ihn.
Er muss ganz alleine herfinden.
Ist verletzt.
Hat nichts zu essen bei sich.
Nichts zu trinken.
Keinen Block.
Völlig hilflos.
Nervös sehe ich zu Ryo hinüber, bin froh, dass ich meine Aussage für heute endlich hinter mir habe, mich so um Tai kümmern kann, doch Tai ist verschwunden.
Lärm.
Vom Ende des Flurs kommt plötzlich so ein unglaublicher Lärm.
Und nur ich scheine ihn zu bemerken.
Die Tür wird aufgemacht, doch niemand betritt den Gang.
Der Wind?
Neugierig geworden gehe ich zur Tür.
Ein Kind, das sich einen Scherz erlaubte?
Gebannt starre ich zur Tür, folge dem Lärm.
Gekeuche. Fluchworte.
Ein Kampf?
Prügeln sich da welche im Gericht?
Fest kneife ich die Augen zusammen, meine etwas am Türrahmen zu sehen, versuche es krampfhaft zu erkennen.
Finger?
Weiße Finger?
Blutige, weiße Finger?
Immer näher komme ich der Tür, sehe durch den winzigen Türspalt auch wiederum etwas mehr.
Braune Haarspitzen?
Ich reiße die Tür ganz auf, besehe mir höchstpersönlich diese bizarre Situation.
Meine Augen weiten sich ganz automatisch.
Drei Kerle ziehen an den strampelnden Beinen von-, ihr werdet es erraten haben-, meinem Tai herum, der sich Halt suchend an den Türrahmen gekrallt hat und nun in der Luft hängt.
Die Drei sehen ramponiert aus, selbst so verhungert, wie Tai aussah, halbstark passt auf sie, doch sie sind zu dritt.
Verbissen und wütend hält sich Tai fest, würde niemals freiwillig loslassen.
„TAICHI!“, brülle ich, will die Polizei herrufen, da zucken die drei Kleinkriminellen schon ängstlich zusammen und lassen los.
Es macht einmal laut Wumms, und mein Tai landet unsanft auf dem staubigen Boden.
Keucht leise und gönnt sich einen erleichterten Seufzer.
Etliche Beamte jagen den Verbrechern hinterher, die es wagten, kleine, süße Taichis zu quälen und ich hocke mich sofort zu meinem Braunhaarigen hin, lege ihm meine Hand auf die Schulter.
„Alles ok?“, frage ich leise und reiche ihm ein Taschentuch.
Wieder Nasenbluten.
Wieder eine aufgeplatzte Lippe.
Tai, was machst du nur immer ….?
Tai nickt langsam, steht vorsichtig auf und wischt sich das Gesicht sauber.
Unfassbar.
Er ist hier.
Allein.
Hat sich durchgeschlagen.
Hat Tanaka überlistet.
Hat sich gegen drei ‚was weiß ich denn’ behauptet.
Hab ich mir umsonst Sorgen gemacht?
Ryo eilt zu Tai, umarmt ihn stürmisch, murmelt etwas von ‚Du kleiner Racker’ und beäugt ihn erstmal kritisch.
Schnippisch gehe ich an den beiden vorbei, setzte mich auf eine Bank, muss zusehen, wie Ryo meinen Freund fast schon einer Leibesvisitation unterzieht.
Sind wir hier in einer billigen Piepshow, oder was?
~~Taichis Pov~~
Nachdem man sich versichert hat, dass ich heil bin, dass alle meine Glieder an mir noch dran sind, dass ich nicht verblute, nicht verdurste, nicht verhungere, lässt man mich auch endlich in Ruhe.
Meine Güte…
Um mich brauchen die sich nicht solche Sorgen zu machen…
Die drei Kinder da, die sich mit mir anlegen wollten, um die sollte man sich sorgen.
Ich war nicht grad sanft zu ihnen…
Der eine hat sicher einen Jochbeinbruch, aber er musste ja unbedingt den Baseballschläger schwingen…
Man schiebt mich in den Gerichtssaal, Ryo höchstpersönlich bringt mich vorne zu meinem Sitz.
Nun starre ich eine rothaarige Frau in schwarzer Kutte an, die mich über den Rand ihrer Brille kritisch mustert.
Von mir aus rechts sitzt ebenfalls eine Schwarzkutte, mit hellrosa Krawatte, scheußlich, aber mir gefällt dieser Haarsschnitt…
Ernst, und doch locker, etwas länger, aber nicht wie ein Vorhang.
Ganz anders sieht es bei der Schwarzkutte zu meiner Linken aus.
Liegt vielleicht auch daran, dass Omeda daneben sitzt und mich tückisch anfunkelt.
Na ja, sein Verteidiger-, wie mir gerade erklärt wird-, hat eine Glatze, eiskalte, blaue Augen und mehr Falten auf der Stirn, als ein Mops im Gesicht.
Würg.
Und dann der Name… Scott Klaus Ali Beata.
Wie kann man so heißen und so beschissen dabei aussehen?
Knurrend wende ich mich zur-, auch das habe ich eben erfahren-, Richterin, versuche mich von Omedas einschüchternden Blicken nicht stören zu lassen.
„Hallo! Also, kommen wir erstmal zu deinen Personalien, Taichi, ja?“, beginnt die Richterin seltsamerweise freundlich und schafft es sogar zu lächeln.
Gespannt und innerlich seufzend nicke ich, hab keine Ahnung, was mich erwartet, aber was soll’s…
„Also Taichi, dein Name ist Taichi Yagami, du bist 19 Jahre alt, hast eine jüngere Schwester, aber einen festen Wohnsitz hast du nicht und du bist weder verschwägert, noch irgendwie sonst mit Herrn Omeda verwandt, stimmt das soweit?“
Immer wieder nicke ich, fühle mich gerade ein bisschen verarscht. Warum fragt die mich Sachen, die sie eh schon weiß??
„Gut, da du anscheinend nicht sprechen willst, hab ich mir was anderes ausgedacht! Neben dir setzt sich jetzt Herr Hidekashi, der laut vorlesen wird, was du aufschreibst, denn genau vor dir liegen Stift und Blätter Papier! So. Zusätzlich musst du bei Gericht immer die Wahrheit sagen, darfst also nicht lügen und verschweigen darfst du auch nichts, hast du das verstanden, Taichi?“, kokett lächelnd sieht sie mich über den Rand ihrer Brille an.
Seufzend schreibe ich meine erste Frage auf. „Und wenn ich etwas nicht mehr weiß?“, liest Ryo nach einer Weile laut vor.
Schon grinsen Richterin und Staatsanwalt mich entschuldigend an, ehe der Staatsanwalt in rosa Krawatte mir antwortet. „Nun, Taichi, wenn du etwas wirklich nicht weißt, dann kannst du das so sagen, aber wenn wir dich beim Lügen erwischen, ist das nicht gut, also beantworte soviel du kannst, ok?“
Langsam nicke ich.
Ich komme mir vor wie ein Kind, aber ich kann nicht verleugnen, dass ich nervös bin.
Ich saß noch nie vor Gericht.
Ich wollte Omeda nie wieder sehen.
Und nun sitze ich hier.
Nur für Kari.
Seufzend lausche ich den Worten der Rothaarigen.
„Gut, Taichi, wir haben da noch ein paar Fragen an dich. Dem Gericht wurde deine Aussage vorgelegt, die du damals Yamato Ishida und Herrn Hidekashi gegeben hast. Zunächst einmal eine Frage, die uns alle beschäftigt: Warum genau sprichst du nicht mehr?“
Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie dieser ‚Ich habe mehr Namen als Haare auf dem Kopf’- Anwalt seinen Mund zu einem spöttischen Lachen verzieht, mit Omeda leise tuschelt.
Seufzend fange ich an zu schreiben, hab eigentlich wenig Lust dazu, aber immer wieder sage ich mir ‚Für Kari!’.
Schwesterchen, wenn du mich nun, wie ich jetzt bin, hassen solltest, dann ist es vorbei.
„Bis ich etwa 9 war, hab ich noch gesprochen, aber als ein Bulle, den ich aufgesucht habe um ihm meine Geschichte zu erzählen, mich für bescheuert und behindert erklärt hat, mich davon geschubst und getreten hatte, da sah ich keine Notwendigkeit mehr darin. Wenn man mir schon nicht helfen wollte, brauchte ich auch nicht mehr zu sprechen und so halte ich es bis heute. Hab doch keinen Bock mich von euch verarschen zu lassen!“, schluckend liest Ryo vor, sieht mich mahnend an.
Das ganze Gericht sieht mich empört an.
Ja, gut so!
„Junger Mann! Auch wenn ich bedauere, was ihnen widerfahren ist, ist das noch lange kein Grund sich so störrisch zu benehmen und es heißt nicht ‚Bulle’ vor Gericht, haben wir uns verstanden?“, herrscht sie mich scharf an, mit lauerndem Blick, doch ich bin ungerührt.
Ich zupfe an Ryos Uniform, reiche ihm einen neuen Zettel weiter, fühle mich irritiert.
„Wie heißt es denn dann?“
Man könnte meinen, eine Stecknadel fallen zu hören.
Man könnte meinem, dem hohen Gericht fallen gleich die Augen raus, oder der Richterin fällt der Hammer aus der Hand.
Man könnte meinen, ich habe einen Scherz gemacht, aber habe ich nicht.
„Wie? Du weißt nicht, wofür das Wort Bulle steht?“, fragt mich die Rothaarige perplex.
Der Verteidiger kriegt zusammen mit seinem Mandanten einen Lachanfall.
Ich schüttele nur den Kopf, sehe genauso dumm zurück.
Ryo sieht mich auch an, als käme ich von einem anderen Stern. „Du weißt nicht, was ich von Beruf bin?“
Schultern zuckend schreibe ich noch mal das Wort auf: ‚Bulle’.
So habe ich es gelernt.
Die Münder stehen immer noch alle auf.
Ryo legt mir mitfühlen die Hand auf die Schulter, findet als erstes wieder die Sprache und erklärt mir wenigstens etwas.
„Also, ich bin Polizist und im Straßenjargon heißen wir Bullen, aber wir sind Polizisten, ok?“, wieder nicke ich.
Toll, wieder was gelernt.
Die Richterin ist immer noch nicht mit Glotzen fertig, starrt mich ungläubig an, als wäre ich grün im Gesicht.
„Taichi, wie nennst du dann bitte die Polizeistation?“, ihr Kopf wird schief gelegt.
Macht die sich lustig über mich?
„Bullerie!“, liest Ryo nach zwei Sekunden vor, blinzelt perplex.
Dann ertönt es.
Schallendes Gelächter.
Vom Verteidiger, von Omeda, von den Zuschauern, selbst ein paar Polizisten, wie ich nun weiß, kichern hinter vorgehaltener Hand.
Ja, lacht euch alle einen.
Baka-Chi hat mal wieder Mist gelabert.
Ihr seid ja so viel toller.
Ihr seid ja so zivilisiert.
Ihr seid ja so moralisch.
Ihr seid ja so verlogen.
Grummelnd sehe ich jedem einzelnen ins Gesicht.
Strafe sie alle mit einem bösen Blick.
Die meisten verstummen.
Die Richterin bittet um Ruhe, hämmert auf ein kleines Plättchen.
„Gut, da du nun weißt, kannst du ja jetzt Polizist verwenden, Taichi, ja? Wir wollen keine Beamten beleidigen, ok?“
Och ne.
„Was ist denn bitteschön ein Beamter?“, frage ich, beziehungsweise liest Ryo vor.
Und schon wieder lachen sie alle.
Verteidiger und Klient wischen sich die Lachtränchen aus den Augenwinkeln und ich werde nur wütend.
Ich bin nicht hergekommen, um mich verarschen zu lassen.
Ryo lacht nicht.
Yama, so weit ich sehen kann, auch nicht.
Haben beide aber diesen beschissenen, mitleidigen Blick drauf.
Was ist schlimmer?
Ryo beugt sich wieder zu mir, spielt wieder den Erklärbär, aber ist mir lieber, als wenn die Rothaarige das macht. Allein schon dieses ständige ‚Taichi’!
„Ein Beamter arbeitet für ein Amt!“
Och ne.
„Und was ist ein Amt?“, frage ich wieder.
Herr Gott noch mal, ich komme mir so dumm vor.
Wieder lachen alle.
Dieses mal alle.
Auch Yama.
Ich knurre leise, möchte am liebsten aufstehen und gehen, aber Ryo hält mich leider fest.
„Das Amt ist für die Bürger da! Im Amt arbeiten die Polizisten, Lehrer, die, die Kinder unterrichten, Politiker, einfach alle, die etwas für die Bürger tun!“, erklärt er mir leise, schmunzelt.
Oh wie gerne würde ich dieses Schmunzeln aus seiner Fresse schlagen…
Ich bin die Lachnummer des Gerichts.
Man macht sich über mich lustig.
Erst beachtet man mich nicht.
Ignoriert mich.
Lässt mich im Stich.
Verweigert mir die Hilfe, die ich hätte gebrauchen können.
Und dann machen sie sich lustig über mich, unter dem Vorwand mir helfen zu wollen.
Ich bin nicht dumm.
Ich gehöre nur nicht in eure Welt.
Habt sie mir ja nie gezeigt.
Wütend verschränke ich die Arme vor der Brust, verziehe den Mund zu einem schmalen Strich, funkele wütend meine Mitmenschen an.
Bin ich denn so…