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The Healing Touch

This was love at first sight, love everlasting, a feeling unknown, unhoped for, unexpected...
von

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Recalling the Past

X X X

„Du wolltest doch unterrichtet werden, wenn die CMTU wieder interessantes Informationsmaterial für dich hat, Darling.“, schallte Logan die angenehme Stimme von Greenhill aus dem Lautsprecher entgegen.

Kitty hatte ihn gerufen, nachdem der Telefonanruf für ihn auf der abhörsicheren Leitung der Mansion eingegangen war. Logan zog eine Augenbraue hoch und beugte sich in dem Ledersessel vor, von dessen Sorte ein Dutzend um einen polierten Tisch standen, an dem die Teambesprechungen der X-Men stattfanden.
 

„Was hast Du für mich? Ist es etwas Gutes?“, fragte er gespannt und hielt sich nicht weiter mit Höflichkeiten auf.
 

Die Agentin lachte amüsiert: „Danke, mir geht es bestens, Du alter Brummbär! Shiva ist ebenso gerührt von deiner freundlichen Sorge um ihr Wohlergehen.“

Logan hörte ein erheitertes Prusten im Hintergrund und wußte nun, daß auch Hills Kollegin anwesend war. Er verdrehte genervt die Augen, die beiden machten sich einen Spaß daraus, ihn zur Weißglut zu treiben. Bei ihrem nächsten Treffen würde er ihnen wohl Manieren beibringen müssen.
 

„Komm endlich zur Sache, Babe! Daß diese Truppe so schwer zu finden ist, macht mir langsam echte Sorgen. Es ist zum Verrücktwerden, die sind normalerweise so auffällig wie eine Horde Elefanten in einem Porzellanladen.“
 

Am anderen Ende der Leitung wurde Greenhill ernst, es ging um das Wohlergehen ihrer Artgenossen und die diese Terrormutantentruppe könnte mit einem Schlag alles zerstören, was Xavier und seine Verbündeten in den letzten Jahren aufgebaut hatten. Das friedliche Zusammenleben beider Spezies funktionierte wie ein zerbrechliches Equilibrium, das durch den kleinsten Zwischenfall aus dem Gleichgewicht gebracht werden konnte.
 

„Hör zu, Du hast ständig betont, daß die Typen von den Marauders normalerweise alleine arbeiten, sie waren vorher schon als Einzelkämpfer ins Visier der CMTU gefallen und wurden teilweise Jahre lang überwacht. Es ist fast unmöglich an diese sporadischen Daten zu kommen, aber Shiva hat da so ihre Möglichkeiten, wie Du weißt. Langer Rede kurzer Sinn: Dhana hat die Dateien geknackt und zusammengesucht und ich habe sie mir reingezogen. Du kannst dir die Massen an Daten gar nicht vorstellen, mein Guter, ich schicke dir eben über eine sichere Verbindung die Ergebnisse dieser Recherche. Es kann alles und nichts bedeuten. Zeig die Bilder deinen Kollegen, vielleicht ergibt sich da etwas.“
 

Logan erhob sich von dem Ledersessel und begab sich zur Stirnseite des Zimmers, wo eine riesige Computeranlage fast die gesamte Wand einnahm. Er setzte sich an die Konsole und gab rasch einige Befehle ein, um die Datei von Greenhill abzurufen.

Logan runzelte die Stirn, als er feststellte, daß es sich dabei um mehrere Bilder handelte und nur sehr wenig Text. Er zuckte mit den Schultern und arrangierte die Daten so, daß die Bilder auf dem überdimensionalen Flachbildschirm auf Knopfdruck über ihm erscheinen würden. So konnte er seinen Kollegen eine kleine Diashow zeigen, wenn sie sich gleich hier einfanden.

Er klickte sich durch die Bilder durch und verstand, warum Greenhill und Shiva der Meinung gewesen waren, daß die X-Men sich das mal anschauen sollten.
 

„Ich denke, daß ihr da ein Muster herausgefiltert habt. Gute Arbeit, Mädels! Dafür schulde ich euch ein Essen.“

Logan hatte großen Respekt vor den beiden brillanten Agenten, die ihn bisher noch nie enttäuscht hatten.

Shiva und Greenhill lachten unisono: „Und jede Menge Drinks, Logan! Wir nehmen dich beim Wort! Und vergiß nicht, uns Bescheid zu geben, wenn ihr etwas damit anfangen könnt, okay? Bis zum nächsten Mal, Süßer!“

Damit wurde die Verbindung unterbrochen und Logan bat den Professor telepathisch, eine Versammlung des Teams einzuberufen, das endlich wieder vollzählig war, nachdem der Professor aus New York, Jean uns Scott aus ihrem Kurzurlaub und der Rest des Teams aus Genosha zurückgekommen war.
 

~~~

Candy hatte sich im Stall aufgehalten, als sie der telepathische Ruf des Professors ereilte, der alle X-Men zu einer Besprechung in den Kellergeschossen bat. Sie gab dem Fohlen das letzte Stück Apfel und joggte zum nächsten getarnten Lift, der sie in die Katakomben bringen würde.

So langsam fand sie sich in dem riesigen Herrenhaus gut zurecht und mußte nicht mehr ständig nach dem Weg fragen, obwohl es unten ein wenig anders aussah. Die medizinischen Labors, die Trainingsräume und den Danger-Room fand sie ohne weiteres, doch sie hatte bisher an keiner der Besprechungen teilgenommen. Sie trat aus dem Lift und sah sich fragend um, als plötzlich eine junge Frau durch die Decke hindurch zu ihr herab schwebte. Candy zuckte erschrocken zusammen, erkannte jedoch Kitty Pryde, die Dank ihrer Fähigkeiten einfach durch Wände gehen und sogar auf den Molekülen der Luft spazieren laufen konnte, was dann aussah als würde sie schweben.
 

„Sorry, ich wollte dich nicht erschrecken“, meinte Kitty lächelnd, als sie neben ihrer Kollegin sanft auf dem Boden aufkam.
 

Candy lächelte sie schief an: „Schon gut! Ich war nur in Gedanken, weil ich nicht sicher bin, in welche Richtung ich laufen muß.“
 

„Ich weiß, Logan schickt mich, damit ich dich zur Zentrale bringe, die anderen sind schon alle da.“
 

Candy folgte Kitty den Gang entlang und betrat dann einen Raum, wo die X-Men sich um eine große Tafel versammelt hatten, die Candy irgendwie an die Tafelrunde von König Artus erinnerte, nur daß dieser Tisch oval war und keine Schwerter darauf lagen. Aber sie waren eine verschworene Gemeinschaft mit einem gemeinsamen Ziel und hehren Idealen ganz wie die Ritter der Tafelrunde.
 

Logan saß am Kopfende des Tisches Xavier genau gegenüber, hinter ihm flimmerte der Bildschirm des Großrechners und Candy setzte sich zwischen Kitty und Kurt, die ihr einen Platz freigehalten hatten. Er hatte sie nur mit einem leichten Nicken begrüßt, während die anderen ihr mehr oder weniger salopp einige Begrüßungsworte zugeworfen hatten.
 

„Ich will es kurz machen, da Greenhills und Shivas Informationen auch gar keine Bedeutung haben könnten. Aber bisher haben sie immer mit ihren Recherchen ins Schwarze getroffen, deshalb sollte sich jeder die Bilder, dich ich gleich einblenden werde, genau anschauen.“

Alle Augen waren gebannt auf Logan gerichtet, während er dem Team die Vorgehensweise und die Hintergedanken der befreundeten Agenten erklärte. Candy versuchte, seinem Fachjargon zu folgen, und fragte sich, woher er sich so gut mit Spionage, Flugzeugen, Computern und dergleichen auskannte. Er hatte nie erwähnt, daß er jemals für die Regierung tätig gewesen war.
 

„Ich habe die Bilder mal ein in eine Reihenfolge gebracht, die uns den Zusammenhang leichter verstehen läßt. Vorher waren sie chronologisch sortiert.“

Logan drückte auf eine Fernbedienung, die vor ihm auf dem Tisch lag und auf dem Monitor über ihm flammte ein grobkörniges Bild auf. Zwei Männer waren darauf abgebildet, die nebeneinander auf einer Bank saßen. Viel mehr konnte man nicht erkennen, doch Candy kam der eine große Kerl irgendwie bekannt vor.
 

„Wie ihr sehen könnt, ist das unser alter Freund Sabretooth mit einem Unbekannten.“, nahm Logan Candy buchstäblich das Wort aus dem Mund, da der Name ihr praktisch auf der Zunge gelegen hatte.
 

Sie konnte sich noch gut an den Zusammenstoß mit dem Kerl während ihrer ersten Danger-Room-Session erinnern. Und schon wechselte Logan durch ein Klicken das Bild aus, wo ein zweites, ebenso grobkörniges auf dem Bildschirm erschien.
 

„Das ist doch dieser Fettklops, den Synch damals mit seinen Kräften im Zaum gehalten hat!“, schoß es Candy durch den Kopf, glücklicherweise war sie nicht damit heraus geplatzt.
 

Wieder schien es ein konspiratives Treffen mit einem Fremden zu sein, der nicht genau zu erkennen war. Candy kniff die Augen zusammen, doch nicht mal mit viel Phantasie hätte sie den anderen, von dem man nur das Profil sehen konnte, genauer erkennen können. Diesen Blockbuster hatte sie auch nur erkannt, weil er einfach unverwechselbar gebaut war.

Nach zwei weiteren Bildern wurde deutlich, daß es sich um die Marauders handelte, die sich immer mit demselben Mann getroffen hatten, so viel war klar.
 

Bevor Logan die anderen Bilder abrief, erklärte er noch: „Das sind die uns bekannten Marauders gewesen. Es folgen noch fünf weitere Bilder mit uns bisher unbekannten Mutanten, die mit demselben Mann abgebildet wurden. Die Qualität der Bilder wird besser, wenn jemand den Mann identifizieren könnte, wäre das sicher eine große Hilfe. Die Bilder entstanden in einem zeitlichen Rahmen von etwa sechs Monaten und wenn mich nicht alles täuscht, hat dieser Mann die Truppe zusammengestellt.“
 

Logan drückte wieder auf einen Knopf und Candy erwartete erneut ein verschwommenes Bild, doch diesmal war es sogar in Farbe und relativ scharf. Das Foto war vermutlich auf einer Ranch entstanden, denn die zwei Hauptpersonen standen am Zaun vor einer Pferdekoppel. Die Frau sah aus wie eine Mexikanerin, trug einen Cowboyhut über den halblangen, schwarzen Haaren und stemmte die Hände in die Hüften, während ihr Gegenüber lässig am Zaun lehnte. Er hatte ebenfalls einen Hut auf und ihn tief ins Gesicht gezogen, so daß man es wieder nicht genau sehen konnte. Candy wollte ihren Blick schon enttäuscht abschweifen lassen, als sie in der Hand des Mannes einen Gegenstand entdeckte, der ihr einen Schauer des Erkennens den Rücken hinunter jagte.

Sie irrte sich bestimmt, das konnte unmöglich sein, oder?

Logan rief das nächste Bild auf und das war gestochen scharf. Es war irgendwo in der Wildnis aufgenommen worden und Candy sah gar nicht mehr zu der anderen Person hin, weil der geheimnisvolle Fremde diesmal frontal in die Kamera blickte.

Es war, als griffe eine eisige Hand nach Candys Herz und drücke dann unerbittlich zu. Der Mann auf dem Bild trug eine Sonnenbrille, doch Candy sah seine merkwürdigen Augen genau vor sich, diese Augen konnte man nicht so leicht vergessen, auch wenn sie die Erinnerung daran in die Tiefen ihres Unterbewußtseins verdrängt hatte.

Candy zitterte mit einem Mal und fühlte wie eine unangenehme Gänsehaut sich auf ihrem Körper ausbreitete. Sie blickte von dem Monitor weg und sah auf die glänzende Tischplatte herunter, wo vor ihrem inneren Auge ein kleiner Film über längst vergessen geglaubte Ereignisse abzulaufen begann…
 

x x x

(Some years earlier...)

New Orleans brodelte, die Grande Dame der Südstaaten hatte sich herausgeputzt und blendete ihre Besucher mit ihrer exotischen Schönheit.

Es war Anfang März und die Feierlichkeiten des „Mardi Gras“ waren in vollem Gange. Am Nachmittag würden die Umzüge stattfinden und am Abend würden die Festlichkeiten mit großen Straßenparties und privaten Bällen gefeiert werden.

Und Candy war mitten drin, sie wohnte im exklusiven „The Inn on Bourbon“, wo sie als Normalsterblicher zu dieser Zeit wohl kaum ein Zimmer bekommen hätte, wenn sie nicht von der Familie eines ehemaligen Auftraggebers in die Stadt eingeladen worden wäre.

Der Verleger, der aus Louisiana stammte und die Dependance des Familienunternehmens in New York leitete, hatte gestern in großem Stil geheiratet und Heute würde seine Frau auf einem traditionsreichen Ball in die vornehme Gesellschaft von New Orleans eingeführt werden.
 

Justin Roy-Desjardins wollte seiner Braut eine unvergeßliche Hochzeit bieten und hatte keine Kosten und Mühen gescheut, seinen Traum zu verwirklichen. Er hatte Candy sogar ein Erster-Klasse-Ticket für die Bahn spendiert, damit sie an den Hochzeitsfeierlichkeiten teilnehmen konnte, da sie zögerte, ein Flugzeug zu benutzen.

Sie hatte die Brautleute auf einer ihrer Ausstellungen einander vorgestellt und seit dem behaupteten die beiden, Candy wäre ihr ganz privater Cupido gewesen, was natürlich vollkommener Unsinn war.

Mr. Roy-Desjardins hatte mit seiner großzügigen Unterstützung die Ausstellung erst möglich gemacht und Madison kannte sie, weil sie mit dem Fotomodell zu Beginn ihrer Karriere einige Shootings gemacht hatte.

Sie hatte sich gar nichts dabei gedacht, als sie Madison ihrem großzügigen Geldgeber vorgestellt hatte, außer vielleicht daß die beiden optisch gut zueinander paßten.
 

Candy stand auf dem Balkon des Hotels, der sich entlang der ganzen Etage lang zog und sah lächelnd auf das bunte Treiben der Straße herunter, wo viele Kostümierte und Maskierte eng beieinander standen und sich schon einen guten Platz für den Umzug sichern wollten. Sie machte mit ihrer Kamera Bilder, farbenfrohe Impressionen, die sie später verkaufen konnte, denn der Mardis Gras war ein begehrtes Motiv.

Bis zum Abend hatte sie genug Zeit, einige spektakuläre Bilder zu machen, dann mußte sie sich für den formellen Ball umziehen, der im prunkvollen Familiensitz der Roy-Desjardins gefeiert werden würde.

Dieser Ball hatte eine über hundert Jahre alte Tradition und reichte zurück auf die „Krewe of Rex“ (ausgesprochen kru), einer geheimen Gesellschaft, die sich im Jahr 1872 zusammengeschlossen hatte, um dem Großherzog Alexis Romanoff von Rußland einen gebührenden Empfang in New Orleans bereiten zu können, wo man ja nicht mit echten Adligen aufwarten konnte. Die in jüngerer Zeit gegründeten Krewes waren für die Gestaltung der Umzüge in der Gegenwart zuständig, die Mitglieder der altehrwürdigen Krewes blieben meist unter sich.

Candy fand die Geschichte um den Mardis Gras faszinierend und würde nun selbst an einem der begehrten Bälle der feinen Gesellschaft teilnehmen können, zu der oftmals nicht mal wichtige Persönlichkeiten aus der Politik eingeladen wurden, weil sie vom Veranstaltungskomitee nicht als der Teilnahme würdig erachtet wurden.
 

Der Tag verging angenehm mit Impressionen der Umzüge und einem Termin im Beautysalon des Hotels, wo sie sich für den Ball die Haare elegant hochstecken ließ. Sie konnte von ihrem Zimmer direkt auf den Balkon treten, deshalb nahm sie die Gelegenheit wahr, um kurz nach sieben am Abend noch einmal einige Bilder zu machen.

Inzwischen war es dunkel geworden und sie konnte die Kapriolen der Flambeaux-Träger, das waren brennende Fackeln, viel besser auf Bilder bannen. Sie schlenderte auf dem Balkon entlang, von wo aus sie die berühmten Toulouse und die Bourbon Street überblicken konnte und ließ die Musik und den Gesang der Menschen auf sich einwirken.

Sie sah sich nach einem geeigneten Motiv um und entdeckte es in einer blonden Schönheit, die ein sehr aufreizendes Kostüm trug und durch die Menge eilte. In der Aufmachung hätte sich Candy nicht mal zum Karneval auf die Straße getraut, doch die junge Frau bahnte sich im Laufschritt einen Weg durch die Menge, als wäre es ein Leichtes, in den hochhackigen geschürten Stiefeln, die ihr bis zur Oberschenkelmitte reichten, zu laufen. Über der weißen Corsage trug sie einen weißen flatternden Umhang, der einen Stehkragen hatte. Candy verstärkte den Zoom, um ein Bild von ihrem Gesicht zu machen und wunderte sich über den gehetzten Gesichtsausdruck der jungen Frau. Sie kam dem Hotel immer näher und kam dann abrupt zum Stehen, als wäre sie gegen eine Wand gelaufen. Candy war so aufs Fotografieren konzentriert, daß sie erst nach einer Reihe von Bildern merkte, was sie da eigentlich abgelichtet hatte.
 

Die junge Frau war zu Boden geglitten und unter ihrer Brust breitete sich ein hässlicher, roter Fleck aus, der ihr sonst makellos weißes Kostüm besudelte. Die Menschen wichen vor der Verletzten zurück, in ihren Gesichtern konnte man Entsetzen aber auch Sensationslust entdecken, einige der überraschten Ausrufe wurden wohl von dem Lärm, der auf den Straßen herrschte, übertönt.

Das Abschlußmotiv für ihre Bilderserie „Visions of the Night“ war ihr praktisch in den Schoß gefallen. Sie hatte nur gewußt, daß sie die Serie mit einer Anklage gegen Sensationsgier bei Gewaltverbrechen beenden wollte, doch die Realisierung dieses Vorhabens gestaltete sich schwieriger als erwartet, wenn sie nicht selbst als einer dieser Gaffer enden wollte.

Candy drückte noch ein paar Mal ab, scannte auch die Umgebung nach einem möglichen Angreifer ab, konnte jedoch nichts Verdächtiges in dem Gewimmel entdecken. Die Straße war so voller Menschen, das man nur noch ein Meer von Köpfen sah, aus dem ab und an ein spitzer Hut oder einige Federn der phantasievollen Kostüme ragten.

Die junge Frau lag noch immer regungslos auf dem Boden und keiner der Umstehenden hatte sich ihr genähert. Das Verhalten war so typisch für Augenzeugen, jeder wartete darauf, daß ein anderer den ersten Schritt machte. Niemand wollte riskieren, sich den bissigen Kommentaren der Meute auszusetzen, die unweigerlich folgen würden, wenn sich schließlich ein Individuum überwand, der Frau zu helfen.
 

Candy fluchte leise und lief zurück zu ihrem Zimmer, wo sie ihre Kamera auf das Bett warf, in ihre Schuhe schlüpfte und in ihrem leichten Sommerkleid auf die Straße lief. Sie verließ das Hotel am Seitenausgang, wo sie die junge Frau schneller erreichen würde, doch die Menschenmenge machte es ihr fast unmöglich, zu ihr durch zu kommen.

Am Ende war sie gezwungen, ihre Ellenbogen einzusetzen, um endlich zu der Verletzten vordringen zu können. Sie mußte jedoch feststellen, daß sie nicht die Erste am Tatort war, die sich um die Verletzte kümmern wollte.

Ein Mann in einem braunen, langen Ledertrenchcoat hatte sich eben über die Frau gebeugt und den schlaffen Körper hochgehoben. Sie konnte nur seinen breiten Rücken sehen, dann hob er eine Hand leicht an und mit einer eleganten Bewegung aus dem Handgelenk warf er etwas vor sich auf den Boden, das eine laute Explosion verursachte, die die Umstehenden erschrocken zurückfahren ließ.

Keiner hielt den Mann auf, als er sich mit seiner leblosen Bürde durch die Menge bewegte.

Nach dem ersten Schreck nahm Candy die Verfolgung auf und heftete sich dem Mann an die Fersen, der sich gnadenlos seinen Weg durch die feiernden Menschen bahnte und immer wieder Betrunkene brutal zur Seite stieß.

Keiner hielt ihn auf, die meisten dachten wohl, daß die junge Frau in seinen Armen vom Alkohol benebelt war, da die direkten Zeugen des Vorfalls immer noch beim Hotel standen und das Ganze wohl für einen Gag hielten.
 

Der Mann schien sich im French Quarter von New Orleans auszukennen, denn er bog mehrere Male in dem Straßengewirr des alten Viertels ab, so daß sie sich bald von den feiernden Menschen absonderten und sich wohl dem Ufer des Mississippi immer weiter näherten. Mit seiner leblosen Last verschwand der Fremde schließlich in einem Hauseingang und Candy beschleunigte ihren Schritt, um ihn nicht vollkommen aus den Augen zu verlieren. In der dunklen Hofeinfahrt wurde sie plötzlich an der Kehle gepackt und unsanft gegen die Wand gedrückt.
 

„Sie hören immédiatement auf, mich zu verfolgen, Mademoiselle, compris?“, zischte der Mann mit einem starken französichen Akzent, dessen Gesicht durch die Schatten in der Einfahrt verborgen wurde.
 

Candy keuchte leise und starrte ihren Angreifer angsterfüllt an.

„Bitte lassen Sie mich los. Oder wollen Sie mich auch umbringen?“, preßte sie mühsam hervor, da sie kaum Luft bekam.
 

Der Druck auf ihrer Kehle ließ plötzlich nach, als er seine Hand wegzog und sich zu ihr herunter beugte, so daß sich ihre Nasenspitzen fast berührten. Sie konnte seine Augen nicht sehen, da er eine dunkle Sonnenbrille trug und sah nur ihr eigenes angstverzerrtes Gesicht als Spiegelung in seinen dunklen Brillengläsern.
 

„Ich war das nicht. Mehr müssen Sie nicht wissen, gehen Sie wieder nach Hause, d’ accord?“

Er hielt sie wohl für keine Bedrohung, denn er wandte sich von ihr ab und ging neben der Frau in die Knie, die er auf dem Boden weiter hinten in der Einfahrt abgelegt hatte.
 

Er senkte mutlos den Kopf und flüsterte mit gebrochener Stimme: „Bella, pourquoi?“
 

Obwohl sie sich immer noch vor dem Mann fürchtete, mußte Candy sicher sein, daß sie der Frau nicht mehr helfen konnte. Sie ging neben ihm in die Knie und nahm die schlaffe Hand der Bewußtlosen in ihre, bevor er sie davon abhalten konnte.

Sie befand sich wirklich schon an der Schwelle zum Tod, ihr Geist war fast schon komplett von ihrem Körper losgelöst, doch mit etwas Anstrengung würde Candy sie zurückholen können. Sie war jedoch zu schwach, um sie richtig zu lesen, doch das konnte Candy ja nachholen, wenn sie ihren Zustand etwas stabilisiert hatte.
 

„Was zum Teufel fällt dir ein?!“

Der Ausruf des Mannes fiel zusammen mit einem tiefen Aufstöhnen der Verletzten, die Candy mit aller Gewalt am Leben hielt.
 

Er wollte ihre Hand von der Frau losreißen, doch Candy packte sein Handgelenk und schüttelte energisch den Kopf: „Nein! Wenn ich die Frau loslasse, dann stirbt sie! Sie ist sehr schwer verletzt!“
 

Der Mann ließ sie gewähren, nachdem er sie eine Weile lang schweigend betrachtet hatte, Candy versuchte, nicht nervös zu werden, weil sie seine Augen nicht sehen konnte. Wenn er ihr etwas hätte tun wollen, dann hatte er genug Gelegenheit dazu gehabt, sie durfte die Schwerverletzte jetzt einfach nicht aufgeben.
 

„Dann halte sie weiterhin fest, ma petite, ich werde sie hochnehmen und nach oben tragen.“, sagte er in seiner einschmeichelnden Sprechweise mit dem starken Cajun-Akzent in seinem Englisch.
 

Candy lief also neben dem Fremden her, der die Frau über einen Hinterhof in ein altes Haus trug, das eine Gaststätte zu beherbergen schien, denn man konnte laute Musik und Stimmen hören, die bis ins düstere Treppenhaus drangen.

Er trug die Frau die Treppen hoch und dann einen langen Flur entlang, wo er vor einer Tür stehen blieb, die mit einem bunten Perlenvorhang geschmückt war, den man vor das Türblatt gehängt hatte.

Der Mann bollerte mit der geballten Faust gegen die Tür und rief auf Französisch: „Maman Mèmène, ouvrez la porte, tout de suite, c’ est moi, Remy!“

(Mutter Mèmène, öffnen Sie sofort die Tür, ich bin es, Remy!“
 

Die Tür wurde aufgerissen und eine kräftige Schwarze, die einen farbigen Turban um ihren Kopf geschlungen trug, schob den Perlenvorhang klimpernd zur Seite.

Sie lächelte breit, wobei ihre weißen Zähne in dem dunklen Gesicht aufblitzten. Sie sagte etwas zu dem Mann, dessen Name Remy war, das Candy nicht verstand, weil sie schnell in einem ungewohnten Akzent Französisch sprach. Sie hielt den Perlenvorhang auf und trat zur Seite, was wohl bedeutete, daß sie willkommen waren.

Unter ihnen schien eine große Party zu steigen, denn der Lärm und die Musik von unten ließen den Boden unter ihren Füßen vibrieren, während sie durch die Wohnung gingen und in ein spärlich eingerichtetes Gästezimmer geführt wurden.

Der Mann legte die Verletzte auf einem altmodischen, französischen Bett ab und unterhielt sich dann wieder in rasendem Französisch mit der dunkelhäutigen Frau.

Sie hatte die Verletzte so weit stabilisiert, daß sie sie ihren Gesundheitszustand nun besser einschätzen konnte.

Sie konzentrierte sich auf ihre Verletzung und bekam einen ziemlichen Schrecken. Die Frau war tatsächlich angeschossen worden, die Kugel hatte jedoch den Körper nicht wieder verlassen sondern steckte in ihrer Leber fest, was eine unerwartete Komplikation darstellte.
 

„Die Frau muß in ein Krankenhaus gebracht werden, eine Kugel steckt in ihrer Leber“, meldete sie sich zu Wort, als die beiden eine Pause beim Sprechen einlegten.
 

Der Mann widersprach ihr sofort: „Impossible! Du hast sie von den Toten zurückgeholt, dann kannst Du auch die Kugel entfernen.“
 

Candy sah unsicher zu der Frau namens Maman Mèmène rüber, die ihre Arme über ihrem ausladenden Busen verschränkt hatte und ebenfalls den Kopf schüttelte.
 

„Nein, Sie verstehen nicht! Ich habe sie zurückgeholt, ohne zu wissen, was ihr genau fehlt. Das war ein Fehler, aber ich hätte nicht länger warten können. Die Kugel ist…“

Candy mußte schlucken, bevor sie weitersprechen konnte: „Das Gewebe um die Kugel ist verheilt, ich habe nicht früh genug gestoppt. Sie muß operiert werden, um die Kugel herauszuholen, verstehen Sie? Jede Minute zählt, denn die Leber kann mit der Kugel nicht richtig funktionieren und meine Kräfte sind auch nur begrenzt einsetzbar.“
 

Sie sah ängstlich zu den beiden hoch, da sie neben der Frau auf dem Bett saß und hoffte, daß sie nicht zuviel über ihre Fähigkeiten verraten hatte. Sie wußte, daß sie niemandem vertrauen durfte, wenn sie nicht irgendwo als Versuchskaninchen enden wollte. Sie hatte abscheuliche Gerüchte darüber gehört, wie das Militär Mutanten mit besonderen Fähigkeiten verschleppt hatte, um mit ihnen unerlaubte Experimente durchzuführen.

Hatte sie einen Fehler gemacht, sich den beiden so weit zu offenbaren? Hatte sie überhaupt eine Wahl?
 

„Das Krankenhaus ist keine Option, die uns offensteht, ma petite. Tu es une mutante, n’ est-ce pas?“

(…Du bist eine Mutantin, nicht wahr?)
 

Candy nickte stumm und erschauerte, als der Mann vor sie trat und eine Hand auf ihre Wange legte, während er mit der anderen seine dunkle Sonnenbrille abnahm.

Sie hatte immer gedacht, daß es keine merkwürdigeren Augen als ihre geben konnte, doch ihr Gegenüber belehrte sie eines Besseren. Seine Iriden waren blutrot und das Weiß seiner Augen schwarz wie die Nacht, sie konnte gar nicht anders, als ihn einfach nur fassungslos anzustarren.
 

„Wir sind Deinesgleichen, Du brauchst keine Angst zu haben, ma chère. Aber Du wirst diese Operation selbst ausführen müssen. Mèmène wird dir dabei helfen, sie macht so was oft.“
 

Candy wurde blaß und starrte den Mann an, als hätte er den Verstand verloren, doch seine Augen blickten klar und bezwingend.

„Ich kann doch keinen Menschen aufschneiden, ich bin kein Chirurg, ich heile nur.“, rief sie entsetzt aus.
 

„Du machst besser, was Remy sagt. Ich hole meine Tasche.“, erwiderte Mèmène kurz angebunden und verließ kurz das Zimmer, um nach einigen Augenblicken mit einer schwarzen, abgewetzten Arzttasche wieder zukommen, die sie auf einem kleinen Tisch beim Bett abstellte.
 

Remy umfaßte ihr Kinn und hob ihr bleiches Gesicht zu sich an, während er leise fragte: „Du kannst Bella wieder heilen, wenn wir die Kugel rausgeholt haben, oder nicht?“
 

Alles in Candy schrie „Nein“, doch die Lüge kam nicht über ihre Lippen, während sie der hypnotische Blick des Mannes gefangen hielt.

Das muß ein Alptraum sein, dachte sie verzweifelt. Doch sie spürte am eigenen Leib, wie sehr die Verletzte litt und gegen den Tod kämpfte.

Die Frau holte ihre Instrumente aus der Arzttasche und eine Ampulle mit einem Betäubungsmittel, aus dem sie eine Spritze aufzog, die sie der unruhigen Verletzten in den Arm injizierte. Candy lehnte die angebotenen Latexhandschuhe ab, sie brauchte den direkten Kontakt zur Verletzten und mußte nicht wie Ärzte steril arbeiten.

Mèmène hielt ein scharfes Skalpell hoch und fragte, als wäre es das Normalste auf der Welt: „Toi ou moi?“ (Du oder ich?)
 

Währenddessen hatte Remy den Oberkörper der Frau bloßgelegt, um den Zugang zu ihrem Oberbauch zu ermöglichen.

„Ich, ich kann das nicht.“, wisperte Candy schwach und fühlte gleichzeitig, wie das Bewußtsein der jungen Frau durch das Medikament gedämpft wurde.
 

„Laß dir von ihr zeigen, wo die Kugel steckt, Mèmène. Das weißt Du doch, oder?“, ordnete Remy unerbittlich an.
 

„Ici“, gab Candy kurz zurück und wies auf die genaue Stelle unter dem rechten Rippenbogen der Frau, ohne zu bemerken, daß sie auf Französisch geantwortet hatte.
 

Sie erstarrte, als die Frau mit dem Turban das Skalpell auf die makellose Haut der jungen Frau setzte und mit festem Druck einen tiefen Einschnitt machte, der sofort stark blutete, da die Leber neben dem Herzen das meiste Blut im Körper umsetzte.

Candy wurde übel, als die Frau den langen Schnitt mit bloßen Fingern auseinander hielt, um in die Eingeweide der Verletzten blicken zu können.
 

„Hol die Kugel raus, mach schon! Dépêche-toi!“ (…beeil dich!)
 

Remys Befehl ließ sie zusammenfahren und die zitternde Hand ausstrecken.

Den grausigen Anblick ihrer blutbesudelten Hand tief im Körper eines Menschen würde sie nur schwer vergessen können. Wie hatten es die Pioniere der Medizin in der Vergangenheit nur fertig gebracht, ohne genaues Wissen über den Aufbau und die Funktionen des menschlichen Körpers, Kranke aufzuschneiden?

Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sie die Kugel mit den Fingerspitzen erspürte, die noch von einer Gewebemembran umgeben war. Sie griff nach dem Skalpell und schnitt die Kugel frei, denn die Zeit drängte, das war ein invasiver Eingriff, der das Leben der Frau aufs Neue gefährdete.

Candy warf die blutverschmierte Kugel achtlos zur Seite und befahl Mèmène ihre Hände wegzunehmen, so daß die Wundränder zusammen glitten, nachdem sie nicht mehr gewaltsam auseinander gehalten wurden. Sie aktivierte ihre Kräfte erneut und schloß die Augen, um den Heilungsprozeß nicht beobachten zu müssen, für Heute hatte sie genug Blut und andere anatomische Abscheulichkeiten gesehen. Sie fürchtete jetzt schon die Alpträume, die ihr dieses Erlebnis sicherlich bescheren würde.
 

Sie waren wie Schlachter über die Frau hergefallen und Candy war am Ende ihrer Kräfte.

Als die Heilung vollendet war, wäre sie beinahe vom Bett gerutscht, weil ihre Energiereserven fast bis zur Neige ausgeschöpft waren, und sie am Rande einer Ohnmacht stand. Remy hatte sie gestützt, bevor sie aufs Bett glitt und dann hochgezogen, fort von der jungen Frau, deren Oberbauch zwar noch voller Blut war, aber nicht mehr durch einen grausigen Einschnitt verunstaltet wurde.
 

„Mèmène wird sich um den Rest kümmern“, meinte Remy und führte sie in ein kleines Badezimmer, wo Candy zu ihrer Beschämung zur Toilettenschüssel taumelte und sich heftig übergab.

Da ihr Magen leer war, kam nur noch ätzende Gallenflüssigkeit hoch, die unangenehm in ihrer Kehle brannte. Sie keuchte erbärmlich und stöhnte wegen der schmerzhaften Kontraktionen ihres leeren Magens. Candy konnte in ihrem desolaten Zustand gar nicht mehr beurteilen, ob sie vor Schmerzen oder aus lauter Verzweiflung weinte, die Tränen liefen einfach über ihr erhitztes Gesicht und sie konnte ihnen keinen Einhalt gebieten.
 


 

Fortsetzung folgt…



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  mitsuki11
2008-07-18T19:06:25+00:00 18.07.2008 21:06
Das wird ja immer spannender!!

Warum musstest du denn schon aufhören!!!

Bin gespannt wie es weiter geht!!!

LG
Mina


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