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Wie lange noch...?

Die Geschichte eines jungen Prostituierten
von

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Aus der Sicht von Luca

Als Luca erwachte, fühlte er ein kräftiges Ziehen im Rücken und sein Magen war unzufrieden mit der dort herrschenden Leere und beschwerte sich ziemlich vernehmlich darüber.
 

„Jaja... ich schau, dass ich was für dich finde", murmelte Luca, sich nicht bewusst, dass er mit seinem Bauch sprach.
 

Ein rascher und nicht allzu genauer Blick auf seine halb erfrorenen Extremitäten sagte ihm, dass noch alles seine ursprüngliche Farbe und Form hatte. Was Luca ungemein beruhigte. Schließlich war es Anfang Februar und die Nächte waren immer noch klirrend kalt. Doch auch jetzt, nachdem immer mehr Gegenstände mysteriöser Weise aus dem „Vouge" verschwanden, standen die Betten noch unberührt da. Luca konnte sich denken wieso, doch er hatte in der Zeit seines unfreiwilligen Aufenthaltes hier schließlich die Gedanken daran, was vor gar nicht allzu langer Zeit hier auf den Laken geschehen war, verdrängt. Vorsichtig, um nicht durch die durch das Feuer, den Schnee und die Kälte marode gewordenen Dielen zu brechen, ging Luca in eines der Badezimmer und betrachtete sich in dem gesprungenen Spiegel.
 

Seine blonden Haare standen wirr vom Kopf ab und seine Kleider waren zerknittert und schmutzig. Überall im „Vouge" standen oder lagen verkohlte Gegenstände und er brauchte diese nur zu streifen und schon war er schwarz.
 

Ohne sich dessen bewusst zu sein, strich Luca sich über den Hals. Dort wo seine Fingerspitzen gerade entlang fuhren war vor nicht allzu langer Zeit ein ziemlich übler Bluterguss gewesen. Luca musste verlegen Grinsen. Jamie hatte ziemlich zugebissen. Plötzlich Verzweiflung überkam Luca. Jamie hatte nicht die geringste Spur hinterlassen. Wie auch? Im „Vouge" hatte er eigentlich gar nicht leben dürfen, da er noch minderjährig gewesen war und außer in Lucas Herz war auch keine sichtbare Spur von ihm auf seinem Körper wiederzufinden.
 

Mit zitternden Fingern öffnete Luca trotz der Kälte sein Hemd und starrte durch den Spiegel seinen entblößten Oberkörper an. Das große, schöne Medaillon lag schwer auf seinem Brustkorb und erinnerte ihn jeden Tag aufs Neue an Jamie, damit er ihn nie vergaß.
 

Tränen traten ihm in die Augen und liefen ihm die Wangen entlang. Nichts. Nichts deutete daraufhin, dass Jamie je existiert hatte. Luca schloss seine Augen und erinnerte sich an die Berührungen Jamies, überall auf seinem Körper. Fast war es ihm, als ob reale Fingerspitzen ihm über seine immer kälter werdende Haut strichen, doch als er die Augen öffnete war nichts zu sehen. Luca wünschte, dass sich die Spur von Jamies Händen oder Fingern, die auf seiner Brust Kreise gezogen hatten rot aufleuchten würden, damit er sah, dass das alles wirklich einmal passiert war.
 

Doch nichts war ihm von Jamie geblieben, als die bloße Erinnerung an sein Gesicht, seine Stimme, den Geruch seiner warmen Haut.
 

Warum kam Jamie nicht? Wo war er, dass er ihn nicht suchte und wenn er ihn suchte, warum hatte er ihn dann nicht schon lange gefunden?
 

Und wenn er ihn nicht suchen konnte? Was, wenn er tot war? Nein, dieser Gedanke half gar nichts. Luca hatte sich schon viel zu lange von ihm runterziehen lassen.
 

Jamie konnte nicht umgekommen sein, das würde er spüren... jedenfalls glaubte er fest daran, dass es so sein würde.
 

Ein Kälteschauer rieselte ihm den Rücken hinab und Luca begann zu bibbern. Was dachte er sich auch dabei, halbnackt hier herum zu philosophieren.
 

Während er sich sein Hemd zuknöpfte und den Wintermantel anzog, kam ihm plötzlich eine überaus wahnwitzige Idee.
 

Was war, wenn Jamie an irgendeinen anderen Nachtclub in London verkauft worden war? Was, wenn er einfach von seinem neuen Zuhälter weggesperrt wurde und deshalb nicht nach ihm suchen konnte?
 

Die Erinnerung an sein erstes Missgeschick mit der Suche nach Jamie im „Vouge" und wie er sich voller Naivität hatte abfüllen lassen, verpasste seinem Wagemut einen Dämpfer. Doch da ihm dieser Gedanke nun gekommen war, sah er darin die einzige Möglichkeit, herauszufinden, ob Jamie wirklich in einen anderen Nachtclub gebracht worden war.
 

Unruhe überkam ihn und Luca fragte sich, wie er es anstellen sollte. Immerhin war er selber noch minderjährig und konnte nicht einfach so mir nichts dir nichts in einen Nachtclub laufen.
 

Außer, dachte er und plötzliche Übelkeit und Angst kälter als Stahl umgriffen sein Herz, ich werde einer von ihnen... .
 


 

Lange Zeit starrte Luca vor sich hin, innerlich hin- und hergerissen.
 

Isaac hatte ihm einmal erzählt, wie er versucht hatte, wegzulaufen. Die darauffolgenden Prügel, nachdem er wieder eingefangen worden war, hatte er als nicht schlimm empfunden, doch was sie danach getan hatten, um ihn wieder gefügig zu machen-... Das hatte ihn dazu veranlasst nie wieder auch nur darüber nachzudenken, wegzulaufen.
 

Doch wenn er nicht alles gab, würde er Jamie nie wiederfinden. Wenn Jamie ihn nicht suchen konnte, dann würde er, Luca, ihn eben finden.
 

Ohne lange zu zögern, packte Luca seine sieben Sachen und verließ das „Vouge" durch die Hintertür. Von dem grauen Stück Himmel über ihm, schwebten dreckigweiße Schneeflocken. Zögerlich und darauf bedacht, kein Geräusch zu verursachen, öffnete er die Hintertür von seinem ehemaligen Elternhaus und schlich sich in die leere Küche. Dort öffnete er vorsichtig ein Tür nach der anderen und suchte etwas zu Essen zusammen. Er kam sich dabei vor, wie ein gemeiner Dieb, doch Luca schob diesen Gedanken beiseite. Schlussendlich öffnete er eine Schublade und zog Stift und Papier hervor. Seine Mutter würde vor seinem Vater wiederkommen, hoffte Luca jedenfalls, denn nun kritzelte er eine hastige Entschuldigung dafür, dass er sich die Lebensmittel genommen hatte und ein paar Zeilen zum Abschied hin. Nachdem er sich alles noch einmal genau durchgelesen hatte, sandte er ein kurzes Stoßgebet zum Himmel, dass es seine Mutter wirklich vor seinem Vater finden würde und verließ dann das Haus erneut durch die Hintertür.
 

Luca hatte keine Ahnung, wohin er sich nun wenden sollte, also entschied er sich schlicht dafür, der Straße in Richtung Innenstadt zu folgen und sich dort in den dunkleren Gassen nach Menschen umzusehen, die so aussahen, als wüssten sie, wo man auch als Minderjähriger in einen Nachtclub kommen konnte.
 

Je weiter Luca sich der Innenstadt näherte, desto heftiger und ekelerregender wurde der durchdringende Geruch nach Unrat und animalischen Exkrementen.
 

Flach atmend und stur zu Boden schauend bahnte Luca sich einen Weg durch die immer dichter werdenden Menschenmassen. Nasse Unterröcke schlugen ihm gegen die Beine und Spritzwasser von vorbeifahrenden Kutschen sprühte ihm ins Gesicht.
 

Je weiter er in die immer dunkler und dreckiger werdenden Gassen vordrang, desto häufiger fragte er sich, wie ein Mensch – geschweige denn gleich halb London – in solchen Straßen und Häusern leben konnte. Nein, leben war nicht mal mehr der richtige Ausdruck dafür.
 

Durch seine Mutter wusste Luca, dass zwei Mal pro Woche ein Markt auf dem Platz Woodcliffroad Ecke Summersetbridge stattfand, und genau dorthin wollte er jetzt, doch er hatte keine Ahnung, wie um alles in der Welt er hinfinden sollte.
 

„Entschuldigung?", sprach er eine ältere Dame an, die ihn aber vollkommen ignorierte und weiter die Straße entlangzockelte.
 

„Sehr freundlich", murrte er und ging ein paar Schritte weiter.
 

„Sir? Sir? Wie komme ich-...?", doch auch der Mann, den er nun angesprochen hatte, wandte sich noch nicht einmal zu ihm um.
 

Waren denn alle Menschen hier taub oder so beschäftig, dass sie keine Zeit hatten, jemandem kurzerhand den Weg zu erklären?
 

Nach der fünften Person, die nicht einmal annähernd Anstalten gemacht hatte, ihm zu helfen, geschweige denn vorher erst einmal zuzuhören, ließ er sich entmutigt durch die Straßen schieben. Bis sein zielloser Blick an einem gutaussehenden Jungen in seinem Alter hängen blieb. Unerwartet erschüttert von dessen Anblick blieb er stehen und starrte den kokettierenden Farbigen einfach nur an.
 

Emíl? Konnte das wirklich Emíl sein?
 

Ein Versuch war's wert, dachte sich Luca und drängelte sich durch die schimpfenden Menschen. Die Tatsache, dass ihn jetzt auf einmal alle Leute wahrzunehmen schienen, bemerkte er garnicht.
 

„Emíl! Emíl!", rief er wieder und wieder und schließlich wandte der Angesprochene sich um.
 

Mit gerunzelter Stirn sah er Luca entgegen, dann trat der Ausdruck des Erkennens in seine Augen.
 

Kurz wandte er sich zu dem Mann, mit dem er gerade gesprochen hatte um, der sich daraufhin entfernte und lächelte Luca dann breit an.
 

„Luca! Was machst du denn hier?"
 

Luca grinste ihn außer Atem an und schluckte schnell, dann sagte er:
 

„Emíl, bin ich froh, dich zu sehen."
 

Emíl zog die Augenbrauen hoch und erwiderte: „Warum das denn?"
 

Luca schüttelte den Kopf und trat noch einen Schritt näher.
 

„Können wir hier irgendwo ungestört reden?"
 

„Ich weiß nicht...", zögerte der farbige Jungen und sah sich um. Dann schnappte er sich Lucas Hand und zog ihn in den Hauseingang hinter sich.
 

Bevor er sich versah, stand Luca in einem schwach beleuchteten Raum, der fast exakt so eingerichtet war, wie ehemalig das „Vouge" auch.
 

Ein triumphierendes Gefühl stieg in Luca auf und schnell stolperte er hinter Emíl her.
 

„Arbeitest du hier?", fragte er, doch ein warnender Blick Emíls brachte ihn zum Schweigen.
 

„Halt die Klappe, sonst bist du fällig!"
 

Irritiert über die plötzliche Drohung starrte er Emíls Hinterkopf an. Emíl jedoch, zerrte ihn unbarmherzig weiter in eines der Hinterzimmer, schloss die Tür und verriegelte sie.
 

„Was-...?"
 

Doch Emíl schüttelte den Kopf und legte ihm eine Hand auf den Mund.
 

„Sei still, bitte!", zischte er und lauschte angestrengt.
 

Auch Luca, der nun ja nichts mehr sagen konnte, saß nun still da und wartete ab.
 

„Ich glaube Larry hat nichts mitbekommen. Sonst wäre er schon längst hier... hoff ich jedenfalls, dass es so ist", sagte Emíl leise und mehr zu sich, als zu Luca und nahm die Hand von Lucas Mund.
 

„Alles okay?", fragte er den verwirrt dasitzenden Blonden schließlich und lächelte fragend.
 

Luca nickte und fuhr sich durch die Haare.
 

„Alles in Ordnung."
 

Kurze Zeit herrschte Schweigen in dem spärlich eingerichteten Raum, dessen Einrichtung nur aus einem frisch bezogenen Bett und einem großen Spiegel mit Goldrahmen zu bestehen schien.
 

„Also", unterbrach Emíl schließlich die Stille, „warum bist du hier?"



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  midoriyuki
2008-10-27T19:41:03+00:00 27.10.2008 20:41
Emíl könnte glaub ich echt noch Ärger kriegen aber Lucas Idee...argh das könnte noch richtig Probleme geben;_;
Aber find das unglaublich toll was er für Jamie alles tun würde*_*
Hab aber wie Reina langsam das Gefühl, dass das verdammt lange dauern wird bis sich die beiden wieder haben...Und das ist nicht schön*sigh*
Aber egal das Kapi ist auf jeden Fall wieder total schön geschrieben und man kann sich auch gut in Lucas Gedankengänge hineinversetzen:)

Von:  ReinaDoreen
2008-10-27T19:27:56+00:00 27.10.2008 20:27
Die Idee war gut von Luca dort zu warten, wo einst Jamie mehr oder weniger zuhause war. Aber irgendwann ist klar, das er nicht mehr ewig dort bleiben und warten kann.
Und jetzt will Luca das machen,was Jamie aufgegeben hat. Ich glaube, das es auch so wird und luca bald seinen Körper verkauft, wenn nicht jetzt dann vielleicht woanders.
Ich habe aufgegeben, zu hoffen das Luca und Jamie sich so bald wiedersehen. Ich bin fast der Meinung das es sehr viel später sein wird und dann vielleicht noch ein einem Bordell in dem Luca dann arbeitet.
Reni


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