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Wie lange noch...?

Die Geschichte eines jungen Prostituierten
von

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Aus der Sicht von Jamie

Februar...
 

...März...
 

...April
 

Ich fühle meine Sinne nicht mehr,

Ich fühle nur noch diese Kälte.

Alle Farben scheinen zu verschwinden.

Ich kann meine Seele nicht mehr spüren.

Vielleicht würde ich aufhören mich anzuklagen,

wenn ich nur eine Chance bekommen hätte.

Ich hab das alles nie opfern wollen.

Doch ich bin gezwungen, loszulassen.
 

Ein leises Klopfen an der Zimmertür weckte Jamie. Ohne die Augen zu öffnen, blieb er liegen und genoss die Dunkelheit um sich herum.

„Jamie, kann ich reinkommen?“, drang nun eine Stimme durch die geschlossene Tür. Jamie antwortete nicht und wünschte innerlich, dass der Störenfried endlich verschwand.

„Jamie?“, kam es nun drängender und leise knarzend wurde die Tür nun ohne seine Zustimmung aufgemacht. Widerwillig öffnete Jamie nun doch seine Augen und starrte zum dunklen Baldachin hinauf.

„Ethan, verpiss dich.“

Jamie hörte, wie Ethan scharf die Luft einzog und die Tür etwas lauter als es eigentlich nötig gewesen wäre wieder zuschlug. Doch dann flog sie erneut auf und Ethan stürmte mit wütenden Schritten ins Zimmer.

„Jamie, jetzt stehst du auf! Los!“

Jamie ignorierte ihn und starrte weiterhin melancholisch zum dunkelroten Samtbaldachin hoch. Wenig beeindruck von seinem Schweigen, ging Ethan nun auf die Fenster zu und zog die schweren Vorhänge zur Seite. Helles Sonnenlicht ergoss sich in den bis dahin im Dunkeln liegenden Raum. Staubkörner tanzten wirbelnd in den Strahlen und als Ethan nun auch unbarmherzig die Fenster weit öffnete, wehte warme Luft durch den Raum.

Leises Vogelgezwitscher und das Rauschen von großen, alten Bäumen war zu hören, doch Jamie wollte einfach nur seine Ruhe. Wut darüber, dass Ethan ihn einfach nicht in Ruhe lassen wollte stieg in ihm auf und er schlug zornig die Bettdecke zur Seite und stellte seine nackten Füße auf die knarrenden Holzdielen vor dem großen Bett. Leicht bekleidet wie er war – nämlich nur mit einer hellgrünen Flanellschlafanzugshose – warf er sich seinen Morgenmantel über, schubste Ethan zur Seite und schloss ein Fenster nach dem anderen wieder.

„Du solltest sie auf lassen, ein bisschen frische Luft würde dir gut tun.“

Nun endgültig erzürnt über das anmaßende Verhalten seines Gegenübers wirbelte Jamie herum und stieß Ethan seinen Zeigefinger in die Brust.

„Bist du meine Mutter oder mein Kindermädchen oder so?“ Er funkelte ihn wütend an. Die Wut tat gut, sie war eine willkommene Abwechslung zu dem sonstigen Schmerz, der ihn in den einsamen Nächten fast zu zerreißen schien. „Nein! Also verschwinde, lass mich in Ruhe und kümmere dich gefälligst um deinen eigenen Kram!“

Mit zusammengepressten Lippen stand Ethan vor ihm und in seinen Augen funkelte nun auch unterschwelliger Zorn.

„Ich weiß, dass ich weder dein Kindermädchen, noch deine Mutter oder auch sonstiges bin, aber ich weiß, dass du mein Freund bist und dass ich nicht länger mit ansehen werde, wie du dich kaputt machst!“

Bilder eines brennenden Gebäudes stiegen vor Jamies innerem Auge auf und trieben ihm die Tränen in die Augen.

„Nein,“, brachte er mit brechender Stimme hervor und wischte sich eine Träne von der Wange, „das mit dem kaputt machen, das hast du schon vorher geschafft.“

Mit diesen Worten drehte er sich um und ging wider auf das Bett zu, doch Ethan packte ihn am Oberarm und zwang ihn, sich umzudrehen.

Ich hab dich kaputt gemacht? Weil ich dich und mich aus diesem elenden Leben rausholen wollte? Weil ich dir helfen wollte, damit du nicht so endest wie ich? Ohne Ausbildung, ohne Möglichkeit, aus diesem widerlichen Gewerbe jemals wieder herauszukommen? Damit habe ich dich kaputt gemacht?!“, schrie Ethan ihn an und Jamie zuckte zurück. Dann riss er seinen Arm weg und trat einen Schritt auf Ethan zu.

„Du wolltest mir helfen? Ach, jetzt verstehe ich, du hilfst also anderen Menschen, indem du jemanden engagierst, der das Zuhause dieser Person anzündet, dann indem du ihm das wichtigste in seinem Leben nimmst und ihn schlussendlich bewusstlos schlagen lässt?!“ Jamie taxierte Ethan einen Moment, dann wandte er sich um und schmiss die Arme in die Luft. „Ach stimmt, warte, ich habe vergessen, dass du ihn auch noch sicherheitshalber an einen Ort bringst, von dem er nicht weglaufen kann! Ohja, ich fühle mich richtig gut hier!“ Wutentbrannt stellte Ethan sich ihm in den Weg, als Jamie das Zimmer verlassen wollte und zischte:

„Du weißt, dass ich nie auch nur im Entferntesten vorhatte, dass Luca etwas zustößt!“

Als Ethan den Namen aussprach war es, als würden zentnerschwere Steine ihn unter Wasser und hinab ins Dunkel ziehen. Jamie merkte, wie er schwankte und hielt sich am Türrahmen fest.

„Ich habe dir schon tausend mal gesagt, dass das nicht beabsichtig war! Luca sollte mit hierher kommen!“, rief Ethan und rüttelte ihn an der Schulter.

„Hör auf.“ Doch Ethan fuhr unbarmherzig fort.

„Jamie, Luca ist vielleicht nicht tot, vielleicht ist er von dem Lärm aufgewacht und hat sich in Sicherheit gebracht!“

„Du sollst aufhören, sei still!“, schrie Jamie und hielt sich die Hände vor die Ohren. Doch Ethan hatte mit seinen Worten wieder all das heraufbeschworen, was er in den letzten Monaten so gut es ging zu verdrängen versucht hatte.

Luca... tot…Luca… tot...Luca… .

“Halt dein verdammtes Maul!”, brüllte er Ethan an, der ihn verschreckt ansah, dann stieß er ihn grob zur Seite und rannte den Flur hinunter auf das Badezimmer zu, riss die Tür auf, schlug sie hinter sich zu und schloss ab. Dann ließ er sich heftig schluchzend gegen die Tür sinken und ließ dem Schmerz in seiner Brust, der ihn fast zerriss, freien Lauf.

Als er sich nach einer halben Ewigkeit wieder etwas beruhigt hatte, stand er zitternd auf, drehte den Wasserhahn auf und wusch sich das Gesicht. Als er seinen Blick aus dem Handtuch hob und das erste Mal seit Monaten in den Spiegel sah, erschrak er beinahe vor sich selbst. Seine Augen wirkten stumpf und das viel zu lange Haar hing ihm strähnig und glanzlos ins Gesicht.

„Keine zwanzig Pfund würden sie im „Vouge“ für dich zahlen“, sagte er bitter zu seinem Spiegelbild und strich sich ein paar Strähnen aus der Stirn.

Von draußen auf dem Flur drangen Stimmen zu ihm ins Bad und er trat näher an die Tür, um zu verstehen, was gesagt wurde und wer da sprach.

„... er ist total ausgerastet. Ich weiß einfach nicht mehr, wie ich ihm klarmachen soll, wie sehr mir diese ganze vertrackte Scheiße leid tut. Und dass er keinen Grund hat, sich mir gegenüber aufzuführen wie ein depressives, launisches und ekelhaft zynisches Arsch!“

Ethan.

„Ich-...“

Jack.

„Ich meine, wir sind jetzt schon seit drei Monaten hier und er ist bis jetzt nur vom Schlafzimmer bis ins Bad und wieder zurück gegangen, hat blöde Sprüche gelassen, sich ausgeschwiegen oder wegen nichts angefangen herumzuschreien!“

Ethan.

„Ich denke, du solltest ihm einfach noch etwas Zeit geben.“

Jack.

„Ja, ich weiß, aber wie lange noch? Wie lange soll ich noch warten? Hast du ihn dir mal angesehen? Er ist viel zu dünn, seine Haare sind strähnig, stumpf und spröde und er ist blass wie ein Gespenst. Jamie hat seit Monaten nicht mehr die Sonne gesehen, geschweige denn, dass er draußen an der frischen Luft war! Und irgendwann muss er auch mal akzeptieren, dass Luca eventuell tot ist und dass ihn dann nichts zurückbringt“, fügte er leise hinzu.
 

Es folgte ein kurze Pause und Jamie schluckte. Ethan sorgte sich wirklich um ihn, obwohl er sich dabei anhörte wie eine zänkische Ehefrau.

„Wo ist Jamie jetzt?“, fragte Jack und Jamie wich von der Tür zurück. Einen Moment später klopfte es vorsichtig.

„Jamie?“

Jamie sah einen Augenblick auf die Tür, dann antwortete er.

„Ja?“

„Schon gut. Ich wollte nur wissen, ob du noch hier bist“

Verwirrt machte Jamie einen Schritt auf die Tür zu, entriegelte sie und trat auf den Flur. Ethan war nirgends mehr zu sehen.

„Jack?“

Der gutaussehende, junge Mann drehte sich zu ihm um und ein Lächeln erschien auf seinen Lippen.

„Du siehst wirklich schrecklich aus. Bleib bloß in deinem Zimmer, damit dich meine Gäste nicht sehen.“

Nicht wissend, ob Jack das jetzt erst gemeint hatte, starrte Jamie ihn an und Jack brach in schallendes Gelächter aus.

„Oh man, Jamie. Das war ein Scherz. Naja, nicht ganz“, korrigierte er sich und kam ihm ein paar Schritte entgegen. „Du siehst wirklich schrecklich aus. Ich sollte einen Friseur rufen lassen, findest du nicht?“

Unbewusst griff Jamie sich an den Kopf und Jack lachte abermals.

„Sehe ich wirklich so schrecklich aus?“

„Hast du eben im Bad nicht einen Blick in den Spiegel geworfen?“, staunte Jack und musterte ihn erstaunt.

„Doch.“

„Na also, dann weißt du ja, wie schrecklich du aussiehst.“

Jamie nickte resigniert und Jack quittierte das mit einem zufriedenen Schmunzeln.

„Ich werde gleich heute nach einem Friseur schicken lassen, dann kann der dich gleich morgen wieder ausgehfein machen.“

Jamie nickte und Jack wandte sich zum gehen, da fiel Jamie ein, dass Jack vorhin etwas von Gästen gesagt hatte.

„Jack, warte mal.“

Erstaunt dreinschauend sah Jack sich um.

„Du hast was von Gästen gesagt, wer ist denn da?“

Ein erfreuter Ausdruck erhellte Jacks Züge und ein unbestreitbares Leuchten stand in seinen rehbraunen Augen.

„Steve ist da. Sein Schiff ist vorgestern eingelaufen und er hat beschlossen uns einen Besuch abzustatten.“

„Sind er und Ethan immer noch-...?“

Das fragst du Ethan am besten selber“, lachte Jack und wandte sich nun endgültig zum gehen.

Jamie seufzte leise, ein kurzer Stich der Eifersucht durchzuckte ihn. Warum durfte Ethan glücklich sein und er nicht? Doch Jamie rief sich die Erinnerung an ein Gespräch mit Ethan in den Sinn.

Ethan hatte mit dem Rücken zu ihm gestanden und aus dem Fenster gesehen.

„Bist du deswegen versetzt worden?”

Ethan hatte leicht genickte und eine Hand an die Fensterscheibe gelegt.

„Ich hab sie geliebt wie mein Leben. Sie war mein Ein und Alles, bis-...“

„Bis was?”, hatte er vorsichtig nachgehakt.

„Bis ihr Vater das zwischen mir und ihr herausbekommen hat und sie mit einem reichen Typen verheiratet hat.“

Er hatte Mitleid mit Ethan gehabt.

„Wie…wie bist du damals damit fertig geworden?“

„Gar nicht.“

Jamie erinnerte sich nur zu gut daran, wie verschlossen und verbitterte Ethan gewesen war, als er ins „Vouge“ gekommen war. Hatte er sich zu einem genauso unnahbaren Menschen entwickelt? War er wirklich so kalt und zynisch geworden?

Jamie wusste, er tat Ethan unrecht, wenn er ihm das Bisschen Glück, dass er wohl mit Steve gefunden hatte auch noch verdarb. Er seufzte leise und ging langsam in sein Zimmer zurück. Kaum hatte er sich daran gemacht, mit leicht schlechtem Gewissen Ethan gegenüber, die Vorhänge nun doch aufzuziehen, da klopfte es an der Tür.

„Ja?“

Jamie drehte sich um und zu seiner Verblüffung stand ein ausgenommen hübsches, rothaariges Mädchen im Türrahmen. Sie trug eine Bedienstetenuniform, doch Jamie hatte sie noch nie gesehen. Kein Wunder, schalt er sich selbst, er hatte die drei Monate, die er nun schon hier war nur in seinem Zimmer verbracht. Es war also wirklich nicht verwunderlich, dass er sie nicht kannte.

„Was ist?“, fragte er sie und versuchte, nicht allzu unfreundlich dreinzuschauen.

„Der Herr lässt fragen, ob Sie nicht am Abendessen teilnehmen wollen.“

Ihre Stimme war angenehm zu hören und aus ihren grünen Augen lachte eine ungetrübte Heiterkeit.

„Ähm, ja, gerne. Richtest du das Jack aus?“

Sie lachte und machte einen schalkhaften Knicks. „Jawohl, verehrter Herr, ich werde es dem Hausherrn ausrichten.“

„Danke.“ Jamie wandte sich um, doch sie schien noch etwas sagen zu wollen, denn auch als er sich noch einmal umdrehte, weil er kein Klicken einer zugehenden Tür gehört hatte, stand die Bedienstete immer noch da.

„Was ist denn noch?“

Sie grinste ihn so breit an, dass er sich beinahe beleidigt fühlte, dann sagte sie munter:

„Ich frage mich nur gerade, ob die Jungen in den Nachtclubs alle so schlimm aussehen.“

Jamie stockte der Atem bei so viel Dreistigkeit, doch sie schien das nicht weiter zu stören und ohne ihn noch eines weiteren Blickes zu würdigen wandte sie sich um und verschwand.

Dreistes Miststück, dachte er sich, doch so sehr Jamie es auch versuchte, er konnte sich nicht wirklich über diese Äußerung ärgern, denn im Grunde hatte sie ja Recht.

Nein, hatte sie eigentlich nicht, denn als er noch im „Vouge“ gearbeitet hatte, hatte er gut, wenn nicht sogar mehr als gut ausgesehen. Doch jetzt konnte er es ihr nicht übel nehmen, dass sie sich fragte. Schließlich sah er aus wie ein Penner.

Jamie warf sich aufs Bett und lauschte auf die leisen Vogelstimmen draußen.

Auf irgendeine merkwürdige Weise fühlte er sich besser.

Vielleicht lag es daran, dass er sich endlich mit Ethan gestritten hatte, dass sie sich endlich die Meinung gesagt hatten und Ethan nicht mehr länger bereit gewesen war, seine Selbstmitleidigkeit zu schlucken und zu schweigen.

Vielleicht hatte sein Körper auch einfach keine Kraft mehr weitere Schmerzen zu empfinden. Der Anblick, der sich ihm im Badezimmerspiegel geboten hatte, war auch wirklich schrecklich gewesen.

Wenn Luca – der Name ließ einen gleißend schmerzenden Strahl durch seinen Körper zucken – wirklich tot war, Jamie holte tief Luft und hielt sich die Brust, dann war es so und er würde es endlich akzeptieren müssen. Und wenn er noch lebte, dann trug es erheblich wenig dazu bei, Luca zu finden, dass er sich in seine Zimmer verschanzte und sich weigerte, es zu verlassen.

Falls Luca noch lebte, dann – das schwor Jamie sich –, dann würde er ihn finden!



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Yumicho
2008-09-23T17:19:35+00:00 23.09.2008 19:19
Jamie tut mir hier so Leid...
Ich kann seine Gefühle nachvollziehen. .___.
Das tut so weh, einen so wichtigen Menschen zu verlieren Q___Q
Aber zum Glück lebt Luca jah noch Q___Q

Wenn er gestorben wäre, hätte ich dich... bis zur vollständigen Unerkenntnis [gibt's dat Wort? XD]mit Wattebällchen abgeworfen >-<
Von:  ReinaDoreen
2008-09-09T09:32:14+00:00 09.09.2008 11:32
Für den Moment sieht es so. als habe Jamie für seine Freiheit einen sehr hohen Preis bezahlt.
Er kommt nur sehr schwer damit zurecht, das Luca tot sein könnte. Und am Anfang des Kapitels war es eher so, als zerbricht er darüber.
Nur wenn Luca noch lebt, wo ist er dann? Immerhin sind doch schon Monate vergangen. Hat er Jamie vergessen? Oder wird er irgendwo festgehalten?
Reni


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