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Wind und Meer

von

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Meeresrauschen

Wind und Meer
 

Part 3 - Meeresrauschen
 

Die Spannung zwischen Ísvængur und Súnnanvindur verzerrte die Luftströmungen, knisterte wie Statik vor einem Gewittersturm, und Kyouran wurde das erste Mal bewusst, wie sehr sich die beiden Luftdrachen bezüglich ihres Äußeren glichen.

Wie nahe waren sie wirklich miteinander verwandt?

Zwar konnte er das Gespräch an sich nicht hören, doch die Körpersprache und Gestik reichten vollkommen aus, um ihm ein deutliches Bild zu vermitteln.

Ísvængur war aufgebracht, oder mehr als das, seine verkrampfte Haltung und der erbitterte Ausdruck passten nicht zu dem für gewöhnlich distanzierten, kühlen Luftdrachen.

Er spürte die erratischen Youkischwingungen, die von ihm ausgingen.

Und Súnnanvindur wirkte dem nicht entgegen.

Mit verschränkten Armen, abweisend, ablehnend, stand er vor ihm, sah an seinem Gegenüber vorbei und schwieg.

Die Situation bescherte ihm ein mulmiges Gefühl.

Besorgt, von einer bösen Ahnung beschlichen, zog er die Augenbrauen zusammen; sollte Ísvængur jene destruktiven Tendenzen nicht überwinden, würde er dem Wahnsinn ebenso anheim fallen wie Shiosai…

Er würde dem nicht tatenlos beiwohnen.
 

Als Súnnanvindur ihn endgültig von sich wies und von ihm abwandte, heftete sich Kyouran sogleich an seine Fersen.

Auf der Höhe der zertrümmerten Kaimauer holte er ihn ein.

„Können wir reden?“ fragte der Wasserdrache vorsichtig nach.

Ísvængur zuckte die Schultern: „Tu, was du nicht lassen kannst.“

Nach einem Moment des Zögerns räusperte er sich.

„Wenn du diesen Pfad weiter beschreitest…“

Er verstummte, die meeresgrünen Iriden auf den versteiften Rücken, die zu Fäusten geballten Hände fixiert.

„… endest du wie Shiosai.“

Schnaubend stieg der Loftsdreki über die Überreste der Mauer hinweg.

„Was interessiert dich das?“ grollte er ungehalten.

„Ich… es ist ein grausamer Tod, den-“

„Na und?“ gab er gereizt zurück und entfernte sich raschen Schrittes von ihm. Kyouran rührte sich nicht.

„Ich habe all die Jahrhunderte mit dem Gedanken gelebt, dich nie wieder zu sehen.“ rief er ihm hinterher, „Jetzt habe ich die Chance dazu, und du erzählst mir, dass dir deine eigene Seele keinen Pfifferling wert ist? Was ist los mit dir?“

Ist das fair, mir gegenüber?

„Lass mich zufrieden und kümmer dich gefälligst um deinen Kram.“

Um seine Fassung ringend, zwang sich der Vatnsdreki verbissen zur Ruhe.

„Was glaubst du, was ich gerade tue? Es geht mich etwas an, weil du mir nicht gleichgültig bist!“
 

*~*
 

Wortlos setzte er sich einige Schrittlängen von Ísvængur entfernt in den Sand. Dessen Wut war versiegt, restlos, und zwischenzeitlich verriet seine in sich zusammengesunkene Gestalt nichts als Verlorenheit.

„Shiosai, er… ich konnte nichts für ihn tun“, sagte er gedämpft, der melancholische Unterton evident, „er ist mir quasi unter den Händen weggestorben…“

Wie schwer es ihm fiel, diese Worte über seine Lippen zu bringen. Sich einzugestehen, einen schwerwiegenden Fehler begangen zu haben, nichts getan zu haben, mit fatalen Konsequenzen für seinen Bruder.

„Ich lasse das nicht noch einmal zu“, fügte er mit fester Stimme hinzu.

Ísvængur fuhr mit den Fingern durch den beinahe weißen Küstensand.

„Ich will dein Mitleid nicht. Beruhige dein Gewissen an jemand anderem.“

Resignation schwang niederdrückend in seinem monotonen Tonfall, betrog ihn um die Härte seiner Aussage.

„Ich will dich nicht belehren, ich… mache mir Sorgen.“

Wieso? Wieso beschäftigt es ihn, obschon es ihn nicht betrifft?

„…“

„Lass Súnnanvindur nicht dein Leben bestimmen.“

Ein Schauer jagte dem Luftdrache die Wirbelsäule hinab, und plötzlich wurde er sich einem Faktum gewahr, dass er nie zuvor so wahrgenommen hatte; seitdem er denken konnte hatte der Drachensouverän des Ostens ihn unterbewusst beeinflusst, seine Entscheidungen, das neurotische Bedürfnis gespeist, seine Existenz beweisen zu müssen.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er sich über seine verkannte Herkunft definiert, über all das, was er nicht war.

Wenn er sich selbst nicht mehr als den Sohn eines unverantwortlichen Vaters betrachtete, sondern als ein Kind des Windes, unabhängig, frei von jedweder unliebsamen Blutsbindung, dann…

Warum hatte er sein Selbst dermaßen reduziert…?

Unwillkürlich starrte er auf seine Hände, unschlüssig, zu was ihn seine neuerliche Erkenntnis führen würde.

Kyouran lächelte unverhohlen und schob sich näher an den Loftsdreki heran, ergriff seine rechte Hand.

Meine Seele verzehrt sich nach dir…

Behutsam umschloss er sie mit den Handflächen und legte sie über sein Herz.
 

*~*
 

Kyouran zählte die Narben auf dem blassen Oberkörper des Luftdrachen, folgte ihrem Verlauf mit den Augen. Ísvængurs mehrfarbiges Haar war wesentlich kürzer, als er es in Erinnerung hatte.

Besagter Drache döste ausgestreckt, bloße Haut auf dem hellen Sandstrand, und akzeptierte stillschweigend die Nähe des anderen, lauschte halbherzig den Erzählungen über sein Treffen mit Flúgar und der menschlichen Priesterin, und den Nebensächlichkeiten, die er unaufhörlich daran reihte.

„Auf dem Weg zum Kontinent haben mir die Delfine über einen Luftdrachen in Ryûgu berichtet. Sie haben ihn mehr tot als lebendig aus dem Meer gefischt, verletzt. Kali heißt er.“

Zögerlich streckte der Vatnsdreki die Hand aus, unter der Annahme, dass Ísvængur schlief, und zuckte fürchterlich zusammen, als er eine Antwort murmelte: „Hm. Ich kenne ihn flüchtig.“

Anstatt das Symbol auf seiner Stirn zu berühren, wie er beabsichtigt hatte, berührte er zögerlich die graublauen Haarspitzen, die einen lebhaften Kontrast zu den weißen Sandkörnern bildeten, die sich darin verfangen hatten.

„Wann hast du sie abgeschnitten?“

Durch die Heimlichkeit bestärkt, denn Ísvængur sah ihn momentan nicht, studierte er eingehend dessen entspannte Züge, prägte sich die feinen Linien ein.

„Nach dem Krieg.“

„Ich fand sie schön“, entfleuchte es ihm unverzüglich, und er errötete.

„Ich bin kein Mädchen“, stellte der Loftsdreki trocken fest und verflocht seine Finger in den langen Strähnen, die wie marineblaue Kaskaden über Kyourans Schulter flossen, „Ästhetisch, von mir aus, aber sie stören hauptsächlich.“
 

„Ist diese Frau…?“ setzte der Wasserdrache nach einem Intermezzo der vollkommenen Schweigsamkeit an, und stolperte kläglich über die Beendigung seines Satzes.

„Was? Meine Gefährtin?“ riet Ísvængur, einen todernsten Unterton wahrend: „Um Himmels Willen nein.

Sieht es so aus?“

Verlegen strich Kyouran seine Kleidung glatt, den Blick hinaus auf die rauschende See gerichtet.

„Also… na ja, weißt du… ich…“ stotterte er wenig hilfreich, die Hände in den weiten Ärmeln seines Haoris verborgen.

„Diese Furie hat mich fast auseinander genommen. Grundlos.“

Dafür fehlte seinem Gegenüber jedoch die Vorstellungskraft.

„Sie? Dich?“ echote er ungläubig, ein Hauch von Ironie in der rauchigen Stimme.

„Die ist unzurechnungsfähig“, grummelte der Loftsdreki.

„Ich hatte das Gefühl, sie mag dich.“

Kyourans Unschuldsmiene, seine unparteiische Ehrlichkeit hielt Ísvængur nicht davon ab, ihm den Ellbogen in die Rippen zu stoßen.

„Oder sie ist einfach verrückt nach dir.“
 

Meeresrauschen.

Zwei Seelen, Wind und Meer, im Einklang.

Der Einsiedlerkrebs, der hinter ihnen auf den Fragmenten der Kaimauer saß und mit den roten Scheren drohte, verblieb unentdeckt…
 

*~*
 

Informationen am Rande:

- Mit dem Ende wollte ich einen Bogen zum Beginn der Geschichte schlagen, und ich hoffe, es ist nicht zu plump geworden.

- Alles, was zwischen dem zweiten Kapitel und dem dritten geschieht, werde ich in 'Drachenseele' aufgreifen, daher kommt es hier nicht vor.

- Dieses Kapitel spielt an der Küste, wo sich zuvor die Residenz des Tennô befunden hat, nicht lange nach der Entscheidung der Kämpfe dort.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Carcajou
2008-04-10T23:03:07+00:00 11.04.2008 01:03
Ich finde nicht, das es plump ist. Ein schöner Übergang, mit dem sich ein Kreis erstmal geschlossen hat.
Denn wenn zwei Seelen (verzeih die kitschbeladene Ausdrucksweise) sich gewissermaßen gegenseitig heilen und Trost spenden können, verfliegt jegliche Einsamkeit.
Isvaengur erkennt durch Kyoran, das er er selbst als eigenständige Person ist und nicht von seinem Vater abhängig ist, sich durch ihn nicht definieren muss und kommt seiner seelischen Freiheit damit ein großes Stück näher, Kyoran fühlt sich an den unglückseligen Shiosai erinnert und darf das Gefühl erleben, diesmal jemandem helfen zu können. Eine seelische Wunde, die vielleicht nun auch ein wenig heilen kann...
Schön!
Witzig ihr Gespräch über Scirocco- ich kann mir Kyorans Gesichtsausdruck bei dem vergeblichen Versuch, sich einen von Scirocco vermöbelten Isvaengur vorzustellen, meinerseits SEHR lebhaft vorstellen *lach*
"Furie..."
*grins*

LG,
der Marder
Von:  Hotepneith
2008-04-07T17:11:05+00:00 07.04.2008 19:11
Eiwei...
Der Herr der Loftsdreki hat ein echtes feeling für, mit anderen umzugehen. Weiß er nicht oder will er nicht wissen, dass sein missliebiger Sohn auf die schiefe Bahn kommenkönnte?
Immerhin hat er einen Freund, wenn er auch üebrraschend kommt. (Wasserdrache, Luftdrache)
Übrigens: bei dem Gespräch ähnelt er Flugar...

bye

hotep


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