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Broken

Aishitekudasai...
von

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Der Regen prasselt gegen das Fenster und triste Wolken verdunkeln den Himmel. Es donnert schon stundenlang und zwischendurch erhellt ein Blitz für einen kurzen Moment die Dächer Tokyos. Alles wirkt düster und verlassen, kaum ein Mensch ist auf den Straßen zu sehen. Kein Wunder, bei dem Mistwetter. Der Himmel weint…

Ich bin ein Idiot. Ich bin so ein Idiot… Was habe ich nur getan? Ich hätte es nie so weit kommen lassen dürfen… Es ist alles meine Schuld. Ganz allein meine. Es tut mir so Leid… selbst jetzt, nachdem alles vorbei ist, kann ich noch den Schmerz in deinen Augen sehen. Und es tut weh… es tut mir in der Seele weh…

Ich weiß nicht, wie lange ich hier schon sitze. Eine Stunde? Nein, mit Sicherheit länger… mehrere Stunden. Stunden, in denen ich an nichts anderes denken kann als an dich. Stunden, in denen ich hier schon sitze und aus dem Fenster schaue. Stunden, in denen ich nicht fassen kann, was passiert ist. Ich kann und ich will es nicht glauben. Unaufhaltsam bahnen sich die Tränen einen Weg über mein Gesicht, ohne dass ich es wirklich wahrhabe. Es ist wie ein schrecklicher Albtraum…

Ich weiß, wir haben uns schon im Kindergarten kennen gelernt. Damals hatten wir im selben Sandkasten gespielt und am selben Tisch gegessen, und irgendwann waren wir auf einmal Freunde geworden. Wir konnten uns einander anvertrauen, konnten miteinander über alles reden. Daran hat sich auch nicht viel geändert. Wir verbringen immer noch viel Zeit miteinander und albern viel rum, muntern den anderen auf, wenn er traurig ist. Wir alle fünf, seit dem Bestehen von Gazette, sind zu einer Familie zusammengewachsen.

Bis vor kurzem. Es hat damit angefangen, dass ich mich immer so wohl bei dir gefühlt habe, willkommen und geborgen. Im Grunde ja nichts Neues; du hast mich immer bei dir aufgenommen, wenn ich zu Hause mal Stress hatte. Aber in letzter Zeit fühlt es sich anders an… Wenn ich dich sehe, dann kribbelt es in meinem Bauch; wenn du lächelst, dann schlägt mein Herz schneller und bei jeder deiner Berührungen bekomme ich eine Gänsehaut. Es hat nicht lange gedauert, bis ich wusste, was los war. Vielleicht wollte ich es anfangs nicht realisieren, vielleicht habe ich es sogar verdrängt, weil ich mit meinen Gefühlen nicht klarkam. Aber ich kann es nicht mehr verdrängen… und will es auch gar nicht mehr. Das Herzklopfen, das Kribbeln in mir und die Gänsehaut… warum reagiere ich so extrem auf dich und deine Nähe? Warum kann ich nicht mehr aufhören, an dich zu denken? Und warum tut es so weh, wenn du noch jemand anderen außer mir so anlächelst?

Ich kenne die Antwort. Und sie lautet Liebe. Ich habe mich in dich verliebt. Ich weiß nicht, wie, wann oder warum. Es ist passiert, einfach so. Es war ein wunderschönes Gefühl, unbeschreiblich. Wenn ich dich gesehen hab, dann waren alle Sorgen und Probleme vergessen. Sobald wenn du bei mir warst, war ich überglücklich und konnte die ganze Zeit lachen, ohne wirklich einen Grund dafür zu haben. Ich konnte rumalbern, auch wenn es mir gerade nicht so gut ging; alles war in Ordnung, solange ich nur mit dir in einem Raum war. Und langsam aber sicher wurde ich von dir abhängig. Ich hab dich vermisst, wenn die Bandproben vorüber waren; wenn ich nachts im Bett lag, sah ich in Gedanken immer nur dein Gesicht und konnte nicht mehr einschlafen. Und mit der Zeit wurde dieses Gefühl immer stärker; ich wollte dich immer in meiner Nähe haben und am liebsten die Zeit anhalten. Aber ich war zu feige. Ich hätte einfach nur auf dich zugehen müssen und dir sagen sollen, was ich empfinde; dann hätte diese Achterbahnfahrt der Gefühle, dieses ständige Auf und Ab endlich ein Ende gehabt.

Ein Blitz erhellt die dunkle Nacht und reißt mich aus meinen Gedanken. Es regnet immer noch in Strömen und die Wolken scheinen immer größer und dunkler zu werden. Das Wetter spiegelt meine Gefühle wieder; innerlich fühle ich mich aufgewühlt, zerrissen, traurig und verletzt. Meine Tränen laufen mir weiter über das Gesicht und inzwischen brennen meine Augen, doch ich höre nicht auf. Ich sehe keinen Grund dazu. Warum musste es denn ausgerechnet so kommen? Es hätte doch alles anders sein können…

Wie jeden Samstag hatten wir heute Bandprobe. Du warst mal wieder der erste, der im Proberaum saß, mit einem Block und einem Stift in der Hand. Mein Herz schlug sofort schneller, als ich gesehen habe, dass von den anderen noch niemand anwesend war. Ich ließ die Tür hinter mir ins Schloss fallen; erst da hast du überrascht aufgeschaut, nur um mir kurz darauf dein Lächeln zu zeigen. Wenn ich an diesen Moment zurückdenke, will mein Herz immer noch vor Freude in die Luft springen, denn als du mich angelächelt hast, lief es mir eiskalt den Rücken runter und ich wollte diesen Moment anhalten. Ich wollte die Zeit einfrieren, nur damit ich dein Lächeln sehen konnte. Stattdessen hab ich zurückgegrinst und mich neben dich auf die alte Couch gesetzt, die Tasche hab ich achtlos auf den Boden fallen lassen. »Hey…«, hast du nur gemeint und mich immer noch angelächelt, sodass ich kaum davon loskam. Ich grinste nur weiter und riss mich von dir los, lugte lieber über deine Schulter und wollte eigentlich die Lyrics lesen, an denen du wohl gerade gesessen hast; aber auf einmal hab ich die Wärme gespürt, die von dir ausging, und erst da wurde mir bewusst, wie nah du mir in diesem Augenblick warst. Mit einem Schlag wurde mir wärmer; ich hatte das Gefühl, innerlich zu verglühen, und mein Herz stand kurz still, als du dich zu mir gedreht hast und leise zu sprechen anfingst. »Gefällt es dir?« Ich hatte deine Frage zwar mitbekommen, allerdings war ich zu sehr damit beschäftigt, mich von deinen Berührungen nicht aus dem Konzept bringen zu lassen. Alleine deine Nähe ließ mich schon den Verstand verlieren… »Hai, sieht gut aus.« Gut, dazu konnte ich mich noch durchringen. Aber du hast dich trotzdem nicht wieder deinem Text zugewendet, sondern du hast mich weiter gequält, wenn auch unbewusst. Ich hab deinen Atem an meinem Hals spüren können und die Hitze in mir stieg weiter an; ich wusste gar nicht, wie ich reagieren sollte… das war die reinste Folter! Keinen klaren Gedanken konnte ich mehr fassen; ich glaubte mir sogar einzubilden, dass du mir immer näher kamst, sodass mein Herz sich nun gar nicht mehr beruhigen wollte – bis dann erneut die Tür aufflog und Aoi den Raum betrat. Ich mag Aoi wirklich sehr, er ist ein guter Kumpel, aber in dem Moment wusste ich nicht, ob ich ihm nun den Kopf abreißen oder überglücklich sein sollte. Jedenfalls fuhren wir beide auseinander und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich einen hochroten Kopf hatte. »Hey ihr beiden, alles klar?« Wir beide starrten ihn sekundenlang an, ehe ich aufstand und ihn beinahe schon erleichtert begrüßt habe. »Schön, dass du dich auch noch hier blicken lässt«, meinte ich lachend, während ich ihn in eine Umarmung zog. Ich konnte dein Gesicht nicht sehen, aber hätte ich es gesehen, dann hätte ich Aoi sofort losgelassen, denn dein Blick hätte mir in der Seele wehgetan. Aber so hing ich unwahrscheinlich lange an Aoi, nur damit ich mich beruhigen konnte, damit ich wieder klar denken konnte und wieder ansprechbar war, ohne dich die ganze Zeit anstarren zu müssen.

Irgendwann kamen dann auch die anderen und wir konnten mit der Probe anfangen. Ab da hab ich mit Absicht deine Nähe gemieden; auch wenn ich mich nach wie vor nach ihr gesehnt habe, so intensiv wie an diesem Nachmittag tat sie weh, weil ich wusste, dass ich sie nicht immer so fühlen konnte. Ich habe mich in die Musik geflüchtet, in die Gespräche der anderen, nur um dir nicht in die Augen schauen zu müssen. So habe ich auch nicht deine Blicke gemerkt, die nach meinen suchten, oder wie du meine Nähe wolltest… Ich war unglaublich froh, als die Bandprobe endlich vorüber war; so nervös und angespannt war ich noch nicht einmal vor dem Final von der Decomposition Beauty Tour in Yokohama gewesen. Kai und Uruha waren schon weg; Aoi verließ gerade den Raum und ich war schon im Begriff meine Jacke anzuziehen und ihm zu folgen, als du nach meinem Arm gegriffen hast. Überrascht von dieser Aktion hielt ich inne, gleichzeitig habe ich gehofft, nicht mit dir alleine sein zu müssen. »…was gibt’s?«, fragte ich also etwas steif, wahrscheinlich zu steif deinem Blick nach zu urteilen. Denn du hast mich nur kurz angeschaut, dir auf die Unterlippe gebissen und zur Seite gesehen, was mir das Herz zerriss. Wie gern ich hätte ich dich in den Arm genommen und das wieder gut gemacht, aber ich konnte mir vor dir keine Blöße geben; also blieb ich stehen wo ich war, bemüht, mich in deiner Gegenwart nicht zu vergessen. Die Stille, die zwischen uns herrschte, war unangenehm und steigerte meine Anspannung noch; ich habe dich in Gedanken angefleht, endlich etwas zu sagen, nur damit diese Stille nicht mehr so sehr auf uns lastete.

»Ich muss mit dir reden…« Auch wenn es nur gemurmelt war, verstand ich, was du gesagt hattest. Aber ich wollte es nicht. Ich wollte nicht darüber reden. Über kurz oder lang war sicher, dass dir mein Verhalten auffiel, dass ich vor dir geflüchtet bin und dass ich heute so abweisend zu dir war. Ich wollte dir nicht beichten müssen, wollte dir nicht erklären müssen, warum ich mich dir gegenüber so verhielt. Würdest du mich auslachen? Wärst du wütend? Oder noch schlimmer: Hättest du mir die Freundschaft gekündigt? All das wollte ich nicht wissen, also versuchte ich dich abzuwimmeln und meinte etwas abgehakt: »Hör mal Ruki, ich hab keine Zeit, ich muss noch schnell was einkaufen, sonst machen die Geschäfte zu und–« Doch du hast mir einfach das Wort abgeschnitten. »Es ist wichtig. Bitte… Akira.« Du hast immer noch meinen Arm festgehalten, doch ich wehrte mich nicht mehr; es ließ mich stutzig werden, dass du mich bei meinem Vornamen genannt hast. Wann nannten wir uns auch bei unseren richtigen Namen? So gut wie nie. Schweigend und zugegeben auch neugierig setzte ich mich also auf die Couch und sah dich an, auf eine Erklärung wartend. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, bis ich sie erhielt. Und sie schnürte mir die Kehle zu.

»…ich liebe dich…«

Ich hatte mit allem gerechnet; mit Anklagungen, Vorwürfen, Wut, Hass… mit wirklichen allem, aber nicht mit dem. Ich war sprachlos; kein Ton kam über meine Lippen. Mein Kopf war leer. Selbst jetzt vergesse ich zu atmen, wenn ich an diese drei Worte denken muss… Erneut herrschte Schweigen über uns, großes Schweigen. Mit der Zeit wurde es unerträglich, nicht mehr auszuhalten. Und plötzlich überschlugen sich die Gedanken. Du hast mir gesagt, dass du mich liebst… das kann nicht wahr sein… das ist unmöglich… kannst du wirklich dasselbe fühlen wie ich? Empfindest du für mich, wie ich es für dich tue? Meinst du es wirklich ernst? Oder ist das ein übler Scherz? Wieso solltest du mich lieben? Es gibt keinen Grund für dich…

Ein lautes Donnergrollen durchfährt die Nacht und lässt mich erneut zusammenzucken. Inzwischen hat die Finsternis ganz Tokyo verschluckt, nur vereinzelt leuchten hier und da noch einige Reklameschilder in der Nacht. Die Regentropfen trommeln unnachgiebig gegen die Scheibe, hinterlassen einen durchsichtigen Schleier. Doch das ist nicht das Einzige, was meine Sicht trübt. Mit jeder Sekunde mehr brennen meine Augen, mir ist unangenehm warm und mein Shirt ist schon längst von meinen Tränen durchnässt. Aber es stört mich nicht. Dieses eine Mal will ich heulen, bis ich nicht mehr kann, dieses Mal stehe ich zu meinen Gefühlen; dazu, dass ich dir wehgetan hab und es mir unendlich Leid tut. Ich gestehe mir ein, dass ich unser beider Glück zerstört habe; das Glück, von dem ich nun schon seit einigen Monaten hoffte, dass es in Erfüllung gehen möge. Heute war dieser Moment und ich habe es nicht angenommen, ich habe es nicht wahrnehmen wollen…

Ich habe dich die ganze Zeit über angestarrt und du bist meinem Blick ausgewichen, hast auf den Boden geschaut, sodass ich nicht in deine Augen sehen konnte. In meinem Inneren herrschte heilloses Chaos, alles ging drunter und drüber und ich war verwirrt. Ich wusste nicht mehr wo oben und unten war, geschweige denn, was ich sagen sollte; stattdessen saß ich auf der Couch, erstarrt und unfähig, irgendetwas zu machen. Wir schwiegen einige Minuten und das Chaos in mir wollte sich nicht beruhigen, sondern stieg noch und trieb mich in den Wahnsinn. Warum hast du denn auch nichts mehr gesagt? War es doch nicht ernst von dir gemeint? Wolltest du mich testen? Eine Stimme in mir hat gebettelt, gebettelt, dass du mich endlich aufklärst, dass du mir endlich sagst, was Sache ist. Doch sie hat umsonst gebettelt. Du hast mich nicht angesehen, hast kein Wort gesagt. Du hast nur stumm da gestanden und bist mir ausgewichen, hast dich umgedreht und mir damit die kalte Schulter gezeigt; so kam es mir zumindest vor. Und in diesem Augenblick wurde die Anspannung zu groß für mich, in diesem Moment brach alles über mir zusammen und ich verschwand in einem großen schwarzen Loch. Ich konnte und wollte mich nicht selbst retten, ich ließ es geschehen. Ich war mir sicher, dass das nur ein Scherz war; wieso sonst hast du dich von mir abgewendet? Warum hast du kein Wort mehr gesagt?

Ich konnte spüren, wie mir innerlich heiß wurde, und meine Sicht verschwamm auf einmal; die ersten stummen Tränen flossen über mein Gesicht, als ich wortlos nach meiner Tasche griff und aus dem Raum flüchtete, hinaus in den Regen, und dich alleine zurückließ. Ich konnte dem Druck nicht mehr standhalten; es tat so unglaublich weh, dass du nichts weiter getan hast und mich somit hast durchdrehen lassen. Ich konnte einfach nicht mehr. Während es aus Kübeln goss, lief ich durch die menschenleeren Straßen, wusste nicht, wohin ich gehen sollte, denn nach Hause wollte ich nicht; dort würde mich nur alles einholen und noch mehr erdrücken, bis ich keine Luft mehr bekommen würde, die mir ohnehin schon fehlte. In meinem Kopf, in meinem ganzen Leben, war mit einem Schlag keine Ordnung mehr; alles war plötzlich durcheinander, ergab keinen Sinn mehr und war damit unwichtig geworden.

Ziellos lief ich durch die Straßen, bis ich irgendwann vor Uruhas Tür stand und schon Sturm geklingelt hatte, ehe ich mir dessen überhaupt bewusst war. Nach einiger Zeit öffnete er mir auch und ich bin in die Wohnung gestürmt, nass wie ich war; ich bin ihm direkt in die Arme gestolpert und konnte mich nicht mehr zurückhalten; ich habe geheult und geschluchzt und gezittert. Er musste ziemlich verwirrt gewesen sein, aber im Nachhinein bin ich ihm unglaublich dankbar, dass er keine Fragen gestellt hat, dass er mich tröstend in den Arm genommen und mich in die Küche gebracht hat, wo er mir eine Tasse Tee hinstellte; er hat mich bei sich duschen lassen und mir seine Klamotten gegeben und dann hat er mir zugehört, vom Anfang bis zum Ende. Ich kenne Uruha nun schon seit dem Kindergarten und es ist selten, dass er mich einmal hat heulen sehen; deswegen war ich froh, dass er einfach nur für mich da war und ich mich bei ihm ausheulen konnte. Ich konnte ihm erzählen, was passiert war… Er hat nicht mit der Wimper gezuckt, hat sich meine Geschichte angehört, und schien dennoch überrascht; ich wusste nicht, was in seinem Kopf vorging, aber es war mir egal, er war einfach nur für mich da.

»Und was willst du jetzt machen?« Nach Sekunden des Schweigens stellte er eine Frage, auf die ich keine Antwort wusste. Ich wusste es nicht. Was macht man, wenn man in den besten Freund verliebt ist und der dir dasselbe beichtet? Was tut man, wenn man sich bei allen Dingen nicht mehr sicher sein kann? Ich kenne die Antwort darauf nicht. Was macht man dann, verdammt noch mal? Dieser Druck in mir… mit jedem weiteren Augenblick nahm er zu, wurde stetig größer, bis ich ihm nicht mehr gewachsen war; mein Herz raste und ich verlor die Kontrolle über mich; alles wurde in einen Strudel aus Farben und Formen gezogen und eine Stimme, Uruhas Stimme, klang weit weg und versuchte zu mir durchzukommen. »Rei… hey, Rei… komm zu dir…« Den Tee hatte ich nicht angerührt; nun konnte ich neben mir verschwommen die leere Tasse sehen, deren Inhalt sich über den ganzen Boden verteilt hatte. Aber es war mir egal; alles war mir in dem Moment egal. Warum hast du mir gesagt, dass du mich liebst? Warum hast du es mir gesagt, wenn es doch gelogen war… »Rei, wach auf, verdammt!« Ich hab gespürt, wie Uru mir eine Backpfeife verpasst hat, und erst da wurde mir wieder bewusst, wo ich überhaupt war. Ich hatte Mühe, die Augen zu öffnen; da spürte ich schon die nächste Backpfeife; seine Stimme wurde immer eindringlicher und er rüttelte mich geradezu, dass ich die Orientierung erneut verlor. Und es machte mich wütend, es machte mich rasend. Ich wollte meine Ruhe, konnte er mich nicht einfach in Ruhe lassen? Konnte er mich nicht alleine lassen, mir einfach nur die Zeit geben, die ich brauchte? »Rei…« Er nahm meine Hände und ich befreite mich aus seinem Griff; doch je mehr ich von ihm wegkommen wollte, desto mehr versuchte er mich festzuhalten. Ich schrie wütend auf, schlug und trat um mich, wollte ihn loswerden; doch er setzte sich auf mich und hielt mich fest, rief irgendetwas, aber ich verstand es nicht und wurde immer wütender; ich versuchte erneut mich zu befreien, aber sein Griff war eisern und er ließ nicht los. Ich warf mich hin und her, wollte ihn von mir abschütteln, wollte, dass er von mir runterging; doch er rührte sich nicht von der Stelle, und irgendwann drehten wir uns beide, rollten durch die Küche; ich saß auf ihm, starrte ihn wütend an, ignorierte seine Rufe, die mich wohl beruhigen sollten. Ich war sauer, beugte mich über ihn und kam ihm immer näher; am liebsten hätte ich ihn angeschrieen, was er sich denn dabei gedacht habe, mich so zu ärgern, bis aufs Blut zu reizen, sah er doch, dass ich seine Gesellschaft gerade nicht wollte. Ich wollte ihn anschreien, ihn festhalten, ihn verletzen, meine Wut an ihm auslassen; ich musste mich irgendwie abreagieren und Uruha war in diesem Augenblick mein fehlendes Ventil. Ich hätte sicherlich weiter gemacht, hätte ihm bestimmt noch etwas angetan – wenn nicht in genau diesem Moment du rein gekommen wärst.

Mein Blick wanderte zu dir, blieb an dir hängen, und ich konnte deine Augen sehen, deine vor Schreck geweiteten Augen. Ich hielt Urus Handgelenke immer noch krampfhaft fest, sah aus den Augenwinkeln, wie er ebenfalls zu dir schaute; mein Hirn war wie leergefegt, ich sah in deine Iriden, fassungslos, suchte nach deinem Blick, der an mir haftete und mich nicht mehr losließ, anklagend, vorwurfsvoll und tief verletzt. Und mir wurde plötzlich heiß, mir wurde mehr als heiß, als ich das bemerkte; auf einmal zerbrach etwas in mir, etwas hatte einen Riss, und würde alles zum Einsturz bringen, alles würde über mich zusammenbrechen, wenn du mich weiter angeschaut hättest. Ich war immer noch so tief über Uruha gebeugt; unsere Gesichter waren nur Zentimeter voneinander entfernt, und mit einem Schlag wurde mir bewusst, wie die Situation auf dich gewirkt haben musste; auf der Stelle wurde mir bewusst, warum du so verletzt aussahst und deinen Blick nicht von uns abwenden konntest. Wie ich über Uru hockte, musste für dich ziemlich eindeutig ausgesehen haben; denn deine Augen sprachen Bände, und in diesem Moment machte es klick in mir… Du hast die Wahrheit gesagt, du hast mich nicht angelogen, das war kein Scherz von dir gewesen, du hast es ehrlich gemeint… du liebst mich wirklich. Mein Herz ist plötzlich stehen geblieben, die Zeit ist stehen geblieben, als ob sie eingefroren wäre; Ewigkeiten starrte ich dich an, du starrtest zurück, bis du auf einmal auf dem Absatz kehrt gemacht hast und aus der Küche gerannt bist, aus der Wohnung, nach draußen in den Regen.

»Ruki…« Meine Stimme war nicht mehr als ein Hauchen, aber die Zeit schien wieder weiterzulaufen, diesmal viel schneller als sonst; wie von der Tarantel gestochen ließ ich Uruhas Hände los, stand auf und stolperte durch die Küche; ich rannte aus der Wohnung, die Treppen hinunter und stieß die Tür auf, stand plötzlich im Regen; schwer atmend drehte ich mich in alle Richtungen, suchte nach dir, wollte dir hinterherlaufen und sah dich gerade um die Ecke biegen. Verzweifelt rannte ich hinterher; dass es in Strömen goss und ich schon nass bis auf die Knochen war, interessierte mich nicht. Ich wollte dich einholen, dich aufhalten und alles erklären; aber ich fand dich nicht mehr, du warst bereits außer Sichtweite; du bist vor mir davongelaufen. Und ich stand nun im strömenden Regen; die Tropfen prasselten auf meinen Kopf, meine Haare hingen mir wirr ins Gesicht, ich konnte kaum klar sehen. Meine Kleidung war mit dem kalten Wasser durchtränkt; es ließ mich zittern und frieren, doch es war mir egal. Stattdessen ließ ich mich auf meine Knie fallen, starrte auf den Boden und konnte spüren, wie mir heiße Tränen über die Wangen liefen, die sich mit den Regentropfen mischten, bis ich sie nicht mehr unterscheiden konnte und wollte. In dem Moment schwirrte mir nur noch ein Gedanke durch den Kopf. Ich hab dir wehgetan. Du hast mir gesagt, was du für mich empfindest, du hast mir gesagt, dass du mich liebst, und ich habe es dir nicht geglaubt und dich verletzt.

Und in diesem Augenblick hasste ich mich dafür. Ich hasste mich, weil ich es dir nicht erklären konnte; ich hasste mich, weil ich es nicht rückgängig machen konnte; ich hasste mich, weil ich es überhaupt so weit kommen ließ. Ich sehne mich seit Monaten nach deiner Nähe, kann nachts nicht mehr schlafen, ohne an dich denken zu müssen, hänge mit den Gedanken nur bei dir. Ich stell mir vor, wie ich dich glücklich machen könnte, wie ich dich nachts in meinen Armen halten würde oder wie es sich anfühlen würde, deine Lippen auf meinen zu spüren. Ich liebe es, wenn ich bei deinen Berührungen Herzklopfen bekomme, oder wenn du mich anschaust; wenn wir gerade beim Proben sind und ich deine Stimme hören kann, deine unglaublich schöne Stimme… Und all das würde ich nun nicht mehr sehen, hören und erst recht nicht fühlen dürfen. Ich habe es kaputt gemacht. Nicht erst, als ich über Uru gebeugt war. Ich hätte nicht einfach wegrennen dürfen. Wegrennen vor der Angst, was denn nun ist, vor der Angst, dass das nicht wahr ist, dass es nicht stimmen kann. Ich bin so ein verdammter Idiot…

Ich habe keine Ahnung, wie lange ich auf dem Boden hockte, aber schließlich bin ich irgendwann nach Hause gegangen. Ich bin gegangen, nicht gelaufen; ich ließ den Regen auf mich niederprasseln und mich von ihm erdrücken, bis ich nichts mehr in mir spürte außer Leere. Ich habe nicht geduscht, als ich hier ankam; ich habe mich auch sonst nicht abgetrocknet oder umgezogen. Ich habe mich sofort ans Fenster gesetzt, den Platz, den ich nun schon seit Stunden belege, und starre seitdem mit nassen Augen nach draußen. Diese Leere in mir frisst mich von innen noch auf; sie treibt mich in den Wahnsinn und reißt die Wunde auf, die ich mir selber zugefügt habe, als ich dich im Proberaum alleine ließ. Ich habe dir nicht geglaubt und jetzt folgt die Konsequenz daraus; ich fühle mich leer, seit ich dich verloren habe. Leer und ausgelaugt, sogar leblos. Du bist meine Luft zum Atmen und ich habe dich von mir gestoßen, habe dich abgewiesen. Eine logische Folge ist, dass mir diese Luft zum Atmen fehlt, dass mein Herz mit jedem Zug allmählich langsamer schlägt, bis auch der letzte Schlag verklungen ist und mein Körper leblos in sich zusammenfällt. Das einzig Logische an dieser Geschichte. Das Wichtigste in meinem Leben wurde mir genommen und ich kann nicht mehr weiterleben…

Das Wetter scheint sich auch nicht bessern zu wollen; seit eben jenen Stunden schon regnet es ohne Unterlass und es gewittert. Auch wenn es schon lange tiefste Nacht draußen ist, kann ich nicht schlafen. Ich brauche es nicht; schlafen kann ich später immer noch. Wieso sollte ich schlafen, wenn mir der Stoff für meine Träume fehlt? Aber vielleicht wäre es schmerzloser, viel schmerzloser als hier zu sitzen und mir die Augen aus dem Kopf zu heulen. Mir den Kopf darüber zu zerbrechen, wie ich dir nur so misstraut haben konnte, wie ich dir so etwas antun konnte. Es tut mir so Leid…

Immer noch schaue ich mit leeren Augen in die Dunkelheit vor mir, lasse mich nicht von den fein verästelten Blitzen stören, die für den Bruchteil einer Sekunde die Wolkendecke zu teilen scheinen. Ich höre etwas in meiner Nähe klingeln, vermutlich mein Telefon. Aber ich lasse es klingeln; wenn es etwas Wichtiges war, wird derjenige nachher noch einmal anrufen. Anstelle des Klingelns höre ich jetzt den Piepton… auch gut, dann wird mir halt eine Nachricht hinterlassen.

>Rei, ich bin’s, Uru…<

Klick.

Erstarrt drehe ich mich zum Telefon um. Wieso rufst du mich denn jetzt noch an?

>Ich weiß, dass du da bist, also geh ran, verdammt noch mal, es ist wichtig…<

Deine Stimme hört sich angespannt und nervös an; eigentlich interessiert mich nicht, was du zu sagen hast, aber neugierig werde ich schon. Immerhin muss es ja einen Grund geben, dass du ausgerechnet mich anrufst, obwohl ich dich vorhin doch so scheiße behandelt habe.

>…mir Sorgen… ich habe gerade eben bei Ruki angerufen, aber er geht nicht ans Telefon, dabei weiß ich genau, dass er gerade zu Hause ist… nachdem du mir alles erzählt hast und ihr beide aus meiner Wohnung gelaufen seid, hab ich erst mal nachgedacht und Kai angerufen, ich hab ihm alles erzählt… ich mach mir tierische Sorgen um euch beide, verdammt noch mal, und Kai ist bei Ruki vorbeigefahren, hat auch gehört, dass er da ist, die Musik war an, aber Ruki hat ihm nicht aufgemacht… er hat versucht mit ihm zu reden, aber er hat nicht geantwortet und gerade eben hat Kai wieder bei mir angerufen und gemeint, dass es einen dumpfen Aufprall gegeben hätte und danach die Musik verstummte… ich mach mir Sorgen, Rei, ich mach mir große Sorgen, ich weiß nicht, was mit Ruki ist oder…<

Ich höre seiner Stimme stillschweigend zu; die Tränen sind versiegt ohne dass ich es wahrgenommen habe. Bis gerade eben habe ich mich leer gefühlt. Aber jetzt, mit einem Mal, rast mein Herz plötzlich wieder; es pumpt heißes Blut durch meine Adern, jagt Adrenalin in jede Zelle meines Körpers, es macht mich wieder lebendig. Ich zittere leicht, mir wird schlecht, während ich Uruhas Nachricht lausche; ich höre seine Stimme, ich verstehe seine Worte, aber den Sinn will ich nicht verstehen… Doch es lässt sich nicht verhindern; wie Wasser sickert es durch mich hindurch, in meine Gedanken. Wasser schafft sich einen Weg, egal, wo es sich gerade befindet, es findet immer sein Ziel; genauso hat sich Uruhas Stimme in meinen Kopf gebrannt. Es muss etwas passiert sein, er würde sonst nie so panisch und nervös reagieren; und er macht sich wirklich Sorgen um dich, wie Kai sich um dich sorgt… wie ich mich um dich sorge. Was ist passiert? Was hast du gemacht? Hast du überhaupt etwas gemacht? Mein ganzer Körper ist angespannt; der Anrufbeantworter blinkt nun vor sich hin, zeigt somit an, dass Urus Nachricht gespeichert wurde; wie in Trance starre ich auf den roten Punkt, der in regelmäßigen Abständen aufleuchtet. Eiskalte unangenehme Schauer laufen mir den Rücken runter, wenn ich daran denke, was dir alles passiert sein könnte. Mein Herz will sich nicht mehr beruhigen; im Gegenteil, es schlägt noch schneller als ohnehin schon und die Ungewissheit, was denn nun bei dir geschehen ist, tut weh; sie fügt mir genauso tiefe Schmerzen zu wie alles andere, was ich heute schon hinter mir habe. Ohne weiter darüber nachzudenken, ohne auch nur einen einzigen weiteren Gedanken an etwas anderes außer dich zu verschwenden, stürme ich zur Tür; die Jacke auf der Rückenlehne des Sessels ignoriere ich, stiehlt sie mir doch nur wertvolle Zeit, die ich besser damit verbringen sollte, dich so schnell wie möglich zu finden. Zum dritten Mal spüre ich den Regen auf meiner Haut und in meinem Haar, er rinnt über mein Gesicht und in meinen Nacken; doch auch jetzt stört es mich nicht, will ich doch nur wissen, was mit dir ist, ob es dir gut geht.

Verzweifelt laufe ich durch die Nacht, renne durch die Straßen Tokyos; erneut kann ich den Druck spüren, der immer größer wird, der Druck, der mich langsam aber sicher in die Knie zwingen will. Wie von selbst irre ich durch die Straßen, verfolge einen Weg, einen ganz bestimmten, der mich zu dir bringen soll, und das so bald wie möglich; in mir ist alles verwirrt und verknotet, alleine beim Gedanken an dich wird mir warm. Ein weiteres Mal spüre ich die heißen Tränen über mein Gesicht fließen, kann fühlen, wie sie mit den Regentropfen eins werden und sie mich gen Boden drängen; ich werde immer langsamer, verliere die Kontrolle über mich, meine ganze Selbstbeherrschung. Heulend und blind vor Wut lasse ich mich auf die Knie fallen, stütze mich mit meinen Händen auf dem Boden ab; vornüber gebeugt balle ich meine Fäuste, so tief, dass die Fingernägel ins Fleisch schneiden, doch ich spüre den Schmerz nicht. Es zerreißt mich innerlich, diese Ungewissheit, gleichzeitig aber auch das Wissen, dass ich alleine die Schuld an der ganzen Sache trage, dass ich der Grund dafür bin, warum es dir anscheinend so schlecht geht. Dieser unglaublich starke Druck in mir; ich kann das nicht mehr aushalten… Alles besteht nur noch aus verschwommener Finsternis; in mir dreht sich alles und ich habe das Gefühl, dass ich falle, ganz tief falle… Warum hast du mir nicht schon früher gesagt, was du für mich empfindest? Warum hast du so lange gebraucht, mich so sehr gequält? Warum konntest du es nicht einfach über die Lippen bringen; warum verdammt noch mal?!

Die ersten Blutstropfen fallen auf den Asphalt; sie hinterlassen kleine dunkle Flecken, während sich meine Finger tiefer ins Fleisch graben. Zeitgleich rinnen mir die Tränen übers Gesicht, vermischt mit dem kalten, abweisenden Regen; schluchzend und zitternd raffe ich mich wieder auf, mache mich wieder auf den Weg zu dir. Du brauchst meine Hilfe gerade viel dringender als ich irgendeine… aber kann ich dir überhaupt helfen? Lässt du zu, dass ich dir helfe? Wie kann ich dir helfen? Ich will doch nur, dass es dir gut geht, dass wenigstens du nicht leiden musst…

Bald stehe ich vor der Tür deines Häuserblocks, keine sehr feine, aber auch nicht gerade die schlechteste Gegend. Sofort drücke ich irgendwelche Klingeln, mühe mich gar nicht erst mit der Suche nach deinem Namen ab, irgendjemand wird mir schon öffnen; wie erwartet summt es leise und ich stoße die Tür auf und hechte zum Fahrstuhl, doch er ist defekt, er funktioniert nicht; wütend trete ich gegen das nutzlose Stück Metall und drehe wieder um, laufe die Treppen hoch bis zum siebten Stock; unterwegs komme ich an einigen verschlossenen Türen vorbei, hinter denen ich genervte und verärgerte Stimmen hören kann, aber das ist mir gerade mehr als egal.

Endlich bin ich bei deiner Wohnung angekommen, hämmere sofort wie wild gegen die Tür, warte verzweifelt darauf, dass du mir öffnest; doch nichts passiert. Das hätte mir eigentlich klar sein müssen, wenn du doch schon Kai ignorierst; wieso solltest du jemand anderem – insbesondere mir - die Tür öffnen? Aber so leicht gebe ich mich nicht geschlagen; erneut trommle ich mit meinen Fäusten gegen die Tür, fast schon panisch, werde nicht aufhören, bis du mir aufmachst. »Ruki!« Laut rufe ich deinen Namen, hoffe, dass du mich hörst und nicht hier stehen lässt; meine Stimme schallt durch das eintönige Treppenhaus und mit jedem Augenblick länger werde ich nervöser; alles in mir wartet auf etwas, auf irgendetwas, solange du nur ein Zeichen von dir gibst. »Ruki, mach auf… ich bin’s, Rei!« Ich weiß, dass der Satz vollkommen überflüssig war; natürlich weißt du, dass ich es bin, der gegen deine Tür schlägt und deinen Namen ruft. Dennoch habe ich die verzweifelte Hoffnung, dass du an die Tür kommst, dass du sie öffnest und mich reinlässt… dass ich sehen kann, was mit dir los ist. »Ruki, verdammt noch mal!« So locke ich dich mit Sicherheit eher von der Tür weg, aber ich bin ungeduldig; ich kann nicht und ich will nicht warten, bis du dich endlich dazu durchringen kannst; also geh ich ein paar Schritte zurück, hole tief Luft, ehe ich mich mit voller Kraft gegen deine Tür werfe, die ohne großen Widerstand nachgibt, dass ich in deiner Wohnung zu Boden stürze.

Ächzend stehe ich wieder auf, spüre einen leicht stechenden Schmerz in meiner Schulter, doch er erscheint mir unwichtig; meine Schulter festhaltend laufe ich ins Wohnzimmer, in der Hoffnung, dich dort vorzufinden, doch ich kann dich nicht sehen. »Ruki?«, frage ich panisch in den Raum, drehe mich suchend um, laufe kurzerhand in die gegenüber liegende Küche, doch auch dort ist keine Spur von dir; langsam bekomme ich Angst, Angst davor, dass du gar nicht hier bist, Angst davor, dass du weg bist, Angst davor, dass ich versagt habe… Ich zucke zusammen als ich ein Geräusch höre, und hechte auf den Flur, bin mucksmäuschenstill und warte, bis ich erneut ein gedämpftes Schluchzen höre, was mir das Herz zerreißt; ohne zu zögern laufe ich zum Bad und finde eine verschlossene Tür vor, hämmere dagegen, doch wie erwartet schließt du nicht auf. »Ruki… mach auf, bitte! Ich bin’s, Rei… mach bitte auf, Ruki… ich muss mit dir reden!« Doch alles Rufen und Flehen bringt nichts; du hast dich im Badezimmer eingeschlossen und ignorierst mich einfach, dass es mir in der Seele wehtut. »Ruki!« Mein Ruf ist verzweifelt, panisch und hilflos; es macht mich blind vor Sorge, dass ich nicht da drin bei dir sein kann und stattdessen auf der anderen Seite der Tür stehe und gegen sie poltere, dass du sie doch endlich öffnen sollst; doch immer noch rührst du dich nicht vom Fleck, die Tür bleibt fest verschlossen und gibt auch keinen Zentimeter nach. Mit rasendem Herzen und viel zu hohem Adrenalinspiegel in meinem Blut suche ich nach etwas, womit ich die Tür aufbrechen kann, eine Eisenstange oder sonst etwas; ich brauche irgendetwas, das mir hilft, dieses dämliche Stück Holz zwischen uns beiden zu entfernen, aber ich finde nichts; kurzerhand nehme ich erneut Anlauf und werfe ich mich mit der Schulter gegen die Tür, immer wieder, bis sie schließlich mit einem Krachen nachgibt und quietschend in den Angeln hängt.

Keuchend stehe ich im Bad und sehe dich mit nacktem Oberkörper am Waschbecken stehen, mit dem Rücken zu mir; selbst deine Reflektion im Spiegel kann ich nicht sehen, weil du deinen Kopf gesenkt hältst und sie verdeckst. Einzig und allein dein Schluchzen kann ich hören; dein Schluchzen, das mir die Kehle zusammenschnürt und mich nicht mehr atmen lässt. »…Ruki…« Deinen Namen hauchend mache ich vorsichtig ein paar Schritte auf dich zu, will dir näher kommen; auf einmal drehst du dich zu mir und ich bleibe wie erstarrt stehen, sehe dein weinendes tränenverschmiertes Gesicht und mein Blick wandert tiefer, zu deinem Unterarm, aus dem ich eine dunkle Flüssigkeit zu deinen Fingerspitzen laufen sehe, von wo aus es auf den Boden tropft und einen dunkelroten Fleck auf den hellen Fliesen hinterlässt; in deiner anderen Hand sehe ich etwas Kleines im kalten Deckenlicht des Badezimmers leuchten.

Fassungslos starre ich dich an, kann nicht glauben, was mir meine Augen zeigen, will ihnen nicht glauben; doch sie zeigen mir etwas, was ich nicht sehen will, sie zeigen mir die grausige Realität, von der ich zu hoffen gewagt hatte, dass sie nie eintrifft; ich hatte ernsthaft gehofft, dass du dir nichts antust und jetzt sehe ich, dass dieses Hoffen umsonst ist, dass der schlimmste Fall eingetroffen ist, von dem ich überhaupt denken kann. Ich starre dir wieder ins Gesicht, in deine Augen, die mich anklagend und abwehrend anschauen, dass es mir eiskalte Schauer über den Rücken jagt; sekundenlang schweigen wir uns an und ich habe das Gefühl, dass Ewigkeiten vergehen, ehe ich ein Wort über die Lippen bringen kann. »Nein…« Es ist ein Wispern, fast lautlos, und dennoch scheint es von den Wänden zu hallen, schwirrt in meinem Kopf rum und ist das Einzige, was gerade in meinen Verstand dringt; ich kann nicht glauben, was du da machst, will es gar nicht erst realisieren, aber was ich sehe, ist die Wahrheit, und keine Lüge. »Nein, das… ich… was machst du da?« Entgeistert schaue ich wieder in dein Gesicht, in deine Augen, doch alles was ich erkennen kann, ist Abweisung und Schmerz, purer Schmerz, der auch mir weh tut. Du starrst zurück, direkt in meine Augen, sodass eine unangenehme Gänsehaut über meinen ganzen Körper zieht und mich erschaudern lässt; immer noch schluchzend und mit einem Gesicht, dass tränenüberströmt ist, kaust du auf deiner Unterlippe rum, lässt beide Arme runterhängen, dass das Blut immer schneller deinen bleichen Arm entlangläuft und sich die Tropfen allmählich zu einem Fleck auf dem Boden verbinden.

Erneut gehe ich auf dich zu, vollkommen paralysiert von dem, was ich hier sehe; aber du gehst stumm ein paar Schritte zurück, zeigst mir somit deutlichst, dass ich dir nicht zu nahe kommen soll, und mir dreht sich bei dieser Bewegung der Magen um; schwer schluckend bleibe ich stehen, bin am überlegen; aber ich kann nicht einfach stehen bleiben, und so gehe ich wieder auf dich zu, treibe dich immer weiter in die Enge, bis du in der Ecke stehst. Mit klopfendem Herzen und leicht zitternd strecke ich die Hand nach dir aus, will dich berühren, doch deine Worte lassen mich wie angewurzelt verharren, den Arm ausgestreckt. »Fass mich nicht an!« Deine Worte sind leise und klingen gepresst, sie durchschneiden die Stille wie ein scharfes Messer und treffen mich direkt ins Herz; nicht verstehen wollend suche ich in deinen Augen nach dem Grund, warum du das machst, kann jedoch keine Antwort finden und es zieht mir das Herz zusammen, dich so ansehen zu müssen. Aber ich brauche keine Antwort, ich kann mir bereits denken, warum, und das Wissen, dass ich die Schuld daran trage, erdrückt mich regelrecht und will mich von innen zerfetzen.

»Tu – tu das nicht… ich bitte dich, Taka… lass es…« Taka habe ich dich bisher nur einmal genannt; damals in der Grundschule, als du von anderen auf dem Schulhof umzingelt standest und sie dich hin- und hergeschubst hatten, war ich dazwischen gegangen und hatte sie angebrüllt, dass sie dich in Ruhe lassen sollten, hatte dich danach in den Arm genommen und dir versprochen, immer für dich da zu sein. Doch dieses Versprechen habe ich gebrochen, heute habe ich dich im Stich gelassen, was ich nie hätte tun dürfen; ich hätte es auch nie getan, wenn ich die Konsequenzen gekannt hätte.

Obwohl du deutlicher nicht sein könntest und du versuchst, meiner Hand auszuweichen; obwohl sich dein ganzer Körper anspannt, lege ich meine Hand auf deine Schulter; sofort schlägst du sie weg und blinzelst mich wütend mit stummen Tränen in den Augen an. »Ich hab gesagt, fass mich nicht an!« Deine Stimme wird lauter, lässt etwas in mir zu Eis erstarren. Dennoch drücke ich dich gegen die Wand, versuche, das kleine Stück Metall aus deiner Hand zu entfernen; doch je mehr ich deine Hand öffnen will, desto stärker verkrampfst du deine Finger; ein kleines Rinnsal von Blut kommt zwischen ihnen hervor und du keuchst schmerzvoll auf, kneifst die Augen zusammen und schubst mich mit aller Kraft zurück. Überrascht taumle ich rückwärts, stolper über meine eigenen Beine und falle auf den Boden; entgeistert schaue ich zu dir auf und sehe, wie du aus der Ecke läufst, die Rasierklinge fest von deiner Hand umschlossen. Hastig stehe ich auf, greife nach deinen Handgelenken und stoße dich gegen die Wand; du stöhnst leise auf vor Schmerzen und ich kann spüren, wie das Blut aus deiner Schnittwunde sickert und über meine Hand läuft.

»Lass mich… lass mich los, verdammt!« Ich höre dein wütendes Zischen, und es tut mit weh, es tut mir in meinem Innersten weh; die ersten Tränen kommen auf, aber ich schlucke sie tapfer runter. »Warum?«, frage ich dich leise, unterdrücke ein Schluchzen und versuch dir in die Augen zu schauen, aber du weichst meinem Blick aus und siehst stur zur Seite. »Warum tust du dir das an, Taka?« Warum zerstörst du dich selber? Und warum… warum auf einmal hast du dich so verändert?

Ich kann fühlen, wie du dich mit deinem ganzen Körper gegen mich wehrst; verzweifelst drückst du dich gegen die Wand und atmest heftig, ringst nach Luft, während ich dich mit meinem Gewicht weiterhin gegen die Wand drücke, die Handgelenke neben deinem Kopf festhaltend, weiterhin deinen Blick suchend, den du immer noch vor mir versteckst. »…warum? Du fragst noch, warum?« Es zerreißt mich, wenn ich deine Stimme höre, anklagend, wütend und verletzt. Ich hole tief Luft, bin leicht am zittern; erneut versuchst du dich gegen mich zu wehren mit vollem Körpereinsatz und ich drücke wie von selbst fester zu, spüre, wie du dich verkrampfst, wie das Blut aus deiner Wunde quillt und es dir langsam die Wärme nimmt, die dein Körper so dringend braucht.

»Ja, verdammt noch mal, ja!« Ich kann die Tränen nicht mehr zurückhalten, fühle sie über meine Wangen laufen und endlich, endlich schaust du mir in die Augen; bei deinem Anblick bleibt mir die Luft weg und ich kann nicht mehr klar denken; mein Griff um deine Arme lockert sich, trotzdem lehne ich mich gegen dich und starre dich an, bekomme starkes Herzklopfen und will etwas sagen, doch ich kann nicht. Auch du weinst; ich kann sehen, wie sich die Tränen einen Weg über dein Gesicht bahnen und wie du mich anschaust, mit abweisendem und tief verletztem Blick. Anstelle der erhofften Antwort schweigst du eisern, und meine Gänsehaut nimmt noch zu; ein weiteres Mal willst du mich von dir stoßen und es gelingt dir auch; ich torkel rückwärts, bleibe aber stehen. Du rutschst keuchend an der Wand zu Boden, hältst erschöpft deinen linken Arm fest, der immer blasser wird und in der Rechten hältst du immer noch die Rasierklinge fest; du zitterst wie Espenlaub und eine Schweißschicht hat deinen gesamten Oberkörper überzogen; leblos bist du zusammengesunken und hast den Kopf gesenkt.

»Taka… bitte…« Alleine schon dieser Anblick zieht mir das Herz zusammen; vorsichtig gehe ich auf dich zu und lege meine Hand an dein Kinn, zwinge dich so mich anzusehen; doch erneut weichst du mir aus und schaust stur auf den Boden vor dir. »Nenn mich nicht Taka…« Dein schwaches Zischen dringt an mein Ohr, doch ich ignoriere es, fest beiße ich mir auf die Unterlippe, kann nicht ertragen, was du mit dir machst; kurzerhand greife ich nach deiner Hand, deren Finger sich sofort fester um das Stück Metall krümmen, und versuche verzweifelt, sie zu öffnen.

»Lass los… bitte, Taka… lass doch endlich los, verdammt…« Es war nur ein Wispern, nicht einmal laut genug, um den Raum zu verlassen; trotzdem hebst du mit Tränen in den Augen dein Gesicht an, durchdringst mich geradezu mit deinem stechenden Blick. »Finger weg…« Obwohl du diese Worte murmelst, scheinst du dich nicht mehr wehren zu können; fast widerstandslos geben deine Finger endlich die Klinge frei, die ich sofort in die andere Ecke des Raumes werfe, weit weg von dir. »Idiot…«, murmle ich, »du kleiner dummer Idiot…« Ich spüre deinen widerwilligen Blick auf mir, als ich dir schluchzend auf die Beine helfe; behutsam drücke ich dich gegen die Wand, lehne mich an dich und kann deinen heißen Atem auf meiner Haut spüren. Ich erzittere unter diesem Gefühl, ringe nach Luft und hab die Augen geschlossen; langsam lege ich meine Hände an deine Wangen, lehne meine Stirn gegen deine.

»Geh… geh weg… lass mich los, Rei… ich will das nicht…« Deine Worte sind wie Messerstiche, die mein Herz treffen; heulend schaue ich dir in die Augen, deine kalten, dunklen Augen, die mich abweisen; ein dichter Schleier liegt auf ihnen, ein Schleier der Einsamkeit, der mich nicht zu dir durchdringen lässt. Die Haare fallen dir wirr über die Stirn und ich fühle deine Haut auf meiner, heiß, von Schweiß überzogen, und doch kraftlos. Ich fühle, wie du unter meinen Berührungen erschauderst, wie sich dein ganzer Körper anspannt, als ich dir einen Kuss auf die Stirn hauche; keuchend kämpfst du gegen mich an, wirfst dich hin und her, obwohl ich mich gegen dich presse, versuche dich bewegungsunfähig zu machen.

»Taka… hör doch auf!«, flehe ich schluchzend, kann dir nicht in die Augen schauen, ohne diese Schmerzen in mir zu spüren; du stöhnst dunkel auf vor Schmerz, als ich dein Handgelenk fester packe; an der Stelle, wo du dich geschnitten hast, glüht die Haut und dein Arm ist ganz weiß, so viel Blut hast du schon verloren, dass dunkle Spuren auf dem Boden und den tiefroten Fliesen hinterlassen hat. »Lass mich endlich in Ruhe, verfluchte Scheiße noch mal!« Laut heulst du auf, hast den Kopf im Nacken legen; ich lockere meinen Griff aus Angst, dir noch mehr weh zu tun; du nutzt die Chance und schlägst um dich, triffst mich mit deiner Faust im Magen.

Mir bleibt die Luft weg, mich krümmend vor Schmerz hocke ich auf dem Boden, halte mir den Bauch; ich habe nicht damit gerechnet, dass du noch solche Kraft entwickelst. Ich kämpfe mit der aufkommenden Übelkeit; obwohl ich große Lust habe, mich in der nächsten Ecke zu übergeben, stehe ich auf, als du die Klinge nimmst und aus dem Bad laufen willst. Ich packe dich an deinem Arm, ziehe dich zurück; du stolperst und stürzt zu Boden; dein Aufschrei geht mir durch Mark und Bein. Schwer atmend knie ich über dir, drücke dich zu Boden, lege mich mit meinem ganzen Gewicht auf dich; ich kann die Wut in deinen Augen sehen; du windest dich unter mir, versuchst dich aus meinem Klammergriff zu befreien, doch dieses Mal lasse ich es nicht noch mal zu. Ich habe Mühe, dich überhaupt ruhig unten zu halten; keuchend presse ich dich auf die vom Blut nassen Fliesen und kann sehen, wie du am ganzen Leibe zitterst; deine Brust hebt und senkt sich rasch und unregelmäßig, dein Atem stockt immer wieder und dein heiße, schweißnasse Haut wird immer blasser.

»Geh von mir runter, pack mich nicht an!« Ich beiße mir fest auf die Unterlippe bei deinen kalten und lauten Worten, ignoriere sie mit schwerem Herzen, auch wenn sie mich mehr als nur verletzt haben; ich greife nach deiner Hand, versuche ihren festen Griff um die kleine Klinge zu lockern, doch sie gibt nicht nach, drückt noch fester zu; ein kleine dunkelrote Linie deines Blutes tritt hervor und tropft langsam auf den Boden. »Lass los, verdammt noch mal… warum tust du mir das an?« Ich wispere unter Tränen und sehe nur verschwommen, wie du den Kopf hin- und herwirfst; dein Atem geht immer flacher und ich kann deinen Herzschlag spüren, wie er rast; schneller als alles andere, was ich kenne. Vor Schmerzen stöhnst du dunkel auf, gibst endlich die Klinge frei, die deine Hand zerschnitten hat; ich werfe sie erneut weg, diesmal ins Waschbecken, wo sie runterrutscht und im Rohr landet, für dich also unerreichbar. Versuchend nicht auf dich zu achten, packe ich dein Handgelenk und schaue mir deine Wunde an; das dunkle Rot sickert immer noch aus den Schnitten, während dein Arm leichenblass ist und von mir festgehalten wird, vollkommen leb- und kraftlos.

Schluchzend hocke ich über dir, presse dich gegen die kühlen Fliesen und kann deinen bebenden und nach Luft ringenden Oberkörper spüren, kann die Hitze spüren, die von dir ausgeht, obwohl es ziemlich kühl im Badezimmer ist; meine heißen Tränen fallen auf deine nackte Brust, wo sie zu versiegen scheinen. »Warum?«, frage ich heiser in den Raum; es hallt von den Wänden wider, und will mich nicht mehr in Ruhe lassen, meine Stimme klingt verzweifelt und panisch.

Du hörst auf dich zu wehren, deine dunkelblauen Iriden sehen mich anklagend an, mit salzigen Tränen, die dir ununterbrochen über das Gesicht laufen; noch immer fühlt deine Haut sich unnatürlich heiß an und mein Shirt ist inzwischen mit deinem Blut verschmiert. Mein Blick wandert über deinen Körper, zitternd und angespannt, und erst jetzt fallen mir die drei feinen Narben auf, die sich über deine Brust ziehen; sie sind schon so gut wie verblasst, und dennoch stechen sie mir in diesem Moment mehr als alles andere ins Auge. Fassungslos lasse ich deine rechte Hand los, fahre mit den Fingerspitzen die Narben nach; du zuckst unter dieser Berührung zusammen, kaust auf deiner Unterlippe rum und hast den Kopf starr zur Seite gedreht; mit einem neuen Schwall von salzigen Tränen suche ich deinen Blick, suche die Antwort auf die eine Frage, die mich nicht mehr in Ruhe lässt. Deine Augen halten meinen stand; sie schauen nicht weg, sondern bohren sich geradezu in mich, lassen mich schwer schlucken und dennoch wende ich mich nicht von dir ab, kann mich nicht von dir lösen. »Taka… bitte… sag mir, dass das nicht wahr ist…« Zu mehr bin ich nicht imstande, mein Griff um dein Handgelenk verstärkt sich und ich höre, wie du leise wimmerst; aber ich kann nicht loslassen, weiß ich doch, dass du erneut versuchen wirst, mit zu entkommen. Du beißt dir auf die Unterlippe, unterdrückst wohl einen schmerzhaften Aufschrei, und starrst mich wütend an, aber ich gebe nicht nach, sondern halte dich weiterhin fest, während ich von Schluchzern geschüttelt werde, die mich die Kontrolle über meinen Körper verlieren lassen wollen.

»..was willst du hören? Dass du halluzinierst? Dass das alles ein Traum ist?«, fauchst du mich leise an, siehst mich abweisend mit zu Schlitzen verengten Augen an, dass es sich anfühlt, als würde ich in ein tiefes schwarzes Loch fallen; dein Atem geht immer noch unregelmäßig und ich kann spüren, wie die Hitze allmählich deinen Körper verlässt. Mit brennenden Augen sehe ich mich im Bad um; überall, an den gefliesten Wänden und auf dem Boden, sind deine Blutspuren verteilt, teilweise schon angetrocknet und verwischt, teilweise noch frisch und unberührt. Du nutzt den Moment, wo ich nicht aufpasse, und stößt mich von dir zurück, sodass ich nach hinten kippe und mit den Unterarmen hart auf dem kalten Boden aufkomme; auf allen Vieren kriechst du unter das Waschbecken und drückst deinen linken Unterarm an dich, presst deine Hand auf die tiefe Schnittwunde, ein Bein hast du angewinkelt; du zitterst am ganzen Körper, deine Haut glänzt blass im Schein der kalten Lampe, die auch nur spärlich den Raum erhellt, und deine Lippen hast du fest zusammengepresst, dein verschwitztes Haar hängt dir ins Gesicht und verdeckt deine Augen.

»W… wie lange…? Wie lange machst du das schon?« Die Worte verlassen meine Lippen als ein Flüstern, während ich verzweifelt versuche, die immer wieder neu aufkommenden Schluchzer zu unterdrücken; ich lege eine Hand an dein Knie und du knurrst wütend auf, sodass ich erschrocken loslasse und zurückzucke, fest auf meine Unterlippe beißend. Minutenlang schweigen wir uns an, die Stille macht mich noch rasend; doch du gibst keinen Mucks von dir, keinen einzigen, und lässt mich weiter leiden, bis ich mich schließlich ein weiteres Mal wage, auf dich zuzukrabbeln, ganz langsam, damit du mich nicht wieder sofort von dir stößt.

»…als ob dich das interessieren würde…«, wisperst du auf einmal schwach; ich halte in meinen Bewegungen inne, blicke dich ungläubig an und vergesse für einen kurzen Moment zu atmen. Glaubst du wirklich, dass mich das nicht interessiert? Verletzt kaue ich auf meiner Unterlippe rum, habe meinen Blick gesenkt, versuche die immer wieder neu entstehenden Tränen runterzuwürgen, doch es funktioniert nicht; meine Sicht verschwimmt aufs Neue, meine Augen hören nicht mehr auf zu brennen und mein Hals tut weh, er fühlt sich geschwollen an, aber es erscheint mir unwichtig. Ich schleiche weiter auf dich zu, zögernd und behutsam, aus Angst, wieder auf Distanz gehalten zu werden, auch wenn du dich gerade nicht regst; schließlich hocke ich direkt vor dir, zwischen deinen Beinen, und sehe dich aus vom Weinen geröteten Augen an.

»Und wie es mich interessiert… immerhin bin ich der Grund dafür, ich bin schuld daran…«, flüstere ich tränenerstickt, nähere mich dir weitere Zentimeter, sodass ich deinen schwer gehenden und heißen Atem auf meiner Haut spüren kann, während ich dir noch näher komme, vorsichtig meine Hand an deine Wange lege und sie sanft streichle. Du zuckst kurz zusammen, drehst den Kopf weg, doch du wehrst dich nicht dagegen; innerlich erleichtert darüber traue ich mich dennoch nicht, dir zu nahe zu treten und belasse es vorerst dabei. Aus deinen tiefen Schnitten sickert immer noch Blut, das auf deinen Oberkörper läuft und ihn mit einem tiefen Rot besudelt; es vermischt sich mit dem Schweiß und hinterlässt dunkle Flecken auf deiner Jeans, die langsam größer werden. Ich kann sehen, wie du dir auf die Unterlippe beißt, wie du deine Augen ein wenig zusammenkneifst und glaube auch zu sehen, wie dein Blick weicher wird, verletzlicher; sachte lege ich meine Hand unter dein Kinn und drehe es wieder zu mir, hebe es leicht an; doch du schlägst kraftlos meine Hand weg, wendest dich komplett von mir ab. »Komm mir ja nicht zu nahe… du verstehst doch gar nichts…« Dein schwaches Zischen dringt an mein Ohr; irritiert sehe ich dich an und bemerke, wie sich heiße Tränen in deinen Augenwinkeln bilden.

»Dann hilf mir… hilf mir zu verstehen… ich -« Hilflos wende ich den Blick ab, kann nicht mit ansehen, wie du stumm weinst, habe die Augen geschlossen, und atme tief ein und aus. »Lass mich… du hast keine Ahnung, wie es mir geht…« Dein Schluchzen tut mir in der Seele weh, es jagt mir eiskalte Schauer über den Rücken und es versetzt mir tiefe Stiche, wenn ich daran denke, dass ich an deiner Situation die Schuld trage. »Taka, ich… verdammt, ich mach mir Sorgen um dich… wie kannst du dir nur so was antun?« Sofort richten sich deine Augen auf mich, funkeln mich wütend an, dass ich mir wieder auf die Zunge beiße und mich für diesen dummen Satz verfluche; aber ich nehme ihn nicht zurück, ich will wissen, wieso du nur auf diesem Weg mit deinen Schmerzen umgehen kannst, wo es doch so viele andere Möglichkeiten gibt.

»…was würdest du denn machen? Was würdest du tun, wenn du keinen anderen Weg mehr siehst? Wenn du das Gefühl hast, dass die Schmerzen immer größer werden, bis du es kaum noch aushältst…«

Ich bekomme eine Gänsehaut bei deinen Worten, mit brüchiger Stimme geflüstert, und wage wieder, dich anzuschauen; du hast dein Gesicht gesenkt und presst deinen verletzten Arm an dich, hältst ihn krampfhaft umschlossen, während dir die braunen Haare ins verweinte Gesicht fallen. »Ich… ich kann einfach nicht mehr… was glaubst du, wie schwer es mir fällt, in deiner Nähe zu sein und dich nicht so berühren zu dürfen, wie ich es mir wünsche! Jeden Tag fällt es mir schwerer, dich zu sehen, jeden Tag fällt es mir schwerer, normal mit dir reden zu müssen, dich nicht für mich haben zu dürfen… und jedes Mal wird der Schmerz größer, er wird immer unerträglicher… ich kann nicht mehr! Es tut so weh… ich liebe dich, aber es tut einfach nur weh…!«

Dein Wispern wird lauter, zu einem Rufen; bei deinen letzten Worten lässt du den Kopf hängen und hast die Augen geschlossen, hast deine Arme gegen deine Brust gepresst und beugst dich nach vorne. Geschockt starre ich dich an; das Bild, das du mir bietest, zerreißt mir das Herz und am Liebsten würde ich brüllen, den Frust, die Wut, den Ärger und die Angst aus mir rauslassen; alles, was mich zerfrisst, doch ich halte mich zurück, mustere dich eindringlich, lange, ehe ich mich langsam zu dir vorbeuge, die schwindende Wärme fühle, die von dir ausgeht, und dir behutsam die Tränen wegküsse. Sofort verspannst du dich, hast die Augen vollkommen zusammengepresst und keuchst schwer; dein ganzer Körper erzittert bei dem Versuch, mich wegzudrücken, aber du hast keine Kraft mehr, deine Hände sind zu Fäusten geballt und hämmern widerwillig gegen meine Schultern. Du schluchzt leise auf, als ich dich sanft in meine Arme schließe, deinen bebenden Körper endlich an meinen drücken kann, und dir durch dein schweißnasses Haar streiche.

»Ich… ich halte dich fest, okay? Ich halte dich in meinen Armen fest… ich hab dich… es ist okay…«, murmle ich direkt in dein Ohr, damit du es auch hörst; dein Schluchzen wird lauter und du bist schwer am zittern, als du die Tränen nicht mehr zurückhalten kannst; sie fallen auf mein Shirt, weichen das trocknende Blut wieder auf und dringen bis zu meiner Haut vor. Heulend krallst du dich an mir fest, dass mir kurz die Luft wegbleibt; und dann schreist du laut auf, bringst einen unmenschlichen Laut über die Lippen, wie ich es nur von den Performances von Taion kenne, aber noch viel bewegender, viel trauriger und schmerzhafter als jemals zuvor; ich bekomme eine Gänsehaut und drücke dich näher an mich, habe dich auf meinen Schoß gezogen, und lasse dich nicht los, halte deinen erhitzten, zitternden Körper fest an meinen gedrückt. Ich kann fühlen, wie du dich geradezu in meine Umarmung flüchtest, wie du dich an mich drängst, und ich streiche beruhigend über deinen Rücken, habe die Augen geschlossen und kann spüren, wie die heiße salzige Flüssigkeit meine Lider verlässt. Ich presse meine Lippen aufeinander, damit sie nicht zittern, nicht nachgeben, aber es fällt schwer, und so halte ich dich fest, gebe dir den Halt, den du brauchst.

»Taka, ich… ich muss dir noch was sagen…« Ich schweige kurz, fasse allen Mut zusammen, obwohl es mir doch jetzt leicht fallen sollte; aber ich bekomme Herzklopfen, mir wird heiß und ich weiß nicht, ob ich es schaffe.

»… ich liebe dich, Takanori…«

Das Schluchzen hat kurz aufgehört; unsicher schaue ich nach unten zu dir, kann aber nichts außer deinen Haaren sehen. »…Taka?«, frage ich leise und vorsichtig nach, will sanft dein Kinn anheben; doch dann schaust du mir von alleine in die Augen, ängstlich, verletzlich, zerbrechlich; die Zeit scheint stehen zu bleiben wie mein Herz; alles steht still. Ich kann den Blick nicht von dir abwenden, verliere mich in deinen Iriden, die sich mir auf einmal zu öffnen scheinen; mit meinem Daumen streiche ich dir behutsam die Tränen weg, komme dir immer näher… Ich schließe meine Augen und überbrücke endlich den letzten Abstand, lege meine Lippen so sanft wie nur möglich auf die deinen, trocken und aufgesprungen, die im ersten Moment kein bisschen nachgeben, bis ich spüre, wie sich dein Körper langsam wieder entspannt; du bewegst deine Lippen vorsichtig, schon zögernd gegen meine, und ich fühle kaum den Druck, den du ausübst. Mit viel schneller klopfendem Herzen fahre ich mit einer Hand vorsichtig über deinen Rücken, dränge dich so enger an mich; du schlingst langsam die Arme um meinen Nacken, lässt dich allmählich in den Kuss fallen, und ich bin unglaublich erleichtert darüber, dass du mich nicht abweist, beginne sachte deinen Nacken zu kraulen, berühre kaum die heiße Haut. Es ist ein wunderbares Gefühl, viel schöner, als ich es mir je hätte träumen lassen, und auf einmal scheinen alle Probleme weit weg, nicht vorhanden.

Behutsam trenne ich mich wieder von dir, lehne meine Stirn gegen deine, lasse die Augen geschlossen und atme hauchend gegen deine Lippen, fahre mit der Zungenspitze über meine. Sekundenlang verharren wir so, ehe ich dir in die Augen schaue und kaum zu sprechen vermag.

»…komm mit… wir müssen deine Wunde versorgen…«

Du schaust mich stillschweigend an, lächelst dann sanft und legst deine Hand an meine Wange, streichelst sie, und ich schmiege meinen Kopf sachte an sie, genieße diese Berührung, die du mir von alleine geschenkt hast.

»Ich liebe dich auch...«

In diesem Moment bin ich der glücklichste Mensch auf Erden und weiß genau, dass wir alles überstehen werden…
 

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Kommentare zu diesem Kapitel (7)

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Von:  Len_Kagamine_
2013-02-04T23:26:49+00:00 05.02.2013 00:26
sprach los im posetiven sine ^^
einfach nur geil
und wunder schon auch wen sie sehr traurig zu erst war
ja durch einen klein fehler kann so viel pasieren und dan durch ein miss verständniss kann alles einstürzen wie ein karten haus
und wo er dann englich bei Ruki war hatte ich zu erst angst das Ruki selbstmord begangen hat weil er ihn nicht gefunden hat aber zum glück war es nicht so
ich habe die ganze zeit auch gebettet das er ihn englich sagt das er ihn auch liebt und am ende hat er es zumglück auch gemacht ich war auch erleichtert das Ruki ihn das geglaubt hat
ich hatte auch zu erst angst das Ruki verbluten würde eil er schon so veil blut verloren hatte
aber ich bin soooo froh das es ein gutes ende genommen hat
und ich liebe deinen schreib still du brings das echt geil rüber man kann sich da super einversetzen ^^
und ich musste auch ab der stelle heulen wo Ruki Reita und Uruha geshen hat und das falch verstanen hat ich konnte erst auf hören wo Reita ihn gesagt hat das er ihn leibt und Ruki ihn das geglaubt hat
so das wars auch was ich loss werden wollte ^^ denn ich merke auch das ich mich wider holle ^^
Von:  Gedankenchaotin
2008-12-12T21:06:47+00:00 12.12.2008 22:06
Ich kann mich da eigentlich nur anschließen.
Das ist einer der wenigen FFs, die mich wirklich berühren und durch deinen Schreibstil erst recht.
Und das Pairing macht es richtig passend finde ich.
Mehr gibts da eigentlich auch grad nich zu sagen.

*knuddel*
Akira
Von: abgemeldet
2008-11-25T20:36:18+00:00 25.11.2008 21:36
Wow~
das is eine der ersten ff´s bei denen ich heulen musste!
und das sogar am Ende....
*schnüff*
Du hast echt einen wunderbaren schreibstil und erklärst die gefühle von reita so schön...es kommt richtig rüber wie verletzt ruki ist und wie sie sich am ende aber wieder annähern und es schließlich zum happy end kommt
die ff hat mich echt umgehauen...*favo desu*
Von: abgemeldet
2008-08-20T09:00:13+00:00 20.08.2008 11:00
ahhh, diese FF ist wirklich schön :3 >.<
vorallem das ende *schmach* so ein ende hoffe ich mir bei People erroR
||:.Undestructable Bondage.:||....*träum* aber... daraus wird wohl nichts xD

lg

Von:  Snaked_Lows
2008-07-03T13:29:16+00:00 03.07.2008 15:29
Wieder super toll!!!!!!!
Genau das Richtge gegen meine extreme Langeweile ^_____________^
Von: abgemeldet
2008-05-30T18:06:53+00:00 30.05.2008 20:06
Das war wirklich traurig und schön, auch wenn ich mir ein Bisschen bescheuert vorkomme hier einen Kommi zu schreiben, weil ich mir irgendwie vorkomm, als würd ich stören. Ich hoffe, dem ist nciht so, weil ich einfach nur zeigen wollte, wie schön ich das hier fand, obwohl ich das Pairing nicht leiden kann. Und... naja.. ich weiß auch nciht, was ich sonst so sagen soll, die Gefühle waren einfach schön beschrieben und... naja, ich bin jetz lieber mal still >///<
*flausch*
Von:  Kanoe
2008-04-24T08:50:56+00:00 24.04.2008 10:50
es ist sehr schön


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