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Speechless

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Es war noch nicht mal eine Stunde vergangen und sie vermisste ihn bereits. Fest hatten sie sich einander zum Abschied gedrückt und er war nicht umhin gekommen, ihr noch einmal zuzuzwinkern, bevor sie sich abwandte und mit den anderen gemeinsam den Weg nach Hause einschlug. Über die Bedeutung des Zwinkerns wollte sie lieber nicht nachdenken, dafür war er ihr ein wenig zu übermütig, wie es sich allein auf der Festung mal wieder herausgestellt hatte.

Wie ausgelassen und fröhlich war der Abschied zelebriert worden, nicht zu vergessen mit der dazugehörigen großen Menge der besten Rebe von ganz Paris.

Der Wein im Hause Bonacieux’ war seit dem Einzug in das altneue Heim und der Neuaufnahme der Geschäfte wieder recht üppig vorhanden und wurde auch dementsprechend ausgeschenkt.

Schon morgen wollte D’Artagnan in die Gascogne aufbrechen, um seine Großeltern zu besuchen, die er seit solch einer langen Zeit nicht mehr gesehen hatte. Innerlich hoffte sie, dass sich der junge Bursche nicht von seinen Großeltern bereden ließ und wieder nach Paris zurückkehrte, so wie er es auch vorausgesagt hatte. Wenn sie es recht bedachte, sollte sie ihre Zweifel verwerfen, wartete doch schließlich Constance auf ihren Herzensbrecher in Paris. Ja, allein wegen ihr würde er zurückkehren. Sie müsste sich nicht sorgen.

Diesen Gedanken weiter verfolgend schmunzelte sie leicht, was von dem hochgeschlagenen Kragen ihres Mantels verheimlicht wurde. Jäh wurde sie aber in die unheimliche Wirklichkeit zurückgeholt, als sie die laut johlende Stimme eines kräftigen Musketiers neben sich vernahm.

„Fréreee Jacqueee, fréreee Jacque...“

Aramis erahnte, dass Porthos inbrünstig versuchte zu singen, was jedoch kläglich aufgrund seiner lallenden Stimme scheiterte. Sollte sie ihn darauf hinweisen oder würde Athos zu ihrer rechten, der ebenso gequält zu Porthos hinüberschielte, dies erledigen?

Zu viel Wein. Eindeutig zu viel Wein.

Normalerweise war Porthos stets derjenige, der als letzter noch gerade gehen konnte, doch heute Abend schien die rote Sünde ihn schneller einzunehmen, als Aramis und Athos zusammen. Würde er umfallen, würden sie es aber nicht gemeinsam schaffen, ihn nach Hause zu bringen... zu schleppen... zu ziehen, oder wie immer man dies dann auch bewerkstelligen konnte.

Weit einladend breitete er die Arme vor sich aus und bekräftigte seine Melodie mit erneuten schiefen Tönen.

Aramis konnte nicht anders als zu kichern. Dabei muss sie Athos Blick auf sich gezogen haben, der einen Moment zu lang auf ihr verweilt hatte. Sie hatte es bemerkt und als sie ihn wegen des Grundes mit ihren Augen durchleuchten wollte, wandte er sich ab und lenkte seine volle Konzentration wieder auf den großen Hünen, der sich nun tänzelnd die Straße entlang bewegte.

Das ständige Beobachten...

Unausgesprochene Worte...

Leidvolle Blicke, die man nicht deuten konnte...

Wann war alles derart kompliziert geworden?

Wenn sie es recht bedachte, war mit Athos eigentlich seit Beginn an alles chaotisch und verwirrend. Nur bemerkte es niemand.

Sie mochte es nicht, dass er stets in sich gekehrt war. Athos sprach nur, wenn seine Worte Bedeutung hatten. Selbst zu geselligen Abenden in der oft heimgesuchten Schänke war er wortkarg. Dahingehend würde er sich wohl nie ändern. Und trotz allem gab es diesen Ausdruck in seinen Augen, in welchen sie lesen konnte, an was er gerade dachte. Oft ließ er sie gewähren und teilte ihr stumm mit, was ihm Kummer oder tiefes Sinnen bescherte. Aber es gab auch Momente, in welchen er ihr den Eintritt verweigerte und sie sich fragte, was der Grund dafür sei.

D’Artagnan und Porthos waren da um so vieles anders. Sie waren ungestüm und offenherzig. Was sie auch bedrückte, sie würden stets offen darüber sprechen, oftmals lauter, als man es sich wünschte...

Ihr Blick zog sich wieder auf die große wankende Gestalt, die plötzlich bedrohlich zur Seite kippte. Athos hatte es ebenfalls gesehen und hastete nach vorn, um ihn unterm Arm packen zu können, dabei nicht bedenkend, dass es sich nicht um den kleinen D’Artagnan handelte, dessen Last nun auf seinen Schultern wog.

Mit einem Grinsen stellte Aramis fest, dass Athos einige Kraft benötigte, um gegen die Körpermasse Porthos’ anzukämpfen, die ihn allmählich in die Knie zwang.

Langsamer als es hilfreich war, ging sie um die beiden Männer herum und bedachte Athos mit einem gespielt leidigen Blick.

„Wäre es erdreist zu fragen, ob du mir helfen könntest?“, fragte Athos mit fast gebeugten Haupt unter der Last von Porthos Körper und Aramis konnte vernehmen, wie viel Anstrengung ihn das gekostet haben musste, dabei noch so beherrscht zu klingen.

Den Zeigefinger an das Kinn legend, überlegte sie und nach Athos Auffassung grübelte sie eindeutig zu lang.

„Gerade ich, Athos? Ich würde unter dieser dicken Last namens Porthos zusammenbrechen“

„Spiel nicht den Gebrechlichen, Aramis. Wir alle wissen, dass mehr Kraft in dir ruht, als andere vermuten würden...“

Hatte sie sich da eben verhört? War das etwa ein Lobspruch auf ihre Fähigkeiten. Sie war irritiert. Sowas hatte sie bis dato noch nie aus seinem Munde vernommen.

Ein lang gedehntes „Aramiiis...“ holte sie aus ihrer Überraschung zurück und schnell griff sie nach dem anderen stämmigen Arm und legte diesen um ihre Schultern.

Porthos zwischen sich wissend, gingen die beiden stumm die Straße hinab.

Es hatte sie irritiert solch anerkennende Worte aus Athos Mund zu vernehmen. In all den Jahren, die sie nun einander kannten, war er mehr als sparsam mit Lobesreden umgegangen. Oft hatte er seine Worte nie direkt an den jeweiligen Begünstigten gerichtet, sondern vielmehr zwischen den Zeilen verlauten lassen, was er von eben getaner Arbeit hielt.

Spannung lag in der Luft, wie sie Aramis selten erlebt hatte. Am heutigen Abend war ihr ihr langjähriger seltsam fremd. Lag es daran, dass D’Artagnan die Stadt verließ und sie nicht genau wussten, wann er wiederkehren würde? Vermutlich trug er der gleiche freundschaftliche Sehnsucht in sich wie sie selbst.

Die unangenehme Stille zwischen ihnen unterbrechend und vor allem damit den murmelnden Sangestönen von Porthos zu trotzen, schlug Aramis vor „Ich würde sagen, wir bringen Porthos zu mir nach Haus. Ich bin genauso wenig wie du in der Lage, ihn bis ans andere Ende von Paris zu eskortieren, nur damit er unbeschadet in sein Bett kommt und wir beide abgekämpft den gesamten Weg zurückgehen müssten. Er könnte bei mir auf der Chaiselonge übernachten. Ich nehme mal an, dass er das in seinem derzeitigen Zustand sowieso nicht bemerken würde... Was hältst du davon?“

Etwas überrascht über diesen Vorschlag, blickte Athos ihr über den hängenden Kopf von Porthos hinweg, in die Augen. Sie erkannte, dass er kurz alle Möglichkeiten durchdachte und wohl schließlich ebenfalls zur Einsicht gelangte, den Abend nicht noch später als nötig werden zu lassen „Nun gut, wenn du eine unruhige Nacht freiwillig auf dich nehmen möchtest, dann bringen wir ihn zu dir...“

Das hatte sie natürlich nicht bedacht. Sie wusste das Athos Anspielung darauf abzielte, dass Porthos laut schnarchte. Gleichzeitig kam ihr in den Sinn, dass zu allem Überfluss er auch ihre Essensvorräte zum nächsten Tage plündern würde. Etwas geschockt über ihren eigenen Vorschlag im Nachhinein, überhörte sie beinahe Athos nächste Worte „Deinem Gesichtsausdruck nach zu deuten, hast du eben daran gedacht, dass deine Küche morgen früh geplündert sein wird...“

Wie war das nur möglich, dass er ihre Gedanken lesen konnte? Überrascht erwiderte sie seinen Blick und verweilte dabei einen Moment zu lang, sodass sie in die Tiefe seiner Augen versinken durfte.

Er ließ es zu, doch konnte sie nichts darin erkennen. Es lag ein Ausdruck darin, den sie vorher niemals an ihm wahrgenommen hatte.

Athos wandte sich wieder ab und zog bedächtig Porthos mit. Beinahe hatte Aramis vergessen, ihre Füße wieder in Bewegung zu setzen. Nachdenklich versuchte sie Möglichkeiten abzuspielen, wie sie Porthos morgen früh davon abhalten konnte, sich an ihren Essensvorräten zu vergreifen.

Ein Vorhängeschloss... Ja, das würde Wirkung zeigen. Nicht einmal Porthos würde es wagen, einen Schrank aufzubrechen in ihrem Haus, der von einem Schloss gesichert war. Soviel Anstand konnte sie ihm zumuten.

Bevor sie darüber nachdenken konnte, wo sich in ihrem Haus ein solches Schloss noch befinden würde, waren die Drei bereits vor ihrer unteren Eingangstür angekommen.

Etwas müde und benommen stieß Aramis beinahe kraftlos die Tür auf. Athos winkte ab und deutete ihr damit, dass er Porthos die letzten Schritte allein stützen würde. Während sie zustimmend nickte und die beiden eintreten ließ, folgte sie ihnen und verharrte in der Küche. Sie beobachtete Athos, der den müden Porthos in das Nebenzimmer beförderte und den Geräuschen nach zu urteilen, auf die Chaiselonge fallen ließ.

Völlig zusammenhangslos erinnerte sie sich auf einmal an die erste Begegnung mit den beiden. Sie war frisch in den Musketierchor eingetreten und hatte von anderen Anwärtern bereits vernommen, dass man sich vor dem intelligenten Athos und dem großkräftigen Porthos hüten müsste. Sie seien bekannt für ihre Fechtkunst gewesen und das sich bisher niemand mit ihnen messen hat können.

Aus irgendeinem ihr unerfindlichen Grunde, hatte sie an diesem Tage lang in dem Anwesen de Tréville verweilt. Der Respekt der Musketiere gegenüber Athos und Porthos hatte sie nachdenklich gestimmt. Sie hatte geglaubt, wenn sie es auch nur im entferntesten mit einem von den beiden aufnehmen hätte können, dann würde ihr der Rache an dem Mord ihres Verlobten sicher nichts mehr im Wege stehen können.

Sie hatte gewusst, dass sie gut im Fechten war. Francois hatte es ihr gelehrt und diese Tatsache allein gab ihr Kraft und Mut und das notwendige Selbstvertrauen dessen Tod eines Tages zu rächen.

Ihren Degen vor sich balancierend, hatte sie plötzlich ein Geräusch hinter sich vernommen und sich abrupt umgedreht. Unter dem schmalen Baum inmitten des Hofes, hatte sie einen Mann von hochgewachsener Gestalt erkannt. Sein Blick hatte unbeirrt auf ihr geruht und es schien, als ob er sie schon eine Weile bei ihren Fechtübungen beobachtete hatte.

In seiner Haltung und seiner autoritären Ausstrahlung hatte sie geglaubt, einen Adligen vor sich zu haben, der grundlos seine Zeit vergeudete.

„Kann ich etwas für Euch tun?“, hatte sie in gereiztem Ton gefragte, da ihr nicht gefallen hatte, wie er sie unentwegt musterte. Fast so, als ob ihm etwas auf den Lippen brennen würde, was er augenblicklich ihr gegenüber hatte äußern würden.

Da hatte sich ihr Gegenüber plötzlich geregt und war einige wenige Schritte auf sie zugekommen „Ich bin auf der Suche nach Kapitän de Tréville. Ich habe eine Nachricht für ihn...“

„Nun, dann seid Ihr umsonst gekommen. Der Kapitän ist bereits seit einiger Zeit aus dem Haus und er hatte nicht vor, heute noch einmal zurückzukehren. Ihr müsst Euch mit dem morgigen Tag begnügen...“, als ob damit ihre Unterredung beendet gewesen wäre, hatte sich Aramis wieder abgewandt und war ihren Fechtübungen weiter nachgegangen.

Doch sie hatte bemerkt, dass der Fremde nicht den Hof verlassen hatte. Noch immer hatte er an gleicher Stelle gestanden. Es hatte sie in gewisser Art beunruhigt. Doch ihre Nervosität sollte in Ärger umschlagen, als sie plötzlich folgende Worte des Fremden vernommen hatte „Junge, deine Schrittführung ist zu mäßig. Würde sich ein Angreifer jetzt vor dir befinden, wüsste er genau, welchen Hieb du als nächstes ausführen würdest...“, es hatte weder vorwurfsvoll noch überheblich geklungen und dennoch begann die Abneigung in ihr gegenüber dem Fremden zu wachsen.

Was bildete er sich ein, dass er ihr gegenüber Kritik äußerte?

Übermütig wie sie gewesen war, hatte sie sich wieder zu ihm herum gedreht und hatte gereizt geantwortet „Ich wüsste nicht, dass ich um Eure Meinung gebeten hätte, Monsieur. Ihr scheint vom Fechten nicht viel zu verstehen...“

„Und mir scheint, dass du übersehen hast, dass ich ebenfalls einen Degen bei mir trage...“, hatte er noch immer in seiner ruhigen Art geantwortet und war nahe an sie herangetreten.

Unbeirrt von seiner Körpergröße, hatte sie seinem Blick standgehalten und erwidert „Dass Ihr einen Degen bei Euch tragt, sagt noch nichts über Eure Fechtkunst aus, Monsieur“

Nun hatte er sich scheinbar herausgefordert gefühlt, denn das plötzlich auftretende Funkeln in seinen Augen war ihr nicht entgangen. Umso mehr hatte es sie überrascht, dass sich seine Mundwinkel leicht zu einem Lächeln verzogen hatten „Junge, ich glaube nicht, dass du dich mit mir duellieren möchtest...“

Ohne die Konsequenzen zu bedenken, hatte sie daraufhin ihre Degenspitze in Höhe seiner Brust gerichtet und gemeint „Warum sollte ich das nicht wollen?“

Und da hatte sie gesehen, wie sich sein Blick verdunkelte. Sie hatte erkennen können, dass sie soeben ein Duell eingeleitet hatte, welches nun nicht mehr abwendbar war.

Der Fremde hatte seinen Degen gezogen und dies mit einer Beherrschtheit und inneren Ruhe, dass Aramis Zweifel an ihrer Herausforderung gekommen waren. Was hatte sie schon von diesem Mann gewusst? Sie hatte mutwillige Behauptungen aufgestellt, weil sie ihren Ehrgeiz mal wieder nicht zügeln konnte. Hoffentlich würde diese Entscheidung nicht ihren Kopf kosten.

Andererseits war dies die erste Gelegenheit gewesen zu beweisen, dass sie der Rache ihres Verlobten würdig war.

Ihre Klingen hatten sich gekreuzt und damit war der Beginn des Duells gefallen. In einer fließenden Bewegung hatte sie den Degen in Höhe seiner Brust gestoßen und erkannt, dass er durch einen mühelosen Seitschritt diesem Angriff pariert hatte. Erneut ausholend, hatte sich ihre Degenbewegung auf seine Oberschenkel gerichtet, doch auch hier hatte er diesem durch zwei kleine Schritte nach hinten trotzen können. Immer wieder hatte sie ihn angegriffen, aber alle ihre Versuche waren fehlgeschlagen, dabei hatte er seinen Degen ihr gegenüber noch nicht einmal genutzt. Diesen Gedanken beiseite drängend, hatte sie einen Trick anwenden wollen um ihn zu irritieren. Sie hatte einen Seitenhieb angetäuscht, worauf sie erwartet hatte, dass er erneut zur Seite ausweichen würde. Seine Bewegung hatte ihr verraten, dass er tatsächlich so handeln würde, sodass sie sich unerwartet mit dem Rücken zu ihm gedreht hatte, um ihn den Seitenstoß von entgegengesetzter Richtung zuzuführen. Doch wider Erwarten, war sie in ihrer Drehung gestoppt worden, indem sich von hinten sein Arm um ihren Hals gelegt hatte und sich seine Klinge nun in ihrer Augenhöhe befunden hatte. Ihre Hand, in welcher ihr Degen gelegen hatte, hatte er fest umklammert und von ihrem Körper weggedrückt, sodass sie sich nicht mehr hatte wehren können.

Noch hatte sie versucht sich aus seinem Griff zu befreien, doch er hatte sie hartnäckig festgehalten und seine Klinge näher an ihren Hals gelegt.

Sie war regungslos stehen geblieben.

Nahe an ihrem Ohr, hatte sie seine Worte vernommen „Kehre deinem Gegner niemals den Rücken, auch wenn du glaubst, dass du seine nächsten Bewegung erkannt hättest...“

In diesem Moment der Niederlage, hatte Aramis erkannt, dass sie längst nicht die gute Fechterin war, für die sie sich gehalten hatte. Dies war die Realität gewesen, die ihr eiskalt zu verstehen gegeben hatte, dass sie erst ganz am Anfang ihrer Bestimmung stand. Wie würde sie Rache nehmen können, wenn sie nicht einmal einen einfachen Mann mit ihren Angriffen außer Atem gebracht hatte?

Ihre Glieder waren schwach geworden, ihr Degen kraftlos an ihre Seite geglitten und der Fremde hatte erkannt, dass sie sich geschlagen gegeben hatte.

Bestürzt darüber dass der Kampf so schnell geendet hatte, war ihr Blick leer geworde und sie hatte erkannt wie viele Erwartungen sie in ihr erstes Duell gesteckt hatte.

„Athos! Wo bleibst du denn?! Ich habe schon einen Bärenhunger!“, hatte plötzlich eine tief brummende Stimme hinter ihnen gerufen.

Aramis hatte sich überrascht herum gedreht und einen großen Hünen mit dunklem Haar und einem etwas schmollenden Gesichtsausdruck erkannt. Daraus hatte bereits der ungeheure Appetit, den dieser Mann verspürte, gesprochen.

Und da war ihr bewusst geworden, wie er den Fremden vor ihr genannt hatte „Ihr seid Athos? Athos, der Musketier?!“, über ihre Frage hatte sie von ihm ein leichtes Nicken erkannt, welches ihren Schock über die gesamte Situation nicht wirklich gemindert hatte.

„Ich hätte mich zuerst vorstellen sollen, bevor wir uns duellieren“, hatte er ihr höflich geantwortet, doch hatte Aramis darunter ein kleines Grinsen erkennen können.

Sie war freiwillig in die Falle getappt und war nun völlig lächerlich gemacht worden. Morgen hätten sicher alle anderen Musketier-Anwärter über den Vorfall Bescheid gewusst und sie noch tiefer in die Schmach gezogen. Warum hatte auch ausgerechnet Athos ihr als erster Gegner bevorstehen müssen?

„Du scheinst Aramis zu sein“, hatte Athos gesprochen und damit wieder ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen „der Kapitän hat mir von dir berichtet. Er erzählte mir, dass du ein äußerst geschickter Fechter bist...“

„Nun, diese Ansicht wäre wohl damit hinfällig“, hatte Aramis sarkastisch entgegnet und tat ihrem Unmut über ihre von vornherein feststehende Niederlage kund.

Athos hatte daraufhin den Kopf geschüttelt und gemeint „Das sehe ich nicht so. Deine Angriffe waren äußerst präzise und wohl überlegt. Dir schien entgangen zu sein, dass du mich stets nur um Haaresbreite verfehlt hast...“, dann hatte er leicht auf ihre Füße gedeutet und hinzugefügt „Einzig und allein deine Schrittführung hat dich verraten. Anhand dessen konnte ich deine nächsten Bewegungen voraussehen, aber das ist nichts, was man nicht mit ein oder zwei Übungsstunden ändern könnte. Sei morgen zum Sonnenaufgang hier, dann arbeiten wir daran...“, und mit diesen Worten hatte sich der Musketier abgewandt und war auf seinen Freund zugegangen, der sich bereits leidvoll seinen Bauch gerieben hatte.

Zurück war eine verdutzte Aramis geblieben, die sich nicht im geringsten hatte erklären können, was eben in so kurzer Zeit geschehen war. Nur hatte sie gewusst, dass sie zum ersten Mal den beiden besten Musketieren, Athos und Porthos, begegnet war und dieses Erlebnis sicher nicht so schnell wieder vergessen würde.

„Aramis?“

Sie blickte auf und erkannte Athos vor sich, der ihr besorgte Blicke zuwarf.

„Ist alles in Ordnung mit dir? Du scheinst so abwesend...“, fügte er leise hinzu, fast so, als ob er sie nicht erschrecken wollte.

Sie erlangte ihre Fassung wieder, um vollkommen in die gegenwärtige Zeit zurückzukehren. Ihr Blick ihm gegenüber wurde klar und sie begann zu lächeln „Ja... Ja, mir geht es gut“, und sie überlegte kurz ob sie ihm mitteilen sollte, an was sie soeben gedacht hatte oder ob sie es lieber für sich behalten sollte.

Als sie sah, dass sein Blick weiter fragend auf ihr ruhte, entschied sie sich für ersteres „Ich habe mich gerade an unser erstes Treffen erinnert und daran, wie leichtgläubig und einfältig ich gewesen bin...“, träumerisch bewegte sich ihr Blick durch die Küche, ohne dabei Athos Reaktion aus den Augen zu verlieren. Dieser schien ebenso überrascht über ihre Antwort, besann sich jedoch schnell und meinte „Ich würde das nicht einfältig nennen... Ungestüm wäre die bessere Bezeichnung. Aber das bist du nun überhaupt nicht mehr...“.

Und wieder war ein versteckter Zuspruch gefallen, den sie deutlich herausgehört hatte. Bevor sie sich über die seltsame Art Athos’ an diesem Abend wieder Gedanken machen konnte, fragte er jedoch weiter „Wie kommt es, dass du dich daran erinnerst?“

Eigentlich war es eine beiläufige Frage, eine Frage der Höflichkeit, die Ausdruck für die Aufmerksamkeit eines anderen war, aber warum glaubte Aramis dann, dass diese Frage soviel größere Bedeutung hatte, als es augenscheinlich der Fall war?

„Ich weiß nicht, warum ich mich gerade jetzt daran erinnere. Vielleicht liegt es daran, dass D’Artagnan für einige Zeit Paris verlassen wird... Vielleicht erkenne ich mich in ihm wieder. Zumindest das was noch davon übrig ist...“, meinte sie leise und musste wieder lächeln. Ja, ihrer Ansicht nach, war sie früher um so vieles gleich gewesen wie D’Artagnan, bevor das Leid und die Verzweiflung über sie gekommen war.

„Du bist keineswegs wie D’Artagnan und wirst es auch niemals sein, Aramis“, widersprach Athos und es klang keinesfalls so, als ob es nett gemeint gewesen wäre. Das irritierte sie, weshalb sie wieder den Blick zu Athos suchte.

Er wirkte plötzlich unnahbar, fast kalt auf sie. Allmählich erahnte sie, dass seine Worte nicht davon gehandelt hatten, inwiefern Aramis und D’Artagnan charakterlich einander glichen. Es ging weit darüber hinaus und Aramis war sich sicher, dass sie diese Art von Unterredung mit Athos jetzt auf keinen Fall wollte. Sie wollte dem aus dem Weg gehen und sich abwenden, schnellstens eine ablenkende Beschäftigung finden, damit er sie darauf nicht ansprechen konnte, aber schon wie damals bei ihrem erstmaligen Treffen, erkannte er ihre Absicht und hielt sie am Arm fest, damit sie nicht flüchten konnte.

Leidvoll blickte sie auf seine Hand nieder, die ihren Arm umgriff. Für einige Sekunden verharrten beide regungslos inmitten der Küche, ohne einander anzusehen. Noch immer suchte sie in Gedanken einen Ausweg, der sie unbeschadet aus dieser Situation brachte, doch mit jeder weiteren Sekunde erkannte sie, dass Athos nicht mit sich verhandeln lassen würde, sich nicht vertrösten lassen würde auf eine weitere Woche oder auch nur einen weiteren Tag.

Athos erkannte, dass sie sich nicht wehrte, dass sie sich geschlagen gegeben hatte und er ihr die Frage stellen könnte, die ihn seit so langer Zeit Tag und Nacht unruhige Stunden bescherte „Wann wirst du endlich dieses Spiel beenden, Aramis?“

Über seine gewählten Worte verärgert, sah sie ihm ins Gesicht und konnte nur schwer ihre Wut unterdrücken „Falls du es vergessen haben solltest, hat es sich hier nicht um ein Spiel gehandelt, sondern darum denjenigen zu rächen, der mir am meisten in meinem Leben bedeutet hat...“

„Das hast du getan, Aramis! Du hast Manson ausfindig gemacht und ihn seine Strafe zukommen lassen. Und nun? Willst du weiter in Männerkleidern durch Paris jagen, stets mit der Angst lebend vor Inquisition?“, und damit hatte er das Thema begonnen, was für Aramis unausweichlich gewesen war. Auch wenn sie sich noch so sehr gesträubt hatte, auch wenn sie noch so sehr ihre Gedanken daran verdrängt hatte, dass Athos ihr eines Tages diese Worte entgegensprechen würde, so hatte sie fortan gehofft, dieser Tag wäre noch fern. Es war nun endgültig zu spät diesem Gespräch zu entfliehen. Sie würde sich dem stellen müssen.

„Ja! Genau das will ich! Was gibt dir das Recht über mein Leben zu entscheiden, Athos? Du hast ja nicht einmal die leiseste Ahnung wie es ist, dieses Leben zu führen. Ein Leben kennen zu lernen, dass mir als Frau von vornherein versagt geblieben wäre. Welches Recht hast du, um über mich zu urteilen?!“, rief sie wutentbrannt und versuchte nun sich zumindest aus seiner körperlichen Überlegenheit zu befreien, doch bewirkte sie damit genau das Gegenteil, da Athos nun ihren anderen Arm für sich beanspruchte und sie damit zwang ihm weiterhin entgegen zu blicken.

„Du gabst mir damals dein Wort, Aramis!“, entgegnete Athos über ihre Reaktion bestürzt, beinahe traurig, was sie in ihrem Ausbruch von Wut wieder ein wenig besänftigte. Seine Worte hingen schwer und andachtsvoll in der Luft. Wie hatte sie es nur vergessen können?

Athos entging ihr Sinneswandel nicht. Es brachte ihn dazu, den festen Griff um ihre Arme zu lockern. Er hatte kurzzeitig die Beherrschung verloren, was noch nie geschehen war. Augenblicklich tat es ihm unglaublich leid, wie er sie behandelt hatte. Dabei war es doch sein Herz, dass aus ihm gesprochen hatte...

Traurig senkte er seinen Blick und sprach leise „Ich habe dir damals versprochen, den Mörder deines Verlobten zu finden und niemandem gegenüber ein Wort darüber zu verlieren, wer du wirklich bist. Ich habe mich an mein Versprechen gehalten... Das solltest auch du tun...“

„Athos...“, ihre Stimme brach und mischte sich mit Wehmut. Glasklar drang die Erinnerung zu ihr vor, an die Nacht, vor so vielen Jahren, in welcher sie ihm ihr Wort gegeben hatte, das Leben eines Musketiers aufzugeben, sobald sie ihre Rache verübt hatte.

Doch seitdem hatte sich so vieles verändert. Sie selbst hatte sich verändert. Warum konnte er es nur nicht verstehen „Es ist soviel geschehen seit damals, Athos. Ich bin nicht mehr der Mensch, der ich früher einmal war...“

„Das weiß ich...“, entgegnete Athos gedrückt, ließ sie los, und musste Halt an einem der Küchenstühle suchen, der sich neben ihm befand. Seine Reaktion verwunderte sie. Vor ihr befand sich plötzlich nicht mehr der unantastbare und autoritäre Athos. Seine Haltung verriet Kummer und Traurigkeit und war für Aramis das erste mal greifbar. Sie erkannte, dass es wegen ihr war. Den ganzen Abend über bereits, wenn nicht schon die letzten Wochen, war das seltsame Verhalten von Athos allein wegen ihr.

„Warum dann, Athos? Warum möchtest du dann, dass ich an dem Versprechen festhalte?“, fragte sie sanft und beugte sich dabei zu ihm, um in seine Augen schauen zu können. Er nahm ihre Bewegung wahr und erwiderte ihren Blick, blieb jedoch stumm.

Innerlich trug er einen lautlosen Kampf mit sich aus, ob er dem Menschen vor ihm offenbaren sollte, weshalb ihn solch ein Wehmut begleitete, wenngleich er damit alles bisher da gewesene zerstören könnte.

Es war so vieles, was ihn mit Aramis verband. Seit Beginn ihrer Freundschaft hatten sie sich blind verständigt. Ihr Mut und ihr Kampfgeist hatten ihn aus Gefahren geborgen, denen er allein niemals hätte entfliehen können. Ihr Wesen und ihre Ausstrahlung hatten schwärzeste Tage für ihn heller wirken lassen. Nie hatte er es ihr gezeigt, dass er sich wohlfühlte in ihrer Gesellschaft, nie hatte er ihr zu verstehen gegeben, dass er sie als ebenbürtig erachtete. Seit er herausgefunden hatte, dass sie in Wirklichkeit eine Frau ist, war er ihr gegenüber verstohlen und zumeist abweisend, dabei lag es nur daran, dass sie ihn seit damals nur noch verwirrte. Zwar hatte er ihr damals das Versprechen gegeben, den Mörder Francois’ zu finden, doch konnte er von da an, nur schwer gleichermaßen mit ihr umgehen, wie es zuvor der Fall gewesen war.

Warum also wollte er, dass sie an ihrem Versprechen ihm gegenüber festhielt?

„Weil ich dachte, ich hätte dich bis dahin für mich gewonnen...“, hatte er derartig leise geflüstert, dass Aramis die Worte fast nicht ganz verstanden hätte.

Zunächst verstand sie die Bedeutung seines Geständnisses nicht. Doch dann traf es sie unvorbereitet und warf sie gänzlich aus den Bahnen ihres Lebens. Sie stolperte rückwärts und konnte nicht anders als ihn nur anzustarren. Kein Wort drang über ihre Lippen, nicht einmal ein Gedanke formte sich in ihrem Verstand, alles was sie fühlte, war ihr Herz, dass kurz mit Schlagen aussetzte und die Welt für einen Moment zum Stillstand brachte.

Wenn sie geglaubt hatte, dass ihre Beziehung zu Athos bis dato kompliziert gewesen war, dann würde sie für diese Situation nun keine Worte mehr finden können.

Sie nahm war, wie er sich von seiner beugenden Haltung über dem Stuhl aufrichtete und auf sie zutrat.

Sie konnte nicht beschreiben, was sie augenblicklich empfand, wie also konnte sie ihm nun darauf antworten? Das war gar nicht möglich, doch ahnte sie nicht, dass er ihr die Entscheidung abnehmen würde. Er blieb nahe vor ihr stehen und versuchte sie mit seinen Worten aus der Trance zu befreien „Es tut mir leid, wenn ich heute Abend alles was uns einstmals verbunden hat, zum Untergang gebracht habe. Aber da du damals mir gegenüber soviel Ehrlichkeit entgegengebracht hattest und mir von deinem Verlobten erzähltest, bin ich der Meinung, dass ich dir gegenüber ebenso viel Ehrlichkeit entgegenbringen sollte. Mir war schon seit langer Zeit bewusst, dass du dein jetziges Leben nicht aufgeben würdest, dafür liebst du es viel zu sehr...“

Bei diesen Worten zuckte sie zusammen und kehrte voll und ganz zurück, in seine Ausstrahlung und in seine Wärme, die er plötzlich ihr gegenüber preisgab. Sie sah, wie er sanft lächelte, wie er auf einmal um so vieles anders ihr gegenüber war, wie es noch vor wenigen Minuten der Fall war. Die Last war von seinen Schultern genommen wurden und hatten ihn befreit. Nur stand Aramis nun vor den Trümmern, die er mit seinem Geständnis hervorgebracht hatte. Und sie wusste nicht, wie sie diese jetzt beseitigen sollte.

Er hatte so sehr gehofft, dass sie auf irgendeine Art und Weise reagieren würde. Ihr stummes und regloses Verhalten hatte er nicht erwartet, doch dies schmerzte ihn um so tiefer. Sein Lächeln verschwand, sein Ausdruck glich Leid und Qual und er entschied sich dafür, sie ohne weitere Worte zu verlassen.

Er ging an ihr vorüber und sie bemerkte, dass sie ihn nicht so gehen lassen konnte. Nur wegen ihr versank er in diesen Gemütszustand. Sie konnte nicht verantworten, dass sie ihn stumm gehen ließ. Sie drehte sich herum und erkannte, dass er bereits an der Tür angelangt war „Warte Athos!“

In zwei großen Schritten war sie bei ihm, gerade rechtzeitig, als er sich ihr zuwandte. Ihre Hände schnellten unter ihrem Mantel hervor, die bis dahin den Schutz darunter gesucht hatten, doch nun umfassten sie in einer fließenden Bewegung seinen Nacken und zogen ihn zu sich hinab. Sanft legte sie ihre Lippen auf seine Wange und ließ einen langanhaltenden und liebevollen Kuss darauf zurück. Er wagte nicht, sie zu berühren, stattdessen schloss er seine Augen und verinnerlichte das Gefühl sie einmal so nah bei sich zu wissen. Ihre Hände lösten sich von seinem Nacken und strichen unmerklich an seinem Hals hinab. Sie selbst sank leicht zurück und betrachtete ihn mit einem leichten Lächeln „Du bist mir der liebste und beste Freund, Athos... Vergiss das nie...“.

Und obwohl es nicht der Satz war, den er sich seit so vielen Jahren innerlich gewünscht hatte zu hören, war er auf eine surreale Art trotz allem glücklich darüber, dass sie ihn ihm gegenüber gesagt hatte. Er wusste, dass sie Francois noch immer liebte und dies vermutlich auch immer tun würde und dies noch über ihr Leben hinaus. Er würde sie mit hindurch begleiten, so wie er es die letzten Jahre über getan hatte. Er war zu ihrem Schatten geworden, ohne dass sie sich dessen bewusst war.

Er erkannte, wie ihre Wange glitzerte. Fürsorglich strich er mit seiner Hand darüber, was Aramis bewusst machte, dass er soeben eine Träne von ihr fortgewischt hatte.

Und dann wandte er sich ab und verließ ihr Haus.

Aramis blieb verwirrt und durcheinander zurück.

Ihre Hand strich über ihre Wange, wo noch immer die Berührung Athos’ zu spüren war.

Dabei beobachtet von einem großen Hünen, der an der Ecke zum Nebenzimmer im Dunkeln verweilt hatte.
 

~ Ende ~



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  blubbie
2008-02-29T22:56:38+00:00 29.02.2008 23:56
absolutely beautyfull! Der arme Athos...und typisch Porthos...so typisch...
eine ganz tolle Fanfiction!
Von:  fastcaranbethrem
2008-01-25T20:01:54+00:00 25.01.2008 21:01
Eine wunderschöne Fanfic, leicht melancholisch, zum Träumen und Seufzen, wie ein leises schönes Liebeslied.
Von:  amacie
2008-01-22T08:36:08+00:00 22.01.2008 09:36
Schön, obwohl es ja eigentlich sehr traurig für Athos ausgeht. Der Arme.
Dafür konnte ich mir Porthos Gesangskünste wunderbar vorstellen, auch wenn ich erst eine Weile brauchte, bis ich erkannte was er da überhaupt singt. *G* Und es wäre ja wohl auch nicht Porthos, wenn er nicht heimlich still und leise an der Tür gelauscht hätte. Woher hab ich das nur geahnt? :-)


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