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Die Chronik der Alpträume - 1. Buch - Das Biest

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Der Racheschwur

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. So unangenehm und unüberwindbar eine Situation doch anfangs zu sein scheint, nimmt er sein Schicksal erstaunlich schnell an und fügt sich darin, bis das Neue zum Alltag wird. Auch uns ging es nicht anders. Mit erschreckender Rasanz hatten wir angenommen, was wir nun waren. Fressende Tötungsmaschinen ohne jegliche Eleganz, Reue und Gnade. Zu Lebzeiten habe ich mich immer für einen feinfühligen und sehr sensiblen Menschen gehalten. Nun mußte ich mir eingestehen, dass ich innerhalb weniger Tage und Wochen zu einem kaltblütigen Monstrum geworden war, das nur ein Ziel verfolgte. Den nagenden Hunger zu stillen. Wir fraßen, was uns in die Quere kam. Ob Tier oder Mensch. Alt oder Jung, es machte keinen Unterschied, so lange das Blut heiß in ihren Adern floss und genügend Fleisch für einen Bissen an ihren Knochen hing.

Doch mußten wir bald feststellen, dass unsere kleine Schar stetig anwuchs. Wen wir nicht vollständig verschlangen und zerrissen, so dass nur blanke Knochen von ihm übrig blieben, der erhob sich nach seinem Tode und wurde unter Qualen und Pein neu geboren zu einem der unseren. Anfangs dachte man nicht darüber nach. Denn das Denken war uns fremd geworden. Nur der Trieb steuerte unser Tun. Doch ein kleiner Rest der jungen Frau, die ich einst war, hatte in mir überlebt. Und irgendwann stelle sich mir die Frage, wie das weiter gehen sollte. Wir wurden mehr und mehr und eines Tages wären unsere Jagdgründe erschöpft und nur noch unseres gleichen würde auf Erden wandeln. Galt es also nicht, dem in irgendeiner Form Einhalt zu gebieten? Zu selektieren, wem man dieses grausige Schicksals des hungrigen Jägers auferlegte? Und ein weiterer Gedanke drängte sich mir auf. Der Ort unserer Geburt kam mir wieder in den Sinn und der Ballsaal, den wir versiegelt hatten. Was war aus jenen geworden, die unsere erste Nahrung dargestellt hatten? Waren Sie auch erwacht? Und wenn ja, hatten sie entkommen können? Und warum befiel mich ein Gefühl des Grauens bei dieser Vorstellung? Wieso dieses Ungute Gefühl, als hätten wir sie vollends vernichten müssen?

Meine Grübeleien blieben nicht unbemerkt. Isobell trat zu mir und sprach aus, was ich dachte, noch ehe ein Wort über meine Lippen kam.

„Wir müssen das Siegel brechen und uns versichern, dass der Ballsaal unversehrt ist.“

Mit Grauen sah ich zu ihr auf. Diese katzenhafte wunderschöne Frau hatte sich zu unserer heimlichen Anführerin aufgeschwungen. Ich weiß nicht warum, aber wir folgten ihr, auch wenn es mich erschreckte, was aus ihr geworden war. Sie liebte es, dass zu sein, was der Tod aus ihr gemacht hatte. Kostete jeden Vorzug aus und strotzte vor Kraft und vor allem vor Verlangen zu töten und zu fressen. Ihr Haar war nicht länger schwarz. Aus Trotz und Ironie hatte sie es sich schreiend pink gefärbt und trug es zu einem Zopf hochgebunden.

Ich hingegen war wohl das genaue Gegenteil. Trotzdem ich mich dem Schicksal gefügt hatte, haßte ich meine verderbte Existenz. Und immer wieder wünschte ich mir, dass man die Zeit zurückdrehen könnte um alles ungeschehen zu machen.

Als Isobell nun so leichthin davon sprach, den verfluchten Wort wieder zu öffnen, sträubte sich in mir alles gegen diese Vorstellung. Ich war überzeugt, dass uns großes Unglück drohen würde, sobald sich die großen Flügeltüren öffnen würden, wie die Büchse der Pandora.

„Wir sollten keinen Fuß in dieses Schloß setzen. Nie wieder.“, versuchte ich einzuwenden, doch es war bereits beschlossene Sache. Also ignorierte ich die Stimme in mir, die mich laut schreiend immer wieder warnte, mich dem Ort des Verderbens zu nähern. Was wenn das Biest dort auf uns lauerte? So widersinnig es erscheinen mag, hing ich doch an dem was von meinem Leben übrig geblieben war. Ich war noch nicht bereit dazu, für immer zu gehen.
 

Drohend ragte das Schloß vor uns auf. Ein Schauder überfiel mich, doch ich schritt mutig neben Isobell an der Spitze unseres Trosses voran. Im Inneren des Schlosses war es stockdunkel, doch unsere Augen sahen, als wäre es helllichter Tag. Wir erklommen auf allen vieren kriechend wie Bergsteiger eine eingestürzte Treppe, die uns direkt zum Ballsaal führen sollte. Jeder Normalsterblich wäre an die Grenzen seiner Kräfte gestoßen, doch für uns war es ein leichtes. Der Tod hatte uns Stärke verliehen und Isobell strahlte mich triumphierend an, als wir das obere Ende der Treppe erreicht hatten.

„Ich liebe diesen neuen Körper. Er ist so stark. Ich habe eine Kondition, die ich in meinem ganzen Leben nicht besessen habe.“

Ihre Begeisterung konnte ich jedoch nicht teilen. Besorgt folgt ich ihr zu der riesigen Flügeltür. Ich griff zärtlich nach einer ihrer rosa Haarsträhnen, als sie an der Türe lauschte, und ließ diese durch meine Finger gleiten.

„Bitte laß uns gehen. Öffne diese Tür nicht. Du weißt nicht, was uns dort erwartet. Ich habe kein gutes Gefühl dabei. Irgendetwas schreckliches ist dahinter. Ich kann es spüren.“

Isobell sah mich nur lächelnd an.

„Kleine Gwen, uns wird nichts geschehen. Wir sind so stark Wer will uns etwas anhaben?“

Sie warf einen Blick über ihre Schulter zu der geifernden Meute hinter uns und grinste selbstsicher. Dann drückte sie die Türe auf und gab den Blick frei auf den stockdunklen Saal, der dahinter so lange verborgen gelegen hatte. Alles war, wie wir es verlassen hatten. Die Toten lagen immer noch dort, wo wir sie zurückließen. Doch etwas stimmte nicht, wie ich es befürchtet hatte. Die Leichen waren nicht verwest. Sie lagen vollkommen unversehrt da und wirkten wie Wachspuppen. Ich trat näher und das sah ich sie. Mein erstes Opfer. Die schöne Blonde. Und sie sah mich. Mir stockte vor Schreck der Atem, als sich erst langsam Ihr Arm bewegte und dann der Rest ihres Körpers schlangengleich folgte und sie sich nackt und unwirklich erhob. Und mit Ihr die Schar derer, die mit ihr gestorben waren. Drohend bewegten sie sich auf uns zu als hätten sie nur auf uns gewartet. Und allen voran die Blonde. Auf ihren Lippen kräuselte sich ein grausames Lächeln, das eine reihe blitzender scharfer Zähne entblößte. Als sie die Stimme erhob, klang diese so eisig das ich glaubte, ich würde vor Schreck erfrieren.

„Dachtet Ihr wirklich, Ihr würdet ohne Schaden mit dem davon kommen, was Ihr uns angetan habt?“

Drohend hob sie den Arm und deutete mit dem Zeigefinger auf uns.

„Wir werden Euch vernichten… Alle… Einen nach dem anderen.“

Sie waren nicht wie wir. Sie waren etwas viel schlimmeres, dass ich nicht in Wort zu fassen vermag. Und sie waren in der Lage, uns den Gar aus zu machen. Diese Erkenntnis traf uns alle wie ein Faustschlag ins Gesicht und wir flohen. Stoben auseinander wie eine Herde Schafe. Niemand achtete mehr auf den anderen. Unsere Gemeinschaft war zerschlagen in ihrer Furcht und Panik, die wir das letzte mal empfunden hatten, als das Biest uns holte.

Ich stürmte auf ein nahe gelegenes Fenster zu und sprang hinaus in die Freiheit. Einfach nur weg von all dem Schrecken, dass dieses Gebäude mir gebracht hatte. Und ich flog, zu meinem eigenen Erstaunen. Hatte ich doch fest damit gerechnet, hart auf den Boden aufzuschlagen. Aber nein, ich flog hinweg über die Bäume und Häuser unter mir. Weit fort vor der blonden Frau und ihren Schergen. Wie verrückt das doch war. Warum hatten wir nicht gewußt das wir das konnten? Die Frage war eigentlich recht simpel beantwortet. Keiner hatte es je zuvor versucht, weil es schlichtweg keinen Grund dafür gab.

Und so rettete ich mich mit der Gewissheit, dass ich von nun an für den Rest meines Lebens vor Ihr auf der Flucht sein würde. Denn Sie und ihres gleichen würden nicht ruhen, bis sie nicht auch den letzten von uns erlegt hatten.



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