Zum Inhalt der Seite

Der Schwur der 'Göttersöhne'

Seth x Atemu
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Chapter 11

Chapter 11
 

„Meine Damen und Herren, wenn Sie mir bitte folgen würden.“

Die junge Frau mit den schwarzen Haaren in dem weißen Kleid, das mit Goldschmuck verziert war, wandte sich von der Gruppe Jugendlicher ab und schritt auf einige der Ausstellungsstücke zu. In Glaskästen standen dort kleine ägyptische Figuren, Tonkrüge – einige vollständig, andere mit Rissen – und noch einige andere Kleinigkeiten aus dem ägyptischen Alltag.

Die Museumsführerin leierte ihre Informationen über diese Gegenstände so trocken herunter, dass ihr kaum jemand zuhörte. Außerdem redete sie auf Englisch, was nicht wirklich von jedem Schüler perfekt beherrscht wurde.

Alles andere war für die Schüler und Schülerinnen interessanter als diesem monotonen Monolog zuzuhören. Geflüster wurde laut, hier und da Gekicher. Die Streber zischten den hinter ihnen stehenden ein „Ruhe!“ zu. Sie wollten nämlich etwas von dem mitkriegen, was hier erzählt wurde – auch wenn sie sehr deutlich in der Minderheit waren.

Die Folge dieser Unruhe war allerdings, dass Miss Hame des Öfteren ärgerliche Blicke verschickte, woraufhin auch tatsächlich Ruhe herrschte. Wenn auch nur für wenige Augenblicke. Sobald Miss Hame ihre Aufmerksamkeit wieder der Mitarbeiterin zuwandte, fing das Getuschel wieder an.
 

„Oh man, warum haben wir eigentlich immer das Glück und bekommen die trockensten Monologhalter ab“ murmelte Tristan in seinen nicht vorhandenen Bart. Er stand mit Tea und den anderen ganz hinten im Pulk. Er und das Mädchen hätten schon gerne mehr über das Leben damals erfahren – genug Englisch, um der Frau zu folgen, konnten sie zumindest – immer nur Joey und Yugi fragen, ging ja auch nicht. Und bei Kaiba trauten sie sich noch nicht so recht. Er war zwar im Großen und Ganzen nicht ganz so ein arrogantes Arsch, wie er sich immer gab, aber dennoch immer noch ziemlich unnahbar. Für sie jedenfalls. Aber vielleicht mussten sie ihn auch einfach erst ein paar Jahrtausende kennen.
 

„Wenn die fertig ist, kriegt ihr von mir ne persönliche Führung“ flüsterte Joey zurück, der neben Tristan stand.

„Na, ob du da der richtige bist?“ grinste der Braunhaarige zurück. Bei Joey würde das ganze bestimmt lustig werden, aber was Fakten anging, vertraute er Yugi und Kaiba dann doch etwas mehr.

„Hey, nun sei mal nicht so kleinlich. Besser als die da vorne kann ich das allemal“ giftete Joey zurück. Nur nicht mehr ganz so leise wie nötig. Die Köpfe der vor ihm Stehenden drehten sich zu ihm um. Sehr geräuschvoll. Was die Mitarbeiterin dazu veranlasste, zu verstummen.

„Was ist denn hier los?“ fragte Miss Hame ihre Klasse. „Könnt ihr euch nicht mal benehmen?“

„Das war diesmal aber Wheeler“ ließ sich Josh vernehmen. „Er hat gemeint, er könnte die Führung ‚allemal besser als die da vorne’.“

„Josh“ zischte der Blonde diesen an, bekam er von diesem und seinen Freunden nur ein schadenfrohes Grinsen zurück. Das war dann wohl die Rache für gestern Abend.

Der Blick Miss Hames wurde dunkler. „Wie war das, Mister Wheeler? Ich weiß ja, das Sie gerne Unsinn veranstalten, aber das geht jetzt wohl doch etwas zu weit.“
 

Oh man. Da hatte er jetzt den Salat. Und wie sollte er da jetzt wieder rauskommen?
 

„So war das doch gar nicht gemeint“ nuschelte er erstmal und versuchte so, da wieder raus zu kommen.

„Ach? Wie war es denn gemeint?“ fragte Miss Hame nach. Auch wenn sie eigentlich ziemlich viel Geduld mit ihren Schülern hatte, irgendwann war auch ihr Vorrat aufgebraucht. Und dass Joey und seine Freunde es gestern Abend auch noch geschafft hatten, ihr die Erlaubnis für einen Ausflug in den alten Teil Kairos abzuringen, hatte ihrem Geduldvorrat auch nicht gerade gut getan.
 

„Ich meinte doch nur ... so monoton wie die Dame ihre Vorträge hält, schlafen wir doch alle hier ein. Nichts gegen Sie, aber ...“

„Da hat der junge Mann Recht. Du bist wirklich nicht so sonderlich für Führungen geeignet. Jedenfalls nicht, wenn die Teilnehmer keine Professoren für Ägyptologie sind.“ Der Herr, von dem Joey unterbrochen wurde, wechselte mit der jungen Frau ein paar arabische Worte. „Sorry, dass ich erst jetzt komme, Ishizu, aber die Unterredung hat leider etwas länger gedauert. Ich übernehme für dich, du kannst dich wieder deinen Forschungen widmen.“

„Na, dann wünsche ich dir viel Spaß.“ Ishizu verabschiedete sich mit einem Nicken von Miss Hame und verschwand in den Tiefen des Museumsgebäudes, nicht ohne Joey noch einen Blick zuzuwerfen, den dieser nicht deuten konnte. War sie jetzt sauer oder beleidigt oder was?
 

„Bitte verzeihen Sie, aber ich wurde leider aufgehalten. Eigentlich sollte ich von vornherein Ihre Führung leiten. Mein Name ist Marik Ishtar. Wie ich sehe, ist meine Schwester zum Glück nur bis in den zweiten Ausstellungsraum gekommen. Möchte noch irgendwer etwas zu dem bis hierher gesehenen fragen oder sollen wir vielleicht sogar noch mal von vorne anfangen?“

Nanu? Hatten sie gerade richtig gehört? Marik Ishtar sprach Japanisch mit ihnen.
 

„Nein, ich glaube, wenn Sie das machen, gibt es einen Aufstand.“ Miss Hame sah gar nicht mehr so wütend aus. Anscheinend hatte Marik sie mit seiner guten Laune angesteckt. „Und verzeihen Sie bitte, was einer meiner Schüler über Miss Ishtar gesagt hat. Er hat es nicht so gemeint.“

„Schon in Ordnung. Ich weiß ja, wie sie ist. Und sie selber weiß es auch und nimmt es Ihrem Schüler bestimmt nicht übel. Vor allem, da sie von Schülergruppen schon ganz anders darauf ‚aufmerksam’ gemacht wurde, das bald alle einschlafen.“ Marik sah die Lehrerin dabei freundlich an.

„Na, wenn Sie meinen ...“ zweifelte Miss Hame noch immer etwas. Aber wenn er meinte, dass seine Schwester Joey das nicht übel nahm. [mal so nebenbei: ich übernehme keine Garantie dafür, dass Marik und Ishizu IC rüberkommen ^^°]
 

„Nun, dann können wir ja weitermachen mit der Führung. Wie sieht es aus?“ sah er zu Joey hinüber. „War Ihr Angebot von eben ernst gemeint?“ Der kapierte erstmal gar nichts. Wie jetzt?

„Wie meinen Sie das?“

„Na, wollen Sie meinen Job mal für ne Weile übernehmen? Mal gucken, ob Sie das wirklich besser als meine Schwester hinbekommen.“ Der Ägypter wies einmal durch den Raum. „Sie dürfen sich auch aussuchen, worüber Sie etwas erzählen möchten.“ Mal sehen, ob der Blonde darauf ansprang. Es interessierte ihn wirklich, ob der junge Mann etwas zu einem der Ausstellungsstücke hier sagen konnte. Das bewies dann, dass sich nicht alle Jugendlichen nur für Geld, Autos und Computer interessierten. So ganz nebenbei konnte er abchecken, ob er einer der Gesuchten war. Irgendwann in diesen Tagen mussten schließlich diejenigen kommen, für die die Milleniumsgegenstände bestimmt waren. Umsonst war das alles gewiss nicht geschehen ...
 

Joey sah sich im Raum um. Er hatte gar nicht mitbekommen, wie sie aus dem Eingangsbereich in den nächsten Raum gewechselt waren. Hier standen überall Götterstatuen herum, die zum Teil schon so aussahen, als würden sie bei der kleinsten Berührung zu Staub zerfallen. Von einer Größe von etwa zwanzig Zentimetern bis zur Decke reichend war alles vertreten. Daneben all die kleinen Dinge, die man im Tempel haufenweise benutzt hatte. Kleine Messer für die Opferriten, Schalen für das geweihte Wasser ... Dazwischen hingen Kleidungsstücke, wie sie die Priester früher getragen hatten. Einige sahen wirklich original aus, anderen dagegen sah man es an, das sie nach Abbildungen erst vor wenigen Jahren entstanden sein konnte.
 

Nun, zu einem dieser Dinge würde ihm doch bestimmt etwas einfallen. Schließlich hatte er den Großteil seines Lebens im Tempel verbracht.

Er nickte Marik einmal kurz zu und ging dann an den Ausstellungsstücken vorbei.

Die gespannten Blicke, die ihm folgten, nahm er gar nicht wahr. Miss Hame war leicht erstaunt darüber, das Joey sich dazu bereit erklärte. Eher hätte sie damit gerechnet, dass er es vehement verweigern würde, auch wenn das Referat über die Götter wirklich nicht schlecht gewesen war. Wirklich nicht. Sollte Wheeler doch mehr dafür getan haben als sie vermutete?

Die Klasse freute sich schon darauf, wenn sich Joey ihrer Meinung nach so richtig blamieren würde. Der konnte doch nie und nimmer etwas Vernünftiges zu einem dieser Stücke sagen.

Nie! Da waren sie sich alle einig.

Nun, und Marik Ishtar ... in dem keimte die Hoffnung auf, dass er seine Gesuchten gefunden hatte. Von vornherein hatte er bei dem Blonden und zwei anderen dieser Klasse ein komisches Gefühl gehabt.
 

Jono blieb vor einem Glaskasten stehen, in dem einige kleinere Gegenstände ausgestellt waren. Drei verschiedengroße Messer, von denen allerdings nur noch das Metall übrig war. Die Holzgriffe mussten schon vor Jahren vermodert sein. Sonst würde man jetzt die kunstvoll verzierten Griffe bewundern können, auf denen Tiere und Pflanzen zu sehen gewesen waren. Daneben standen zwei kleine tönerne Schalen, von denen die eine einen Sprung aufwies, der sie fast in zwei Teile spaltete. Ihre Verzierungen bestanden ebenfalls aus Vertretern der Tier- und Pflanzenwelt. Dann lag dort noch ein kleines Amulett, aus Gold gegossen. Man sah ihm an, dass die Zeit an ihm genagt hatte. Leicht trübe und die Ränder wiesen hier und da winzige Absprünge auf. Dennoch konnte man auch hier die gleichen Verzierungen wie auf den Schalen erkennen.

Das Schild an der Wand sagte aus, das diese Gegenstände für ein Ritual zu Ehren des Gottes Geb benutzt wurden.
 

Joey schmunzelte. Da hatten die Gelehrten ja mal etwas richtig herausgefunden. Hoffentlich hatten sie auch herausbekommen, wie dieses Ritual von statten ging. Sonst würde eine gute Erklärung seinerseits von Nöten sein.
 

„Wenn ihr mal alle herkommen würdet?“ drehte er sich vom Kasten weg und winkte seine Mitschüler heran. Gespannt kamen diese näher, der oder die eine kicherte schon aus Vorfreude auf das nun folgende Schauspiel.
 

„Was ihr hier sehen könnt, sind Gegenstände, die für ein Ritual zu Ehren des Gottes Geb, dem Gott der Erde, der Pflanzen und der Lebewesen, verwendet wurden. Mit diesem Ritual weihten Priester die Höfe der Bauern, damit diese eine reiche Ernte einbrachten und das Vieh nicht einging. Außerdem ...“

Und so erzählte Jono alles, was er über dieses Fest wusste. Schließlich hatte er es oft genug selber ausgeführt, wenn einer der Herren Priester mal wieder keine Lust dazu hatte. Die Bauern in der Umgebung der Hauptstadt waren nämlich größtenteils mit dieser Bitte zum Haupttempel gekommen und so musste er das eine oder andere Mal für die Oberpriester einspringen, die just in diesem Moment ‚etwas ganz dringend wichtiges’ zu tun hatten. Pah, das hatte er ihnen damals schon nicht abgekauft. Die hatten doch nur keine Lust gehabt, die Stadt zu verlassen.
 

Stille herrschte, nachdem Joey geendet hatte. Die Klasse war baff. Dieses Wissen hätten sie ihm nie zugetraut.

„Ich bin beeindruckt, wirklich, das haben Sie sehr gut gemacht“ beglückwünschte Marik ihn. „Ich haben selten einen jungen Mann wie Sie erlebt, der so gut über die ägyptischen Götterrituale Bescheid weiß.“

„Ich muss gestehen, das hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut, Joey. Wirklich. Wenn Sie sich in der Schule auch von dieser guten Seite zeigen würden, wären Ihre Leistungen bestimmt nicht ganz so miserabel.“

„Dankesschön für diese Aufmunterung, Miss Hame“ verbeugte sich Joey gespielt dankbar vor seiner Lehrerin. „Ich werde versuchen, Ihren Rat zu befolgen.“ Sie sahen sich an. Beide wussten sie, dass Joey hier mal wieder den Albernen spielte.
 

„Was dagegen, wenn ich die Führung wieder übernehme? Oder wollen Sie noch etwas zu einem der anderen Artefakte sagen?“

„Nein nein, übernehmen Sie mal wieder“ winkte Jono dankend ab. Einmal hatte ihm gereicht. Sein Blick suchte Josh und dessen Freunde und als er sah, wie diese ärgerlich in seine Richtung guckten, konnte er nicht anders als schadenfroh zu grinsen. Tja, Rache war süß, sprach Rah. [oder heißt das ‚Die Rache ist mein, sprach Seth’? =)]
 

Kurz darauf stand der Blonde wieder bei seinen Freunden und Marik erklärten ihnen die restlichen Gegenstände hier im Raum.
 

*Ich bin erstaunt. Du hast ja tatsächlich aufgepasst, als man dir die Hintergründe der Rituale erklärt hat.* Seths Stimmte klang leicht spöttisch.

*Du würdest dich wundern, wüsstest du, was ich noch so alles mitgekriegt habe* gab Jono genauso spöttisch zurück.

*Ach wirklich?*

*Wirklich.*

Beide guckten sich an und mussten ihr Lachen unterdrücken. Sie konnten es aber auch nicht lassen.
 

„Man, Alter“ hatte Tristan einen Arm um Joey Schulter gelegt. „Woher weißt du denn dieses ganze Zeug?“

„Dieses ‚ganze Zeug’ wurde mir in den ersten Wochen im Tempel eingebläut. Die Priester haben mich buchstäblich mit den ganzen Informationen, welcher Gott wann welches Fest hat und warum, erschlagen. Du glaubst gar nicht, wie einem danach der Kopf geschwirrt hat. Boah ey.“

„Vielleicht sollten wir unseren Lehrern diese Methode mal erklären. Dann wirst du vielleicht wirklich besser in der Schule.“ Leicht gemein lächelte das Mädchen ihren Freund an.

„Tea!“ empörte sich Joey. „Bloß nicht.“

„Aber es hat doch geholfen. Ich wette, von dem, was wir in den letzten Stunden in Japanisch besprochen haben, weißt du kein Stück mehr.“

„Ja, aber davon hing ja auch nicht mein Leben ab“ gab Joey leise zurück.

Tea und Tristan sahen erschrocken drein. Stimmt ja. Daran hatten sie gar nicht gedacht.

„Entschuldige bitte, Joey. Das ...“ stammelte sich das Mädchen etwas zusammen.

„Schon gut. Weiß ich doch“ lächelte Joey und umarmte sie kurz. Er konnte sich ja denken, dass sie nicht immer an sein früheres Leben dachten. Und eigentlich war er darüber auch ganz froh.
 

Yugi und Seto standen nur still daneben und dachten sich ihren Teil.
 

Marik verstand es wirklich um einiges besser als seine Schwester, die jungen Zuhörer in seinen Bann zu ziehen. Er erzählte mit Schwung und Elan die Herkunft der einzelnen Gegenstände und band die Schüler mit ein. Der krasse Gegensatz zu Ishizu.
 

Inzwischen waren sie in den nächsten Raum getreten, in dem noch mehr Gegenstände ausgestellt waren, die mit dem Glauben und dem Leben im Tempel zu tun hatten.

„Wenn ich Euren Blick hierüber lenken dürfte“ vernahm man Mariks Stimme. „Vor einigen Jahren wurden in der Nähe von Memphis die Ruine einer gesamten Stadt unter dem Sand gefunden. Die meisten der Gebäude waren bis auf die Grundmauern zerstört. Aber die Bauten, die noch standen, gaben Rätsel auf. Es soll sich dabei um einen Pharaonenpalast und einen Tempel gehandelt haben. Der Großteil dieser Gebäude war noch intakt und mit großen Sicherheitsvorkehrungen hat man sie erkundigt. In dem Tempelgebäude wurde ein riesiger Raum entdeckt, der wohl so etwas wie der Versammlungsraum der Priester damals gewesen war. Die Bänke und auch der Altar, die sich in diesem befanden, waren von der Zeit fast gänzlich zerstört worden. Dann aber entdeckten die Wissenschaftler einen kleineren Raum hinter diesem. Der Altar, der sich dort befand, war erstaunlicherweise noch vollkommen intakt. Da aber Einsturzgefahr für das Gebäude bestand, beschlossen die Wissenschaftler, den Altar und noch einige andere Gegenstände aus dem Tempelbau zu schaffen, um sie im Labor in Ruhe und genauestens untersuchen zu können.

Nachdem diese Untersuchungen abgeschlossen waren, wurden diese Gegenstände unserem Museum anvertraut. Das erstaunliche ist, diese Ruinen in der Nähe von Memphis sollen über 5000 Jahre alt sein. Manche schätzen sogar fast 6000 Jahre.

Ihr seht hier also etwas, was darauf hindeutet, das die Kultur Ägyptens noch viel älter ist als allgemein angenommen.“
 

Außer Tristan und Tea hatte in den hinteren Reihen kaum einer zugehört. Einige unterhielten sich angeregt über den neuesten Klatsch und Tratsch – bei denen war es vergebene Liebesmüh, sie in ein Museum zu schleifen –, während für andere wiederum das alles hier einfach nur ‚Alltag’ war.
 

Sie hingen ihren Gedanken nach, die Stimme von Marik hörten sie nur wie aus weiter Ferne. Aber als dann Worte fielen wie ‚Nähe von Memphis’ und ‚vor 5000 Jahren’, wurden sie doch hellhörig.

In der Nähe von Memphis hatte sich damals die Hauptstadt befunden.

Und damals war die Stadt schon nicht mehr gerade jung gewesen.

Sollte das wirklich ...?
 

Die Blicke Seths, Jonos und Atemus wanderte wie auf ein stummes Kommando zu diesem Altar herüber. Allen stockte der Atem.

Das war ...

Seth setzte schon dazu an, auf ihn zuzugehen, als er von Atemu daran gehindert wurde. Mit festem Griff hielt er Seths Handgelenk fest.

Ihren Blick starr auf den Altar gerichtet, bemerkten sie gar nicht, wie Tea und Tristan sie erstaunt ansahen.

Die Gedanken der drei Alt-Ägypter kreisten um etwas ganz anderes ...
 

~~~
 

[was jetzt kommt, ist vollkommen auf dem Mist der Charas gewachsen. ^^°]
 

Der kleine Raum wurde dürftig vom Fackelschein erhellt. Hier herrschte ein grau in grau, Schatten des Altars und der angelehnten Tür zogen sich über den Steinboden. Aus dem großen Gebetsraum hallten Stimmen zu Atemu herein, der hier ganz in Gedanken versunken stand. Heute würde er den neuen Hohepriester weihen müssen. Einen Mann, den er noch nie zu Gesicht bekommen hatte, von dem Jono aber schon einiges erzählt hatte.

Auch wenn der Verlust Serfas groß war, neugierig war er nun doch auf diesen Seth, den Serfa zu seinem Nachfolger erklärt hatte.

Seit er von seinem Vater den Titel des Pharaos übernommen hatte, hatte er mit Serfa zusammengearbeitet. Hatte in diesem einen treuen Freund der Pharaonenfamilie gefunden, der sein Amt als Hohepriester mehr als ernst nahm. Serfas Verstand und Weitsicht hatten ihm das eine oder andere Mal wirklich geholfen, verzwickte Situationen durchzustehen. Aber viel von seinem Nachfolger hatte er nicht gesprochen. Die Traditionen verlangten es, dass der neue Hohepriester den Pharao erst bei seinem Amtsantritt kennen lernte, damit keiner der beiden schon vorher Antipathie gegen den anderen entwickeln konnte. Für das Überleben Ägyptens war es erforderlich, dass sich Pharao und Hohepriester aufeinander verlassen konnten.
 

Je weniger Serfa über den jungen Mann gesprochen hatte, desto mehr hatte Jono es aber getan. Auch wenn er dieses Gesetz kannte, solange er dem Pharao den Anwärter nicht vorstellte, konnte er doch soviel reden wie er wollte. Oder etwa nicht?
 

Atemus Neugier war mit jedem Tag gestiegen. Ein junger Mann, der in Serfa soviel Vertrauen weckte ... Das konnte doch nur ein gutes Omen sein. Dafür, dass Seth über genauso viel Verstand und Scharfsinn verfügte wie sein Vorgänger. Dafür, dass mit ihm als Hohepriester der Weg des Wohlstandes und des Friedens, den Ägypten momentan ging, nicht gefährdet war. Und das war erst einmal das Wichtigste. Das Volk von Ägypten würde nicht in Gefahr geraten.
 

Das Stimmengewirr vor der Tür wurde zwar nicht lauter, aber dafür intensiver. Es musste soweit sein.
 

Seth fühlte sich nicht gerade wohl in seiner Haut. Er schritt den Mittelgang entlang und spürte die Blicke der anderen Priester auf sich ruhen – besonders die Augenpaare von fünf Oberpriestern.

Wäre Jono nicht hinter ihm gewesen, dann wäre er wohl so wieder umgedreht. Nicht dass er sich nicht geehrt fühlte und stolz war, sich ab heute Hohepriester des Pharaos nennen zu dürfen, er wollte ja helfen, wo er nur konnte, wollte so gerne Serfas Werk zusammen mit dem Pharao zu Ende führen, aber es widerstrebte ihm, so im Mittelpunkt zu stehen. Ihm kamen Serfas Worte wieder in den Sinn.

‚Große Macht bringt auch große Verantwortung mit sich. Verantwortung für sich und für andere. Wer Großes tut, wird nicht überall mit Wohlwollen empfangen und behandelt, aber wenn man es wirklich ernst damit meint, für andere da zu sein, darf man sich davon nicht entmutigen lassen. Sondern muss immer daran denken, dass es dort draußen Menschen gibt, die einem zwar unendlich dankbar sind, aber nicht die Möglichkeit haben, es einem zu sagen. Man darf sich von bösen Worten nicht unterkriegen lassen und muss weiter fest an sich glauben und konsequent seinen eigenen Weg gehen. Nur dann, und nur dann, kannst du deinen Lebenstraum erfüllen.’

Seth glaubte an diese Worte. Sonst wäre er gar nicht hier.
 

Inzwischen waren sie am Ende des Ganges angekommen. Einer der Tempeldiener öffnete die angelehnte Tür und Seth und Jono konnten in den Raum eintreten. Hinter ihnen fiel die Tür leise ins Schloss. Keiner außer den drei Anwesenden würde erfahren, was hier drinnen vor sich ging. Nur der Pharao, der Anwärter auf das Hohepriesteramt und der oberste Tempeldiener wussten, wie diese Weihe vonstatten ging. So war es seit Ewigkeiten und so würde es auch noch in Ewigkeiten sein.
 

Stumm blieben sie einige Minuten still stehen. Sahen sich nur an.

Der Pharao in einem prachtvollen Leinenschurz, Goldreifen um die Oberarme und die Krone des Rah auf dem Haupt. Violette Augen blickten Seth durchdringend an.

Seth trug das offizielle Gewand des Hohepriesters. Ein weißer Leinenschurz, der von einem senkrechten Streifen tiefblauen Stoffes durchzogen wurde. Sein ärmelloses Oberteil war von demselben tiefblau. Nur der verzierte goldene Armreif fehlte noch, der ihn als angenommenen Hohepriester auswies. Die blauen Saphire musterten den Pharao gleichfalls, versuchten ihn einzuschätzen.

Jono stand etwas schräg hinter den beiden und beobachtete seinerseits deren Reaktionen. Ein verstecktes Lächeln erschien auf seinen Lippen. Diese Blicke, mit denen sie sich bedachten. Keine Zweifel, diese beiden waren sich ebenbürtig.
 

Hier standen sie nun, drei junge Männer.

Jeder mit seiner eigenen Vergangenheit. Mit guten und schlechten Erinnerungen.

Jeder mit seiner eigenen Gegenwart.

Aber alle mit der gleichen Zukunft.

Auch wenn sie es noch nicht wussten ...
 

Das Tablett, das er trug und das mit einem Tuch abgedeckt war, stellte er nun auf dem Altar ab. Er hatte von Serfa eine genaue Anleitung darüber bekommen, was er selber zu tun hatte. Über das, was Atemu und Seth zu tun hatten, hatte sich der ehemalige Hohepriester ausgeschwiegen.

Er winkte die beiden zu sich an den Altar, so dass diese sich gegenüberstanden. Ihre Blicke hatten sie voneinander gelöst und sahen nun zu Jono. Sie wussten, was nun passierte. Serfa hatte Seth genauestens über das informiert, was er zu tun hatte. Ebenso wie Akamemnon seinen Sohn instruiert hatte.
 

Der Blonde hob das Tuch hoch, legte es neben das Tablett und stellte die kleine Schale mit Wasser vorsichtig in die Mitte der Altarplatte. Er ging einige Schritte nach hinten, so dass er fast an die Wand stieß.

Der Fackelschein ließ die beiden kleinen Messer aufglänzen, die auf dem Tablett lagen. Kaum fünfzehn Zentimeter lang, oben spitz zulaufend.

Immer noch sprach keiner ein Wort. Eine Stille lag in diesem Raum, die schon fast unheimlich war. Sogar die Priester draußen hatten ihr Gemurmel eingestellt.
 

Pharao und Hohepriester griffen jeder nach einem der Messer, nahmen es vorsichtig in die Hand.

Ihr Blick wanderte zurück zum jeweils anderen, es schienen Minuten zu vergehen, in denen sie einfach nur dem anderen in die Augen sahen. Herauszufinden versuchten, was der andere für ein Mensch war. Ob man zusammen das schafften konnte, was man sich wünschte: eine friedvolle Zukunft für das ägyptische Volk.
 

Seth sah einen jungen Mann, der seit acht Monaten auf dem Thron Ägyptens saß und mehr erreicht hatte als die meisten Pharaonen vor ihm. So jung noch und doch schien ihm seine Macht nicht zu Kopf gestiegen zu sein. Der Pharao stand mit beiden Beinen sicher auf dem Boden der Realität und regierte gerecht und gut. Zusammen mit Serfa hatte der Pharao die Herzen der Menschen für sich gewonnen. Dann würde er, Seth, es doch wohl auch schaffen, zusammen mit diesem Pharao dem Volk zu dienen. Er musste einfach nur Vertrauen in sich und in Serfa haben, dass dieser keine Fehlentscheidung getroffen hatte.
 

Der Mann vor ihm entsprach genau dem Bild, das er sich durch Jonos Gerede gemacht hatte – und doch wieder nicht.

Diese blauen Augen, die ihn ansahen ... eine Kraft sprach aus ihnen, die von innerer Stärke zeugte. Wie es schien, war er nicht der einzige, der sehr früh Verantwortung hatte übernehmen müssen. Entschlossenheit und Durchsetzungskraft, die hatte Seth ohne Zweifel. Er war ganz sicher ein ebenbürtiger Nachfolger Serfas. Auch wenn es schien, dass Seth genau das gleiche Problem hatte wie er selber. Er mochte diesen ganzen Rummel um seine Person nicht. Schließlich waren auch sie nur Menschen und keine Götter auf Erden. Aber solange er den Menschen helfen konnte, würde er auch dieses ganze Drumherum akzeptieren. Was hatte Serfa noch gesagt?

‚Es kommt nicht darauf an, für was andere einen halten, sondern für was man sich selber hält.’
 

Seth setzte das Messer an seiner rechten Handfläche an und ritzte diese leicht. Etwas Blut quoll aus dem Schnitt und verteilte sich auf der Handfläche. Sein Blick richtete sich wieder auf Atemu, er atmete noch einmal tief durch und sprach dann seinen Schwur. Sein Leben für das des Pharaos zu geben, immer für das Wohle Ägyptens zu sorgen und den Göttern treu zu dienen.
 

Atemu lauschte aufmerksam dem Schwur Seths. Auch wenn er wusste, woraus der Inhalt bestand, wollte er doch wissen, wie Seth die ganze Sache sah. Worte alleine konnten lügen, aber sah man dem Sprecher dabei fest in die Augen, gab diesem das Gefühl, man könnte bis auf den Grund seiner Seele blicken, kam so manch einer ins Stocken, stand er nicht hundertprozentig hinter seinen Worten.

Was er sah und hörte, gefiel ihm. Er hatte keine Zweifel mehr daran, dass Serfas Nachfolger mehr als würdig war und zusammen würden sie all das beenden können, was Serfa bereits vor Jahren zusammen mit Akamemnon begonnen hatte.
 

Nachdem Seth geendet hatte, kehrte gespannte Stille im Raum ein.
 

Das Messer leicht erhoben, sah er Seth weiterhin an. Mit einer schnellen Bewegung war bei ihm die gleiche Schramme zu sehen wie bei Seth. Das rote Blut bahnte sich langsam seinen Weg über die Handfläche.

Langsam streckte er die Hand aus, stoppte, als diese sich über der Schale befand.
 

„Ich, Atemu, Pharao über Ägypten, habe deinen Schwur gehört und bin stolz, dich, Seth, zum neuen Hohepriester Ägyptens ernennen zu dürfen.“ Nun, nicht gerade genau das, was sein Vater ihm gesagt hatte, aber er war ja auch nicht sein Vater.
 

Seth lächelte leicht, erleichtert und stolz. Seine Hand befand sich wenige Sekunden später ebenfalls über der Schale. Einige Tropfen Blut fielen von jedem ins Wasser, vermischten sich dort.
 

Jono trat wieder an den Altar, stellte die Schale zurück aufs Tablett, griff vorsichtig nach den beiden Messern und legte diese dazu. Dann erst nahm er den goldenen Armreif hoch und reichte ihn dem Pharao.

Nachdem er alles mit dem Tuch abgedeckt hatte, hob er das Tablett hoch und stellte sich zurück an die Wand.
 

Mit wenigen Schritten war er einmal um den Altar herum und stand nun vor Seth. Der Reif schloss sich um Seths rechten Oberarm. Dabei berührte er kurz mit den Fingerspitzen Seths Haut. Ein seltsames Gefühl fuhr durch ihn hindurch. So als ob ein Teil von Seth auf seine Schattenmacht reagiert hätte. Seltsam ...

Ohne sich etwas anmerken zu lassen, blickte er Seth an. „Nun, Hohepriester, dann lasst uns da weitermachen, wo der ehrwürdige Serfa unterbrochen worden ist.“ Der Angesprochene nickte.

„Na dann ... Jono“ drehte er sich zu diesem um.

„Wie befehlen“ verneigte sich dieser leicht. Mit einem Tablett in den Händen war dies nun mal etwas schwieriger. Wenige Schritte und er war an der Tür, gegen welche er einmal kurz gegen trat. Sogleich wurde sie vom selben Tempeldiener geöffnet und die drei traten hinaus. Erst der Pharao, dann der Hohepriester und zum Schluss Jono, der gleich für wenige Minuten verschwinden würde, um die beiden Messer und das Wasser an einer geheimen Stelle im Tempelgarten zu vergraben. So wie es die Tradition vorsah ... Woher dieser Teil dieser Tradition kam, hatte ihm allerdings sogar Serfa auf Nachfrage nicht beantworten können.
 

[Nimmt mir irgendwer ab, dass diese ‚Tradition’ erst beim Schreiben entstanden ist? Als ich mit dem Rückblick anfing, hatte ich überhaupt keine Ahnung, was ich denn nun schreiben soll T_T]
 

~~~
 

„Hey“ flüsterte Tea Joey ins Ohr. „Alles in Ordnung bei euch?“ Sie schüttelte ihn an der Schulter.

„Was? Äh, ja ja ... alles okay“ murmelte Joey, noch immer nicht ganz da.

„Das soll ich dir glauben?“ zweifelte das Mädchen mit einem Blick auf Yugi und Kaiba, die immer noch wie geistesabwesend neben ihnen standen.

„Nein, wirklich. Uns geht es gut. Es ist nur ...“ versuchte der Blonde zu erklären. Seine Gedanken hatte er immer noch nicht wieder ganz beisammen.

„Ja?“ schaltete sich auch Tristan auch.

„Dieser Altar da“ nickte Joey, versuchte seine Gedanken wieder in geordnete Bahnen zu lenken. „Der Tempel, aus dem er stammt ... dort haben Seth und ich gelebt. Der Altar durfte nur vom Pharao oder Hohepriester persönlich benutzt werden. Außerdem wurden die Hohepriester an diesem Altar ‚geweiht’“ murmelte Joey leise. „Die beiden stecken wahrscheinlich noch mitten in der Erinnerung an Seths Weihe.“

„Na, ich hoffe doch mal, dass das eine gute Erinnerung ist.“ Tea sah die beiden Jungs an, die wie weggetreten wirkten.

„Ist sie. Mach dir darüber mal keine Sorgen“ beruhigte Joey seine Freundin.
 

Während Marik die Fragen einiger Schüler beantwortete, blickte er unbemerkt zu dem Blonden und seinen Freunden hinüber. Erstaunt nahm er deren abwesenden Blick wahr. >Nanu? Was ist denn da los?<

Ohne wirklich darüber nachdenkend eine Frage beantwortend, folgte er diesem Blick. Vielleicht würde er so ja herausfinden, ob sie die Erwarteten waren. Sein Blick fiel auf den Altar, über den er etwas beim Eintreten in diesen Raum erzählt hatte. Sollten sich die drei die ganze Zeit über nur dieses Stück angesehen haben? Aber warum?

Seine Aufmerksamkeit wurde von der Schülerschar wieder in Anspruch genommen und so musste er die weiteren Überlegungen auf später verschieben.
 

„Mister Kaiba, Mister Muto“ war die Stimme Miss Hames zu hören. „Sind Sie dort festgewurzelt oder wollen Sie uns so sagen, dass Sie nicht weiter an der Führung teilnehmen wollen?“ Verärgert sah die Lehrerin aus dem Durchgang zum nächsten Raum zu den fünf Jugendlichen herüber. Der letzte ihrer Klassenkameraden verschwand gerade in diesem.

Joey schreckte gemeinsam mit Tea und Tristan hoch. Huch. Sie hatten gar nicht mitbekommen, dass sie den Raum wechselten.

„Wir kommen“ meinte Tea. Sie hatte sich als erstes vom Schreck erholt. „Joey“ flüsterte sie diesem zu. „Was machen wir mit Yugi und Kaiba?“

„Rüttel Yugi mal n bisschen an der Schulter“ gab Joey zurück. Er selber stellte sich vor Kaiba hin und sah ihn an. *SETH!* schrie er gedanklich so laut er konnte.

*WAS?* schrie der Angeschriene genauso laut zurück. Zum Glück nur gedanklich. Ein Hoch auf Setos enorme Selbstbeherrschung – zumindest solange es nicht um Atemu geht.

*Nichts. Ich musste dich nur irgendwie ‚wachkriegen’* grinste der Blonde.

*Was willst du?* Seto grummelte und man sah ihm an, das er nicht wusste, was hier los war.

*Falls du es nicht bemerkt haben solltest: du stehst hier seit Minuten auf dem gleichen Fleck und starrst weggetreten vor dich hin.* Joeys Stimme hörte sich leicht belustigt an, denn ...

*Echt?* Seto hörte sich zweifelnd an.

... es geschah höchst selten, dass man den Hohepriester so verlegen sah.
 

„Was ist? Kommen Sie nun?“ Miss Hame klang noch genauso verärgert wie eben.
 

„Wir kommen ja schon“ gab diesmal Jono zurück. Ein Blick zu Yugi sagte ihm, dass Tea ihn auch wieder in die Gegenwart hatte befördern können. Yugis Blick fuhr etwas orientierungslos durch den Raum und blieb dann an Seth hängen. Dessen Blick wirkte genauso durcheinander. Ein Lächeln huschte über Atemus Gesicht. Glücklich. Genau wie bei Seth.

„Kommt ihr?“ riss Joeys Stimme sie beiden aus ihrer Starre.

„Schrei hier nicht so rum“ knurrte Seth zurück und folgte ihm dann.

„Alles in Ordnung?“ Tea sah Yugi fragend an. Vorhin hatte er einen so seltsamen Blick drauf gehabt.

„Ja, Tea. Alles in Ordnung“ lächelte Yugi sie an. „Wir sollten machen, dass wir hinterherkommen. Nicht dass Miss Hame noch einen Herzinfarkt wegen uns bekommt.“
 

Aber kaum betraten sie den Raum, geschah etwas Seltsames. In der gegenüberliegenden Ecke erstrahlte ein goldenes Licht. Hell und warm. Mächtig und doch freundlich.

Alle Anwesenden mussten für einige Sekunden die Augen schließen, so wurden sie geblendet. Auch nachdem das Licht bereits wieder erloschen war, waren sie noch einige Zeit blind.
 

Marik Ishtar dachte, er hätte schon so ziemlich alles Seltsame und Ungewöhnliche gesehen. Als Mitglied der Familie der Millenniums-Wächter wuchs man in einer Welt zwischen Neuzeit und Vergangenheit auf. Die Ishtars hatten Vermögen, waren an vielen großen Firmen beteiligt und ihnen gehörten einige der berühmtesten Museen der Welt. Was wohl auch daran lag, dass die meisten Mitglieder der Familie Geschichte oder Naturwissenschaften studiert hatten und als Archäologen tätig waren. Einige der bedeutendsten Entdeckungen waren dieser Familie zu verdanken.

Aber bei all dieser Wissenschaft vergaßen sie nie ihre Aufgabe. Diese Aufgabe, wegen der sie ‚Millenniums-Wächter’ genannt wurden. Vor Jahrtausenden hatten die ersten Mitglieder dieser Familie drei Gegenstände erhalten, die sie der Überlieferung nach mutigen und unerschrockenen Kämpfern übergeben sollten. Menschen, die die in diese Gegenstände eingesperrten Kräfte benötigten, um ihrerseits eine große Aufgabe zu erfüllen.

Seit jeher wurde diese Überlieferung gehütet und bewahrt und immer hatte man auf diese Auserwählten gewartet. Doch erschienen waren sie bis zum heutigen Tage nie.

Zusammen mit den drei Gegenständen hatte die erste Generation Wächter auch eine Schriftrolle erhalten, die sich erst dann lesen lassen würde, wenn die Auserwählten erschienen. Solange sollten die Gegenstände im geheimen aufbewahrt und ihre Existenz niemandem bekannt werden. Nie hatten die Gegenstände oder etwas, was mit ihnen zu tun hatte, auch nur ein Zeichen von sich gegeben ...
 

... bis sich vor etwa zwei Wochen alles geändert hatte.
 

Die Schriftrolle hatte geöffnet auf seinem Schreibtisch im Hausbüro gelegen und so einige Überraschungen parat gehalten. Die Wächter sollten – der jetzigen Zeit angepasst – dafür sorgen, dass die Millenniums-Gegenstände in der Welt bekannt wurden. Die Gegenstände sollten an einem für fast jedermann zugänglichen Ort aufbewahrt werden, damit die Auserwählten überhaupt eine Chance hätten, an ihre Kräfte zu gelangen.
 

So hatten die Ishtars beschlossen, die Millenniums-Gegenstände als Ausgrabungsobjekte in einem ihrer Museen unterzubringen. Möglichst in einem, das gut bewacht war und wo sich einige Familienmitglieder aufhielten. Nicht auszudenken, sollten die Gegenstände gestohlen werden.
 

Kein einziges Mal hatten die Gegenstände dabei eine Reaktion gezeigt.
 

Aber jetzt, heute, in diesem Museum, als diese Jugendlichen den Raum betraten, strahlten sie heller als alles andere ...
 

Die drei Krieger hatten sich nicht vom Licht abgewandt. Wie erstarrt standen sie da. Das Licht hatte so viel von ihren Kräften in sich ... Es fühlte sich an, als wären ihre Kräfte zurückgekommen. Dieses Gefühl von Schutz, von Stärke, als könnten sie wieder alles aus eigener Kraft schaffen. Das Feuer, das sie bis jetzt nur schwach gespürt hatten, das sie aber dennoch beschützte, hatte für den Sekundenbruchteil wieder ihnen gehorcht. Sie hatten es lenken können.

Aber nun ... nun waren sie wieder genauso ‚hilflos’ wie vorher. Sie bekamen es am eigenen Leibe zu spüren: sollten sie die sieben Millenniums-Gegenstände nicht finden, bevor Fawe angriff, wäre die Erde verloren. So waren sie einfach zu schwach.
 

Gemurmel ging durch die Räume des Museums, als das Licht erloschen war. Keiner hatte eine Erklärung dafür, wo dieses helle Licht hergekommen war und warum es geleuchtet hatte. Keiner wusste, was hier los war. Unruhe breitete sich aus.

„Bitte beruhigen Sie sich, meine Damen und Herren.“ Durch einen der Verbindungsgänge betrat ein älterer Herr den Raum und wandte sich sogleich leise redend auf Arabisch an Marik. „Mister Ishtar, ist bei Ihnen alles in Ordnung?“

„Ja ja, Mister Temu. Mir geht es gut.“ Der Herr sah daraufhin sehr erleichtert aus. Wie hätte das auch ausgesehen, wenn dem Sohn des Chefs persönlich etwas passiert wäre. Und dann auch noch, wenn er Dienst hatte. Nicht auszudenken!

Währenddessen waren die anderen Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes dabei, die anwesenden Gäste zu beruhigen. Man versprach ihnen immer wieder, dass keine Gefahr herrschte. Auch wenn man selber noch nicht genau wusste, was eigentlich vorgefallen war. Erstmal die Besucher beruhigen.
 

„Mister Ishtar, haben Sie vielleicht eine Ahnung, was hier eben passiert ist? Wir haben auf unseren Bildschirmen nur noch ein helles Licht gesehen und sind sofort hergeeilt.“

„Nein, tut mir Leid. Ich weiß auch nicht, was hier gerade los war.“

„Nun“ murmelte Mister Temu leise. „Dann werden wir uns wohl die Aufnahmen noch einmal genauer anschauen. Soll ich das Museum für heute schließen lassen?“ Er sah Marik abwartend an. Solange dessen Vater nicht im Lande war, hatte er das Sagen hier im Staatsmuseum von Kairo.

„Nein, ist ja keinem etwas passiert.“ So weit kam es noch, dass dieser Idiot in die Aufgabe der Wächter fuschte!

„Wie Sie wünschen.“ Mit diesen Worten wandte er sich den anwesenden Besuchern zu. „Meine Damen und Herren. Wir bitten diesen kleinen Zwischenfall zu entschuldigen. Wie es scheint, macht unsere Technik heute ein klein wenig Probleme. Natürlich werden wir uns sofort daran machen, dieses Problem zu beheben. Wir hoffen, Sie verbringen noch einen schönen Nachmittag hier im Museum.“
 

Gerede setzte wieder ein. Da Mister Temu seine Erklärung in Englisch gehalten hatte, hatte nicht jeder alles verstanden. Es herrschte also Erklärungsbedarf, weswegen der Nebenmann angeredet wurde, ob er oder sie alles verstanden hätte.

Nach wenigen Minuten war die Erklärung des Sicherheitschefs von allen verstanden worden und die Menschen verstreuten sich beruhigt wieder im Museum.
 

„Nun, wie sieht es aus? Können wir dann mit der Führung weitermachen?“ Marik blickte die Schüler samt Lehrerin an.

„Äh, aber sicher doch, Mister Ishtar.“

„Sehr gut, wenn Sie mir dann bitte zuhören würden?“ wandte er sich an die Schüler. „Das, was Sie hier an der Wand sehen, sind ...“
 

Langsam schafften die Jungendlich es, sich wieder auf Mariks Vortrag zu konzentrieren. Der eine oder andere musste dann und wann noch blinzeln, die Gedanken schweiften zeitweise immer wieder ab. Doch alles in allem wurde aufmerksam gelauscht. Da Marik Japanisch sprach, verstanden man ihn auch einfacher.
 

~
 

Marik stand in seinem Büro und dachte nach. Dieses Licht, das von den Millenniums-Gegenständen ausgegangen war, war das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen gewesen? Hatten die Gegenstände auf ihre rechtmäßigen Besitzer reagiert oder auf Eindringlinge?

Er wusste es nicht.

Was sollte er nur machen? Wenn diese Jugendlichen wirklich die Auserwählten waren, musste er ihnen helfen. Aber was, wenn ...?
 

„Du grübelst zu viel nach.“ Mit einem Ruck drehte sich Marik zur Tür um. Seine Schwester sah ihn fast vorwurfsvoll an. „Du solltest mehr Vertrauen haben. Es sind die Richtigen.“
 

Nachdenklich sah er Ishizu an.

Im Grunde hatte sie Recht. Das wussten sie beide. Von diesen Gegenständen konnten nur sie, die Wächter, und die Auserwählten etwas wissen. Sonst niemand. Außerdem ... die Gegenstände dienten zur Aufbewahrung von Kräften. Nie war die Rede davon gewesen, dass sie diese auch einsetzen konnten. Für die Verteidigung der Gegenstände waren schließlich die Wächter ernannt worden.
 

Beinahe unmerklich nickte er.
 

„Dann sollten wir mal zusehen, dass wir unserer Aufgabe nachkommen.“ Mit Tatendrang in der Stimme stieß er sich vom Tisch ab und setzte dazu an, den Raum zu verlassen. Seine Schwester sah ihm entgegen, fragend. „Und was genau gedachtest du jetzt zu unternehmen?“

Marik stoppte seine Schritte, als er neben ihr stand. „Ich werde die Gegenstände ins Büro bringen lassen. Der Besitzer wartet dort nämlich und möchte gerne etwas nachprüfen.“

Damit verschwand er den Gang hinunter und begab sich auf die Suche nach seinem Sicherheitschef.
 

~
 

„Von euch hat auch keiner eine Idee, wie wir an die Millenniums-Gegenstände kommen können, oder?“ blickte Jono fragend in die Runde. Stummes Kopfschütteln. „Hab auch nichts anderes erwartet. Oh man, warum müssen die Gegenstände eigentlich an so einem unzugänglichen Ort sein? Und überhaupt ... Sollten nicht Wächter auf die Gegenstände aufpassen? Von denen hab ich auch noch keinen Schatten gesehen! Spätestens als die Millenniums-Gegenstände reagiert haben, hätten die doch auf den Plan treten müssen. Also echt ...“
 

Nachdem die Führung zu Ende gewesen war und Miss Hame die Rückfahrt für gegen sechzehn Uhr angekündigt hatte, hatten sie sich in einem der hinteren Räume des Museums abgesetzt, wo sie so gut wie alleine waren. Joey beschwerte sich gerade recht lautstark über die momentane Situation und erntete von den anderen nur unverständliche Blicke. Das hatten sie doch schon vorher gewusst, dass das ganze kein Kinderspiel werden würde. Also warum sich aufregen? Brachte doch eh nichts. Aber mit einem hatte der Blonde Recht. Wo waren die Wächter? Sollte das Schicksal mit ihnen genauso daneben gelangt haben wie sie mit ihrer Wächterfamilie?
 

„Nun beruhig dich mal wieder. Es bringt auch nichts, wenn du hier wie verrückt geworden rumschreist“ wies Seth ihn zurecht. *Wobei du ja eh schon verrückt bist.*

*Ach ja? Na, besser verrückt als ängstlich* schoss der Blonde zurück.

*Wer ist hier ängstlich?*

*Du! Warum sonst würdest du das gedanklich sagen, damit Atemu es nicht hört?* Fies grinste er den Hohepriester an. Seth setzte zu einer Erwiderung an. *Das muss ...*
 

Doch da wurde er unterbrochen.
 

„Entschuldigt bitte“ vernahm man die Stimme Mariks. Fünf Augenpaare wandten sich ihm zu.

„Ja?“ übernahm Yugi das Antworten. „Können wir Ihnen irgendwie helfen?“

„Nun, ich glaube, dass ich eher Euch helfen kann. Wenn Ihr mir folgen würdet?“ Der Ägypter nickte Richtung Hauptsaal.

Was das wohl werden sollte?

Die Jugendlichen sahen sich an. Wie meinte Marik denn, das er ihnen helfen konnte? Das könnte er nur, wenn er die Millenniums-Gegenstände aus ihrer Vitrine holte. Aber dazu müsste er um ihre Bedeutung wissen. ...

...

Sollte das etwa heißen ...?

Sie sahen sich an. Sahen, wie den anderen auch dieser Gedanke kam.
 

„Dann gehen Sie mal voraus.“

Marik drehte sich kommentarlos um und Yugi und die anderen folgten ihm. Der Wächter hatte Joeys Gezeter vorhin mit angehört und wunderte sich deshalb nun auch nicht wirklich, dass alle ihm folgten.
 

Ohne noch ein weiteres Wort zu wechseln, setzten sie ihren Weg durch das Museum fort.

Gedanken machten sie sich schon, jeder für sich und doch gingen sie alle in die gleiche Richtung. Sollte es wirklich so einfach werden, an die Gegenstände heran zu kommen? Auch wenn es nur drei waren und ihnen immer noch einige Kräfte fehlen würden, würde das doch einen großen Fortschritt für sie bedeuten.
 

Als Marik vor einer Tür stehen blieb, schreckten sie aus ihren Gedanken hoch.
 

„Wenn ich bitte darf“ öffnete Marik die schwere Holztür und ließ seine jungen Gäste eintreten. Hintereinander betraten sie das Büro Mariks, guckten sich interessiert um und blieben kurz vor dem Schreibtisch stehen.

Als letzter betrat Marik sein Büro. Mit einem leisen Klack ging die Deckenbeleuchtung an, er schloss die Tür hinter sich und mit wenigen Schritten befand er sich hinter seinem Schreibtisch.
 

Einige Momente sagte keiner etwas. Bis ...

„Hätten Sie wohl die Freundlichkeit, uns zu erklären, was das hier werden soll?“ durchbrach Atemu die Stille. Dabei ließ er seinen Gegenüber nicht eine Sekunde aus den Augen. Der Blonde lächelte leicht. Er wusste nicht, wer da vor ihm stand oder wie dessen Leben bisher verlaufen war, aber er erkannte ganz genau, dass der junge Mann eine starke Persönlichkeit besaß. Er ließ sich von niemandem so schnell einschüchtern oder verunsichern.
 

Doch anstatt zu antworten, langte er nur unter seinen Schreibtisch und stellte eine kleine Kiste aus Eichenholz auf eben diesen. Ohne Verzierungen, schlicht gehalten und nur mit einem einfachen Schloss versehen. Und doch hatte diese Truhe etwas ... Mächtiges ... an sich. Etwas sehr Mächtiges.
 

Was folgte, waren skeptische Blicke. Wegen dieser Kiste wurden sie hier in dieses Büro geführt? Was sollte das denn? Keiner wollte so recht glauben, dass in so einer Kiste die Millenniums-Gegenstände aufbewahrt werden würden. Andererseits, Diebe würden nie auf die Idee kommen, dass sie mit dem Inhalt dieser Kiste die Zukunft der Erde in Händen hielten.
 

Seth wollte gerade zu einer dementsprechenden Frage ansetzen, als ...
 

Marik hatte die Blicke sehr wohl bemerkt und musste sich ein amüsiertes Auflachen verkneifen. Das würde eine Überraschung werden.

Mit der rechten Hand griff er über den Deckel, öffnete das Schloss und zog den Deckel hoch.

Langsam.

Schon mit dem ersten kleinen Spalt war das goldene Licht auszumachen. Gleißend hell strahlte es aus der Öffnung heraus und erfüllte den ganzen Raum. Drang bis in den letzten Winkel vor. Je weiter die Truhe geöffnet wurde, desto stärker wurde bei den Auserwählten das Gefühl der Sicherheit. Mit angehaltenem Atem blickten sie auf die Truhe, wie gebannt starten sie dorthin.
 

Schließlich war die Truhe ganz geöffnet.
 

Immer noch erfüllte das Licht den gesamten Raum, blendete aber nicht mehr. Es verbreitete ein intensives Gefühl von Wärme und Sicherheit. Strahlte Kraft aus.

Aus der Truhe heraus schwebten drei der Millenniums-Gegenstände. Auge, Stab und Waage.

Ohne ihr zutun bewegten sich die Krieger. Die letzten paar Meter bis zum Schreibtisch hatten sie schnell überwunden und streckten nun die Hände nach den Gegenständen aus. Wie lange hatte sie darauf gewartet, ihre Kräfte wiederzubekommen. Sich nicht mehr hilf- und schutzlos fühlen zu müssen. Die Geschehnisse wieder aktiv lenken zu können. Sie hatten noch ihre Schwerter, ja, aber mehr auch nicht. Damit konnten sie vielleicht die nächsten kleineren Angriffe der Elemente abwehren, aber mehr auch nicht. Irgendwann hätte Fawe kapiert, dass sie keine anderen Kräfte mehr hatten und dann wären sie verloren gewesen.
 

Sie.

Die Menschheit.

Die Zukunft.
 

Nun konnten sie sich wieder wehren.
 

Mit den Fingerspitzen berührten sie das kühle Gold, wie ein Blitz durchfuhr es ihre Körper. Ein heftiger Schmerz auf ihrem rechten Oberarm ließ sie zusammenzucken und leise aufstöhnen. Verdammt, tat das weh.

Doch kaum war der Schmerz vergangen, spürten sie das Feuer. Sachmets Feuer. Es beschütze sie nun nicht mehr allein, sie konnten es lenken.
 

Hätte man ihnen in diesem Moment in die Augen geschaut, hätte man das Feuer darin lodern sehen können. Hell, stark und mächtig. Genauso wie sie sich jetzt wieder fühlten.

Auch spürten sie die anderen Gaben der Götter zurückkehren. Die Macht über das Wasser, das Feuer, die Erde, die Luft. Auch wenn sie nur über die schwächeren Ausgaben der Urelemente befehlen konnten, so war dies doch eine Hilfe. Sie konnten nur die bereits vorhandenen Elemente beeinflussen und so ihre Angriffe ausführen, während die Urelemente ihre Angriffe aus dem Nichts entstehen lassen konnten.
 

Eine ganze Weile standen die drei Auserwählten stumm da, ließen die Macht der Götter durch ihre Körper fließen, verbanden sich mit ihnen, um sie wieder voll einsetzen zu können. Diese Kräfte waren damals zu einem Teil von ihnen geworden – so kurz die Zeit auch gewesen war, die sie mit ihnen verbracht hatten. Ohne sie zu sein, war, als würde einem ein wichtiges Teil zum Leben fehlen. Nicht dass sie ohne die Kräfte nicht hätten leben können – genauso wie man auch nur mit einem Bein oder einem Arm leben konnte –, aber es war dennoch ein wunderbares Gefühl, wieder ‚ganz’ zu sein.
 

Irgendwann kehrten sie in die Gegenwart zurück, tauchten aus ihren Gedanken wieder auf.

Von den Millenniums-Gegenständen war nichts mehr zu sehen.
 

„Ihr seht so glücklich aus“ war Teas Reaktion auf den Ausdruck in ihren Gesichtern. „So als ob ihr wieder komplett wärt.“

„Sind wir auch“ lächelte Jono. „Ich fühl mich einfach großartig.“ Und dann konnte er sich nicht mehr halten. So ernst die ganze Sache eigentlich auch war, er musste jetzt einfach seine Freude herauslassen. Mit einem lauten Aufjauchzen sprang er in die Höhe, umarmte einmal Tea und haute Tristan kräftig auf die Schulter. Der hatte leichte Mühe, sich aufrecht zu halten, freute sich aber dennoch für Joey.
 

Seto sah ihm nur Kopfschüttelnd zu, während Yugi leicht lächelte. Es war ja nicht so, das sie beide sich nicht auch freuten, ganz im Gegenteil. Aber bei ihnen äußerte sich das nun mal anders. So gut sie jetzt auch zusammenpassten und sich ergänzten, dafür war die Art, wie sie aufgewachsen waren, wohl doch zu unterschiedlich.
 

„Wie mir scheint, stimmt die Überlieferung sehr genau.“ Die Ellenbogen auf dem Tisch gestützt, die Hände gefaltet und das Kinn darauf abgelegt, sah Marik die Jugendlichen an. Diese fuhren beim Klang seiner Stimme zusammen. Sie hatten fast vergessen, dass auch er anwesend war.

„Es heißt, die Millenniums-Gegenstände würden große Kräfte aufbewahren für Krieger, die genauso mutig wie unerschrocken und besonnen sind.“ Jetzt lächelte er leicht. „Sie erzählt von einer großen Aufgabe, die die Krieger zu erfüllen haben. Nur leider wird nirgends erwähnt, worin diese ‚große Aufgabe’ besteht. Wie sieht es aus, erzählt Ihr mir, was hier vorgeht?“
 

Gespannt sah er die Jugendlichen an. Ob er eine Antwort bekommen würde? Er hoffte es. Auch wenn die Aufgabe der Wächter nur darin bestand, die Gegenstände zu beschützen und keiner von ihnen jemals auf das ‚Warum’ bestanden hatte, so würde er dieses ‚Warum’ doch schon gerne wissen.
 

Atemu sah Marik an. In seinen violetten Augen war nichts davon zu lesen, was in seinem Kopf vorging. Würde er entscheiden, es Marik zu erzählen? Oder doch eher nicht? Der Pharao hatte sich unter Kontrolle. Er wusste, die Entscheidung lag bei ihm. Auch wenn ihre ‚gesellschaftlichen Positionen’ in dieser Zeit nicht mehr galten, er war derjenige, der Entscheidungen traf. Schon immer. Jono war derjenige, der ihre Gruppe auch in schwierigen Situationen daran erinnerte, dass nicht das ganze Leben so problematisch war und ihnen etwas Freude am Leben zurückgab. Seth war derjenige, der sie in solchen Situationen beschütze. Und er selber, er war derjenige, der entschied, wie man handelte, um aus diesen Situationen wieder heil herauszukommen.
 

„Wenn den Wächtern von vornherein nicht erzählt wurde, um was es hier geht, so liegt es nicht an mir, dieses Geheimnis zu lüften. Hätte das Schicksal gewollt, dass Ihr es wisst, hätte es es Euch gesagt. Aber so ...“ Atemu tat es fast Leid, Marik diesen Wunsch nicht erfüllen zu können. Aber das Schicksal hatte sich bestimmt etwas dabei gedacht. Er sah den Blonden ernst an.
 

„Verratet mir eins: hat Eure Familie von Anfang an nur über diese drei Millenniums-Gegenstände gewacht?“

„Ja, uns wurden nur diese drei anvertraut. Warum fragt Ihr?“
 

„Nur so.“ Man sah ihm aber an, dass dies eine Lüge war. „Und zu Eurer vorherigen Frage. Nur soviel: die Zukunft dieser Welt steht auf dem Spiel.“
 

Ein paar Sekunden blickte er noch in Mariks Augen, sah wie dieser leicht erschocken zusammenzuckte.
 

„Kommt, lasst uns gehen“ wandte sich Yugi an seine Freund. Wortlos hatten sie seine Entscheidung akzeptiert und drehten sich zur Tür um. Tristan erreichte sie als erstes, öffnete sie und ließ Tea den Vortritt. Er folgte ihr, dann verließen Jono und Seth den Raum.

Halb auf dem Flur stehend, drehte sich Atemu noch einmal um.
 

„Habt dankt dafür, das Ihr uns die Millenniums-Gegenstände überlassen habt. Ich kann mir vorstellen, dass es nicht gerade leicht war, über die Jahrtausende ihr Geheimnis zu wahren. Und dennoch ... Ich hoffe, Ihr werdet diese Aufgabe wieder übernehmen, wenn es soweit ist.“
 

Der Pharao und Marik sahen sich in die Augen.
 

„Es wäre mir eine Ehre, wieder als Wächter auserwählt zu werden“ war Mariks schlichte Antwort.
 

Mit einem Lächeln verließ Atemu nun vollständig den Raum. Die Tür fiel hinter ihm mit einem leisen Knall ins Schloss.
 

~
 

Die Sonne war bereits untergegangen, aber anstatt dass die Stadt in Dunkelheit versank, wurde sie von tausenden Lichtern erhellt. Reklameschilder, Straßenlaternen, Nachtclubleuchten und in den meisten Hochhäusern waren auch noch Menschen am arbeiten. Der Verkehr auf den Hauptstraßen war zwar im Vergleich zu tagsüber sehr mau, aber in Anbetracht der Uhrzeit fragte man sich doch, wo die vielen Autos herkamen.
 

Etwas abseits des ganzen hatten zwei Personen nach einem ruhigen und einsamen Ort gesucht und ihn schließlich auch gefunden. So standen sie nun im Hinterhof irgendeines großen Einkaufsmarktes, der nur von zwei kleinen Lampen erhellt wurde, deren Lichtschein kaum einen Bruchteil der Fläche beleuchtete.
 

Seit etwa zwei Stunden waren sie nun schon hier, was man dem Platz auch ansah. Der Boden war zum Teil aufgerissen, die Steinwände wurden von Löchern geziert und so gut wie nichts stand mehr auf seinem angestammten Platz.
 

Seth war leicht in die Knie gegangen und keuchte. Sein Atem ging schwerer als sonst und seine Konzentration ließ auch langsam nach. Aber wenigstens konnte er Holz jetzt wieder innerhalb von Sekunden entzünden und seine Schockwellen konnten sich auch sehen lassen.
 

„Lass uns für heute Schluss machen, Seth.“ Atemu sah den Magier leicht besorgt an. Das der Gebrauch seiner Magie Seth so erschöpfte, hatte er noch nie gesehen. Ihr Kampf gegen Fawe mal außer Acht gelassen. Aber im Normalfall hatte Seth auch nie wirklich auf seine Magie zurückgreifen müssen. In Ägypten war immer die königliche Leibgarde anwesend gewesen, die sich im Ernstfall um Attentäter gekümmert hatte.
 

„Eines noch“ entgegnete Seth. Tief Luft holend, richtete er sich auf, schloss seine Augen. Sammelte seine Konzentration. Gespannt beobachtete Atemu ihn und überlegte, was der Hohepriester wohl noch vorhatte.
 

Mit einem Mal wurde es blendend hell um sie herum. So blendend hell, das Atemu seine Augen schließen musste. So sah er auch nicht die Holzscheite, die im Kreis um die beiden Göttersöhne schwebten und lichterloh brannten.
 

Noch immer die Augen geschlossen haltend, spürte er, wie jemand auf ihn zutrat. Angst hatte er keine. Er wusste, dass es Seth war. – Und sollte es doch jemand anderes sein, so konnte es keine Gefahr sein, denn dann hätte Seth schon längst etwas unternommen. In dieser Hinsicht vertraute er seinem Geliebten, egal ob es jedweder Logik widersprach oder nicht. Was in diesem Fall zählte, waren seine Gefühle.
 

Die Person stand nun vor ihm, er spürte den warmen Atem in seinem Gesicht. Federleichte Berührungen, Fingerspitzen, die über seine Arme strichen, seinen Hals. Fremde Lippen, die sich auf seine legten, ihn liebevoll küssten. Seine Gedanken wurden ausgeschaltet. Alles was zählte, war nur noch das Hier und Jetzt. Der Grund, warum sie hier waren, warum Seth seine Magie trainierte, war vergessen.

Die Arme nach oben streckend, schlang er sie um Seths Nacken, zog ihn näher an sich. Küsste Seth genauso gefühlvoll zurück. Ganz langsam öffneten sich seine Augen, gewöhnten sich an das rote Flammenlicht.

Ein paar Zentimeter lösten sie sich voneinander, holten Luft.

Blaue Augen, die im Feuerschein einen unheimlichen Glanz besaßen, blickten ihn an. Voller Liebe, Verlangen und Leidenschaft. Den Druck an Seths Nacken verstärkend, zog er ihn wieder zu sich runter, küsste ihn leidenschaftlich. Seine Finger krallten sich in die braunen Haare, seine Zunge bat um Einlass. Widerspruchslos wurde ihr dieser gewährt.

Spürte starke Hände, die sich auf seine Hüfte legten, ihn näher an den anderen Körper zogen. Kein Zentimeter Luft mehr zwischen ihnen lassend, nach der Nähe des anderen Menschen verlangend.
 

Immer leidenschaftlicher wurde dieser Kuss, die Augen hatten sich automatisch wieder geschlossen.
 

Minuten standen sie einfach so da, ließen die Zeit an sich vorbei streichen. Die Holzscheite brannten aus, fielen mit der immer weniger werdenden Konzentration Seths gen Boden, erloschen dort endgültig.
 

Dunkelheit hatte sich wieder um sie ausgebreitet, als Atemu den Kuss unterbrach. Mit verschleierten Augen blickte er Seth an.
 

„Ich glaube, wir sollten zum Hotel zurück“ flüsterte er gegen Seths Ohr, spürte die Schauer, die er diesem über den Rücken jagte.

„Keine Einwände, Pharao“ flüsterte Seth mit rauer Stimme zurück. Der Blick seiner blauen Augen war genauso verschleiert und lustverhangen wie der Atemus. „Im Gegenteil ...“



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  jyorie
2013-06-07T14:09:51+00:00 07.06.2013 16:09
Hallo ^_^

wow ... die 5 waren ja noch lange unterwegs, wenn sie sie erst um 1 ins Bett gekommen sind ... bei dem Still-Zauber musste ich etwas schmunzel, weil ich den die Tage schon in “fremde Welten” gelesen ... da wurde der über Yugi gelegt *schmunzelt*

Dein Rückblick war wieder supi geschrieben, diese begegnung mit dem Schicksal, auch wenn das ganze etwas traurig war, weil man ja schon wußte, das Yugi jetzt erzählt wie sie gestorben sind, hoffentlich können atem und Yugi es diesmal schaffen, sonst hatten sie ja nur knapp 2-3 Wochen ihre Zweisamkeit. Als Seth ihre Kräfte für sich genommen hat in der Wüste, um die 4 Elementsteine zu versiegeln dachte ich schon, das er vorerst der einzige überlebende ist und was er dann für Gewissenbisse bekommen könnte, aber sie sind ja alle 3 gemeinsam im Sand eingeschlafen (hätten sie sich nicht vielleicht mit dem Wasserelement behelfen können, wenn sie es heraufbeschworen hätten und etwas davon trinken?) das war so traurig. Aber eine schöne erklärung – wirklich.

CuCu Jyorie


Ich hoffe ich hab nicht zuviele Schreibfehler ... hier spint gerade alles und die Rechtschreibprüfung läuft auf Englisch und sagt alles ist Falsch ... *grummelt* sorry.



Zurück