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Memento mori

Gedenke zu sterben....wenn du es denn noch kannst!
von

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Tenebrae

Wir rannten den selben Weg zurück, den ich auch schon genommen hatte, als ich zu dem Garten gegangen war. Lucien's Hand hielt mein Gelenk fest umschlossen, zog mich mit sich. Die Gemälde und Vorhänge zu unserer Seite flogen in Windeseile an uns vorüber, verschwammen zu farbenfrohen Schemen. Ich musste aufpassen, dass ich nicht über meine eigenen Füße stolperte und hinfiel. Innerhalb kürzester Zeit waren wir bei meinem Zimmer angelangt, woraufhin Lucien mich auch schon hineinzerrte und die Türe mit einem gewaltigen Knall hinter sich zuwarf.
 

"Was bitte soll das heißen, sie haben uns den Krieg erklärt?" Endlich hatte ich die Möglichkeit genauer nachzufragen. Und als ob der Wortlaut nicht schon beunruhigend genug gewesen wäre, ließ auch Lucien's Miene nichts gutes erahnen. Wie immer wenn er nervös war, schritt im Raum umher und sah ununterbrochen auf den Boden. Hin und wieder fuhr er mit seinen Fingern durch sein Haar, nur um im nächsten Moment unzufrieden aufzustöhnen. Nach einigen Minuten des unruhigen Treibens blieb er vor mir stehen und blickte mich an.
 

"Die Combattants wollten uns Dirigeants schon immer stürzen – wen wundert das bei Francois' Art die Macht an sich zu reißen – was ihnen bis jetzt allerdings noch nie gelungen ist. Ihr Anführer Magendie hasst Francois aus tiefsten Herzen und würde zu gerne dessen leidvollen Tod miterleben, wenn nicht sogar verursachen. Schon seit längerem wollten sich die Combattants mit den Assurern zusammenschließen, was bis jetzt aber auch nicht ganz nach Plan Magendie's verlaufen ist. Aber eben leider nur bis heute. Dieser Bastart hat es irgendwie geschafft, Mademoiselle Bonheur von seinen Ansichten zu überzeugen und auf ihre Seite zu bringen. Und da wir jetzt, auf uns alleine gestellt und gleich mit zwei Clans als Feinden, ziemlich schwach aussehen und genaugenommen auch sind, hat Magendie uns gleich den Krieg erklärt."
 

"Und was passiert jetzt?" Mein Blick wanderte fragend von meinen im Schoß verschränkten Händen, zum verzweifelt wirkenden Lucien. Erneut fing er an, auf und abzugehen.
 

"So wie Magendie einzuschätzen ist, wird er wohl schon bald hier, mit einer beträchtlichen Anzahl an Vampiren, auftauchen. Und bis dahin sollten wir verschwunden sein." Mit diesen Worten saß er neben mir auf dem Bett und legte beide Arme um mich.

"Am besten wir brechen sofort auf."
 

Auch wenn gerade der erdenklich schlechteste Moment dafür war, brannten auf meiner Zunge noch immer die Fragen, die ich ihm vorhin schon stellen wollte. Nach einigem Zögern und Nachdenken, ob ich das wirklich jetzt ansprechen sollte, holte ich tief Luft und wandt mich sanft aus Lucien's Umarmung.

"Lucien?"
 

"Was ist, Liebes?" Erneut konnte man tiefe Sorge in seinem Blick lesen. Mit seiner linken Hand strich er durch mein Haar und ruhte dann in meinem Nacken. Die Gänsehaut, die sich dieses Mal auf meiner Haut ausbreitete, war nicht annähernd so angenehm wie sonst.
 

"Stimmt es, dass ich dich umgebracht habe?" Ausgesprochen schien mir diese Frage einfach nur absurd. Und obwohl ich angenommen – oder eher gehofft? - hatte, dass er laut auflachen und mich als Antwort küssen würde, merkte ich, wie sich sein Griff um mich für nur wenige Atemzüge verkrampfte. Er rührte sich nicht, gab keinen Ton von sich, hörte sogar auf zu Atmen – insofern er das vorher getan hatte...
 

Als ich begann mir ein wenig Sorgen um ihn zu machen, ließ er von mir ab.

"Das ist... unwichtig." Einen kurzen Moment lang wollte ich ihm und seinem belustigten Lächeln glauben, doch mein Verstand siegte in diesem Fall.

"Von wem hast du diesen Unsinn überhaupt?" Er versuchte die Situation mit einem unsinnigen Lachen ein wenig aufzulockern, doch dieser Versuch kam eindeutig zu spät und hatte nicht die geringste Wirkung. Es klang einfach zu trocken und zu gezwungen.
 

"Unwichtig? Die halbe Welt wirft mir vor, den mir am wichtigsten Menschen umgebracht zu haben, was offenbar auch noch stimmt, und du sagst, das sei unwichtig?" Eigentlich war ich wütend wie noch nie zuvor auf ihn, doch meine Stimme klang traurig, den Tränen nahe, was ich definitiv auch war. Allein der Gedanke, dass ich ihm das hätte antun können, zerriss mich innerlich und er versuchte mir auszuweichen. So absurd es auch klang, ich erwartete nicht einmal, dass er mir versicherte, dass das alles ein Irrtum gewesen sein. Das Einzige, was ich wollte, war von ihm die Wahrheit zu hören. Nicht mehr aber auch nicht weniger.
 

"Das ist doch egal. Es ist schon lange her und wirklich tot bin ich ja auch nicht. So ist es doch viel besser wie vorher." Er näherte sich mir wieder und strich mit seiner Hand über meine Wange und wischte eine Träne, die ich nicht bemerkt hatte, weg.
 

"ICH HABE DICH UMGEBRACHT!" Davon hatte mich sein Verhalten mittlerweile überzeugt. "Du kannst mir doch nicht so einfach verziehen haben. Außerdem verstehe ich noch nicht einmal, warum ich das getan habe." Anfangs schrie ich ihn einfach an, als gäbe es keinen Morgen mehr und zitterte dabei am ganzen Körper, doch der letzte Satz ging fast schon in einem verzweifelten Wimmern unter.
 

"Du hattest deine Gründe." Jetzt konnte ich ihn nur noch ungläubig und mit aufgerissenen Augen und offenem Mund anstarren. Was für Gründe rechtfertigten einen solchen Mord, wie den, der an Lucien begangen worden war?

"Nun ja, ich sollte heiraten und da ich meine Eltern glücklich machen wollte, habe ich mich für meine Verlobte und gegen dich entschieden. Ist doch verständlich, dass du sauer auf mich warst. Immerhin habe ich dir immer das Blaue vom Himmel versprochen gehabt. Eigentlich müsste ich dich um Verzeihung bitten, ich habe dich einfach fallen gelassen."
 

"Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?" Aufgebracht und ungewollt unsanft stieß ich ihn von mir weg. Ich konnte nicht fassen, dass ich ihn wegen so einem banalen Grund umgebracht habe. Was geht da eigentlich in meinem Kopf vor?

"Normalerweise wenn man jemanden liebt, macht man das, was am besten für diese Person wäre und bringt sie nicht auf brutalste Weise um, nur weil man mit einer von ihr getroffenen Entscheidung nicht so ganz einverstanden ist. Das... ich..." Mein Herz raste vor Anspannung. Aus solch nichtigen Gründen einen Mord begehen... Das war unglaublich. Nicht normal. Und wie konnte ich das überhaupt vergessen? Ich war überzeugt gewesen, dass ich in einen Hinterhalt geraten war.
 

Bevor ich mir weitere Gedanken über dieses schreckliche Thema machen konnte, vernahm ich Lucien's Stimme.

"Francois! Was ist los?" Wiedereinmal ohne dass ich es bemerkt hatte, war Francois aufgetaucht. Seine stechenden Augen glühten förmlich und sein rechter Mundwinkel zuckte unregelmäßig.
 

"Du hast keine Ahnung, WIE nah sie schon sind. Innerhalb weniger Minuten müssten sie hier sein." Seine sonst so gelassene und ruhige Stimme zitterte leicht und wirkte schriller wie gestern. In seinem Gesicht stand die pure Angst geschrieben. Seine Hände öffneten und schlossen sich abwechselnd, während er scheinbar angestrengt nachdachte.
 

"Dann müssen wir uns beeilen. Komm!" Ruckartig packte Lucien mich am Unterarm und riss mich in Richtung Türe. Doch Francois reagierte blitzschnell, stellte sich zwischen uns und unserem Fluchtweg und versperrte ihn uns.
 

"Wo wollt ihr bitte hin?" Nun klang er alles andere wie unsicher, eher bedrohlich. Seine zusammengezogenen feinen Augenbrauen und die unmenschlichen Augen verschönerten das Bild nicht gerade.
 

"Weg von hier. Ich sehe nicht ein, wieso ich mich in den Mist, den du verursacht hast..." Noch bevor er aussprechen konnte und ohne, dass eine genauere Bewegung erkennbar gewesen wäre, schaffte es Francois Lucien durch den ganzen Raum an die gegenüberliegende Wand zu schleudern. Mit einem Geräusch, als ob eine Kanone gegen eine massive Mauer fliegen würde, landete Lucien. Im ganzen Raum dröhnte es, als Teile der Wand abbröckelten und auf den Boden fielen.
 

Mit einem Stöhnen rappelte sich mein Geliebter wieder auf und versuchte, gerade zu stehen. Vollkommen entsetzt wollte ich ihm dabei helfen, doch noch bevor ich bei ihm angelangt war, spürte ich, wie ich von meinen Beinen gerissen und auf das Bett geschleudert wurde. Das Nächste, was ich sah, waren Lucien und Francois, die gegeneinander prallten und versuchten einander zu Strecke zu bringen. Es ging alles so schnell. Meine Augen konnten dem Geschehen kaum folgen. Doch das, was ich erkennen konnte, versetzte mich in Angst. Obwohl Lucien es schaffte sich zu verteidigen, war er dem Älteren doch deutlich unterlegen.
 

Erneut wollte ich ihm irgendwie zu Hilfe eilen, doch mein Körper war wie gelähmt. Weder meine Beine noch meine Arme waren fähig sich zu regen. Zu meinem Entsetzten hatte auch Lucien aufgehört sich zu wehren. Nein, sogar sich zu bewegen. Dem bösen Grinsen auf Francois' Gesicht konnte ich entnehmen, dass das sein Verdienst war. Wessen sonst. Gegen diese Fähigkeit hatte niemand eine Chance.
 

Was dann geschah, würde ich nie wieder vergessen.
 

Lucien's Augen weiteten sich, wahrend er wie zu Stein erstarrt nach hinten fiel und schließlich geräuschvoll auf dem Teppich unter ihm landete. Siegessicher beugte sich Francois über seinen Gegner. Mit jeder Sekunde, in der ich diese Szenerie mit anblicken musste, stieg die Angst in mir empor. Wieder begann mein Herz wie wild zu rasen, wieder zitterte mein ganzer Körper.
 

Plötzlich sah ich in Francois' Hand etwas aufblitzen und im nächsten Moment hörte ich Lucien qualvoll aufschreien. Sein Schrei ging durch Mark und Bein und war bestimmt im ganzen Anwesen zu hören. Als ich dann noch sah, wie Blut seine Mundwinkel hinunter lief und sich eine riesige, dunkle und feuchte Lache unter ihm bildete, begann ich ebenfalls zu schreien. Ich wollte ihn nicht schon wieder verlieren. Nicht nachdem wir so unbeschwert und glücklich miteinander waren.
 

Mit einem Mal war ich aus meiner Starre befreit. Schluchzend und weinend kroch ich zu ihm. Sein Unterkiefer zitterte und seine Augen wurden mit jedem Augenblick leerer, spiegelten seine Angst wider. Überall breitete sich sein kaltes Blut aus. Meine heißen Tränen fielen auf sein hübsches, sterbendes Gesicht. Den Dolch, der so fest in seiner Brust steckte, dass er förmlich am Boden festgenagelt war, bemerkte ich erst jetzt. Doch als ich aus schierer Verzweiflung versuchte, ihn herauszuziehen, in der Hoffung, er würde dann wieder aufstehen, mich liebevoll anlächeln und in die Arme nehmen, riss Francois mich von ihm herunter und presste mich sogleich unsanft an seinen harten Körper.
 

"Dieses mal wirst du nicht einfach so abhauen, sondern ihm bei seinem entgültigen Tod zusehen." Noch mehr Tranen rannen meine Wangen hinab, benetzten mein Kleid, den Arm, der mich umschloss. Lucien lag vor mir, völlig hilflos und am sterben. Ich wollte wegsehen, wurde aber daran gehindert. Ich musste zusehen, wie meine einzige Liebe ein letztes Mal zuckte, bevor die Haut einfiel, sich immer straffer um das Skelett legte. Musste zusehen, wie er vor meinen Augen verweste, bis nichts mehr außer dem Dolch - welcher bis vor kurzem noch in seiner Brust gesteckt hatte - übrig war.
 

Ich hörte nicht auf zu weinen. Auch als Francois mich aus dem Raum und mehrere schmale Treppen hinunterzerrte, spürte ich, wie meine Wangen aufs neue benetzt wurden. Nichts spielte für mich mehr eine Rolle. Weder wo ich war, noch, was nun mit mir geschehen würde. Mir schien fast schon, als wäre ich in eine Art Trance gefallen, denn um mich herum war alles Dunkel. Nur wenige Umrisse von Kerzenständern und anderem Plunder waren für mich vernehmbar.
 

"Lange nicht mehr gesehen, Shevaliereu." Rücksichtslos wurde ich herumgerissen und konnte somit einen großen Mann vor mir aufragen sehen. Mehr wie diese Tatsache konnte ich nicht erkennen.
 

"Magendie!" Dieser Ausruf und das qualvolle Zischen von Francois waren das Letzte, was ich wahrnahm, bevor um mich herum entgültig die erlösende Dunkelheit hereinbrach.



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