Leise schlich Ken den Gang entlang. Seine Sinne waren so geschärft wie es einem verkaterten
Killer eben möglich war. Noch immer war er nicht so ganz darüber hinweg, dass er einen
vollkommenen Filmriss von der letzten Nacht hatte. Doch die Tatsache, dass sein Hinterteil immer
noch schmerzte, sagte ihm nur zu deutlich, wie er seinen Frust über die ‚Trennung’ mit Aya
abgebaut hatte.
Lautlos bog er um eine Ecke und erledigte schnell und flink zwei geschockte Wachmänner,
pirschte dann auch schon auf die Tür zu, die sich als sein Ziel entpuppte.
Schnell rein, die Disks raus holen und wieder weg. So war der Plan. Doch als er die Tür leise
wieder hinter sich schloss und das Licht in dem vollkommen abgedunkelten Raum anschaltete, machte
ihm das grinsende Gesicht des Schwarz-Telepathen klar, dass daraus nichts werden würde.
Schuldigs Augen leuchteten begeistert auf, als tatsächlich Ken, auf den er ja gewartet hatte,
vor ihm stand. "Hey, Schatz! Schön dich zu sehen. Ich freu mich schon auf morgen
Abend!", begrüßte er den Weiß lächelnd und kam dabei auf den Anderen zu,
um sich seinen Begrüßungskuss abzuholen.
Doch daraus wurde nichts. Zwar war Ken total verdattert über das Verhalten seines
Gegenübers, doch es war nicht so schlimm, dass er wie gelähmt dagestanden wäre.
“ Was laberst du da für ein Müll?!“, knurrte er und fuhr die Krallen aus, ging in
Angriffshaltung. Das waren ja ganz neue Sitten…
Hä? Was sollte denn jetzt das? Hatte Ken es sich vielleicht anders überlegt?
"Ähm... Gestern hat das aber ganz anders geklungen.... Und wir haben für morgen Abend
ein Date... Anscheinend hat dir ziemlich gefallen, was ich mit dir gemacht habe." Schuldig
ließ sich nicht anmerken, wie schockiert er war, dass Ken so kühl reagierte.
„Tz…“, kam es nur abfällig von dem Weiß, doch er lockerte seine Haltung nicht. „Ich kann
mich nicht daran erinnern, das du gestern irgendwas mit mir gemacht haben solltest..“ Das war doch
wohl nicht zu glauben. War das jetzt die neue Art des Telepathen, seine Gegner zu verwirren und sie
abzulenken??
Okay, das reichte. Es kostete den Schwarz nur ein kurzes Blinzeln, um sich mit Kens Geist zu
verlinken und ihm die Bilder der letzten Nacht zu zeigen, wie er sie erlebt hatte. "Du solltest
weniger trinken, wenn du nichts verträgst, Schatz", meinte er dann enttäuscht,
beachtete die Angriffshaltung gar nicht, sondern ging einfach nur geknickt an dem Anderen vorbei.
Und Ken erstarrte. Sein Blick ging ins Nichts und er schluckte hart bei den Bildern, die sich ihm
boten. Er konnte nicht verhindern, dass ihm ein heißer Schauer über den Rücken lief.
Dann ein kalter. Das konnte doch nicht wahr sein. „Das….Ist nicht…wahr…“, hauchte er und wusste im
selben Moment, dass es sehr wohl wahr war.
Schuldig drehte sich noch einmal um und sah Ken aus unendlich traurigen Augen an. "Glaub, was
du willst", meinte er rau. Das war's dann wohl mit seinem erhofften Date mit dem Weiß.
Wieder würden ihm nur die Träume bleiben...
Ken schluckte hart und drehte sich dann langsam zu dem anderen um. Völlig verwirrt und auch
geschockt sah er in die verletzten Augen des Telepathen und schwieg. Das war doch nicht zu glauben.
Mastermind war der Grund warum ihm der Hintern so schmerzte? Mastermind hatte ihn gestern sicher
nach Hause gebracht oder dafür gesorgt, dass ihm das mit Aya nicht mehr so nah ging?
Ohne ein weiteres Wort wandte sich der Deutsche wieder ab. Er wollte jetzt nur noch weg, diesen
Schlag irgendwie verarbeiten. Auf jeden Fall war ihm klar, dass das alles kein Grund war, den
Braunhaarigen jetzt einfach aufzugeben. Denn wenn er es vorher noch nicht gewesen sein sollte, so
war er spätestens seit der letzten Nacht regelrecht süchtig nach Siberian.
Immer noch total am Ende mit den Nerven stand er da und führte sich die gesehenen Bilder wieder
vor Augen. Immer und immer wieder. Erst Omis Stimme riss ihn aus seinen Gedanken.
>Ken! Hast du die Disks?<, hörte er die Stimme des Jüngsten durch das Mikro hallen.
Hastig sah er sich um und schnappte sich das Gesuchte. Das diese wie für ihn parat auf dem
Tisch lagen, fiel ihm dabei nicht wirklich auf.
„Ja… Hab sie…“, antwortete er dann und verstaute die Disks sicher in der Tasche.
>Gut….du bist nicht mehr lange alleine… fünf Wachmänner sind auf den Weg… Hau ab
da!<
Und schon machte sich Ken auch auf den Weg, peste los und den Gang entlang…
Auch Schuldig bekam mit, dass sich Ken langsam aber sicher wieder einmal in Gefahr befand. Der
Kleine hatte ein echtes Talent dafür... und lief jetzt auch noch prompt in die falsche
Richtung. Kurz verdrehte der Schwarz die Augen. So ein Tollpatsch aber auch! Er rannte los,
verfolgte Ken, der einen ganz schönen Speed vorlegte. Doch der Telepath war ja auch nicht
gerade außer Form. Noch bevor Ken um die nächste Ecke biegen konnte, hatte der
Langhaarige ihn eingeholt und riss ihn am Arm zurück.
"Bist du wahnsinnig?", fauchte er ihn an. In diesem Moment kam auch schon der erste
Wachmann um die Ecke. Aus einem Reflex heraus schob Schuldig Ken hinter sich, stellte sich zwischen
seinen Liebling und die Angreifer.
Stark zuckte Ken zusammen, als er zurückgerissen wurde. „Was..“ Doch als er sah, dass es wieder
Schuldig war, blieb er still. Erst als er die Wachmänner sah und unweigerlich mitbekam, wie
sich Schu zwischen ihn und den Feind dängte, rührte er sich wieder wirklich. Er fuhr die
Krallen aus und stellte sich schräg hinter den Telepathen.
Dass dieser hier grade für ihn in die Bresche springen wollte, konnte er nicht einfach
zulassen. Auf keinen Fall wollte er in der Schuld eines Schwarz stehen.
Kaum dass der erste Wachmann auch anfing zu schießen, sprang er auf diesen los trat ihm
geschickt die Pistole aus der Hand und jagte ihm die Bugnuks in die Magengrube.
"Wie bestialisch, Schatz!", tadelte der Telepath gespielt bedauernd. "Guck mal, so
macht man das elegant." Er konzentrierte sich auf den nächsten Mann des Wachpersonals,
seine Augen begannen dabei, wild zu funkeln und scheinbar Blitze zu sprühen. Mit einem
überrascht klingenden Laut brach der Uniformierte zusammen, zuckte kurz, als würde er an
einer Stromleitung hängen und lag dann ganz still, während ihm das Blut aus Augen und
Ohren rann. Er wusste dabei nur zu genau, dass er Ken damit demonstrierte, dass Weiß noch nie
eine Chance gegen ihn gehabt hatte, dass es nur seiner guten Laune zu verdanken war, dass sie
allesamt noch lebten.
Ken hörte die Worte des Telepathen und konnte nicht umhin, ungesehen in sich
hineinzuschmunzeln. Er sah zu Schuldig und beobachtete seine Augen. Als er dann zu dem toten
Wachmann blickte, schluckte er hart. Wie leicht es doch für Mastermind wäre, sie alle
einfach wegzupusten ohne wirklich einen Finger zu rühren. Er schaute wieder zu Schuldig und war
dadurch einen Moment unachtsam, weswegen er dann auch schon schwer aufkeuchte. Ein glatter
Durchschuss... Sich die Schulter haltend sackte der Brünette zu Boden und kniff die Augen
zusammen. Unerträglich zog sich der Schmerz durch seinen Körper und ein Aufschrei entfuhr
ihm…
Okay, das reichte. Eleganz hin oder her. SEINEN Ken verletzte niemand ungestraft. Mit einem
tierischen Schrei stürzte Schuldig sich auf die drei verbliebenen Wachleute, brach einem mit
einem gezielten Handkantenschlag das Genick, trieb den zweiten dazu, sich selbst zu erschießen
und verwandelte das Gehirn des Dritten zu Mus. Dann drehte er sich um, versuchte, seine Raserei
unter Kontrolle zu bekommen. Neben Ken ging er auf die Knie, griff sanft in dessen Geist und
schaltete erst einmal die Schmerzen aus. Beruhigend murmelte er Ken leise Worte zu, während er
sein Shirt auszog und dem Kleineren damit einen provisorischen Druckverband anlegte.
Schmerzenstränen zeichneten sich in seinen Augen ab. Doch Ken staunte nicht schlecht, als der
Schmerz plötzlich nachließ. Er sah Schuldig fast schon unsicher an und biss sich leicht
auf die Unterlippe. „Du…warst das immer, oder?“, fragte er dann leise, nachdem er mit der Hand des
unverletzten Armes das Mikro kurzerhand ausgeschaltet hatte. „Meine Zusammenbrüche…und meine
Aussetzer…“
Was hatte es jetzt noch Sinn, zu leugnen? "Ja, das war ich. Aber dafür kannst du mich ein
andermal niedermachen, jetzt ist wichtig, dass du zu einem Arzt kommst. Ich kann dir die Schmerzen
nehmen, aber nicht die Blutung stillen. Los, mach dein Mikro wieder an und ruf deine Freunde!"
Er sah den anderen noch eine Weile an und ein trauriges Schmunzeln kam von ihm. „Danke….“, sagte er
leise und schaltete das Mikro wieder ein. Er wandte den Blick von Schuldig ab, konnte aber nicht
verhindern, dass noch immer diese Bilder vor seinem inneren Auge zu sehen waren.
Schnell waren Aya und Yohji informiert und auf dem Weg zu ihnen.
Etwa eine halbe Minute, bevor die restlichen Weiß eintrafen, erhob sich der Telepath.
"Sie werden gleich hier sein. Du bist in Sicherheit." Damit drehte er sich um und ging in
die entgegen gesetzte Richtung davon. Er überließ es Ken, seinem Team die Toten zu
erklären, von denen nur einer die Handschrift Siberians trug. Trotzdem hielt er eine latente
Verbindung zu dem Weiß, um jederzeit helfend eingreifen zu können, sollte der zu sehr in
Erklärungsnot geraten. Und um weiterhin die Schmerzen auszuschalten. Und um einfach zu sehen,
wie es dem Brünetten ging. Und...
Er sah Schuldig nach und seufzte leise. Das war doch echt alles nicht zu glauben. Seit Monaten rette
ihm ein Schwarz immer wieder das Leben, gestern verbrachte er betrunken eine Nacht mit diesem, dass
ihm heute das Hinterteil pulsierte, und jetzt wurde er schon wieder von ihm gerettet. Als
schließlich die zwei Kollegen um die Ecke kamen und sich nach seinem Wohlbefinden erkundigten,
gab sich dann alle Mühe die Schmerzen wenigstens vorzutäuschen.
„Wo hast du das Hemd her??“, fragte Aya skeptisch und zupfte leicht an dem provisorischen
Druckverband. Ken stockte der Atem, als der Blick seines Leaders dann auch noch über die
Leichen glitt und immer härter wurde. „Und wer hat die umgelegt?!“ Schließlich fixierte
er Ken wieder und sah ihn herausfordernd und fragend an.
Ken wusste nicht so recht was er sagen sollte, verzog aber wieder vor ‚Schmerz’ das Gesicht und sah
Aya dann schwach lächelnd an. „Ich hatte wohl….so was wie einen Schutzengel…“
Schutzengel? Schuldig grinste. Naja, so völlig Unrecht hatte Ken wohl nicht damit. Doch
irgendwie hatte er das Gefühl, dass Kens Erklärungen dem Weißleader nicht so ganz
reichen würden. /Sag ihnen, dass ich vor dir hier war, die Wachen bis auf einen umgenietet hab
und zum Schluss dich angeschossen habe/ Was allerdings noch nicht das Shirt um Kens Schulter
erklärte. Aber er hoffte, dass diese kleine Tatsache im allgemeinen Trubel untergehen
würde.
Leicht zuckte Ken zusammen, als er die Stimme in seinem Kopf hörte. Doch er gehorchte fast
augenblicklich. Und grade wollte Aya noch einmal nachfragen, als auch schon Omis Stimme erklang.
>Könntet ihr euch jetzt bitte mal etwas beeilen??<
Auf der Stelle machte sich Yohji auf den Weg und brachte – gefolgt von Aya – den verletzten und vor
‚Schmerz’ immer mal leise aufkeuchenden Ken zum Wagen. Auf dem Rückweg machte sich Omi auf der
Rückbank daran einen zweiten Verband anzulegen, sodass die Blutung besser gestoppt werden
konnte.
Schuldig beobachtete misstrauisch, was Kens Kollegen mit ihm anstellten, gab sich dann aber mit Omis
Künsten zufrieden. Außerdem wurde langsam die Entfernung zwischen ihnen zu groß, so
dass es immer anstrengender wurde, die Verbindung aufrecht zu halten. Und mehr konnte er im
Augenblick sowieso nicht für den Weiß tun. /Pass auf dich auf!/, verabschiedete er sich
leise.
Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen bei der Verabschiedung und entlockte Omi ein
Stirnrunzeln. Doch er sagte nichts. Und so schwieg auch Ken. Zuhause angekommen wurde der Verletzte
erst mal aus seiner Missionskleidung befreit und die Wunde versorgt.
Der hauseigene Arzt stand ziemlich schnell auf der Matte und schließlich lag Ken verarztet und
umsorgt in seinem Zimmer. Sein Blick ging aus dem Fenster hinaus und in den Nachthimmel, wo er
nachdenklich den Mond beobachtete…
Der Schwarz ahnte nichts von dem, was Ken gerade im Kopf umging. Er versuchte viel mehr, seine
Enttäuschung loszuwerden, in der er sie zu ertränken versuchte. In jeder Menge Alkohol.
Doch so ganz konnte er die kleine Stimme in seinem Hinterkopf, die ständig extrem
spöttisch fragte, wie dumm denn ein einzelner Telepath sein konnte, nicht zum Schweigen
bringen. Sein Hauptproblem war, dass er von Anfang an gewusst hatte, dass es gar keinen Sinn machte,
sich ausgerechnet in einen Weiß zu verknallen. Doch das half ihm ja auch nicht wirklich
weiter. Es war halt einfach passiert. Und nun musste er damit leben, wahrscheinlich nie an sein Ziel
zu kommen.
Immer wieder startete Ken kleine unauffällige Versuche Schuldig zu erreichen. Doch nie kam eine
Antwort. Er wusste nicht mal, warum er sich eine erhoffte, doch irgendwie hatte er das Gefühl
mit dem Telepathen reden zu wollen.
Schließlich, als sich sogar ein direktes Ansprechen als unnütz herausstellte, gab der
Brünette es auf. Er sackte in seinem Bett zurück und blickte an die Decke. Noch einmal
ließ er alles Revue passieren und erinnerte sich nach und nach an jede einzelne seiner
Rettungen. Darüber schlief er ein, verfolgt von Träumen, die allesamt beherrscht blieben
von einem einzigen Telepathen…
Der Morgen dämmerte schon, als sich Schuldig, zugelötet und endlich einmal ohne Gedanken
an seinen Weiß, ins Bett plumpsen ließ. Dass er nach dem Aufwachen einen Kater in der
Größe eines ausgewachsenen Tigers haben würde, nahm er dabei gerne in Kauf.
Vielleicht würde ihn das von seiner irrealen Sehnsucht ein wenig ablenken. Ächzend rollte
er sich auf die Seite, als sich das ganze Bett mitsamt dem Zimmer wild zu drehen begann. Doch auch
das ließ nach einer halben Ewigkeit nach, und der Deutsche fiel in einen traumlosen Schlaf.
~*~
Und die Tage verstrichen. Weiß gingen nur zu dritt auf Missionen, weil Kens Schulter sich noch
eine ganze Zeit würde erholen müssen. Ken war es gleich. Er hütete das Bett und
versuchte seine Gedanken an den Schutzengel loszuwerden, die ihn noch immer plagten. Seit ihrer
letzten Begegnung waren nun schon drei Wochen vergangen und es hatte keinen Tag gegeben, an dem Ken
sich nicht über den feindlichen Telepathen den Kopf zerbrochen hatte.
Schuldig wusste, dass er es nicht tun sollte. Doch sein Wunsch, zu erfahren, wie es Ken ging, war in
den vergangenen Wochen nicht kleiner geworden. Im Gegenteil. Was er auch versucht hatte, um sich
selbst von dieser verrückten Schwärmerei abzubringen, es hatte nichts geholfen. Weder
seine regelmäßigen Besäufnisse, noch die zahlreichen One-Night-Stands, die er in
dieser Zeit gehabt hatte. Es blieb wohl wirklich nur noch eine einzige Möglichkeit. Er musste
nach den Braunhaarigen sehen und hoffen, dass dieser ihn einfach ganz brutal zum Teufel jagte. Erst
dann würde er ihn aufgeben können... Wie schon so oft zuvor befand er sich in der
Nähe des Koneko. Lässig stand er in einem Hauseingang, gegen die Mauer gelehnt, die Arme
vor der Brust verschränkt, die Augen geschlossen. /Wie geht's dir?/, fragte er den Anderen
unvermittelt und hoffte insgeheim auf eine entsprechend unfreundliche Antwort.
Ken fiel aus allen Wolken – und seine Kaffeetasse zu Boden. Entsetzt machte er einen Satz nach
hinten um sich nicht die Füße zu verbrühen. Sein Herz schlug ihm in der Kehle und
seine Augen hatten sich geweitet. Herrje, hatte er sich erschrocken!
„Schuldig…?“, fragte er dann einfach in die leere Küche hinein und sah sich um, auch wenn er
wusste, dass er den Telepathen hier nirgendwo würde entdecken können.
Ein wenig frustriert verdrehte der Schwarz die Augen. /Mit wie vielen Telepathen hast du sonst noch
Kontakt?/, wollte er spöttisch wissen. /Und du brauchst nicht reden, es reicht, wenn du
denkst./ Es würde ja gerade noch fehlen, dass einer von Kens Freunden ihn bei einem
Selbstgespräch erwischen würden, in dem zu allem Überfluss dann auch noch sein Name
fiel. /Also. Wie geht's dir?/
Doch das war so ziemlich unmöglich. Yohji schlief noch immer seinen Rausch aus, Aya war auf
seinem Zimmer und Omi in der Schule. Doch das kümmerte Ken grade weniger. Die abweisende Art
des Telepathen versetzte ihm einen kleinen Stich, auch wenn er nicht so recht wusste wieso.
/Besser…/, kam dann die knappe Antwort und Ken machte sich daran die Scherben aufzusammeln und den
Kaffee aufzuwischen.
Na, das war doch immerhin schon mal etwas. Unwillkürlich atmete der Orangehead erleichtert auf.
Und noch bevor er wusste, was er da sagte, rutschte ihm ein fast schon zärtliches /Na Gott sei
Dank!/ raus. Was dazu führte, dass er sich wieder einmal mehr fragte, wie bescheuert er wohl
war...
Kurz hielt Ken in seinem Tun inne. Also wenn das keine Stimmungsschwankungen waren, was der Telepath
da hatte... Er schluckte leicht und ehe er etwas gegen sein eigenes Denken tun konnte, kam von ihm
auch schon die nächste Frage. /Und dir…?/ Er warf die Scherben in den Müll und griff zu
einem Lappen, um die braune Suppe vom Boden zu wischen.
Beinah hätte der Telepath laut aufgelacht. Irgendwie lief das hier gerade ein wenig neben der
Spur. Ken sollte mit ihm hier nicht ein gemütliches Pläuschchen halten, sondern ihn
gefälligst anmotzen und in die Wüste schicken... /Naja, wie immer/, antwortete er
ausweichend. Der Andere musste ja nichts davon wissen, wie dreckig es ihm im Moment eigentlich ging.
Schuldig beschloss, in die Offensive zu gehen. /Jetzt meckere mich endlich an, dass ich mich aus
deinem Leben zu halten habe, damit wir die Sache endlich abschließen können/, forderte er
ein wenig überstürzt.
Ken kniete am Boden und hielt wieder inne. Was? Musste das jetzt einer verstehen? /Wieso sollte ich
das tun? Wenn du dich… aus meinem Leben raushalten willst, wie du es so schön sagst…dann wirst
du es schon von ganz alleine tun…/ Hart musste Ken schlucken, als er merkte, dass er seine Gedanken
nicht unter Kontrolle halten konnte. /Ich werde sicher nicht meinen Schutzengel fortschicken…/
Na wunderbar. Das war jetzt so ziemlich das Letzte, was er hatte hören wollen. Wie konnte er
dem Jüngeren nur klar machen, um was es hier ging, ohne dabei zuviel zu verraten? /Um das
geht's ja... Ich kann es eben nicht von alleine./, erwiderte er matt. Ach, verdammt, so hatte das
keinen Sinn. Er musste Ken gegenüberstehen, damit er seine Forderung durchsetzen konnte. /Wenn
du Zeit hast, komm in den Park, dann reden wir. Ich warte auf dich./
Er erhob sich und warf den Lappen in die Spüle. /Ich warte seit drei Wochen darauf, dass du
dich mal meldest, gammle die ganze Zeit zuhause rum und denk nur noch nach! Ich hab’ rund um die Uhr
Zeit!/, kam es dann von ihm. Er schlich sich dabei mehr auf Zimmer, als das er ging. Ihm war
durchaus bewusst, dass Aya ihn nicht würde gehen lassen, wenn er etwas mitbekam, und so durfte
der es eben nicht merken.
Leise schlüpfte der Japaner in eine Jeans und suchte sich ein warmes Oberteil raus, das nicht
zuließ, dass der frische Herbstwind ihn frieren ließ.
Diese Worte schockten den Schwarz mehr, als er zugeben wollte. Ken wartete darauf, dass er sich bei
ihm meldete? Ja, warum in drei Teufels Namen denn das? Noch viel ungeduldiger und nervöser als
ohnehin schon, lief er wie ein Tiger im Käfig vor dem Eingang des Parks auf und ab. Der
Weiß war und blieb ihm ein einziges Rätsel. Das alles ergab doch keinen Sinn. Immer
wieder sah er auf die Uhr und kam sich dabei vor wie ein Teenager beim ersten Date.
Als von Schuldig keine Antwort mehr kam, seufzte er leise. In den letzten Tagen war ihm deutlich
klar geworden, dass der Telepath ihm nicht so egal war wie es eigentlich hätte sein
müssen. Nicht nach all dem was passiert war und was er inzwischen wusste.
In eine Jeansjacke gehüllt kam er dann schließlich vor dem Park an und sah den
aufgewühlten Deutschen dort auf- und abgehen. Sein Herz schrie vor Aufregung, als er näher
trat. „Hey…“
Dem Schwarz stockte der Atem, als er sich so plötzlich dem Objekt seiner Begierde
gegenübersah. Doch er versuchte, sich einfach zusammenzunehmen und sich nicht wie ein
liebeskranker Trottel aufzuführen, konnte aber nicht verhindern, dass seine Augen bei Kens
Anblick aufblitzten. Sein Mund war knochentrocken und seine Stimme klang rau, als er den Gruß
erwiderte. "Hi."
Eine Weile standen sie einfach nur da, schweigend. Doch irgendwann kam sich Ken dann ziemlich doof
vor, er senkte den Blick, deutete auf den Park und blickte kurz fragend auf, bevor er durch den
großen efeuüberwucherten Bogen das Gelände betrat. Er wagte es nicht etwas zu sagen,
wagte es nicht mal den Blick zu heben und Schuldig anzusehen.
Wortlos folgte der Telepath dem Anderen in den Park, bis sie vor einer Bankgruppe ankamen, die
malerisch unter ein paar Bäumen aufgestellt war. Mit einem Seufzen ließ er sich auf eine
der Bänke fallen und schaute dann Ken intensiv an, der sich neben ihn setzte und den Boden
fixierte. "Warum hast du drauf gewartet, dass ich mich bei dir melde?"
Ken lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander. „Ich weiß nicht… Weil ich
mich nicht melden konnte… denke ich…“, kam es leise und fast schon unsicher von ihm, bis er merkte
wie kindisch er sich grade benahm. Also hob er sicher den Blick und schaute den Telepathen direkt
an. Dass ihm beim Anblick der grünen Augen seines Engels wieder mulmig wurde, versuchte er so
gut es eben möglich war zu ignorieren. „Außerdem… wollte ich mich noch mal… bedanken.“
"Es gibt keinen Grund, sich zu bedanken", winkte der Schwarz ab. Dann wurde ihm bewusst,
was der Braunhaarige zuvor gesagt hatte. Überrascht sah er direkt in die braunen Iriden seines
Gegenübers. "Du... hast versucht, mich zu erreichen?"
Ken erwiderte den Blick und zwang sich standhaft zu bleiben. „Ja… Aber irgendwann habe ich es dann
aufgegeben…“ Er konnte nicht verhindern, dass ihm ein leises Seufzen entwich. Es war doch nicht
möglich, dass er jetzt hier saß und die Fragen, die ihn in den letzten Wochen so
gequält, hatten nicht aussprechen konnte, oder? „Ich…“
Auffordernd guckte der Deutsche den Kleineren an. "Ja? Du...?" Er wollte jetzt nicht in
Kens Geist nachsehen müssen, was dem Japaner auf dem Herzen lag. Immerhin hatten sie sich ja
getroffen, um zu reden. Wenn dieses Gespräch auch in eine komplett andere Richtung ging, als es
sich der Telepath vorgestellt hatte.
Jetzt musste Ken den Blick doch abwenden. Er hielt diesen Blick aus den hübschen grünen
Augen einfach nicht aus. Den Blick, der ihn die letzten Nächte verfolgt hatte.
„Trotzdem danke…“, rettete er dann seinen angebrochenen Satz. „Dafür, dass du mir zigmal das
Leben gerettet hast, statt mich zu töten… Oft genug Gelegenheit hattest du ja…“
Die erste Reaktion des Orangehead wäre gewesen, Ken zu fragen, wie er sich denn das vorstellte,
denjenigen zu töten, den er liebte. Doch im letzten Moment verschluckte er diese Antwort.
"Schon okay", grinste er daher nur ein wenig arrogant, "Wo bliebe denn da der
Spaß, wenn ich euch umbringen würde? Dann hätte ich nichts mehr, über das ich
mich aufregen könnte..." Ganz toll. Noch was Blöderes fiel ihm wohl nicht ein, oder
wie?
Die Worte des Deutschen ließen Ken hart schlucken. Er wollte nicht so recht glauben, was er da
hörte und kurz sah er mit reichlich verletzter Miene zu dem anderen auf. Doch dann erhob er
sich. „Gut dann… reg dich weiter über mich auf…“, sagte er leise und beschloss dann, Schuldig
dafür auch einen Grund zu geben. Jetzt war es sowieso egal. Er neigte sich zu ihm hinunter und
hauchte ihm einen leichten Kuss auf die Lippen, schloss dabei genießend die Augen, löste
sich dann aber schnell wieder.
Ohne Schuldig noch einmal anzusehen, wandte sich der Brünette ab und ging. Er vergrub die
Hände tief in den Jackentaschen und schluckte schwer. Wie um alles in der Welt hatte er auch
auf die Idee kommen könnte, dass jemand wie Schuldig ihm aus… Liebe das Leben rettete?!
Zurück blieb ein Telepath, der über das Verhalten Kens so verblüfft war, dass er
keinen einzigen Ton herausbrachte, sondern einfach nur stumm zusah, wie dieser sich abwandte und
ging. Erst da kam wieder Leben in den Deutschen. Rasch lief er dem Braunhaarigen hinterher, hielt
ihn auf, ehe er den Ausgang des Parks erreichen konnte und zischte: "Wenn du schon meinst, dich
bedanken zu müssen, dann mach's gefälligst richtig!" Damit nahm er ihn in die Arme
und küsste ihn leidenschaftlich. Es tat ihm irgendwie einfach nur weh, nur aus Dankbarkeit und
nicht aus Zuneigung Ken in den Armen halten zu dürfen. Aber wenn es sein musste, nahm er eben
das, was er kriegen konnte....
Hart schluckte der Japaner als er den Griff des anderen spürte. Die Worte stachen wieder zu.
Doch er erwiderte den Kuss augenblicklich voller Leidenschaft und Gefühl. So blind war nicht
mal Ken, dass er jetzt nicht endlich rallte was Sache war. Er schlang die Arme um den Nacken des
Telepathen und schmiegte sich der Länge nach gegen ihn. Ihm war, als wenn genau dieser Kuss das
einzige war, worauf er seit drei Wochen wartete… Als wenn dieser Kuss das war, was er schon so lange
vermisste…
Schuldig konnte einfach nicht fassen, was er in dem Kuss zu spüren glaubte. Ein wenig atemlos
löste er sich von Ken, ließ ihn aber nicht wirklich los, sondern hielt ihn nah bei sich
und sah ihm fest in die Augen. Wie verzaubert strich er behutsam über das Gesicht des
Weiß, als müsste er sich klar werden, dass er nicht gerade träumte. "Sag mir,
dass das wahr ist...", murmelte er kaum hörbar.
Ein leichtes Lächeln zeichnete sich auf den Lippen des Braunhaarigen ab. Er erwiderte den Blick
in die schönen Augen des Anderen und nickte leicht. „Es ist…wahr…“, hauchte er leise und strich
durch das lange Haar. „Zumindest…hoffe ich es…“ Eine leichte Röte lag auf seinen Wangen, er sah
fast schon etwas verlegen aus.
"Dann hast du jetzt keinen Grund zu gehen", stellte der Orangehead ruhig fest und
ließ den Anderen los. Aber er wollte den Kontakt zu seinem Liebsten nicht ganz verlieren,
nachdem er ihn jetzt endlich hatte. So griff er einfach nach dessen Hand, verhakte ihre Finger
miteinander. Sein Blick lag immer noch intensiv in den braunen Iriden, die im strahlenden
Sonnenlicht einen goldenen Schimmer hatten, wie er begeistert feststellte.
Sanft lächelnd sah er auf ihre Finger, schaute dann wieder zu dem Telepathen auf und versank in
seinen Augen. „Aber… lange kann ich nicht bleiben“, eröffnete er ihm dann leise und seufzte,
„wenn Ran mitbekommt, dass ich weg bin, darf ich mir nachher wieder was anhören….“
Er sah weiter in die glitzernden Augen des Anderen und konnte nicht verhindern, dass eine warme
Welle der Zufriedenheit sich ihren Weg durch seinen Körper bahnte.
Verständnisvoll nickte Schuldig. "Schon okay. Ich hab so lange auf dich gewartet, da
kommt's auf ein paar Tage auch nicht mehr an", gestand er leise. Er konnte noch immer nicht
glauben, was hier passierte, dass er endlich denjenigen an der Hand hielt, von dem er schon so lange
geträumt hatte. Sanft streichelte er mit dem Daumen über Kens Handrücken und wusste
ausnahmsweise mal nicht, was er sonst noch sagen sollte.
Kens Mund wurde trocken und er sah verlegen zu Boden. Wie konnte jemand auf ihn warten? Es war ihm
ein Rätsel. Doch es war gut so. Nun war er nicht alleine und konnte sich auch noch wohl
fühlen. Ohne dabei Reue zu empfinden, stellte er fest, dass er sich sehr viel besser
fühlte, wenn er seinen Kopf in Schuldigs Halsbeuge vergrub und die Arme um seinen Nacken
schlang, wie in diesem Moment, als mit den Streitereien, die er immer mit Aya gehabt hatte.
Vorsichtig legte der Schwarz wieder seine Arme um den Oberkörper des Kleineren, bedacht darauf,
ihm nur ja nicht weh zu tun. Er legte seine Wange auf Kens Kopf, nahm dessen unvergleichlichen Duft
in sich auf und schloss zufrieden die Augen. "Sehen wir uns bald wieder?", fragte er
leise, obwohl es ihm leid tat, diesen schönen Moment mit einer solchen Frage zu zerstören.
Aber er konnte einfach nicht länger warten.
Leicht schmunzelte Ken und ließ den Arm mit der kaputten Schulter wieder sinken, legte die
Hand stattdessen auf Schuldigs Brust. „Hm… Wenn ich mich recht erinnere, haben wir eh noch ein Date
nachzuholen, oder?“ Er musste leicht grinsen, küsste Schuldig kurz aufs Kinn. „Sag mir wann und
wo und ich werde da sein!“
"Lass es mich einfach wissen, wann es dir gut genug geht, und du ungestört weg kannst.
Diesmal wirst du mich erreichen, wenn du mich rufst." Nun würde er wahrscheinlich - nein,
ganz sicher - sehnsüchtig darauf warten, dass der Jüngere den Kontakt zu ihm suchte. Es
war schon irgendwie irre. Da hatte er eigentlich gewollt, dass er endlich von seinem geliebten
Weiß loskam - und was passierte? Jetzt hatte Ken ihn noch viel mehr an sich gefesselt, als er
das ohnehin schon getan hatte.
Nun musste Ken leise lachen. „Mir geht es wunderbar…“ Er sah fast schon verträumt zu dem
Telepathen auf und strich ihm das Haar zurück. Dabei entfernte er frech das Stirnband und
grinste. „Viel besser…“ Hinter Schuldigs Rücken wickelte er sich das Stirnband ums Handgelenk
und hatte nicht vor, dieses so schnell wieder rauszurücken.
"Hey!", schmunzelte der Orangehead, dem diese Aktion natürlich nicht verborgen
geblieben war. "Wie viele von meinen Klamotten willst du denn noch haben? Mein Hemd hast du ja
auch behalten." Er zwinkerte dem Kleineren neckend zu. "Soll ich dich noch ein Stück
nach Hause begleiten? Und wenn du Lust hast, können wir uns morgen Abend treffen..."
Glücklich lächelnd löste er sich und schnappte sich wieder Schuldigs Hand. „Und das
Shirt wirst du auch so schnell nicht wieder bekommen…“, grinste er den Älteren an und machte
sich langsam mit ihm auf den Weg aus dem Park. „Morgen Abend?“ Kurz überlegte er, nickte dann
aber. „Okay… Und was unternehmen wir?“
~*~tbc~*~