Der Zeitungsbericht
Lustlos stocherte ich in meinen Cornflakes herum. Bah, heute fingen die Sommerferien an und ich, Ken, Sohn der schrecklichsten Eltern der Welt, musste mit diesen campen fahren. Doch was blieb mir anderes übrig? Mein Nachbar und einziger Freund Sam sollte heute sein erstes Pokemon bekommen und seine Reise als Pokemontrainer beginnen dürfen. Nur ich…
Weiter wollte ich gar nicht erst denken. Es ist schon blöd genug für mich, meinen Freund nicht mehr sehen zu dürfen und der Gedanke an Pokemon war da genauso schlimm.
„Was für eine Unverschämtheit!“, polterte mein Vater auf einmal los und riss mich damit aus meinen düsteren Gedanken. Neugierig starrte ich ihn an. Mein Vater war ein beleibter oder besser gesagt fetter Mann, mit aalglattem zurückgekämmtem schwarzem Haar und einem Schnäuzer in der gleichen Farbe wie sein Haar, der aussah, als wäre er mit einem Lineal gestutzt worden.
„Was ist denn eine Unverschämtheit“, wollte ich interessiert wissen. „Neulich wurde ein neuer Pokeball hergestellt, ein einzigartiges Modell speziell für Wasserpokemon“, erklärte mein Vater gewichtigt, dann wurde seine Stimme lauter: „Und heute Nacht wurde dieser Pokeball doch tatsächlich gestohlen! Man vermutet, dass der Täter Team Aqua war.“ „Ah ja.“ Ich spielte den Unbeteiligten. Innerlich jubilierte ich darüber, endlich mal wieder etwas Neues aus der Pokemonwelt erfahren zu können, denn leider versuchten meine Eltern mich davor so weit es geht abzuschotten und selten geschah es, dass ich durch Zufall mal etwas mitbekam. Meist waren es solche Fälle wie jetzt, wenn etwas, in den Augen meines Vaters, Ungeheuerliches passiert war wie zum Beispiel ein Diebstahl, an dem Pokemon schuld seien. Meiner Meinung nach war das total Blödsinn, wie sollten an solchen Verbrechen Pokemon schuld sein? Doch mein Vater konnte immer irgendeinen Grund erfinden, der den Pokemon die Schuld an allem gab. Es war sowieso erstaunlich, dass er überhaupt etwas laut verkündete, was eigentlich nicht für meine Ohren bestimmt war. Aber wahrscheinlich, befand sich der Artikel irgendwo bei seinem heißgeliebten Wirtschaftsteil und er konnte gar nicht anders als seinen Ärger laut zu äußern. Zu meinem Glück.
Ich versuchte, so weit es ging, meine Freude und Neugierde zu verbergen und fragte unschuldig mit gespieltem Desinteresse: „Und wer soll dieses Team Aqua sein?“ „Das ist eine verbrecherische Organisation der schlimmsten Sorte. Zudem weiß man, dass sie allgemein sehr an Wasserpokemon interessiert sind, weshalb man sich sicher ist, dass sie diesen Pokeball gestohlen haben“, beantwortete mein Vater meine Frage in dem verhassten belehrenden Tonfall.
Trotzdem hatte ich ihm interessiert zugehört. Er hatte in seiner Wut sogar vergessen, mich wohlbehütet zu behandeln und mir keine Infos zu „bösen Leuten“ zu geben. Doch leider bemerkte meine Mutter mein gewecktes Interesse und bevor ich noch irgendetwas nachfragen konnte, flötete sie: „Schatz, meinst du nicht auch, dass wir langsam losfahren sollten? Außerdem muss Ken ja noch seine restlichen Sachen packen.“
Erst da schienen meinem Vater seine guten Vorsätze wieder einzufallen, was das Behüten seines Sohnes betraf. „KEN!“, donnerte er wütend, dass ich ihn heimlich ausgenutzt hatte. „Geh auf der Stelle deine Sachen packen!“ Ich nickte nur brav und warf meiner grässlichen Mutter im Vorbeigehen heimlich einen missmutigen Blick zu. Sie war die Sorte von Frau, um die ich lieber einen großen Bogen machte: einer Maske gleich geschminkt, blondiertem schulterlangem Haar, beinahe Magersüchtig und bewaffnet mit pink lackierten Fingernägeln, die als Kampfklauen durchgehen konnten.
In dem schrecklichen Wissen, dass meine Eltern die Zeitung mit dem für mich ungeeigneten Artikel im Altpapiermüll entsorgen würden, ging ich hoch in mein Zimmer, wo mich ein gepackter Rucksack mit den von meinen Eltern vorgeschriebenen Sachen erwartete. Missmutig schnappte ich ihn mir und schleppte ihn die Treppe hinunter vor die Haustür.
Danach warf ich einen verstohlenen Blick in die Küche und sah meine Mutter dort am Rumwerken oder besser gesagt: Sie bewachte die Zeitung, die mir auf gar keinen Fall in die Hände fallen durfte. Mein Vater musste wohl schon am Auto sein und die Unmengen an Gepäck verstauen, weshalb ich nach draußen lief. Die Zeitung war fürs erste unerreichbar.
Seufzend stellte ich meinen Rucksack auf die Rückbank des Autos und beobachtete, wie mein Vater geschäftig eine Liste mit den Gepäckstücken durchging. Da kam mir auf einmal eine Idee. Ich vergewisserte mich, dass keiner hinschaute und holte die lebenswichtige Zahnbürste aus meinem Rucksack hervor und versteckte sie unter meinem T-Shirt. Kaum hatte ich den Rucksack wieder verschlossen und war dabei, so zu tun, als würde ich den Rucksack etwas weiter zurechtrücken, kam meine Mutter heraus. „Können wir jetzt losfahren?“, fragte sie mit ihrer unangenehmen Stimme.
Ich erstarrte mitten in der Bewegung und hoffte inständig, dass ihr nichts aufgefallen war, was der Fall sein musste, sonst hätte sie längst etwas bemerkt. Erleichtert drehte ich mich zu meinen Eltern um und wartete die richtige Gelegenheit ab. Sie kam schneller als erwartet. Meine Eltern hatten es ziemlich eilig, endlich loszufahren, weshalb ich nicht lange zu warten brauchte. „Schatz, einsteigen, wir fahren los“, flötete meine Mutter und öffnete die Wagentür. Als ich diese Worte hörte, machte ich Anstalten einzusteigen, nur um dann erschrocken innezuhalten. „Oh je“, sagte ich und tat entsetzt, „ich glaube ich habe meine Zahnbürste vergessen.“ Ich hatte meinen Satz noch nicht zu Ende gesprochen, als meine Mutter auch schon in einem Wahnsinnstempo zu meinem Rucksack eilte und ihn durchwühlte. Nach einer gründlichen Kontrolle konnte auch sie die Zahnbürste nicht finden, was meinem Vater Anlass gab, mal wieder so richtig schön loszumeckern: „Ken, du hast extra eine Liste bekommen und schaffst es nicht einmal mit Hilfe dieser Liste deinen Rucksack vollständig zu packen! Du bist eine Schande! Ich will nicht, dass so etwas noch einmal passiert, hast du mich verstanden, mein Junge?“ „Ja“, murmelte ich und senkte schuldbewusst den Kopf. „Dann hol jetzt auf der Stelle deine Zahnbürste! Ich möchte losfahren!“, polterte mein Vater weiter. Aber genau das wollte ich ja hören. Mir ein triumphierendes Grinsen verkneifend rannte ich zurück ins Haus, lief geduckt in die Küche, sodass meine Eltern mich nicht durchs Fenster sehen konnten und durchwühlte das Altpapier. Schnell hatte ich die Zeitung gefunden und schlug auf Anhieb die Seite mit dem Artikel auf. Unglücklicherweise war dies die Schlagzeile im Wirtschaftsteil, weshalb mein Vater sich den Bericht überhaupt angeguckt hatte. Vorsichtig riss ich den großen Artikel raus, wobei ich die Bilder wegließ, schlug die Zeitung wieder zu und legte sie, so wie ich sie vorgefunden hatte, wieder zurück.
Während ich den zusammengefalteten Artikel unter meinem T-Shirt versteckte, schlich ich die Treppe hoch ins Badezimmer, wo sich immer meine Zahnbürste befand. Grinsend holte ich die Bürste hervor. Natürlich war ich nicht so dumm, wie es mein Vater wohl von mir glaubte, nur wie hätte ich sonst an den Artikel kommen sollen? Es war schon ein Wunder, dass ich mich das überhaupt getraut hatte…
Um meine lange Abwesenheit zu entschuldigen ließ ich noch die Toilettenspülung laufen und lief wieder hinunter zum Auto. „Warum hat das solange gedauert, Ken?“, wollte mein Vater misstrauisch wissen. „Tut mir Leid“, murmelte ich zerknirscht, „ich war noch einmal auf Toilette.“ Mürrisch schloss mein Vater die Haustür ab, die Alarmanlagen hatte er alle schon ein dutzend Mal überprüft und stieg ein. Ich kauerte mich so auf die Rückbank, dass mein Vater so wenig wie möglich von mir im Rückspiegel sehen konnte. Dann verstaute ich meine Zahnbürste und holte ein von meinen Eltern vorgeschriebenes Buch heraus.
Lustlos durchblätterte ich es und legte in einem geeigneten Augenblick den Artikel zwischen die Seiten, ohne dass meine Eltern es bemerkten. Nun sah es so aus, als würde ich mich ins Buch vertieft haben, statt einen verbotenen Bericht zu lesen. Insgesamt war der Artikel nicht ganz so interessant, wie ich es geglaubt hatte. Einzig und allein die Tatsache, dass der Diebstahl in Malvenfroh City passiert war und sich die Stadt in der Nähe von Wiesenflur, dem Ort wo wir campen würden, befand. Zusätzlich war noch eine kleine Infobox zu Team Aqua hinzugefügt, in der stand, dass das Team schon einige Male der Polizei Ärger bereitet hatte, jedoch noch nie geschnappt werden konnte. Zudem waren die Zusammenhänge mit Wasserpokemon bei Team Aqua ziemlich auffällig, die Beweggründe dieses Teams seien aber, laut Box, unbekannt.
In Gedanken versunken klappte ich das Buch wieder zu. Eigentlich hörte sich die kurze nicht sehr informative Beschreibung zu Team Aqua ja ganz interessant an. Auch wenn es Kriminelle sein sollten, die wahrscheinlich durch die Medien erst recht kriminell gemacht worden waren, so schien das Team eigentlich ganz in Ordnung zu sein. Ich meine, sie hatten etwas mit Wasserpokemon zu tun und, das war wohl auch der Grund, warum ich mich so für das Team interessierte, ich selbst liebe Wasserpokemon!
Ich hatte das Gefühl, die Autofahrt würde ewig dauern. Meine Gedanken kreisten sich währenddessen immer nur um Team Aqua und Pokemon. Ich malte mir verschiedene Fantasien aus, in denen ich als bekanntester Wasserpokemontrainer zu Team Aqua gehörte, wie ich nicht mehr auf den Willen meiner Eltern hören musste, wie ich floh, frei war… Das alles würde jedoch nie geschehen, da war ich mir sehr sicher. Ich war viel zu schüchtern, lieb und ja, man könnte es schwach nennen. Diesen Willen hatte ich gar nicht abzuhauen, weshalb ich mich wohl bis an mein Lebensende mit der blöden Firma meiner Eltern rumplagen musste.
Und dann endlich nach drei Stunden Autofahrt waren wir am Ziel. Ich musste nicht mehr tun, als würde ich eins dieser schlauen Bücher lesen und konnte, wenn meine Eltern gut drauf waren, sogar alleine den Campingplatz unter die Lupe nehmen. Meine Eltern waren gut drauf. Während sie sich mit dem Aufbau des Zeltes beschäftigten und den Wohnwagen an Ort und Stelle brachten, durfte ich mich auf dem Campingplatz etwas umsehen und mir die Beine vertreten.
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So hier ist das 1. Kapitel in einer komplett überarbeiteten Version und teilweise etwas verändert. Mir persönlich gefällt es deutlich besser, vor allem vom Schreibstil her^^
Zudem habe ich einen Teil weggelassen, der vorher hier noch stand und den dafür in Kapitel 2 mitreingenommen. Außerdem ist das 1. Kapitel auch ungefähr 3 mal so lang geworden wie die erste Version hier. Na ja ich hoffe, es gefällt manchen Leuten und gibt Anlass zum Weiterlesen^^
Wer diese FF anfangen will, kann sich überlegen, ob er nicht lieber die Überarbeitungen der anderen Kapitel abwarten will.
Ich würde mich über Lob, Kritik und Verbesserungsvorschläge sehr freuen^,^
lg -Hakura