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Pralinen des Lebens

von

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Pralinen

Forrest Gump ist – für eine Kinofigur – ein ziemlich schlauer Kerl. Wie sagte er so schön?„Das Leben ist wie eine Pralinenschachtel, man weiß nie, was man bekommt.“

Oh ja, das sind sehr weise Worte...
 

Es war Sonntagvormittag. Ein langweiliger Sonntagvormittag, den man am besten im Bett verbrachte. Vor allem dann, wenn man sich die Nacht bei einer Session mit dem Warcraft-Clan um die Ohren geschlagen und einen anderen Clan erfolgreich geschlagen, ja regelrecht vernichtet hatte. Und genau das tat Joy. Schlafen. Wenigstens bis es klingelte.

Vollkommen entnervt wühlte sie sich aus den Tiefen ihres Bettes hervor. Sie blinzelte Richtung Wecker und fluchte unterdrückt. Es war erst kurz vor elf. Definitiv keine Zeit, um aufzustehen. Vor allem nicht nach einer langen Warcraft-Nacht...

Es klingelte erneut. Joy seufzte, warf die Bettdecke bei Seite und stand auf. Ihr Vater machte offenbar keine Anstalten, die Tür zu öffnen, und da sie keine Angestellten hatten, wie die meisten Leute in dieser Wohngegend, musste Joy in diesen aktuell extrem sauren Apfel beißen und sich auf den Weg zur Haustür machen.

Sie strich sich das rotbraune Haar aus dem Gesicht und tapste zur Treppe. Im Erdgeschoss hörte sie, wie ihr Vater in der Küche herumhantierte. Bei dem Krach, den er veranstaltetet, war es kein Wunder, dass er die Klingel nicht gehört hatte. Neben ihm konnte wahrscheinlich eine Bombe explodieren und er würde es erst bemerken, wenn er durch die Luft flog. Wenn überhaupt...

Joy lächelte. Ihr Vater tat wirklich alles, um ihr möglichst auch eine Mutter zu sein.

Es klingelte wieder.

„Jaaaaaaaa....“, maulte das sechzehnjährige Mädchen. Sie riss die Tür auf und erstarrte.

Ein Paar leuchtend blaue Augen blickten sie an. Und zwar aus einem nur allzu vertrauten Gesicht. Siedend heiß fiel ihr ein, was sie gerade eigentlich trug. Viel zu kurze Hotpants, ein riesiges T-Shirt mit einem grünen, flauschigen Monster, das ein kulleräugiges „Hab mich lieb“ von sich gab, - glücklicherweise aber auch die kaum vorhandenen Hosen verdeckte -, und dazu ein Paar dicke Wollsocken. Joy knallte die Tür zu.

Mit rasendem Herzen lehnte sie sich dagegen. Okay, sie hatte gerade ihr Todesurteil unterschrieben. Sie hatte ja so schon einen schweren Stand in der Klasse, weil sie zu unangepasst und offenbar zu ungewöhnlich für dieses snobistische Viertel und seine Kinder war – und jetzt das! Sie stand in diesen absolut peinlichen Schlafklamotten vor dem Klassensprecher und Mädchenschwarm schlechthin. Wunderbar, am besten brachte sie sich gleich um! So konnte sie wenigstens dem Gemobbe am kommenden Montag entgehen.

Joy fluchte lautstark. Dann schreckte sie auf. Moment mal! Was machte Kyle eigentlich hier?

Bevor sie jedoch dazu kam, weiter darüber nachzudenken, klingelte es wieder. Gott, was wollte dieser Kerl nur?

Ach, es konnte ihr egal sein. Sie würde jetzt wieder ins Bett gehen, schlafen und hoffen, dass das alles hier nur ein Albtraum gewesen war.
 

Gerade als sie wieder an der Treppe angekommen war, kam ihr Vater aus der Küche.

„Hat es nicht gerade geklingelt, Schatz? Ich dachte, ich hätte etwas gehört...“ Er lächelte seine Tochter liebevoll an. Dass er so etwas wie ein ‚guten Morgen’ vollkommen vergessen hatte, bemerkte er gar nicht. Zu sehr war er auf seine Aufgabe in der Küche konzentriert gewesen und war mit den Gedanken offenbar immer noch dort. Eine Eigenschaft, die Joy ihm jederzeit verzieh. Tat er doch alles für sie. Wirklich alles. Und ein klein bisschen ‚Verpeilung’, wie sie es gerne nannte, war dagegen doch wirklich gar nichts. Abgesehen davon, war es manchmal ganz praktisch war, dass ihr Vater nichts mitbekam.

„Äh... Nein.“ Joy schüttelte energisch den Kopf.

„Oh... Ich dachte. Weißt du, ich wollte schon längst mit dir darüber reden...“ Weiter kam er nicht. Erneut ließ die Tierklingel ihr schrilles Gejammer hören.

„Ah, das sind sie sicher.“

Sie? Ihr Vater erwartete jemanden? Verwundert sah Joy zu der Tür, die ihr Vater gerade öffnete.

„Beatrix, Kyle. Herzlich willkommen.“

Er trat bei Seite und ließ den blonden Jungen eintreten. Ihm folgte eine hübsche Frau Mitte vierzig, die die gleichen leuchtend blauen Augen hatte wie ihr Sohn. Und die Joy bei ihrer ersten ‚Ich öffne die Tür’-Aktion vollkommen übersehen hatte.

„Das ist meine Tochter Joy. Na, Kyle, du kennst sie ja.“

„Ja, Herr Clayton.“ Kyle nickte und schenkte Joy ein strahlendes Lächeln. Das Mädchen runzelte die Stirn. Irgendwie fühlte sie sich in einem vollkommen falschen Film. Was passierte hier eigentlich gerade?

„Hallo, Joy.“ Die Frau reichte Joy die Hand und vollkommen perplex erwiderte das Mädchen die Geste, brachte aber keinen Ton raus. Was machte Frau Bryn hier?

„Ähm, Joy, zeigst du Kyle dein Zimmer und machst dich fertig? Wir können in einer halben Stunde essen...“ Joys Vater schien Herr der verwirrenden Lage zu sein, was Joy wohl noch mit am meisten erstaunte. Das trug wahrscheinlich nicht wenig dazu, dass sie jetzt nur nickte und Kyle deutete, ihr zu folgen.
 

„Du hast keine Ahnung, warum wir hier sind, oder?“, fragte der Junge, während sie die Treppe hinaufgingen.

Joy zögerte einen Moment. Natürlich konnte sie ihm etwas vorspielen, aber das würde wohl kaum lange unbemerkt bleiben und sie letztlich noch blöder dastehen lassen, als wenn sie die Wahrheit zugab.

„Nein, ich habe nicht den blassesten Schimmer.“

Joy stieß die Zimmertür auf, die sie vorhin wohl tatsächlich zugezogen hatte, knipste das Licht an und ließ sich auf das zerwühlte Bett fallen. Auffordernd blickte sie Kyle an, der sich jedoch gerade aufmerksam in ihrem Zimmer umsah.

„Du magst japanische Rockmusik, was?“ Kyle betrachtete die Poster an den Wänden genauer. Da hingen X Japan, L’arc en ciel, Gackt und Luna Sea durcheinander. „X Japan sind echt cool.“

Joy war erstaunt darüber, dass Kyle diese Acts überhaupt etwas sagten und noch erstaunter darüber, dass er X wohl wirklich kannte, doch darauf wollte sie jetzt nicht eingehen. Was sie jetzt wollte, war endlich wissen, was hier eigentlich geschah!

„Also, sag schon!“, forderte sie den Jungen auf. Kyle wandte sich um und lächelte sie etwas zögerlich an. Er schubste einen Stapel Wäsche von ihrem Schreibtischstuhl und ließ sich darauf nieder. Nachdenklich knetete er seine Finger.

„Es ist komisch, dass dein Dad dir das nicht gesagt hat. Und dass du nichts mitbekommen hast... Meine Mutter und dein Vater... Sie gehen jetzt seit knapp zwei Jahren zusammen aus...“

„Aha.“ Das war alles, was Joy hervorbrachte.

„Ich sag doch, komisch, dass du das nicht mitbekommen hast.“

„Na ja, Dad hat nie Frauen mitgebracht... Ich wusste, dass er Dates hat, aber nicht mit wem.“, rechtfertigte sie sich.

„Hm... Wir sind jetzt hier, um es offiziell zu machen. Die beiden... Sie wollen zusammenziehen.“

Joy starrte Kyle aus weit aufgerissenen Augen an. „Das ist nicht dein Ernst, oder?“

Der Junge sah sie nur an und nickte dann schwach.

„Das nennt man wohl Überraschung.“, murmelte Joy leise.

Kyle zog eine Augenbraue hoch. „Das ist alles? Ich hatte etwas mehr Reaktion erwartet. Oder bist du wirklich dermaßen... cool?“

„Nicht cool...“ Joy schüttelte energisch den Kopf. Diese Aussichten fühlten sich zwar äußerst komisch an, aber nicht unbedingt... schlecht. Und es fühlte sich auch nicht gerade schlecht an, hier zu sitzen und mit Kyle über diese Dinge zu reden, auch wenn sie das niemals erwartet hätte.

„Es ist... Ich gönne es ihm einfach, glücklich zu sein. Er tut alles für mich. Und für ihn waren die letzten fünfzehn Jahre auch nicht leicht. Warum sollte ich mich da seinem Glück in den Weg stellen?“ Sie schüttelte erneut den Kopf. „Und wenn er deine Mutter derart gerne mag, dann muss sie echt eine tolle Frau sein.“

Jetzt war es Kyle, der sie verblüfft anstarrte. Es dauerte eine Weile, bis er seine Sprache wieder fand.

„Du bist echt unglaublich.“ Er lachte. „Nimmst du deinen neuen Bruder auch so auf?“ Ein fast flehender Ausdruck lag plötzlich in seinen Augen.

Joy legte den Kopf schief und musterte ihn nachdenklich. Was wusste sie schon von diesem Jungen? Doch eigentlich gar nichts. Vielleicht war sie jetzt zu rational und viel zu vernünftig, aber sie würde ihm eine Chance geben. Zu verlieren hatte sie nichts – aber viel zu gewinnen.

„Der kriegt seine Chance. Die Bewährungsprobe ist morgen. Ich bin gespannt, ob ich fiese Kommentare über mein Shirt höre.“

Joy grinste, während Kyle beleidigt den Mund verzog.

„Man merkt, dass du mich nicht kennst...“

Joy zuckte mit den Schultern. „Na, ich habe ja noch genug Zeit, dich kennen zu lernen.“ Ihr Grinsen wurde breiter und langsam ließ sich Kyle davon anstecken.
 

Ja, das Leben ist wirklich wie eine Schachtel Pralinen, bei der man nie weiß, was sie enthält. Mir hat sie das geschenkt, was ich nie erwartet hatte: Eine Mutter und einen Bruder.

Wie diese Pralinen schmecken? Nun, wir werden sehen. Aussehen tun sie jedenfalls ganz gut.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Himeka
2007-02-08T15:58:02+00:00 08.02.2007 16:58
Miiii, wie süß!!!!
Diese Story ist Klasse. Wirklich megamäßig toll!! Sie trifft genau meinen Geschmack^^ Super gut geschrieben und auch die Art so... miii mi mi *knuddel* einfach super!!!!


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