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Tage der Vergeltung

von

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Chapter XI

Ruinen

Regenwald der Sierra Madre

10. 25 h

25. Mai
 

Der Weg erwies sich als wesentlich beschwerlicher als der, der zu den beiden Tatorten geführt hatte. Es ging beständig bergauf und nicht selten mussten sie über feuchte, rutschige Hänge klettern. Der Boden war durch die heftigen Regenfälle der letzten Tage aufgeweicht und bot nur mäßig sicheren Halt. Zudem wurde das Licht untern den Bäumen immer schwächer, so dass sie ihren Weg nur schemenhaft vor sich ausmachen konnten und immer wieder gefährlich ins Stolpern gerieten. In der Ferne rollte bereits leiser Donner.

Als sie nach einer schier endlosen Zeit die Ruinen erreichten waren sie alle drei außer Atem und in Schweiß gebadet. Mulder fluchte unwirsch und lies sich erschöpft an einem Baum nieder, um einen Moment Atem zu schöpfen. „Verdammt, ich denke ich verstehe jetzt, was es mit dem Spruch 'sich in die Büsche schlagen' auf sich hat.“ Missmutig betrachtete er seine Handflächen, die blutig waren von dem ungleichen Kampf mit den Waldpflanzen. „Zu meinem Hobby wird das jedenfalls nicht.“

Scully bedachte ihn lediglich mit einem „Selber-Schuld“-Blick und folgte Lucàr, der bereits zu den Ruinen hinüber gegangen war und an einem der Eingänge auf die beiden Agenten wartete.

Wie schwarze Löcher fraßen sich diese Zugänge in die verwitterten Steinmauern, der überwiegende Teil allerdings verborgen hinter einer Wand aus Schling- und Kletterpflanzen. Die Gemäuer standen in einigem Abstand zueinander und unter ihren Füßen konnte Scully noch immer stellenweise gefliesten Boden erkennen, was sie vermuten lies, dass es sich hier einst um einen großen Platz gehandelt haben musste. Doch schon lange hatte die Natur diesen Ort wieder für sich zurück gewonnen. Ebenso wie an den Gebäuden selbst der Zahn der Zeit nagte und sie verfallen lies. Versunken in dem Meer der grünen Hölle ließen sich ihre damaligen Ausmaße lediglich erahnen, einst beeindruckender Prunk zu Staub zerfallen.

Lucàr riss die Agentin aus ihren Gedanken, als sie langsam zu dem jungen Mann herantrat. „Dies hier ist das ehemalige Hauptgebäude. Es ist das einzige, welches man noch ungefährdet betreten kann. Alle umliegenden sind eingestürzt oder drohen es in naher Zukunft zu tun. Allerdings muss ich sie darauf aufmerksam machen, dass auch hier eine gewissen Gefahr nicht ausgeschlossen werden kann. Diese Gebäude sind alt, sehr alt und niemand kann voraussagen wann sie sich dem Sog der Vergangenheit geschlagen geben werden.“

Mulder hatte sich wieder auf die Beine gekämpft und kam nun zu ihnen herüber. Ehrfürchtig glitt sein Blick dabei über die Gemäuer, er mochte gar nicht abschätzen wie lange sie hier bereits ihr Dasein fristeten. Nur schwach bahnten sich Lichtstrahlen einen Weg bis hier herunter, ließen die Luft flirrend vibrieren und tauchten den Ort in sanftes, grünlich-graues Zwielicht. Er schauderte.

„Diese Gefahr werden wir wohl eingehen müssen. Wir sind bis hierher gekommen, da lass ich es mir nicht nehmen auch den Rest zu sehen.“

Sie betraten die Ruine hintereinander. Lucàr ging voraus, Scully folgte ihm und Mulder bildete den Schluss. Bereits nach wenigen Schritten mussten sie die mitgebrachten Fackeln entzünden und folgten dem Pfandfinder den Gang hinunter, der sich um unzählige Kurven wand, an düsteren Räumen und Abzweigungen vorbei immer tiefer hinein in das Herz. Mit jeder Treppe die sie hinabstiegen wurde die Luft verbrauchter und stickig, die Flamme der Fackel zuckte unruhig, als wolle sie sich über diesen Umstand beschweren.

Als Lucàr für einen kurzen Moment an einer Kreuzung stehen blieb um sich zu orientieren, platzte Scully die Frage heraus, die ihr bereits seit geraumer Zeit auf der Zunge brannte: „Sagen Sie, Lucàr, sind Sie sich auch sicher, dass Sie sich hier auskennen“ Ich an meiner Stelle hätte bereits lange die Orientierung verloren.“ Sie war noch immer misstrauisch, was Mulder ihr nicht verübeln konnte. Von einer unbekannten Person derart abhängig zu sein wie sie es im Moment waren, waren sie beide nicht gewohnt – und es missfiel ihnen.

Lucàr lächelte kühl und sah sie nicht einmal an, als er antwortete. „Hätte ich einen Grund sie hier her zu bringen, wenn ich mich hoffnungslos verlaufen würde? Es entspricht nicht meinem eigenen Kodex jemanden zu betrügen, der ernsthaft daran interessiert ist, meinen Freunden zu helfen.“

Scully lies es dabei bewenden und folgte ihm weiter den Gang hinunter, auch wenn das flaue Gefühl in ihrem Magen blieb.

An vielen Stellen war die Decke des Ganges bereits eigestürzt oder sie mussten umkehren, weil sie sich in einer Sackgasse befanden. Als sie schon nicht mehr zu glauben wagten, etwas zu finden, erreichten sie das, wonach sie gesucht hatten. Den Raum, in dem vor Jahrzehnten die Sekte hingerichtet und verscharrt worden war. Die Decke hing hier besonders niedrig über ihren Köpfen und war durchzogen von faustgroßen Rissen. Recht mittig des Raumes waren sogar vereinzelte Steinquarder herausgebrochen. Gedämpftes Licht sickerte durch diese Öffnung und ein schwacher Luftzug wirbelte den Staub am Boden darunter auf.

Lucàr machte eine Geste durch den Raum. „Hier ist es. Ein einziges der acht Gräber ist noch intakt und unangetastet. Ich kann ihnen nicht sagen wer so etwas getan haben könnte, aber wie sie sehen sind die anderen sieben vollkommen zerstört.“

Mulder und Scully gingen Seite an Seite von Grube zu Grube. Jede einzelne von ihnen war ausgegraben worden, die Leichen herausgehoben und bis zur Unkenntlichkeit zerstört worden. Jetzt waren nur noch bleiche Knochenhäufchen zwischen Sand und Trümmern zu erkennen.

Mulder ging neben dem noch erhaltenen Grab in die Hocke und ließ seine Finger behutsam durch den feinen Sand gleiten. Seine Augen wurden schmal und er runzelte die Stirn, als er mehrere kleine Löcher im Boden über dem vergrabenen Sarg entdeckte. Er griff nach einem Stock und begann in sie hinein zu stochern. Sie waren so tief, dass er den Boden nicht erreichen konnte. „Scully, sehen Sie sich das einmal an!“

Sie kam zu ihm herüber und warf einen Blick über seine Schulter. Er deutete auf die Löcher, wobei er sie allerdings nicht ansah, so dass er ihre plötzliche Blässe nicht bemerkte. „Können Sie sich das erklären?“

Sie schüttelte den Kopf. „Vielleicht ein Tier oder ähnliches. Ein Insekt das sich in dem geschützten Hohlraum eine Bleibe eingerichtet hat. Aber gesehen habe ich so etwas noch nie.“

Eine Weile schwiegen sie beide grübelnd. Doch dann richtete sich Scully auf und schaute sich suchend um. „Mulder!“ Ihre Stimme klang alarmiert und Mulder reagierte sofort. Er stand auf und begriff, was Scully so beunruhigte.

Lucàr war verschwunden.

Schulter an Schulter standen sie da und blickten sich ratlos um. Drei weitere Räume grenzten an diesen an, und der Gang aus dem sie zuvor gekommen waren. Doch nirgends konnten sie den Pfandfinder entdecken.

Scully fluchte. Ich wusste, dass wir ihm nicht trauen können!“ Ihrer Stimme war deutlich anzuhören, dass sie viel mehr Angst hatte, als sie Ärger empfand. Scully hatte selten Angst, aber wenn, dann war es zumeist berechtigt. So wie jetzt.

„Lucàr?“ Mulder lauschte, doch außer seines eigenen Echos war nichts zu hören. Nichts rührte sich, es herrschte absolute Stille. Langsam bekam auch der FBI-Agent ein ungutes Gefühl im Magen. „Wir müssen ihn suchen, oder zumindest einen Weg nach draußen finden.“ Er warf einen prüfenden Blick in das Loch in der Decke, doch der Schacht war für einen erwachsenen Menschen viel zu eng.

„Nun gut, Sie suchen in diesem Raum, ich in diesem. Aber wir bleiben immer in Blickkontakt!“

Sie begannen zu suchen. Die umliegenden Räume, die dahinter liegenden Gänge – nichts. Sie verfolgten den Weg zurück den sie gekommen waren, suchten im Sand nach Fußabdrücken und riefen nach Lucàr. Doch sie erhielten noch immer keine Antwort.

Schleichende Nervosität ergriff von den beiden Agenten Besitz. Sie kannten den Weg nicht, der nach draußen führte, und selbst wenn doch, so würden sie den Weg zurück ins Lager noch wesentlich weniger finden. Wenn Lucàr tatsächlich verschwunden war, warum?

Plötzlich hörten sie Schritte die sich ihnen aus einem der Gänge, die von den angrenzenden Räumen abgingen, näherten. Alarmiert huschten Mulder und Scully tiefer in die Schatten der Fackeln, Mulders Hand schwebte über seinem Revolver. „Lucàr?“

Die Schritte hielten inne, als die Stimme des FBI-Agenten durch die Gewölbe hallte, um sich dann in drückender Stille zu verlieren. Der Gang war nur wenige Schritte weit beleuchtet und wurde dahinter zu einem formlosen schwarzen Loch. Noch immer konnten sie nicht erkennen wer Verursacher der Schritte gewesen war.

Um ein Haar hätte Mulder den Pfandfinder über den Haufen geschossen, als dieser mit verwundertem Blick aus dem Gang trat. „Mensch Leute, ich habe sie gesucht! Wo zum Teufel sind sie gewesen? Ich habe ihnen doch ausdrücklich zu verstehen gegeben, dass wir uns in keinem Fall trennen dürfen.“ Tadelnd blickte er von Scully zu Mulder.

„Nicht wir waren es, die urplötzlich verschwunden sind. Sie waren mit einem Mal fort, Lucàr.“ Scullys Augen waren nicht mehr als schmale Schlitze und sie sah den jungen Mann mit unverhohlenem Misstrauen an. „Wo waren Sie?“

Lucàr hob entschuldigend die Hände. „Oh ich bitte Sie! Ja, ich war für ein paar Sekunden im Nebenraum, nicht sehr weit. Ich b in sofort wieder zurückgekommen, aber da waren sie bereits weg. Ich wäre doch schön blöd, wenn ich sie her unten allein sitzen lassen würde.“

„Wir haben die Räume abgesucht, aber Sie haben wir nirgends gesehen.“

„Dann sind wir vermutlich die ganze Zeit im selben Abstand umeinander herum geschlichen. Ich habe sie schließlich auch rufen hören. Wären sie stehen geblieben, wäre ich gleich wieder bei ihnen gewesen.“ Ärger schwang in seiner Stimme und für einen Augenblick rang sein Blick mit dem von Scully. Dann riss er sich los und stapfte zurück in den Raum mit den Gräbern. Dort ließ er sich an einer der Wände zu Boden rutschen und blieb dort sitzen, ohne die Agenten noch einmal zu beachten.

Seine Kiefer mahlten. Nur mühsam hatte er seinen Zorn eben beherrschen können, der sich noch immer blitzend in seinen Augen spiegelte. Mit einem Knirschen zerbrach er einen dürren Knochen, mit dem er gespielt hatte. Er schnaubte abfällig, dann schloss er die Augen.

Mulder schritt noch einmal die zerstörten Gräber ab und ließ seinen Blick umherschweifen. Er wollte sich jedes Detail einprägen. Als sein Fuß gegen etwas hartes stieß, dass bereits halb vom Sand verschüttet worden war, ging er in die Hocke. Steinscherben aus brüchigem, alten Ton. Er hob eine davon vor seine Augen, doch die verzierte Inschrift war bereits bis zur Unkenntlichkeit verblasst. Er richtete sich wieder auf und wandte sich zu Scully, ohne jedoch den Blick dabei zu heben. „Scully, für wie alt halten Sie die?“

Als seine Partnerin nicht reagierte schaute er verwundert auf. Erschrocken ließ er die Scherbe in seiner Hosentasche verschwinden, streckte die Arme aus und konnte sie im letzten Moment noch auffangen, als sie vor seinen Augen zusammenbrach. Sie war aschfahl und kalter Schweiß bedeckte ihr Gesicht und ihren ganzen Körper. Schwach strich ihr Atem über Mulders Wange, als er sie behutsam auf den Boden gleiten ließ, und ein Zittern huschte gleich einem Schauer über sie hinweg. „Scully...“ Besorgt prüfte er ihre Vitalfunktionen und sah zu Lucàr auf, der aufgestanden war und nun zu ihm herüber kam. Seine schwarzen Augen funkelten und Mulder war, als würde er einen Hauch grimmiger Befriedigung in ihnen erkennen. Doch der Moment verflog und ein leises Stöhnen der Agentin lenkte seine Aufmerksamkeit davon ab.

„Was hat sie?“

Mulder schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht. Vermutlich ist die Luft hier unten zu schlecht. Das Klima allgemein scheint ihr recht stark zuzusetzen. Ihr Puls ist sehr schwach und sie atmet nur flach. Wir müssen sie hier herausbringen, damit sie wieder befreiter atmen kann und zu sich kommt.“ Er stand auf und hob Scully vom Boden. Bewusstlos wie sie war lastete sie schwer auf seinen Armen. „Bringen Sie uns auf dem schnellsten Wege hier heraus, Lucàr!“

Als sie aus den Ruinen heraustraten wehte der Wind in kleinen Böen um die Gemäuer und die Sonne war gänzlich hinter tiefliegenden Wolken verborgen. Die Luft war feucht und drückend und bot nicht allzu große Erleichterung gegenüber der abgestandenen Luft unter der Erde. Mulder fröstelte. Er fühlte sich an diesem Ort alles andere als wohl. Irgendwo in seinem Hinterkopf spürte er Angst aufsteigen. Angst vor etwas das er zwar kannte, aber nicht benennen konnte.

Er setzte Scully am Fuße eines Baumriesen ab und fächelte ihr, so gut es eben ging, frische Luft zu. Doch es dauerte noch eine ganze Weile, bis sie ihr Bewusstsein wiedererlangte. Verwirrt sah sie zuerst Lucàr, dann Mulder an. „Was ist passiert?“

Der Pfadfinder streckte ihr hilfsbereit eine Hand entgegen, als sie versuchte aufzustehen. „Sie sind zusammengebrochen. Ich nehme an, dass dieser kleine Trip Sie doch mehr angestrengt hat als wir anfangs dachten. Sowas kann schon mal vorkommen, sorgen Sie sich nicht.“

Scully ignorierte die angebotene Hilfe und stand aus eigener Kraft auf. Sie hatte die Auseinandersetzung von vorhin keinesfalls vergessen und auch nicht den Blick, den sie anschließend mit ihm gewechselt hatte. Dieser Mann war gefährlich.

Mulder funkte dazwischen, ehe diese offen dargelegte Ablehnung Scullys zu erneutem Streit führen konnte. „Wir sollten uns auf den Weg zurück zum Lager machen. Es wird bald dunkel und ich möchte nicht nach Anbruch der Nacht draußen umherwandern.“

Schweigend stimmten sie diesem Vorschlag zu und ergriffen ihre Macheten, um sich einen Weg nach Hause durch diese grüne Hölle zu bahnen.



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