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Tage der Erinnerungen

von

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Zum ersten Mal... Liebe?

Der erste Tag verlief danach sehr ruhig, was vielleicht hauptsächlich daran lag, dass ich selbst kaum sprach.

Er fragte mich nach meinem Alter und ich antwortete kurz, worauf er sagte, er sei 27 – was mich zugegeben irgendwie wunderte, obwohl ich gar nicht darüber nachdenken wollte. Einerseits sah er so jung aus und andererseits... Kann man mit 27 schon Beamter in so einer Anstalt werden?

Er fragte weiter, ob ich Geschwister hätte und ich verneinte. Die Wahrheit erfuhr er erst später irgendwann... wenn er sie nicht schon aus den Akten kannte, wie alle anderen Antworten, die er von mir hören wollte.

Er fragte auch nach meinen Eltern, doch zu dem Thema bekam er nichts aus mir heraus. Was hätte ich ihm auch sagen sollen, außer, dass sie mich wahrscheinlich hassten?

Ebenso wollte er wissen, ob ich Freunde draußen oder hier drinnen hätte. Als ich langsam den Kopf schüttelte, sahen wir uns direkt in die Augen... und es war ein irgendwie sehr intimer Blick.
 

Mehr bekam er an dem Tag nicht aus mir heraus, genau wie an den folgenden, auch wenn er es immer wieder versuchte. Besonders bei der Frage, wie mein Leben vor der Anstalt aussah, blockte ich immer wieder ab. Darüber sollte er nichts erfahren, darüber sollte niemand was erfahren, nicht mehr als das, was sie wahrscheinlich ohnehin schon wussten. Zumindest hatte ich mir das vorgenommen, doch zum ersten Mal war ich irgendwie gewillt, über mein Leben zu reden.

Das machte mir... Angst.

Sowieso wunderte es mich, dass er trotz allem immer noch so freundlich zu mir war... Sein Interesse wirkte nicht einmal geheuchelt, sonder aufrichtig interessiert. Vielleicht machte mir seine Anwesenheit deshalb Angst... auf diese ganz abstruse Art und Weise. Vielleicht weil sich durch sie alles viel zu schnell änderte, meine Erfindungen, meine Gleichgültigkeit...

Ich verstand es einfach nicht, wieso meine Gedanken plötzlich so oft ihm galten, wieso ich schon am dritten Abend nicht mehr so gut einschlafen konnte und stattdessen stundenlang die Decke anstarrte, ohne diese überhaupt zu sehen. Ich verstand nicht, wieso mir abwechselnd heiß und kalt wurde, wenn ich an ihn dachte... wieso ich ständig sein sanftes Lächeln vor mir sah. Nicht einmal die Drogen halfen dabei, dies zu unterdrücken. Seit langem schon hatte ich mir über niemanden mehr solche Gedanken gemacht und genau darum beunruhigte es mich.
 

Am folgenden Montag – nach einem Wochenende, durch das mich meine Gedanken schwer gequält hatten – wurde ich wieder zu ihm gebracht. Wie auch an den Tagen der vergangenen Woche saß ich still auf meinem Stuhl und er versuchte wieder, mich zum Reden zu bewegen. Dieses Mal merkte er allerdings schnell, dass es nichts brachte, also schwiegen wir die gesamten fünf Stunden der Therapiestunde. Ich versuchte mich mit irgendwelche Gedanken abzulenken, was nichts brachte, da diese eh bei der einzig noch anwesenden Person hingen. Dennoch ertrug ich unser Schweigen gut.

Bei niemandem zuvor hätte ich es ausgehalten – mal abgesehen davon, dass es sie nicht gab, da die Typen das nicht zuließen – Ich wäre verrückt geworden. Genauso wenig hätte ich Blickkontakt gehalten, was bei Nathan jedoch nicht selten vorkam. Immer wieder blickte ich verstohlen zu ihm und oft trafen sich dabei unsere Blicke. Jedes Mal ließ es mich erschaudern.
 

So verging eine weitere Woche, in der ich selbst nicht mehr als knapp zehn Sätze von mir gab. Dafür begann nun er aber, die Stille zu brechen. Einmal brachte er Musik mit. Klavierstücke von Mozart oder so. Wir schwiegen und lauschten... und Abends fühlte ich mich seit langem irgendwie gut, keine Ahnung wieso.

Und schließlich, am nächsten Tag, begann er zu erzählen, beantwortete für sich selbst die Fragen, die er mir gestellt hatte. Er erzählte mir von seinen Hobbys, seiner Vergangenheit... dem Leben draußen. Ich erfuhr so vieles und egal wie oft ich mir einredete, dass es mich kein bisschen interessierte, so hörte ich ihm doch unglaublich gerne zu. Mehr noch... ich wartete fast begierig darauf, weitere Details über ihn zu erfahren...

Mit Anbruch dieser Woche verging bald kaum eine Stunde, in der ich nicht an ihn dachte... Ich fragte mich, was mit mir los war, denn ich verstand nicht, warum ich mich so zu ihm hingezogen fühlte, warum ich mich plötzlich auf die Therapiestunden freute... und wieso ich meine Drogen nur noch Abends nahm, wenn gerade kein Treffen mit ihm bevorstand.

Konnte es wirklich sein, dass ich diesen freundlichen Augen glaubte?

Ja. Ich denke unterbewusst hatte ich schon da ein gewisses Vertrauen zu ihm, auch wenn ich bis heute nicht weiß, wie er dies geschafft hat. Tatsächlich war seit Anfang an diese gewisse Spannung zwischen uns, die alles anders sein ließ... die ihn so komplett unterschied, von all den andren Therapeuten.

Ich denke, er tat mir einfach von Anfang an gut...
 

Dann brach die dritte Woche an und wieder schien es, als würde sich nichts ändern. doch an dem Tag wollte eine Frage aus mir hinaus, die ich seit ein paar Tagen hegte. Es war mir peinlich ihn zu fragen, doch ich tat es dennoch.

Nur mühsam und nach mehreren Anläufen kamen die Worte „Was bedeutet es, wenn man nur noch an eine Person denken kann?“ über meine Lippen.

Das Lächeln, welches darauf auf seinen Lippen erschien, war das Bezauberndste, was er mir bis dahin geschenkt hatte. Doch ich konnte es nicht lange genießen, denn er wandte sich ab und schaute aus dem Fenster.

„Um dir eine Antwort geben zu können, muss ich ein paar Sachen wissen...“, begann er, fragte dann: „Denkst du im guten oder schlechten an die Person?“

Ich wurde rot, weil es mir vor mir selbst peinlich war, antwortete natürlich das im Grunde Positive. Am liebsten wäre ich geflüchtet.

„Wenn du an die Person denkst, bist du glücklich? Geht es dir gut?“, fragte er weiter.

Über diese Frage musste ich etwas nachdenken, bevor ich antwortete. War ich glücklich wenn ich an ihn dachte? Ging es mir... gut?

Schließlich antwortete ich wirklich mit einem einfachen „Ja“, denn alles andere wäre gelogen gewesen.

Er stellte noch ein paar derartiger Fragen und mir wurde das Ganze zunehmend unangenehmer – bis dato ein vollkommen unbekanntes Gefühl. Irgendwie fühlte ich mich ein kleinwenig ausgeliefert.

Dann setzte er sich auf den Hocker direkt neben mich und sah mir fest in die Augen. Ich erwiderte den Blick mit einem unguten Gefühl.

Es folgte seine letzte Frage: „Denkst du, dass es Liebe ist?“

Diese Frage erschreckte mich, mit so etwas hätte ich nicht gerechnet. Ich senkte meinen Kopf und lief rot an.

Er bekam keine Antwort, jedenfalls nicht mit Worte. Aber ich denke mein Schweigen war für ihn genug, auch wenn ich mir selbst der Antwort nicht sicher war... oder vielleicht auch einfach kein ‚Ja’ zulassen wollte.
 

Den Rest des Tages schwieg ich beharrlich und war mit meinen Gedanken weit entfernt.

War es Liebe? Ich wusste es nicht, denn ich wusste nicht, was Liebe war.

Nicht all zu oft hatte ich etwas davon gehört, aber ich wusste, dass es als das schönste Gefühl der Welt definiert wurde. Doch welches Gefühl? Und was würde ich tun, wenn er recht hatte?

Am jenem Abend nahm ich mir zum ersten Mal eines der Bücher, ein altes Lexikon. Und tatsächlich fand ich etwas über den Begriff ‚Liebe‘. Hier wurde Liebe als etwas sexuelles definiert, als eine Art Trieb, zwar mit Gefühlen, aber dennoch auch mehr mit Verlangen.

Ich weiß nicht mehr genau, was dort stand, aber es passte kaum auf das, was ich empfand. Ich dachte nicht darüber nach, mit ihm ins Bett zu steigen oder ähnliches... ich fand es einfach nur schön, bei ihm zu sein.

Wenn es so nicht in diesem Buch stand, war es dann keine Liebe?

Am meisten erschreckte mich, dass mich diese Erkenntnis traurig stimmte.
 

In jener Nacht schlief ich nicht, da mich die Frage quälte, was es dann war, das ich empfand, wenn nicht Liebe. Ich kam mir dumm und unwissend vor, zum ersten Mal.
 

Am nächsten Tag ging ich mit gemischten Gefühlen zu Nathan und als ich ihn vor mir sah, rutschte mir mein wild schlagendes Herz in die Hose. Er merkte wie verkrampft ich an der Tür stand und kam auf mich zu.

„Bist du zu einer Erkenntnis gekommen?“

Es war so klar, was er meinte, und ich bekam augenblicklich weiche Knie. Seinem Blick hielt ich nicht stand, meine Hände zitterten wie Espenlaub und ich begann zu schwitzen. Was stimmte denn jetzt schon wieder nicht mit mir?

Er merkte es. Ich glaube mittlerweile, er merkte sowieso alles, was in mir vorging.

„Was hast du denn heute?“, fragte er vorsichtig und strich mir durch die Haare. Die erste Berührung seit langem, die mich nur noch mehr erzittern ließ. Ich schreckte zurück und wich seinem Blick noch mehr aus.

„Was... ist Liebe?“, fragte ich leise.

„Etwas schönes.“ Er hob meinen Kopf an, lächelte. „Es ist genau das Gefühl, was du mir gestern beschrieben hast. Bei einer Person sein zu wollen, immer an sie zu denken, sich gut zu fühlen, wenn sie da ist...“ Er ließ seine Hand sinken und nun sah ich ihn von alleine an. „Und es ist auch das Gefühl, diese Person berühren zu wollen, sie küssen und spüren zu können...“

„Ein sexueller Trieb?“, platzte es aus mir heraus und ich wurde rot.

Daraufhin lächelt er nur noch mehr. „Ja, irgendwie schon... Aber es gehört viel mehr dazu als das.“

Seine Worte gefielen mir und beruhigten mich langsam wieder ein wenig. War es also doch Liebe, dieses Gefühl in mir, das ich nicht verstand? Durfte ich es so nennen?

Darüber, dass ich dieses Gefühl eigentlich gar nicht empfinden durfte, dachte ich nicht nach, in dem Moment, in dem ich irgendwie glücklich darüber war, dass ich überhaupt so etwas empfinden konnte.

Wann hatte ich eigentlich das letzte Mal andere Gefühle, außer die meiner Sucht gehabt?

„Und?“, fragte er schließlich. „Ist es Liebe?“

Ich nickte... und ich glaube es war das erste Mal, dass ich ihn anlächelte.

„Das freut mich“, sprach er sanft und ich nickte noch mal, fühlte mich nackt wie nie zuvor. Doch zum ersten Mal störte es mich nicht, dass jemand so viel über mich wusste.
 

Wir standen einige Minuten einfach so da, irgendwie ziemlich nah beieinander, bis ich ein herzhaftes Gähnen einfach nicht mehr unterdrücken konnte. Ein Grinsen schlich sich auf seine Lippen.

„Müde?“

„Ja.“ Ich dachte an meine schlaflose letzte Nacht, und nun, da ich endlich zu einem Ergebnis gekommen war, spürte ich endlich die Müdigkeit.

„Na komm...“ Er trat einen Schritt zur Seite und deutete auf die Liege an der linken Wand. „Wenn du willst, kannst du dich etwas hinlegen...“

Wieder nickte ich, ging hinüber und folgte sogar seiner kommenden Anweisung, mir mein Hemd auszuziehen und mich auf den Bauch zu legen. Ich schloss die Augen und fühle mich irgendwie wohl, ein wenig erleichtert.

Nur kurz darauf spürte ich zwei kalten Hände auf meinen Schulterblättern, was mich zusammenzucken und die Augen wieder aufreißen ließ.

„Ruhig... Entspann dich.“ Seine Stimme glich einem Flüstern.

Langsam strichen seine Fingerspitzen über meine Haut bis hin zu meinem Nacken und begannen dann leicht damit, mich zu massieren. Es fühlte sich... toll an, atemberaubend. Noch nie hatte ich dergleichen erlebt, konnte mich nicht an solch zärtliche Hände erinnern. Wann immer mich andere Personen berührt hatten, war es grob gewesen, unfreundlich... doch dies hier war wiedereinmal so ganz anders.

Sein heißer Atem strich über meinen Nacken hinweg, verriet mir, dass er mir mit seinem Gesicht sehr nahe sein musste. Ich wurde nervös, irgendwie, obwohl ich mich wirklich entspannen wollte. Doch das ging einfach nicht, bei dem Gedanken, was hier gerade vor sich ging. Und schon wieder etwas, das ich nicht verstand.

Seine geschickten sanften Händen wanderten langsam an meinen Seiten tiefer, bis hin zum Hosenbund und von dort aus wieder hinauf zum Nacken. Seine Finger brannten regelrecht auf meiner Haut.

Doch ich spürte noch etwas anderes, das ich ebenso wenig kannte. Ich spürte ein unglaubliches Verlangen in mir, welches ihn meinerseits berühren und streicheln wollte. War das diese andere Art von Liebe, von der er sprach?

Es wurde noch schlimmer, als ich plötzlich etwas anderes auf meiner Schulter spürte. Leicht feucht und schön weich. Ich verkrampfte mich eine Sekunde, entspannte mich jedoch sofort wieder, als ich verstand, was mich da so sanft berührte, so sanft küsste. Dafür begann mein Herz wie wild zu rasen. Er hatte mich geküsst... und beließ es nicht bei diesem einen Mal, sondern begann nun vorsichtig meinen Rücken mit weiteren Küssen zu benetzen. Er wanderte hoch bis hin zu meinem Hals, leckte sanft darüber, knabberte sogar kurz, ließ dann jedoch ab.

Mein Herz klopft wie noch nie zuvor und erst als er aufhörte, öffnete ich wieder meine Augen und sah ihn an. Ich wollte protestieren, wollte, dass er weiter macht, doch mehr als seinen Namen bekam ich nicht über die Lippen, als ich seine Augen mich anfunkeln sah. Es war ein ganz anderer Blick als alle zuvor, und ein kleines, fast schüchtern oder ängstliches Lächeln umspielte seine Lippen. Es machte mich sprachlos und als er die Worte „schließ deine Augen“ flüsterte, ging ich dem nach, in der Hoffnung er würde sein Lippenspiel auf meinem Rücken wiederholen. Doch ich wurde enttäuscht, wanderten doch nur noch die sanften Hände über meine Haut.

Dafür war ich einige Minuten später eingeschlafen.
 

Vielleicht war all das auch nur ein Traum gewesen. Ohnehin musste ich etwas schönes geträumt haben, denn ich fühlte mich ausgeschlafen wie nie zuvor, als er mich nach fast vier Stunden weckte.

Zuerst spürte ich nur etwas weiches auf meiner Wange und erst als es wieder verschwand, war ich so wach, dass ich verstand, dass das ein Kuss war. Mir wurde ein sanftes „Aufwachen“ ins Ohr geflüstert. „Du musst gleich gehen.“

Spätestens da war ich mir nicht mehr sicher, was nun Realität und was Traum war. Das konnte schließlich alles nicht wirklich geschehen sein.
 

Ich glaub, den Rest des Tages lief ich wie in Trance herum und es war der erste Tag, an dem ich mir nichts spritze. Ich dachte gar nicht daran, so war ich in meinen Gedanken um Nathan vertieft. Erst als sich mein Körper am nächsten Morgen bemerkbar machte – schließlich war ich vor allem körperlich abhängig – erinnerte ich mich wieder an die Drogen... und zum ersten Mal freute ich mich mehr auf die bevorstehenden Stunden mit Nathan als über die Spritze.
 

Teil 3 - Ende



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  mangacrack
2006-06-27T17:17:22+00:00 27.06.2006 19:17
Ich fand das Kapitel sehr schön. In jedem anderen fall hätte es vielleicht kitschig gewirkt, aber hier zeichnet diese Friedlichkeit zischen den Beiden den Kontrast zu vorher und nacher ab. Das soll ja die 'schöne' Zeit in Zachs Leben werden. So als wenn man eine bunte Blume auf ein Bild mit grauen Tönen malt.
Aber du solltest darauf achten, dass sich dieses Glück auch im Rahmen hält. Wir wissen zwar noch nicht, was mit Nathan passiren wird, aber immerhin spielt das ganze im Knast und die dunklen Schatten der Vergangenheit verschwinden nicht so einfach, nur weil jetzt ein bisschen Liebe ins Spiel kommt.
Ich freu mich auf das nächste Kapitel

mangacrack


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