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Menschen, die auf Gras wandeln I+II+III

von

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Kapitel 47

Kapitel 47
 

Zwischen dem Moment an, als Seth in die Gemächer des Pharaos ging und bis zu dem Moment, in welchem er die Tore der Stadt hinter der Dünenspitze zurückließ, verging nur wenig Zeit. Es war noch dieselbe Nacht, in welcher er den Palast verließ und die Königsfamilie mit sich führte.

Damit es keinen Aufruhr gab, waren die Königin und ihre Kinder vermummt und an den Toren entließen die Nachtwächter die angeblichen Händler in den erwachenden Morgen, ohne die Reisenden weiter zu bedenken. Nur der Pharao und Fatil wussten, dass in diesem Moment die Königin und ihre Kinder aus der Stadt geschmuggelt wurden, um sie außer Gefahr zu wissen. Nicht nur die Gefahr, welche durch den Geliebten der Königin drohte, sondern auch die Vermutung, dass die Königin von Libyen bald eintreffen würde, veranlassten den Pharao zu diesem schnellen Schritt. Wenn ihm selbst etwas widerfuhr, so musste zumindest sein Erbe unbeschadet bleiben. Seth war nicht wohl dabei, ihn allein im Palast zurückzulassen und doch war es unvermeidlich. Er musste den Prinzen und die Erbfolge schützen und trug damit eine schwere Aufgabe.

Nicht wohl war auch der armen Königin Abunami. Sie wollte nicht glauben, was ihr Gemahl sprach, nachdem er sie aus dem Schlaf geholt hatte. Dass Ephrab, der Mann welchen sie so inniglich liebte, ihr nur etwas vorspielte und sie nun für seine eigene Machtergreifung opfern wollte, brach nicht nur ihr Herz, sondern auch ihren Glauben. Sie hatte ihn zur Rede stellen, die Dinge aufklären wollen, jedoch durfte sie sich dem ausdrücklichen Befehl ihres Gemahls nicht widersetzen. Wenn der Pharao sie fortschickte, musste sie dem folgen. Sie hatte geweint und gefleht und nun saß sie schweigend neben Seth auf dem von drei Pferden gezogenen Handelswagen, ihre schlichte, hellgraue Kutte um sich geschlungen und blickte mit feuchten Augen in die erwachende Wüste hinaus.

Seit sie den Palast verlassen hatten, sprach sie kein Wort mehr und Seth wusste, dass er ihr schwerlich Trost spenden konnte. Ihr Herz schmerzte über diesen schweren Betrug. Nur die kleine Prinzessin hielt sie schlafend auf ihrem Arm und wärmte sie gegen die nächtliche Kälte. Der junge Prinz saß ebenso in verhüllende Kleidung geschlungen wachend neben ihr und war zu aufgeregt, um zu schlafen. Noch niemals hatte er die Stadt verlassen. Er kannte den Grund für ihren plötzlichen Aufbruch nicht, aber für ihn war dieses Erlebnis eine Empfindung zwischen Spannung und Ehrfurcht. So traute auch er sich auf das Schweigen seiner Mutter hin lange kein Wort, bis es ihm dann doch zu sehr auf der Zunge brannte.

„Seth?“ fragte er leise.

„Ja, mein Prinz?“ antwortete er mit sanfter Stimme. Wenn er auch unruhig war und ungewiss, ob Fatils Plan funktionieren würde, so wollte er doch die Kinder und die Königin nichts von dieser Unsicherheit spüren lassen.

„Warum sendet Vater uns in die Wüste?“ Darüber dachte er wohl schon länger nach, aber nun erst traute er sich auch die Frage auszusprechen.

„Weil er Euch liebt“ erwiderte er. „Ihr wolltet doch schon lang ein Abenteuer in der Wüste erleben. Nun habt Ihr die rechte Gelegenheit dazu.“

„Aber die Wüste ist gefährlich. Hier gibt es Schlangen“ sprach er und blickte zu seiner Mutter herum. „Nicht wahr, Mutter?“

„Gefährlich sind ganz andere Dinge. Menschen, hinterhältiger als Schlangen.“ Ihre Stimme klang gebrochen und tief betrübt. Wie konnte sie ihrem Sohn Mut und Hoffnung machen, wenn sie selbst gerade so schmerzlich betrogen worden war?

„Mein Prinz“ bat Seth und berührte ihn vorsichtig am Arm. „Es wäre sicher gut, wenn Ihr nach hinten in den Wagen gehen würdet. Ihr solltet noch etwas ruhen, bevor die Hitze Euch schwächen wird.“

„Jawohl, Seth.“ Auch wenn er ein Prinz war, so war er folgsam und wohl erzogen. Er gehorchte dem priesterlichen Rat und ließ sich von ihm aufhelfen, um über die kleine Bank zu klettern und im hinteren Teil des Wagens sein Lager zu beziehen. Dort standen für ihn und die Königin weiche Matten zur Verfügung, um die unkomfortable Reise ein wenig angenehmer zu gestalten. Auch schliefen sie auf diese Weise sichtgeschützt, da der Wagen von schwerem Stoff überspannt war, um auch bei Tage vor der brennenden Sonne zu schützen. Als Händler hatten sie einige Waren mitführen können, jedoch den Luxus, welchen der Pharao auf seinen Reisen genoss, hatten sie zurücklassen müssen. Wenn jemand entdeckte, dass die Königsfamilie aus dem Palast fortgebracht wurde, so würde Ephrab seine Schergen ausschicken, um sie zu finden. Und das durfte nicht geschehen.

Die Königin war eine bodenständige und natürliche Frau, welche sicher auch ohne Luxus eine Weile auskommen konnte. Mit einem gebrochenen Herzen jedoch haderte auch sie.

„Meine Königin.“ Als der Prinz sich nach hinten begeben hatte, wollte Seth die Ruhe nutzen und ihr hoffentlich ein wenig die Sorge nehmen. „Bitte verzeiht, dass wir Euch so plötzlich fortbringen. Aber solltet Ihr einen Wunsch haben, werde ich mein Möglichstes tun, um es Euch ein wenig angenehmer zu gestalten.“

„Danke, Seth“ hauchte sie und schürzte ihre Lippen. „Aber ich kann es einfach nicht glauben. Warum sollte Ephrab mich und meine Kinder vergiften wollen? Und Shaiph … er tat meinem Körper mit seinen Essenzen stets nur Gutes. Was hat man für Grund, mir etwas anzutun? Welchen nur? Welchen?“

„Den Grund, welchen der Pharao Euch bereits zu erklären suchte“ erwiderte er und fand viel Verständnis für sie. Es war nicht so, dass sie den Worten des Pharaos misstraute, aber zu glauben, dass sie so hintergangen worden war, musste ihr schwerfallen. „Abunami, ich weiß, es fällt Euch schwer, uns Glauben zu schenken. Ich hörte es jedoch mit meinen eigenen Ohren. Im Palast droht Euch Gefahr.“

„Durch Ephrab“ wiederholte sie und senkte ihren Kopf. „Warum lerne ich nur nichts daraus?“

„Woraus, meine Königin?“

„Das ist nun bereits das zweite Mal, dass mich jemand hintergeht, dessen Liebe ich mir so sicher war.“ Ihre Stimme klang bitter und entmutigt. Nicht jedoch brüchig. Sie war eine starke Frau, aber mit ebenso starken Gefühlen.

„Das tut mir leid“ antwortete er betroffen. Sie war bereits ein Mal hintergangen worden? Davon hatte er niemals etwas erfahren. „Wollt Ihr mir davon erzählen?“

„Ja.“ Seth hatte nicht vermutet, dass sie ihm so offen antwortete und blickte sie fragend an. Jedoch sah sie ihn nicht und hielt ihren Blick auf die von links nach rechts schwankenden Schweife der Wagenpferde geheftet. Ihr Gesicht wirkte blass unter der grauen Kutte und ihre gepflegten Hände streichelten abwesend das Bein der schlummernden Prinzessin. „Damals“ begann sie mit schwerer Stimme. „Ich hatte eine Schwester, welche ich sehr liebte. Sie war nur ein Jahr jünger als ich und wir haben Jahre unserer behüteten Kindheit miteinander verbracht. Alles haben wir gemeinsam getan. Wir lernten und spielten gemeinsam. Wir teilten uns sogar häufig ein Bett. Manchmal sagten die Leute, wir hätten Zwillinge werden sollen, so sehr hingen wir aneinander. Ich habe sie sehr geliebt … und ich dachte, sie liebte mich auch.“

„Tat sie das denn nicht?“ Obwohl die Königin schöne Dinge sagte, so klang sie doch so schwermütig. Als würden sie diese liebevollen Erinnerungen schmerzen.

„Ich weiß es nicht.“ Sie wischte sich über ihre ungeschminkten Augen und kämpfte die Tränen zurück. „Als der Tag gekommen war, ließ mein Vater verkünden, dass der Pharao einem Kennenlernen zugestimmt habe. Er würde vielleicht eine von uns zu seiner Verlobten erwählen. Wir waren sehr aufgeregt und so kleideten wir uns in die schönsten Gewänder und in die betörensten Düfte schon Tage vor seiner Ankunft. Als er dann endlich unser Land betrat und unser Haus besuchte, waren wir beide sehr aufgeregt. Wie Mädchen nun mal so sind.“ Sie legte ein bitteres Lächel auf und blickte traurig zu Seth herüber.

„Ich kann mir vorstellen, wie nervös Ihr gewesen sein müsst“ lächelte er aufbauend zurück.

„Die Zeit mit dem Pharao war eine schöne“ erzählte sie weiter und wand ihren Blick an den Wüstenhimmel, welcher sich allmählich in ein kräftiges Rot tauchte. „Wir taten gemeinsame Spaziergänge, pflegten lange Unterhaltungen. Er war viel freundlicher und aufmerksamer als wir es uns ausgesponnen hatten. In unseren Gedanken malten wir die schönsten Feste, die reichsten Tafeln und sahen unsere Kinder im Palastgarten spielen.“ Sie strich über den Kopf ihrer Tochter und erinnerte sich wehmütig an diese gemeinsamen Zeiten zurück. „Als der Pharao wieder abreiste, hatte er keine Entscheidung getroffen und ließ uns Schwestern beide mit unserer Schwärmerei zurück. Erst Wochen später erreichte uns ein Botschafter, welcher das Verlobungsangebot des Pharaos überbrachte. Jedoch nur für die ältere Tochter. Nur für mich.“

„Und das hat Eure Schwester gekränkt?“ hinterfragte Seth vorsichtig. Wenn sie ihm von einem Betrug erzählen wollte, drängte sich diese Vermutung geradezu auf.

„Sie zeigte nichts derlei. Sie beteuerte mir, wie sehr sie sich für mich freue und gemeinsam bewunderten wir den Hochzeitsschmuck, welchen der Pharao vorausgeschickt hatte. Wenige Tage später brachen wir auf, um in den Palast zu gehen. Wir wollten ihn auch nochmals fragen, ob meine Schwester nicht als Zofe bleiben dürfe, aber so weit kam es nicht.“ Sie atmete schwer und drückte ihre kleine Tochter an sich. „Sie hat versucht, mich im Schlaf zu töten.“

„Bitte?“ Seth wand seinen Blick beunruhigt herum und betrachtete ihr tapferes, bitteres Lächeln. „Eure eigene Schwester?“

„Sie konnte es nicht ertragen, dass ich Königin sein sollte und nicht sie. Ihr Neid und ihre Eifersucht waren großer als ihre Liebe zu mir.“ Nun entkam ihr doch eine Träne, welche sie beschämt fortwischte und mit erhöhter Stimme weitersprach. „Sie kam mit einem Dolch an mein Bett und wollte mich meucheln. Jedoch bemerkte eine der mitreisenden Palastwachen ihr sonderbares Verhalten und zog sie von mir fort, bevor mir ein Leid geschah. Ich erinnere mich noch genau daran. An ihre Schreie und ihre Beschimpfungen. Hure nannte sie mich und verlogen. Sie war wie von Sinnen und als die Wache ihr den Dolch abnehmen wollte, stach sie ihm in den Arm und sich selbst dann ins Herz.“

„Abunami …“ Was für eine schreckliche Geschichte. Ein Mordversuch von der geliebten Schwester und dann ihren Selbstmord zu sehen.

„Sie starb nicht sofort. Tagelang taten wir Rast und ich hoffte inniglich, dass sie es überleben würde. Ich harrte an ihrem Bett und beteuerte ihr meine Vergebung. Ich hielt ihre Hand und ich sehe noch den vorwurfsvollen Blick in ihren Augen, als sie ihre letzten Worte zu mir sprach. ‚Verflucht seiest du, Königshure, für deine Eitelkeit.‘ Dann starb sie unter meinem Blick.“

Seth wusste nichts anderes zu sagen oder zu tun, als sie respektvoll an der Hand zu berühren und ihr seine Anteilnahme zu zeigen.

„Ich habe geglaubt, sie liebe mich und freue sich für mein Glück“ sprach sie mit laufenden Tränen. „Aber in Wirklichkeit hat sie mich gehasst, weil ich die Ältere war. Weil der Pharao mich erwählte und nicht sie. Hätte ich gewusst, dass sie so empfindet … ich hätte niemals Königin sein wollen. So langsam glaube ich, auf dieser Krone liegt in Fluch.“

„Das dürft Ihr nicht sagen, Abunami. Ägypten könnte keine bessere Königin haben als Euch.“ Doch sein Trost war zu wenig, als dass er sie erheitern konnte.

„Erst Shanti und jetzt Ephrab. Warum wollen mich immer die Menschen morden, welche ich am meisten liebe? Nur weil ich Königin bin? Wenn dies der Grund ist, so will ich die Krone nicht. Was habe ich denn getan, dass ich immer nur gehasst werde?“

„Sagt so etwas nicht. Es wird Euch nicht gerecht.“ Er legte die Zügel beiseite und ließ die Pferde auch ohne Kontrolle ein Stück laufen. Eher musste er die Königin in den Arm nehmen und ihre Tränen trocknen. Auch wenn es sich nicht ziemte, sie einfach so in seinen Arm zu ziehen, so war es doch das einzig menschliche. Sie war nun schon ein zweites Mal verraten worden von jemandem, dem sie ihre unbedingte Liebe schenkte. Ihr Herz musste schmerzliche Qualen leiden, nur weil sie die Krone trug. Und diese Krone lastete schwer auf ihrem zarten Haupt.

Sie nahm Seths Trostangebot dankbar an, ließ sich an ihn drücken und schluchzte tief, als er seine starken Arme um sie schloss und ihre Trauer besänftigen wollte. Ihm selbst wurde ganz schwer ums Herz, wenn er die ganzen Ausmaße bedachte, welchen die Königsfamilie unterlag. Auch Atemu hatte ständig zu kämpfen mit seinem hohen Stand, auch für ihn lagen Treue und Verrat eng beieinander. Jetzt konnte Seth verstehen, weshalb er seit Kindertagen so an Fatil hing, dem er ohne Vorbehalt vertrauen konnte. Jetzt verstand er, weshalb er sich so schwer damit getan hatte, seine Liebe zu gestehen. Und auch Abunami wusste um die Probleme, welche die Krone mit sich brachte. Auch für sie war es schwer, wenn man einsehen musste, dass manchmal das Gold heller strahlte als das Herz. Wie schwer es war, sich den Glauben an das Gute im Menschen zu bewahren, wenn man selbst so schwer betrogen wurde.

„Ephrab ist ein Narr“ versuchte er sie mit sanfter Stimme zu trösten. „Eine wundervolle Frau wie Euch sollte man ehren und auf Händen tragen. Euch alle Bewunderung zu Füßen legen, das gebührt Euch. Euch zu bitteren Tränen zu zwingen, ist eine Schande vor den Göttern und wird bestraft werden. Das ist Euch ungerecht. Ihr seid eine begehrenswerte und schöne Frau, eine wahre Königin. Er ist ein Dummkopf, dies zu missachten.“

„Aber ich habe ihn geliebt“ weinte sie an seine Brust gedrückt. „Ich dachte, er würde mich auch lieben. Ich hab ihm geglaubt. Warum, Seth? Warum musste das passieren? Warum leben Menschen hinterhältiger als Schlangen?“

„Auch wenn es Euch wenig tröstet, geliebte Königin“ sprach er in gedämpftem und einfühlsamen Ton. „Alles was endet, gibt Nahrung für etwas Neues. Egal, wie dunkel die Nacht auch ist, es wird Euch das Morgenlicht umso strahlender erscheinen.“

„Mögen die Götter dir Recht geben“ schluchzte sie und griff nach Seths beruhigender Hand. „Und mir ein Licht in der Dunkelheit. Und die Kraft, Schlangen von mir fern zu halten.“

„Einen treuen Diener, welcher dies für Euch tut, Hoheit. Mögen die Götter Euch einen treuen Diener senden.“
 

Die Königsfamilie sah sich wahrlich ihrer dunkelsten Stunde gegenüber. Während Seth sich erneut durch die Wüste kämpfte, um die Königin und die Thronfolger in Sicherheit zu bringen, so kämpfte sich der Pharao im Palast durch Trauer und Verrat.

Noch während die Sonne ihre ersten Strahlen auf den Platz des Palastes schickte, stand der Pharao bereits am Turmfenster und blickte hinaus auf die erwachende Stadt. Seine Stadt, die seinen Namen trug und seine Macht demonstrierte. Eine Macht, welche sich nun nicht wanken lassen durfte. Vor sich sah er die reichste Stadt Ägyptens, unter sich wusste er im Palast die niedersten Verräter des Landes und hinter sich versammelten sich nun seine engsten Vertrauten, welche ihrem Schwur hoffentlich die Treue hielten und dem Pharao niemals mit Verrat schadeten.

Anwesend in diesem höchsten Raum im seitlichen Turm waren bereits Fatil, welcher trotz flauen Appetits auf einem Stück Brot herumkaute und es eher herzlos in ein wenig Ziegenmilch tunkte. Er hielt den Brotkorb auch dem Hohepriester hin, welcher das Frühstück jedoch ablehnte, sich nur an dem wässrigen Saft einer Kokosnuss bediente und das Schweigen des Pharaos beobachtete.

Als Hohepriester gehörte er zu den wenigen Männern, welche dem Pharao so nahe waren, dass er zu einer privaten Unterredung gebeten wurde. Er war damals noch von dem alten Pharao eingesetzt worden und diente nun seinem Sohne bereits seit Jahren. Und er wusste, dass er ein seltenes Vertrauen mit der Krone genoss. Er war direkt nach dem Pharao der Herr über den Glauben und somit einer der mächtigsten Männer des Reiches. Und er trug nicht nur seine Macht mit erhobenem Haupt, sondern auch die Nachteile, die sie mit sich brachte und welche er über die Jahre alle hatte lernen müssen. In dieser Riege war er mit Abstand der Älteste, aber auch der Erfahrenste. Mit seinem kurzem, weißen Haar wirkte seine dunkle Haut ein wenig mystisch. Seine dunkelgrün bis schwarzen Augen ließen ihn geheimnisvoll, verschwiegen und doch wachsam erscheinen. Viele Menschen hatten sich schon in ihm getäuscht und versucht, ihn mit fraglichen Mitteln für sich zu gewinnen. Doch er hatte sich niemals durchschauen lassen und dem Pharao immer zum Wohle gedient. Trotz seines Alters war er mit robuster Gesundheit gesegnet und hatte erst vor kurzer Zeit entschieden, seine Reisetätigkeiten einzustellen, um sich zu schonen. Er wurde nicht jünger, aber dennoch machten ihm Frauen jeden Alters Angebote. Seine kleinen Falten im Gesicht und seine zarten Hände täuschten darüber hinweg, was er bereits alles sah. Und seine hohe, breite Gestalt täuschte manches Mal darüber hinweg, wie gütig er war. In früheren Jahren war er sehr schlank gewesen, doch in letzter Zeit hatten die Speisen auf wundersame Weise an Gehalt gewonnen und ihn untersetzt. Dennoch war er ein stattlicher, ehrenvoller Priester. Ein Priester, welcher noch nach den alten Traditionen unterrichtet worden war und doch dem Pharao bei seiner ungewöhnlich aufgeschlossenen Politik stets folgte. Die einen sprachen von ihm als Segen für die Krone und den Glauben. Und doch einige hinter vorgehaltener Hand als Verräter der alten Werte.

Gerade nahm er sich eine Hand voll Nüsse aus dem kleinen Holzgefäß, als sich die Tür auftat und ein vierter Mann in die Runde trat.

Auffällig war eine tiefe Narbe am Hals und eine an seiner Unterlippe. Er war ein sehr stämmiger Mann, an welchem der hellorangene Rock fast unpassend wirkte. Seine Schuhe waren geschlossen und aus dicken Lederstriemen, ebenso wie seine Armbänder klobig wirkten, im krassen Gegensatz zu seiner feinen Kleidung. Sein dunkles, stoppelig geschorenes Haar sorgte dafür, dass die großen, goldenen Ohrringe an seinen fleischige Läppchen betont wurden. Sein fülliges Erscheinungsbild ähnelte einem Elefanten, jedoch konnten auch diese bei Bedarf Kraft und Geschwindigkeiten entwickeln, vor denen man sich hüten sollte. Und auch im Volke war bekannt, dass man ihn lieber zum Freund als zum Feind haben wollte. Zumal er seit Jahren das oberste Amt über die ägyptische Armee bekleidete. Der Pharao in jedem Falle sah in ihm trotz seiner Waffen einen Freund. Einen treuen Diener in jeder Lebenslage. Und er würde ihn nicht rufen, wenn er nicht auch seine Erfahrung und seine Intelligenz neben seiner Treue schätzen würde.

„Danke, dass du kommen konntest, Ranab.“ Der Pharao drehte sich zu ihm herum und streckte ihm seine Hand entgegen.

„Verzeiht, mein Pharao. Es ging nicht schneller.“ Er trat auf ihn zu, nahm seine Hand und kniete nieder, während er mit seinen fülligen Lippen einen innigen Kuss auf die zarte Haut drückte.

„Nun ja, es ist ja auch noch fast Nacht“ entschuldigte er und trat einen Schritt zurück, um ihn aus seinem Kniefall zu entlassen. „Danke, dass du gleich gefolgt bist.“

„Bitte lasst uns allein“ bat dann Fatil zu den beiden Dienern, welche sich nach einem Kopfnicken an den Wachen vorbeidrückten und die Türen sich schlossen. „Dann sind wir jetzt vollzählig“ stellte Fatil fest und schob den Brotkorb von sich fort.

„Mögt Ihr nun erzählen, weshalb Ihr uns so früh rufen lasst?“ bat der Hohepriester und blickte den Pharao unverhohlen besorgt an.

„Ist ja eine sehr kleine Runde“ stellte der kräftige Ranab fest, welcher das Kissen neben Fatil ergriff und sich wie ein vertrauter Freund neben ihn setzte. „Da mir der Laufbursche sagte, es sei dringlich, bin ich nun doch etwas besorgt“ gab auch er zu und beobachtete den Pharao, welcher sich seufzend neben dem Hohepriester niederließ. „Djiag, ist dies dein scherzendes Werk? Nur weil ich ein einziges Mal das Gebet verschlafen habe?“

„Bitte lass das. Ich glaube nicht, dass wir zum Scherzen hier sind“ bat der alte Priester und wand sich zum Pharao um. „Was treibt Euch diese Falten ins Gesicht, mein König?“

„Fatil. Bitte“ bat er und nahm sich selbstständig einen Kelch vom nebengestellten Tablett, welcher sofort vom Hohepriester mit Kokosmilch gefüllt wurde.

„Der Pharao dankt dem Hohepriester und dem Armeeherren für das frühe Erscheinen.“ Er nickte den beiden zu und bekam ebenso ein höfliches Nicken zurück. Die nötigste Etikette zumindest sollte doch bewahrt werden. „Er hat euch gerufen, um euren Beistand und euren Rat zu erbitten.“

„Was immer unser Pharao wünscht“ sprach der vernarbte Ranab. „Was bereitet Euch Sorgen, mein König?“

„Es muss etwas Vertrauliches sein, wenn Ihr diesen engen Kreis einberuft und uns bittet, dieses Treffen vertraulich zu halten“ schloss sich Djiag dieser Vermutung an.

„Ich will euch kurz erzählen, worum es geht“ führte Fatil fort. „Bitte verzeiht, dass ich im Namen des Pharaos spreche, aber er hat eben eine traurige Kunde erhalten. Die alte Königin wurde das Opfer von Attentätern.“

„Attentäter“ wiederholte der Hohepriester beunruhigt. „Die Königin Mutter?“

„Die Mutter unseres Pharaos“ nickte er und tat einen kurzen Seitenblick auf den Pharao, welcher sein schweres Haupt gesenkt hielt. „Laut der Botschaft gab es bei einem ihrer Ausritte einen Überfall auf dem Markt. Sie geriet in ein Handgemenge und wurde dabei erstochen. Die Heiler kämpften um ihr Leben, jedoch waren es zu viele Stiche und sie verblutete noch am Ort. Dies legt die Vermutung nahe, dass es sich hierbei nicht um einen Unfall, sondern um ein Attentat handelt.“

Die beiden sahen den Pharao betroffen an und senkten ihr Haupt. Es war bekannt, dass er niemals ein ausgesprochen inniges Verhältnis zu seiner Mutter gehabt hatte. Ja, er hatte sie damals auch nicht aufgehalten, als sie im Streit mit der Königin Abunami den Palast verließ. Aber dennoch war sie seine Mutter gewesen und er hatte sie geliebt und geehrt.

„Mein Pharao.“ Der Hohepriester legte ihm seine alte Hand auf die Schulter und suchte nach einem Blick. „Mögen die Götter ihrer Seele eine behütete Reise schenken.“

„Und ihrer Seele gnädig sein“ ergänzte Ranab. „Es tut mir leid, mein Pharao.“

„Danke“ sprach er mit tonloser Stimme.

„Dennoch hört sich diese Sache für mich fragwürdig an“ bekannte Djiag. „Warum sollte man ein Attentat auf die Mutter Königin verüben? Sie war in die Politik kaum mehr involviert, als dass sie als Kritikerin ihres Sohnes galt. Die Anhänger unseres friedvollen Pharaos jedoch würden nicht zu derlei Mitteln greifen. Das widerspricht sich.“

„Nach einem Unglück hört sich das jedoch auch nicht an“ erwiderte Ranab als erfahrener Feldherr. „In einem schnellen Handgemenge werden selten mehr als zwei oder drei Stiche getan. Fatil sprach von vielen Stichen. Davon abgesehen, dass die alte Königin kaum ohne Wachen ausgeritten sein wird. Für eine eindeutige Vermutung benötigen wir mehr Indizien.“

„Wir hatten noch keine Möglichkeit den Vorfall weiter zu untersuchen, aber es besteht ein Verdacht“ erklärte Fatil. „Wir haben Glück, dass wir diese Nachricht überhaupt erhalten haben, als sie vor wenigen Stunden eintraf. Es gab in den letzten Wochen nämlich viele Botschaften an den Pharao, welche nicht weitergeleitet wurden.“

„Fatil, was willst du uns sagen?“ fragte ihn der Hohepriester auf den Kopf zu.

„Wir sehen uns einem Putschversuch gegenüber“ erläuterte er ernst und blickte abwechselnd ihn und den Armeeherren an. „Wir haben Verräter in den eigenen Reihen. Der Unfall der Königin war ganz sicher ein Attentat. Und es ist auch geplant, den Rest der Königsfamilie zu meucheln.“

„Was veranlasst dich zu dieser Annahme?“ Ranab zog seine buschigen Augenbrauen zusammen und blickte ihn skeptisch an.

„Seth hat mit eigenen Ohren gehört, was ich schon lange vermutete. Ephrab ist Initiator eines Komplotts.“

„Ich schätze Seth durchaus hoch“ unterbrach Djiag. „Aber ist er nicht zu unerfahren bei Hofe, um den Geliebten der Königin als Anführer eines Komplotts zu bezichtigen?“

„Im Grunde gebe ich dir Recht, aber ich glaube nicht, dass er Lügen oder falsche Vermutungen anstellen würde. Zumal er mir nur bestätigte, was ich bereits gerätselt habe“ führte er fort und drehte nervös den Kelch zwischen seinen Fingern. „Er wurde Zeuge, als Ephrab sich mit Kenefer traf und die Sache besprach. Wir müssen auch davon ausgehen, dass zusätzlich Shaiph und Gapthi involviert sind.“

„Gapthi ist einer meiner teuersten Nebenpriester. Er hütet die heiligen Schriften und unterrichtet sie“ wand Djiag ein. „Ich will dich nicht des Irrtums bezichtigen, aber weshalb verdächtigst du ihn?“

„Wir müssen derzeit viele Männer verdächtigen. Ihr wisst, dass im Ministerrat schon lange Spannungen aufgrund der veränderten Gesetze herrschen. Und wir wissen alle, dass Ephrab sich während unserer Abwesenheit auffallend tief in die regierenden Kreise begeben hat. Und das obwohl die Königin sich aus tief politischen Dingen immer herausgehalten hat.“

„Das ist auch uns bereits negativ aufgefallen“ nickte Djiag. „Sprich weiter, Fatil.“

„Er hat die Zustimmung der Minister erhalten, die Armee seines Bruders Anhay nach Pe-Amun zu beordern. Angeblich, um die königliche Stadt vor den Soldaten aus Tschad zu schützen.“

„Ich war von Anbeginn dagegen“ mischte Ranab sich mit tiefer Stimme ein. „Die ägyptische Armee ist durchaus in der Lage die Hauptstadt auch ohne fremde Hilfe zu schützen. Ich konnte nie wirklich begreifen, warum der Ministerrat gegen meinen Einwand gestimmt hat.“

„Jetzt weißt du es“ bestätigte Fatil ernst. „Er stellt unsere Armee als zu klein und unser Reich als zu schwach hin. Wäre der Pharao anwesend gewesen, wäre er damit nie durchgekommen. Und das wissen nicht nur wir.“

„Fatil, das ist mir alles zu verwirrend“ mischte Djiag sich erneut ein. „Erkläre mir, deine Mutmaßungen darüber, was Ephrab plant. Selbst wenn er den Pharao putscht, was wir nicht hoffen wollen, tritt der Prinz seine Nachfolge an. Was verspricht er sich von diesem Handeln?“

„Unseren Informationen nach zu schließen, hat er es folgendermaßen geplant.“ Er holte Luft, nippte an seiner Ziegenmilch und tat einen besorgten Blick auf den Pharao, der noch immer schweigend dabeisaß und den Blick über den spärlich gedeckten Tisch irren ließ. „Wir wissen nicht, wann genau Ephrab angefangen hat, unseren Pharao zu unterlaufen, aber sicher ist, dass er Abunamis Einfluss missbraucht hat, um sich ein Netzwerk aufzubauen. Ich habe hier die Namen derer vermerkt, welche sich höchstwahrscheinlich seinem Vorhaben angeschlossen haben.“ Er zog eine kleine Papyrusrolle aus dem Ärmel und gab sie zu Djiag, welcher sie nahm, öffnete und mit kritischen Augen musterte. „Derzeit befindet sich seine Planung bereits in der Endphase. Die Ermordung der alten Königin stellt nur das kleinste Glied dar. Weiter hat er bereits Gift bei Shaiph fertigen lassen, mit welchem er sowohl unsere geliebte Königin, als auch den Prinzen und die Prinzessin niederstrecken will.“

„Wenn sich deine Worte und diese Liste, in welcher du mehr als den halben Ministerrat bezichtigst, als wahr herausstellen“ sprach Djiag und übergab das wichtige Papyrus an Ranab, um auch ihm die Namen der vermeintlichen Verräter bekannt zu machen, „dann sollten wir sie bald aus dem Palast bringen. Wenn ihnen etwas geschieht, ist die gesamte Thronfolge in Gefahr. Und mich selbst von dir zum Pharao erklären zu lassen, gehört nicht zur Planung meines letzten Lebensabschnitts.“

„Geht mir ebenso“ nickte Fatil ihm zu. „Deshalb haben sie Gapthi bestochen. Nach dem Tode meines Vaters muss ich erst vom Pharao dazu bevollmächtigt sein, dich im Zweifel als neuen König zu bestätigen. Wenn jedoch diese Vollmacht gegen eine ausgetauscht wird, welche dich und mich unserer Rechte beraubt und den Ministerrat als Regierungsinstanz einsetzt, könnte das vielen Männern sehr zugute kommen.“

„Du meinst, Ephrab will die Königsfamilie morden, um sich selbst von den Ministern zum Pharao krönen zu lassen?“ schlussfolgerte Ranab misstrauisch. „Ephrab ist kein Angehöriger unseres Reiches und er teilt nicht unsere Religion. Er ist Ausländer. Das wäre eine Schande für Ägypten.“

„Diese ganze Sache ist eine Schande für unser Land“ erwiderte Fatil, dem langsam ein hörbarer Zorn aufstieg. „Aber ihr wisst selbst, dass die wenigsten Minister im Palast sitzen, weil sie so patriotisch sind.“

„Viele sind gegen den Kurs unseres Königs“ stimmte Djiag zu. „Aber ein Mordkomplott … Fatil, ich will dir ja glauben. Aber wie sicher bist du dir deiner Worte?“

„Sehr sicher. Ich habe Beweise dafür, dass viele Botschaften, welche namentlich und vertraulich an den Pharao geschickt wurden, nicht ihr Ziel erreichten. Ephrab hat Verbündete im ganzen Palast und er nutzt zusätzlich auch die angespannte Lage, um seine Fäden zu spinnen. Ich weiß aus sicheren Quellen, dass Ras Lanuf bereits erste Empfangsersuche an den Palast geschickt hat.“

„Woher willst du das wissen?“ wollte Ranab erfahren und legte die ausgiebig gelesene Schriftrolle auf den Tisch.

„Ich sprach mit Chiaphre, welcher mir bestätigt hat, dass Ephrab häufig mit Kanpashref gesehen wurde und ihm durchaus wertvolle Geschenke gemacht hat.“

„Und wer ist Kanpashref?“ hakte Ranab nach.

„Seit einigen Monaten ist er Lehrling bei Chiaphre. Ein äußerst fleißiger, aber nicht eben intelligenter Junge“ erklärte Djiag ihm. „Mir ist es auch nicht entgangen, dass Kanpashref mit immer teurerem Schmuck behangen zum Beten kommt, aber ich dachte, als Lehrling unseres Postmeisters steht ihm dies als Lohn für gute Leistungen durchaus zu.“

„Und Chiaphre glaubte, dass dies mehr ein kleiner Nebenverdienst war, da er als Laufbursche die Botschaften der Königin innerhalb des Palastes vermittelte. Ich habe ihn in diesem Glauben gelassen, aber als ich gerade vor wenigen Stunden mit unserem wohlhabenden Laufburschen sprach, gab der recht schnell zu, dass er für Ephrab Schriftrollen aus dem Postlager entwendete und dafür Geschenke entgegennahm.“

„Dann gehe ich davon aus, dass du ihn vorerst in unsere Strafräume verwiesen hast“ unterstellte Ranab ernst. „Dass dies nicht rechtens ist, sollte selbst ein ungebildeter Junge wie er wissen.“

„Er wird seine Strafe erhalten, aber er ist noch ein dummer Junge. Er wusste, dass er etwas Unrechtes tut, aber er hat die Ausmaße seiner Handlungen nicht bedacht. Wir werden sehen, wie gnädig der Pharao ihm sein wird. Vorerst habe ich ihn vor Ephrab abgeschirmt.“

„Und die Botschaften?“

„Diese hat Ephrab wohl bei sich, jedoch konnte ich die letzten zwei Schriftrollen sicherstellen. Ich habe beide sicher in meinen Privaträumen aufbewahrt, aber was darin steht, wird meine Behauptungen untermauern. In der einen schreibt Ephrabs Bruder Anhay, dass er die Attentäter der Königin Mutter gefasst und ihrer gerechten Strafe zugeführt hat. Zur Ehre unseres Pharaos versteht sich.“

„Womit sich fragen lässt, woher Anhay von diesem Vorfall überhaupt Kenntnis erhielt, wenn er doch am anderen Ende des Reiches weilt“ ergänzte Djiag, welcher nun langsam Fatils Misstrauen teilte. „Hört sich nach einem mehr als schlecht verschlüsselten Schreiben an.“

„Wie es aussieht, ist Anhay nicht ganz so bedacht in der Wortwahl wie sein Bruder“ bestätigte Fatil diese Unterstellung. „Die zweite Botschaft stammt von Königin Ras Lanuf.“

„Ras Lanuf von Libyen“ wiederholte Djiag mit verengten Augen.

„Die grausamste Herrscherin gleich nach König Sahr von Tschad“ ergänzte Ranab ebenso abweisend. „Ihr Ruf eilt ihr voraus. Was begehrt sie von Ägypten?“

„Antwort auf ihr Ersuchen“ erzählte Fatil. „Ihre Worte verraten, dass sie verärgert ist. Sie schrieb wohl schon häufiger an unseren Pharao, bekam jedoch niemals eine Antwort.“

„Wie auch, wenn ihre Schreiben abgefangen wurden?“ grummelte Ranab. „Ist sich Ephrab überhaupt bewusst darüber, was es bedeutet, Ras Lanuf zu verärgern?“

„In jedem Falle werden ihre Botschafter auch ohne Einladung Einlass nach Pe-Amun begehren und sollten wir sie nicht empfangen, droht sie mit eigens erteiltem Einlass. Sie selbst befindet sich bereits auf dem Wege hier her. Ich habe Beobachter ausgeschickt, um herauszufinden, wann sie hier eintreffen wird.“

„Werdet ihr sie empfangen?“ wand sich Ranab nun an den Pharao, welcher sich noch immer aus dem Gespräch heraushielt.

„Natürlich werde ich sie empfangen“ antwortete der mit belegter Stimme, jedoch hob er seinen Blick nicht. „Ich kann sie nicht fortschicken. Ich kann nicht riskieren, neben Tschad auch noch Libyen gegen mich zu haben. Zumal sie wahrscheinlich schon innerhalb unserer Landesgrenzen reist. Sie jetzt abzuweisen, hat unweigerlich einen Krieg zur Folge.“

„Der tobt bereits an den Grenzen. Libyens Soldaten besetzen seit Wochen unsere westlichen Grenzländereien und vertreiben unsere Bauern“ berichtete Ranab. „Und Tschad tut dasselbe von Süden aus. Wir haben bereits einen Krieg, den nur Ihr noch nicht als offiziell erklärt habt, mein Pharao.“

„Ashraf schrieb mir von schrecklichen Szenarien, welche sich dort abspielen“ wusste der Hohepriester zu berichten. „Unsere diplomatischen Ersuche fanden derzeit nur wenig Gehör. Langsam zweifeln die Bauern an unserem Willen, das Reich zu verteidigen. Mutlosigkeit und Frustration, sowie große Angst vor noch mehr Kämpfen breiten sich selbst ins Landesinnere aus.“

„Das weiß ich doch alles“ seufzte der Pharao und stützte die Stirn in seine zitternde Hand. „Aber was soll ich denn tun? Ich will keinen Krieg führen. Es muss einen anderen Weg geben. Aber überall stellen sich mir Feinde. Nicht nur an den Grenzen, jetzt auch noch in den eigenen Reihen. An wie vielen Fronten soll ich denn noch schlichten, um nicht zu anderen Mitteln zu greifen? Weder meine Armee noch mein Herz sind stark genug für einen Krieg.“

„Ich weiß nicht, was wir tun sollen, mein Pharao“ sprach Ranab ernst. „Aber ich sichere Euch die Loyalität und die Treue Eurer Armee zu. Wohin auch immer Ihr uns führt, wir werden nicht an Euch zweifeln und nicht von Eurer Seite weichen.“

„Dasselbe gilt für den Tempel“ pflichtete Djiag bei und legte ihm respektvoll seine Hand auf den Oberschenkel. „Verzweifelt nicht, mein Pharao. Die Priester in allen Teilen des Reiches stehen hinter Euch und stärken das Volk für Krieg und Frieden gleichermaßen. Ägypten ist ein starkes Reich. Durch seinen starken Pharao.“

Der Pharao seufzte und atmete nochmals tief ein. „Genau das ist ja meine Misere. Ich weiß nicht ein und nicht aus. Wie soll ich mein Volk sicher führen, wenn ich selbst keinen Weg finde?“

„Die Götter wissen den Weg, mein Pharao“ sprach der alte Hohepriester mit seiner sanften Stimme. „Und sie werden Euch alles offenbaren, wenn es an der Zeit ist. Ägypten ist unter Euch erblüht. Ihr seid gesegnet. Und bis Ihr das heilige Wort für Euch hört, stehen wir an Eurer Seite. Ich denke, ich spreche für alle Vertreter in diesem Raum, wenn ich sage, dass wir an Eurer Seite stehen und Euch weder verlassen noch hintergehen werden. Wir kämpfen für unseren Glauben, unser Land. Ob mit dem Schwert oder dem Worte. Wir kämpfen für Ägypten. Wir kämpfen für Euch.“

„Aber bevor wir nun über ein weiteres Vorgehen beratschlagen“ warf Ranab dazwischen. „Wir müssen die Königin und die Kinder außer Gefahr bringen. Wenn Ephrab bereits die alte Königin gemordet hat, wird er bald die Thronfolge weiter verkürzen wollen.“

„Darum haben wir uns bereits gekümmert“ erklärte Fatil mit sicherer Stimme. „In dieser Nacht haben sowohl die Königin als auch die Kinder wie Händler verkleidet die Stadt verlassen. Seth wird sie führen und ich habe bereits zwei unserer besten Männer nachgeschickt, welche ihn unterstützen werden.“

„Und wo sollen sie hin?“ antwortete er besorgt. „Wenn Ephrabs Verbindungen bis in den abgelegenen Palast der Königin Mutter führen, werden sie in jeglichen Tempelgebieten bedroht werden. Besonders eine schöne Frau wie Abunami wird in nicht lange unerkannt bleiben.“

„Nicht, wenn sie dort ist, wo niemand eine Königin vermutet“ erwiderte Fatil überzeugt. „Deshalb bitte ich besonders dich, Ranab. Schicke deine Truppen nicht weiter gegen die Gesetzlosen der Wüste. Vielleicht war es wirklich ein Segen der Götter, dass unser Pharao ein Herz für niedere Menschen bewies.“



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