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Menschen, die auf Gras wandeln I+II+III

von

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Kapitel 44

Kapitel 44
 

Als Seth dem Pharao in ein Nebengebäude des Palastes folgte, fiel ihm zunehmend auf, wie still es hier war. Sonst spielten Kinder in den Gängen und Menschen standen schwatzend herum. Fatils Familie war sehr groß, allein bedingt dadurch, dass er drei jüngere Brüder und eine Schwester hatte, welche ebenfalls Familien besaßen und diese hier oder in der Nähe wohnten. Selbst seine Schwester, welche eigentlich in einer entfernten Stadt bei ihrem Gatten lebte, war herbeigekommen, um die Tage hier zu verbringen, wenn das älteste Familienoberhaupt schied.

Doch in den Arealen der wohl einflussreichsten Adelsfamilie war es nun so still, dass man den Abendwind um die Ecken der unverzierten Wände wispern hörte. Kein Wort wurde gesprochen, als der Pharao durch die Gänge schritt und letztlich in einen offenen Raum kam, welcher an einem kleinen Brunnen endete, der von wild wachsenden Blumen geziert wurde. Etwas wind- und sichtgeschützt standen für gewöhnlich Verweilmöglichkeiten zum Sitzen und Entspannen zur Verfügung, doch nun war dort eine Liege aufgestellt, auf welcher ein alter Mann umgeben von seiner Familie die letzten Stunden verlebte.

Seth wusste, dass der alte Fatil sehr krank war. Sein Magen behielt keine Nahrung bei sich und seine Lungen spieen mehr Blut aus als sie Atem tranken. Die Heiler hatten ihr Möglichstes getan und all ihr Können angewandt, jedoch erlag der Palastvorsteher von Tag zu Tag mehr dieser rätselhaften Krankheit. Es war bekannt, dass diese Erkrankung bereits viele Opfer gefordert hatte, jedoch fand man bisher kein Heilmittel. Gütig war die Krankheit, wenn sie schnell zum Ende führte. Grausam, wenn die Menschen über Wochen dahinsiegten. In Fatils Falle war das Schicksal grausam und schenkte ihm viele Tage des Leids. Bereits vor zwei vollen Monden, als sein ältester Sohn auf Wüstenreise weilte, war er erkrankt und nun schien sein Leid ein Ende zu nehmen. Glücklicherweise erst dann, als all seine Kinder und Enkel zusammengekommen waren, um ihm beizustehen.

Als der Pharao sich näherte, blickte die Familie auf und nickte ihm dankbar zu. Seth bemerkte, dass man die Kinder zu dieser späten Stunde bereits zu Bett gebracht hatte. Und nun erhoben sich wortlos zuerst die neun Frauen, gingen an ihnen vorbei und warfen dem Pharao traurige Blicke zu, welche er mit einem leisen Seufzen erwiderte. Wortlos küssten nun die drei Männer die Hand des Alten und folgten ihren Frauen ebenso wortlos hinaus. Seth kannte die Fremden nicht, aber vermutlich waren dies die Söhne des Hauses, welche sich von ihrem Vater verabschiedeten. Nur Fatil als ältester Sohn blieb noch mit gesenktem Haupt sitzen und atmete schwer ein.

Es war eine traurige Atmosphäre, in welcher Seth sich wiederfand. Als Priester hatte er zwar gelernt, Sterbenden in den letzten Minuten beizustehen, jedoch war er niemals wirklich in die Pflicht gekommen, dies auch wahrlich zu tun. Wenn nicht das Schwerste darin bestand, die Trauer der Familie zu sehen. Er wusste, sie schwiegen, weil es so üblich war. Wenn man sich von einem Sterbenden verabschiedete, ließ man ihm das letzte Wort und sagte kein Lebewohl. Der Tod bedeutete für einen Ägypter den Übergang in eine andere Welt, in welcher man sich früher oder später wiederfand. Ein Ägypter verabschiedete sich nicht. Deshalb war es hier so still.

Erst als bis auf den ältesten Sohn alle Familienmitglieder gegangen waren, setzte sich der Pharao neben den Alten und legte dem jungen Fatil die Hand auf die Schulter. Seth selbst nahm alleinig auf der anderen Seite Platz, jedoch eher auf Bauchhöhe, da er zu dem Sterbenden nicht in einem engen Verhältnis stand.

In dem Dämmerlicht wirkte die Haut des Alten wie aufgedunsen, ledrig und gelblich. Seine dunklen Augen waren getrübt wie durch einen Milchschleier und sein Haar lichtete sich kränklich auf dem erkahlenden Kopf. Der rasselnde Atem ging schwer und quälend langsam, als der Pharao seine gereichte Hand nahm und ihn mit feuchten Augen ansah.

Seth wusste, dass der alte Fatil ihm selbst ähnlich wie ein Vater war. Er hatte Atemu angeleitet, nachdem der erst seinen Vater verloren und dann die Krone gewonnen hatte. Er war nach dem Pharao der mächtigste Mann. Zwar nicht unbedingt vom Stande her, aber dass sein Wort im Palast ein ungeschriebenes Gesetz darstellte, hatte Seth schnell verstanden. Diese kronesnahe Familie bestimmte, wer den Palast betrat und verließ, wer Waren lieferte, wer befördert oder degradiert wurde. Die gesamte Organisation des Palastes und damit des Tempels und der ganzen Hauptstadt lag in den Händen dieser Familie. In den Händen dieses alten Mannes. Doch, was noch wichtiger war - er stand dem Pharao so nahe wie es nur ein Verwandter konnte. Zwar gehörten sie nicht zur selben Familie, aber er war immer ein guter Ratgeber gewesen, den der König hoch schätzte und liebte. Ihn zu verlieren, bedeutete mehr als nur seinen Palastvorsteher einzubüßen.

„Nun schaut doch nicht so bedrückt, Pharao“ lächelte der Alte ihn mit heiserer Stimme liebevoll an. „Oder trauert Ihr darum, dass ich Euren Ruheabend unterbrochen habe?“

„So was darfst du nicht sagen“ erwiderte Atemu mit Tränen in den Augen und in der Stimme. „Oder hast du etwa vor, mir noch mehr Arbeit aufs Auge zu drücken?“

Mit einem Husten lachte der Alte und war zu schwach, um dazu noch seinen Kopf zu heben. So kam nach dem ungesunden Lachen bald die Hand seines Sohnes, welche ihm mit einem Tuch ein wenig Blut aus dem Mundwinkel wischte.

„Sprich nicht so viel, Vater“ bat er mit belegten Worten. „Es strengt dich zu sehr an.“

Aber dem schenkte der Alte nicht viel mehr als ein schwaches Lächeln, bevor er seinen Blick wieder auf das sanft beschienene Gesicht des Pharaos lenkte.

„Majestät, Ihr ward mir immer wie ein fünftes Kind“ sprach er langsam und heiser unter viel Aufbringung von Atem. „Und Ihr habt mich sehr stolz gemacht.“

„Danke.“ Er senkte seinen Kopf und unterdrückte die schweren Tränen, welche ihm sichtlich die Kehle zuschnürten. „Es wird schwer werden ohne dich, Fatil. Ohne deinen Rat und deinen strengen Blick.“

„Ich weiß, ich war häufig streng zu Euch. Besonders nachdem Ihr gekrönt worden seid“ lächelte er und drückte des Königs Hand voller Liebe. „Aber aus Euch ist ein stattlicher Pharao geworden. Ihr seid klug und willensstark. Ägypten kann stolz sein, Euch zu gehören. Und ich bin stolz, Euch gedient zu haben.“

„Fatil ...“

„Aber nun gebe ich meine Aufgabe an meinen Sohn weiter. Bis auf einen letzten Rat und eine letzte Bitte.“

„Du kannst mich um alles bitten“ versprach der Pharao und schämte sich nicht für die Träne, welche ihm über die Wange rollte.

„Ich bitte Euch, meinem Sohn Geduld zu schenken“ erbat er und kreiste mit seinem milchigen Blick über das gesenkte Gesicht seines Sohnes bis er zurück zum Pharao kam. „Ich weiß, er ist ein Hitzkopf und manchmal mischt er sich zu sehr in Eure Dinge ein. Aber bitte seid nachsichtig mit ihm. Er tut dies aus Liebe zu Euch. Deshalb habe ich kein schlechtes Gewissen, nun zu gehen. Ich weiß, dass mein geliebter Pharao bei ihm in guten Händen ist.“

„Darum mach dir keine Sorgen“ lächelte Atemu und schenkte dem jungen Fatil einen vertrauten Blick, welchen dieser mit unverhohlener Traurigkeit erwiderte.

Für Seth war es merkwürdig zu sehen, dass auch der junge Fatil verletzlich war. Sonst gab der sich immer stark und unüberwindbar. Aber mittlerweile wusste er, dass er sich für den Pharao aufopfern würde, wie der sich für Ägypten aufopferte. Seinen Stand herauszukehren und die Feinde der Krone von vornherein einzuschüchtern, war nur Teil seiner Treue. Dennoch war Seth das Wissen darum, wie seine Augen in Tränen dreinblickten, fast unangenehm. Eigentlich würde er jetzt gern gehen. Dem Tode eines so wichtigen und dem Pharao nahestehenden Mann beizuwohnen, war ein wenig unangenehm. Aber seit er sich gesetzt hatte, konnte er auch nicht einfach so wieder aufstehen und fortgehen. Das tat man weder als Priester, noch als anständiger Mensch.

„Fatil und ich werden schon miteinander auskommen“ versprach der Pharao mit einem ehrlichen Blick. „Ich vertraue ihm wie ich dir vertraue.“

„Vertrauen ist etwas Gutes. Aber vertraut auch den richtigen Menschen“ riet er ihm und sein beruhigendes Lächeln wich einer ernsten Mine. „Mein Pharao, nehmt meinen innigen Rat bitte in Eure Gedanken auf. Verschenkt weder Euer Herz noch Euer Vertrauen leichtfertig.“

„Das tue ich nicht. Ganz sicher nicht.“

„Doch, das tut Ihr leider nur zu leicht. Ihr glaubt sehr lang daran, dass die Menschen gut sind. Das ehrt Euch, aber es birgt auch Gefahren. Es gibt nicht nur gute Menschen auf der Welt. Ebenso wie es gute Menschen gibt, so gibt es auch schlechte. Es ist keine schöne Lehre, aber eine wahre. Deshalb versprecht es mir und gebt Euer Wohlwollen nicht zu leicht aus der Hand. Verschenkt Euch nicht.“

„Ich danke dir für deinen Rat“ nickte er berührt. Atemu wusste selbst, dass er manches Mal zu gutgläubig war. Deshalb waren der alte, wie auch der junge Fatil so wichtig für ihn. Ihr Misstrauen war es, welches sein naives Herz zum Einhalten zwang.

„Für eines jedoch möchte ich Euch noch danken, mein Pharao“ sprach er und wurde von einem kurzem Keuchen begleitet, welches seinen zerfallenen Körper schüttelte und noch schwächer scheinen ließ.

„Es gibt nichts zu danken. Du hast mir jahrelang mehr gegeben als ich dir.“

„Doch. Für das Eine danke ich Euch“ beteuerte er und wandte müde seinen Kopf auf dem flachgedrückten Kissen. „Ihr habt mich auf meine alten Tage hin gelehrt, was Güte in einem Menschenleben bewirken kann. Ihr habt mir bewiesen, dass Ihr das Wort der Götter wahrlich im Herzen tragt.“

„Ich weiß nicht genau, was du meinst, Fatil. Ich ...“

„Ich meine, den wunderschönen Priester, der seit Eurer Heimkehr des Pharaos Seite ziert“ erklärte er mit einem kurzen Blick auf Seth, dem das Herz schwer wurde bei dieser Zuwendung. „Sicher erinnert Ihr Euch noch daran, wie ich Euch riet, ihn für Euer Bett zu behalten oder ihn zu verkaufen, vielleicht zu verschenken, in diesem Falle ihn fortzusenden.“

„Ja. Daran erinnere ich mich“ bestätigte er mit trauriger Stimme.

„Aber Ihr habt mir nur halb entsprochen. Ihr schicktet ihn trotz Eures verschenkten Herzens in den Tempel und ludet damit große Gefahr und großen Schmerz auf Euch. Ich war mir unsicher, ob dies der richtige Weg ist, doch Ihr ...“ Er musste sich einen Augenblick ausbedingen, um Atem zu schöpfen. Seine Augen wurden schwer, aber er wollte noch loswerden, was er zu sagen hatte. „Doch Ihr zeigtet mir den Willen eines Gottes“ fuhr er schwach fort. „Ich hielt ihn für niedriger als einen Menschen, doch Ihr rücktet nicht von Eurer Überzeugung ab und lehrtet mich, was Güte wirklich heißt. Ich zweifelte an Euch und Eurer Entscheidung, doch ihr belehrtet mich. Zu sehen, dass Ihr ihn nach Jahren des Verzichts nun an Eurer Seite habt, gab mir im letzten Moment den wahren Glauben. Ihr habt die Macht, aus einem Vorurteil Gerechtigkeit und Liebe zu formen. Mit Geduld und Güte, welche den Göttern gleich sind.“

„Ich war’s nicht allein“ dankte er mit gesenktem Kopf. „Du hast mir deinen Rat gegeben und dein Sohn hat mit, wenn auch rüder Hand, eingegriffen. Allein wäre ich nicht das, was ich heute bin.“

„Macht Euch nicht zu klein. Ihr seid ein großer Mann“ lächelte der Sterbende ihn dankbar an. „Euch zu kennen, erfüllt mein Herz mit Wärme. Und mit Zuversicht. Dass Ihr mir einen selbst geformten Priester an mein Sterbelager bringt, verheißt mir, dass die gütigen Götter existieren. Wenn unsere Götter nur halb so gütig sind wie Ihr, so wird jeder Mensch seinen Frieden finden. So muss ich nichts fürchten.“

„Fatil, nicht.“ Seine Stimmte bebte, als er seine Hand drückte und den blassen, hustenden Mann traurig anblickte.

Außer Atem seufzte er und blickte ein letztes Mal mit müden Augen seinen ältesten Sohn an. „Behüte den Pharao“ sprach er mit leiser Stimme. „Behüte sein Leben und sein göttliches Herz.“

„Das verspreche ich dir, Vater“ antwortete er mit brüchigen Worten.

„Ich liebe euch beide. Von Herzen.“ Einen Augenblick noch sah er die zwei an und wand mit letzt verbleibender Kraft seinen Kopf zu Seth um.

Er öffnete den Mund, verhieß einen Atem und Seth sah, er wollte ihm noch ein paar letzte Worte sagen. Doch sein Körper erlag der Schwäche und so formte der alte Mund nur noch ein kaum durchscheinendes Geheimnis, bevor ein letzter Atem seinen blutenden Lungen entkam und den Augen das trübe Licht nahm.

Erst als Atemu die alte Hand losließ und über die erstorbene Brust legte, war es Gewissheit. Sein letzter Lehrmeister war gegangen und ließ ihn in einem denkbar schlechten Moment zurück.

Nicht nur, dass das Gemüt des Pharaos ohnehin schwer war und er nun auch noch einen Todesfall zu beklagen hatte. Nein. Im Palast herrschte bereits angespannte Stimmung und nun einen wichtigen Mann wie den alten Fatil zu verlieren, die graue Eminenz nicht mehr bei sich zu haben, würde sicher zu Problemen führen.



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