Zum Inhalt der Seite

Menschen, die auf Gras wandeln I+II+III

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Kapitel 15
 

Auch wenn es nicht üblich war, so hätte er dem jüngsten Priester des Reiches doch gerne persönlich gratuliert, ihm ein paar Worte geschenkt ... einen Blick.

Doch stattdessen war er sofort von den anwesenden Priestern beschlagnahmt worden, beglückwünscht und hinausgezerrt, wo schon lauter andere Menschen auf ihn warteten.

Es wurde laut gejubelt und geklatscht, als die dicken Steintüren sich öffneten und alle Außengebliebenen den neuen Priester mit neuem Namen im neuen Gewand erblicken durften. Er wurde sofort in ihre Gemeinschaft genommen und unter Lachen, Singen und Tanzen zum Festplatz begleitet, wo bereits die ersten Menschen am feiern waren und nur noch auf die Horde der Priester gewartet hatten, um das wahre Fest zu begehen.

Und der Pharao seufzte tief und fühlte sich irgendwie verlassen. Natürlich war noch immer der freundliche Hohepriester an seiner Seite und gab ihm ebenso Geleit wie ein paar andere hohe Männer des Tempels, von denen letztlich aber nur zwei weitere Priester blieben und ihm Gesellschaft leisteten. Außerdem waren seine drei Gefolgsleute bei ihm und es wurde im Allgemeinen ein wenig Smalltalk nach der heiligen Messe gehalten. Auch er wurde an einen Tisch begleitet, der jedoch nicht wie alle anderen war, sondern reicher geschmückt, mit edleren Sitzkissen belegt, während alle anderen Leute auf dem Boden sitzen mussten.

Aber sitzen tat eh kaum jemand, denn jetzt wurde gefeiert.

Den ganzen Tag über hatten die Frauen hart an den Vorbereitungen geholfen und die Priester Andacht gehalten. Jetzt war die Sonne untergegangen und mit den ersten Sternen, erklangen auch die ersten Lieder. Am Rande des Festplatzes brannten hohe Lagerfeuer, es hingen Girlanden gespannt, Tische mit Speisen und Getränken waren aufgebaut und Plätze zum Verweilen gegeben. Entweder tanzte man zu den Klängen der Musikanten oder man saß mit Freunden zusammen und hob den Becher auf alles, was man feiern konnte.

Der Tisch des Pharaos war ein wenig am Rande auf einem wohl extra flach aufgeschütteten Hügel. Sicher war es dazu gedacht, um dem König einen guten Blick über das Fest zu geben und ihn nicht ganz im Trubel speisen zu lassen, aber der Mensch im Pharao fühlte sich dabei nur ausgeschlossen und wie auf den Präsentierteller gestellt. Er war es gewohnt, dass man ihn ansah, ihn bewunderte und beobachtete, was er tat. Doch viel eher sehnte er sich danach, unter der tanzenden, singenden und trinkenden Meute zu sein und diesen Ehrentag mit einem rauschenden Fest ausklingen zu lassen.

Doch wie bei jedem Fest, waren dieses keine freien, sondern Arbeitsstunden. Er saß mit dem Hohepriester und seinen sieben Mannen gemeinsam an einem Tisch und sprach über Politik und andere schnöde Dinge. Sicher wollten sie ihn damit unterhalten, aber er hätte viel lieber getanzt und mit einem Freund in den Armen laut die Strophen der Lieder mitgesungen.

So ging die Fröhlichkeit wieder an ihm vorbei, beachtete ihn nicht weiter, obwohl sie überall um ihn war. Man blickte ihn an, aber man sah ihn nicht.

Und auch der Blick des Königs fing nicht das ein, was er noch viel lieber beobachtet hätte als die fröhliche Gesellschaft.

Seit er mit den anderen fortgeschleift worden war, hatte er Seth nicht mehr gesehen.

Als er dort oben so stand und ihn anblickte ... es war ihm, als wäre er in diesem Moment ganz bei ihm gewesen. Als würde dieser Moment nur für sie beide sein und kein anderer wäre noch da, um sie zu unterbrechen. Doch nur allzu schnell war der Moment verflogen und die kalte Wirklichkeit zurückgekommen, hatte seine Hoffnungen zerschlagen und sein Herz ein Mal mehr unerfüllt gelassen.

Er hatte gehofft, er könnte Seth endlich ein persönliches Wort schenken, doch die Gelegenheit hatte er wohl verpasst. Heute Mittag hätte er ihn unten in der Halle lieber ansprechen sollen, anstatt ihn zu beobachten. In diesem Moment waren sie beinahe allein und sie hätten sich in den Arm nehmen können. Sie hätten sich geküsst, sich gestreichelt und Hand in Hand wären Sie geblieben, bis man sie trennte. So waren sie getrennt worden, bevor sie vereint waren. Die Gelegenheit nicht am Schopfe gepackt, verstreichen lassen und versäumt ... nun war er ihm entglitten und ließ sein Herz zusammengesunken allein zurück.

Nun war er ein Priester und hatte den Schutz des Königs wohl nicht mehr allzu dringend nötig. Nun war er selbstständig und ... wo er wohl nun hingehen würde? Was er wohl vorhatte? Ob er auch diesen Abend ausgelassen mit seinen Freunden feierte oder ob ihn seine Schulter quälte? Ob er ...
 

„Majestät?“ Die ebenmäßige Stimme weckte ihn und er drehte langsam den Kopf herum, als Chaba Djedef Re ihn ansprach. Er fixierte ihn mit seinen hellbraunen Augen und strich sich wohl ganz unbewusst über seinen prächtig weißen Bart.

„Mein König, ist euch nicht wohl?“ fragte dann einer der anderen Priester, am anderen Ende des Tisches, dessen dunkelbraune Augen von dem Licht der Kerze schöner beschienen wurden als seine glänzende Glatze auf seinem runden Kopf.

„Entschuldige, ich war einen Moment abgelenkt“ beschwichtigte er mit einem Lächeln aus seiner Standardkiste und es war ihm, als könne er Fatil leicht seufzen hören. Der saß direkt neben ihm, während Faari und Penu in der feiernden Meute herumliefen und es sich auf Geheiß des Königs gut gehen ließen. Eigentlich hätten sie ihn diensthabend bewacht, aber hier würden wohl keine Attentäter lauern und so war ihr schlechtes Gewissen auch nicht ganz so schwer, wenn sie sich ein paar Meter von ihm entfernten und nur ab und an mal einen Blick zu ihm warfen und die Menschen um ihn herum prüften. Der Pharao hatte es ihnen ja geradezu befohlen, sich zu amüsieren, bevor sie bald weiterreisen wollten. Schließlich waren sie heutet Mittag auch nicht bei ihm ... doch Menschenmengen waren eigentlich immer gefährlicher.

Wie auch immer.

Außerdem war Fatil an seiner Seite und dessen Menschenkenntnis war nicht zu unterschätzen. Er würde es in Windeseile quasi erschnuppern können, wenn seinem König Gefahr drohte.

Der Pharao drehte den Becher in seiner Hand und betrachtete die kleinen Edelsteine, welche an seinem Rande eingeschweißt waren. Selbst die Becher waren hier von höchster Kunst, obwohl der Tempel so rustikal erschien. Erst auf den zweiten Blick erkannte man immer mehr in und an diesem gigantischen Bau die feine Kunst, mit welcher hier errichtet und verschönert worden war.

„Darf ich Euch noch etwas einschenken?“ Und noch ehe er antworten konnte, wurde ihm ein frischer Kelch mit neuem Wein gereicht. Ein Pharao trank niemals zwei Mal aus ein und demselben Becher und so hatte dieser doch erschreckend hager erscheinende Priester mit den Bohnenfingern und dem dünnen, langen Haar wohl hinter seinem Rücken einen ganzen Vorrat an Bechern, die er seinem König beim kleinsten Anzeichen nach Durst sofort vorsetzen konnte.

Als König bedankte er sich nicht, sondern nippte nur an seinem neuen Kelch.

Im Hintergrund hörte er eine Horde Frauen ausgelassen lachen und er musste doch leicht schmunzeln, als sie sich mit steigendem Weinpegel immer mehr im Ton versangen und schlimmer klangen als ein Esel beim Zitterspielen.

„Feiert Ihr immer so ausgelassen?“ fragte Fatil, um das Gespräch nach dem Ausfall seines Königs durch Träumerei wieder in Gang zu kurbeln.

„Nur, wenn auch etwas anliegt“ lächelte Chaba Djedef Re gutmütig. „Die Menschen feiern gerne, wenn es um Imhotep geht. Außerdem freuen sie sich unbändig mit Seth, den sie alle ins Herz geschlossen haben. Und selbstverständlich hat man wohl nie mehr die Gelegenheit, sich in der Anwesenheit des Pharaos sonnen zu dürfen.“

„Dabei ist es doch schon dunkel“ sollte wohl mehr ein Witz sein, als die trockene Feststellung, als welche der Pharao den Ton traf. Er blickte in den Himmel und sah millionen an Sternen ... und den Mond. Denselben hell leuchtenden Mond, welcher sich in jener Nacht in tiefblauen Saphiren gespiegelt hatte ...

„In Eurem Licht kann man sich selbst in der dunkelsten Nacht sonnen“ erbrachte ein anderer Priester, welcher am anderen Ende des runden Tisches saß mit ganzer Freundlichkeit.

>Speichellecker< schoss es dem Pharao durch den Kopf. Er wusste, dass es nur freundlich gemeint war, aber er hasste so etwas. Warum sprachen sie nicht mit ihm, wie mit einem normalen Menschen? Eine kleine Kritik, ein Witz auf seine Kosten wäre ihm tausend Mal lieber als diese ewigen Komplimente.

„Bei diesem Horus braucht es keinen Pharao, um die Nacht zu erhellen“ lächelte er gespielt erfreut zurück und nippte noch ein Mal an seinem Kelch. Als Pharao trank man ständig Wein, aber betrinken sollte er sich lieber nicht. Er durfte alles ... und doch wieder nichts.

„Habt Ihr Euch meine Anmerkungen durch den Kopf gehen lassen?“

„Anmerkungen?“ fragte er zurück zu Chaba Djedef Re und wusste ausnahmsweise wirklich mal nicht, was er nun meinte.

„Die Schriftrolle, welche ich auf Euer Zimmer bringen ließ“ antwortete er geduldig.

„Der König hatte noch keine Gelegenheit, sie zu lesen“ schmunzelte Fatil etwas belustigt und blitzt ihn aus seinen dunklen Augen an. „Er hat zu lange geschlafen heute Morgen, unser schnarchender Herr.“

„Fatil!“ rief er scheinbar eingeschnappt, aber doch etwas fröhlicher. Fatil war jemand, der wohl gerne mal einen Scherz auf ihn anhob. Genau wie Penu und Faari, die sich auch den ein oder anderen Freiraum herausnahmen. Diese kleinen Momente, in denen Atemu sich vorheucheln durfte, ein Mensch zu sein.

„Ja, er ist Traumtänzer, unser aller Herrscher“ grinste Fatil und rempelte ihn freundschaftlich an. Sein König war traurig, das wusste er - aber das durften doch Dritte nicht merken. Der Pharao war perfekt und unfehlbar ohne einen Makel. So stand es geschrieben und so sollte es sein.

„Was wolltest du denn von mir, Chaba?“ lachte der König ihn wirklich aufgeheitert an.

„Es war nur eine Bitte an Euch“ nickte er dankbar. „Bitte belastet Euch jetzt nicht damit, es hat Zeit bis morgen.“

„Nein, schon in Ordnung“ bat er und schubste Fatil spaßhaft weg, als er schon wieder versuchte, seine Krone zu richten, welche ihm immer wieder in die Stirn rutschte und doch ein Stück zu groß war. Doch Atemu weigerte sich, sie verkleinern zu lassen. Es war die Krone seines Vaters und er trug sie in Gedenken an seine Weisheiten mit größtem Stolz. „Wenn ich mich jetzt damit befasse, muss ich es morgen nicht. Also, was möchtest du mir anmerken, Chaba?“

„Ihr m ü s s t gar nichts“ bat er mit erhobenen Händen. „Wirklich, lasst Euch nicht ...“

„Nun sag schon“ lächelte er wohlwollend. Der Hohepriester wusste, dass er ihn auch gar nicht anhören und seine Schriften nicht lesen musste - aber dieser Pharao ließ kein Wort ungehört oder ungelesen, wenn es so direkt an ihn gesprochen wurde. Das gehörte nicht nur zur Höflichkeit, sondern auch zu einer guten Regentschaft.

„Ich habe Euch Eure Empfehlung zurück gegeben“ begann er dankend. „Ihr schicktet mir den jungen Seth damals mit einer Empfehlung, welche von Euch selbst unterschrieben war. Nun habe ich eine Empfehlung für ihn an Euch gestellt. Ich weiß, Ihr kennt ihn nicht, aber ich möchte Euch seine Dienste sehr ans Herz legen. Er ist mit Abstand der beste Schüler, den ich in den letzten Jahren hatte und sicher der jüngste Priester, den ich jemals hier geweiht habe. Er ist gewitzt, ausgesucht höflich, gebildet und auch in unseren Kampfkünsten ein Könner geworden. Er ist ein guter Priester und ich denke, er hat eine große Zukunft vor sich. Und ich als sein Mentor sehe es nicht nur als meine Pflicht, sondern auch als meine Ehre, ihn Euch für den Palast empfehlen zu dürfen.“

„Gleich für den Palast“ wiederholte Fatil skeptisch und fast mahnend. „Haltet Ihr das nicht für etwas hochgegriffen, Chaba? Nur die Elite wird im Palast beschäftigt und der König hat bereits die besten Priester des Landes um sich.“

„Ich weiß, es scheint Euch hochgegriffen, mein König“ wand er sich direkt wieder an den. „Doch ich bin nun schon so alt und habe so viele Schüler zum Priester gemacht, habe sie kommen und gehen sehen, aber in diesem jungen Mann steckt etwas Besonderes. Er verfolgt die Religion mit solch einer Passion, mit solch einer Zielstrebigkeit, ja, ich möchte schon fast sagen, mit solch einer Liebe. Majestät, so etwas habt Ihr noch nicht gesehen! Wenn Ihr ihn unter die Palastpriester nehmen würdet, hättet Ihr sicher in wenigen Jahren einen der Größten an Eurer Seite. Bedenkt doch, auch der große Imhotep war einst als Mensch ein Priester, welcher dem Pharao gedient hat. Ich will meinen Schüler nicht mit einem Gott vergleichen, aber bitte nehmt meine beste Empfehlung zu Euch und zieht es nur kurz in Erwägung.“

„Weiß er denn, dass du ihn empfiehlst?“ Eine berechtigte Frage, welche der König nicht nur ihm, sondern auch sich selbst stellte. Seths letztem Brief nach, wusste er gar nicht, was er machen wollte. Er konnte nicht einfach entscheiden, ihn mit in den Palast zu nehmen - vielleicht wollte er das gar nicht. Vielleicht wollte er nicht dorthin zurückkehren, wo sein Leben einst ein Ende fand. Außer dem alten Fatil würde ihn heute sicher niemand mehr erkennen ... aber diese Entscheidung wog zu schwer, als dass der Pharao sie fällen wollte. Für jeden anderen ja - aber nicht für IHN!

Jetzt wäre es ihm lieber, er hätte nicht nachgefragt. Er hätte die Schriftrolle lesen und sie dann ignorieren können - das wäre nicht so schwer gewesen. Selbstverständlich konnte er auch dieses Gespräch hier beenden, aber das wäre nicht nur unhöflich, sondern auch auffällig und man würde sich nach dem Warum fragen.

„Nein, er weiß es nicht“ lächelte der alte Chaba Djedef Re zur Antwort. „Jedoch bin ich sein Mentor und er sicher irgendwann mein Schwiegersohn. Natürlich ist es mir da wichtig, dass ich für ihn das Beste heraushole. Ich versuche immer das Beste für meine Schüler zu erwirken und da er etwas Besonderes ist, möchte ich für ihn natürlich nichts unversucht lassen. Lasst ihn mich euch ans Herz legen, Majestät. Auch für Euer Wohl, denn ich weiß - er kann einer der Besten werden, welcher nur einem König wie Euch würdig ist.“

„Ich werde darüber nachdenken“ gab er diese ausweichende Antwort und sah schon an dem faltigen Gesicht des Hohepriesters, dass dies nicht die Antwort war, welche er sich erhofft hatte. Wenn ein Hohepriester eine Empfehlung aussprach, war diese fast so hoch wie die, welche ein Pharao unterschrieben hatte ... solche Empfehlungen wurden eigentlich nicht abgelehnt ... aber hier zumindest in Erwägung gestellt. Ein „Darübernachdenken“ war einem „Nein“ doch schon sehr ähnlich.

„Oh, ihr müsst Euch deswegen keine Gedanken machen“ bat der hagere Priester zu seiner linken Seite, welcher sich das dünne Haar aus dem Gesicht strich. „Es würde ihn nicht entwurzeln, wenn er Euch folgen würde. Es wäre ihm sogar eine Ehre.“

„Woher willst du das wissen?“ schaute der König ihn an und musste sich beherrschen, nicht böse zu werden. Wie konnte er es wagen, für Seth zu sprechen? Konnte er nicht selbst entscheiden? Hatte er denn keine eigene Meinung? Brauchte er wirklich Fürsprecher, die hier für ihn warben? „Woher willst du wissen, was er will oder wohin er will?“

„Weil ich mich mit ihm unterhalten habe“ gab er vorsichtig zur Antwort. „Ihr müsst wissen, ich bin sein Lehrmeister in ägyptischer Geschichte und natürlich führen wir da auch so einige Gespräche. Erst vor Kurzem haben wir darüber gesprochen, welchen Weg er nach seiner Weihe einschlagen möchte. Er ist zwar noch nicht fest entschlossen, aber natürlich haben wir auch die Möglichkeit in Erwägung gezogen, wie es für ihn wohl im Palast wäre. Und er schien dieser Möglichkeit nicht abgeneigt. Ich glaube, der junge Seth ist einer Eurer größten Verehrer, mein König.“

Sie wussten ja alle nicht was sie sagten! Der König legte sich erschöpft die Hand auf die Stirn und atmete kurz durch. Sie wussten ja alle nicht, was sie ihm mit diesem Gespräch antaten. Nichts täte er lieber, als Seth sofort mit sich fort zu nehmen. Nichts auf der Welt würde ihm näher liegen! Aber er konnte es nicht. Er wusste, wenn er Seth fragte, so würde er nicht nein sagen - aus reiner Dankbarkeit und aus reiner Königstreue schon nicht. Aber ob er das auch wirklich selbst wollte, war doch eher unwahrscheinlich. Er war sein ganzes Leben lang beherrscht worden und das sollte doch nun ein Ende haben. Würde er ihn mit in den Palast nehmen, würde es nur von vorne losgehen. Der Pharao könnte damit glücklich werden, aber wenn Seth nicht glücklich wurde, so wurde es Atemu auch nicht. Es war ein Teufelskreis, welcher nicht beginnen durfte. Er durfte Seth mit seiner Liebe nicht unterjochen. Das wäre ihm unwürdig. Seth musste frei sein, frei ... frei ... er durfte ihn nicht in seinen goldenen Käfig sperren ... Seth sollte seine Füße auf Gras setzen und nicht am Boden eines Gefängnisses sitzen ...

Und das Herz des Pharaos musste allein bleiben - so was es immer gewesen und so würde sein Gewissen rein bleiben. Nur wenn Seth wahrhaft glücklich wurde, so könnte er in Frieden ... sterben ... eines Tages ... weit fort von seinem verbotenen Traum.
 

„Ist Euch nicht gut?“ fragte der Hohepriester besorgt, als der König sich scheinbar über die Augen wischte und tief seufzte.

„Ich bin nur noch etwas erschöpft von der Reise ... es ist nichts.“ Er hätte geweint, laut geschrieen, geschimpft und getobt oder sich wimmernd in eine Ecke setzen wollen. Alles war besser als hier zu sitzen und die Beherrschung zu wahren.

„Vielleicht möchtet Ihr lieber etwas anderes als Wein trinken?“ bot der glänzend Glatzköpfige ihm an und reichte ihm einen goldenen Kelch mit klarer Flüssigkeit, sicher Wasser.

„Nein ... manchmal kann der Wein gar nicht stark genug sein“ beschloss er und goss eines Königs untypisch den ganzen Weinkelch seine Kehle hinunter. Lieber würde er sich heute Abend bis oben hin abfüllen als die Tränen seines Herzens zu weinen. Lieber sich betrinken als weiter diesen unendlichen, unsagbar grausamen Schmerz zu fühlen ... doch lieber fühlte er die Schmerzen der Gefangenschaft als einen Göttertraum einzusperren.

„Mein Pharao, vielleicht sollten wir uns jetzt zurückziehen und Euch etwas Ruhe gönnen“ bemerkte Fatil, fasste ihn vorsichtig am Arm und wollte ihn wohl zum Gehen bewegen, aber da setzte sein König nur das falscheste Lächeln auf, welches er jemals gesehen hatte.

„Aber nein, Fatil, mein Bruder. Lass uns doch noch bleiben und ein wenig unterhalten. Lass uns reden. Immer nur reden, reden, reden bis es nichts mehr zu reden gibt. Bis uns die Worte und der Wein ausgehen ... heute soll doch gefeiert werden. Oder was meint ihr, Priester?“

„Ganz wie Ihr es sagt, Pharao“ kam es zwar zögerlich, aber es kam.

Niemand hier würde ihm widersprechen. Niemand würde es wagen. Sein Wort war das Gesetz, sein Wille der Weg - der Pharao war alles ... und fühlte sich so leer wie nie zuvor.

Obwohl ihm langsam warm wurde und der Wein in den Kopf stieg, ihn schwindelig machte und seine Zunge schwer. Er hatte über den ganzen Abend sicher schon zwei Kelche leergenippt und nun einen dritten auf ex zu trinken, brachte doch etwas schnelleren Erfolg.

Sein Vater sagte ihm einst in weiser Lehre: „Der Wein gibt dir keine Antworten, mein Sohn“.

Atemu war in diesem Moment der weisen Meinung: >Aber vielleicht vergesse ich wenigstens die Frage, Vater.<

„Was ist?“ zeigte er auf eine junge, zierliche Frau mit langen Flechtzöpfen, welche dem alten Chaba etwas ins Ohr flüsterte. „Sag es laut, Mädchen! Ich will es auch hören!“

„Mein König“ antwortete sie dankend, senkte den Kopf vor seinem Befehl. „Bitte verzeiht die Störung. Der junge Priester, Seth Chuanch Amun Sanacht, lässt fragen, ob Ihr ihm die Ehre erteilen wollt, sich an Euren Tisch zu setzen.“

>SETH!< Er wollte sich an seinen Tisch setzen. Er schickte eines der Tempelmädchen, um über Chaba um Erlaubnis zu bitten. Er wollte sich wirklich an seinen Tisch setzen? Einfach so?

Er wollte ihn sehen! >Er will mich sehen!<

„Mein König, Ihr solltet Euch vielleicht ...“

„Natürlich! Gerne! Sag ihm, er soll herkommen!“ Fatils vorsichtiger Einwand blieb von vornherein ungehört, was seinen Blick nur besorgter machte.

Sein König war schon halb betrunken und vor lauter Liebeskummer in beginnender Verzweiflung und nun wollte er sich das auch noch antun?

Wären sie unter sich, könnte er sich seinen Pharao zur Brust nehmen und versuchen, ihm die Flausen auszutreiben, ihn zur Vernunft zu bringen. Aber vor so hohen Männern, widersprach man dem Herrscher nicht.

Doch ob das gut gehen würde? Wenn sich sein früherer Sklave, welchem er sein Herz zu Füßen legen wollte, sich an seinen Tisch setzte?

Es würde ihn doch nur noch mehr schmerzen.
 

Oh bitte ... warum erlegten die Götter ihrem königlichen Sohn ein solches Leid auf?



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück