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Menschen, die auf Gras wandeln I+II+III

von

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Kapitel 6
 

Der Pharao saß lange neben seinem Bett und horchte auf den gleichmäßigen Atem seines gepeinigten Traumes. Er verlor sich in Gedanken darüber, was ihm wohl geschehen sein mochte. Nicht nur am heutigen Morgen, sondern auch in all den Jahren zuvor. Wie konnte der Sohn eines Priesters in die grausamen Fänge von Sklavenhändlern gelangen? Hat seine Familie ihn denn nicht beschützt? Haben sie ihn verkauft? Vielleicht ist seiner Familie ein Unglück widerfahren? Es gab so viele Möglichkeiten und so viele Schreckensszenarien, eines schlimmer als das andere.

Die Heiler des Pharaos hatten ganze Arbeit geleistet und seine Wunden versorgt. Sie hatten ihm ein Mittel zur Beruhigung gegeben, damit er einige Stunden entspannt schlafen und Kraft schöpfen konnte.

Aber was würde werden, wenn er wieder aufwachte? Was wollte Atemu dann mit ihm machen? Er war ein Lustsklave und als solcher musste er ihn nun eigentlich verlassen. Aber der König könnte es niemals übers Herz bringen, ihn fort zu lassen. Nicht nachdem er angefangen hatte eine Brücke der Menschlichkeit zwischen beiden zu errichten, damit sie sich als Menschen treffen konnten. Er konnte doch nicht mitten im Bau alles abreißen und zusammenstürzen lassen. Nein, das wollte er nicht.

Doch war er wirklich das, was Seth brauchte? Würde er sich nicht schlecht fühlen mit jedem Mal, wenn er in die königlichen Augen blickte?

Jetzt erst wurde Atemu bewusst, wie einsam er wirklich war. Er war mindestens so einsam wie Seth nur mit dem Unterschied, dass Seth am Boden lag und einsam war und er selbst als König über allem anderen stand und ebenfalls völlig ohne Freude war.

Erst gestern Nacht hatte sein Herz seit langer Zeit wirkliche Freude empfunden. Zu sehen wie sein Seth über das Gras ging, wie wunderschön der Mondschein auf seiner Haut glänzte und das Gefühl Hand in Hand einzuschlafen. Gestern Nacht war er nicht einsam gewesen. Und insgeheim hegte er die Hoffnung, dass es Seth ebenso ging wie ihm.
 

In den frühen Abendstunden öffneten sich die blauen Saphire langsam und blickten noch leicht verdunkelt an die Decke.

„Du bist in Sicherheit“ flüsterte der König ihm ruhig zu und fasste an die Hände, welche fast leblos über seinem Bauch gefaltet waren.

Es überraschte ihn etwas als er fühlte, wie Seths Hände die seinen sofort festhielten. Genau wie gestern Abend griff er nach ihm und ließ ihn ohne Grund nicht wieder los. Vielleicht stand die Brücke schon zwischen ihnen. Sie war noch zu wackelig um darüber zu gehen, aber vielleicht konnten sie sich gegenseitig am anderen Ende schon sehen.

„Mein Pharao“ hauchte er und wandte seinen Blick auf das weiche Gesicht über ihm. Wie friedlich und unbedrohlich diese Augen ihn ansahen. Voller Gefühl und so voller Wohlwollen. Unter diesem Blick fühlte er sich in ungekannte Empfindungen gebettet, umhüllt von Wärme und Geborgenheit.

„Wie fühlst du dich, Seth? Hast du Schmerzen?“

„Wo bin ich?“ stöhnte er leise als er sich ins Sitzen erhob und sofort spürte, wie der König ihm dabei half sich aufzurichten, ihn stützte und ihm ein wunderschön besticktes Polster unter den Rücken schob auf welchem er sich komfortabel zurücklehnen durfte.

„Du bist noch im Palast und hier wirst du auch bleiben“ antwortete er gleichmütig.

„Ihr habt ... Pharao, warum habt Ihr das getan? Wollt Ihr mich selbst bestrafen?“

„Warum denkst du nur immer gleich das Schlechteste?“ seufzte er, aber sein Lächeln wollte einfach nicht von seinen Lippen weichen. „Um ehrlich zu sein, weiß ich noch nicht, was ich mit dir machen werde. Aber ich werde nicht zulassen, dass man dir noch mal wehtut. Ich habe dir meinen Schutz versprochen und ich halte mein Wort.“

„Ihr seid von edler Gesinnung und Eure Güte ehrt Euch“ dankte er ihm, aber das demütige Senken des Kopfes bereitete ihm wohl noch ein Schmerzen im Nacken.

„Hier, trink einen Schluck Wasser“ bat er und hob von dem kleinen Beistelltisch einen silbernen Kelch an, um ihn Seth vorsichtig zu geben.

Dieser zögerte einen Moment, ihn zu nehmen, denn als Sklave war es nicht von Stand, sich von seinem Herren etwas reichen zu lassen. Außerdem war dieser Kelch viel zu teuer und zu fein, um an seine niederen Lippen zu gelangen.

„Jetzt komm schon“ lächelte Atemu ihn an. „Trink endlich, sonst kippst du mir noch mal um. Und das will ja keiner. Hier.“ Er drückte ihm einfach den Kelch in die Hand und genoss den Anblick wie er seine sinnlichen Lippen daransetzte und seiner Kehle mit einem leisen Schlucken das kühle Wasser schenkte. „Schau, alles ganz unkritisch“ lobte er und nahm ihm den leeren Kelch wieder ab.

„Danke“ erwiderte er leise und blickte etwas verloren auf die Decke über seinen Beinen. Er fühlte sich noch etwas schwummerig, aber er hatte schon schlimmeres weggesteckt als so ein paar Prügel. Das war doch nichts. Dieses Mal war er sogar besser versorgt worden. Die Verbände waren sauber und die Wundsalbe duftete angenehm wohltuend.

„Erzählst du mir, was diese freundlichen Herren mit dir machen wollten?“ fragte er vorsichtig nach, denn das interessierte ihn wirklich. Vielleicht war Seth jetzt etwas zugänglicher als am letzten Abend. Jetzt stand er weniger unter Leistungsdruck und war letztlich frei ... hoffentlich wusste er das auch.

„So wie ich das verstanden habe, wollte mein Besitzer mich verschenken“ wiederholte er die leeren Worte.

„Was muss es nur für ein Gefühl sein, wenn einem das eigene Leben nicht gehört?“ dachte Atemu etwas lauter als er es vorgehabt hatte. Aber Seth sollte ruhig sehen, dass er es ernst und vor allem gut mit ihm meinte. „Seth, bitte verzeihe mir, wenn ich das so frei heraus frage, aber wie bist du bis hier her gekommen? Du hast erzählt, dass dein Vater Priester war und du eine angesehene Familie hattest. Ich kann mir schwer vorstellen wie jemand wie du in die Sklaverei gekommen ist.“

„Warum fragt Ihr mich das?“ schaute er mit gebrochenem Blick zurück. „Ich verstehe nicht, warum Ihr so freundlich zu mir seid. Ihr habt doch gar keinen Grund dafür, mich hier zu behalten, nachdem ich Euch so enttäuscht habe.“

„Du hast mich nicht enttäuscht und meine Gründe sind sehr simpel. Ich finde Gefallen an dir und der gestrige Abend war für mich wie eine wohltuende Oase inmitten der Wüstenhitze. Ich mag es, wenn du in meiner Nähe bist und ob du es glaubst oder nicht, mir liegt etwas an deinem Wohl. Ich kann es nicht beschreiben, aber ich hab dich irgendwie lieb gewonnen.“

„Mich ... Pharao, was redet Ihr da?“

„Ich sage ja, du wirst es wohl nicht glauben“ lächelte er. „Aber hätte ich einen Grund, dich anzulügen? Du weißt, dass ich das nicht nötig habe. Es ist mit ein Bedürfnis, dich zu verstehen und ich möchte gerne mehr über dich wissen. Magst du mir erzählen, was dir widerfahren ist?“

„Aber Pharao, Ihr habt doch sicher Wichtigeres zu tun, als ...“

„Überlasse das nur mir, mein Seth. Ich bin sehr interessiert an deiner Geschichte. Bitte erzähle mir alles. Wie kommt es, das ein Mensch wie du zum Sklaven wird?“

„Ich habe keine schöne Geschichte zu erzählen. Bitte belastet Euer Gemüt nicht mit Schicksalen wie meinen. Ihr seid zu wichtig, als dass Ihr ...“

„Aber ich möchte etwas daran ändern“ versprach er und griff abermals nach den Händen, welche sich unbewusst so sehr an ihn klammerten. „Wenn du politisch gebildet bist, dann weißt du, dass ich an der Situation der Sklaven etwas ändern möchte. Aber wie soll ich richtig regieren, wenn mir niemand sagt, wie es im Lande wirklich aussieht? Ich kann keine Politik für die Menschen machen, wenn ich die Menschen nicht kenne. Deshalb würdest du mir sehr helfen, mein Volk zu verstehen, wenn ich dich verstehen kann. Ob es mich belastet oder nicht, sollte dich nicht kümmern. Bitte erfülle mir diese Bitte und erzähle mir, was du erlebt hast.“

„Wenn es Euer Wunsch ist, will ich dem entsprechen“ nickte er. Er verstand wirklich nicht, warum der König ihn nach seinen Erlebnissen fragte, aber wenn ihm befohlen wurde, dass er reden sollte, dann würde er das tun. Sein Leben war ohnehin verloren, also war es auch egal, was der König dazu sagte. „Ich bin gerade zwölf geworden als meine Eltern gemordet wurden“ begann er sofort mit dem größten Schockmoment. „Wie Ihr sicher wisst, war der Süden des Landes immer widerspenstig und es gab viele Gruppen, welche gegen Euren Vater rebelliert haben. Meine Eltern wollten sich einer solchen Revoluzzergruppe nicht anschließen und in den Westen wandern. Aber die Gefahr, dass sie die Namen der Rebellen verrieten, war zu groß und deshalb wurden sie aus dem Weg geschafft. Als Kind habe ich das noch nicht alles verstanden. Ich erinnere mich nur daran, dass sie eines Nachts unser Haus gestürmt und meine Eltern erschlagen haben. Ich wurde von meinem Bruder getrennt und habe ihn seitdem nicht wiedergesehen. Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist oder ob er überhaupt noch lebt. Danach wurde ich auf den Markt gebracht und von einem Sklavenhändler gekauft. Ja, das ist meine Geschichte. Nicht besonders unterhaltsam, nicht wahr?“

„Oh, Seth, das ist furchtbar.“ In ihm stieg die Trauer hoch und er hatte einen Kloß im Hals. Er konnte sich nur schwer vorstellen, wie sich ein Junge fühlen musste, wenn er sah, wie seine Eltern erschlagen und er selbst einfach verkauft wurde. Kein Wunder, dass Seth die Lust am Leben verloren hatte. „Wie ging es danach weiter?“

„Damit solltet Ihr Euch nicht abgeben, Hoheit. Ihr solltet ...“

„Bitte entscheide nicht darüber, was ich sollte und was nicht“ bat er deutlich. „Sei so gut und erzähle mir was dann mit dir geschah. Ich muss zugeben, ich weiß wenig darüber, wie der Sklavenhandel organisiert ist. Du würdest mir damit sehr helfen.“

„Wenn Ihr es sagt“ schaute er ihn noch immer reichlich ratlos an und erzählte dann weiter mit leerer Stimme. Als würde die Geschichte, die er zu erzählen hatte nicht wirklich seine eigene sein. Als würde ihn das alles nicht berühren können. „Nachdem mich der Händler gekauft hatte, sind wir eine Weile durch die Wüste gereist. Es waren auch noch andere Kinder in meinem Alter dabei, aber nur etwa die Hälfte hat die Strapazen der Reise überlebt. Andere sind einfach verdurstet oder wurden entkräftet zurückgelassen. Ich wurde dann in einem anderen Dorf weiterverkauft und habe dort eine Weile auf dem Feld gearbeitet. Das Essen war knapp und Lohn gab es keinen, aber ich habe es trotzdem getan. Mir blieb ja nichts anderes übrig außer zu arbeiten und zu beten. Nach etwa einem halben Jahr kam ein reicher Mann zu meinem Herren und hat mich nach einer kurzen Unterredung mitgenommen. Von dann an wurde mein Leben besser. Ich kam mit anderen Kindern zusammen in ein Haus weit ab von einer Stadt. Wir haben gesundes Essen bekommen und es wurde große Acht auf Körperpflege gelegt. Mir selbst ist in dieser Zeit nur aufgefallen, dass manchmal einfach Kinder verschwanden und nie mehr zurückkehrten. Aber es war uns verboten irgendwelche Fragen zu stellen. Erst später fand ich heraus, was mit ihnen geschah, nämlich als ich selbst eines von diesen verschwundenen Kindern wurde.“

„Was haben sie mit den Kindern gemacht, Seth? Wo sind sie hingekommen?“

„Wir sind in ein größeres Privathaus gekommen. Ich und noch ungefähr acht Kinder. Vier Jungen, fünf Mädchen. Zu dieser Zeit war ich etwa vierzehn und wusste, dass es ausweglos ist, zu fliehen. Ich habe Kinder gesehen, welche es versucht haben, aber diese haben nur schnell den Tod durch Bestrafung gefunden.“

„Was haben sie in diesem Haus getan?“ forderte er genauer zu wissen.

„Dort haben sie uns ausgebildet“ antwortete Seth wie rührungslos. „Sie haben unsere Körper betrachtet und unseren Geist getestet. Erst wenn wir uns als gut gebaut und intelligent erwiesen hatten, durften wir bleiben. Letztlich haben nur drei diese Prüfungen bestanden. Zwei Mädchen und ich. Die Mädchen habe ich danach nur noch selten gesehen, denn von dann an waren immer mindestens zwei Erwachsene um mich. Sie waren meine Lehrer. Früh am Morgen begannen die Lehrstunden in denen ich meine Leistung zeigen musste. Ich wurde alles gelehrt über Kochen, Nähen bis hin zu Gesang, Tanz, Politik und anderer Unterhaltung. Ich musste lernen wie ich ein kurzweiliger Gesprächspartner sein kann und ich musste lernen, mich meinem Herren unterzuordnen. Alles, was ich vorher kannte, sollte ich vergessen, denn wenn mir mein Leben lieb sei, so musste es wertlos werden. Nur mein Herr hat über mich und mein Tun zu entscheiden. Aufmüpfigkeit wurde sehr hart bestraft und schlechte Leistungen endeten im besten Falle mit der Ausweisung aus der Ausbildung.“

„Seth, die haben dir eine Gehirnwäsche verpasst“ staunte der Pharao völlig ungläubig. Wie konnten Menschen nur so grausam sein? Sie hatten ihm alles genommen. Sie hatten ihm seinen Charakter genommen, einen großen Teil seiner Erinnerungen und vor allem hatten sie ihm seinen Namen genommen. Alles nur, damit er der perfekte, willenlose Diener wurde.

„Besonderer Wert aber wurde auf die Lehre der körperlichen Dienste gelegt“ erzählte er matt weiter. „Ich musste alles lernen. Alle Triebe zu befriedigen, egal ob sie nun romantischer oder perverser Herkunft seien. Doch dabei musste ich jungfräulich bleiben, denn man hatte mich für Euch, den König, ausgesucht. Ich sollte rein bleiben für Euch.“

„Aber wie soll denn das gehen? Wie sollst du so was lernen, ohne es selbst zu erleben? Ich kann mir das nicht vorstellen.“

„Es gibt Möglichkeiten, einen menschlichen Körper zu imitieren“ gab er Auskunft, als würden sie über die Aufzucht einer Pflanze sprechen. In Seths Munde hörte es sich so harmlos an, doch was hinter diesen Worte steckte, da wollte man eigentlich gar nicht drüber nachdenken. „Es gibt Geräte und Medizin, Probespiele, um den Akt nachzustellen. Ich bin rein geblieben, aber die Ausbildung war sehr intensiv.“

„Ich glaube, mehr möchte ich darüber gar nicht wissen“ sonst würde ihm schlecht werden. Was meinte er mit Geräten und Medizin und Probespielen? Sollte das heißen, sie hatten Dinge in ihn rein gesteckt, ihn unter Drogen gesetzt und schauspielern lassen? Alles nur, damit er ein unberührter Lustsklave blieb? Sie hatten ihn angetatscht, ihn gedemütigt und gezwungen ... er sagte es nicht direkt, aber seine leeren Augen sprachen mehr als tausend Worte. Sie hatten ihm schreckliches angetan, nur damit irgendjemand dem Pharao seine Visitenkarte schicken konnte.

„Wie bist du dann zu mir gekommen?“ fragte er zittrig weiter. Er zitterte vor Wut und vor Trauer. Wie konnten Menschen sich gegenseitig nur solche Grausamkeiten antun? Obwohl er die Misshandlung von Sklaven verboten hatte!

„Ich wurde einem Edelmann vorgestellt. Er hat mich geprüft und für gut befunden. Ich habe mich darauf gefreut, Euch endlich zu treffen, denn dies bedeutete, dass ich meine Ausbildung abgeschlossen hatte. Es ist eine große Auszeichnung für einen Lustsklaven, wenn er Euer Gefallen findet. Man sagte, Ihr wäret gütig und liebevoll. Dass man sich bei Euch fühlt wie in den Armen eines Gottes und Ihr deswegen besondere Aufmerksamkeit bekommen solltet.“

„Trotzdem hast du einen relativ angespannten Eindruck gemacht“ stellte Atemu prüfend fest. „Was sollte mit dir geschehen, wenn du mich verlässt?“

„Euer Gefallen an mir bestimmt meinen Wert. Gefalle ich Euch, so komme ich in ein gutes Haus, habe wenige Freier oder werde vielleicht sogar als Privatsklave gekauft, was mehr umfasst als nur die körperlichen Dienste. Ein gutes Haus verspricht gutes Essen, wenig Prügel und ausreichend Versorgung. Kleidung und manchmal sogar eigenen Besitz, wenn der Herr etwas schenkt. Gefalle ich Euch nicht, so werde ich in ein unteres Bordell verkauft oder eben verschenkt. Die meisten Sklaven sterben dort relativ bald an Krankheiten, Verletzungen oder Erschöpfung. Je nach dem wie Ihr mich bewertet, entscheidet dies über meinen weiteren Weg.“

„Aber wie sind sie denn nur darauf gekommen, du hättest mir nicht gefallen? Verzeih, aber ich verstehe das nicht. Der Abend gestern war das Wundervollste, was mir seit langem widerfahren ist. Warum wollte dein Besitzer dich verschenken?“

„Ihr hattet nicht genug Gefallen an mir, dass ich Euer Bett teilen durfte“ antwortete er offen, denn es war jetzt eh egal. Er sprach als wäre es nicht sein Leben, welches hier zur Beurteilung lag.

„Woher wollen die denn das wissen? Außenstehende können doch gar nicht beurteilen, woran ich Gefallen finde und woran nicht!“

„Man sieht es Euch an. Die Beobachter des Palastes wissen genau, wie Eure Sklaven sich machen. Es sind die zerwühlten Laken, die Spuren an unserem Körper und im Zweifelsfalle ist es legitim, Eure Diener zu befragen, welche immer im Raum sind.“

„Aber meine Leibdiener sind verschwiegen ... dachte ich immer.“ Wie viele Dinge mochte es wohl geben, von denen er auch keine Ahnung hatte? Dass seine Leibdiener über sein privates Vergnügen befragt wurden und auch noch freie Auskunft gaben, das hatte er nicht gewusst. Er wusste, dass immer mindestens zwei Diener mit ihm Raum waren, auch wenn sie sich im Hintergrund hielten, aber das störte ihn nie, denn er war es nicht anders gewohnt. Sie dienten seinem Komfort und seinem Schutz. Aber dass so über das Schicksal eines Menschen entschieden wurde und er selbst nicht mal gefragt wurde, das bedurfte schleunigster Änderung!
 

Seths Erzählung war geendet und er blickte fast wie in Trance die königlichen Hände an, welche ihn noch immer festhielten. Sein Leben lag im Ungewissen und man konnte es ihm ansehen, dass es ihm egal war. Ob er nun in ein schmutziges Bordell kam oder geköpft wurde, letztlich lief sein Leben immer nur darauf hinaus, dass es schlimmer kam als vorher.

„Seth, wenn du dir etwas wünschen könntest, was wäre das?“

„Was?“ Er blickte auf und direkt in die edlen Augen, welche ihn mit solchem Wohlgefallen und solcher Güte fixierten, dass er immer weniger verstand, was mit ihm geschah. Er verstand diese ganze Situation nicht. Er war eben nur ein Sklave, welcher die tiefen Gedanken der höheren Menschen nicht nachvollziehen könnte.

„Du hast doch sicher einen Wunsch, oder? Wenn du dir aussuchen könntest, wie dein Leben jetzt weitergeht, was würdest du dir wünschen?“

„Ich habe keine Wünsche, Majestät.“

„Dann hast du vielleicht mal einen gehabt?“ hoffte er weiter und gab die Hoffnung nicht auf, diesen Funken Leben in ihm neu entfachen zu können. „Denk an früher. An deine Kindheit, wenn du dich daran erinnern kannst. Schließe die Augen und stelle es dir vor. Denk an deine Mutter, deinen Bruder, deinen Vater. Schließe die Augen, mein Seth“ bat er und legte seine Hand über seine leeren Augen, um sie für einen Moment in Dunkelheit und innere Bilder zu betten. „Denk an deine Familie, an das Haus, in dem ihr gelebt habt. Siehst du dich selbst? Fühlst du, was du damals gefühlt hast?“

Seth versank langsam in dieser ruhigen Stimme, welche so völlig anders klang als alle anderen. So weich wie die Stimme seiner Mutter, so schützend wie sein Vater, so vertraut wie die junge Stimme seines Bruders. Er fühlte die Sonne auf seiner Haut, roch die alten Düfte ... er sah sich selbst als kleinen Jungen an der Hand seines Vaters.

„Was wünschst du dir?“ flüsterte Atemu ihm warm an seine schönen Ohren.

„Ich sehe den Tempel ... und meinen Vater ... er sieht so prächtig aus in seinem heiligen Gewand ... seine Stimme steigt im Gebet bis zu den Göttern auf ... im Tempel wächst grünes Gras ... ich sehe ... damals ... mein Bruder und ich ... ich ...“

„Ja, was wünschst du dir? Was wünschst du dir?“

„Ich will sein wie mein Vater. Ich will Priester sein. Ich will ein heiliger Mann sein. Genau wie mein Vater.“

„Das ist ein sehr schöner Wunsch“ lächelte der Pharao und ließ seine Augen wieder frei, um ihm nun mit einer ganz anderen Perspektive ins Gesicht zu sehen. „Meinst du, wir wollen deinen Wunsch wahrmachen? Möchtest du Priester werden?“

„Majestät ... ich bin ein Lustsklave. Ich bin unrein. Ich kann kein ...“

„Nein, sprich das nicht aus“ verbot er und legte ihm seine Finger auf die Lippen. „Sag es nicht, denn es ist nicht wahr. Sei einfach nur ehrlich zu mir, sag mir das, was in deinem Herzen ist. Mein Seth, ist es dein Wunsch, Priester zu sein?“

Er antwortete nicht, aber langsam begann er mit dem Kopf zu nicken und löste damit ein überglückliches Lächeln auf den Lippen seines Königs aus.

„Dann werden wir das machen“ versprach er ihm. „Ich gebe dir mein Wort, Seth. Du sollst Priester werden und mit mir gemeinsam ein Vorbild geben. Sklaven sind nicht nur Sklaven, sondern Menschen. Alle Menschen haben dieselben Rechte und auch du hast das Recht dazu, Priester zu werden und frei zu leben.“

„Aber das könnt Ihr nicht machen! Ihr seid ...“

„Genau, ich bin der König dieses Reiches“ beschloss er deutlich. „Und wenn ich sage, du sollst Priester werden, dann wirst du Priester. Und ich will keine Widerrede hören. Du bist sehr intelligent, Seth. Und wunderschön. Kein Mensch soll dich haben, denn nur die Götter werden dir gerecht. Dies ist mein Wunsch. Bitte schlage ihn mir nicht ab.“

„Aber Majestät, Ihr habt ...“

„Leg dich noch ein wenig hin und schlafe“ lächelte er ihn beruhigend an und drückte ihn sanft hinunter auf die Kissen. „Wenn du wieder bei Kräften bist, so werden wir weitersprechen. Von nun an sollst du dein Leben im Namen der Götter und in meinem Namen leben.“

„Majestät, ich verstehe das nicht. Aber ... ich danke Euch für Eure gütigen Worte und Euer offenes Ohr. Wer gut von Euch spricht, der spricht die Wahrheit.“ Mehr wusste er dazu nicht zu sagen. In seinem Kopf wirbelte alles durcheinander. Noch nie war sein Leben so ungewiss wie in diesem Moment. Aber auch noch nie hatte er das Gefühl, so sicher zu sein. Noch nie hatte er das Gefühl einem Menschen mehr vertrauen zu können als seinem Pharao.

„Wenn du mir danken möchtest“ hauchte er und kam seinem Gesicht langsam so nahe, dass sich ihre Nasenspitzen beinahe berühren konnten, „so begegne mir als Mensch. Du sollst mich nicht als König sehen und ich will dich nicht als Sklaven sehen. In deinen Augen will ich ein Mensch sein. Bitte nenne mich bei meinem Namen, so wie ich dich bei deinem nenne. Wenn du mir danken willst, so tue bitte dies für mich.“

Seth atmete stockend ein und schloss vor aufsteigender Tränen die Augen.

Diese Minuten mussten ein Traum sein.

„Atemu ...“ hauchte er leise, aber in den Ohren des Königs klang seine weiche Stimme wie der Gesang eines heilenden Engels. Niemand hatte ihn jemals wirklich bei seinem Namen genannt. Nicht mal seine Eltern hatten ihn persönlicher als ‚Prinz’ angesprochen. Aber mehr als alles andere wünschte er sich, dass er als Mensch gesehen wurde, so wie Seth als Mensch gesehen werden sollte. Sein Name auf diesen Lippen waren die wahre Erfüllung eines lang gehegten Traumes von Liebe und Heimat.

„Seth ...“



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