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Menschen, die auf Gras wandeln I+II+III

von

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Kapitel 2
 

„Sagst du mir, wie du heißt?“ fragte er dann nach einiger Zeit. Er hatte ihn nun ausreichend in Augenschein genommen und auch wenn er sich noch lange nicht an ihm sattgesehen hatte, wollte er nun auch sein Inneres in Augenschein nehmen. Die meisten Sklaven hatten Geschichten zu erzählen und waren direkt froh darüber, wenn man ihnen zuhörte. Denn auch wenn die Worte eines unfreien Menschen kein Gewicht hatten, so hörte der König ihnen doch gerne zu und spendete Trost, wo er es konnte.

„Ich habe keinen Namen“ antwortete der Sklave mit folgsamer Stimme.

„Du hast keinen Namen?“ wiederholte er ungläubig. „Aber ein Mensch muss doch einen Namen haben.“

„Ich bin kein Mensch, ich bin ein Lustsklave, mein König.“

„Das ist keine schöne Antwort“ bedauerte er und in ihm stieg echte Trauer auf über dieses gebrochene Sprechen. Wie konnte ein Mann, der aus dem göttlichen Leib der Erde geboren war nur so völlig ohne Lebensanspruch sein?

„Bitte verzeiht, wenn Euch meine Antwort nicht zusagt. Ich kann lügen, wenn ihr es wünscht.“

„Nein, bitte sei ehrlich zu mir“ bat er bedrückt. „Hast du dich niemals danach gesehnt, einen Namen zu haben? Es macht mich unglücklich, wenn du mir sagst, du seiest namenlos.“

„Bitte schickt mich fort“ entgegnete er und senkte langsam den Kopf, sodass ihm sein erdiges Haar tief in die Stirn fiel und seine Augen zusätzlich schloss. „Ich bin nicht hier, um Euch unglücklich zu machen.“

Von selbst durfte er nicht aufstehen und gehen. Aber wenn er seinen Herrscher unglücklich machte, dann war es besser, wenn er nicht hier war.

„Unglücklich zu sein, ist keine Schande und keine Sünde“ antwortete der Pharao ihm mit einer weichen Stimme. „Es sind Gefühle, welche jeden Menschen bewegen. Natürlich ist das Unglücklichsein kein schönes Gefühl, aber es ist ein Gefühl. Hast du denn keine Gefühle?“

Und wieder klang seine Antwort wie auswendig gelernt und tausend Mal eingeprägt.

„Eure Gefühle sind meine Gefühle, Herr. Sagt mir wie ich sein soll und ich werde es für Euch sein.“

„Du meinst, du bedienst alle meine Gelüste?“

„Alle, mein Pharao. Was Ihr wünscht.“

Er schien fügsam zu sein, was auch immer man von ihm forderte. Er war sicher ein hervorragender Lustsklave, denn der Pharao hatte schon mit vielen ähnliche Erfahrungen gemacht. Solch scheinbar ruhige Sklaven konnten innerlich einen Schalter umlegen und sich in völlig andere Personen verwandeln. Sie konnten damit sämtliche Rollenspiele bedienen, was ihre Qualität sehr auszeichnete. Sie konnten die Küchenmagd spielen, den Lehrer, den Schüler, den Bauern, die Königin, den Bettler, den Kriegsfeind - alles, jede Rolle konnten sie spielen.

Und diesem Sklaven hier war diese Kunst mit Sicherheit auch gegeben. Nur die Kunst, sich selbst zu spielen, vermochte er wohl nicht.

„Du hast keinen Namen, sagst du?“ fragte er noch mal nach.

„Nein, ich trage keinen Namen. Wenn Ihr so hohen Wert darauf legt, fühlt Euch bitte frei, mir einen zu geben.“

„Möchtest du dir nicht vielleicht selbst einen aussuchen? Was meinst du? Welcher Name könnte zu dir passen?“ Vielleicht ließ sich so etwas über seinen Charakter herausfinden. Es konnte doch nicht sein, dass es Menschen gab, welche keinen eigenen Charakter besaßen. Und ein Name zeichnete doch einen Charakter aus.

„Mein Herr, ich bin hier, um Euch zu gefallen. Nennt mich gerne bei einem Namen, der Euch zusagt.“

„Na, prima“ seufzte er und musste es wohl aufgeben. Dieser Mensch hier definierte sich vollends über seinen Herren. Er hatte ja schon gefügige Sklaven erlebt, aber so etwas noch niemals. „Also gut, dann denke ich mir einen Namen für dich aus. Einen Namen, der mir gefällt, sagst du?“

„Was immer Ihr wünscht.“ Wieder senkte er voller Demut seinen Kopf und schloss unterwürfig die Augen. Er würde sich alles gefallen lassen.

„Du bist wunderschön“ überlegte der König laut. „Deine Augen sind so blau wie der Himmel über der heißen Wüste und das Licht bricht sich darin wie das Funkeln eines hellen Sterns. Deine Haut ist so eben wie Seide, dein Haar von so erdiger Farbe und dein Körper wie der Traum eines Gottes. Ich nenne dich nach dem Seth, der mir in der harten Wüste besteht. Ich nenne dich Seth.“

Für einen Moment schien der Sklave zu erstarren. Seine Augen zeigten ein Aufleuchten, es war kurz, aber sie leuchteten, bevor das Leben in ihnen wieder in der Versenkung verschwand. Seine Seele hatte sich gerührt und sein Herz ein Mal hoch geschlagen. Doch nun war es weg, schnell weggeschoben und unterdrückt.

„Gefällt dir dein Name?“ lächelte der König, der Gefallen fand an diesem kurzen Aufleben des betäubten Herzens.

„Seth“ wiederholte er ungläubig. Sein Blick ging zurück ins Nichts und auch seine Stimme festigte sich wieder in nur einer Silbe. „Wenn Euch der Name zusagt, soll er mir nicht missfallen.“

„Kann dieser Name dir etwas bedeuten?“ wollte er gerne wissen. Er wusste auch, dass Seth der Name des Wüstengottes war, welcher wild und ungestüm war. Aber das konnte nicht der Grund sein, weshalb sein neuer Sklave für einen Moment so außer sich schien.

„Es ist der Name eines Gottes, Herr“ antwortete er folgsam. „Ich hatte nicht erwartet, dass Ihr ...“

„Dass ich einen Sklaven nach einem Gott nenne?“ ergänzte er mit Freude den unfertigen Satz. „Ich denke, dass Sklaven und Götter ganz nahe beisammen liegen. Beide kennen das Leben von den Grundfesten auf und wissen, dass man es schätzen sollte. Schätzt du dein Leben, Seth?“

„Ich höre, was Ihr mir befehlt, Pharao.“

Für einen Moment war der König verwirrt über so eine merkwürdige Antwort und er musste sich erst bewusst machen, dass vor ihm ein Sklave und kein Gott saß. Wenn er ihn fragte, ob er sein Leben schätzte, so konnte er nicht mit Ja oder Nein antworten. Er hatte dies als eine Drohung verstanden, denn wenn er sein Leben behalten wollte, so musste er tun, wozu er befehligt wurde.

„Oh bitte! So war das nicht gemeint!“ beteuerte er sofort. „Ich ... Seth, es tut mir leid. Ich wollte dich nur ... weißt du, es ist schwer, sich mit dir zu unterhalten.“

„Aber ich kann über jedes Thema sprechen“ versprach er und hob vorsichtig seinen saphirblauen Blick an. „Bitte sucht Euch ein Thema aus, mein König. Was Ihr möchtet. Politik, Handel, Gesellschaft, Medizin, Religion, Literatur, Okkultismus, ich kann über alles mit Euch sprechen. Worüber möchtet Ihr reden?“

„Ich möchte gerne über Sklaven sprechen“ antwortete er. „Da kannst du doch wohl aus dem Nähkästchen plaudern, oder?“

„Ich ... ja, natürlich kann ich das. Stellt mir eine Frage, wenn es Euch beliebt.“

Ihm lagen so viele Fragen auf der Zunge. Er wollte wissen, wo dieser Göttertraum herkam, wie er in die Fänge des Sklavenhandels geraten war, was er erlebt hatte und wie er ihm ein Lächeln auf die Lippen zaubern konnte. Aber er hatte in seinem Bauch eine dunkle Vorahnung, dass seine Geschichte mit Sicherheit keine schöne Geschichte war. Dieser Sklave war so voller Geheimnisse und er war sich nicht sicher, ob er diese Geheimnisse wirklich lüften sollte ... ob er es überhaupt wollte. Wollte er wirklich so tief in seine Privatsphäre eindringen und ihm Antworten abringen, für welche er sich eventuell schämte? Stand einem König so etwas zu?

„Nein“ beschloss er dann mehr zu seinen Gedanken selbst. „Ich glaube, ich möchte lieber wissen, was dir gefällt. Und jetzt sag mir bitte nicht, dass dir gefällt, was mir auch gefällt. Nein, ich möchte wissen was DIR gefällt. Was gefällt Seth?“

„Ich mag gern Speisen zubereiten und sie wunderschön garnieren. Ich reite gern und ich höre gerne den Gesängen der Frauen im Dorf zu.“

„Du hast soeben meine Hobbys aufgezählt“ stellte der König mit Argwohn fest. „Du scheinst ja gut informiert zu sein. Wurdest du lange darauf vorbereitet, heute vor mir zu erscheinen? Hat man dir auch gesagt, dass ich es nicht schätze, wenn man meint, mich kennen zu wollen?“

„Ich wollte Euch nicht zu nahe treten, Herr“ antwortete er zwar tonlos, aber es schien, jetzt würde ihm bange werden. Er hatte seinen Herren erzürnt und das war das Letzte, was er wollte. Das Allerletzte.

„Ich kann dich nicht verstehen“ seufzte der König und sah ihn bedrückt an. „Hast du keinen eigenen Willen?“

„Euer Wille ist mein Wille, Herr.“

„Okay, es hat keinen Sinn“ stellte er traurig fest. „Wer hat dir das angetan? Wer hat deinen Willen gebrochen und dich zu einem namenlosen Geschöpf gemacht? Wer kann es wagen, den Traum eines Gottes zu brechen und gefügig machen zu wollen?“

„Mein Herr, ich ...“

„Nenne mich bei meinem Namen.“

„Ich kann Euch gerne, wenn Ihr ...“

„Nenne mich bei meinem Namen“ wiederholte er noch mal aufs Neue. „Jeder kennt meinen Namen. Ich wünsche nicht, dass du Herr oder König zu mir sagst. Ich wünsche, dass du mich bei meinem Namen nennst. Du kennst ihn doch.“

„Es steht mir nicht zu, Euch bei Eurem Namen zu nennen.“ So langsam wurde dieser müde Sklave nervös. Er wollte es unbedingt gut machen und das tun, was er gelernt hatte. Aber nun ...

„Mein Wille sei dein Wille“ wiederholte der König dafür noch mal mit ganz besonders deutlichem Nachdruck. „Und ich WILL, dass du mich bei meinem Namen nennst.“

„Atemu“ sagte der Sklave aufgebend und senkte den Kopf als würde er ihm auf der Stelle abgeschlagen werden.

„Siehst du, so schwer war es doch nicht, oder?“ ermutigte er ihn jetzt wieder und schenkte ihm ein zufriedenes Lächeln. „Über deinen Mut bin ich beeindruckt und erschrocken zugleich. Ich weiß, dass es euch Sklaven verboten ist, meinen Namen in den Mund zu nehmen und auch, dass ihr hart bestraft werdet, wenn ihr es doch tut. Aber du scheinst mein Wort wirklich über dein Wohl zu stellen, nicht wahr?“

„Natürlich. Es ist meine Aufgabe Euch zu dienen und ich werde meine Aufgabe mit Freuden erfüllen.“

„Mit Freuden, sagst du?“

„Ja, mit Freuden. Euch zu dienen ist mir eine Freude.“

„Und warum lächelst du dann nicht?“

Diese Frage schien ihn doch tief zu treffen. Was in seinem Inneren vorging, blieb der Außenwelt verschlossen, aber es schien, er würde jetzt aufgeben.

Er senkte seinen Kopf nicht mutwillig, sondern es schien, er würde ihm auf die Brust fallen. Er schloss die Augen und regte sich nicht mehr. Er hatte versagt. Er sollte dem König Freude bereiten und stattdessen hatte er versagt. All die Jahre waren verschwendet. Er hatte auf ganzer Linie versagt.
 

Doch als Atemu diese zusammengebrochene Körperhaltung sah, musste er sich aufs Neue besinnen.

Dieser Sklave hatte also keinen eigenen Willen?

Dieser Mensch hatte keinen Wert?

Nein. Das war ihm eingeredet worden.

Wie konnte er seinem Land verständlich machen, dass auch Sklaven Menschen waren. Dass auch sie das Recht auf einen Willen und einen eigenen Wert hatten? Wie konnte er dieses den Ägyptern verständlich machen, wenn nicht mal die Sklaven selbst daran glaubten? Wenn er das Land revolutionieren wollte, so musste er nicht gegen Feinde kämpfen, welche ihn von außen bedrohten. Nein. Er musste gegen dein Feind kämpfen, der im Inneren schwelte.

Dieser wunderschöne und doch gebrochene Mensch, der da zu seinen Füßen kauerte, war von diesem Feind besetzt.
 

Wenn der Pharao Atemu ein wirklich großer Mann war,

wenn er wirklich jemals einen Menschen wirklich glücklich machen wollte,

so musste er den Feind im Inneren dieses Göttertraumes besiegen.
 

Außerdem sagte ihm sein Herz Dinge ins Ohr, welches es noch niemals gesprochen hatte. Es sagte ihm, dass er nur glücklich werden konnte, wenn dieser namenlose Sklave ihm als Mensch mit Wert und Namen gegenübertreten konnte und eines Tages sagte: ‚Ja, ich bin glücklich.’ Und der König würde erwidern: ‚Dann bin auch ich glücklich.’

Wenn er das schaffen konnte, so konnte er auch Ägypten regieren

und seinen eigenen Traum wahr machen - nämlich jemandem in die Augen blicken, dem er dann hoffentlich wirklich etwas bedeutete.

Nicht als König, sondern als Mensch.



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