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Walking on thorns

von

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- Das Ende? -

Kommentar: Auch wenn der Kapitel-Titel "Das Ende" heißt, ist die Story damit

noch NICHT abgeschlossen. Mit diesem Kapitel geht nur ein bestimmter Abschnitt

in Alains und Caspars Leben zu Ende, daher der Titel. Achtung: dieses Kapitel ist außerdem noch NICHT gebetat!
 


 

Unruhig ging Caspar hin und her, versuchte krampfhaft sich zu beschäftigen und

konnte sich doch nicht länger als zwei Minuten auf eine Sache konzentrieren,

setzte sich schließlich ruhelos auf die Couch, die Knie angezogen, eines der

Dekorkissen zwischen Oberschenkel und Bauch geklemmt.

/Wo zum Teufel bleibt er??/, dachte er besorgt und gleichzeitig schon halb

verzweifelt, tausend Dinge schwirrten ihm durch den Kopf, als er diesen

resigniert sinken ließ und ihm so Nathanaels Duft in die Nase stieg. Beunruhigt

fragte er sich, ob der junge Schwarzhaarige vielleicht in Schwierigkeiten

geraten und einem alten Freier begegnet oder nun einfach nur sauer auf ihn war.

Sogar Caspar selbst konnte schließlich nicht sagen, weshalb er so ausgetickt war

und all die Dinge gesagt hatte, die ihm schon jetzt so unendlich Leid taten.

Wie konnte er sich auch einfach so das Recht herausnehmen über Nathanael zu

urteilen, obwohl er doch nur so wenig über ihn wusste? Nun... Vielleicht

genauso, wie er sich in den schwarzäugigen Engel verliebt hatte, ohne ihn

wirklich zu kennen...
 

Apathisch starrte er auf die Ziffern seiner Digitaluhr, die sich scheinbar

Millionen Male vor seinen Augen änderten bis er plötzlich aufsprang.

Nein! Irgendetwas stimmte da nicht und wenn er Nathanael jetzt nicht suchen

ging, dann war es vielleicht schon zu spät! So schnappte er sich nur schnell den

Mantel sowie die Schlüssel für Wohnung und Auto, denn innerlich rechnete er

bereits mit dem Schlimmsten und dann würde er mit seinem Motorrad wohl nicht

viel anfangen können.

Allerdings kam er nicht sehr weit. Um genau zu sein bis zur Tür, denn gerade als

er hinausstürmen wollte, trat er mit dem Fuß gegen etwas Weiches und fand so ein

Päckchen, dessen Inhalt er beklemmend gut kannte.

"Scheiße!!", fluchte er und trat wütend gegen den Türrahmen. Nathanael war hier

gewesen und er hatte nichts gemerkt, hatte ihn nicht vom Gehen abhalten können?

Wem zum Teufel hatte er ins Trinken gepisst, dass er so etwas verdient hatte??

Hastig überflog er die wenigen Zeilen, ging sich innerlich selbst an die Kehle,

während eine unsichtbare Hand sein Herz zerdrückte wie eine überreife Tomate,

dann schmiss er die Sachen einfach in die Wohnung und zog die Tür ins Schloss

ohne sich noch mit deren Abschließen aufzuhalten, nahm vier Stufen auf einmal

als er die Treppen hinunterstürmte und anschließend mehr in seinen BMW hechtete

als irgendetwas anderes.

/Das tust du mir nicht an, Nathan, das _kannst_ du mir nicht antun, verdammt

noch mal!!/, dachte er immer wieder, würgte vor Aufregung zweimal den Motor ab,

als er vor dem Lenkrad saß, hätte schlicht vergessen sich anzuschnallen, wenn

ihn das an seinen Nerven zehrende Piepen nicht daran erinnert hätte, bis auch

das erledigt war.
 

Noch nie hatte er den New Yorker Verkehr so gotteslästerlich verflucht wie

heute, dennoch hatte er letztendlich erstaunlich wenig Zeit benötigt, was wohl

damit zu tun haben musste, dass er unzähligen Leuten die Vorfahrt geschnitten,

die roten Ampeln auf seinem Weg ganz zufällig allesamt _übersehen_ hatte und

noch etwa vierhundert Verkehrsregeln gebrochen hatte, immer vorausgesetzt

natürlich, dass das New Yorker Straßenverkehrsgesetz überhaupt so viele besaß.

Doch alles woran er denken konnte war das Küchenmesser, dass Nathanael einmal

mitgenommen hatte und die noch frische Schnittwunde über der Pulsader bei ihrem

nächsten Zusammentreffen.

Dann - ENDLICH!!! - kam der heiß ersehnte Rohbau in Sicht und Caspar trat so

heftig auf die Bremse, dass es schon fast ein Wunder war, dass er nun kein Loch

im Wagenboden hatte... Schnell sprang er aus dem Wagen, schob die Tür jedoch

klugerweise ganz leise zu, sodass Nathanael nicht etwa durch das Türknallen

alarmiert wurde. Dann stürmte er in das Fast-Haus, hangelte sich das Seil in

einer Zeit hinauf, für die ihm sein ehemaliger Sportlehrer wohl ein "A" mit

Kusshand gegeben hätte und sah sich heftig atmend um, bevor er erblickte, was er

suchte.

Einen Moment lang wurde ihm richtiggehend schlecht vor Erleichterung, dann

überwand er die wenigen Meter und hatte Nathanael auch schon fest in seine Arme

gezogen, bevor dieser auch nur blinzeln konnte.

"Nathan", stieß er hervor und vergrub sein Gesicht in dem schlanken Nacken des

Jüngeren, küsste jede einzelne Narbe und konnte sich einfach nicht beruhigen.

"Nathan, ich... Gott, danke..." Glücklich drehte er den völlig überrumpelten

Jungen in seinen Armen herum, drückte ihn wieder an sich und konnte minutenlang

nichts anderes tun, als den verstörten Jungen mit Händen und Lippen zu kosen,

sinnlose aber beruhigende Worte zu flüstern und ihn einfach nur dankbar zu

umarmen. Der Blonde konnte gar nicht alles aufzählen, was er sich ausgemalt

hatte, doch er konnte sich nun jedenfalls bescheinigen, eine ziemlich kranke

Fantasie zu haben...

Irgendwann hatte er sich schließlich beruhigt, auch Nathanael wehrte sich immer

stärker gegen Caspars eiserne Umarmung und er wusste, dass es nun an der Zeit

war, Nathanael unmissverständlich klar zu machen, was er dachte und fühlte.

"Bitte hör mir zu Nathan. Ich werde dich jetzt loslassen, aber bitte hör mir zu,

ohne mich zu unterbrechen, ja?", bat er, tat dann wie versprochen und der

Schwarzhaarige wich ein paar Schritte zurück, blieb dann jedoch wo er war.

Erst jetzt fielen ihm die Haare auf, doch er sagte vorerst nichts dazu, weil es

einige Dinge gab, die noch viel wichtiger waren als Haare, die jederzeit

nachwachsen konnten: "Ich... ich habe deinen Brief gelesen und ich... ich weiß,

dass ich nicht mehr kommen sollte, aber... ich kann nicht, verstehst du?",

stammelte er, trat hart schluckend einen Schritt auf seinen gefallen Engel zu,

hielt jedoch sofort inne, um den Kleineren nicht zu verschrecken. "Das... das

was ich in der Cafeteria gesagt habe, das... es war falsch. Nicht, dass ich

eifersüchtig war, aber der Rest... Ich war nur so...", er senkte die Stimme,

zuckte hilflos mit den Schultern, "eifersüchtig eben... und es hat mich wütend

gemacht, dass du... und dann ist einfach eine Sicherung bei mir durchgebrannt...

Es war nicht so gemeint, dass musst du mir glauben! Ich konnte ja nicht ahnen...

nein, das stimmt nicht, aber ich habe in dem Moment einfach nicht so weit

gedacht und... ich mag dich trotzdem sehr, deswegen... deswegen _darfst_ du

einfach nicht von mir verlangen, dich nie wieder zu sehen, weil... Wenn du mir

schon nicht dein Herz schenken kannst, musst du mir wenigstens deine

Freundschaft lassen, Nathan... bitte..."

Dann hielt Caspar es einfach nicht mehr aus, zog Nathanael wieder in seine Arme

und küsste ihn mit einer solchen Entschlossenheit und zugleich Zärtlichkeit,

dass es ihn selbst überraschte, und er hoffte, der Jüngere würde verstehen, dass

sowohl seine Worte als auch seine Gefühle ehrlich waren. "Vergib mir,

Nathanael... auch wegen deiner Haare... sie waren und sind wunderschön und...

darf ich sie dir wieder gerade schneiden? ...bitte?"
 

Alain erstarrte, als er in ein paar starke Arme gezogen wurde.

/Vater!!/, war das erste, das ihm durch den Kopf schoss, doch schon wenige

Augenblicke später wurde ihm klar, dass er sich geirrt hatte... Aber er war auch

nicht sicher, ob er darüber nun froh war oder nicht.

Er tat wie ihm gesagt wurde und hörte stumm zu. Seine Emotionen hinter seiner

Maske gut verborgen.

Nachdem Caspar geendet hatte ließ Alain seinen kalten Blick lange auf dessen

Gesicht ruhen, wartete, ob noch etwas kommen würde, ehe er sprach.

"Was ich mit meinen Haaren mache geht Sie überhaupt nichts an, Sir! Ich sag

Ihnen doch auch nicht, wie Ihre Frisur auszusehen hat! Mir gefällt's so!", log

er und drehte sich weg.

Langsam ging er zu seiner Hütte zurück.

"Sie wissen, dass das einfach nicht funktionieren _kann_. Ich werde meinem Beruf

weiterhin nachgehen müssen und Sie werden wieder ausrasten. Es wäre wirklich

besser, wenn wir uns nicht mehr sehen. Ich hab mir darüber ernsthaft Gedanken

gemacht, ob Sie das nun glauben oder nicht. Und ich bin zu dem Entschluss

gekommen, dass es so am besten für uns beide ist. Bitte gehen Sie!

Auch wenn Ihnen das wohl so erscheint, es ist nicht besonders schwer mich zu

vergessen."

Schnell und ohne noch einmal zurückzusehen verschwand Alain in seiner Hütte,

schmiss sich auf die alte Matratze und kauerte sich zusammen, das Gesicht ganz

nah an die eisüberzogene Wand gedrückt. Tränen rannen über seine Wangen.

Seinen Groschenroman hielt er fest an seine Brust gedrückt. Wieso war in den

Büchern immer alles gut? Es gab doch immer nur einen Bösewicht und sonst ging

alles gut. Der Ritter gewann alle Schlachten, wurde von allen bewundert und

bekam natürlich am Ende seine Prinzessin.

Plötzlich wütend schmiss er das Buch gegen die Wand am Fußende. Er biss in seine

dünne Decke, um kein verräterisches Geräusch zu machen, als krampfhaftes

Schluchzen seine Kehle empor kroch und ihm die Luft abschnürte.

Schnell wickelte er sich ganz in die Decke, genoss die davon ausgehende Wärme

und versuchte die immer schneller nachströhmenden Tränen mit einem Deckenzipfel

wegzuwischen.

/Bitte, Caspar. Geh! Mach es mir nicht schwerer als es schon ist./, dachte er

verzweifelt und versuchte mit weinen aufzuhören, was allerdings nur dazu führte,

dass er noch krampfhafter schluchzte.

Er hörte erst viel zu spät, dass Caspar auf seine Höhle zu kam. Er wollte ihm

zurufen, er sollte ihn alleinlassen, aber er traute seiner Stimme nicht. Er

wollte nicht, dass Caspar sein Schluchzen hörte.
 

"_Sir?_ SIE??", wiederholte er leise, aber deshalb nicht minder hysterisch,

zitternd, spürte wie sein Herz brutal krampfte, als Nathanael ihn bat zu gehen.

/Dich vergessen? Nein! Niemals!/, dachte er entsetzt, schüttelte den Kopf. Nein!

Das konnte und das _würde_ er nicht!

Doch der schwarzhaarige Junge sagte nichts mehr und ließ Caspar einfach stehen.

Erstarrt stand der Braunäugige da und blickte auf die Stelle, an der Nathanael

aus seinem Blickfeld verschwunden war, ohne zu einem klaren Gedanken fähig zu

sein, wusste nur, dass das, was der Jüngere da von ihm verlangte, schlicht und

einfach unmöglich war.

Dann ballte er die Hände zu Fäusten und setzte sich leise in Bewegung, betrat

jedoch erst nach einigem Zögern den kleinen abgegrenzten Abteil - vielleicht

hatte er ja innerlich schon geahnt, dass ihm Nathanaels Anblick schier das Herz

zerreißen würde.

Schnell kniete er sich neben den Kleineren und nahm ihn sanft in seine Arme, zog

ihm dann bestimmt den Zipfel der Decke aus dem Mund, hörte fast augenblicklich

das Schluchzen, das Nathanaels Körper schüttelte. Traurig strich er die warmen

Tränen von dem blassen aber hübschen Gesicht, seufzte leise, bevor er es wagte,

den Blick der bodenlosen Tiefen einzufangen.

"Ich weiß, wir kennen uns noch nicht sehr lange, Nathan...", begann er und

stockte, holte noch einmal tief Luft, während er eine der schwarzen Strähnen

hinter das kleine Ohr schob, um dann entschlossen hineinzuflüstern: "Aber du

solltest mittlerweile zumindest wissen, dass ich dich niemals so einfach

aufgeben werde... Du kannst von mir verlangen, dass ich jetzt gehe, aber...

letztendlich würde ich früher oder später ja doch wiederkommen und du weißt

das."

Einen Moment noch zögerte er, dann nahm er Nathanaels Kinn und drehte es sich

zu, küsste ihn kurz und nur sehr vorsichtig. "Du sagst, es wäre nicht schwer,

dich zu vergessen, aber das stimmt nicht. Es _ist_ schwer, weil du weitaus

wundervoller und schöner bist, als du immer behauptest.

Und du bist mir mehr wert, als du dir offensichtlich einzureden versuchst. Ich

bitte nicht jeden Menschen darum, Weihnachten mit mir zu verbringen, verstehst

du? Ich habe überhaupt noch nie jemand auf so eine Art und Weise dazu eingeladen

- nicht bevor ich dich traf. Und... ich habe noch nie jemanden darum gebeten,

bei mir zu wohnen, aber... ich... - nun bitte ich dich darum.

Wenn es dir unangenehm ist, kostenlos bei mir zu wohnen, dann kannst du mir ja

ein wenig im Haushalt helfen, aber... ich möchte... möchte, dass du... bei mir

bist. Denn ich - werde dich nicht vergessen. Ich konnte es all die Monate seit

unserem ersten Treffen nicht, aber nun kann ich es erst recht nicht mehr."

Langsam, mit geröteten Wangen, ließ er Nathanael los, nahm sich bloß seine

Hände, betrachte sie mit einem dicken Kloß im Hals. Dann drückte er sie sanft

und flüsterte: "Ich werde auch versuchen meine Eifersucht zurückzuhalten,

aber... bitte komm mit mir. Bitte..."
 

"Bitte... gehen Sie weg! Lassen sie mich in Ruhe!", schluchzte Alain, klammerte

sich aber gleichzeitig so fest an den Größeren, dass dieser gar nicht die

_Möglichkeit_ gehabt hätte, sich von ihm zu lösen.

"Ich will nicht dahin zurück!", flüsterte er in einem plötzlichen

Stimmungsumschwung, das Gesicht in Caspars Jacke vergraben.

"Kannst du mir nicht da raus helfen? Ich schaffe das allein nicht!"

Alain wurde ruhiger. Eine Weile blieb er noch so liegen, den Kopf gegen Caspars

Brust gelehnt und ließ sich von dem ruhigen Herzschlages des größeren trösten.

Dann stand er schnell auf.

"Willst du zum Essen bleiben? Ich muss noch mal schnell... einkaufen, aber ich

bin gleich wieder da! Wartest du solange auf mich?"

Hoffnungsvoll setzte er seinen Bettelblick auf und sah Caspar von unten her an.
 


 

Überrascht blickte der Blonde in die schönen schwarzen Augen, die ihn geradezu

anflehten, blieb einige Momente still vor fassungslosem Glück.

/Hat er mich gerade wirklich gefragt, ob ich zum Essen bleiben will?/, dachte er

betäubt, spürte seinen Herzschlag nicht mehr, weil er die Grenze des Gesunden

längst überschritten hatte.

Dann nahm er unwillkürlich die Hand des anderen, fuhr mit der anderen

streichelnd über die ausgekühlte Wange, bevor er nickte, nur um sofort wieder

den Kopf zu schütteln. "Ja - oder warte: Kann ich nicht mit dir kommen? Ich

könnte dich fahren, dann geht es schneller!", erklärte er hastig, auch wenn man

ihm wohl ansah, dass er Nathanael im Moment einfach nicht hergeben wollte.

Nicht, nachdem er kurz davor gewesen war, ihn endgültig zu verlieren.

Dann zog er den Schwarzhaarigen, noch bevor jener antworten konnte, mit sanften

Nachdruck an sich, beugte sich leicht hinunter und flüsterte ihm mit ernster

Stimme ins Ohr: "Ich werde alles für dich tun, was in meiner Macht steht,

Kleiner - alles..."
 

"äh...", machte Alain besonders geistreich. "Najaaaa... weißt du.. ich. Ich

shoppe eigentlich lieber allein. Außerdem..."

Alains Gedanken rasten. Wenn Caspar jetzt mitkam könnte er nicht auf seine

übliche Weise einkaufen, aber er brauchte das Geld. Außerdem wollte er doch noch

Geschenke für Caspar und Virginia besorgen...

Warum musste das auch immer alles so schwer sein?

"Weißt du, Caspar... es würde mir viel mehr helfen, wenn du hier bleiben und ein

ordentlich großes Feuer entfachen würdest, damit sich die Hütte hier ein wenig

aufgeheizt hat, wenn ich wiederkomme."

Alain wühlte einen Moment unter seiner Matratze, zog einen seiner Groschenromane

hervor, sah kurz auf das Titelblatt, legte es weg und suchte weiter. Noch zwei

weitere Bücher wurden aussortiert, bis er fünf etwas zerfledderte hefte in

Caspars Richtung hielt.

"Die kannst du zum Anzünden nehmen. Streichhölzer müssten hier auch irgendwo

sein... warte mal.."

Er wühlte weiter, bis er eine platt gedrückte Streichholzschachtel gefunden

hatte.

Mit einem schnellen Griff hatte er die untere Hälfte der Matte umgeklappt, so

das am Fußende seiner Hütte etwas Platz entstand, der auch schon eindeutige,

verkohlte Stellen aufwies.

Schnell kletterte er noch auf das Dach, schob zwei der Bretter, die er über

seine Backsteinmauern gelegt hatte zur Seite, damit der Rauch abziehen konnte.

Als er damit fertig war, sah er Caspar grinsend an.

"So, ich geh mal schnell los... mal sehen, was du hier als Feuermeister zustande

bringst!"
 

Schweigend sah Caspar in das fröhliche Gesicht und fast kam es ihm vor, wie das

des Christkindes nur mit schwarzem und nicht blondem Haar umrahmt. Vielleicht

war dies ja auch der Grund, warum ihm der Name "Nathanael" für den Jungen am

besten gefallen hatte.

Dann, bevor der Kleinere sich davon machen konnte, trat er einen Schritt näher,

berührte die beiden ausgekühlten Wangen mit seinen Fingern und zog sie etwas zu

sich heran, um die blassen Lippen wieder rot zu küssen. Er tat es sanft und

bedächtig, jede Sekunde auskostend, ohne jedoch mehr zu tun als diesen

unvorstellbar süßen Mund zu liebkosen und es zu genießen.

Schließlich zog er seinen Kopf ein Stück zurück, besah sich die

dunkelschimmernden Lippen, die glänzend schwarzen Augen. Kurz beugte sich der

Blonde noch einmal vor um seinen Mund schnell und liebevoll auf die weiße Stirn

zu drücken, dann ließ er Nathanael los und flüsterte mit einem Lächeln: "Also

gut. Ich werde hier auf dich warten... Aber bleib nicht zu lange..."
 

Alain rannte. Die eisige Luft schnitt ihm in die Haut, aber er ignorierte das.

Er wollte Caspar nicht warten lassen, aber er musste auch noch Geschenke suchen!

Das Essen zu besorgen ging relativ leicht und schnell... er hatte nicht gehofft

den Würstchenverkäufer schlafend anzutreffen, und hatte sich so nicht nur eine

Hand voll rohe Würste schnappen können und die dann durch schnelles Rennen

verteidigen (ja, das hatte er auch schon ausprobiert. Der Verkäufer gehörte der

Erfahrung nach nicht zu den trainiertesten Sprintern), sondern er hatte sich

auch noch in aller ruhe einige Brötchen und eine Flasche Ketchup in einen Beutel

packen können.

Heute musste sein Glückstag sein.

Zuvor war er noch in einer Kirche gewesen, hatte eine Hand voll Hostien, eine

Flasche Messwein und vier Kerzen eingesteckt und irrte nun durch die

Einkaufsmeile auf der Suche nach einem Geschenk.

/Was schenken sich die Leute überhaupt?/, war die erste frage, die ihm in den

Sinn kam.

Worüber würde er selbst sich freuen?

Ehe er dazu kam den Gedanken weiter zu verfolgen tippte ihm von hinten Jemand

auf die Schulter. Erschrocken fuhr er herum und sah in Simons breit grinsendes

Gesicht.

"Na, kleiner? Brauchst du wieder was? Ich mach dir auch ein super

Weihnachtsangebot!"

Alain überlegte, entschloss sich dann dazu sich tatsächlich etwas zu kaufen.

Obwohl er das in der Aufregung der letzten Stunden gar nicht mitbekommen hatte

sehnte sich sein Körper wieder nach den Tabletten, doch Simon suchte keine

Pillen, sondern eine kleine Spritze aus dem inneren seiner Innentaschen hervor.

Ohne das es noch weiterer Worte benötigt hätte ging Alain weiter, bog in eine

Seitenstraße ein, die zu der Zeit völlig verwaist war, setzte sich auf den

gefrorene und Schneebedeckten Boden und wartete auf Simon, der auch wenige

Minuten später erschien.
 

Ein wunderbar warmes Gefühl im inneren schlenderte Alain nun an den

Schaufenstern entlang.

Simon hatte ihm den Tipp gegeben, das sich die Leute oft gegenseitig Bücher

schenkten.

So stand er nun etwas unsicher vor der großen Buchhandlung und betrachtete das

Angebot. Es gab so viele... und er wusste nicht, was Caspar und Virginia denn

gerne lasen.

Außerdem hatte er sich vorgenommen, die Geschenke nicht zu stehlen.

Wenig später verließ er den Laden wieder mit zwei Büchern, die er in schön

buntes Papier eingewickelt bekommen hatte und machte sich zurück zur Ruine.

Rasch und geübt hangelte er sich einhändig das Seil nach oben, zog es ein,

versteckte die Tüte mit den Büchern in einer Ecke und ging dann auf seine Hütte

zu.
 

Unschlüssig besah sich Caspar die Dinge, die ihm zum Feuermachen zur Verfügung

standen und musste unwillkürlich an seine Heizung daheim denken. Einen Moment

lang überlegte der Braunäugige, ob er nachher, wenn der Kleine wieder zurück

war, nicht einfach vorschlagen sollte, zu ihm zu gehen, wo es nicht nur wärmer

sondern auch sicherer und komfortabler war als hier. Dann jedoch verwarf er den

Gedanken wieder.

Nathanael hatte ihn zum Essen eingeladen, nicht anders herum und das vermutlich

um sich erkenntlich zu zeigen. Wenn er nun seine Wohnung vorschlug würde er den

Jüngeren damit wohl nur vor den Kopf stoßen und das wollte er nicht.

Also nahm er sich die Streichhölzer und alles andere und begann ein kleines

Feuer zu entfachen, so wie er es aus seinen Skiferien kannte, als sie sich eine

Skihütte mit Kamin gemietet hatten.

Lange würde es nicht brennen, dafür waren die paar Hefte aus Papier zu wenig und

Holz, das er hätte verwenden können, sah er nicht. Daher ging er kurz heraus und

nahm sich einige Ziegelsteine, die er nacheinander in das Feuer legte damit sie

heiß wurden und die Wärme in sich aufnahmen. Die erhitzten Steine legte er dann

unter Nathanaels Decke, denn so würde sich der Kleine schnell wieder aufwärmen

können, wenn er zurück war.

Dann setzte er sich auf die aufrollbare Campingmatratze und zog den Mantel enger

um sich, blicklos in das Feuer starrend. Irgendwann jedoch schloss er einfach

die Augen, stellte sich das Gesicht des Jüngeren vor, und spürte erneut, wie

erleichtert er darüber war, nicht endgültig von ihm zurückgestoßen worden zu

sein.

Nein, er wollte sich wirklich nicht ausmalen, was er getan hätte, wenn es doch

so gekommen wäre. Ob er wohl ausgetickt und wahnsinnig geworden wäre? War seine

Liebe schon so stark, seine Abhängigkeit von jenem wundervollen Lächeln der

blassen schmalen Lippen so groß?

Denn inzwischen konnte er zwar mit Sicherheit sagen, dass er sich verliebt

hatte, doch waren richtige Liebe und bloßes Verliebtsein noch lange nicht

dasselbe. ...oder?

Er wusste es nicht genau.

Und während er darüber nachdachte glitt er langsam aber stetig immer tiefer

hinab in sein Unterbewusstsein bis er schließlich in einen leichten Schlaf

gesunken war.
 

Alain ging auf seine Hütte zu. Gleich als erstes fiel ihm auf, das nur eine

kleine Flamme zu funzeln schien. Verwirrt sah er auf die kleine Flamme, die sich

gerade über sein letztes Buch hermachte.

/wieso hat er kein Holz aufgelegt?/

Einen schnellen Blick auf den schlafenden Caspar werfend drehte er sich um und

kletterte das Seil wieder hinab. Er hatte natürlich vergessen Caspar zu sagen

womit er Feuer machen sollte, da es ihm selber so offensichtlich erschien.

Mit wenigen, recht schnellen Schritten ging er zu dem Haufen Sperrmüll, der sich

vor dem Eingang stapelte, trat einem der kaputten Küchenschränke die Rückwand

aus und zerlegte den Rest ebenso geübt in seine Einzelteile. Manchmal erschien

es ihm fast wie ein Wunder, wie immer mehr Sperrmüll hier her kam, wo doch alle,

die in der Gegend leben mussten garantiert nicht das Geld für neue Einrichtungen

hatten.

Aber selbst wenn der Müllabhohldienst es einfach irgendwo abwerfen sollte: ihm

war es egal, solange es sich zum Großteil um verwendbares Holz handelte.

Eben dieses Holz band er nun mit einigen Knoten am unteren Ende seines

Kletterseils fest, überprüfte den richtigen Halt und sprang, da er so viel Seil

verbraucht hatte, dass er nicht mehr einfach durch Strecken an das Seil über dem

Holz reichte, griff sich das Tau und hangelte sich schnell nach oben, um gleich

darauf das Bündel Nachzuziehen und das Seil wieder sicher zur Seite zu legen.

Mit dem Holz stapelte er hinter sich den Eingang seiner Hütte zu, so dass

wenigstens etwas Wind auch von dort abgeblockt werden konnte, schmiss schnell

ein Stück der Rückwand (die aus gut brennbarem Sperrholz bestand) in die noch

leicht flackernden Seiten seiner Groschenromane und wartete, bis diese Feuer

gefangen hatten und er dickeres Holz auflegen konnte.

Dann griff er sich eine der rohen Bratwürste, die er mitgebracht hatte, riss den

Darm mit einem Eckzahn auf und nuckelte an der Stelle ein wenig herum, bis er

das erste Fleisch schmecken konnte.

So genüsslich vor sich hin mampfend drehte er sich um und sah zu Caspar, der

noch immer zu schlafen schien.

Unter der Decke, die Caspar wohl im Schlaf um sich gewickelt haben musste, so

verdreht wie sie war, lagen einige Ziegelsteine, was Alain doch irgendwo

verwunderte, aber er ließ sie Liegen... Caspar würde sich schon was dabei

gedacht haben!

Mit einem Anflug von Stolz packte er das Essen aus, legte alles ordentlich neben

das Feuer und griff sogleich nach einer weiteren Wurst, mit der er über Caspar

krabbelte, so dass er direkt in sein Gesicht schauen konnte und dem noch

schlafenden hinhielt.

Alain kniete sich über Caspars Brust und stütze sich mit der freien Hand auf dem

Körper des Studenten ab, als er sich vor beugte und Caspar heiser ins Ohr

flüsterte:

"Hey, Wach auf! Ich hab was zu Essen mitgebracht."

Er hauchte Caspar noch einen Kuss auf die Nasenspitze und lehnte sich dann

zurück, um es sich auf Caspars Bauch bequem zu machen, während er mit der Wurst

vor dessen Gesicht rumwedelte und derweil an seiner eigenen weiter rumlutschte.
 

Verschlafen blinzelte Caspar als er den sanften Kuss spürte, schlang automatisch

die Arme um die schlanke Gestalt, die auf seinem Schoß hockte, zuckte jedoch

leicht zusammen als das erste was er sah ein riesiger, ekliger Wurm war, der

sich erst auf den zweiten Blick als noch rohe Bratwurst herausstellte. Er selbst

kannte die Dinger nur von einem kleinen deutschen Imbiss, der hauptsächlich alle

möglichen Arten gebratener Würste zu verkaufen schien, und hatte sie eigentlich

noch nie roh gesehen... War eben nicht so wirklich _das_ typisch amerikanische

Essen...

Aber wen kümmerte das schon? Nathanael hatte es nur für sie beide beschafft und

auch wenn er sich sicher war, dass er lieber nicht ganz so genau wissen wollte,

_wie_ der Kleine es beschafft hatte, rührte ihn die Geste doch sehr. Vorsichtig

zog der Blonde die Decke zwischen ihren beiden Körpern hervor, zog sie dann über

sie beide, sodass sich der andere schnell wieder aufwärmen konnte. Zufrieden

seufzte er auf. Sein schwarzhaariger Engel war viel zu mager um ihm zu schwer zu

sein, aber er genoss das Gewicht auf seinem viel muskulöseren, männlicheren

Körper. Er spürte eine leichte vom anderen ausgehende Bewegung, sah auf und

verzog den Mund. "Die grillen wir vorher besser", bestimmte er nach einem Blick

auf das deutlich gewachsene Feuer. "Sonst hast du nachher nur Bauchschmerzen..."

Rigoros nahm er dem Jüngeren also seine Wurst weg, legte sie beiseite zu den

anderen und senkte dann seine Lippen auf den weichen Hals, ließ seine Finger

neugierig unter das Hemd gleiten, strich verspielt über den glatten Bauch, um

eifrig dabei zu helfen, die weichzarte Haut wieder warm zu kriegen...

Erst nach einer Weile hielt er schließlich inne, starrte in die schwarzen

Tiefen, ließ sich eine Weile in ihnen fallen, bevor er sich endlich eingestand,

dass sein Magen davon auch nicht voller wurde. "Dann lass mal sehen...",

lächelte er den Schwarzhaarigen aufmunternd an, achtete jedoch ganz unauffällig

darauf, dass er Nathanael wenigstens mit einem Arm halten durfte.
 

Leise lachend die Decke ein wenig abschüttelnd richtete sich Alain wieder auf.

Ein leises knurren entwich seiner Kehle, als ihm sein Fleisch weggenommen wurde,

aber er war eh schneller als Caspar. Noch bevor dieser seinen Arm zurückgezogen

hatte hatte Alain sich auch schon die fast aufgegessene Wurst geschnappt und

wieder in den Mund geschoben.

"Wenn du willst kann ich dir gerne eine übers Feuer hängen... aber sie verlieren

dadurch ihren frischen Geschmack. Ich versteh nicht, wieso ihr immer alles erst

kochen und braten müsst. Ich finde den natürlichen Geschmack viel besser als das

gekochte... nagut, das stimmt nicht _ganz_, aber man sollte sich nicht ständig

von irgendwelchen Gewürzen den Geschmack kaputt machen lassen...

Oh Gott!", frustriert schrie Alain auf.

"Ich habe nicht die geringste Ahnung was ich jetzt erzählt hab. Das war nicht

nur völlig am Thema vorbeigeredet, sondern sogar für mich schlicht

unverständlich!"

Mit einem letzten Achselzucken legte er die Sache beiseite, suchte sich unter

dem Holz, das er mitgebracht hatte einen langen Holzsplitter und Spießte eine

der Würste darauf.

Den Spieß zwischen seine Zähne klemmend griff er nach Caspars Knien, zog an

ihnen bis seine Beine aufrecht standen und er sich, auf dem Bauch des Studenten

sitzend, bequem anlehnen konnte.

Obwohl der Span zu kurz war zuckte Alain nicht zurück, als das Feuer unangenehm

heiß an seinem Arm brannte. Immerhin begann es langsam seinen ganzen Körper

durchzuwärmen. Und er war immerhin noch weit genug von den Flammen entfernt,

dass auch sein immer übervorsichtiger Mediziner sich nicht beschweren konnte.

Einige Minuten saß er nur schweigend auf seinem neuen Liegestuhl, bis die Stille

ihn zu erdrücken drohte.

"Wie soll das mit uns jetzt weitergehen?", fragte er leise.

"Was du vorhin gesagt hast klang zwar wirklich lieb, aber ich weiß, dass das

nicht funktionieren kann! Vielleicht kannst du jetzt, wo du frisch verliebt

bist... oder zu sein glaubst, über meine Fehler hinwegsehen, aber das wird nicht

lange halten. Irgendwann fängst du an meine kleinen Macken, die dir am Anfang

vielleicht noch `süß´ erschienen, zu hassen. Meine Narben... als sie frisch

waren hab ich sie mit Stolz getragen, als Zeichen, dass ich es überlebt und

überstanden habe. Jetzt sind sie nur noch hässlich und zeigen immer wieder

meine Schwäche auf. Du siehst nur noch das Schlechte. Ein kleiner Fehler, sei es

auch nur das Heben einer Augebraue oder ein Blick in bestimmten Situationen, wie

ich auf manche Dinge reagiere. Irgendwann macht dich das verrückt. Oder ein

Kämpfer wie du wird es nie verstehen können, wie viel Macht mein Vater über mich

hat. Und jedes Mal, wenn er mich wieder gefunden hat wirst du ihn mehr hassen,

bis dir eines Tages auffällt, dass meine Opferhaltung ihm gegenüber, meine Angst

vor seiner Autorität das erst möglich macht. Mir fallen tausend Dinge an mir

ein, die mich selber schon wütend machen, und egal wie oft ich beschließe, diese

Angewohnheiten abzulegen, es passiert doch immer wieder.

Außerdem glaub ich nicht, dass du es einfach so hinnehmen wirst, wenn ich

weiterhin Drogen nehme. Aber für eine Entziehungskur habe ich nicht die Kraft."

Eine ganze Weile schwiegen sie wieder, Alain wendete stumm Caspars Würstchen und

schmiegte seine eiskalte Wange gegen dessen Knie.

"Und ich bin hoffnungslos pathetisch, wehleidig und ich bemitleide mich selbst

viel zu sehr."

Alain beschloss, das es wohl besser wäre jetzt den Mund zu halten. Während des

Redens hatte er noch zwei weitere Würste auf den Stock gespießt, so dass die

aller unterste so nah an seinem Arm hing, dass sie nicht kalt werden konnte,

aber auch nicht verbrannte.

Leise seufzend reichte er Capar den Stock, legte sich dann auf die Matratze und

kuschelte sich mit in seine Decke.

"Du solltest nach dem Essen nach Hause gehen. Hier ist es kalt und du bist immer

noch krank, oder zumindest noch nicht richtig, und vor allem nicht so lange

gesund...

Das wegen vorhin tut mir Leid.

Ich werde heute auch nicht mit zu dir kommen! Ich glaube wir brauchen jetzt

Abstand. Oder eher: Du!

Ich... ach, ich weiß einfach nicht. Wieso konnte mich die Frau letztens nicht

einfach _richtig_ überfahren? Das hätte vieles einfacher gemacht. Meinen Trip

hat sie mir eh vermasselt..."

Alain richtete sich noch einmal kurz auf, griff sich eine von den übrigen, noch

rohen Würsten und ließ sich, zufrieden wie ein kleines Kind daran rumnuckelnd

wieder zurück in sein warmes Bett fallen. Daran, dass das gerade so schön

kuschelig warm war, weil neben ihm noch ein anderer Mann lag, wollte er jetzt

gar nicht denken, weil das ja heißen müsste, dass es wieder kalt würde, sobald

der verschwand. Naja, wenigstens hatte er noch sein Feuer...
 

Als er hörte, was sein schwarzäugiger Engel da sagte, fuhr er erschrocken

zusammen, wollte heftig etwas erwidern - dann aber wurde ihm klar, dass das

ganze nur zu einer weiteren Diskussion geführt hätte, weil ihm der andere wohl

wie so oft nicht geglaubt hätte. Daher hörte er eine ganze Weile lang nur

schweigend zu, was Nathan so durch den Kopf ging, auch wenn er zuweilen einen

starken Stich in der Brust verspürte. Er antwortete auch nicht, als der andere

sagte, er solle nach dem Essen gehen, wobei er das Essen selbst im Moment kaum

eines Blickes würdigte. Stattdessen begann er sich genau zu überlegen, was er

nun sagen wollte: Es sollte ehrlich sein und von Herzen kommen, denn etwas

anderes hatte der Jüngere nicht verdient. Belogen und betrogen wurde er auf der

Straße sicher oft genug und auch die Liebe entschuldigte keine Lüge oder

Halbwahrheit. Außerdem... außerdem hatte er Angst den schwarzhaarigen Jungen zu

enttäuschen, der nun so vertraut mit ihm umging. Seine Antwort sollte Nathanael

aber auch zeigen, dass er es ernst meinte und seine Gefühle nichts waren, was in

einer Woche der Vergangenheit angehörte.

"Ich habe keine Ahnung wie es weitergehen wird... Ich kann nämlich leider nicht

in die Zukunft sehen, weißt du? Ich weiß nur, was _ich_ mir für _unsere_ Zukunft

wünsche, mehr nicht", flüsterte er dann auf einmal leise. Kurz zögerte er, dann

aber holte er tief Luft und redete weiter: "Das, was du da sagst, mag stimmen

und deine Situation ist ganz sicher nicht die leichteste, vielleicht sogar die

schwerste von allen, aber... du darfst nicht immer bloß negativ von dir reden

und denken. Jeder hat schlechte Eigenschaften, nicht nur du. Sicher gibt es

einige Sachen, die mich stören, aber ich kann sie im Moment nicht ändern -

vielleicht auch nie. _Trotzdem_ liebe ich dich! Weil du auch viele gute Seiten

an dir hast und weil du trotz deiner Fehler liebenswürdig bist. Denn ein Mensch

besteht nun einmal nicht nur aus Fehlern - und selbst wenn ich dich noch so oft

Engel nenne, bist und bleibst du das doch: ein Mensch.

Außerdem solltest du nicht vergessen, dass auch _ich_ Fehler habe, dir auf die

Nerven gegangen bin - und dennoch hast du mir eine zweite Chance gegeben, lässt

mich ein wenig in deiner Nähe sein."

Unsicher sah er in die schwarz glänzenden Augen, stellte seine Würste dann

vorsichtig so ab, dass sie nicht schmutzig wurden, und nahm den Jüngeren einfach

in den Arm, vergrub sein Gesicht in dem ganz weich gewordenen Haarschopf. Still

genoss er die Wärme, den Duft, die bloße Nähe dieses kleinen Engels und weigerte

sich daran zu denken, dass er ihn irgendwann auch wieder loslassen musste.

/Mein Gott, seit wann bin ich so verschmust? So schlimm war ich ja nicht einmal

als Kind!/, dachte er über sich selbst den Kopf schüttelnd - und wusste die

Antwort doch längst: /Seit Nathan.../

Nathan... Plötzlich seufzte er leise auf, denn erneut wurde er sich der Distanz

bewusst, die dieser ausgedachte Name zwischen ihnen schuf: "Nathanael" wusste

seinen vollständigen Namen, wusste wer er _war_. Doch Caspar musste sich mit

einigen wenigen Teilen aus einem Hunderttausend-Teile-Puzzle zufrieden geben,

die nicht einmal zueinander passten... Wie sollte er denn je herausfinden, ob er

dem wahren "Nathanael" oder nur einer Wunschgestalt verfallen war, wenn ihm alle

Informationen nur bröckchenweise hingeworfen wurden wie einer Taube die

Brotkrumen?

"Darf ich... weißt du, ich habe mich zwar daran gewöhnt, dich Nathanael zu

nennen und ich kann mir denken, dass du sicher nicht ohne Grund jedem Menschen

einen anderen Namen nennst, aber... ich würde dich gerne mit deinem echten Namen

anreden... oder zumindest mit dem, mit dem du am liebsten angeredet werden

möchtest... ver-verrätst du ihn mir? Bitte...?"
 

Mit geschlossenen Augen lehnte Alain an Caspars Brust, genoss die Sicherheit und

die Wärme, die der Mann ihm bot. Er wollte nicht reden, hatte keine Lust die

Sache mit seinem Namen zu erklären, aber andererseits wusste er auch, dass wenn

überhaupt jemand, dann Caspar das Recht hatte es zu erfahren.

Aber es war so schwer. Wo sollte er anfangen?

"Ich habe keinen Namen!", beschloss er es einfach auf den direkten Weg.

"Wenn ich irgendwo einen Namen höre oder lese, der mir gefällt, dann borge ich

ihn mir für eine Gewisse Zeit und eine Person... Das funktioniert gut. So kann

ich mich auch meinem gegenüber anpassen, ich überlege, was ihm wohl gefallen

würde und suche mir dann eines der Bedeutungslosen Worte aus, mit dem er mich

rufen kann." eine Weile sah er nur stumm in die Flammen und streichelte

gedankenverloren über Caspars Arme, die ihn umschlossen.

"Eigentlich brauchen doch nur Leute, die auf irgendeinem Amt registriert sind

einen eigenen Namen, oder? Damit sie nicht immer wieder mit anderen verwechselt

werden, wenn sie zum Beispiel Geld von der Bank holen wollen oder sowas. Ich

selber nenne mich meistens... naja, Alain, aber wenn dir Nathan gefällt kannst

du es auch bei Nathan belassen. Mir ist das egal. Der Name bedeutet "Frieden"...

also Alain! Ich hab in einem Laden mal ein Buch gesehen, da stand zu jedem Namen

eine Bedeutung drin. Ich hab ewig darin herumgesucht.

Eigentlich mag ich den Klang noch nicht so richtig.

Ich bin immer auf der Suche nach Namen, die mir von der Bedeutung _und_ vom

Klang her gefallen... Nathanael heißt "Gott hat gegeben" und Jonathan "Geschenk

Jahwes". Aber ist egal. Ich hab mich bisher auf keinen Namen richtig festgelegt,

also wenn du möchtest kannst du dir einfach irgendeinen aussuchen."
 

"Alain...", wisperte er leise in das Ohr des Jungen, langsam und genüsslich, als

würde er sich den Klang wie ein Stück zartschmelzender Schokolade auf der Zunge

zergehen lassen. /Ja, das passt zu dir... Denn mit dir in meinen Armen finde ich

endlich den Frieden, den ich solange gesucht habe.../

"Ich weiß nicht... Du hast zwar Recht aber... für mich bedeutet mein Name auch

zu wissen, wer ich bin. Zwar mag ich meinen zweiten Vornamen nicht wirklich,

aber ich weiß zumindest, dass es meiner ist und ich denke, dass beruhigt ein

bisschen... Aber... wenn dir der Klang von ‚Alain' noch nicht so richtig

gefällt, dann sollte ich dich vielleicht einfach "Engel" nennen, bis du einen

gefunden hast, den du wirklich magst?", neckte er den Jüngeren und biss zart in

die Ohrspitze hinein.

Und mit freudig klopfendem Herzen bemerkte er, dass sich ‚Alain' nicht dagegen

wehrte, sich nur stumm von ihm umarmen ließ und ab und an selbstvergessen über

Caspars Arme streichelte.
 

Nachdem er wieder eine Weile überlegend in das flackernde Feuer gesehen hatte

lachte er leise.

"Caspar heißt Schatzmeister!"
 

"Schatzmeister?", wiederholte der Blonde ein wenig überrascht, musste dann aber

grinsen.

"Soso...", säuselte er unschuldig. "Nun, dann sollte ich meinen Schatz gut

hüten, um meinem Namen auch Ehre zu machen, nicht wahr?"

Und ehe sich der Schwarzäugige versehen hatte, zog er ihn fest an sich und

küsste sich sanft über das zarte, beinahe unnatürlich helle Gesicht. "Wie schön

du bist", murmelte er bewundernd, fast ein wenig VERwundert. Wie hätte er auch

ahnen können, dass er sich eines Tages in einen kleinen heimatlosen

Stricherjungen verlieben würde?

Schließlich hatte seine Mutter ihn anständig erzogen und als ein Junge, der

niemals Armut zu spüren bekommen hatte, war er natürlich auch mit den oft sehr

kleinbürgerlichen aber nun einmal allgegenwärtigen Vorurteilen aufgewachsen, die

ihm bei aller Nächstenliebe, die ihm seine Mutter gepredigt hatte, sicher nicht

dazu geraten hatten, Umgang mit "solchen" Leuten zu pflegen.
 

Um sich nicht zu sehr in den wunderschönen, braunen Augen zu verlieren wandte er

sich ab und griff wieder nach seinem Grillstock, um Caspar mit diesem vor dem

Gesicht herum zu wedeln.

"Jetzt wird erstmal gegessen!", befahl er und biss selber in seine eigene, noch

rohe Wurst. Er hatte jetzt keine Lust mehr, über jetzt und später nachzudenken.

_Besonders_ nicht über später, denn wenn er ganz ehrlich zu sich selber war

gefiel ihm "Jetzt" sogar sehr gut!

Und obwohl er selber das Thema aufgebracht hatte, wollte er die Rede auf keinen

Fall wieder darauf bringen.

Wie Napoleon schob er seine rechte Hand durch die Lücke zwischen zwei

Hemdknöpfen und rieb mit seinen kalten Fingern über den juckenden Schorf, der

seine Wunde bedeckte.

Wieso fing er eigentlich immer an irgendetwas zu erzählen, sobald er in Caspars

Nähe war.
 

Lächelnd ließ Caspar sich seine Wurst geben und begann sie zu essen. Ein denkbar

einfaches Mahl - aber mit diesem kleinen Engel in seinen Armen schmeckte es

immer noch tausendmal besser als jeder Kaviar der Welt.

Der Medizinstudent war einfach zufrieden und glücklich, dass sich trotz seiner

Eifersucht alles zum Guten zu wenden schien, war dankbar, dass Alain ihm vergab

und seine Nähe zuließ, ihm sogar schon so sehr vertraute, dass er immer mehr von

sich preisgab - und ihn um Hilfe bat.
 

Blicklos auf Caspars schöne Hände starrend kratzte er ein Teil des Schorfes ab,

bis die ersten Bluttropfen seine Fingerkuppe berührte. Die brennenden Augen

schließend schob er den Finger in den Mund. Vorsichtig ließ er seine Zunge um

seine Fingerspitze gleiten und genoss den Geschmack des roten Lebenssaftes.

Erst jetzt schrak er aus seinem Wachtraum auf, wischte schnell den Rest des

Blutes von seiner Brust, ehe es in seinem Hemd versickern konnte. Er wollte

nicht morgen zum Weihnachtsessen mit einem Blutfleck auf dem Hemd auftauchen. Es

war zwar trotzdem recht schmuddelig, aber Virginia würde sich mal wieder viel zu

viele Sorgen machen.

"Darf ich trotzdem morgen zu euch kommen?", fragte er Leise an Caspars Finger

gerichtet.
 

Stirnrunzelnd griff er nach Alains blutigen Fingern und legte den letzten Zipfel

seiner Wurst beiseite. Ohne Widerrede zu dulden, drehte er ihn zu sich herum und

öffnete die oberen Knöpfe des dünnen Hemdes, nur um zu sehen, was er sich schon

gedacht hatte.

"Ach Engelchen, so geht das nicht!", seufzte er kopfschüttelnd. "Deine Wunde

wird nie heilen, wenn du den Schorf immer wieder aufkratzt. Ich weiß, es ist

unangenehm und vermutlich juckt es auch, aber da musst du jetzt einfach durch,

wenn du nicht dein Leben lang damit herumlaufen willst... Und wo ist eigentlich

der Verband hin? Mom hat dir doch ganz sicher einen gemacht!"

Wieder seufzte er, dann sah er den Schwarzäugigen bestimmt und unnachgiebig an.

"Nein, du darfst nicht morgen kommen. Du wirst _jetzt_ mit mir kommen!

Du bist immer noch stark erkältet und außerdem muss deine Wunde versorgt werden,

sonst könntest du Wundbrand bekommen - und glaub mir, Wundbrand ist nichts, was

man sich wünschen wollte. Sei mir nicht böse, aber dein zu Hause hier ist jetzt

einfach nicht der richtige Ort für dich, um wieder gesund zu werden. Und schon

gar nicht, um Weihnachten zu feiern!

Lass uns zurück zu mir fahren! Dann können wir morgen meine Mutter besuchen und

übermorgen kommt noch meine Schwester vorbei - sie hat mich schon die ganze Zeit

damit genervt, dass ich ihr endlich den Kerl vorstellen soll, der mir so den

Kopf verdreht hat..." Er grinste ein wenig schief, zuckte dann mit den Achseln.

So war sein Schwesterchen eben - und die Neugier lag den Frauen wohl ohnehin im

Blut.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  AkikoKudo
2006-07-21T17:47:37+00:00 21.07.2006 19:47
Kannst du mir deine FF schicken?*ganz lieb frag*
wär echt lieb von dir
schick an AkikoKudo@gmx.de oder als ENS
vielen Dank
AkikoKudo


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