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Die Karten legt das Schicksal

von

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Aufeinandertreffen

Ich schlief schlecht in der Nacht und auch Paul war nicht ausgeschlafen, als der Wecker um 05.30 Uhr klingelte. Beide zuckten wir zusammen und müde strichen wir uns durch die Augen. Keiner von uns schien richtig zur Ruhe gekommen zu sein. Natürlich nicht, nachdem was in der letzten Nacht passierte war. Normalerweise kamen in der Nacht keine Polizisten und niemand brach bei mir Zuhause ein. Immer noch fragte ich mich, wer das gemacht hatte und warum. Doch vielleicht war der Gedanke hinfällig. Leute brachen in Häuser ein und wenn sie merkten, dass jemand Zuhause war, ergriffen die Meisten die Flucht. Möglicherweise war dies ebenfalls geschehen und doch spürte ich, dass ich immer noch nervös war.

Die Matratze neben mir bewegte sich und ein gequältes Stöhnen drang vom anderen Ende des Bettes. Auch Paul schien es viel zu früh zu sein. Wie zur Bestätigung meiner Gedanken, begann er vor sich hin zu murren.

„Borr, Richie“, murmelte er verschlafen, „Muss du wirklich immer so früh aufstehen? Das ist ja…“ Ich strich mir erschöpft durch die Augen. Ja, die Nacht war wirklich sehr kurz. Es war als würden wir nach einer durchzechten Nacht aus dem Bett steigen. „Ich muss Madeline zum Kindergarten bringen“, erklärte ich murmelnd und spürte wie sich meine Tochter müde im Bett herumdrehte. Auch sie hatte der Wecker geweckt.

„Kann ich sie nicht mal da absetzten?“, fragte Paul und ich spürte, wie er sich zu mir drehte. Seine Hand griff nach mir und er zog mich an seine Seite. Sofort war dort diese Wärme, diese allumfassende Wärme, die er absonderte, die mich aufbaute und hielt. Eine Wärme die mir einfach gut tat. Fast wäre ich wieder eingeschlafen, doch als meine Atemzüge länger wurden, rüttelte Paul mich und hielt mich fern von der Dunkelheit, die mich in ihren Bann ziehen wollte.

Ich war mir sicher, dass er meine Tochter vergessen hatte. Ich spürte, wie er mich an seine Brust drückte. Seine Hände strichen mir über meinen Bauch und ich konnte nicht verhindern, dass ich zufrieden aufseufzte. Schlaff lehnte ich mich an den warmen Körper hinter mir und schloss entspannt die Augen. Ich spürte wie mein Körper schwerer wurde und erst als Madeline mich fragte, ob ich nicht aufstehen wolle, schreckte ich aus meinem Halbschlaf hoch. Nach Pauls erstem Versuch mich wach zu halten, musste auch er weggedämmert sein.

Müde blickte sie mich an und ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es kurz nach 6 war. „Scheiße“, sagte ich entsetzt und Madeline kicherte. „Das sagt man nicht“, meinte sie und sprang gut gelaunt auf dem Bett. Sie war eindeutig die fitteste von uns und wie sie aus dem Bett sprang, hörte ich Paul hinter mir etwas murmeln, das klang wie ‚ach ja, Maddy‘.

Ich packte mir Madeline und nahm sie mit ins Badezimmer, Paul sollte sich in Ruhe sein Bein anziehen. Jetzt brauchte ich nicht noch eine Madeline, der man Pauls Handicap erklären musste. Ich wusch ihr Gesicht und putze ihr die Zähne. Nachdem ich ihre Haare zu einem schnellen Pferdeschwanz zusammen gebunden hatte ließ ich sie aus dem Badezimmer treten. Paul und ich lächelten einander an. Es schien als verstand er, weswegen ich Madeline mitgenommen hatte und seine Lippen formten ein stummes, Danke.

Schnell machte ich mich jetzt selbst im Badezimmer frisch. Ich erschauderte als ich in den Spiegel sah. Die Augenringe waren nicht zu verbergen und hätte ich Schminke im Haus gehabt, hätte ich mir die Augenringe heute tatsächlich weggeschminkt. Ich streckte meine müden Glieder und als ich wieder raus kam und in Eile zu Madeline ging, damit sie sich keine Sachen raussuchte, die dem Wetter nicht angepasst waren, traf ich Paul bei ihr im Zimmer. Es dauerte einen Augenblick bis ich begriff, was er gemacht hatte. Fertig angezogen stand mein Mädchen vor mir und ich bemerkte den Schlafanzug in Pauls Händen. Ein Pulli mit Blumen und eine Jeans kleideten mein Mädchen, welche sich gerade Socken anzog. Ein flüchtiges Lächeln schlich über meine Lippen als ich Paul betrachtete. Er selbst schien dies alles als vollkommene Selbstverständlichkeit zu sehen. Er schmiss den Pyjama auf Madelines Bett und auch er streckte seine Arme von sich, während er herzhaft gähnte. „Macht ihr mal Frühstück, ich komm gleich nach“, meinte er und strich mir beim Hinausgehen leicht über den Rücken.
 

Ich teilte mir mit meiner Tochter gerade eine Schnitte Brot, als sie mich leise fragte: „Muss ich heute wirklich dahin?“ Meine Gedanken waren noch ganz woanders. Schließlich war gestern hier in dem Haus ein Einbrecher gewesen und so kam es, dass ich im ersten Augenblick nicht verstand, was Madeline von mir wollte. Es dauerte einen Moment, bis es in meinem Kopf Klickte. Sie sprach von dem Treffen mit Brian. Das hatte ich vollkommen vergessen, bis Madeline mich darauf aufmerksam gemacht hatte.

Leicht nickte ich und wiederholte meine Worte von gestern. „Madeline, du triffst ihn und ihr spielt und du wirst immer mit mir nach Hause kommen, okay? Du brauchst keine Angst zu haben meine Süße.“ Unschlüssig blickte sie mich an und anders als sonst war sie heute Morgen sehr ruhig. Mir war bewusst das sie sich Gedanken wegen des Treffens machte. Doch nach dieser kurzen Nacht war ich darüber auch nicht traurig.

Ich hörte das unverkennbare Geräusch von Pauls Prothese auf der Treppe und auch Madeline blickte mit nachdenklichem Blick auf. Er ging sofort zum Kaffeeautomaten und als er den ersten Schluck Kaffee trank, stöhnte er zufrieden auf.

„Man tut das gut“, nuschelte er und betrachtete uns beide mit müden Blick. „Alles gut?“, fragte er und betrachtete mich und meine Tochter. Unschlüssig zuckte ich mit den Schultern und nachdenklich blickte Paul in den Kaffee. Auch er dachte über gestern Nacht nach und als ich mit Madeline frühstückte, sah ich wie er alle Fenster und Türen im unten Stockwerk kontrollierte, doch wie gestern fand er natürlich nichts.

Ich war mir sicher, dass auch er weit weg war mit den Gedanken und ich vermutete, dass sie nichts mit Brian zu tun hatte. Auch er fragte sich, was der Einbrecher wohl wollte. Seine Augen glitten über meine Möbel, als suche er nach irgendetwas wertvollem, doch natürlich fand er nichts. Ich beobachtete wie er an der Terrassentür rüttelte, doch sie ging nicht auf. „Sprichst du heute noch mit deinen Kollegen?“, fragte ich offen und hoffentlich unauffällig, damit Madeline das Gespräch einfach ignorierte. Doch Paul schien genau zu verstehen.

Ernst nickte er und trank noch einen Schluck der schwarzen Flüssigkeit. „Ja, das werde ich. Wenn ich was weiß, dann melde ich mich“, versprach er mir und betrachtete das Wohnzimmerfenster.

„Gut…“, meinte ich und auch ich musste dringend einen Kaffee trinken. Während ich mir gerade einen Kaffee machte, hörte ich wie Paul Madeline leise fragte, was bei ihr los sei. Auch ihm schien es nicht entgangen zu sein, dass sie nachdenklich auf ihrem Stuhl saß und unzufrieden wirkte. „Ich will mich heute nicht mit dem Mann treffen. Er hat Daddy weh getan. Der ist scheiße“, meinte sie und streng meinte ich, dass man scheiße nicht sagen soll.

„Hast du doch gerade selber“, meinte sie und sprachlos sah ich das kleine Mädchen an. Ich räusperte mich und meinte: „Das…. Ja … aber sag das nicht so oft.“ Sie nickte nur und wie sie sich Paul wieder zu wandte, musste ich grinsen. Das war sicher nicht pädagogisch wertvoll gewesen.

„Madeline…. Du hast mit dem Streit aber nichts zu tun“, meinte Paul ruhig und überging das Gespräch von eben vollkommen. „Wenn sich im Kindergarten dein Freund mit einer anderen Freundin streitet, kannst du doch auch mit ihr spielen. Also darfst du das auch. Wenn dein Dad sich mit Brian streitet, darfst du trotzdem mal schauen, wie du ihn findest.“ Ich war dankbar, als ich Pauls Worten lauschte. Er schaffte es, es so einfach und kindgerecht meiner Tochter zu erklären, dass es nicht schlimm war, wenn sie sich mit Brian traf. Ich war dankbar dafür und mischte mich nicht in das Gespräch ein. Denn ich fand, dass Paul es klasse machte. Vielleicht sogar gerade besser, wie ich es konnte.

„Aber Daddy habe ich doch lieb… und so“, stammelte sie etwas unbeholfen und es schien als fehlten ihr schlichtweg die richtigen Worte. Sie suchte meinen Blick und sofort war ich an ihrer Seite und strich ihr durch die Haare. „Das weiß ich doch alles, Maddy. Ich weiß, dass du mich lieb hast und das weißt du auch. Hab einfach keine Angst vor heute, okay? Ich bringe dich hin und ich hole dich auch wieder ab. Und vielleicht hast du auch Spaß.“ Es war erstaunlich. Gestern noch gingen mir diese Worte so schwer über die Lippen und jetzt war es so einfach. Ich hatte sie so häufig gesagt, dass es gar nicht mehr schwer war, darüber so zu sprechen.

Unschlüssig betrachteten mich die großen Kinderaugen und ich verlangte auch keine Reaktion oder Antwort von ihr. „Los komm wir machen jetzt dein Brot für den Kindergarten und fahren dann auch gleich los“, versuchte ich Madeline zu helfen um aus dieser Situation herauszukommen. Sofort nickte sie und aß den letzten Rest des halben Brotes und stand auf. Ich bereitete alles vor und so normal es eigentlich war, so unnormal fühlte es sich an. Der komische Einbruch gestern und die Gespräche ließen diesen Morgen surreal und komisch wirken. Irgendwie fühlte ich mich unsicher.

Ich erlaubte Madeline heute ein Spielzeug mitzunehmen und als sie oben etwas raussuchte, betrachtete ich Paul. Ohne etwas zu sagen drückte ich ihn an mich und meinte ehrlich: „Danke. Du hast auch das Zeug zum Vater. Und es beruhigt mich, dass du hier bist.“ Scheel grinste er mich an und klaute sich einen Kuss von mir. Sanft wurde der Ausdruck in seinem Gesicht und liebevoll strich er kurz über meine Hand. Ich liebte es, wenn er mich so ansah, es war immer so, als würden diese kleinen Augenblicke mich aus meinen Alltag reißen. Mein Herz begann schneller zu schlagen und ich spürte wie meine Gesichtszüge sich langsam entspannten. Wie froh ich war, dass ich diesen Mann getroffen hatte, konnte ich gerade nicht in Worte packen.

„Ach, das kommt dir nur so vor. Und… und du hast gewonnen… Ich versuch es am Wochenende mit dem Radfahren…“, meinte er und verblüffte mich damit total. Schließlich waren meine Gedanken heute anscheinend nur bei dem Einbruch. Überrascht sah ich ihn an und ein Strahlen glitt über mein Gesicht. Er wollte es versuchen, für mich! „Wirklich?“, diese Kleinigkeit überraschte mich in diesem Augenblick so sehr, dass ich tatsächlich für kurze Zeit sogar meine Sorgen vergaß. Fest drückte ich Paul an mich und leise hörte ich ihn lachen. Frech kniff er mir in den Hintern, während meine Arme um ihn lagen und breit grinsend sah ich ihn an.

„Ja, wenn du schon mal was vorschlägst... und… aber wenn ich es nicht kann…. dann kann ich es eben nicht mehr“, stammelte er etwas unbeholfen, während er sich tatsächlich etwas räusperte und liebevoll nahm ich kurz sein Gesicht in meine Hände. Ich strich über den etwas dichter werdenden Bart und lächelte ihn glücklich an. „Paul… Danke! Das freut mich wirklich total“, flüsterte ich leise und drückte meine Lippen auf die Seinen. Ich wusste, dass es eine große Überwindung für ihn war und das er es nur für mich tat. Jedoch glaubte ich einfach, dass es ihm Freude machen würde und das er dann endlich sehen würde, dass er doch noch alles irgendwie machen kann, was er geliebt hatte. „Weißt du… komm doch mit zum Kindergarten und ich stellte dich vor, damit du Madeline wirklich mal abholen kannst“, meinte ich leicht grinsend und sofort nickte Paul.

„Ja, je nachdem muss sie ja nicht über die Hälfte des Tages dann immer da sein“, meinte er und drückte mich kurz, aber kräftig an seine Seite. Die Wärme durchflutete meinen Körper und es tat so unglaublich gut. So hatte ich es mir immer vorgestellt, wenn man nicht Alleinerziehend war und es war so viel einfacher, entspannter. Nochmals drückte ich meine Lippen auf die Seinen und strich mit meinen Händen durch seine Haare. Das Gefühl des kratzenden Bartes ließ eine Gänsehaut über meinen Körper fahren und als ich mit sanfter Stimme nach dem Kuss meinte, dass er sich rasieren müsste, küsste er meine Hand welche gerade sanft über seine Wange strichen.

Ein Geräusch auf der Treppe ließ uns zurück in die Realität kommen und Madeline kam mit zwei Barbiepuppen hinunter. Sie hatte uns nicht wirklich bemerkt, zu sehr war ihre Aufmerksamkeit auf das Spielzeug gerichtet. „Hatte ich nicht gesagt ein Spielzeug“, meinte ich schmunzelnd und sah Madeline mit hochgezogenen Augenbrauen an. Sie sah zu die beiden Puppen in ihren Händen hinunter und erklärte: „Aber ich kann doch nicht alleine mit der Puppe spielen. Und teilen kann man die nicht. Und außerdem wollen beide mit in den Kindergarten. Das sind Freundinnen.“

Ich schmunzelte leicht und grinste etwas, als ich ihre Erklärung hörte. Noch einmal vier sein, schoss es mir durch den Kopf und ich erlaubte ihr beide Puppen mitzunehmen. Fröhlich saß sie im Auto und ich sagte zu Paul, dass ich ihn in die Stadt fahren werde.
 

Aufgeregt zeigte Madeline Paul den Kindergarten und ich erklärte einer Erzieherin, Anna war noch nicht da, dass Paul mein neuer Freund sei und Madeline abholen dürfe. Es dauerte, bis wir den Kindergarten verlassen konnten und als wir endlich zu zweit im Auto saßen, genossen wir für einen kurzen Augenblick die Stille um uns herum.

„Wenn du irgendwelche Neuigkeiten weißt wegen gestern, melde dich. Ich habe ein total schlechtes Gefühl gerade jetzt mein Haus alleine zu lassen… Glaubst du, dass du nach der Arbeit mal vorbei schauen kannst?“, fragte ich unschlüssig und konnte endlich ehrlich meine Sorgen mitteilen. Mit Madeline im Auto wollte ich dies unter keinen Umständen ansprechen. Weder das Treffen am Nachmittag, noch das was in der Nacht geschehen war.

„Wenn ich den Schlüssel von dir bekomme“, meinte Paul und sofort nickte ich. „Klar, ich mache ihn gleich ab… Nimmst du dir ein Taxi dahin? Du kriegst das Geld natürlich wieder“, erklärte ich sofort doch Paul schüttelte verneinend den Kopf. „Nein, lass mal“, meinte er lächelnd. „Davon komme ich auch nicht um…“ Liebevoll blickte ich ihn an und merkte selbst wie weich mein Gesicht wurde. „Danke“, flüsterte ich leise als er zu mir blickte.

Mit Paul im Auto war der morgendliche Stau weit weniger stressig. Tatsächlich fand ich es sogar schade, dass wir so schnell durchzukommen schienen. Allerdings verriet ein Blick auf die Uhr, dass wir genauso schnell voran kamen wie sonst auch. Wir redeten einfach und als er mich fragte, ob er zum Fahrradausflug seine Kamera mitbringen könnte, fiel mir sein neues Hobby ein. „Willst du Actionfotos mit meiner Tochter machen“, scherzte ich herum und der Druck auf meinen Schultern war gerade leichter zu tragen. Grinsend meinte der Mann neben mir: „Ja klar, Querfeld ein mit einer Vierjährigen. Dann hast du gleich noch mehr Probleme.“ Leise lachend nickte ich und zwinkerte ihm liebevoll zu. Viel zu schnell für meinen Geschmack waren wir durch den Verkehr gekommen und vor dem Polizeipräsidium ließ ich Paul aus meinen Wagen steigen.

Ich löste meinen Schlüssel, warf ihn Paul zu und grinste ihn an. „Wir sehen uns dann später?“, fragte ich und fügte gut gelaunt hinzu, „Ohne dich komme ich ja sonst eh nicht in mein Haus.“ Paul nickte und betrachtete den Schlüssel in seiner Hand. „Ich versuch es, ansonsten bring ich den Schlüssel zu deinen Nachbarn… Und du schaffst das heute schon mit deinem Ex-Mann. Ich werde mich melden, wenn ich etwas Neues weiß.“ Langsam nickte ich, erneut kam diese Aussage so plötzlich und brachte mich wieder in die Realität. Zu sehr liebte ich diese rosarote Brille und dieses Gefühl, welches Paul mir bescherte. Dieses Gefühl der Leichtigkeit war wundervoll. Es war als würde ich so vieles nicht mehr richtig wahrnehmen. Und vermutlich war es auch genau so.

Schräg grinste ich ihn an und nickte nur. „Vermutlich werden wir uns vorher eh noch hören. Ich habe heute einen Gerichtstermin. Der zweite wurde verschoben… Aber wenn du was hörst von deinen Kollegen gestern, dann sag bitte wirklich Bescheid.“ Ernst nickte Paul, drehte sich um und ging langsam die Stufen des Gebäudes hinauf.

Kurz sah ich ihm nach, ehe ich mich besann und mich auf den Weg ins Büro machte. Doch leider meldete sich Paul nicht und das schlechte Gefühl blieb.
 

Gegen halb vier am Nachmittag war ich wieder beim Kindergarten. Ich wusste nicht, wie ich mich fühlte, während ich meiner Tochter dabei zusah, wie sie ihre Jacke anzog. Jetzt brachte ich sie tatsächlich zu einem Treffen mit Brian. Einem Treffen, welches ich gar nicht wollte und von dem ich dachte, dass es nie im Leben stattfinden würde. Doch jetzt war es so weit und ich konnte es nicht mehr ändern. Ich schnallte Madeline auf ihrem Kindersitz fest und fragte sie, wie der Kindergarten war. Sie erzählte, dass sie neue Lieder lernen würde. Welche für den kommenden Sommer. Diese könnte sie jedoch nicht. Ich war froh, dass sie diese nicht kannte, denn ansonsten hätte sie vermutlich noch begonnen im Auto zu singen.
 

Ich hielt sie an der Hand als wir den Raum betraten in dem die Treffen stattfinden sollten. Ein Sofa stand herum und viele Spielzeuge waren in einer Ecke verteilt. Anders als in den anderen Räumen waren die Wände nicht weiß gestrichen, sondern waren in einem sanften Orange gestrichen worden. An den Wänden hingen Bilder von Cartoonfiguren aus meiner Kindheit. Madeline selbst kannte sie nicht. Sie waren derzeit nicht mehr gefragt.

Erst im zweiten Augenblick sah ich, dass zwei Frauen dort standen und auf uns warteten. Die eine erkannte ich sofort. Es war Mrs. Brown die andere war eine junge blonde Frau mit einem runden Gesicht und einem modernen Bobschnitt.

„Guten Tag Mr. Prescot“, meinte Mrs. Brown freundlich und ging auf mich zu. Wir schüttelte einander die Hände und ich begrüßte sie höflich. Ich nickte zu Madeline und sah sie auffordernd an. Sie suchte meinen Blick und nach einem sehr leisen „Hallo“, trat sie einen Schritt hinter mich. Sie schien von den vielen Augen etwas überfordert zu sein.

Ich legte ihr beruhigend eine Hand auf den Kopf, wegen meiner Größe kam ich nicht an ihre Schultern. Freundlich lächelten die Anwesenden Personen sie an und die blonde junge Frau meinte: „Guten Tag, ich bin Lydia Green. Ich begleitete das Treffen gleich mit ihrer Tochter“, stellte sie sich mir gegenüber vor und freundlich lächelte ich sie an. Fröhlich blickte die junge Dame meine Tochter an und hockte sich zu ihr runter. „Und du bist also Madeline, das ist ja eine coole Farbe die dein Anorak da hat. Soll ich dir verraten, dass ich Pink auch toll finde.“ Mit ruhiger und einfühlsamer Stimme sprach sie mit meiner Tochter. Doch Madeline schien zu nervös. Immer noch stand sie hinter mir und ihre Hand suchte die Meine.

„Madeline mag die Farben auch“, versuchte ich ihr zu helfen und auch ich beugte mich zu ihr runter und öffnete ihre Jacke. „Dad… ich will nicht hier sein“, sagte sie und Tränen sammelten sich in ihren grünen Augen. Schwer wurde mein Herz und vorsichtig strich ich ihr über die Wange.

„Maddy, Mäuschen, dass hier ist nichts Schlimmes. Du wirst jetzt mit Miss…“, ich blickte sie dabei fragend an und sie nickte nur, „Miss Green etwas spielen und wenn Brian dazu kommt, dann ist es wie im Kindergarten. Da spielst du ja auch mit mehreren. Und dann komme ich auch schon wieder und hole dich ab.“

„Ich will aber nicht“, wiederholte sie und dicke Tränen flossen aus ihren Augen und jede einzelne tat in diesem Augenblick unglaublich weh. Wäre es nach mir gegangen, hätte ich sie sofort wieder mitgenommen! Sie nicht alleine mit meinem Ex-Mann gelassen, doch wie sähe das jetzt aus? Es wäre nur eine Flucht.

Vermutlich konnten die zwei Pädagogen meine Mimik deutlich entschlüsseln, denn Miss Green meinte auf einmal: „Schau mal Madeline, wir schauen erstmal und es muss ja auch nicht eine ganze Stunde sein. Wir versuchen es erstmal und wenn es nur 30 Minuten sind, dann sind es nur 30 Minuten und dann kommt dein Dad ja auch schon wieder. Dann rufen wir ihn an und schwups bist du auch schon wieder Zuhause.“

Mit Tränen in den Augen betrachtete sie die Frau und ich wusste gerade nicht ob es nicht unpädagogisch war meine Tochter dazu zu drängen. Doch sie war erst vier und ich zwang mich mir in Erinnerung zu rufen, dass Madeline nicht abschätzen konnte, was sie wollte und was nicht. Sie hatte mitbekommen wie ich mich mit Brian gestritten hatte und diese Situation konnte sie einfach nicht vergessen.

Ich sah mich in dem Raum um und bemerkte ein Spiel, welches meine Tochter auch zuhause hatte. „Schau mal, Madeline“, meinte ich und deutete auf das Gesellschaftsspiel, „Das hast du auch zuhause. Sollen wir es mal aufbauen?“ Langsam stand ich auf und ging mit Madeline zu dem Tisch. Auch Mrs. Brown setzte sich und zu viert bauten wir das Spiel auf.

„Können wir uns gleich noch unterhalten?“, fragte sie mich nebenbei und ich nickte nur. Ich wollte in Hörweite meiner Tochter nicht nach dem Grund fragen. Als alles aufgebaut war meinte ich zu Madeline: „Ich muss jetzt etwas besprechen, du spielst etwas mit Miss Green und es dauert auch nicht lange und dann ich bin schon wieder da.“

Ich musste ihrem Blick einfach ausweichen, als ich bemerkte wie ängstlich mich Madeline ansah. Doch sie brauchte keine Angst zu haben. Ihr würde hier keiner etwas tun. Ich drückte ihr einen Kuss auf den Kopf und verließ mit Mrs. Brown das Zimmer. Doch noch in der Tür hörte ich Madeline fragen: „Kommst du wirklich schnell wieder?“

Sie war mir einige Schritte gefolgt, als ich durch den Raum gegangen war und verloren sah mein kleines Mädchen aus. Es schnürte mir fast die Kehle zu, als ich sie so sah. Ich nickte nur und räusperte mich, eher ich zu sprechen begann: „Natürlich. Wer soll dich denn sonst heute Abend ins Bett bringen?“ Unschlüssig nickte meine Tochter und als sich die Tür hinter uns schloss, atmete ich tief durch. Tat ich wirklich das Richtige?

Doch noch bevor ich meinen Gedanken weiter spinnen konnte, holte mich die Stimme von Mrs. Brown aus meiner Starre.

„Das haben Sie gut gemacht“, meinte sie höflich und ein leichtes Lächeln zierte ihre Lippen. Ich war mir immer noch unschlüssig, wie gut ich das gemacht habe. Unsicher schien mein Blick zu sein, als ich Mrs. Brown anblickte.

Ich folgte der Sozialarbeiterin und als wir in einem Büro waren, meinte sie erklärend: „Ich würde mich gerne bei Ihnen zuhause treffen, damit ich Madeline und Sie zuhause sehen kann für meinen Bericht. Der ist zwar schon so gut wie fertig, aber das gehört dazu. Wann haben Sie Zeit?“ Perplex sah ich die Frau nach ihrem Monolog an. Ich hatte schließlich so gut wie nie Zeit.

„Ähm“, entfuhr es mir und ich zuckte unschlüssig mit den Schultern. „Ich schau mal… eher nur Freitagnachmittag. Ich muss schließlich arbeiten. Ich habe mir bis jetzt immer frei nehmen können, aber das geht leider nicht immer so, wie ich es gerne hätte“, meinte ich, während ich mich an der Schläfe kratze. Etwas unzufrieden sah sie mich an und seufzte dann schwer. „Na gut, wenn es sein muss, dann muss ich halt mal länger arbeiten…“, sagte sie und wirkte alles andere als zufrieden. Ich konnte sie verstehen, denn auch ich machte ungerne Überstunden.

Wir vereinbarten einen Termin und als ich fertig war, fragte ich: „Woher weiß ich, dass das Treffen zu Ende ist…“ Wir waren einen anderen Weg nach draußen gegangen und ich war nicht noch einmal an der Tür vorbeigegangen hinter der Madeline gerade mit Brian war.

Erneut kam der Gedanke plötzlich wieder und es war wie ein Schlag in den Magen. Mrs. Brown sortierte gerade ihre Sachen und meinte: „Ich habe der Fachleiterin ihre Nummer gegeben. Sie wird sich bei Ihnen melden.“ Ich nickte und höflich verabschiedete sie sich von mir. Unschlüssig sah ich der Dame nach und fühlte mich auf einmal wie verloren. Was machte ich jetzt?

Zögerlich ging ich einige Schritte und nach wenigen Meter sah ich ein Café. Schnell setzte ich mich rein und bestellte mir ein Getränk. Am liebsten hätte ich etwas mit Alkohol bestellt. Doch ich musste fahren und Madeline war noch nicht im Bett. Noch lange nicht.

Doch während ich darüber nachdachte, kam mir der Gedanke, dass ich mit Paul mal ausgehen sollte. Ich schrieb über mein Handy E-Mails und tätigte kurze, geschäftliche Anrufe, doch schnell war alles abgearbeitet und nachdenklich sah ich in meinen Kaffeebecher. Bevor ich Paul kennen gelernt hatte, hatte ich versucht wenigstens einmal im Monat auszugehen und hatte dafür sogar eine Babysitterin. Es war ein Mädchen aus der Nachbarschaft und sie verdiente sich so etwas Taschengeld hinzu.

Ich musste einfach an etwas anderes denken, denn sonst würde ich durchdrehen, da ich nicht wusste, wie es Madeline gerade ging. Ob sie noch lange geweint hatte? Ignorierte sie Brian? Oder hatten sie etwa Spaß zusammen? Keiner der Gedanken ließ mich froh werden und so schrieb ich Paul lieber: „Lust irgendwann am Wochenende mal was ohne Kind zu unternehmen?“ Er wusste natürlich, dass gerade das Treffen mit Brian war und erstaunlich schnell kam eine Antwort zurück. „Klar, wann und wo? Und was machen wir mit Maddy?“ Ein leichtes Schmunzeln erschien auf meinen Lippen und während ich einen Schluck Kaffee trank, strich ich mir über das Kinn.

„Wir könnten vorher was mit Madeline machen. Mit dem Fahrrad zum Zoo oder in dem Wald zu einem Spielplatz und abends kommt die Babysitterin und wir gehen in eine Bar“, schlug ich vor. Erneut setzte ich die Tasse an meine Lippen und trank einen Schluck des bitteren Getränkes.

„Klar. Ich bin dabei“, schrieb mir Paul und ich freute mich darüber.

Ich tippte auf meinem Handy: „Okay, einfach auf den Spielplatz… Hast du was wegen gestern Nacht herausgefunden?“, wollte ich wissen. Erneut kam schneller eine Antwort, wie ich dachte. „Nein, Auswertung der Spuren dauert bei Einbrüchen… Gibt so viele. War gerade noch mal bei dir, aber es ist alles ruhig. Dein Haustürschlüssel liegt jetzt bei den Nachbarn. Ich habe gleich doch noch einen Termin. Mein Bein tut wieder weh. Ich geh jetzt zum Arzt“, stand dort und ich war froh, dass er gerade nach dem Rechten gesehen hatte. Es war kein schönes Gefühl zu wissen, dass die Auswertung der Spuren immer noch andauerte. Und was sollte ich vom zweiten Teil der Nachricht halten? Sein Bein konnte nicht wehtun, allerdings konnte ich ihm das so auch nicht schreiben. Ich biss mir auf die Lippen und merkte erneut, dass es mir Leid tat, dass ihm anscheinend niemand helfen konnte. Phantomschmerzen mussten einfach schrecklich sein. Nahm ein Arzt so etwas überhaupt ernst? Ich hoffte, dass er einen Arzt hatte, der ihn ernst nahm und nicht einfach sagte, dass er weiterhin so viele Schmerztabletten einnehmen sollte. Es missfiel mir sehr. Doch war sollte ich ihm sonst sagen? Er solle die Schmerzen einfach aushalten? Mit gerunzelter Stirn sah ich die Nachricht an und entschied mich etwas zu machen, was ich ansonsten sehr selten tat. Ich begann nach Phantomschmerzen zu googeln.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  radikaldornroeschen
2019-07-01T11:37:09+00:00 01.07.2019 13:37
Dass das Kapitel genau an diesem Punkt endet, hat so etwas unheilvolles.... ein schlechtes Gefühl bleibt am Ende übrig.... wer weiß, was es mit diesen Phantomschmerzen auf sich hat O_O;

Und er hat immer noch nicht die Schlösser austauschen lassen <.<

Ich muss ihm da mal auf die Finger klopfen... gut, er hat derzeit wirklich enorm viele Baustellen auf einmal. Aber bei mir würde da echt das leibliche Wohl des Kindes im Vordergrund stehen.
Was, wenn die Kleine nachts wach wird, runter geht und dem Einbrecher begegnet? Kein echter Mut, sondern verschlafene Trotteligkeit. Und dann passiert was?
Du appellierst hier ganz mies an elterliche Ängste XD

Ein packendes Kapitel, welches den Leser unentspannt entlässt.
Von:  Schnullerkai
2018-12-16T20:16:06+00:00 16.12.2018 21:16
Oh nein, Dr. Google!
Nein, ich find's 'n schönes Zeichen, dass Rick sich in das Thema einfuchsen möchte. Und tatsächlich ist es inzwischen immer häufigere Praxis, Patienten mit dauerhaften Schmerzmittelkonsum tatsächlich von diesen Schmerzmitteln zu entwöhnen. Was zwar erstmal unintuitiv klingt, aber in vielen Fällen zu einer deutlichen Verbesserung der Lebensqualität führt. Ich weiß allerdings nicht, wie es sich mit Phantomschmerzen verhält, denn ich hab die ehrlich gesagt noch nie gegoogelt.

Die Szene vor dem Treffen mit Brian finde ich so anrührend geschrieben. Also, nicht kitschig, aber es trifft einen mitten ins Herz und ich kann Rick so gut verstehen, dass er seine Tochter am liebsten direkt wieder mitgenommen hätte. Wem wäre es anders gegangen, wenn das eigene Kind so hilflos ist und einfach nur will, dass man bleibt.

Es ist wirklich schön, wie Paul in die kleine Familie hineinwächst, Rick entlastet und das Elternsein einfach ganz natürlich und ohne große Worte mitträgt, fühlt sich beim Lesen sehr authentisch an.

Ein rundrum gelungenes Kapitel. Bleibt nur noch zu klären, wer Rick da in letzter Zeit auf dem Kieker hat. Man bleibt gespannt, ich freu mich auf mehr. :)

Grußviech,
Schnullerkai


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