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Die Karten legt das Schicksal

von

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Falscher Augenblick

Ich schlief sehr schlecht in dieser Nacht. Immer wieder suchten mich verwirrende und auch schreckliche Träume heim. Ich träumte von Brian, dass dieser kam und Madeline einfach mitnahm. Mein Körper wollte nicht gehorchen und war wie gelähmt. Ich konnte sehen, dass Madeline sich freute wieder bei ihm zu sein. Sie sagte im Traum, wie sehr sie ihn doch vermisst hatte. Sie würde sich freuen, bei ihm und dieser Hannah zu wohnen. Endlich habe sie eine Mutter. Fröhlich nannte sie ihn Dad und sie sagte mir, dass ich ja nun zufriedener sei. Ich hätte doch eh nie Zeit für sie. Ich ertrug es nicht und Brian verwandelte sich in Paul. Paul der sich wegdrehte und sagte, dass er sich melden würde und ich wusste, dass er es nicht tun würde.

Schweißgebadet wachte ich auf und keuchte laut. Schlaftrunken blickte ich mich um, doch alles schien wie immer. Ich sah auf meinem Funkwecker, dass es erst vier Uhr morgens war. Noch drei Stunden Schlaf lagen vor mir, bis der Wecker klingelte und Madeline und ich zum Flughafen aufbrachen. Ich hörte das Atmen des kleinen Kindes neben mir und rollte auf die Seite. Klein und zusammengekauert lag sie im Bett. Ihr Stofftier hatte sie im Arm und schlummerte tief und fest. Ich atmete leise auf. Es waren nur Träume gewesen. Sie war bei mir.

Ich strich ihr über den Rücken und legte vorsichtig einen Arm um ihren Körper. Ich war froh, dass sie da war. Sie ließ mich nicht aufgeben. So einsam ich mich auch häufig fühlte, stimmte es doch eigentlich nicht. Wir waren zu zweit. Vielleicht sollte ich einfach aufhören, so sehr an dem Gedanken zu hängen, jemanden an meiner Seite zu haben. Vielleicht nahm ich es einfach alles viel zu verbissen. Wenn ich es ehrlich betrachtete, hätte es vermutlich viele andere Situationen gegeben, in denen ich ehrlich zu Paul hätte sein sollen.

Ich schloss die Augen und es dauerte einige Zeit, bis der Schlaf mich wieder zu sich zog, doch dieses Mal schien er gnädig zu sein, denn keine schlechten Träume suchten mich heim.

Der schrille Ton des Weckers riss mich aus meinem Schlaf und ich zuckte erschrocken zusammen. Tief und fest hatte ich die letzten Stunden geschlafen und fühlte mich gerädert. In einer Stunde mussten wir losfahren um pünktlich am Flughafen zu sein.

Ich half Madeline dabei sich fertig zu machen, gebadet hatte sie gestern schon. Wir frühstückten und ich zwang sie regelrecht danach noch einmal auf die Toilette zu gehen. Keiner von uns sprach den Vorfall von gestern an. Ich wusste auch nicht, ob man dies machen sollte oder nicht. Wenn sie nicht fragte, dachte ich, muss ich das Thema nicht weiter aufrollen. Ich hoffte, dass ich damit das Richtige machte.

Während Madeline auf der Toilette war checkte ich uns über mein Smartphone ein. So brauchte ich am Schalter nur den Koffer und den Kinderwagen abgeben. Eigentlich brauchte Madeline keinen mehr, doch ich hatte ihn zur Vorsicht noch. Wenn es in Phoenix unerträglich warm werden würde und Madeline zu erschöpft zum Laufen war, wollte ich sie einfach nicht die ganze Zeit tragen. Ich verstaute alles im Auto und um kurz nach acht machten wir uns auf den Weg zum Flughafen.

„Oma freut sich auf dich“, sagte ich und blickte in den Rückspiegel zu Madeline. Sie hatte Bolt auf den Arm und blickte fröhlich zu mir. „Glaubst du, sie hat Schokolade für mich?“, wollte sie wissen und ich grinste leicht. Ich zuckte mit den Schulter und erwiderte: „Möglicherweise. Aber nur, wenn du im Flugzeug nett bist. Wenn du nur quengelst sag ich es Oma.“ Sofort versprach sie, dass sie sich während des Fluges nicht anstellen wollte. Ich schmunzelte zufrieden und grinste leicht, während ich ihr lauschte. Ich kannte sie. Schon öfter waren wir nach Phoenix geflogen. Immer Nonstop, sonst wäre es für Madeline auch einfach zu lang. Auch so war der Flug mit fast 3 Stunden einfach anstrengend für sie. Ich hatte zwei, drei Spiele dabei und mein Handy aufgeladen und mehrere Hörspiele darauf gezogen. Ich hoffte, dass sie das beschäftigen würde.

Während ich ein Hörspiel für sie im Auto spielte, drifteten meine Gedanken ab. Ich dachte an das was geschehen war, nachdem Brian gegangen war. Wie ängstlich meine Tochter war und wie seltsam wie sich benommen hatte.

Es war falsch gewesen, dass ich Paul gestern gebeten hatte zu komme. Es war einfach ein falscher Augenblick. Die Konsequenz folge auf dem Fuße. Er hatte mir nicht geschrieben in der Nacht und auch nicht am Morgen. Sollte ich ihm Schreiben? Oder besser nicht? Früher hatte ich den Männern noch geschrieben, wenn sie meinten sie würden sich melden. Doch schnell hatte ich es mir abgewöhnt, denn sie wollten es einfach nicht. War ich zu stolz? Paul war anders, als die anderen die ich kennen gelernt hatte. Schon allein deswegen, weil ich nicht nur verknallt in ihn war, sondern weil er auch etwas wie ein Freund war. Während ich an einer roten Ampel hielt blickte ich starr hinaus auf die Straße. Es war zum verrückt werden. Es war eine innere Unruhe in mir, welche ich kaum in den Griff bekam. Unbarmherzig spürte ich die Sehnsucht nach dem Mann in mir brodeln. Würden nicht meine Eltern auch mich warten, wäre ich am liebsten zu ihm gefahren um ihn zu zeigen, dass es nicht schlimm ist, dass Maddy da war. Kurz betrachtete ich sie im Rückspiegel. Hätte ich einen Mann früher sitzen gelassen nur, weil er ein Kind hatte? Ich wusste es selbst nicht. Etwas in mir sagte ja, denn damals war ich jung und unerfahren, wollte die Welt sehen und doch sagte auch etwas in mir Nein, denn ein Kind beendete das Leben schließlich nicht. Ich strich mir über die Augen und erst als Madeline hinter mir fröhlich sagte, dass es Grün sei, fuhr ich weiter. Vielleicht tat es einfach mal gut, aus der Stadt herauszukommen. Bekannte Gesichter zu sehen und andere Gesprächsthemen zu lauschen. Ich mochte meine Familie und hatte sie schon länger nicht mehr besucht. Das letzte Mal war über Weihnachten und Neujahr gewesen. Meine Eltern liebten Madeline und besuchten mich so oft es ging. Immer wieder versuchten sie mich zu überreden wieder nach Arizona zu ziehen. Ich solle das Haus der Bank überlassen und mit dem restlichen Geld des Kredites ein Haus bei ihnen kaufen. Sie würden mir helfen mit Madeline und eigentlich war die Idee nicht verkehrt. Doch der Stolz hielt mich davon ab. Ob dieser Stolz angemessen war oder nicht, dass musste jeder für sich entscheiden. Ich war zu Stolz dafür. Sie waren damals gegen die frühe Ehe mit Brian gewesen und ich wollte und musste ihnen beweisen, dass ich auch ohne ihre Hilfe zurecht kam.

Mein Vater leitete die Baufirma und meine Mutter half ihm im Büro, sie könnten sich freinehmen. Tatsächlich war es sogar schon vorgekommen, dass meine Mutter zu mir kam, als Madeline krank wurde und ich nicht freinehmen durfte. Doch wieder dort hin zu ziehen käme für mich einem Aufgeben gleich. Es war, als würde ich kapitulieren und das wollte ich mir nicht eingestehen. Meine Eltern kannten mich zu gut und akzeptieren meine Haltung. Ob sie es gut fanden, oder nicht. Doch sie kamen, wenn ich sie brauchte und auch so gerne zu mir. Erst vor sechs Wochen waren sie an einem Wochenende zu Besuch gekommen und auch in drei Wochen, an dem Wochenende von Madelines Geburtstag wollten sie uns besuchen.

Schon häufig war ich am Flughafen gewesen und so wusste ich, wo ich hinmusste. Man erkannte, dass einige der Fahrer vor mir selten am Flughafen Auto fuhren. Sie schienen nicht zu wissen, wo sie hin mussten. Doch ich blieb entspannt und ließ ein älteres Ehepaar vor mir einscheren.

Ich parkte das Auto in einem Parkhaus, lud das Gepäck auf einen Wagen und endlich betraten wir die große Halle. Es herrschte betriebliche Hektik. Viele Businessmenschen gingen geschäftig an mir vorbei und schienen blind zu wissen, wo sie hin mussten. Andere, oft auch ältere Menschen, schienen einen Augenblick zu brauchen, bis sie sich in diesem großen Gebäude zu Recht fanden. Viele der Schalter waren besetzt und an einigen war eine größere Schlange Passagiere zu sehen, die darauf warteten ihr Gepäck abgeben zu können. Da keine Ferien waren, waren nur wenige Menschen, wie ich mit Kind unterwegs.

Ich hielt meine Tochter fest an meiner Seite und suchte nach unserer Gepäckabgabe. „Dad“, fragte sie und ich sah hinunter in ihre grünen Augen, „Darf ich auf dem Karren fahren?“ Ich stimmte zu und setzte sie auf unseren Koffer. Madeline selbst hatte Bolt auf dem Arm und einen Rucksack auf den Rücken, wie ich. „Papa, wann kannst du mir die Haare eigentlich so machen wir bei Elsa?“, wollte sie wissen, während wir endlich in der richtige Schlange standen. Skeptisch folge ich dem Blick meiner Tochter und sah, dass Madeline eine Frau betrachtete, deren Zopf so komisch geflochten war. Die Haarsträhnen waren bereits auf dem Kopf in den Zopf geflochten worden. Wie man dies machte, davon hatte ich keine Ahnung.

Ich seufzte schwer. Ja, ich kam mit diesem Frauenkram nicht zurecht, doch es schien, als müsste ich mich bald damit auseinandersetzen. Wäre es nach mir gegangen, hätte Madeline gar keine langen Haare. Ich hätte sie wesentlich kürzer geschnitten. Doch sie wollte sich unbedingt Zöpfe machen lassen und so ließen wir die Haare dran. „Ich weiß es noch nicht. Ich muss das noch lernen“, meinte ich und dachte daran mir Videos anzuschauen, um zu lernen, wie man theoretisch Haare flechten konnte. Wenn ich es dann immer noch nicht konnte, hatte ich es wenigstens versucht.

„Ja…. Du lernst Haare flechten und ich lerne Buchstaben“, schlug sie vor und ließ mich schmunzeln. Neben mir in der Schlange sah ich eine junge Frau grinsen. Sie drehte sich leicht weg von mir und strich sich mit der Hand über die Lippen und ich war mir sicher, dass sie uns beide belauscht hatte. Schlimm fand ich es nicht. „Klingt gut“, meinte ich und strich Madeline durch die braunen Haare. Ich zog mein Handy aus der Tasche. Warum wusste ich nicht, vielleicht musste ich einfach nur meine Hände beschäftigen.

Ich hatte neue Nachrichten und als ich das Handy entsperrte, hoffte ich, dass eine Nachricht von Paul unter ihnen war. Ich wollte so gerne noch mal mit diesem Menschen sprechen. Doch keine war dabei. Eine Nachricht war von Phil. Er wollte wissen, weswegen ich gestern versucht hatte ihn anzurufen. Die anderen beiden waren von meinem Vater und meine Schwester. Er wollten wissen, wann ich flog und Marianne bat mich Zigaretten mitzubringen. Ich schrieb Phil, während wir in der Schlange voran gingen, dass ich mich nach dem Wochenende bei ihm melden werde. Ich fragte, wie es Sarah und seinem ungeborenen Sohn ging und hoffte, dass bei ihnen alles in bester Ordnung war. Wir erreichten die Gepäckabgabe und ich steckte mein Handy in die Jackentasche. Doch wie ich das Handy wecksteckte keimte erneut das Gefühl der Unzufriedenheit in mir auf. Ich schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter und schloss kurz und nachdenklich die Augen. Ich beschloss mir im Flug Gedanken darüber zu machen, ob ich mich melden sollte oder nicht.

Ich sah zu Madeline und stellte fest, dass sie neugierig die Umgebung beobachtete. Sie schien aufgeregt und ich schmunzelte leicht, als ich sagte: „Du muss runter vom Koffer.“ Kurz sah sie mich an, kletterte hinab und blieb an meiner Seite stehen. Ich hievte den Koffer und den Kinderwagen auf die Waage und war froh, dass Madeline als Passagier zählte. So brauchte ich kein Übergepäck zu bezahlen.

Neugierig fragte Maddy, was die Frau am Schalter machte. Ich reichte der schwarzen Frau unsere Pässe und erklärte schnell, dass sie das Gewicht der Gepäckstücke kontrollierte. Geschäftig reichte sie mir die Pässe wieder und endlich konnten wir die Schlange verlassen. Ich hielt Madeline fest an der Hand. Es war nicht viel los, doch ich wollte unter keinen Umständen, dass sie einfach falsch abbog und ich sie nicht wiederfand oder wegen so etwas den Flug verpassten.

Schell waren wir durch die Sicherheitskontrollen durch und mit ihrer fröhlichen und lieben Art scherzte sie mit den Menschen herum. Sie fand es unglaublich lustig, dass wir piepten und sie mit einem Detektorgerät abgescannt wurden. Ich kaufte meiner Schwester ihre Zigaretten und schrieb meinem Vater, dass ich mich freuen würde, wenn er uns abholt.

Ich stand an der Tafel und suchte mein Gate, als ich neben mir Stimmen hörte. „Es nervt“, hörte ich eine tiefe und rauchige Stimme murren. „Die nehmen nicht das erste Mal Tiere mit. Jack beruhige dich. Didi geht es gut“, sagte ein anderer Mann mit genervten Unterton und ging an mir vorbei. Ich achtete nicht weiter auf sie und als Madeline an meiner Hand zog, sah ich verwirrt zu ihr hinab.

„Der eine Mann Dad, der hat eine Augenklappe. Wie ein Pirat“, meinte sie, grinste mich breit an und ihre Augen glitten zu den beiden Männern. Ich folgte ihrem Blick und skeptisch zogen sich meine Augenbrauen zusammen.

Die beiden Männer waren recht groß, der eine hatte ein breites Kreuz und dunkle Haare, der andere, vielleicht nur wenige Zentimeter größer, trug einen dunklen Mantel und sah fast so aus, wie ein Geschäftsmann. Der kräftige trug Tarnmuster, doch ich sah ihn nur von hinten und konnte sein Gesicht nicht sehen. „Ein Augenklappe?“, fragte ich skeptisch und Madeline nickte breit grinsend. Ich war mir unschlüssig, ob sie es sich nur eingebildet hatte. Jedoch hatte ich für so etwas eigentlich keine Zeit. „Der hat vermutlich nur eine Augenentzündung. Dann trägt man die. Das ist nichts Schlimmes“, erklärte ich und blickte wieder auf die Tafel, um zu überprüfen, wo unser Abfluggate war.

Als ich es plötzlich neben mir kichern hörte, fragte ich genervt, was nun los sei und aufgeregt sagte sie: „Die beiden Männer haben sich geküsst.“ Wieder sah ich in die Richtung, doch sie waren vermutlich längst abgebogen. „Ist doch nicht schlimm“, meinte ich freundlich lächelnd und nahm Madeline auf den Arm. Endlich fand ich das Gate und folgte den Schildern in die richtige Richtung. „Wenn ich einen Freund hätte, dann würde ich ihn doch auch küssen“, meinte ich grinsend und blickte Madeline schmunzelnd an. Sie kicherte erneut und schüttelte nur albern den Kopf. „Ach komm schon Madeline, so schlimm ist ein Kuss doch nicht“, meinte ich grinsend und blickte sie liebevoll an.

Sie schüttelte den Kopf und strampelt leicht. „Ich will selber laufen“, meinte sie fröhlich und artig setzte ich sie ab. Endlich waren wir am Gate und als wir endlich saßen, war Madeline ziemlich aufgeregt. Sie hatte ihren eigenen Sitz und neugierig versuchte sie aus dem Fenster zu blicken. Ich saß in der Mitte und der Platz neben uns schien nicht besetzt zu sein. Und wir hatten Glück. Niemand schien den Sitz gebucht zu haben.

Ich spielte während des Fluges Memory mit Madeline und egal wie sehr ich mich auch anstrengte, gewann doch meine Tochter. Von den Flugbegleitern bekam sie Schokolade und ein Spielzeugflugzeug geschenkt. Sie freute sich darüber und ich sollte das Flugzeug gleich zusammenbauen. Erst als ich sie mit Hörspielen ablenken konnte, konnte auch ich mich mal entspannt zurücklehnen. Was Paul jetzt wohl machte? Ob er sich wirklich Gedanken machte? Er war die ganze Zeit anders gewesen, als andere Männer. Er war auf einer Farm großgeworden. Sogar in einem Mehrgenerationenhaus hatte er gewohnt. Vielleicht war für ihn Familie ja doch nichts Schlimmes und er brauchte wirklich einfach nur Zeit zum Nachdenken. Es konnte schließlich nicht jeder etwas gegen ein Kind haben. Es gab schließlich genug Regenbogenfamilien. Ich versuchte nicht so wütend auf ihn zu sein, wie auf Alex. Alex dem ich in Ruhe und vernünftig erklären wollte, dass ich ein Kind habe. Paul hatte diese Möglichkeit schließlich nicht bekommen. Ich hatte ihn vollkommen unerwartet ins kalte Wasser geworfen. Sollte ich vielleicht einfach versuchen die Freundschaft aufrecht zu erhalten? Wenn er sich keine Beziehung würde vorstellen können, könnten wir doch trotzdem Zeit miteinander verbringen, oder war dies zu viel des Guten?

Ich entschloss mich, ihm nach meiner Ankunft zu schreiben. Ich war meines Glückes Schmied und wenn ich nicht selbst etwas unternahm würde ich auch nichts gewinnen. Als der Steward kam, genehmigte ich mir ein Schluck Cola und Madeline bekam ihren Orangensaft. Ich hoffte einfach, dass ich Paul nicht zu sehr vergrault hatte mit meiner Art. Möglicherweise hatte er mir bereits jetzt schon geschrieben. Schließlich war mein Handy im Flugmodus und ich bekam nicht mit, ob und wer mir geschrieben hatte. Madeline ließ es jedoch nicht zu, dass ich zu lange meinen schlechten Gedanken nachhing. Sie wollte malen und ich holte aus ihrem Rucksack ihr Malbuch und ihre Stifte heraus. Sie forderte mich auf, auch etwas zu malen und ich tat ihr den Gefallen. Nach über zweieinhalb Stunden Flug waren wir endlich in Arizona gelandet.

Sofort schaltete ich mein Handy wieder in den normalen Modus, doch niemand hatte mir geschrieben. Die Enttäuschung kam mit einem Schlag zurück und traurig betrachtete ich das Gerät in meiner Hand. Ich steckte das Handy in meine Hosentasche und blickte hinaus auf das Rollfeld. „Alles okay, Daddy?“, fragte Madelines lieb, hohe Kinderstimme und ich nickte leicht. Sie beobachtete mich und wieder war ich überrascht, wie feinfühlig ihre Antennen waren „Klar. Endlich sind wir bei Opa und Oma“, meinte ich freundlich, doch ich merkte selbst, dass mein Lächeln meine Augen nicht erreichte. Unschlüssig betrachtete mich meine Tochter und nach einem Augenblick sagte sie leise: „Okay….“ Auch sie wirkte nachdenklicher, als ich es mir gewünscht hätte und ich fragte mich, ob sie an Brian dachte.

Ich verließ mit ihr das Flugzeug. Plötzlich meinte Madeline, dass sie auf die Toilette musste. Genervt raunte ich ihr zu, dass ihr dies auch vorher hätte auffallen sollen. Sie selbst war nur am Kichern. Ich schnappte sie mir und brachte sie zum Männerklo. Ich hatte es einmal gewagt auf die Damentoilette mit ihr zu gehen und wurde prompt von einer älteren Dame angemacht, dass ich dort nichts zu suchen hätte. Man konnte es schließlich niemanden Recht machen und als ich mit meiner Tochter an der Hand aus der Toilette kam, blickte mich eine Frau verwirrt an. Ich ignorierte den Blick und ging mit meiner Kleinen einfach an ihr vorbei.

Während wir auf unser Gepäck warteten fragte Madeline auf einmal: „Papa, bist du noch sauer wegen Brian?“ Wie feinfühlig die Antennen von Kindern sind, erschreckte mich. Doch ich wollte einfach nicht mit ihr darüber reden. „Madeline, das geht dich nichts an. Manche Sachen sind nur für Erwachsene und du bist noch ein Kind“, sagte ich streng und fischte den eingetüteten Kinderwagen vom Laufband.

Ich sah, dass sie schmollte, doch es war mir gleich. Ich ließ sie schmollen und als wir unser Gepäck endlich hatten, gingen wir zum Ausgang. Ich sah meinen Vater schon vom weiten. Er war bereits vollkommen ergraut, doch er hatte noch alle Haare auf dem Kopf. Ein kleiner Bauch spannte sich über seinem Hemd und als Madeline ihn sah, lief sie fröhlich auf ihn zu und rief nach ihrem Opa. Mein Vater war unheimlich stolz und glücklich ein Enkelkind zu haben. Er hatte sich damals am schwersten getan, sich mit meinem Outing anzufreunden und erst nach einigen sehr klärenden und auch intensiven Gesprächen kam er nach und nach immer besser damit klar. Jetzt spielte es für ihn eigentlich keine Rolle mehr. Vor allem nicht, seit Madeline auf der Welt war. Feste drückte er sie und fragte sie, wie der Flug war. Sie sagte sofort, dass wir die ganze Zeit gespielt hatten und das sie für Oma ein Bild gemalt hatte. „Da wird sich Oma aber richtig freuen, Kleines“, meinte er und endlich sahen seine blauen Augen in die Meinen.

„Hey Richie“, meinte er grinsend und ich verdrehte genervt die Augen. Ich wollte nicht, dass er mich so nannte! Ich wollte von niemanden so genannt werden, doch meine Familie schien das einfach nicht verstehen zu wollen. Seit ich zehn Jahre alt war protestierte ich gegen diesen Spitznamen. Geholfen hatte es nur bei meinen Freunden.

„Hey Dad“, sagte ich und drückte kurz den älteren Mann. Ich fragte ihn, was es Neues bei ihm gab und zu dritt verließen wir den Flughafen. Ich lauschte den Neuigkeiten, während ich immer ein Auge auf meine Tochter hatte, welche etwas vorweg ging. Mein Vater sagte mir, dass derzeit wieder viel gebaut wird und dass er froh ist, dass Marianne ihm unter die Arme griff. Die Wirtschaft laufe gut und dies würde er an seinen Aufträgen merken. Ich lauschte seinen Worten, sagte nichts von Brian und auch nicht von Paul.

Madeline wollte unbedingt, dass mein Vater sie im Kindersitz festmachte und lachend plauderte sie über ihre Einhorn- und Hundefiguren, welche sie mitgenommen hatte. Mit allem sollte mein Vater mindestens einmal gespielt haben. Mein Vater lachte und strich ihr durch die Haare, als er ihr sagte, dass er es kaum erwarten könne.

Während wir nach Hause fuhren, spähte ich auf mein Handy, doch noch immer war keine neue Nachricht von Paul eingegangen. Sollte ich über meinen Schatten springen? Gerade, als ich beschloss dies zu machen, riss die Stimme meines Vaters mich aus meinen Gedanken und ich verwarf den Plan.

„Heute Abend gibt es ein großes Essen. Alle sind da. Die Stones, die McGrever und auch die Tillers. Das wird sicher eine sehr nette Feier werden und Marianne hat einen neuen Freund. Der kommt auch. Ein netter Mann. Ich glaubte, du kennst ihn. Du und Phil, ihr wart mit ihm zusammen in der High School. Anthony Houver.“ Ich nickte nur. Ja, ich erinnerte mich an ihn. Ein blonder Junge mit Sommersprossen. Etwas schmächtiger, aber ansonsten eigentlich ein netter Typ. „Was macht er“, wollte ich wissen und lehnte mich in den Sitz des SUV zurück. „Er arbeitete als Maurer. Marianne hatte mich gebeten ihm einen Job zu geben und jetzt arbeitet er für mich“, erklärte mein Vater und blickte kurz zu mir hinüber. Ich nickte nur und ging nicht weiter darauf ein. Ich wusste, dass mein Vater enttäuscht war, dass ich das Familiengeschäft nicht übernehmen wollte. Immer wieder sprach er davon, als würde ich mich letztlich doch um entscheiden. Doch ich war nie der BWL’ler in unserer Familie. Dies waren mein Vater und meine Schwester. Marianne und Mathe waren immer in einem sehr positiven Zusammenhang erwähnt worden. Immer, wenn ich Studien las oder von ihnen hörte, in denen gesagt wurde, dass Frauen in Mathe schlechter seien, konnte ich nur lachen. Nie hatte ich es geschafft, in Mathe so gut zu sein, wie sie.

Sie war die Richtige, wenn es darum ging, die Baufirma meines Vaters weiterzuführen. Mich störte es nicht, dass ich nichts von Mariannes neuem Freund wusste. Wir verstanden uns zwar, doch standen wir uns nie sonderlich nahe. Wenn sie Hilfe brauchte, dann war ich da. Dann ließ ich auch gerne den großen Bruder heraushängen, doch ansonsten hatten wir wenig gemeinsam. Ich liebte die Natur in meiner Freizeit, sie war eher eine Partymaus gewesen. Auch der Altersunterschied von fast sechs Jahren war immer spürbar gewesen.

„Hat Oma Kuchen gebacken?“, fragte Madeline von hinten und sofort war mein Vater wieder vollkommen in seiner Oparolle gefangen.

Wir fuhren die Auffahrt meines Elternhauses hinauf und ein leichtes Lächeln stahl sich auf meine Lippen. Das Haus war groß. Mein Vater hatte es gebaut, als ich sieben war. Wir hatten wirklich ein gutes Leben und auch die Krise vor einigen Jahren hatte mein Vater gut überstanden. Es hatte, ebenso wie mein Haus zwei Etagen. Oben waren Badezimmer und Schlafräume. Typisch für Amerika und anders, als bei meinem Haus, bestand die Fassade aus weißen Holz. Brian und ich wollten damals ein verklinkertes Haus haben. Die Veranda meiner Eltern war überdacht und oben im Dach waren Gauben, die dafür sorgten, dass man in der oberen Etage auch Fenster hatte. An den großen Fenstern waren große Fensterläden befestigt und ließen das Haus alt und sehr traditionell wirken. Zwei kleine schmale Fenster, welche so groß waren, wie die Eingangstür, ließen Licht in den Flur.

Wir betraten das Haus und sofort kam mir meine Mutter entgegen. Sie hatte hellbraune Haare und ihre grünen Augen strahlten mich glücklich an. Sie war schlank, nicht sonderlich groß und trug eine dunkelblaue Jeans mit einer gut sitzenden Bluse. Fröhlich zog sie mich in ihre Arme und leise lachend drückte ich sie an mich. „Hey Mum“, sagte ich, doch viel mit ihr sprechen konnte ich nicht. Madeline forderte ihre Aufmerksamkeit gnadenlos ein. Und gerade als ich Madeline ermahnen wollte, dass sie sich zurückhalten sollte, vibrierte mein Handy. Erneut begann ich zu hoffen. Mein Herz setzte aus, als ich sah, dass Paul mir geschrieben hatte. Es war wie ein Befreiungsschlag. Selten war ich so aufgeregt, wenn man mir schrieb. Ich ging etwas beiseite und öffnete das Chatfenster und las: „Hey, tut mir leid, wie das gestern gelaufen ist. Ich glaube wir beide haben etwas scheiße reagiert. Hast du Lust, dich am Montag zu treffen? Ich würde auch zu dir kommen.“ Ein erleichtertes und glückliches Lächeln stahl sich auf meine Lippen und die Leichtigkeit, die er sonst immer in mir ausgelöst hatte, war wieder da.

Ja, gestern war ein scheiß Zeitpunkt gewesen und wir beide haben Sachen gesagt und getan welche man sicher an einem anderen Zeitpunkt hätte sagen sollen.

Wieder einmal zeigte mir dieser Mann, dass er tatsächlich anders war, als die anderen Männer. Sofort tippte ich: „Nichts lieber als das. Wir sollten gegen 14 Uhr wieder Zuhause sein. Fliegen so gegen neun hier los. Danke, dass du dich gemeldet hast.“ Wie erleichtert ich mich fühlte hätte ich nicht wirklich beschreiben können und am liebsten hätte ich die Zeit einfach schneller verfliegen lassen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  MarryDeLioncourt
2018-10-29T06:27:37+00:00 29.10.2018 07:27
OMG ^^, Ich habe wirklich mitgefiebert und du hast es ja super spannend gemacht. Beruhigend, dass sich paul doch noch gemeldet hat. Ich mag maddy übrigens sehr <3.
LG marry
Antwort von:  Strichi
16.11.2018 21:48
juhu ich habe endlich wieder internet... sry bin umgezogen und datenvolumen aufgebraucht.. aber jetzt ist es wieder da :D

und freut mich zu lesen, dass du mitgefiebert hast :) vielleicht gefällt es dir weiterhin.
Ganz liebe Grüße^^

PS: Morgen kommt das nächste Kapitel endlich mal
Von:  chaos-kao
2018-06-03T19:28:27+00:00 03.06.2018 21:28
Jacky und Jazzy *___* Ich hab mich echt gefreut als die beiden aufgetaucht sind <3
Und super, dass Paul sich anscheinend pro Richie entschieden hat - zumindest schießt er ihn nicht in den Wind. Jetzt muss Richie nur noch das Wochenende überstehen und am Montag kann er ja vielleicht sogar Maddy und Paul einander vorstellen. Das wäre doch mal was :)
Antwort von:  Strichi
07.06.2018 08:54
Ja meine beiden Jungs :D Ach ich liebe sie... da bekommt man gleich wieder Lust was mit ihnen zu machen... aber ein erstmal die anderen ^.^

Und nein... er schießt ihn nicht in den Wind. Es war einfach der komplett flasche Augenblick. Und ja... Ein wochenende ist ja nicht lange... :D Ich hoffe das ich das Kapitel nächste Woche fertig habe... Ich werde es dann sehen ^^
LG
Von:  -Chiba-
2018-06-03T13:33:21+00:00 03.06.2018 15:33
Yaaaaay.....du hast Jack und Jazz tatsächlich kurz in die Story eingebaut *freu*
Mal gespannt ob sie noch öfters auftauchen^^
Und ich bin gespannt, wie es mit Paul und Rick weiter geht.
Antwort von:  Strichi
07.06.2018 08:56
Ja... Meine Jungs mussten irgendwie rein :D
Du kennst sie ja fast genauso gut ;)

Hat mich gefreut von dir zu lesen. Hatte dir ja auch schon ne ENS geschickt. :)
Kapitel wird wohl nächste Woche kommen.
Schönen Tag noch^^
Von:  Finniwinniful
2018-06-03T13:12:36+00:00 03.06.2018 15:12
Ich bin froh, dass Paul sich gemeldet hat! Ich verstehe Leute nicht, die es schlimm finden, wenn der Partner oder eventuelle Partner n Kind hat. Ist in der heutigen zeit doch nichts merkwürdiges! :/
Bei dem kurzen auftritt von Jazz und Jack musste ich grinsen...hatte innerlich gehofft, dass die beiden noch kurz vorkommen und dann so, das hätte ich nun doch nicht gedacht :D

Nun bin ich allerdings gespannt, wie und was die beiden am Montag bereden werden und es ausgeht!

lg Finniwinni :)

Antwort von:  Strichi
07.06.2018 08:52
Huhu,

schön von dir zu lesen :)
Ja so unnormal ist ein Kind heuzutage nicht und doch bei einem Homosexuellen trotzdem irgendwie schon... Und ich glaube auch, dass es nicht darum geht, dass es merkwürdig ist, sondern darum, was das alles mit sich bringt.

Und ja, als ich den Auftritt meiner Jungs geschrieben habe musste ich auch ziemlich grinsen und bekam eig. gleich wieder Lust etwas mit ihnen zu schreiben... aber na ja... :D

Ich bemühe mich nächste Woche das Kapitel online zu stellen ;) es ist in Bearbeitung.
Liebe Grüße


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