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Die Karten legt das Schicksal

von

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Die Fügungen des Schicksals

Schrill riss mich der Wecker um halb sechs aus dem Schlaf. Ich hatte nicht gut geschlafen, immer wieder gingen mir Alex' Worte durch den Kopf. Ich verguckte mich wirklich viel zu schnell. Ich bewunderte Leute, denen das nicht so schnell passierte. Und auch Brian und sein Schreiben wollten nicht aus meinem Kopf verschwinden. Dass er wieder plötzlich auftauchte, machte mich wütender, als ich angenommen hätte.

Wäre es nach mir gegangen, wäre ich einfach liegen geblieben. Müde und erschöpft strich ich mir durch meine Haare und streckte meine müden Glieder. Laut knackten sie und leise und etwas schmerzvoll stöhnte ich auf. Mein Arm berührte etwas und als ich schlaftrunken neben mich sah, bemerkte ich den braunen Schopf meines Kindes. Ich war so tief am Schlafen gewesen, dass ich gar nicht mitbekommen hatte, dass sie zu mir kam. Meine grünen Augen betrachteten sie müde. Es war niedlich, dass sie hier war. Ich legte meinen Arm um ihren warmen und kleinen Körper und streichelte ihr liebevoll über den Rücken. Auch sie schien der Wecker geweckt zu haben und müde umklammerten ihre kleinen Hände die Decke. Ihr Stoffhund Bolt lag neben ihr im Bett. Sanft drückte ich sie an mich und streichelte ihre Seite, kraulte sie und wäre selbst fast wieder eingeschlafen. Sie war so schön warm und ich fand, dass sie unglaublich toll roch. „Ich hole dich gleich, meine Süße“, meinte ich mit so sanfter Stimme, wie ich es um diese Uhrzeit hinbekam. Wenn ich mich jetzt nicht zwang aufzustehen, schaffte ich es gar nicht mehr.

Ich lächelte leicht und stand müde auf. Ich griff in den Kleiderschrank, holte Anzug und Hemd heraus und verschwand im Badezimmer. Die durchwachsene Nacht, zeichnete sich deutlich auf meinem Gesicht ab, wie ich fand. Die Sorgenfalten auf meiner Stirn schienen heute ungewöhnlich tief und spätestens morgen musste ich mich rasieren. So konnte und wollte ich keinem Klienten gegenüber treten. Ich war froh, dass ich volles schwarzes Haar hatte und ich war auch froh, dass ich nicht allzu viele Brusthaare hatte, zu viele Haare dort mochte ich nämlich nicht. Immer noch müde, stellte ich mich unter die Dusche und hoffte so, endlich richtig wach zu werden.

Das Wasser belebte meinen Geist und ich seufzte schwer und zufrieden auf. Ich blieb nicht lange unter dem erfrischenden Wasser. Zu sehr drückte mir die Zeit im Nacken. Nur schnell wusch ich meine Haare und verteilte Duschgel auf meinem Körper und nach gerade mal fünf Minuten war ich bereits fertig. Nachdem ich mir die Zähne geputzt hatte und mich fertig angezogen hatte, verließ ich das Badezimmer. Ich stopfte mir gerade das Hemd in die Hose und verschloss diese, als mein Blick zu meinem Bett glitt. Ab und zu kam es vor, dass Madeline in meinem Bett schlief. Vielleicht, weil sie mich vermisste, ich fragte sie nicht danach. Ich hatte Angst vor ihrer ehrlichen Aussage.

Ich blickte auf mein Handy. Keine neuen Nachrichten waren über Nacht eingegangen. Ein gutes Zeichen. Und doch wieder nicht, denn es bedeutete, dass auch Alex mir nicht geschrieben hatte. Doch er hatte mich aufgefordert sich bei ihm zu melden, doch ich wollte es nicht. Der Stolz war zu groß in mir. Vielleicht sollte ich einfach aufhören zu hoffen, dass es mit jedem neuen Typen etwas wird. Es fühlte sich komisch an und tat weh in der Brust. Ich war mir sicher, dass Alex und ich einander nicht wieder sehen würden, jedenfalls nicht so schnell.

Doch wenigstens, konnte etwas meine Stimmung heben. Heute war endlich Freitag, das war sehr gut! Eine der besten Nachrichten des Tages! Alex versuchte ich aus meinen Gedanken zu streichen. Der Tag war eh zu vollgepackt. Ich griff nach meiner Tochter und sanft versuchte ich sie zu wecken. „Los komm… Ist zwar etwas eher als sonst, aber los Mäuschen. Wer bei mir schläft, der muss auch mit mir aufstehen“, schmunzelte ich und hob den warmen und schlaffen Körper meiner Tochter einfach aus dem Bett. Müde und ohne etwas zu sagen, klammerte sie sich an mich und drückte ihr Gesicht an meine Schulter. Sie war sogar so müde, dass sie Bolt einfach in meinem Bett liegen ließ. Das könnte bedeuten, dass es ein ruhiger morgen werden würde.

Gemeinsam mit ihr auf dem Arm, ging ich hinunter in die Küche. Schwer seufzte ich und legte einen Kaffeepad in den Automaten. Ich brauchte dringend einen Kaffee. Ohne Kaffee ging morgens eigentlich nichts bei mir! Aus dem Kühlschrank holte ich fertigen Kakao und schüttete ihr diesen in einen Becher. Der bunte Becher mit Anna und Elsa drauf, war ihr sehr wichtig. Als der erste ihr vor einigen Wochen hinfiel und zerbrach war der Morgen gelaufen. Gott sei Dank, konnte ich über das Internet einen neuen Becher bestellen.

„Warm, oder kalt?“, fragte ich sie und leise und sehr undeutlich, glaubte ich ein kalt zu hören. Also reichte ich ihr diesen und setzte sie auf der Arbeitsplatte ab. Ihr Olaf-Pyjama hatte einige Flecken. Der musste heute also in die Wäsche. Die hatte ich tatsächlich gestern vergessen. Vielleicht sollte ich einfach eine Wäsche machen, bevor ich ging. Müde begann Madeline den Kakao zu trinken und ich hörte sie zufrieden seufzen. Zufrieden atmete auch ich aus, als ich meinen Kaffee trank. Es war niedlich zu sehen, wie sie meine Gewohnheiten übernahm.

Ich schaltete das Radio an und gleich begannen die Augen meines Kindes wacher zu werden. Sie liebte Musik, schon immer. Ich war nie ein musikbegeisterter Mensch gewesen. Ich hörte alleine im Auto auch selten Radio, ich hörte lieber Hörbücher. Früher Jugendliteratur, heute Krimis und Thriller. Wenn nicht gerade Benjamin Blümchen, oder Prinzessin Lillifee liefen. Doch Maddy liebte die Musik und am Morgen war ein wenig Beschallung sicherlich nicht verkehrt. Immer wieder glitten meine Gedanken zu Alex und der Abfuhr, welche ich in meinem eigenen Haus bekommen hatte. Ich war froh, dass ich Madeline nie meine Affären vorstellte. Sie brauchte sie einfach nicht kennen. Denn auf Sex wollte ich nicht verzichten.

Ich kannte die Plätze in der Stadt. So genannte Cruisingplätze. Orte an denen sich Homosexuelle trafen und unkompliziert miteinander Spaß haben konnten. Es war mir gleich, dass viele es sicher nicht gut heißen würden, doch ich hatte nicht immer Lust und Zeit, es auf anderem Wege zu versuchen. Ich bekam, was ich wollte, wenn ich dort war, Sex. Liebe oder Freundschaft konnte man dort nicht finden oder ich jedenfalls nicht.

„Daddy“, fragte Maddy, strich sich über ihre grünen Augen und die holte mich in die Realität zurück, „Können wir McDonalds essen? Die haben Einhörner und ich will Rainbow.“

Ich schmunzelte und verbesserte: „Bei McDonalds essen, nicht McDonalds essen. Und na gut. Warum nicht. Aber wenn sie dieses komische Ding nicht haben, dann wird nicht geweint, sonst verlassen wir den Laden sofort.“ Empört sah mich Madeline an und wie ich, wenn ich ernster sprach, stellte sie ihren Becher beiseite.

„Das ist kein komisches Ding. Das ist Rainbow!“ Ich war nicht schlauer als vorher und trotzdem nickte ich nur. Egal war es war, sie fand es gerade toll. „Kann sein“, meinte ich ausweichend und holte Cornflakes aus dem Schrank, „Trotzdem weinst du nicht, wenn es nicht da ist. Haben wir uns verstanden, Madeline?“ Ich versuchte es zu verstehen, wenn sie wegen so etwas anfing zu weinen, doch dafür fehlte mir schlichtweg das Verständnis. Als sie sich in einem Supermarkt auf den Boden schmiss und lauthals brüllte, ließ ich sie einfach liegen. Darauf hatte ich weder Lust, noch tröstete ich sie wegen einer nicht bekommenden Süßigkeit. Schon einmal, hatten wir unter lautem Geschrei ein Fastfood Geschäft verlassen, ohne etwas zu kaufen. Sie wusste also, dass meine Androhung ernst gemeint war.

Sie nickte nur und ich schüttelte ihr einige der Cerealien in eine bunte Schüssel. Ebenfalls mit Anna und Elsa drauf. Wir brauchten schließlich alles davon. Madeline kletterte selbst von der Arbeitsplatte und ich reichte ihr den Kakao wieder. Auch ich zwang mich eine Schüssel zu essen und wie am Abend saß ich alleine mit ihr am Tisch. Natürlich fragte mich Madeline nicht, was mein Tag bringen würde. Natürlich nicht! Dass mich ihr Vater angeschrieben hatte, wollte ich ihr nicht sagen. Auch nicht, wie wütend es mich machte. Die Papiere lagen seit gestern unverändert bei den anderen wichtigen Dokumenten.

Er hatte uns verlassen, als Madeline fünf Monate alt war. Die Zeit nach der Geburt war schön und alles war, wie ich es mir vorgestellt hatte. Wir bekamen wenig Schlaf und Madeline forderte viel Aufmerksamkeit. Ich hatte die ersten drei Wochen frei gehabt und versuchte Brian damals mit Maddy und der neuen Situation zu unterstützen. Er war begeistert von dem Kind gewesen. Hatte sie jedem gezeigt und jedem gesagt, dass sie seine Nase und seine Lippen hatte.

Doch mit der Zeit, als der neue und veränderte Alltag kam, wurde er unzufriedener. Alles drehte sich plötzlich um das Kind. Er beschwerte sich, dass ich nicht nachts aufstand, um nach ihr zu sehen. Dass ich arbeiten musste und er Zuhause war, schien ihm vollkommen egal. Er beschwerte sich, wenn ich da war und er beschwerte sich, wenn ich nicht da war. Ja, wir hatten es so geregelt, dass ich arbeiten ging und er Zuhause blieb und von dort aus arbeitete. Also wollte ich auch nichts mehr machen, wenn ich um halb sechs von der Arbeit kam. Haushalt und Kind waren seine Aufgaben gewesen. Vielleicht hätte ich ihm helfen sollen. Vielleicht hätte ich ihm nicht immer sagen sollen, dass er doch den weniger stressigen Tag hatte.

Doch die Tage waren lang und wenn ich Zuhause war, wollte ich einfach meine Zeit genießen. Dass Madelines Augen dann auch noch grün wurden und ihre Haare dunkler, ließ ihn ungehalten werden. Wir stritten viel darüber. Ich hatte nie darauf bestanden, dass wir das Schicksal entscheiden lassen sollten, wer der biologische Vater unseres Kindes werden sollte. Es war seine Entscheidung gewesen, wie so vieles. Und das Schicksal hatte uns die Karten so zugespielt, wie sie nun einmal waren. In einem unserer letzten Streitgespräche warf er mir wütend an den Kopf, dass er enttäuscht sei, dass ich ihr „richtiger“ Vater sei. Ich fand es albern. Mir war es immer egal gewesen und das sagte ich ihm auch. Madeline liebte schließlich uns beide! Ihm war es aber nicht gleich. Dies hatte ich im Laufe der Zeit verstanden.

Als er eines Abends die Koffer packte, hielt ich das alles nur für einen schlechten Scherz. Er verließ mich und was noch schlimmer war, er verließ seine, unsere Tochter. Er war ihre Bezugsperson. Auch wenn auf einem Stück Papier gedruckt stand, dass er nicht ihr Vater sei, hätte all dies nicht die Gefühle gegenüber des kleinen Menschen ändern können.

Ich erinnerte mich nicht gerne an diese Zeit zurück. Verzweifelt versuchte ich damals, dass Brian wieder käme. Ich hatte ihn schließlich sehr geliebt! Doch er verschwand, tauchte unter. Später erfuhr ich, dass er sich neu verliebt habe. Vermutlich ging es schon länger so. Das Gefühl betrogen worden zu sein, schmerzte sehr und ich konnte es nie wirklich beschreiben. Seither hatte er Madeline nicht wieder gesehen und wollte auch wirklich nichts von ihr wissen.

Am Anfang versuchte ich ihn zu überzeugen wieder zu kommen. Ich hätte ihm verziehen. Doch er antwortete auf keine Nachricht, auf keine Mail und aus Wochen wurden Monate und aus Monaten schließlich Jahre. Geburtstage verstrichen und nie meldete er sich bei uns, bis dieser Brief gestern ankam.

Auch Brians Eltern distanzierten sich von mir. Als sie mir vor eineinhalb Jahren dann sagten, dass Madeline nicht ihre Enkelin sei, brach ich jeglichen Kontakt zu der Familie ab. Meine Familie lebte weit weg und meine Freunde hatten auch ihr Leben. Natürlich unterstützen sie mich. Sie passten auf Madeline auf und doch konnte ich sie nicht jede Woche einfach von morgens bis abends weggeben. Ich erinnerte mich, wie ich in meiner Verzweiflung den Weg zum Jugendamt suchte. Ich hatte Angst vor diesem Gang.

Doch im Nachhinein bereute ich nicht, dass ich mir Hilfe suchte. Die Sozialarbeiter versuchten ihr Möglichstes. Und nur dank ihrer Hilfe konnte ich Madeline in dem Kindergarten anmelden, in dem sie bis heute war. Ich hatte vieles im Leben meines Kindes verpasst. Das erste Krabbeln, den ersten Schritt. Noch heute erinnerte ich mich, wie sie das erste Mal sprach. Etwas, wo ich dabei war und nicht eine Erzieherin in einer Einrichtung. Etwas, was ich am nächsten Tag stolz berichten konnte. Dank der Hilfe des Jugendamtes hatte ich Nummern bekommen. Nummern von Tagesmüttern und konnte mir nach und nach ein eigenes Netzwerk aufbauen.

Doch all dies hätte ich nie ohne meinen besten Freund und seine Frau geschafft. Sarah und Phil waren mir die besten Freunde. Phil kannte ich bereits seit der High School. Wir hatten damals Glück, dass wir an derselben Universität studieren konnten. Ich war Trauzeuge auf seiner Hochzeit. Zwei Wochen, nachdem Brian uns verlassen hatte, klingelte ich bei Sarah und Phil. Madeline hatte die ganze Nacht geschrien. Sie bekam ihre Zähne und auch den Tag über war sie nur am Schreien gewesen. Ich spürte, dass sie ihren Vater vermisste. Und da sie es nicht in Worte fassen konnte, schrie sie nach ihm.

Ich war außer mir. Ich wusste nicht, wie ich sie beruhigen konnte. Ich war nicht stolz darauf, doch ich schrie sie an. Ich schrie das kleine Baby damals an, als mache es das mit Absicht. Als wollte sie mich ärgern.

Der Drang, sie zu packen und zu schütteln wuchs damals und erschrocken, verließ ich das Kinderzimmer. Das ich das je gedacht hatte, ließ mich bis heute nicht los. Es war der Moment als ich erkannte, dass ich Hilfe brauchte. Der Moment, wo ich weg musste! Ich packte eine Tasche und stellte Maddy bei Phil und Sarah ab. Sie wollten wissen, was los sei, doch ich konnte einfach nicht sprechen! Ich fuhr weg. Weit weg. Ließ mich damals volllaufen und vögelte mit irgendwelchen Fremden, ging zu sogar zu einem Stricher. Wenn Brian mit anderen vögeln konnte, dann konnte ich das schließlich auch!

Ich rauchte das erste Mal einen Joint und wollte nie wieder kommen. Vier Tage dauerte dieser Exzess und als ich wieder zu mir kam, war ich ein reines Nervenbündel gewesen. Ich hätte fast meiner eigenen Tochter wehgetan. Und als ich merkte, dass ich dies auch gerade in diesem Moment tat kamen die Tränen. Madeline brauchte mich. Auch wenn es Brians Wunsch war, dieses Kind zu bekommen, liebte ich sie deswegen nicht weniger und so fuhr ich zurück. Klingelte bei meinen besten Freunden und bat sie, mir zu helfen. Bis heute unterstützen sie mich und sie gaben mir damals den Mut, mich beim Jugendamt zu melden.

Nie hatten sie mir Vorwürfe gemacht und standen mir einfach bei, wenn es nicht mehr ging. Bis heute. Sarah und Phil würden selbst bald Eltern werden und ich freute mich für meinen besten Freund. Ich betrachtete meine Große. Sie konnte sich an diese turbulente Zeit nicht erinnern. Müde stocherte sie in ihre Essen herum. Spätestens, nach dem Teller würde sie wacher werden und wie ein Wirbelwind durch das Haus fegen. Ich kannte sie schließlich. „Dad?“, fragte sie und strich mit ihrer Hand durch ihre Haare, „Können Fahrrad fahren?“ Ich schmunzelte leicht. Meine Leidenschaft hatte ich nicht aufgegeben. Ich wollte weiterhin Radfahren. Und so hatte ich mir einen Sitz für sie besorgt, welchen ich hinter mir befestigen konnte. Sie hatte zwar ein Kinderrad, doch dafür war sie einfach noch etwas zu klein. Natürlich konnte ich mit ihr auf dem Rad nicht mehr quer Feld ein Fahren, doch längere Strecken waren kein Problem.

„Klar, können wir machen. Und es heißt: Können wir Fahrrad fahren. Aber morgen erst“, meinte ich lächelnd und begeistert nickte sie.
 

Pünktlich um kurz nach sieben verließen wir unser Haus. Brote für den Kindergarten waren geschmiert und auch ich hatte ein Lunchpaket dabei. Ich brachte sie in den Kindergarten und nahm mir heute die Zeit, dass sie mir ihre Lieblingsspielecke zeigen konnte. Es waren noch nicht viele Kinder dort. Die meisten kamen gegen acht. Ich fuhr zur Arbeit und war um kurz nach acht im Büro. Einige meiner Kollegen waren schon da und einige würden noch kommen.

Ich arbeitete für eine große Kanzlei, welche sich vor allen dadurch auszeichnete, dass sie geldgeilen Geschäftsleuten half, mit ihren Machenschaften unbeschadet durchzukommen. Ich selbst war aber eigentlich auf Strafverfolgung spezialisiert. Mein Wunsch, irgendwann Staatsanwalt zu werden war noch nicht gänzlich ausgeträumt. Ich war schließlich erst einunddreißig! Gut, in zwei Monaten nicht mehr, aber ich war eindeutig nicht alt!

Ich hatte ein eigenes Büro. Ein großes Fenster ließ den Blick auf eine volle und belebte Straße zu. Eine dunkle Sitzecke stand an einem Ende und ein Schreibtisch in der anderen. Eine grüne Palme wäre ohne die Führsorge meiner Assistentin vertrocknet. Ich hatte hier kein Bild meiner Tochter auf dem Schreibtisch stehen. Hier war ich Mr. Prescot, doch natürlich wussten meine Kollegen von ihr. Wir unterhielten uns schließlich.

Ich schaltete meinen Laptop ein. Gerichtstage waren immer Dienstag und Donnerstag vormittags, heute konnte also der ganze Papierkram erledigt werden. Ich tippte einige wichtige E-Mails und führte gerade ein wichtiges Gespräch, als Benjamin in mein Büro kam. Ich deutete an, dass er sich setzten sollte und erklärte meinem Mandanten, wie der weitere Vorgang seines Verfahrens war. Der Vorteil bei Geschäftsmenschen war, dass Zeit für sie Geld war. Sie erzählten nur das wichtige. Schnell war das Gespräch zwischen uns beendet und genervt ließ ich den Hörer auf die Gabel fallen. „Morgen Ben“, meinte ich und lehnte mich auf meinem Stuhl zurück und betrachtete den Mann vor mir.

„Morgen Richard“, meinte er und fragte gleich, wie nervig der Klient war. Ich schmunzelte Ben an und verdrehte spielerisch genervt die Augen. „Er ist total unschuldig. Wie alle.“, meinte ich scherzhaft und wir grinsten einander an. Ben war Ende dreißig. Hatte einen leichten Bauch und war seit einigen Jahren hier. Er war geschieden und sah seine Kinder häufig nur am Wochenende. Er war sehr ernst in seinem Beruf und privat ein Witzbold. Ich schätze ihn sehr als Kollegen und als Menschen. Er sah zwar nicht sonderlich gut aus, mit dem etwas lichten Haar und dem Doppelkinn, doch Geschmack lag immer im Auge des Betrachters.

Ben war seit fünf Jahren hier, ich seit drei. Ich hatte den Job dank eines Bekannten bekommen und dank der Klienten konnte man gut verdienen. Ich war gerne Anwalt und ich sagte es auch jedem, doch, dass mein eigentlicher Wunsch etwas anderes war, behielt ich für mich. „Du hattest mir geschrieben, dass du meine Rat brauchst, worum geht es?“, fragte er und lehnte sich entspannt auf den Stuhl zurück und betrachtete die Motivationsbilder an der Wand. Mir gefielen sie sehr! Ich hatte vier Stück in einer Reihe anbringen lassen. Allgemein mochte ich mein Büro gerne. Nur der graue Teppich war hässlich und ich wollte nichts essen, was auf diesen gefallen war.

„Ach ja.“, meinte ich und stand auf und verschloss die Tür meines Büros, „Es geht um eine private Angelegenheit… Mein Ex-Mann hat mir geschrieben. Ihm scheint plötzlich eingefallen zu sein, dass er ein Kind hat. Er will sie wieder bei sich haben und du sagtest mir mal, dass du dich früher auf Familienrecht spezialisiert hattest.“ Sich aufrichtend betrachtete mich Ben und musterte mich. Jetzt war er nicht mein Kollege, sondern der Anwalt. Ernster blickte er mich an, als noch vor wenigen Augenblicken. Ich hörte, wie er wütend die Luft aus seiner Lunge presste. „Ach? Nach all der Zeit? Wie kommt es?“, wollte er von mir wissen. Gerade, als ich etwas sagen wollte klingelte mein Telefon. Ich kannte die Nummer nicht und drückte sie einfach auf stumm. Wenn es wichtig war, sollte die Person auf den Anrufbeantworter sprechen.

„Ich weiß nicht“, meinte ich und strich mir nachdenklich über das Kinn, „Er hat jetzt eine Freundin. Wusste gar nicht, dass er auch etwas von Frauen will… Soll mir aber gleich sein. Doch jetzt kommt sein Anwalt mit der Behauptung Madeline wäre bei ihnen besser aufgehoben, weil sie in ihrer Entwicklung eine weibliche Bezugsperson braucht. Ich kann und will mich dabei nicht selbst verteidigen. Ich könnte wegen Beleidigung des Gerichtes verwiesen werden, wenn wir uns nicht außergerichtlich einigen.“ Ich grinste und ja, es klang wie ein Spaß, doch eigentlich war es mein vollkommender Ernst.

Nachdenklich nickte Benjamin und betrachtete mich. „Hm… ich kann es mir anschauen, aber wenn ich das nicht annehme, dann kann ich das, wenn du magst, einem Freund von mir geben. Der ist immer noch als Familienanwalt tätig.“ Sofort nickte ich und bedankte ich mich höflich bei meinem Kollegen. „Ach keine Ursache. Ist deinem Ex-Mann nicht klar, dass er damit kaum Chancen hat? Madeline lebt schon immer bei dir und sie ist ein tolles Kind. Es gibt genug Singleväter.“ Unschlüssig zuckte ich mit den Schultern. Seit er einfach verschwunden war, hatte ich das alleinige Sorgerecht. Vielleicht wollte er auch einfach nur wieder regelmäßig Kontakt zu seiner Tochter. Doch wenn er gleich mit Kanonen auf Spatzen feuerte, brauchte er sich nicht wundern, wenn man mit der gleichen Härte zurückschlug.

Hätte er mich angerufen und gefragt, ob er sie mal sehen dürfte, wäre ich sicherlich nicht begeistert gewesen. Doch so stellte ich mich eben extra quer!

Einfach so, wollte ich nicht, dass er wieder in das Leben meines Kindes trat. Auch sie hatte ihn damals schließlich vermisst, auch wenn sie es nie aussprechen konnte. Sie war damals sehr weinerlich gewesen und ließ sich von mir nur schwer trösten. „Ich weiß nicht, ob es ihm bewusst ist oder nicht.“, meinte ich nachdenklich und kratze mich etwas unsicher an der Schläfe. „Na ja, Rick“, meinte er und ich erkannte, dass er gerade der private Ben war, denn sonst nannte er mich nie Rick, „wir schaukeln das. Ob wir beide oder du gemeinsam mit meinem alten Bekannten.“ Ich war ihm dankbar und sagte ihm, dass ich ihm die Unterlagen zuschicken würde. Er verließ mein Büro und ich hatte ein besseres Gefühl, als zuvor.

Ich liebte den Freitag. Freitags war es häufig sehr ruhig im Büro. Ich machte einige Schreiben fertig und gab diese in die Post. Wir waren eine große Kanzlei und viele Anwälte arbeiten hier. Ich verzichtete auf eine lange Mittagspause und aß mein Essen während der Arbeit. Ich wollte heute endlich mein Versprechen einlösen und Madeline nicht als Letzte aus dem Kindergarten abholen. Endlich, um viertel nach drei, schaffte ich es meinen Computer hinunterzufahren.

Ich späte aus meinem Büro und sah, dass das Zimmer meines Chefs zu war. Ich mochte ihn nicht, also sagte ich schnell Ben und einigen weiteren Kollegen Tschüss und verschwand endlich in den ersehnten Feierabend.

Um viertel vor vier war ich durch Freitagsverkehr gekommen und als ich den Kindergarten betrat, hörte ich bereits die lauten und schrillen Stimmen vieler Kinder. Stolz breitete sich in mir aus. Heute würde ich Madeline nicht enttäuschen. Ich grüßte Anna und fröhlich sah sie mich an. „Mr. Prescot“, meinte sie überrascht und erfreut zu gleich, „da wird sich Madeline aber freuen!“

Ich nickte und meinte: „Das will ich doch hoffen. War sie brav? Wie macht sie sich?“ Anna, oder Miss Davis, lachte leise und meinte: „Keine Sorge, sie macht sich gut. Sie ist nur ab und zu eine kleine Egoistin und sollte vielleicht mal lernen zu teilen. Wenn sie Kinder nicht mag, zeigt sie das doch sehr. Sie hat heute aber niemanden gebissen.“ Ich nickte nur. Ja, dass zeigte sie deutlich. Doch sie musste als Kind nicht jeden mögen, aber natürlich sollte sie nicht schreien, treten und beißen. Ich erinnerte mich, an die Diskussion mit einer Mutter. Madeline hatte ihre Tochter gebissen, nachdem ihr Kind meinem etwas weggenommen hatte.

Natürlich war ich immer auf der Seite meiner Tochter, doch so ein Verhalten sollte sie sich nicht angewöhnen.

Ich betrat den großen, bunten Gruppenraum. Ich sah meine Tochter sofort. Sie saß in der Puppenecke gemeinsam mit einem ihrer Freunde. Taylor. Beide hatten Puppen zur Hand und spielten. Ich lehnte mich an die Tür und beobachtete meine Tochter. Wie sie mit Taylor spielte und einfach fröhlich am Lachen war. Ich gab mir einem kurzen Moment, in dem ich dem Kind zusah, bevor ich mich auf den Weg machte, um sie abzuholen. Nein, Brian würde sie sicher nie bekommen! „Maddy“, rief ich sie und viele Kinder drehten sich zu mir um. Fröhlich sah sie auf und winkte mir glücklich zu.

Ich strich ihr kurz über den Kopf und lächelte sie leicht an. „Na los, wir fahren jetzt nach Hause. Und heute bist du nicht die Letzte, die abgeholt wird.“ Doch so schnell, wie ich gehofft hatte, ließ mich mein Kind nicht gehen. „Warte noch kurz. Ich spiel gerade mit Taylor. Ich bin die Mama und Taylor ist Papa und der Hund! Er ist beides!“ Ich lachte leise und nickte. Woher sie diese Fantasie nahm, war mir manchmal schleierhaft. Ich spielte nicht viel mit meiner Tochter. Ich konnte es schlecht. Brettspiele oder so etwas wie Memory waren okay. Doch Puppen oder so etwas, wollte ich nicht mit ihr spielen. Dann ging ich lieber raus und wir kickten uns einen Fußball zu. Was sie noch nicht gut konnte, eigentlich gar nicht.

Sie meckerte zwar manchmal, aber eigentlich kannte sie es nicht anders. Immer noch plapperte sie und nur mit halben Ohr hörte ich ihr zu. „Ich habe auch wieder einen Hund gemalt“, meinte sie und mit einer Unschuldsmiene, welche mich nicht blenden konnte, meinte sie mit fröhlicher, hoher Stimme: „Ich weiß ja nicht, warum ich Hunde immer male…“

Ich weigerte mich, weiter auf das Thema einzugehen und meinte: „Wir haben nicht viel Zeit. Komm zieh die Jacke an, aber räum die Sachen weg, mit denen du gespielt hast.“ Ein wenig schmollend packte sie gemeinsam mit Taylor die Sachen zusammen. Schon häufiger hatte Taylor bei uns gespielt oder Madeline war bei ihm gewesen. Auch, wenn ich die Zeit sehr genoss mit meinem Kind, sollte sie ihre Freunde auch in der Freizeit sehen.
 

Ich hielt mein Versprechen und gemeinsam gingen wir an diesem Tag zu McDonalds und zur Freude meiner Tochter bestellte ich mir auch ein Happy Meal. Sie bekam also gleich zwei Einhornfiguren. Doch abends, als ich auf der Couch saß und Maddy längst im Bett war, spürte ich wieder die bleierne Leere. Die Einsamkeit, welche an mir nagte und einfach zur Unterhaltung ließ ich den Fernseher laufen. Erschöpft ließ ich die Schultern hängen. Ich fühlte mich gerade nicht, wie ein Mann in seinen besten Jahren. Ich fühlte mich elendig alt und müde.

Langsam erhob ich mich von der Couch und tat etwas, was ich seit langem nicht mehr gemacht hatte. Alte Fotoalben heraus kramend begann ich mir alte Bilder anzuschauen. Viele, nein eigentlich alle Bilder waren aus dem Leben, welches ich mit Brian hatte. Man durfte mich nicht falsch verstehen, ich liebte diesen Mann nicht mehr, ich vermisste ihn nicht, doch ich vermisste das Leben, welches ich mit ihm alleine hatte. Das Ausgehen, die Spontanität und einfach die Freiheit. Ich vermisste es, nicht alleine auf der Couch zu sitzen. Ich vermisste Erwachsenengespräche am Tisch. Mir war bewusst, dass es auch mit Brian jetzt anders wäre. Jetzt wo Madeline auf der Welt ist. Dass man nicht mehr spontan irgendetwas machen konnte, dass man nicht mehr spontan Ausgehen konnte, doch irgendwie, wäre es anders.

Ich hätte kein schlechtes Gewissen, das ich zu wenig da war. Würde nicht so hetzen, könnte mich fallen lassen und brauchte nicht immer stark sein. Ich könnte nachfragen, wenn ich unsicher war, was Madeline betraf. Ich wäre kein Einzelkämpfer. Ich vermisste es, mich einfach fallen lassen zu können.

Ich blätterte um und sah mein eigenes, so viel jüngeres Ich. Ich schmunzelte, als ich mich betrachtete. Früher hatte ich ein Sixpack, jetzt fehlte das Training dafür. Doch ich war froh, dass ich nicht dazu neigte, dick zu werden. Bei einem Bild blieb ich hängen. Es war ein Bild, welches nach einer Mountainbiketour gemacht wurde. Ich sah total verdreckt aus. Schlamm im Gesicht, auf dem Helm und der Kleidung. Nur noch selten fuhr ich so und auch meine Kondition hatte gelitten. Doch, als ich das Bild sah, nahm ich mir vor nächste Woche einen Ausflug in die Berge zu machen. Vielleicht fragte ich einfach Phil und Sarah, ob sie Maddy für wenige Stunden nehmen würden.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo liebe Leser,

so schneller als gedacht, wurde ich mit Kapitel 2 fertig. Ich freue mich, dass
die Geschichte doch besser ankam, als ich dachte ;)
Ich wünsche Euch viel Spaß beim Osterfest und ich hoffe, dass ich es schaffe pünktlich nächste Woche wieder ein Kapitel fertig zu bekommen ;)
Wie immer freue ich mich über Kommis

Herzliche Grüße und ein schönes langes Wochenende für die Meisten. Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  radikaldornroeschen
2018-04-05T06:56:40+00:00 05.04.2018 08:56
... und nach einem Kapitel der Verzweiflung nun ein Kapitel der Stärke und der leisen Hoffnung!
Man wächst mit seinen Aufgaben, auch wenn man mal Atempausen braucht.
Das hast du sehr schön dargestellt ^^
Antwort von:  Strichi
05.04.2018 08:59
Da schaut man noch mal rein bevor es wieder los zur Arbeit geht und sieht wieder einen Kommi^^
Das freut mich ziemlich.

Und danke. Es freut mich, wenn es so herüberkommt, wie es soll ;)
Antwort von:  radikaldornroeschen
05.04.2018 09:27
gern geschehen :)
Von:  chaos-kao
2018-03-30T09:30:37+00:00 30.03.2018 11:30
Das Leben als Singleelter ist hart. Ich hoffe sehr, dass er Maddi behalten kann. Und ich hab eine Vermutung auf was es rauslaufen könnte :D Bin gespannt ob ich Recht behalte :)
Ich wünsche dir Frohe Ostern und widme mich nun zum dritten Mal Jazzi und Jacky ;)


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