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Spherium

Kaiba/Yuugi
von

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Kapitel 17

»Mokuba... warum antwortest du nicht?«, überlegte Kaiba und warf einen erneuten Blick auf den Bildschirm seines Smartphones. Es war bereits später Abend geworden und seit gestern hatte Mokuba weder seine Anrufe angenommen noch auf seine Nachrichten geantwortet. Mokuba war stur und ließ sich so schnell nicht von etwas abbringen, wenn er sich erst mal entschieden hatte, trotzdem kam es Kaiba komisch vor, dass er seine Nachrichten nicht einmal öffnete. Sämtliche Nachrichten waren als ungelesen markiert.
 

Beim Abendessen war er wieder allein. Der große Speisesaal war erfüllt von Leere. Das einzige, das er hörte, war er selbst, wie er mit seiner Gabel den Teller ankratzte. Diese Ruhe und diese Einsamkeit verschlechterten seine Stimmung umso mehr, weshalb er den Teller nicht mal halbleer aß und den Raum verließ. An seinen Bediensteten in seiner Villa lief er mit erhobenem Haupt vorbei. Er spürte, dass der Großteil dieser Leute ihn nicht respektierten, sondern fürchteten. Das wollte er nicht wahrhaben. Es interessierte ihn nicht. Auch das Tuscheln der Putzfrauen, die im ersten Stock den Boden fegten, interessierte ihn nicht.
 

Absolut nicht...
 

„Mokuba-sama soll Japan verlassen haben!“, drang die Stimme einer der beiden Damen zu ihm. Er blieb stehen. Sollte er die beiden direkt fragen und ihnen befehlen, ihm zu sagen, was es mit diesem Gerücht auf sich hatte? Obwohl er hätte fragen können, versteckte er sich und lauschte den beiden.
 

„Kein Wunder. Kaiba-sama ist unerträglich. Wie kann man mit dem zusammenleben? Da wird man doch verrückt. Mokuba-sama ist so liebenswert und nett.“
 

„Das stimmt, erst letztens hat er mich angesprochen und mich gefragt, wie es meiner Familie geht. Er ist alles andere als verwöhnt oder arrogant. Wäre er der Leiter der KC wären alle viel glücklicher.“
 

„Ja, Kaiba-sama... ist genauso wie der vorherige Firmenleiter. Ich habe echt Schiss vor ihm.“
 

„Ich auch... wäre die Bezahlung nicht so gut, hätte ich schon längst gekündigt...“
 

Schnellen Schrittes lief Kaiba den Gang entlang und nahm den Aufzug in den Keller. So ein Unsinn! Er sollte so sein wie sein Stiefvater?! Niemals! Auf keinen Fall. Das war doch alles nur Blödsinn. Wer konnte den Worten dieser Tratschtanten denn wirklich Glauben schenken? Die hatten keine Ahnung. Sie alle hatten keine Ahnung! Kaiba war stark.
 

Im Keller werkelte er normalerweise an seinen Dueldisks herum und er hatte sich einen eigenen großen Raum erstellt, wo er in Ruhe an seinen Geräten basteln konnte, ohne dass irgendjemand ihn störte. Der halbfertige neue Dueldisk lag auf dem Tisch. Schraubenzieher und andere Werkzeuge ebenfalls griffbereit und er hätte einfach nur anfangen müssen, um sein Werk zu beenden, doch das, was Yuugi ihm am Nachmittag sagte und das, was er gerade gehört hatte, ließ ihm einfach keine Ruhe.
 

„Vielleicht sollte nicht ich diese Liste erstellen, sondern du eine Liste über dich selbst. Vielleicht wird dir dann das Ausmaß deiner Fehler endlich mal bewusst.“
 

Er setzte sich auf seinen Bürostuhl und starrte den unfertigen Dueldisk an. Es handelte sich um eine Spezialanfertigung, die er für Yuugi entworfen hatte. Sie war in den Farben des Schwarzen Magiermädchens gehalten. Rosa und Blau. Das Design sollte sich deutlich von der handelsüblichen Ware abheben und ein Unikat werden. Yuugi war ein besonderer Duellant, also verdiente er auch besonderen Respekt und somit einen Dueldisk, der seinen Rang zur Schau stellte. Langsam fuhr er über die noch leicht kantigen Rundungen des Dueldisks. Sein Blick fiel auf die Kartenablegeflächen und ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen, da er an die Spannung ihres letzten Duells zurückdachte.
 

Kaiba war kurz davor gewesen, Yuugis Taktik zu durchschauen und ihn zu besiegen. Yuugi jedoch hatte sich eine fiese Fallenkarte aufgehoben, die er wortlos ablegte und keine Miene verzog. Er musste lange überlegen, ob Yuugi nur geblufft hatte und vielleicht nur eine unwichtige Zauberkarte gelegt hatte. Als er sich zum Angriff entschied, entpuppte sich die Karte als Konterfallenkarte, die im selben Augenblick aktiviert wurde, wenn der Gegner seinen Angriff deklarierte. Hätte er eine andere Strategie gewählt und diesen Angriff nicht gewählt, dann hätte er gewinnen können.
 

Dennoch hatte Yuugi gewonnen und ihm etwas gegeben, was er in seinem tristen Alltagsleben vermisst hatte: Abwechslung.
 

„Ja, Kaiba-sama... ist genauso wie der vorherige Firmenleiter. Ich habe echt Schiss vor ihm.“
 

„Scheiße...“, flüsterte Kaiba und rieb sich angestrengt sein Nasenbein. War er wirklich so unausstehlich wie sein Stiefvater? Empfand auch Mokuba dasselbe, wenn er ihn sah? In seinen Kopf spukten so viele Fragen und er konnte niemanden um Rat fragen. Besser gesagt: er wollte auch niemanden um Hilfe bitten. Dies wäre ein Zeichen von Schwäche gewesen und er wäre das Letzte gewesen, was er gewollt hätte, dass irgendjemand merkte, wie es in seiner Seele aussah. Yuugi aber blickte durch seine eiskalten blauen Augen direkt in seine Seele. Yuugi nahm ihn in Schutz. Er rechtfertigte Kaibas Worte selbst dann, wenn er in Unrecht war. Und das machte ihn rasend.
 

Allein die Tatsache, dass Yuugi glaubte, dass Kaiba Hilfe brauchte! Dass er sich anmaßte, zu glauben, ihn zu verstehen. Niemand konnte verstehen, womit Kaiba zu kämpfen hatte. Mokuba nicht. Und erst recht nicht jemand wie Yuugi, der selbst für seinen Peiniger ein Lächeln übrig hatte. Kaiba schnalzte mit der Zunge. Vielleicht litt Yuugi ja unter dem Stockholmer Syndrom und suchte deshalb die Nähe zu ihm? Erbärmlich. Wie konnte man jemanden verzeihen, der einen so sehr verletzte und selbst dann noch auf einem herumtrampelte, wenn man bereits am Boden lag?
 

Was hatte Yuugi dazu bewegt, ihm eine zweite Chance zu geben? Wieso glaubte dieser so verbissen an die Macht der Freundschaft? Atem hatte auch daran geglaubt. Und Atem war stark. Stärker als Kaiba. Der einzige Mann in der Geschichte der Menschheit, den Kaiba seiner ebenbürtig ansah. Mehr als das. Zu ihm blickte er auf.
 

»Atem... du hast mich gebeten, Yuugi als meinen Rivalen anzuerkennen und nicht mehr in der Vergangenheit zu leben und trotzdem... ich kann nicht vergessen.«
 

Kaiba schloss seine Augen. Er konnte nicht vergessen. Er wollte nicht vergessen. Er wollte niemals diese Demütigung, die er über sich ergehen lassen musste und die Hilflosigkeit, die er als Kind empfand, vergessen, da er befürchtete, dass skrupellose Menschen einmal mehr Kontrolle über ihn gewinnen würden und ihm einmal mehr das wegnahmen, was er am meisten brauchte. Kaiba war in keiner Position, in der er sich fallen lassen konnte oder gar den Eindruck erwecken, dass er Schwächen besaß. Die Welt, in die er Fuß gesetzt hatte, war erbarmungslos. Niemals wieder wollte er riskieren, dass man ihm Mokuba wegnahm und diesen quälte.
 

Wieder griff er nach seinem Smartphone und tippte hastig eine Nachricht, erwartete eine ebenso schnelle Antwort. Mokuba antwortete erneut nicht. Die Nachricht wurde auch nicht als 'gelesen' markiert. Mokuba war stur, aber nicht grausam. Es erstaunte Kaiba, dass sein eigener Bruder seine Nachrichten zu ignorieren schien. War das eine neue Phase? Oder hatte er Mokuba einmal zu viel von sich gestoßen?
 

„Du brauchst dich nicht wundern, wenn du demnächst allein in deiner großen Luxusvilla bist. Irgendwann wirst du merken, dass ein seelenloser Titel kein wahres Glück bedeutet. Freundschaften und Familie kann man nicht kaufen.“
 

Kaiba biss sich auf die Unterlippe. Beinahe leblos starrte er auf das Display seines Smartphones. Er wollte schreien, doch sein Stolz verbot ihm dies, also legte er das Smartphone beiseite und rieb sich seine Augen. Yuugi hatte Recht. Dass Mokuba ihn ignorierte tat weh. Dass Mokuba ihn aus seinem Leben ausschloss und scheinbar sogar das Land verlassen hatte, riss eine Lücke in sein Herz. Doch Kaiba wollte nicht nur herumsitzen und warten, dass sich etwas änderte. Er musste den Schatten bezwingen. Seinen eigenen und den seiner Vergangenheit, der ihn immer noch fest im Griff hatte und ihn kontrollierte.
 

Die Reise in die Vergangenheit und sein letztes Treffen mit Atem hatte ihm geholfen, wieder nach vorne zu sehen und neue Projekte in Angriff zu nehmen. Er hatte Atems Rat befolgt. Nur eine Woche war er in der Vergangenheit gewesen. Er hatte über Atem einiges erfahren, seine Rolle als Pharao und er hatte ihn als völlig anderen Menschen kennengelernt. Er war stolz, mutig und er hielt die Zügel selbst in der Hand. Das alte Ägypten hatte ihn nicht sonderlich interessiert, trotzdem hatte er Atem zugehört und seine Stadt mit ihm gemeinsam besucht. Die Menschen, die in der Stadt lebten waren anders. Sie liebten und verehrten ihren Herrscher. Sie sahen zu ihm auf. Er war der mächtigste Mann der Welt und niemand wagte es, sich mit ihm anzulegen.
 

Und Kaiba sah sich selbst in Atem wieder. Zumindest ein bisschen. Die Menschen in der Stadt, die sich vor ihm verneigten, liebten ihren Herrscher und huldigten ihm, jedoch war da eine gewisse Distanz zwischen ihnen. Sie respektierten ihn. Der Pharao Atem war jemand, der den Menschen half und mit seinen Bauten und seinen Ideen Wohlstand und Luxus brachte.
 

…………………………
 

„Wir nutzen ein Bewässerungssystem und teilen uns so das Wasser aus dem Nildelta ein. Kemet ist meine Heimat. Ich liebe dieses Land und das hier ist der Ort, an dem ich hingehöre. Ich liebe meine Familie. Nichts kann mir das wegnehmen, Kaiba.“, sagte Atem mit erhobenen Haupt. Seine Augen waren erfüllt von Stolz. Der dunkle Lidstrich betonte seine langen Wimpern und sein maskulines Gesicht.
 

Sein Blick lag auf dem Feld, das von einigen Bauern bewässert wurde. Die Arbeitsverteilung war klar und alles in diesem Land wirkte friedlich und harmonisch. Atem hatte mit seinem Geschick eine Zeit des Friedens gebracht und arbeitete hart daran, den Menschen in seinem Land mehr Luxus zu bringen und das Wissen, das er in seinen gemeinsamen Reisen mit Yuugi und seinen Freunden erworben hatte, half ihm dabei. Das goldene Getreidefeld wehte im Wind sanft hin und her.
 

„Ist dir dieses Leben nicht zu langweilig?“, wollte Kaiba wissen, immer noch in der Hoffnung, Atem davon überzeugen zu können, zurück in die reale Welt zu kommen. Er wollte Atem an seiner Seite haben. Er wollte, dass Atem in seiner Zeit lebte und dass sie sich duellieren konnten. Niemand anders brachte das Blut in seinen Adern so sehr in Wallung wie er. Doch Atem hatte nur den Kopf geschüttelt und ihn dazu aufgefordert ihm zu folgen. Atem zeigte ihm sein Land und erklärte Kaiba den Alltag. In seinen Worten schwang Begeisterung und wahre Landliebe mit. Er nannte Ägypten bei seinem alten Namen. Kemet. Sein Kemet. Ein Land der Götter.
 

„Es wäre eine Lüge, wenn ich sage, dass ich mein Leben mit Yuugi nicht vermisse... aber das hier ist mein Leben. Ich möchte etwas in meiner Zeit bewegen. Ich vermisse die Duelle und auch Yuugi. Nichts wünsche ich mir sehnlicher, dass Yuugi endlich auf eigenen Füßen steht.“
 

„Du glaubst, dass er das nicht schafft?“
 

„Kaiba.“, lachte Atem auf und drehte sich zu dem Mann neben ihn. Sie waren beinahe auf Augenhöhe. Atem war erwachsen geworden. Sein Körper keines von einem Kind mehr, sondern von einem ausgewachsenen Mann. Seine Arme und Beine waren muskulöser als Kaiba sie in Erinnerung hatte. Das harte Training als Pharao und die Arbeit in der Verwaltung hatte ihn stärker gemacht und Kaiba glaubte, dass Atem noch mehr Anmut und Erhabenheit ausstrahlte, als zuvor. Der Goldschmuck, der sein Gesicht umrahmte, ließ seine Augen heller strahlen als die Sonne.
 

„Ich habe mehrere Jahre mit Yuugi einen Körper geteilt. Ich weiß, dass Yuugi stark ist. Aber er zweifelt oft an sich. Er ist talentiert und mutig, redet sich aber selbst etwas anderes ein. Das macht mir Sorge. Ich liebe Yuugi. Er ist wie mein Bruder. Er ist mein Seelenverwandter und hat mir sehr viel beigebracht.“ Ein sanftes Lächeln umspielte seine Lippen.
 

„Und ich liebe auch dich, Kaiba.“ Atem machte eine Pause und wartete Kaibas Reaktion ab. Dieser riss die Augen auf und öffnete seinen Mund einen Spalt breit, suchte nach den richtigen Worten.
 

„Stört es dich, wenn ich dich beim Vornamen anspreche?“
 

Kaiba rang um Fassung und nickte nur. Wie konnte Atem dieses Wort mit seiner Persönlichkeit in Verbindung bringen? Nicht, dass Kaiba es sonderlich störte, dass der Mann, den er am meisten bewunderte, ihm so viel Respekt und freundschaftliche Gefühle entgegenbrachte, aber es fühlte sich eigenartig an. Er hatte den Weg in die Vergangenheit auf sich genommen. Es war unklar, ob er überhaupt zurückkehren konnte und trotzdem war es ihm wichtiger gewesen, ihn wiederzusehen als alles andere auf der Welt. Selbst seinen Bruder hatte er zurückgelassen.
 

„Seto, du bist mir wichtig. Durch dich konnte ich die Stärke und das Vertrauen gewinnen, das ich brauche, um mein geliebtes Kemet zu führen. Du bist mein Vorbild und meine Motivation. Ich möchte etwas mit meinen eigenen Händen erschaffen. Etwas für die Ewigkeit.“
 

„Dieser sentimentale Quatsch interessiert mich nicht, Atem. Ich...“
 

Kaiba senkte den Kopf, seine Hände ballte er zu Fäusten und er kämpfte damit, die nächsten Worte auszusprechen.
 

„...brauche dich! Du bist mein wahrer Rivale. Nur du gibst mir die Kraft, mich weiter zu entwickeln und wenn du nicht mehr da bist, dann habe ich keinen Grund nach Hause zurückzukehren.“
 

Er brauchte Atem. Seinen Mut. Seinen Stolz. Seine Erhabenheit und seine belehrenden Worte. Seine Lektionen über Freundschaft und Liebe, die er so sehr verabscheute und mit jeder Zelle seines Körpers verneinen wollte und vor allem diese tiefe Bindung, die sie über die Jahre hinweg aufgebaut hatten. Er wollte, dass Atem über ihn thronte und ihn verhöhnte. Er wollte sein belustigtes Lachen hören, wenn Atem das Blatt zu seinen Gunsten wandte. In diesem Land kannte Kaiba niemand. Die Menschen in dieser Stadt sahen nur einen Fremden, der komischerweise direkt neben dem Pharao stand und eigenartige Kleidung trug. Ein Mann mit heller Haut. Ein Mann, der eindeutig nicht von hier kam. Kaiba fürchtete nicht, dass die Menschen hier seine Schwäche ausnutzen konnten und er kämpfte darum, Atem davon zu überzeugen, mit ihm zurückzukehren.
 

Atem drehte sich um und seufzte schwer. Die Last, die er auf seinen Schultern trug, war deutlich zu sehen.
 

„Seto, du liebst deinen Bruder und du möchtest an der Gestaltung der Zukunft teilhaben. Und ich liebe meine Familie. Meine engsten Vertrauten. Meinen Berater. Meinen Cousin. Sie alle sind ein Teil von mir und ich bitte dich darum, dich in meine Situation einzufühlen. Du kannst dein Leben nicht hinter dich lassen und ich kann es auch nicht. Wir sind erwachsene Männer, mit unseren eigenen Träumen und Zielen. Sei nicht so egoistisch.“
 

Der Pharao verschränkte die Arme und warf Kaiba einen vorwurfsvollen Blick zu.
 

„Ich sagte dir, dass du niemals ein wahrer Duellant wirst, wenn du nicht deinen Zorn und deinen Hass überwindest und die Vergangenheit ruhen lässt. Stattdessen nimmst du es in Kauf, alles zu verlieren und sogar zu sterben, nur um mich wiederzusehen. Das ehrt mich, aber du läufst einmal mehr davon.“
 

„Wie bitte? Willst du sagen, ich sei ein Feigling?!“
 

„Genau das!“ Atems Blick wurde zornig. Sein Gegenüber wollte diese Wahrheit nicht hören.
 

„Anstatt dich deinen Problemen zu stellen, läufst du davon. Doch wenn du ein Mann bist, der Worten Taten folgen lässt, wirst du verstehen, was ich meine. Du musst dich deinen Ängsten stellen und sie nicht ignorieren. Ich kann dir dabei helfen, aber nur, wenn du es zulässt.“
 

Kaiba drehte sich um und stolperte unbeholfen durch das unebene Feld, versuchte sich dies aber nicht anmerken zu lassen. Atem schüttelte den Kopf. So langsam glaubte er, dass nicht Yuugi Hilfe brauchte, sondern Kaiba. Dieser war noch weniger in der Lage über seine Gefühle zu reden und seine Schwächen anzuerkennen als Yuugi. Seufzend wies er seinen Dienern an, ihm zu folgen und mit etwas Abstand näherten sie sich dem brünetten Firmenleiter, der stur dem Pfad folgte und in Richtung Stadt marschierte.
 

Dieser Starrsinn war unglaublich. Atem verdrehte genervt die Augen. Als sie sich der Stadt näherten und den Bezirk der Mittelschicht betraten, verneigten sich die Menschen auf den Straßen, begrüßten und huldigten ihrem Gott. Atem schenkte seinen Untertanen ein Lächeln. Neben den Lehmhäusern standen Tonkrüge und er hörte, wie ein Kind eines umwarf. Es weinte bitterlich, doch die Mutter und der Vater wagten nicht, sich zu erheben. Der junge Pharao näherte sich dem Kind und beugte sich zu ihm. Kaiba war stehengeblieben und warf einen verstohlenen Blick zu diesem Theaterstück, von dem er sich sicher war, dass es mehr als nur stümperhaft vorgeführt wurde. Ein absolut vorhersehbares Klischee. Kaiba rümpfte die Nase.
 

„Weine nicht, mein Kind!“, sagte er mit fürsorglicher Stimme und legte eine Hand behütend auf den Kopf des Kindes.
 

„Aber... der Inhalt war für das Fest gedacht! Die Götter werden mich bestrafen.“ Das Kind senkte den Kopf.
 

„Nein, das werden sie nicht. Auch die Götter machen Fehler und werden dein Missgeschick verzeihen. Ich, Pharao Ka-nechet-tut-mesut, Nefer-chepu-segerech-taui-se-hetep-netscheru-nebu, Wetes-chau-se-hetep-netscheru, Atem, verzeihe deinen Fehler und so auch die Götter.“
 

Das Kind wurde ruhiger und warf sich in den Sand, verneigte sich vor der Güte des Pharaos, der Frieden und Wohlstand brachte und die Götter zufriedenstellte und auf eine Weise ehrte, dass das das Zentrum der Welt – das heilige Land Kemet – fruchtbar wurde und Segen schenkte.
 

Kaiba zog verwundert eine Augenbraue hoch. Das, was Atem da von sich gegeben hatte, hatte er kaum verstanden. Es klang wie sinnlos aneinandergereihte Worte. Atem setzte den Weg zum Königspalast fort. Das Land erstrahlte in einem leuchtenden und warmen Gold und der Horizont färbte sich in ein warmes Rot. Die Gemälde an den Wänden der Palastmauern erleuchteten in endloser Schönheit und Kaiba erwischte sich dabei, wie er einen Moment innehielt und die wundersamen Bilder betrachtete und ihre Bedeutungen zu ergründen versuchte.
 

„Der Mann dort ist mein Vater Akhenamkhanen. In seiner Hand hält er das Millenniumspuzzle und am Boden sind die Feinde, die unseren Frieden einst bedrohten.“
 

„Hat er auch so einen unaussprechlichen Namen wie du?“ Kaiba grinste einfach nur frech, versuchte den Pharao, den König des Landes und den Sohn der Götter, verehrt von allem Leben, zu provozieren. Es machte ihm sichtbar Spaß Atem zu ärgern und er wartete darauf, dass dieser auf seine Worte einging und ebenfalls einen sarkastischen Spruch zurückgab. Er mochte es schon immer, dass Atem sich nie von ihm einschüchtern ließ und ihm stets die Stirn bot, doch so langsam machte sich in ihm das Gefühl breit, dass der Atem aus seiner Erinnerung und der Mann, der nur einige Meter von ihm entfernt stand, zwei verschiedene Menschen waren. Natürlich war Atem immer noch Atem, aber viel reifer und gefasster als früher. Er strahle noch mehr Dominanz und Stolz aus als zuvor.
 

„Das ist unhöflich, Seto. Aber nicht, dass du jemals auf die Gefühle anderer Rücksicht nehmen würdest.“, sagte er kopfschüttelnd und sie betraten den Palast, wo die zahllosen Wachen sofort Platz machten und ihren Herrscher begrüßten. Etwas enttäuscht darüber, dass Atem seine Provokation oder viel eher seine Form der Herausforderung einfach ignoriert hatte, überlegte er fieberhaft, wie er ihn zu einer Reaktion bringen könnte, die ihm selbst gefiel.
 

Kaiba ließ zu, dass Atem ihn überholte und folgte diesem nun. Die Technologie in seiner eigenen Zeit und die wissenschaftlichen Fortschritte waren ihm lieber als dieses zurückgebliebene und gar unhygienische Art zu leben und doch musste er zugeben, dass die Ägypter bereits sehr weit waren und eine faszinierende Zivilisation hatten. Sie waren gut organisiert und besaßen bereits ein weit ausgearbeitetes Rechtssystem. Und Atem war der Mittelpunkt von alledem.
 

In den heiligen Gemächern des Pharaos hatte niemand Zutritt, außer jenen, die Atem selbst einließ. Wie immer standen die Wachen auf ihren Positionen und verhinderten das Eintreten von ungebetenen Gästen und hatten ein wachsames Auge auf ihre Umgebung. Es war ungewohnt für den Firmenchef selbst unter Beobachtung zu stehen. Normalerweise war er es, der andere beobachtete und abwägte, wer eine Gefahr war und wer nicht.
 

Kaiba hatte die letzten Tage hier in diesem Raum mit Atem Zeit verbracht. Dieser hatte seiner Revanche immer noch nicht zugesagt und erklärte, dass das Duell in dieser Zeit eine ganz andere Bedeutung hatte. Außerdem besaß er sein Deck hier nicht und hatte andere Dinge im Kopf. Atem hatte sehr viele Ausreden parat und das nervte Kaiba. Er wollte Atem schlagen. Das einzige, was er wollte, war, dass Atem ihn ansah und ihn als wahren Rivalen akzeptierte. Kaiba wollte ein wahrer Duellant sein und nicht mehr im Schatten seiner Vergangenheit stehen. Er wollte über seinen Ängsten thronen und das konnte er nicht, wenn er Atem nicht besiegte. Er brauchte diesen Abschluss, um endlich wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Doch der großartige Pharao lenkte vom Thema ab und tat so, als ginge ihn das Ganze nichts an.
 

„Mein Name ist immer noch Atem, aber jeder Pharao trägt fünf Namen. Den Horusnamen, den Nebtinamen, den Goldnamen und den Thronnamen. All diese -“ Kaiba unterbrach ihn forsch.
 

„Das ist mir egal. Ich möchte mich gegen dich duellieren. Ich habe alle möglichen Karten mitgebracht und sogar einen Dueldisk für dich und trotzdem weigerst du dich, mir diese eine Bitte zu erfüllen. Warum?“
 

„Bist du nur wegen dem Duell hier?“
 

„Wegen dir und das weißt du ganz genau.“
 

„Na, wenn du schon mal hier bist, kann es doch nicht schaden, wenn ich dir etwas über Kemet beibringe und wir uns etwas besser kennenlernen, oder? Kommt doch nicht jeden Tag vor, dass man in die Vergangenheit reist.“
 

Atem grinste frech und setzte sich an den Tisch inmitten des Raumes und schien darauf zu warten, dass Kaiba es ihm gleich tat. Mit jeder Bewegung, die Atem machte, klirrte der Goldschmuck an seinen Ohren und wenn er den Kopf neigte, glänzten seine Ohrringe und seine Krone auf, so, als wollten sie Kaiba signalisieren, dass es für ihn keinen Weg gab, diese Hürde zu überwinden. Würde Atem für immer über ihn stehen und eine unüberwindbare Mauer werden?
 

„Ich bin nicht hier, um mich mit dir anzufreunden, Atem. Ich will eine Revanche. Sobald ich mein Ziel erreicht habe, verschwinde ich von hier.“
 

„Und das war's dann? Dann schließt du das Kapitel ab und tust so, als hätte es mich nicht gegeben?“
 

„Das war so nicht gemeint.“, murrte er und verschränkte die Arme, setzte sich schließlich doch zu ihm.
 

„Wie dann? Wie kommst du überhaupt auf die Idee, dass du mich schlagen könntest? Was tust du, wenn du verlierst?“
 

„Das wird nicht passieren.“ Kaiba war zuversichtlich und von sich selbst überzeugt.
 

„Das hast du jedes Mal gesagt. Ich fürchte, dass ein Duell dir nicht dabei helfen wird, deine Probleme zu bewältigen und das weißt du. Denkst du wirklich, dass wenn du mich schlägst, du deine Vergangenheit ruhen lassen kannst? Dass du endlich Frieden findest?“
 

„Ja, das denke ich. Wenn ich an der Spitze stehe, gibt es niemanden mehr, der sich mit mir anlegen wird.“ Er senkte den Kopf und für den Brünetten war das Thema endgültig abgehackt, doch für Atem war klar, dass er sich selbst belog und einfach nur nicht einsehen konnte, dass er seine Vergangenheit nicht mit dem Sieg eines Kartenspiels überwinden konnte. Er brauchte Hilfe von außen und Menschen, die für ihn da waren.
 

Atem wusste genau, dass Kaiba die Vergangenheit zerstören wollte, weil er sie nicht ertrug. Und ihm ging es da ähnlich. Als Atem in seine Zeit zurückkehrte, kehrten auch sämtliche Erinnerungen zurück und er musste sich mit seinen eigenen Fehlern und seiner früheren Kaltherzigkeit auseinandersetzen. Er hatte vieles getan, was er heute zutiefst bereute und er hatte entschlossen, dass er all das gut machen würde und von nun an ein Pharao sein würde, der mit seiner Liebe fürs Volk glänzte und nicht die Probleme seiner Untertanen ignorierte und sein Heil in der Flucht suchte und sich von der Welt abschottete. Atem war gerade mal 14 als er den Thron bestieg. Zu jung, um alles zu verstehen oder gar richtig zu regieren.
 

Atems Vater Akhenamkhanen war ein friedliebender Mann, der seinen Untertanen stets zuhörte und er ignorierte die Gefahr der Hethiter und der immer mehr zunehmenden Kriminalität. Sein Berater Akunadin riet ihm zum Gegenschlag, um so seine Macht zu demonstrieren und die Hethiter endgültig zurückzudrängen und der Welt einmal mehr zu zeigen, dass niemand sich mit Kemet anlegen konnte, da sie von den Göttern selbst und dem Sohn der Götter, dem allwissenden Pharao, geschützt wurden. Akhenamkhanen verweigerte den Rückschlag und so kam es, dass die feindlichen Truppen immer weiter ins Land vordrangen und die äußeren Vasallenstaaten und die Bürger terrorisierten. Chaos brach aus und eine Katastrophe jagte die nächste.
 

Er war zwar noch ein Kind, doch die Fehler seines Vaters, der die Bedrohung von außen nicht wahrgenommen hatte und stattdessen mit einem sanftmütigen Lächeln regierte, machten ihm klar, dass er, sobald er selbst den Thorn bestieg, diese niemals wiederholen durfte. Atem wurde zurückhaltender und konzentrierte sich auf sein Training und seinen Unterricht. Die Spannungen in Kemet und vor allem vor den Palastmauern wurde mit jeden Tag schwerer zu ignorieren und so kam es, dass ein Krieg ausbrach.
 

Akhenamkhanen hatte die Gefahr wissentlich ignoriert und die Feinde so weit ins Land eindringen lassen, dass es keine andere Möglichkeit mehr gab, als die Schwarze Macht des Millenniumbuches um Rat zu fragen. Er überließ diese Aufgabe seinem Berater Akunadin, welcher ihm die Wahrheit verschwieg und die Gräuel hinter den Millenniumsgegenständen nicht erwähnte. Doch den anderen Hütern war klar, dass für eine solche Macht auch große Opfer gebracht werden mussten. Sie schlugen die Feinde zurück und die Hethiter wagten es nicht mehr, sich noch einmal gegen die Großmacht von Kemet und gegen ihre Götter aufzulehnen. Zwei Jahre hatte er Krieg gedauert und viele Leben gekostet.
 

Der Preis war hoch. Durch die Unachtsamkeit des Pharaos hatten viele Menschen ihr Leben verloren. Seine Güte brachte Trauer. Seine Friedfertigkeit brachte Hass. Und so kam es, dass das Land sich spaltete und insbesondere die Menschen in den Außenbezirken darunter litten und sie ihren Frust in Arbeits- und Steuerverweigerung zum Ausdruck brachten. Als Akhenamkhanen die Wahrheit hinter der Erschaffung der Milleniumsgegenstände erfuhr, wurde er krank. Er hielt den Druck nicht aus. Sein Herz wurde schwer und Atem entschloss, dass er die Fehler seines Vaters nicht wiederholen würde. Er wurde kaltherzig und bestrafte jedes kleinste Verbrechen, um so jegliche Form von Kriminalität im Keim zu ersticken.
 

Seine strenge Herrschaft brachte wieder Frieden und das Chaos, das Kemet in Griff gehabt hatte, verschwand. Der normale Alltag kehrte ein, doch Atem spürte genau wie sein Vater zuvor den Druck, der auf seinen Schultern lastete und die Angst davor, Fehler zu machen. Er zeigte pures Selbstvertrauen und schützte sich vor anderen und ihren harten Worten, indem er sich einigelte und niemanden vertraute.
 

Atem hatte in seiner Regentschaft viele Fehler gemacht. Fehler, die er damals als richtig angesehen hatte. Für ihn war es vollkommen normal, auch kleine Verbrechen zu bestrafen, um so ein Exempel zu statuieren und den Menschen, seinem geliebten Volk, klarzumachen, dass es sie ihren Kopf kosten würde, wenn sie absichtlich Ärger machten. Auch in Yuugis Zeit hatte er kleine Verbrecher bestraft, sie mit Illusionen gequält und diese Grausamkeiten nie hinterfragt.
 

Doch nun war er anders. Er hatte sich geändert und hatte Yuugis liebenswerte Art auf sich abfärben lassen. Und er war sich sicher, dass auch ein kaltblütiger Mann wie Kaiba, der für seine Ziele bereit war, über Leichen zu gehen, sich ändern konnte, denn Atem war er einzige, der in seine Seele blicken konnte. Atem sah sein früheres Ich in Kaiba. Ein Mann, der in eine Rolle gedrängt wurde, die er selbst nicht gewählt hatte. Ein Mann, der in seinem Herzen noch ein Kind war und sich nach Liebe und Aufmerksamkeit sehnte. Nach Frieden. Harmonie und Glück.
 

Kaiba saß ihm schweigend gegenüber. Wie immer hatte er die Arme verschränkt und ein Bein über das andere geworfen. Sein weißer Mantel berührte den Boden. Ob es Kaiba nicht viel zu warm in diesem Aufzug war? Von Anfang an, seit er hier angekommen war, hatte es Kaiba abgelehnt, sich auszuziehen. Lieber ertrug er die Hitze, als sich eine Blöße zu geben.
 

„Ich möchte dir morgen das Nildelta zeigen.“
 

„Atem, zum wiederholten Male: Ich bin nicht als Tourist hier! Deine Sightseeingtour kannst du gerne machen, aber ohne mich.“
 

„Wieso musst du immer nur so gemein sein? Kannst du nicht wenigstens mal versuchen nett zu sein?“ Atem hob eine Augenbraue.
 

„Oh, ich bin immer noch ausgesprochen freundlich. Es wäre kein Problem für mich, dich im Schlaf zu entführen und zurück nach Domino zu bringen. Du weißt, dass ich ein skrupelloser Kerl bin und dass ich so etwas durchaus tun würde.“
 

„Und trotzdem sitzt du jetzt hier mit mir.“
 

Wieder dieses provokante Grinsen. Kaiba verlor so langsam die Geduld und obwohl er ihn anschreien sollte, die Flucht suchen wollte, brachte er es nicht übers Herz, zu gehen. Eigentlich war er glücklich, dass er Atem gesund und munter wiedersehen konnte und seine Anwesenheit gab ihm ein Gefühl von Ruhe. Ein Gefühl, das er schon lange nicht mehr empfunden hatte.
 

„Du könntest ja bei mir bleiben.“
 

„Du spinnst wohl! Hier gibt es ja nicht mal Elektrizität. Ich wäre wahnsinnig hier freiwillig bleiben zu wollen. Außerdem wartet mein Bruder auf mich.“
 

„Dann verstehst du sicher auch, warum ich nicht mit dir kommen kann.“
 

Kaiba verstand sehr wohl und weil er so gut nachvollziehen konnte, warum Atem sich weigerte, in ihre Zeitperiode zurückzukehren, frustrierte es ihn umso mehr. Er hatte nicht viel Zeit. Er konnte nicht für immer hier bleiben und der Gedanke, dass er Atem einmal mehr verlieren würde und nie wieder sich mit diesem messen konnte, machte ihm Angst.
 

Wer sonst würde ihm dieses Gefühl geben, das er brauchte, um weiter zu machen?
 

Fortsetzung folgt...



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