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Der Sündenbock

und warum ich ihn nicht gehen lassen konnte
von

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Deportation

Der Geruch von Feuer lag in der Luft.
 

Feuer, Rauch und verbrennendem Fleisch.
 

Ein beißender, ekelhafter Gestank und bei dem alleinigen Gedanken, drehte sich sein Magen um.
 

Schon die ganze Zeit, hatte er gegen die Übelkeit zu kämpfen gehabt, doch jetzt, wo er tatsächlich die großen Transporter, mit den zusammengepferchten Menschen, im hinteren Teil, auf der Ladefläche sah, wurde es ihm wirklich mulmig.
 

All die Monate, hatte er sich vor diesem Moment gefürchtet, hatte nächtelang kein Auge zu machen können, selbst, wenn sie von Fliegerangriffen verschont geblieben waren, hatte er kaum Schlaf gefunden.
 

Aus lauter Angst, vor diesem einen Moment.
 

Und jetzt war er da.
 

Mit schwitzenden Händen, krallte er die Finger fester um den Griff seines Koffers, warf einen flüchtigen, absichernden Blick zurück, über die Schulter und blickte in die milchig, blauen Augen seiner Mutter, welche ihn, trotz alle dem, nach wie vor, an zu lächeln schienen.
 

Ein unbestimmtes Zucken spielte kurz um seine äußeren Mundwinkel, ehe er nach der Hand seiner Mutter griff, sie sanft drückte um ihr zu suggerieren, dass er direkt vor ihr ging.
 

„Bist du es, Deidara?“, flüsterte sie kaum hörbar und er nickte leicht, ehe ihm einfiel, dass sie dies ja nicht sehen konnte, weswegen er ihr ein verhaltenes „Ja, ich bins'.“, zurück raunte.
 

Nur wenige Zentimeter vor seinen Zehenspitzen, befanden sich direkt die Fersen der Vorausgehenden und er musste sich konzentrieren, ihnen nicht hinten rein zu laufen, gleichzeitig das Gepäck zu schleppen und zu allem Überfluss auch noch seine blinde Mutter, mit sich, durch den Pulk zu ziehen.
 

Er zuckte kaum merklich zusammen, als mit einem Mal eine Autosirene auf der gegenüberliegenden Seite der Straße losheulte, gefolgt von dem Klirrenden Geräusch der Fensterscheiben, welche zerstört wurden.
 

Er reckte den Kopf nach oben, hüppelte ein wenig, mit der restlichen Bewegung der Masse mit, ließ sich einfach mit ziehen, mit treiben, fühlte sich, wie ein Schaf, welches vom Hirten zurück in die Stelle gescheucht wurde und erhaschte zwischen den restlichen Köpfen, hindurch, einen Blick auf das Auto seines Großonkels, welches dort von den SS-Offizieren demoliert wurde.
 

Deidara schluckte schwer, merkte wie seine Kehle sich augenblicklich zuschnürte und senkte dann den Kopf, da er den Anblick nicht weiter ertragen konnte.
 

Das schöne Auto.
 

Er hatte selber nie mit fahren dürfen, allerdings, mit seinem Cousin zusammen, einmal nachts heimliche Runden, auf dem Alexanderplatz, damit gedreht.
 

Doch lange Zeit zu trauern blieb ihm nicht, denn mit einem Mal drängelten die Menschen von hinten erneut, seine Mutter stolperte haltlos gegen seinen Rücken und er konnte sich im letzten Moment noch, an der Schulter seines Vordermannes abfangen, welcher dadurch ebenfalls ins Taumeln geriet und um ein Haar, wären sie alle umgefallen, wie Domino-Steine.
 

Hunde bellten los, das Gebrülle der Ordnungspolizeibehörden wurde lauter und die Menschen, um ihn herum, wurden panischer.
 

Viele weinten, schauten sich hastig um, suchten in der Menge nach ihren Verwandten und Angehörigen, flehten die Mannschaftsangehörigen an, noch ihre letzten Wertsachen zusammen suchen zu dürfen, da ging es um die Brille, die in der Aufregung, auf dem Nachttisch vergessen wurde, ein Anderer, ein plumper, kleiner Mann, mit Koteletten und Ziegenbärchen versuchte einem der, so schien es, Ranghöheren, zu erklären, dass er unbedingt noch einmal zurück müsse, um die Tabletten, für seine Gattin zu holen.
 

Für den Brutchteil einer Sekunde, blieb Deidaras Blick an den beiden Männern hängen und er kam nicht umhin, zu bemerken, dass der NS-Angehörig, relativ wenig Interesse für diese Geschichte auf zu bringen schien.
 

Deidara blinzelte verwirrt, als der Uniformträger mit einem Mal die Hand an seinen Hüftgürtel sinken ließ, doch was er dort hervorholte, konnte er nicht mehr erkennen, denn im nächsten Moment schubsten die Leute schon wieder, sein Herz machte einen Hüpfer und er stolperte. unbeholfen ein paar Schritte nach vorne.
 

Direkt darauf folgte ein Aufschrei, der plötzlich durch die Menge ging, sich durch sie hindurch zog, wie eine Welle, der Auslöser waren mehrere Gewehrschüsse, die in die Luft abgegeben geworden zu sein schienen. [Anm.: Da war mein Gehirn irgendwie überfordert, idk how to say dat in german, lel.]
 

Auch seine Mutter quiekte kurz hinter ihm auf und aufgeregt wirbelte er herum, die kristallblauen Augen vor Schreck geweitet, ließ er in der Angst sogar den Griff des Koffers los, packte seine taumelnde Mutter unterm Arm und zog sie näher zu sich, da das Schubsen inzwischen gar kein Ende mehr zu nehmen schien.
 

„Ich hab dich!“, beruhigte er sie, während die hübsche Frau sich Kopf nickend an ihm hochzog und ihn traurig lächelnd anschaute.
 

„Weiter! Bewegt euch!“, schrie es mit einem Mal barsch und das nicht weit von ihnen, es folgten erneute Schüsse und Deidara erkannte aus den Augenwinkeln, wie zwei Männer, in der Menge, regungslos zusammen brachen.
 

Kurz vergaß er zu atmen, starrte nur fassungslos auf die Stelle, wo die Männer von der Masse verschluckt worden waren und augenblicklich drehte sich sein Magen um.
 

Er wandte den Kopf zu Seite, spuckte in das, inzwischen, zertrampelte Blumenbeet, welches sich direkt neben dem Eingang des Treppenhauses befand und welches er im Sommer, gemeinsam mit seinem Cousin, seiner Großnichte und den Kindern aus dem Ghetto noch bepflanzt hatte.
 

Er zitterte am ganzen Körper, atmete schwer und schaute, wie in Trance, auf die festgetretene Erde, aus welcher an der ein oder anderen Stelle, von Zeit zu Zeit, ein abgeknickter Halm herauslugte.
 

Immer noch mit geöffnetem Mund, leicht sabbernd und am ganzen Leibe schlotternd, wie Espenlaub, fand er schließlich zur Besinnung, fuhr in sich zusammen, als er nur einen Katzensprung von sich entfernt das Bellen eines Köters vernahm, drehte sich zur Seite und schaute direkt auf die goldenen Manschettenknöpfe, der Polizeiuniform.
 

Leise glucksend richtete er den Kopf nach oben und erblickte das ernste Gesicht eines Offiziers, welcher den Hund mit sich führte, welcher Deidara so zu Tode erschreckt hatte und welchen er mit beiden Händen zurück halten musste, da das Tier den blonden Jungen, sowie seine Mutter ansonsten wahrscheinlich in tausend Stücke zerfleischt hätte.
 

Kurz warf Deidara einen flüchtigen Blick auf das angekettete Wolfsbild und fragte sich, was diese Menschen mit den Tieren machten, das sie dermaßen aggressiv und geschärft wurden.
 

„Beweg dich, Judenschwein.“, zischte der Offizier dunkel und Deidara nickte schwach, ehe er seine Mutter am Arm packte, die sich hilfesuchend nach ihm umschaute, konnte sie, bei dieser Geräuschkulisse und ohne Augenlicht, doch unmöglich die Orientierung behalten.
 

Gerade wollte er weitergehen, da packte ihn der Polizist plötzlich an der Schulter und augenblicklich wirbelte Deidara herum.
 

Er musste seinen Kopf beinah in den Nacken legen, um den großgewachsenem Mann richtig in die Augen schauen zu können und instinktiv wich er ein paar Schritte zurück, um seine Mutter und sich selbst, vor den blanken, weißen Zähnen, des Schäferhundes zu beschützen.
 

„Dara?“, hörte er seine Mutter neben sich ängstlich flüstern und er drückte nur sanft ihre Hand, bedeutete ihr still zu sein, traute doch selbst er sich nicht, gegen diese Autoritätsperson das Wort zu ergreifen.
 

Und das musste was heißen.
 

Immerhin war er bekannt, für seine große Klappe.
 

Das Wimmern und Rufen der Menschen hinter ihnen schwoll immer weiter an, das Bellen und Knurren der Hunde wurde lauter und trotzdem war es ihm, als wäre das alles unglaublich weit weg, als befänden sie sich in einem kleinen, stillen Raum, fern abseits des ganzen Dramas.
 

Nur er, seine Mutter, dieser Mann und dieser fürchterliche Hund, umgeben von unsichtbaren, dicken Mauern.
 

Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals, Deidara konnte bereits das Blut in seinen Ohren rauschen hören und mit einem Mal wurde es ihm schwindelig, als der Mann plötzlich amüsiert eine Braue hob, ihn eingehend musterte und dann den Blick zu seiner Mutter wandern ließ.
 

Mit wackeligen Beinen, drückte sich Deidara sacht ein Stückchen näher an diese, zum Einem um sie zu beschützen, zum Anderen und das musste er zugeben, weil er sich selbst damit besser fühlte.
 

Trotz, dass er eigentlich schon erwachsen war und ein ausgewachsener Mann, fühlte er sich doch mit einem Mal, um mindestens zehn Jahre zurück versetzt, kam sich vor, wie ein kleiner Schuljunge, der vom Lehrer einen Tadel ausgesprochen bekommt.
 

Nur, dass er sich jetzt in dieser Situation um Längen wohler fühlen würde und eigentlich nichts sehnlichster wünschte, als mit damals tauschen zu können.
 

„Kurt!“, brüllte der Offizier mit einem Mal, ohne den düsteren Blick dabei von Deidara und seiner Mutter zu nehmen, besprühte den Blonden mit mächtig viel Spucke, doch dieser wagte nicht, den Augenkontakt zu unterbrechen.
 

Zu sehr fürchtete er sich.
 

Ein weiterer Ordnungspolizist, ein Untergebener, so schätze Deidara, denn seine Uniform war bei weitem nicht so prächtig und mit Auszeichnungen bestickt, wie die, des anderen Mannes, erschien plötzlich neben ihnen und nickte eifrig.
 

„Anwesend!“, keuchte er, schien nicht weniger eingeschüchtert von dem Habitus des Mannes und Deidara musste mit Schrecken feststellen, dass dieser Kurt, nicht viel älter sein konnte, als er selbst.
 

„Sag mir, was mit dieser Frau nicht stimmt, Kurt.“, verlangte der Mann ruhig, durchlöcherte Deidara ohne Unterlass mit seinen kalten Blicken und Angstschweiß, trat dem jungen Blonden auf die Stirn.
 

„Nun, sie ist jüdischer Abstammung und somit...“, begann der Junge gehorsam, doch der Mann unterbrach ihn barsch.
 

„Und somit ein Untermensch.“, er schaute auf und lächelte falsch.
 

„Du hast Recht, Kurt. Diese Menschen sind Juden und somit unsere schlimmsten Feinde. Aber schau sie dir genau an, was ist mit dieser Frau falsch?“
 

Er sprach so ruhig, so selbstgefällig, dass es Deidara mit einem Mal plötzlich packte und schüttelte.
 

Wie konnte er es wagen, sich dermaßen gegenüber ihm, noch schlimmer, seiner Mutter zu äußern?!
 

Wütend presste der Blonde hinter den geschlossenen Lippen die Zähne aufeinander und kaum merklich zogen sich seine Brauen zusammen.
 

So ein Arschloch, so ein vermaledeit...
 

„Ich... ich weiß nicht, Herr... sie, sie ist Jüdin, nun reicht das nicht, um...“, begann dieser Kurt unsicher und sein Blick huschte unschlüssig zwischen Deidara, dessen Mutter und dem Offizier hin und her.
 

„Sie ist blind, du elendiger Dummkopf! Siehst du das denn nicht!?“, brüllte der Mann mit einem Mal los, so laut, dass sich kleine, feine Adern an seinem Hals, sowie an seinen Schläfen abzeichneten.
 

Neben sich spürte Deidara seine Mutter zusammen zucken, doch er blieb kerzengerade vor diesem Dreckskerl stehen.
 

Mit einem Mal war seine komplette Angst verschwunden, verschwunden und einem neuen Gefühl gewichen.
 

Wut.
 

Wut und Hass.
 

Unbändiger Hass, auf das NS-Regime, welches sie behandelte wie Ungeziefer, mit ihren verrückten Ideologien, die Ästhetik und Ethik versprachen, doch rein gar nichts, war dieser antisemitischen Weltanschauung ab zugewinnen.
 

Und er musste es wissen.
 

Immerhin kam er aus einer Künstlerfamilie.
 

Zumindest bevor diese Schweine jedes Einzelne ihrer Werke und Ausstellungsstücke verbrannt hatten!
 

Ungerührt blickte der Offizier ihn weiter an, lächelte dann tatsächlich, was Deidara bösartig die Augen zusammenkneifen ließ.
 

Er spürte, wie seine Mutter neben ihm, ihm beruhigen über den Arm strich, selbst sie schien inzwischen gemerkt zu haben, dass etwas nicht stimmte.
 

Obgleich, ab 1933 schon etwas nicht mehr gestimmt hatte.
 

Schon damals hatte Deidara gewusst, dass etwas passieren würde, etwas Schreckliches passieren würde, obwohl er gerade mal neun Jahre alt gewesen war.
 

Und nun war er da.
 

Der Tag der Abrechnung.
 

Armageddon.
 

„Erschießen.“, murrte der Mann mit einem Mal und Deidaras Kinnlade klappte nach unten.
 

Verständnislos blinzelte er dem hochgewachsenen Polizisten entgegen, hatte die Worte gehört, jedoch aber nicht ganz verstanden.
 

Meinte er ihn?
 

Ihn und seine Mutter?
 

Aber warum?
 

Sie hatten doch nichts verbrochen?!
 

„Herr, ich versteh nicht ganz...“, kam es mit bebender Stimme von dem jungen Kurt, welchen Deidara bereits wieder ganz vergessen hatte.
 

Entgeistert schaute er den Mannschaftsangehörigen an, welcher genau so verwirrt drein schaute und für den Bruchteil einer Sekunde trafen sich ihre Blicke.
 

Ein kalter Schauer lief Deidara über den Rücken, als er registrierte, dass sich in den Augen Kurts, genau die gleiche Angst wieder spiegelte, wie es in seinen Eigenen musste.
 

„Ich habe gesagt, Kurt, du sollst diese Judenweib erschießen.“, grummelte der Mann dunkel, in seinen nicht vorhandene Bart, ehe er sich dem Jungen zuwandte und ihm mit einem Mal anbrüllte, dass nicht nur dieser, sondern auch Deidara und seine Mutter, panisch in sich zusammen fuhren.
 

„Soll ich es dir vielleicht aufschreiben, damit du besser verstehst, du Taugenichts?!“
 

Kurt schüttelte hastig den Kopf, zog dann den Gurt, welcher um seine Brust gespannt war, nach vorne und erst jetzt, erkannte Deidara mit Entsetzten, dass an diesem ein Gewehr befestigt war.
 

„Sie können doch nicht...!“, fuhr er den Offizier wüten an, verstand er nicht, wofür sie erschossen werden sollten, hatten sie doch nicht das Geringste getan und obgleich er panische Angst hatte, über wiegte in diesem Moment tatsächlich seine Wut.
 

Seine Wut, genau so wie sein Stolz!
 

Aber nicht mit ihm.
 

Ihn beleidigen, herum schubsen, ...er würde es mit sich machen lassen.
 

Wenn sie dadurch irgendwie lebend und unbeschadet aus dieser Situation herauskämen, so würde er dies dafür auf sich nehmen.
 

Doch nie im Leben, würde er seine Mutter von diesem Pack antisemitischer Schweine beleidigen lassen!
 

Nicht, seine geliebte Mutter!
 

Er wollte gerade Luft holen und erneut zum Sprechen ansetzten, da passierte mit einem Mal alles ganz schnell.
 

Er sah aus den Augenwinkeln, wie dieser Kurt den Lauf auf ihn und seine Mutter richtete, als er mit einem Mal, mit voller Wucht zur Seite geworfen wurde.
 

Der Schuss verfehlte Deidara um Haaresbreite, traf dafür die Hauswand hinter ihm.
 

Rufe ertönten, mehrere Schüsse gingen in die Luft und plötzlich erkannte er seinen Onkel, welcher auf diesem Kurt lag, welcher es gewesen sein musste, der ihn umgerannt und Deidara und seiner Mutter somit das Leben gerettet hatte.
 

Kurz schnitten sich ihre Blicke, mit gequältem Gesichtsausdruck schaute der Blonde zu dem ihm so vertrauten Mann, die kleinen Lachfältchen um dir runzligen Augen, der dichte, dunkle Schnauzbart, und die schwarzen, krausen Haare.
 

Ein Lächeln formte sich auf den Lippen des alten Mannes, ehe sie das Wort „Lauft“ formten.
 

Im nächsten Moment riss er die Augen entsetzt auf, ein stummer Schrei entrann seiner Kehle und ein dünner Blutfaden kroch aus seinem Mundwinkel, floss hinab zum Kinn, ehe er regungslos auf den Boden sackte.
 

Entsetzt hob Deidara den Blick, erkannte einen weiteren Polizisten, der den noch rauchenden Lauf, seines Gewehrs, an den Rücken seines Onkels drückte.
 

Neben ihm schrie seine Mutter auf und von jetzt auf gleich fanden sie sich im reinsten Kugelhagel wieder, es grenzte beinah an ein Wunder, dass sie nicht getroffen wurden und er wusste nicht wie, nur, dass sich seine Beine wie von selbst bewegten, er seine Mutter am Handgelenk packte, sie mit sich zog und los rannte.
 

Er wusste nicht wohin er rannte, einfach nur weg, weg von diesen Menschen, die sie töten wollten, die sie hassten und verachteten und dabei nicht einmal ihre Namen kannten.
 

Er konnte den Zaun schon sehen, der ihr Ghetto angrenzte, wusste genau, um das Loch, welches sich in der hintersten Ecke befand, das war ihr Fluchtweg!
 

Sie würden hier rauskommen.
 

Sie würden es schaffen.
 

Plötzlich zog ihn etwas zurück, er schnuckte nach hinten, die Finger immer noch um das Handgelenk seiner Mutter geschlungen und er wagte kaum den Kopf zu drehen.
 

Bebenden Atems starrte er auf den leblosen Körper, welchen er da festhielt und ließ vor lauter Entsetzten prompt den Arm seiner Mutter los.
 

Es war ihm, als würde die Welt um ihn herum mit einem Mal stumm geschaltet, er starrte wie in Trance auf den Körper zu seinen Füßen, erkannte darin jedoch nicht seine Mutter, eher, als würde er den Leichnam einer, ihm nicht gänzlich, unbekannten Person betrachten.
 

Einem Familienfreund, oder ähnliches.
 

Trotz alledem, sah er die rote Flüssigkeit, die sich zu seinen Füßen in den trockenen, kalten Winterboden sog, schmeckte die Eisennote in der Luft, doch konnte er immer noch nicht den Blick abwenden.
 

Er schaute sich um, suchte instinktiv das Gesicht seiner Mutter in den Massen, in den Massen der wimmernden, weinenden, schreienden Menschen und erst jetzt fiel ihm auf, wie viele Tote auf dem Boden lagen, über welche achtlos drüber getrampelt wurde, als wären sie Unkraut.
 

Hunde bellten, Sirenen von Häusern und Autos heulten auf, die einzelnen Wohnungen brannten...
 

Schockiert blickte er zurück, hinab auf den Boden, starrte fassungslos auf den dort kauernden, zierlichen Körper, die blonden, beinah hüftlangen Haare, zu zwei Zöpfen geflochten, die schmalen, zarten Finger seltsam verkrampft und der Saum des Kleides unordentlich hoch gerutscht, bis über die Kniekehlen.
 

„Nein...“, hauchte er, kaum hörbar und seine Augen weiteten sich noch ein kleines Stück weiter, „Nein, das ist nicht wahr...“
 

Es konnte nicht sein.
 

Die Frau die dort lag, war nicht seine Mutter.
 

Es konnte nicht sein, es fühlte sich falsch an das zu sehen, nicht richtig, es passte nicht, seine Mutter war nicht tot, sie lebte.
 

So etwas passierte ihnen nicht, anderen vielleicht, aber nicht in seiner Familie.
 

Da gab es so etwas nicht, so etwas konnte nicht sein, so etwas passierte nicht.
 

Das passierte gerade nicht.
 

Das ganze war nicht real, es fühlte sich auch gar nicht real an, eher wie ein böser Traum.
 

Als würde er schlafen, vielleicht schlief er, denn das hier konnte nicht die Realität sein, das hier konnte nicht...
 

Wie als Antwort spürte er mit einem Mal einen stechenden Schmerz an seinem linken Oberarm, ging mit einem lauten Aufschrei, ein Stück weit in die Knie und presste sich die Hand an die klaffende, blutende Wunde.
 

Ihm wurde schwindelig und von weitem sah er drei weitere Männer, jeweils mit einem Schäferhund und einem Gewehr bewaffnet, auf ihn zu sprinten.
 

Entsetzt blickte er sie an, unfähig sich zu bewegen, als ihn mit einem Mal jemand an den Schultern packte, direkt in die Wunde griff, doch Deidara spürte es gar nicht richtig, obwohl es unglaublich weh tat.
 

Noch nie, hatte er ein solch hohes Maß an Schmerzen empfunden.
 

Ein letztes Mal blickte er auf den Körper, der dort, mit dem Gesicht voran, auf dem, inzwischen gänzlich, blutgetränktem Boden lag, ehe ihn unbestimmte Mächte weg zogen und in die Richtung des Lochs im Zaun zerrten.
 

Kurz schaute er zu seinem Cousin, welcher ihn aus verquollenen Augen anschaute, sich dann aber zu fangen schien und ihn vor sich, durch die Bruchstelle im Maschendrahtzaun scheuchte.
 

Eine Woge der Erleichterung überkam Deidara, als sie sich endlich außerhalb der Ghettos befanden, obgleich er sich immer noch seltsam abwesend fühlte, als würde er durch dichten Nebel gleiten und die Welt um sich herum eher als passiver Zuschauer betrachten.
 

„Beeil dich, Dara! Los!“, spornte ihn sein Cousin an und Deidara nickte leicht, sprintete ihm dann nach, hörte Gebrüll, Hundebellen und Schüsse hinter ihnen herkommen.
 

Er beeilte sich, zwang sich, trotz dem zittrigen Gefühl in seinem Körper und den beinah unertragbaren Schmerzen an seinem Arm, welche sich inzwischen bis zu seinem Schlüsselbein und bis in die Schulterblätter hin zogen, zu seinem Cousin auf zu schließen.
 

Er konnte sich nicht erinnern jemals so schnell gerannt zu sein, er wusste gar nicht, dass sich ein Mensch so schnell fort bewegen konnte, doch es war ihm, als hätte sein Körper auf Automatik geschaltet, er dachte nicht mehr, er funktionierte nur noch und jede übriggebliebene Kraft, die ihm noch innewohnte, wurde gesammelt und genutzt um ihn hier raus zubringen.
 

Er achtete gar nicht mehr auf den Weg, rannte nur weiter die Straßen entlang, erkannte im Vorbei flitzen die ein oder andere Stelle, die ihm vertraut vorkam.
 

Manche Menschen blieben stehen, andere sprangen beinah fluchtartig aus seiner Bahn und schimpften ihm aufgebrachte Beleidigungen hinterher, doch er scherte sich nicht drum.
 

Er rannte.
 

Er rannte weg.
 

Wusste nicht wohin, wusste nur weg.
 

Weg, von dieser Unwirklichkeit, hatte unbewusst beschlossen seine Mutter, seinen Onkel und Cousin zu suchen, denn sie mussten allesamt wohl auf sein, das alles konnte nicht wahr sein.
 

Es konnte nicht sein...!
 

Es war nicht.
 

Er rannte weiter, seine Lungen brannten, drohten zu bersten, ihm war so schwindelig, dass der Weg vor seinen Augen bereits verschwamm, doch er wagte nicht langsamer zu werden, geschweige denn, sich um zu drehen.
 

Inzwischen hatte er Berlin Mitte erreicht, konnte das Brandenburgertor erkennen, ebenso das grüne Dach des Adlons, in der untergehenden Sonne leuchten sehen, rannte weiter, weiter, immer weiter, bis seine Lungen schließlich aufgaben, er beinah kollabierend zum Stillstand kam.
 

Er konnte kaum etwas sehen, schwarze Punkte tanzten vor seinen Augen und hechelnd versuchte er krampfhaft seine Atmung unter Kontrolle zu bringen, schaute sich nach seinem Cousin um, doch von diesem fehlte jede Spur.
 

Anders, als von der Ordnungspolizei, welche er ein paar Straßen weiter bereits röhren hören (Anm.: haha. das hat sich gereimt.) konnte.
 

Panisch schaute er sich um, die kleine Gasse, in welcher er sich befand, lag beinah gänzlich verlassen da, zugenagelte Schaufenster, ein Haus in der Ferne schien von einer Fliegerbombe getroffen worden zu sein und das vor nicht all zu langer Zeit.
 

Die Rufe kamen näher.
 

Ebenso das Bellen der Hunde.
 

Auf wankenden Beinen erkannte er schließlich eine grün bepinselte Holztür, die leicht offen stand, dachte nicht lange nach, schlüpfte durch den Spalt hindurch, in den dunklen Kellerraum und schloss die Tür dann.
 

Am ganzen Leibe schlotternd verharrte er einen Moment still, um sicher zu gehen, dass er alleine war, bahnte sich dann seinen Weg, durch das Durcheinander von vollgestopften Kisten, Werkbänken, allerlei Schleifpapier und Holzstücken.
 

Stumm ließ er sich im hintersten Teil des Gewölbes auf den Fußboden sinken, welcher mit einer leichten Schicht aus Sägespähmehl bedeckt war, welches ihm leicht in der Nase kitzelte, doch er zwang sich, nicht zu niesen.
 

So gut es eben ging.
 

Immer noch brannte es in seinem Brustkorb, seine Atmung ging rasselnd hoch und runter und er musste sich zwingen ruhig und durch die Nase zu atmen, um nicht noch stärker zu hyperventilieren.
 

Seine Beine fühlten sich an wie Pudding, doch mit einem Mal spannten sich all seine Muskeln an, als er draußen, vor der Tür, Stimmen vernahm unter die sich ab und an das Bellen eines Hundes mischte.
 

Zitternd schlang er die Arme um die Beine, zog diese an die Brust und legte leise wimmernd die Stirn auf die Knie.
 

Schreckte jedoch direkt wieder hoch und blinzelte misstrauisch in die Dunkelheit, als er mit einem Mal eine weitere, sehr viel ruhigere und gelassenere Stimme herausfilterte.
 

„Dürfte ich vielleicht erfahren, was die Herrschaften dort an meiner Kellertüre verloren haben?“, wollte die Stimme wissen und Deidara konnte sich nicht erklären was es war, doch wem immer diese Stimme gehörte, dieser jemand schien nicht das geringste bisschen Anspannung, geschweige denn Angst zu empfinden.
 

Soweit er das beurteilen konnte, zumindest.
 

„Kann ich Ihnen weiter helfen?“, sprach die Stimme ruhig weiter, klang dabei beinah gelassen.
 

„Shisui.“, murmelte sie mit einem Mal, etwas leiser, als würde die Person einen der Polizisten erkannt haben.
 

„Guten Abend, Sasori.“
 

Deidara zuckte zusammen.
 

Das war einer der Polizisten.
 

Ganz sicher.
 

„Uns ist Einer von ihnen ausgebüxt, wie wollen ihn gerade wieder einfangen.“
 

Leise grummelnd fletschte Deidara die Zähne, beim Ausdruck „Einer von Ihnen“ zog sich sein Magen zusammen, was waren „sie“ denn?
 

Vieh?
 

Niedere Lebewesen?
 

Das er nicht lachte! Diese Einfaltspinsel, mit ihrem Wahn vom reinen Blut.
 

Die „Rasse“. Bei dem Gedanken steig bitterer Gallensaft in seiner Kehle auf.
 

Und so etwas schimpfte sich Ästhetik.
 

Dabei, war wahre Kunst doch ganz klar...
 

Doch seine Gedanken wurden je her unterbrochen, als dieser Sasori, so hieß er wohl, mit einem Mal erneut zum Sprechen ansetzte:“ Und ihr vermutet ihn in meiner Werkstatt? Wen sucht ihr denn?“
 

„Ein blonder, langhaariger Junge, nicht sonderlich groß, blaue Augen, schätzungsweise 18-19 Jahre alt.“ , kam es mit einem Mal von einer anderen Stimme, welche um einiges bedrohlicher klang, als die, von Shisui.
 

„Und wieso denkt ihr, dass er hier irgendwo ist, Itachi?“, wollte Sasori wieder wissen.
 

Und klang dabei sogar etwas gelangweilt.
 

Nervös presste sich Deidara der Weilen, im Inneren, an die kühle Backsteinwand und begann unruhig mit den Fingerspitzen im Dreck zu schaben.
 

„Er muss hier irgendwo sein.“, murrte Itachi genervt, woraufhin Sasori leise zu grummeln schien.
 

„Nun, aber mit Sicherheit nicht bei mir. Wenn ihr mich jetzt entschuldigt, ich habe zu tun.“, beendete Sasori schließlich das Gespräch und warum auch immer, die Polizei schien die Sache tatsächlich ruhen zu lassen.
 

„Nun, dann werden wir mal schauen, dass wir weiter kommen.“, erklang Shisuis Stimme nervös, gefolgt von einem affektierten Lachen.
 

„Sasuke, Itachi...“, murmelte er leise, ehe sie ein paar Personen tatsächlich zu entfernen schienen.
 

Deidara hielt gebannt den Atem an, ehe er erneut leicht zusammenzuckte, als noch einmal Shisuis Ruf erklang, allerdings nun aus deutlicher Entfernung.
 

„Lässt du uns wissen, wenn du etwas siehst?!“, wollte er wissen, woraufhin nur ein leises Murren, von draußen, direkt, vor der Tür zu vernehmen war.
 

Lautlos rutschte Deidara ein paar weitere Zentimeter nach hinten, langte nach einem der Skalpelle, welche quer verstreut, auf einem der Werktische lagen und brachte sich in eine etwas aufrechter Position.
 

Bereit sich zur Wehr zu setzten.
 

Wenn es denn sein müsste.
 

Die Tür wurde unter leisem Knarzen geöffnet, ein heller Lichtkegel huschte kurz über den Boden, verschwand allerdings sofort wieder und der Blonde presste sich mit dem Rücken noch etwas dichter an den kalten Stein und duckte sich Schutz suchend, hinter den gestapelten Kisten weg.
 

Ungeduldig biss er sich auf die Innenseite seiner Lippe, wagte nicht zu atmen, harrte einfach nur aus.
 

Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, drohte beinah aus seiner Brust zu springen.
 

„Komm raus.“, murrte die monotone Stimme Sasoris kühl und Deidaras Augen weiteten sich.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  bones
2018-03-27T11:17:37+00:00 27.03.2018 13:17
Die Deportation, wohl mit Abstand das bekannteste aus dieser Zeit, besonders zum Ende des Krieges. Sind aber ein paar geschichtliche Fehler drin, aber erstmal so zum Text, dann das andere :)

Zum Text erstmal, man merkt das Deidara zwar gezeichnet vom den ständigen Schikanen und anfälligen verhalten der SS, jedoch in Vergleich zu Sasori mit viel mehr leben. Was wohl daran liegt das er noch seine Familie hat und diese trotz der Situation noch immer zusammen hält. Man leidet richtig mit den Blondschopf und auch die Wut die er empfindet, sind gut schriftlich rüber gebracht und man kann sich in die Person richtig hinein versetzten. Obwohl das Thema hart ist und nicht gerade leichte Kost, gefällt der Text mir sehr gut.

So, nun zu den kleinen patzern im Text ^^

Der Begriff antisemitische und weitere Formen davon, ist ein Begriff der viel später nach dem Krieg gängig wurde, erst nach Fall des dritten Reiches und den Nürnberger Prozess wurde der Begriff eingeführt um den ganzen einen Namen zu geben.

Ich denke mal, das du mit Ghetto sowas meinst wie in Warschau. In der Nähe von Berlin gab es wirklich eines, das ist komplett korrekt, aber Wertgegenstände wie Autos und soweiter, wurde früher einkassiert und nicht zerstört. Autos waren zur Kriegszeiten mangel Ware und sowas hätte man nicht zerstört. Auch Blumen gab es dort damals nicht, das sah in etwa aus wie einer dieser Plattenbauten in der DDR, nur Mut keinen grün drum herum.
Auch wenn ich die Deportation wahnsinnig gut beschrieben finde und man merkt, du hast dich gut mit den Thema auseinander gesetzt hast und mir sogar stellenweise das Herz zusammen zog, da mir Deidara einfach leid tat. War die Stelle mit Kurt, doch etwas unlogisch. Den nach deiner Erzählung, hat man ihn mit Onkel einfach erschossen, oder ich hab mich verlesen, was auch möglich ist :D
Du musst auch bedenken, daß Kurt wohl nicht nervös war, da er zu der Alters klasse gehörte die schon in der schule die Erziehung der Nationalsozialisten erfuhr und auf reinen gehorsam getrimmt war. Ich weiß, etwas schwer für uns zu verstehen, es sei den Kurt hatte noch was menschliches und kannte Deidara vielleicht von früher.

Ansonsten gefällt mir der Text sehr gut :)
Von:  lula-chan
2018-01-24T17:56:01+00:00 24.01.2018 18:56
Tolles Kapitel. Gut geschrieben. Du hast die Atmosphäre echt gut rüber gebracht.
Dara tut mir richtig leid.
Sasori hat also Deidara gedeckt. Ob er da schon wusste, dass Deidara in seinem Keller hockt? Ich würde ehr auf nein tippen, aber sicher bin ich mir nicht.
Ich bin schon gespannt, wie es weitergeht, und freue mich auf das nächste Kapitel.

LG
Antwort von:  -AkatsukiHime
24.01.2018 19:34
Hui, danke, dass es dir gefällt *g*
Und yey, der Spitzname etabliert sich langsam, yes.

Dankeschön ❤️
Von:  Jestrum_Cosplay
2018-01-24T06:24:38+00:00 24.01.2018 07:24
Alter Finne war das n beklemmendes Kapitel :')
Du hast die Atmosphäre perfekt rübergebracht und ich verstehe nun was du mit deiner WhatsApp meintest :D Dara tut mir echt leid..
Sasori hat ihn also quasi schon entdeckt, mei vor dem ist auch nichts sicher.. :'3
Bin ja echt gespannt (das is au wieder so n Cliffhänger.. q.q)

Lg <3
Antwort von:  -AkatsukiHime
24.01.2018 10:00
Ich hasse es, Deidara leiden zu lassen *lacht*. Also, so RICHTIG, meine ich 🙄 Aber hier muss es sein.
Und ja, ja Sasori, Dödeldei (den Begriff, werd ich nicht mehr los) hat sich durch ein winziges Detail verraten *g*
Aber das siehst du ja dann hihi.


Bis denn ❤️


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