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Contiguity Magica

A Crow and her Heaven
von

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Kapitel 12: Die Löwin und die Katze


 

Contiguity Magica
 

Kapitel 12: Die Löwin und die Katze
 

 

[RIGHT][RIGHT]Am nächsten Morgen:[/RIGHT][/RIGHT]

[RIGHT][RIGHT]Madoka Kaname[/RIGHT][/RIGHT]

 

Ein neuer Tag, eine neue Schulwoche. Noch drei Wochen bis zur Ankunft der Hexe Walpurgisnacht.

Madoka erwachte und hievte sich noch im Halbschlaf in eine aufrechte Sitzhaltung. An ihre Brust drückte sie den Kopf eines ausgemergelten Stofftieres, dessen Ähnlichkeit zu einem Hasen, nur durch die Ohren, die zwei perlschwarzen Knopfaugen und die nach unten zeigende, dreieckige Nase herauszukristallisieren war. Ein lautes Gähnen entlud sich aus dem übermüdeten Mädchen. Es erfüllte das ganze Zimmer, hallte von den pinken Wänden wider, gleich dem frühmorgendlichen Sonnenlicht, das durch die vorgezogenen Vorhänge schien. Madoka war um diese Zeit kein wenig zum Aufstehen bereit. Meist harrte sie in derselben Position wie jetzt, geklammert an ihr Stoffhäschen und blieb für die nächsten fünf Minuten unansprechbar. Wenn sie sich dann endlich aus ihrem Bett erhob und noch bis zur Tür hin torkelte, das goldene Licht der Morgensonne durch das große Fenster in den dunklen Gang hineinschien und den schmalen Weg, auf dem sie bis zur Treppe ins Untergeschoss wandelte, nur bis zur Hälfte beschien, wurden Geist und Körper zusehends wacher. Erreichte sie dann die oberste Stufe, welche nach der siebten auf einem Treppenabsatz nach links weiter ins Erdgeschoss führte, nahm ihr Tempo beachtlich zu. Beinahe schon übersprang sie mit jedem Schritt zwei bis drei Stufen und war im Nu im Wohn- und Esszimmerbereich des Hauses angelangt, von dem aus auch der Garten zugänglich war. Dieser lag im hinteren Bereich des Hauses, umringt von einem gläsernen Atrium.

„Morgen, Papa“, rief Madoka durch den offenstehenden Bereich in den Garten hinein.

Tomohisa, der vor einem Strauch hockend, Zwergtomaten von den hängenden Stielen mit einer kleinen Schere abtrennte, wandte sich auf den Ruf seiner Tochter um. Sein Gesicht umspielte ein zufriedenes Lächeln, das er zu jeder Zeit des Tages, im Speziellen jedoch am Morgen, auf den Lippen trug.

„Ist Mama schon wach?“

Er erwiderte mit einem Nicken: „Tatsuya hat sie aufgeweckt. Sie macht sich im Badezimmer fertig.“

Der Tochter entwischte ein verwundertes Stöhnen. Weniger verwunderlich, wenn man die Hintergründe von Junkos Morgenträgheit wusste, welche sie zu einem Teil an Madoka vererbt hatte. Nur Tomohisas morgendliche Munterkeit, die den anderen Teil des Schlafzyklus des Mädchens füllte, war es zu verdanken, dass das Mädchen bei Erhebung der Sonne überhaupt den Weg aus dem Bett fand.

„Mach dich doch auch gleich fertig“, schlug er ihr vor, während er eine weitere Tomate vom Strauch schnitt. „Ich bereite derweil das Frühstück vor.“

„Okay, mach ich.“

Der Stimme ein heiterer und schwungvoller Klang beigestimmt, als würde sie die Worte zu singen versuchen. Sie eilte im Laufschritt und mit einer schüttelnden Handbewegung, die dem Vater zugewendet war, wieder die Treppe hinauf. Dort durch die erste Tür auf der rechten Seite geschritten, gelangte sie in ein lichtdurchflutetes Zimmer, das ganz von gläsernen Wänden gehalten und mit dutzenden Spiegeln aller Größen und Formen ausgeschmückt war. Dort erblickte sie sogleich ihre Mutter, die ihr den Rücken und das Gesicht einem der Spiegel hingehalten hatte. Der angewinkelte Arm auf Höhe ihres Kopfes und die ruckartigen Bewegungen bedeuteten Madoka, dass sich Junko noch in der frühen Phase der Morgenpflege befand. Denn erst wenn sich diese Frau vollständig in ihre geschäftige, dunkelgraue Tracht geworfen, sich darauf die Zähne geputzt und am Ende den Schminkkoffer geschlossen hat, war ihre Verwandlung vom Morgenmuffel zur Karrierefrau abgeschlossen.

Madoka gesellte sich neben ihre Mutter, nahm sich eine Bürste und die Zahnpastatube aus dem Keramikbecher vor ihr heraus und schrubbte sich ebenfalls die Zähne weiß. Während dieser Zeit kamen die beiden erst gar nicht im Gespräch. Bei den beiden Damen war es nämlich kein vergnügliches Phänomen zu beobachten, wenn sie im Zeitraum der Mundpflege simultan ein Gespräch führten. Junko versaute sich mit einem simplen „Morgen“ die Bluse oder das Sakko und Madoka den Pyjama. Erst, als beide den Mund frei und ausgespült hatten, konnte ein Mutter-Tochter-Gespräch ohne fürchterliche Folgen von Statten gehen.

„Wie fühlst du dich heute, Madoka?“

„Also – gut, denke ich.“ Madoka nahm sich die Haarbürste neben dem Becher zur Hand und fuhr sich damit durch das weiche pinke Haar.

„Das klingt nicht sehr überzeugend“, sagte Junko misstrauisch. „Bist du dir sicher, dass du nicht doch lieber noch zuhause bleiben willst. Zumindest für einen Tag, damit du dir auch sicher bist?“

„Ach was, Mama“, meinte Madoka, die Sorgen ihrer Mutter mit einem Lächeln und einer winkenden Handbewegung herunterspielend, „mir passiert schon nichts.“

„Und trotzdem …“

„Ich verspreche es dir.“

Junko hielt für einen Moment inne, bevor sie mit dem Eyeliner weiter über die Augenlider fuhr. Die Winkel ihres Mundes schlugen tiefe Kerben in die geglätteten Wangen, ausgehoben vom dem Mutterinstinkt, der sie verzweifelt dazu anriet, Madoka noch für einen weiteren Tag im Hause zu behalten. Sie ließ die Schminkutensilien zurück in kleinen Koffer verschwinden und gab mit einem letzten Seufzer diese Diskussion auf. Darauf richtete sie, nachdem sie sich im Spiegel nun genug bestaunt hatte, ihr Augenmerk auf die Tochter und ein Lächeln fand sich auf das rote Lippenpaar.

„Was denn?“, fragte Madoka rhetorisch, denn sie ahnte bereits, worauf ihre Mutter mit diesem Lächeln anspielen würde.

„Die Schleifen stehen dir wirklich gut. Sieht sehr süß aus.“

Madoka errötete. „Mama, hör auf“, sagte sie mit beiden Händen bescheiden die glühenden Wangen verbergend.

Gemeinsam verließen das Mutter-Tochter-Gespann das Badezimmer und gesellten sich zu Tomohisa und Tatsuya an den Frühstückstisch. Junko blätterte wie üblich durch die Zeitung beim Kaffeetrinken, wobei sie nur nebenher noch an ihren frisch gebackenen Waffeln knabberte, während Madoka sich nebenher mit ihrem Vater über triviale Dinge unterhielt. Mal verharrten beide bei der Schule, dann und wann brachte Tomohisa seinen eigenen Alltag mit in das Gespräch ein. Zum Beispiel welchen der Nachbarn er beim Einkaufen getroffen hatte oder wie Tatsuya seinen Haushaltsplan gekonnt durcheinanderzubringen versteht. Heute aber interessierte sich der zweifache Vater an erster Stelle für das gesundheitliche Wohlbefinden seiner Tochter, welche kurze Antwort, wenn auch in der höflichsten Form ausgesprochen, ihm die klare Botschaft vermittelte: „Mama hat schon ihre Bedenken geschildert, also behalte deine bitte bei dir.“ Dieses, etwas drastisch formulierte Signal, welches Madoka so in Worte niemals gegen ihren Vater auszudrücken in der Lage wäre, widerwillig hinnehmend, wechselte er das Thema und fragte sie über das neue Mädchen, welches zum Ende der letzten Woche ihre Einschulung hatte.

Madoka ließ ihre Gabel auf den Teller nieder und machte eine andächtige Kopfbewegung. „Sie heißt Homura.“

„Homura, mhm?“, sagte Junko und stützte den Kopf auf einer Hand ab. „Ein schöner Name. Und, seid ihr zwei schon Freundinnen.“

Madoka nahm ihrerseits die Hand vom Tisch und legte sie, als Zeichen der verlegenen Unsicherheit, auf ihre Wange. „Ich will nicht behaupten, dass wir schon Freundinnen sind. Irgendwie sieht sie mich eher so an, als … ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Ihre Blicke haben so etwas Mahnendes und Feindseliges.“

„Ach so?“, meinten beide Elternteile erstaunt.

Madoka nickte. „Als würde sie mich für etwas verurteilen, von dem ich noch nicht einmal weiß, ob ich es getan habe. Oder noch tun werden könnte. Und als sie mit mir gesprochen hat, wirkte sie sehr besorgt um mein Verhältnis zu meiner Familie und meinen Freunden. Sie fragte mich, ob ich sie alle lieben würde. Und ob ich auch mein eigenes Leben wertschätzen würde. Als ich sagte, dass ich sie alle sehr lieben würde, schien sie ganz zufrieden und etwas lockerer.“

„Ein seltsames Mädchen.“ Junkos Gesicht war die Reflektion einer analytischen Zersetzung dessen, was Madoka ihr erzählt hatte.

Madoka wusste darauf nicht viel zu erwidern, denn auch aus ihrer Sicht war die Neue überaus suspekt in Verhalten und Auftreten. Was wohl ihre Intensionen waren, als sie Madoka damals zur Rede und Antwort stellte und was sie mit ihrer nachträglichen Warnung zu bezwecken versuchte – sie konnte sich keinen Reim darauf machen. Welche Motive sie hatte, was die unterschwellige Drohung bedeutete; es war zu viel für ein einzelnes Mädchen, das in Erfahrung zu bringen.

„Oh je“, rief Junko, als sie die Uhr erblickte, die fünfzehn Minuten vor acht zeigte. „Fast die Zeit vergessen. Muss los.“ Sie trank hastig den übrigen Rest in ihrer Tasse leer, verabschiedete sich von ihrem Mann mit einem Kuss auf den Mund, dem Sohn mit einem Kuss auf die Wange und ihrer Tochter mit einem, auf Kopfhöhe angesetzten Handschlag, wie man ihn von zwei Sportlern kannte, die sich zur Ablöse in die Hände klatschten. Und für war dies der Startschuss, der sie nun selbst von dem Tisch hat aufstehen lassen, sich von dem geliebten Vater und dem süßen Bruder zu verabschieden und den Weg zur Schule anzutreten. Madoka verließ das Haus immer zur selben Zeit. Gerade noch rechtzeitig, um sich mit Sayaka Miki und Hitomi Shizuki zu treffen und doch so spät, dass sie die beiden nur im Lauf noch vor den Schultoren abfangen konnte. Das hieß, wenn die beiden mildtätigen Mädchen nicht – wie jeden Morgen – auf ihre späte Freundin warten würden. So, wie es auch am heutigen Tage der Fall war.

„Guten Morgen, Madoka“, ergriff Hitomi als erste das Grußwort.

 Madoka kam einen halben Meter vor den beiden zum Halten. Sie stützte sich mit einem langen Seufzer auf ihren Beinen ab und schnappte nach diesem, für sie, viel zu langen Lauf erst einmal nach Luft, bevor sie sie wieder der Sprache fähig war.

Sayaka musterte sie argwöhnisch. Ihr war es unbegreiflich, wie Madokas Kondition stets dasselbe Niveau beibehielt, während sie sich dieser täglichen Morgentortur aussetzte, ohne jemals schneller oder ausdauernder zu werden. Doch kaum dass Madoka aufblickte, regte sich ein grobes Lächeln über Sayakas schmale Lippen. Grob in dem Sinne, da es unweigerlich einer Verhöhnung gleich kam, jedoch im weitem Abstand mit einer Böswilligkeit verbunden wurde. Es war ein geringer Spott unter Freundinnen, die, wenn sie sich dieses Maß an Hohn nachtragen würden, niemals zu Beginn hätten so enge Freundinnen werden können. Madoka fasste jedenfalls Sayakas neckische Miene nicht als einen Angriff auf und erwidere daher mit einem ihr typischen Lächeln. Eines von der Sorte stiller Zusprüche und ungewollter Eingeständnisse. Eines, das beim bloßen Anblick die Worte heraufbeschwor: „Ja, ich weiß schon.“

„Schön, dass es dir wieder besser geht“, sagte Sayaka und reichte ihrer Freundin Madoka die Hand.

Madoka ergriff diese und ließ sich so zu einem aufrechten Stand verhelfen. Eine Geste, wohlgeschätzt. Sayaka hatte sie schon immer zu stützen und zu tragen gewusst, wann immer es Madoka an nötigem Halt mangelte. Heute, wie auch an vergangenen Tagen und mit ziemlicher Sicherheit auch in der Zukunft: Sayaka würde Madoka immer mit einer Hand zu stützen wissen. Dieser Gedanke allein löste in dem jungen Mädchen, das so unbeholfen auf ihre Umgebung wirkte, ein Glücksgefühl sondergleichen aus.

„Danke, Sayaka-chan.“

Die drei Mädchen setzten gemeinsam ihren Schulweg fort. So sich Hitomi noch anfänglich über die tatsächliche Genesung mit offener Verwunderung hingab, flaute der Verdacht mit dem Ausdruck der Zufriedenheit auf Madokas glücklichem Gesicht immer weiter ab. Und es dauerte nicht lange, bis auch sie in das stimmungsvolle Gelächter mit einstimmte, welches sich aus dem Ulk der Mädchen herauspellte. Scherze, die ein jeden unfreiwilligen Lauscher bestürzt zurücklassen würde, der dem Kontext nicht gewahr wurde. Für die jungen Mädchen aber die feinste Art des Humors, denn er folgte keiner Ethik, keinen Regeln und war so überspitzt formuliert, dass kein Ernst dahinter auffindbar war.

Als die drei Mädchen ihr Klassenzimmer erreichten, mussten sie wie gehabt feststellen, dass sie mit zu den Nachzüglern gehörten. Zwei Jungs und ein Mädchen, die sich noch vor dem Eingang in einer Unterhaltung vertieft hatten und erst auf Bitten Hitomis den Weg frei machten. Die meisten, die an ihren Tischen saßen, blickten auf, um zu sehen, wer da drei Minuten vor dem Glockenschlag auftauchte. Jene, die nicht aufblickten unterhielten sich mit ihren Nachbarn. Ein Junge, der gegen Sayakas Tisch lehnte, um sich mit seinem Freund zu unterhalten, räumte ihr augenblicklich, beinahe in respektvoller Eile, den Platz. Dahinter setzte sich Hitomi und neben Hitomi ließ sich Madoka auf ihren Platz nieder. Die beiden kicherten. Sayaka horchte auf und drehte sich nach Hitomi um.

„Was denn?“

„Hast du nicht gesehen“, kicherte Hitomi, „wie er dich angesehen hat?“

Sayaka machte ein verdutztes Gesicht.

„Der hat bestimmt das letzte Mal noch nicht vergessen.“

Sayaka legte fragend den Kopf in die Schräge.

Madoka hob den Zeigefinger im Sinne der Erläuterung. „Sie meint, als du ihn und seinen Freunden beim Aufräumen der Turnhalle den Marsch geblasen hast.“

Auf einmal schien Sayaka zu begreifen. Ein triumphales Lächeln spiegelte sich auf ihren Lippen ab. „Ach so, das meint ihr.“

Zur Erläuterung des besagten Vorfalls: Es war ein kalter Wintertag und Sport konnte nur innerhalb der Turnhalle stattfinden. Neben dem Aufwärmen wurde Volleyball für die Doppelstunde vorgeschlagen. Man baute zwei Netze für zwei Felder auf, stellte einen Wagen mit Bällen in der Mitte beider Felder auf und teilte sich untereinander in Teams ein. Wo der Aufbau also noch harmonisch ablief, war der Abbau und das Zusammensuchen der Bälle weniger zu einer Klassenaufgabe geworden. Als es dann bei den genannten drei Burschen beim Saubermachen haderte und die Worte fielen „Das Saubermachen ist doch eigentlich eher Frauensache, oder?“, konnte Sayaka nicht an sich halten, stapfte auf die drei zu und, um es in Madokas Worten wiederzugeben, blies ihnen den Marsch. Manche in der Klasse belustigten sich über ihre Wuttirade und scherzten, dass ihr Gebrüll noch immer von den Wänden der Turnhalle widerhallen würden. Die Poetischen der Klasse gingen noch einen Schritt weiter und behaupten, dass, wenn man ganz leise sei, könne man den Wind die Schreie der Sayaka Miki tragen hören.

Der Waage aus Spott und Scherz war Sayaka zwar bewusst, nahm sie aber nur auf dem tauben Ohr wahr. Solange niemand mit ihr den Streit suchte, war sie auch nicht im Begriff, einen vom Zaun zu brechen. Zwar glaubten Madoka und Hitomi, dass sie an jenem Tag zu temperamentvoll reagiert hätte, sahen sie aber grundlegend im Recht.

Noch eine Minute vor acht. Auch die letzten haben sich bereits an ihre Plätze begeben und der Raum schien fast vollzählig. Nur ein Sitz blieb noch kalt. Die mechanische Tür öffnete sich und augenblicklich erschien es Madoka, dass sich der lichte Raum verdunkelte. Die schwarzen Haare, die mit jeder Bewegung flatterten wie ein seidener Umhang im Wind. Alle Augen starrten gebannt auf das Mädchen, das wie die Königin unter ihr Volk trat. Und ihr Blick war es, der sich auf einen bestimmten Punkt im Raume festhielt. Ein Punkt den sie anstrebte, wie ein ruheloser Geist ein seelenloses Gefäß. Alle blickten sie auf. Alle, an denen sie vorbeischritt. Alle Augen folgten dem Verlauf der Schritte dieses wunderschönen Mädchens. Alle, bis auf eine. Die eine, vor deren Tisch sie zum Stehen kam. So bald schon berührte ihr Rock die schmale Tischkante, dass es Madoka Unbehagen machte. Ihr Kopf zuckte von einer Seite zur anderen, die Augen dabei nervös in alle Richtungen blinzelnd. Erst, als Homura ihren Namen sagte, blickte auch das scheue Mädchen hoch zu ihr.

„Kaname Madoka-san.“

Madoka schluckte so laut, als würde sie an einen Stein hinabwürgen. Homuras ganzer Ausdruck machte sie kalt und zitternd. Dieser ungnädige Blick, der Funken zu versprühen schien, aus denen ganze Flammen emporbrechen könnten. Ein blauviolettes Feuer, das Madoka zu verschlingen drohte.

Homura Akemi. Es erschien, als würde sie allein den Fortlauf der Zeit bestimmen. Niemand regte einen Muskel, niemand wagte einen Atemzug. Nicht, bis sie endlich handelte. Und als sich ihr Haupt langsam beugte, die langen schwarzen Haare sich an ihren Schultern vorbeischlängelten, bis die dünnen Spitzen zu Boden zeigten, trat das erste Geräusch wieder an jedermanns Ohr. Der tickende Zeiger der Uhr. „Ich freue mich, dass es dir wieder gut geht.“

Madoka wollte sprechen, doch versagte ihr die Zunge. Der Mund gehorchte nur bis zu einem gewissen Grad, bevor er sich jedweder weiterer Schließbewegung verweigerte. Homura, indes, hob wieder das Haupt, wandte sich ab und begab sich zu ihrem Platz in der vordersten Reihe. Und kaum das sie ihren Sitz eingenommen, hatte sich auch schon das Getuschel im Klassenraum verbreitet. Jeder so leise, das nur sein Nachbar ihn hörte und vereint doch so laut, dass gleich alle wussten, worum der jeweils andere flüsterte.

„Was sollte das denn?“

„Hast du das gerade auch mitbekommen?“

„Das ist gerade wirklich passiert, oder?“

„Wer war jetzt krank?“

„Hey, Madoka“, wisperte das Mädchen mit den langen, roten Haaren und lehnte sich weit zu Madoka hinüber, „wann warst du denn krank?“

„Woher weiß sie denn davon?“, fragte Hitomi, die Hand vor Schreck vor ihrem Mund gehalten.

„Die ist doch echt nicht mehr zu fassen“, sagte Sayaka, die geballten Fäuste zitternd auf dem Tisch drückend. „Was hat diese Schulwechslerin für ein verdammtes Problem?“

Viel Zeit zur Spekulation blieb nicht, denn nur wenige Sekunden auf das Meer aus Geflüster, läutete es auch schon zur ersten Stunde. Und pünktlich wie das Läuten, kam auch die Lehrerin, Miss Saotome, durch die Tür geschlendert. Mit gesackten Schultern, einem schlurfenden Gang zum Pult und einem Ausdruck, der ebenso entweder eine missglückte Verabredung oder eine schlaflose Nacht – oder sogar beides direkt – verkündete. Damit wussten auch alle Schüler sofort, dass ihnen die ersten Minuten ein langer Monolog bevorstünde.

 

Zur ersten Pause auf dem Schuldach entfesselte Sayaka ihre ganze Erbostheit über die Schulwechslerin. Böse Flüche waren gefallen, gemeine Spitznamen schwappten wie Ter aus ihrem Munde und zu Boden, bis Madoka endlich ein paar Worte der Beruhigung an sie richtete.

„Ich will mich aber nicht beruhigen“, fauchte Sayaka. „Findest du das etwa nicht unverschämt, was sie getan hat? Es muss doch wohl nicht gleich jeder wissen, dass du im Krankenhaus warst! Es gibt schließlich so etwas, dass sich Privatsphäre nennt.“

„Aber sie hat doch nur –“

„Und überhaupt“, fuhr Sayaka fort, ohne Madokas Einwand zu beachten, „woher weiß sie überhaupt davon? Wieso weiß sie immer alles? Was ist sie, ne Magiern?“

„So beruhige dich doch, Sayaka“, versuchte es Hitomi mit einem schmalen Lächeln. Sayaka aber wandte sich auf diese Worte nur ab und raufte sich beidhändig die Haare.

Es war dem zornigen Mädchen wohl nicht länger abzustreiten, dass sie einen persönlichen, tiefsitzenden Groll gegen Homura Akemi hegte. Aus welchem Gefühlschaos jedoch dieser entsprang, schien nicht einmal Sayaka wirklich zu wissen. War es nur der Neid, auf denen sich die Säulen namenloser Motive türmten oder war es der Zorn allein, der sich allein an Homura Persönlichkeit labte, um weiter zu gedeihen. Mochten die eigenen Unzulänglichkeiten klarer in der Gegenwart dieser Alleskönnerin Zutage gefördert werden und war der Hass auf sie einfacher, als der Hass auf sich selbst? Wahrscheinlich entstammte der Groll auf Homura Akemi einfach aus der Unsicherheit, wieso sie das Ziel von Sayaka Mikis Missgunst war. Es schien ihr selbst gar unschlüssig. Allein der kalte starre Blick Homuras schien ihr als gerechtfertigter Grund in den Sinn zu kommen. Und je mehr sie darüber nachdachte, desto mehr schien es ihr deutlich zu werden, dass es Homuras ganze Persönlichkeit war, die sie so abstoßend fand. Die Art, wie sie mit anderen sprach oder andere ansah, selbst alles konnte und von Bescheidenheit unberührt schien. Ja, vielleicht war das der Grund, weshalb sich Sayaka so schwer mit Homura Akemi tat.

„Ich geh mir mal einen Saft holen“, seufzte Hitomi. „Möchtest du auch etwas, Madoka?“

Madoka lehnte dankend ab. Es war ihr bewusst, aus welchem Grunde Hitomi tatsächlich zum Getränkeautomaten verschwand. Madoka zugestimmt, wäre sie nur vorzeitig vor dem nächsten Glockenschlag zurückgekehrt und hätte sich womöglich mehr von Sayakas Elend geben müssen. Und neben der Schule hatte Hitomi noch genügend andere Verpflichtungen, die ein Mädchen aus gutem Hause zu erfüllen hatte, drum sollte sie wenigstens in den Pausen nicht mit der weniger bedeutsamen Not anderer zu kämpfen haben.

Bevor Hitomi verschwunden war, machte sie Sayaka dasselbe Angebot. Diese verwies lediglich auf ihr ungeöffnetes Trinkpäckchen auf, welches neben Madoka auf der Sitzbank stand, vergaß jedoch immerhin nicht, auf das Angebot ein Wort des Dankes zu entbehren, bevor dann Hitomi im Schatten des breiten Tors zum Treppengang verschwand.

„Oh man.“ Sayaka ließ sich neben Madoka auf die breite Sitzbank fallen. Das Gesicht war gequält zum Himmel gerichtet, so sie eine Hand nach dem Trinkpäckchen ausstreckte, den Strohhalm an der Seite aus seiner Plastikhülle quetschte, ohne ihn vorher von dem haltenden Kleber zu reißen und mit dem gespitzten Ende so heftig in das silbrig markierte Loch stieß, als würde sie einen Pflock durch das Herz eines verhassten Widersachers treiben.

Madoka saß da, die Hände nervös zwischen ihren Beinen reibend und mit sich hadernd, ob und was sie ihrer Freundin erzählen sollte, während diese die blutrote Flüssigkeit aus dem Halm sog und sich der Erfrischung erfreute, die ihren überhitzten Kopf angenehm kühlte. Sie ließ ihre Blicke abwechselnd zwischen Sayaka und dem Eingang zum Dach schweifen. Bitterlich erhoffte sie sich, dass zu jedem Augenblick, da sie ihre Augen auf den beschatteten Eingang des Treppenhauses legte, Hitomi wieder hervortreten würde. Bitterlich deshalb, weil Madoka einer besseren Annahme gewiss war. Bitterlich deshalb, weil dieses Mädchen viel zu passiv war, um mit einer verärgerten Freundin umgehen zu können. So ergab sie sich, nachdem sie zum fünften, sechsten, siebten Male zu dem Eingang schielte, dieser gekippten Stimmung. Zumindest aber erhoffte sie sich Ruhe durch Schweigen, als Stimmung durch hohle Ausbrüche, bevor die erste Pause sich dem Ende neigte. Doch tatsächlich vermochte sie es in dem dunklen Schatten eine Bewegung auszumachen. Erst waren es die weißen Schuhe, welche die abgeschrägte Grenze ins Sonnenlicht übertraten. Dann die Beine, die von einer braunen Strumpfhose überzogen waren. Schließlich der Rock, die Jacke und das schöne Gesicht eines Mädchens, welches Madoka sich nicht entsinnen konnte, je gesehen zu haben. Ihr blondes Haar mit ihren markanten spiralförmigen Zöpfen ließen sie ebenfalls von der Erinnerung an dieses Mädchen befreit. Sie trug ein Lächeln auf, als sie Madoka und Sayaka erblickte, als wäre sie die Mutter Sonne selbst.

„Nanu“, sagte Sayaka verwundert. „Die kenne ich doch.“

Madoka überraschte, obgleich dieser Aussage.

Sayaka hielt nachdenklich einen Finger an die Stirn, während sie sich an den Namen zu entsinnen versuchte. „Kotome. Motome. Otome.“

Der letzte Name gab Madoka den Grund für ein argwöhnisches, zu einer Seite weit gespreiztes Lächeln. Es veranlasste sie zu glauben, dass Sayaka sie zu bespaßen versuchte, um ihr genau jene Reaktion abzugewinnen. Die Annahme verflüchtigte sich aber rasch, denn der ernste Anstoß einer Erinnerung ergab sich nicht dem vermeintlichen Scherz, auszumachen an Sayakas grübelnder Haltung. Und ehe Madoka etwas erwidern konnte, war das Mädchen schon vor den beiden gehalten. Das Licht der Sonne zeichnete goldene Umrisse um ihre zierlich geformten Körper. Und als Madoka erst in das Gesicht dieses wunderschönen Mädchens blickte, war ihr einziger Gedanke nur, wie schön dieses Mädchen doch war.

„Hallo, ihr beiden“, sagte das Mädchen völlig unbeschwert, als würde sie Sayaka und Madoka wie zwei alte Freundinnen begrüßen. Madoka blickte mit der Befürchtung zu Sayaka hinüber, welche diese damit rechtfertigen würde, dass sie, noch bevor die Vorstellung des Mädchens ganz zu Ende gewesen, sie ihr bereits einen der komischen Namen zugeworfen hätte, über die sie noch am grübeln war. Doch Sayaka war still. Sie saß da mit überkreuzten Beinen und verschränkten Armen und sah das Mädchen gleich wohl neugierig, wie überrascht an. „Ich bin Mami Tomoe.“

Selbst ihre Stimme war schön. Nicht so süß und leise, wie man es von einem Mädchen wie Hitomi erwartete. Viel mehr so kraftvoll und dennoch sehr hell, wie man es bei einer Mutter gern erwartete, um die Kinder entweder mit ihrem Verhalten laut zu tadeln oder leise zu loben. Eine Stimme aber auch, die einen leichten Beigeschmack von Hochmut und Arroganz hinterließ. Letzteres aber auch nur dann, wenn sie sich in irgendeiner Weise profilierte. So wie in diesem Moment, als Madoka und Sayaka gerade darüber wähnten, wie man sich jemandem am besten vorstellte, der sich zwar gerade selbst die Ehre gegeben, aber nicht nach den Namen der Gegenüberstehenden erkundigt hatte.

„Ihr seid Miki-san und Kaname-san, richtig?“

„Wie?“, sagte Sayaka und rutschte ganz erschrocken gleich ein ganzes Stück nach hinten. Immerhin, die Bank war ja ohne Rückenlehne und auch nur ein massiver, quadratisch gehauener Stein, über den sich ein paar lange Holzplanken erstreckten. Sie mochte den Satz wohl noch weiter denken und sich fragen, woher diese Mami ihre Namen kannte. Doch sie wollte diese Frage nicht stellen. Ob sie die Antwort fürchtete? Vielleicht war ein seltsamer Zauber darin involviert? Sayaka glaubte schließlich an Magie und Wunder auf dieser Welt, so sollte man es ihr also nicht verdenken, dass sie diese Antwortmöglichkeit nicht ausließ.

Madoka war hingegen völlig überfordert. Erst Homura und nun Mami. Zwei Mädchen, die sich keine Blöße damit gaben, ihren Namen zu kennen oder gar unerschrocken auf sie zumarschierten.

Mami ließ indes ein leises Lachen verlauten, welches hinter schmunzelnden Lippen und einer Hand, die sich leicht gegen diese drückte, keine Chance bekam, noch von jemand anderem als Madoka und Sayaka gehört zu werden. Damit gab sie ein beruhigendes Bild für die beiden Mädchen ab.

„Es tut mir so leid, dass ich euch gerade hier fast förmlich überfalle“, sagte Mami, um das einseitige Schweigen zu umgehen, „aber ich muss euch zwei fragen: ihr seid doch Kaname-san und Miki-san?“

Die Augen der beiden Mädchen verharrten starr und ohne zu blinzeln auf das ihnen fremde Mädchen. In ihnen die grenzenlose Leere der Fassungslosigkeit gespiegelt.

„Oh“, rief die blonde Schönheit gleich auf, kaum dass sie auch nur eine Sekunde auf das Warten der Antwort entbehrt hatte, „verzeiht die Unhöflichkeit. Man sollte sich ja schließlich erst einmal selber vorstellen.“ Sie kicherte und klopfte sich mit den Fingerspitzen gegen den schief gelegten Kopf. Beinahe dümmlich, mindestens aber naiv erschien sie mit ihrem Lächeln und dem kurzlebigen Kichern. „Ich bin Tomoe. Mami Tomoe. Aber ihr könnt ruhig Mami zu mir sagen.“

„F-Freut mich“, sagte Sayaka, merklich von dem Angebot irritiert.

„M-Mich auch“, sagte Madoka, nicht weniger von dieser Darstellung überfordert. Schließlich war es nicht gerade üblich, sich in Japan mit dem Vornamen anzusprechen, wo man sich doch kaum kannte.

„Also?“

Die beiden Mädchen sahen einander fragend an. „Also was?“, fragte Sayaka.

„Seid ihr Miki-san und Kaname-san?“

„Oh! Ja, entschuldige“, räusperte sich Sayaka. Sie legte die Hand auf ihre Brust ab, als Geste der Vorstellung. „Ich bin Miki-san – also, Sayaka Miki, meine ich. Du kannst mich ruhig Sayaka nennen.“

„Oh, und mich Madoka“, ergab sich Madoka der üblichen Gepflogenheiten. Sich gleich beim ersten Kennenlernen beim Vornamen zu nennen zeugte zwar von schlechten Manieren, aber wenn sich alle darauf verständigten, warum sollte sie sich dann dagegen sträuben?

Mami hielt sich grinsend eine Hand vor dem Mund, bevor sie sagte: „Das ist nett, danke.“ Unmittelbar darauf erschien ihr naives Abbild abzuflauen und eine deutlich ernste, aber nicht weniger nette Mami Tomoe ans Licht des Tages zu treten. „Ich muss mich noch einmal entschuldigen. Ich gestehe, dass ich euch zwei nur aus formellen Gründen nach euren Namen gefragt habe. Ich weiß sehr wohl, wer ihr seid. Ich war mir nur nicht sicher, wie ich das Gespräch hätten anders anfangen sollen, als so.“

„Tja, ähm“, sagte Sayaka, die sich die größte Mühe damit gab, den dünnen Schwall aus Rauch, der dem schwer ächzenden Maschinenwerk, der ihren Kopf darstellte, zu verbergen, „das ist ja ganz schön, und so. Aber wir kennen dich leider nicht. Also, ich meine: Ich habe dich schon einmal gesehen und deinen Namen auch mal irgendwo gehört. Warst du nicht mal unter den Top Zehn des letzten Jahrgangs?“

Mami kratzte sich beschämt am Hinterkopf. „Oh je, ausgerechnet das weißt du von mir? Es war Platz 8, also kaum der Rede wert.“

Kaum der Rede wert, dachte Madoka und zeigte sich noch beschämter. Was sich Sayaka dazu dachte und die möglichen Folgen, die daraus zu resultieren drohten, konnte Madoka sich bereits ausmalen. Noch so eine Hochbegabte. Und das nicht zu Unrecht. Sie war, von sechshundertzwanzig Schülerinnen und Schülern, unter die zehn Jahrgangsbesten gekommen. Das war mehr, als Sayaka und Madoka je hätten vorweisen können. Und Sayaka, die in allem einen Wettbewerb der geistigen und körperlichen Stärke sah, konnte die Enttäuschung über eine Niederlage, noch vor dem eigentlichen Wettstreit, nur spärlich verkraften. Sie hasste nicht die Menschen, die nach ihrem Ermessen soweit über sie standen, sondern verurteilte sich für ihr eigenes Versagen, nicht besser werden zu können.

Ein langes Schweigen mischte sich unter die Mädchen. Wie Wasser durch ein schmales Tal, säuselte der Wind zwischen ihnen hindurch. Keine von ihnen wusste das Gespräch weiter anzuführen.

„Oh je, das ist ja nicht zu aushalten“, hallte es von einer unbekannten Entfernung in ihren Ohren. Madoka und Sayaka blickten erst einander, dann Mami Tomoe ratlos an. Beide wollten nicht glauben, dass sie gerade einen jungenhafte Stimme gehört hatten, doch konnten sie auch nicht leugnen, ineinander dieselbe Ratlosigkeit ausgemacht zu haben.

Mami wiederum schaute weniger verunsichert, als mehr tadelnd in eine Richtung, wo niemand stand.

„Du hast das auch gerade gehört, oder?“, sagte Sayaka, der der Blick der Blondine nicht entgangen war. Ja, Sayaka mochte mit ihren akademischen Leistungen nicht in der vordersten Reihe mitspielen, doch was das auffällige Verhalten von noch ausfälligeren Menschen anging, war sie eh und je die Scharfsinnigste gewesen. Auf Mamis tonlose Erwiderung sprang sie auf und rief: „Wer ist da? Zeig dich! Es ist unhöflich jungen Mädchen nachzuspionieren!“

Kaum hatte sie die Worte gesprochen, materialisierte sich aus der Luft eine durchsichtige Silhouette, die nach und nach die Form einen jungen Mannes angenommen hatte. Das schwarze lange Haar, die rote Jacke mit der olivgrünen Hose und dem schwarzen Hemd, zusammen mit dem stieren Blick eines empörten Knaben, machten Mami Tomoes anfängliche Heiterkeit schnell verschwinden.

„’Tschuldige, wer ist hier bitte unhöflich“, blaffte Shiro gleich zurück, die Arme gegen die mageren Hüften gestemmt. „Auf dem Schuldach einfach rumzuplärren, bei dir hakts wohl.“

Sayaka schrak zurück, stolperte und stürzte rücklings zu Boden. Mit dem einen Arm stützte sie den Oberkörper vom Boden ab, während sie den anderen verängstigt vor sich hielt, als würde sie einen Schlag ins Gesicht erwarten. „E-E-Ein Geist!? Ein Monster! Ungeheuer, Dämon!“

„Das wird ja immer besser, was kommt denn noch für ’ne Steigerung!?“, wetterte Shiro gleich drauf los. „Ich bin weder ein Geist, noch ein Monster, Ungeheuer, Dämon oder Teufel! Wenn überhaupt bin ich der liebe Engel in dieser Geschichte, du ungehöriges Balg!“

Sayaka schlotterten die Knie. Sie wusste keine Erwiderung. Nur ein kurzer Blick reichte zu Madoka, um sich zu vergewissern, dass sie sich das Ganze nicht nur einbildete. Doch in einer Art beruhigte Madokas vereiste Erstarrung sie, denn auch sie sah fassungslos in die Richtung des ihnen fremden Jungen.

„Kei-san“, brummte Mami Tomoe, „ich dachte, wir wollten die Sache so unkompliziert, wie möglich halten.“

Shiro, der der Blondine nur als Kei Tsuyoma bekannt war, zuckte unbekümmert mit den Schultern und antwortete gelassen: „Tut mir leid, Mami. Aber das wurde langsam wirklich schwierig mit anzusehen. Ich konnte mich kaum zurückhalten, so bedauerlich war euer Gespräch.“ Zur gleichen Zeit, wie er diese Worte gesprochen, hatte sein Blick sich kurz zu einem fernen Punkt verflüchtigt. Ein kurzer Augenblick, dem Madoka völlig unbedacht folgte. Er blickte zum Schulturm, der sich seitlich zum Gebäude befand und einen guten Überblick auf das Schuldach ermöglichte. Wenngleich es auch Schülern verboten war, diesen Turm zu besteigen, erschien es Madoka kurz, als hätte sie im Schatten des kleinen Torbogens jemanden gesehen. Die unverkennbare Jacke der Mitakihara-Uniform, im gleichen Zuge mit langen schwarzen Haaren, die sich eilig aus ihrem Sichtfeld und ins Turminnere verschwanden. War das … etwa Homura?

 

„Magical Girls?“, grübelte Sayaka.

Die Mädchen saßen auf einem weichen Kissen am Tische in Mamis Wohnung. Die junge Blauhaarige legte den Kopf in eine bedenkliche Schräge, dass man meinen mochte, der Hals würde ihn nicht länger halten können. Und wo die eine Mittelschülerin mit Argwohn und Skepsis an die Erzählungen Mamis heranging, fieberte die andere mit einem Leuchten in den Augen jedem neuen Worte entgegen. War es nun ihre jungreife Neigung oder die Obsession, an Wunder und Märchen zu glauben, so lächerlich diese auch erscheinen mochten, Madoka wollte mehr wissen.

„Das klingt aber ein bisschen weit hergeholt, oder Madoka?“, grinste Sayaka und stieß die beste Freundin neckend mit dem Ellenbogen an.

„Ähm, na ja …“, brabbelte Madoka vor sich hin. Gewiss konnte sie sich nicht darauf einstellen, dass diesen Erzählungen Wahrheit innewohnten und doch konnte sie dem Verlangen kaum widerstehen, nach mehr Informationen zu fragen. So machte sich ihr Blick hektisch auf die Suche nach etwas, dass sie nicht mit einer grundsätzlichen Erwartungshaltung betrachtete. Sei es Mamis gelassener Ausdruck, der von einer gleichmütigen Fröhlichkeit erzählte oder Sayakas schillernde Keckheit, die zum Hinterfragen und Amüsieren anregte. Dann war da noch Kei, der sich vom Tisch ferngehalten und gegen eine Wand lehnend, die drei Mädchen mit einem identisch anmutenden Ingrimm zu sortieren schien, wie es Homura mit der Klasse im Kleinen, mit Madoka jedoch im Speziellen getan hatte. Als forderte er sie im stillen Maße auf, das Thema zu verlassen und sich einem anderen zu widmen. Letzten Endes entschied sich das unsichere Mädchen dafür, einfach in das Spiegelbild ihres lauwarmen Tees zu blicken. Zumindest diesen Augen würden sie nicht dazu ermutigen, Stellung zu beziehen.

„Also“, setzte Sayaka mit erhobenem Zeigefinger fort, „ich bin ja nicht ganz gegen diese Vorstellung einer Superkraft, die insgeheim der Rettung der Menschheit dient. Vielleicht kannst du uns ja mit einem Kunststück beweisen, dass du uns nicht ungeniert anflunkerst.“

„Fragte das Mädchen, dass erschrocken zusammengesackt auf dem Boden gekauert hatte, als ich einfach aus dem Nichts vor ihr erschien“, seufzte Shiro und fing sich dabei den mahnenden Blick Mamis ein.

„Das zählt nicht“, erklärte Sayaka spöttisch, als hätte die Sache erst gar nicht stattgefunden.

„Ah, ach so?“, spottete Shiro zurück. „Dann erklär mal, was zählt denn für dich als unvernichtbarer Beweis?“

„Mhm. Keine Ahnung. Ah – ich, hab’s!“ Sie nahm die Teetasse zur Hand und hielt sie zwischen Mami und Shiro in die Höhe. „macht aus dem Tee Pudding. Oder lasst die Tasse schweben. So, dass ich mit eigenen Augen sehen kann, dass es sich hier um keinen Trick handelt.“

„Echte Magie funktioniert leider nicht so“, meinte Mami verlegen.

„Außerdem sind wir keine Zauberartisten“, fügte Shiro hinzu. „Diese Magie dient nicht zur Unterhaltung, sondern zur Bekämpfung finsterer Mächte.“

„Da muss ich ihm zustimmen“, nickte Mami. „Unsere Magie ist nicht zu Wundern in der Lage. Sie ist mehr eine Erweiterung unseres Könnens. Aber“, setzte sie mit leichtherziger Miene fort, „da ich mir schon gedacht habe, dass wir euch nicht mit ein paar Geschichten überzeugen können, habe ich selbstverständlich einen anderen, unkippbaren Beweis für euch in Petto.“

„Ein …“, begann Madoka.

„Unkippbarer Beweis?“, beendete Sayaka den Satz.

Und wie, als wäre dies sein Stichwort gewesen, materialisierte sich aus dem Nichts, vor aller Augen, das kleine Wesen Kyubey. Sayakas und Madokas Augen wuchsen zur unfassbaren Größe heran, als sie dieses Phänomen einer Katze plötzlich vor sich auftauchen sahen.

„W-Was …“, brabbelte Sayaka, die keine Worte zur Vollendung des Satzes fand.

Ich begrüße euch beide, Madoka Kaname. Sayaka Miki.“

Kyubeys freundlich piepsige Stimme traf sofort den Nerv zur Beruhigung der beiden schockierten Mädchen. Wenngleich auch beiden nicht ganz zu fassen vermochten, wessen sie gerade Zeuge geworden waren, beschlich sie doch gleich eine ungewohnte Ruhe, obgleich des sehr interessanten Anblicks. Mochten Menschen schließlich Mittel und Wege finden, sich in Luft aufzulösen oder gar vor wachsamen Augen sichtbar zu werden, wie es Shiro getan, hatte noch nie jemand Zeuge einer sprechenden Katze gestanden, die sich einfach vor ihnen, zwischen Tee und Gebäck, aus der Luft heraus sichtbar gemacht hatte.

„D-Das, das ist ein Trick, oder?“, murmelte Sayaka argwöhnisch und stieß das Katzenwesen mit dem Finger an. „Aber fühlt sich täuschend echt an.“

„Ich bin auch echt“, sagte Kybei.

Statt zurückzuweichen, wie zu Anfang, plagte nun Interesse Sayakas Gemüt. Wie man eine Katze so trainieren konnte, ruhig zu sitzen und still zu verharren, gleichzeitig einen neutralen, gar desinteressierten Ausdruck zu halten, während man sie wieder und wieder mit dem Finger an verschiedene Stellen anstieß, ohne nach dem selbigen zu schnappen, erschloss sich ihr nicht. Für die Stimme kam ihr nur eine logische Erklärung: „Das ist ein Bauchrednertrick, oder?“, fragte sie Mami.

Madoka machte ein hinterfragendes Gesicht. Sie glaubte nicht, dass sich jemand so viel Mühe machte, um zwei unbekannte Schulkameradinnen hereinzulegen. Wenngleich sich ihr der Gedankensatz erschloss, warum Sayaka nicht glauben wollte, wessen Teil sie gerade Zeugen wurden. Wer wollte schon, der klar bei Verstand war, an eine sprechende Katze glauben?

Mami grinste indes auf Sayakas Anfrage. „Ich trickse euch nicht aus, keine Sorge. Das hier ist Kybey.

„Es war ihm sehr wichtig, euch einmal persönlich kennenzulernen.“

Die beiden Mädchen sahen einander ratlos in die Augen. Eine langjährige Freundschaft, die ohne Worte einen strengen Kommunikationsverkehr aufrecht hielten. Ein Dialog, wie er untereinander in Worte kaum so schnell zu fassen war, hatte binnen weniger Sekunden nur durch den schieren Augenkontakt stattgefunden. Dabei konnte Madoka aus dem Augenwinkel heraus beobachten, wie Shiro, ihr bekannt als Kei, sie, und sie allein, mit einem warnenden Ausdruck betrachtete. So als wolle er ihr eine drohende Mitteilung aussprechen, die sie jedoch nicht zu entziffern vermochte. Böse Blicke hatte sie sich schließlich noch nie einen eingefangen. Wohl aber wusste sie, wann sie vor jemandem etwas zu befürchten hatte. Dann, jedoch, entfleuchte der unfriedliche Ausdruck ihr und wandte sich dem Wesen namens Kyubey zu, der ihn, wie sie ebenfalls aus dem Augenwinkel zu erkennen vermochte, mit seinen großen runden Augen und nach hinten gebäumten Haupt, zurückstarrte. Beinahe hatte diese Haltung etwas Selbstgefälliges. Wie ein König, der seinen Sieg erklärte.

„Ich möchte“, knüpfte Kyubey dann an Mamis Aussage an, fasste beide Mädchen ins Auge und schien dabei so unschuldig, „dass ihr zwei mit mir einen Pakt schließt und zu Magical Girls werdet.“



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