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All The Little Things

"Every Little Thing" One-Shots
von  -Moonshine-

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The Other Side

Hallo liebe Leser. Bevor ihr das hier lest, hoffe ich, dass ihr einen kurzen Blick in die Kurzbeschreibung geworfen habt, wo u.a. drinsteht, dass das hier nur ein kleiner, sinnloser Ableger einer viel "größeren" Geschichte ist (von der ich mich noch nicht so einfach trennen kann). Wer das getan hat oder wem das egal ist, der kann gerne weiterlesen. :)
Viel Spaß dabei.

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Als er sie das erste Mal sah, kam sie ihm irgendwie bekannt vor. So, als hätte er sie schon einmal irgendwo getroffen, irgendwo gesehen, im Vorbeigehen, nur ganz kurz. Aber er konnte sich bei Gott nicht mehr entsinnen. Es war ja auch egal, er war schließlich nicht hier, um über irgendwelche Deja-vu’s nachzudenken, sondern um seine Arbeit zu verrichten.

Dieser Einbruch war das erste Interessante, das seit Tagen passiert war, und er war ganz froh, endlich mal aus dem Büro herauszukommen, wo er, zusammengepfercht mit Gregory, die meisten seiner Tage verbrachte, wenn mal wieder nichts los war. Nicht, dass er sich nicht freute, dass die Stadt so eine geringe Kriminalitätsrate hatte, aber er war wirklich gelangweilt. Zu Hause wartete außer seinem Hund und seiner alten Vermieterin - oder besser gesagt, fast Großmutter -, niemand auf ihn und in letzter Zeit hatte er auch die Nase voll vom abendlichen Weggehen mit Kollegen oder alten Schulfreunden gehabt. Es war immer dasselbe... eine von diesen männermordenden, aufgetakelten Frauen witterte ihre Chance und ehe er sich versah, steckte sie ihm ihre Zunge in den Mund. Und meistens blieb es nicht nur dabei... Und weil er nichts zu verlieren hatte und sowieso gelangweilt war, machte es ihm in dem Moment auch nichts aus.
Klar, wahrscheinlich war er selber Schuld. Er wusste, wie er charmant sein und Eindruck machen konnte. Das machte er ganz automatisch, ohne darüber nachzudenken. Es war aber immer wieder interessant zu beobachten, was für einen Effekt das hatte. Man musste nur ein bisschen nett und freundlich sein, ihnen den Wind aus den Segeln nehmen und sie zum Lachen bringen. Und nicht zuletzt, ihnen das Gefühl geben, das begehrenswerteste Wesen im ganzen Universum zu sein. Schon hatte man sie da, wo man sie haben wollte!
Nur wurde er langsam zu alt für so was. Als 19jähriger mochte das ja alles noch aufregend sein, aber jetzt, mit 25, hatte dieses schnelle Abenteuer seinen Reiz verloren. Seit er vor etwas weniger als einem Jahr mit Sarah Schluss gemacht hatte, waren solche Ausrutscher auch nur drei Mal vorgekommen. Nicht, dass er mitzählte, aber die Anzahl an sich war so gering, dass er sich gar nicht groß anstrengen brauchte, um es im Kopf zu behalten.
Und Sarah... seine Gedanken schweiften ab zu seiner ehemaligen Freundin. Über ein Jahr waren sie zusammen gewesen, aber mit der Zeit war sie immer fordernder, dreister geworden. Ihm war so, als hätte sie erst nach und nach ihr wahres Gesicht gezeigt. Manchmal wurde sie sogar richtig unfreundlich. Nicht zu ihm - na ja, nicht oft -, aber zu ihren Mitmenschen doch ganz sicher. Er zweifelte manchmal ihre Wertvorstellungen an. Dass sie andere verletzte, merkte sie oft gar nicht, und tatsächlich war auch sie selbst ziemlich hart im Nehmen und nahm sich gar nichts so richtig zu Herzen. Tough war sie, keine Frage, und leider auch kratzbürstig und zickig. Außerdem war sie schrecklich eifersüchtig gewesen. Und das Schlimme daran war einfach, dass sie sich immer mehr in ihre Fantasien reingesteigert und ihm die absurdesten Dinge vorgeworfen hatte! In den letzten Wochen hatte er sich gar nicht mehr als ihr Freund, sondern als ihr Eigentum gefühlt, und das wollte er ganz sicherlich nicht mehr sein. Die Beziehung zu Sarah hatte ihn müde gemacht, erschöpft, und er hatte die Nase voll gehabt von Frauen. Wollte alles ein bisschen weniger kompliziert, ein bisschen lockerer und wollte sich endlich mal wieder entspannen.
Es war nicht leicht gewesen, sich von Sarah zu trennen. Was allerdings mehr an ihr lag, als an ihm. Klar, er hatte ein schlechtes Gewissen gehabt, aber er liebte sie einfach nicht. Das hatte er ihr sowieso nie gesagt. Diese Worte waren einfach nicht für sie bestimmt, er fühlte es.
Trotzdem hatte sie sich fürchterlich aufgeregt und ihm eine richtige Szene gemacht. Der Fairness halber hatte er alle Anschuldigungen auf sich genommen und mehr als sich entschuldigen konnte er auch nicht. Zerknirscht hatte er ihr Haus verlassen und sich wirklich Mühe gegeben, denselben Trennungsschmerz zu fühlen, wie sie, aber er konnte nicht verhindern, dass die Erleichterung letztendlich doch überwog. In nächster Zeit hatte er sich von Frauen fern gehalten. Jede, die ihm auch nur im entferntesten zu Nahe kam und von sich aus die Initiative ergriff und versuchte, ein bisschen aggressiver an die Sache heranzugehen, schreckte ihn sofort ab. Was war nur los mit den Frauen? Waren sie jetzt plötzlich die Jäger geworden?
Eine Sarah-Wiederholung, das wollte er nicht.

Jetzt stand er hier mit Gregory in der verwüsteten Wohnung dieser jungen Frau, die sich schrecklich aufregte. Sie schien irgendwie ganz durch den Wind und verzweifelt, was ja auch kein Wunder war, denn ihr Zuhause war nun nicht mehr der sichere Ort, für den sie es gehalten hatte, und das war, das wusste er, immer ein Schock. So ein gewaltsamer, plötzlicher Eingriff in die Privatsphäre von Außen, das war nichts, das man einfach so abtun konnte, es saß auch später noch tief in einem drin und sie tat ihm jetzt schon leid, denn sie schien so klein und harmlos, und ganz bestimmt würde sie die erste Zeit Angst haben, dass so etwas noch einmal passieren könnte.
Greg war auch keine große Hilfe, denn während er versuchte, ihre Aussage aufzunehmen, sprachen die zwei ständig aneinander vorbei.
Sean hielt sich eher im Hintergrund, mischte sich nicht ein, und beäugte die angerichteten Schäden. Sie würde die nächsten paar Tage sicherlich damit beschäftigt sein, erst mal das ganze Chaos zu beseitigen. Es gab durchaus Einbrecher, die alles ganz ordentlich hinterließen, als wäre nichts geschehen, nur das kaputte Schloss oder Fenster und die verschwundenen Sachen zeugten von dem Eindringen, aber die hier waren anscheinend ungehobelte Klötze gewesen. Es gab kein Regal, keine Schublade, die sie ausgelassen hatten, nicht mal im Badezimmer. Trotzdem war es erstaunlich, dass bei so viel Unordnung nur so wenig fehlte: der DVD-Player, der Laptop und merkwürdigerweise eine Lampe und Töpfe!
Er hatte sich die ganze Zeit über eher für die Wohnung interessiert, als für ihre Besitzern, doch schließlich drehte er sich doch zu ihr um, um sie genauer in Augenschein zu nehmen. Ganz offensichtlich kam sie mit Gregory's trockener, gelangweilter Art, die er bei solchen Einsätzen immer an den Tag legte, nicht zurecht, und sie schienen sich misszuverstehen, was den Aufenthalt hier nicht unbedingt verkürzte.
Als er sie erblickte, war ihm, als ob ihm jemand mit einer großen Keule in den Magen schlug.
Er fand sie wunderschön. Er wusste selbst nicht, woran das lag, denn eigentlich hatte sie nicht Auffälliges an sich. Sie war nicht besonders groß und eher zierlich gebaut, ihre hellbraunen, vom Regen noch immer etwas feuchten Haare umrahmten ihr elfengleiches Gesicht mit den feinen Zügen und sie hatte eine kleine, süße Stupsnase und vor Panik weit aufgerissene, graue Augen mit ein paar Spritzern grüner Farbe darin.
Ihr Anblick fesselte ihn für einige Momente, bis er sich wieder fasste und das kurze Aufflackern seiner Sehnsucht als eine Folgeerscheinung seines Frauenentzugs abtat. Etwas anderes konnte es gar nicht sein. Manchmal überkam es ihn einfach, weshalb es dann auch zu diesen "Ausrutschern" kam. Er war eben auch nur ein Mann.

Er verfolgte das etwas seltsame Gespräch zwischen dieser jungen Frau und seinem Kollegen und musste ein wenig schmunzeln.
"Ich wurde gerade bestohlen!", teilte sie Gregory gerade verwundert mit, als hätte sie es jetzt erst begriffen, aber er schien die Verwirrung des Mädchens gar nicht wahrzunehmen, denn ganz routinemäßig und ohne sich emotional zu engagieren fragte er sie zum wiederholten Male nach der Tür, deren Schloss von den Dieben beschädigt worden war.
Entsetzt starrte sie ihn an, unfähig, etwas zu sagen, bis ihr Blick irgendwie glasig wurde und sie in die Leere stierte, ganz offensichtlich mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt. Es waren wohl keine angenehmen, denn ihre Miene machte jede Regung mit, die sich in ihrem Inneren rührte.
Sean entschied, dass das genug war. Greg war noch nie besonders einfühlsam gewesen, zumindest nicht, wenn es um etwas Geschäftliches ging. Nicht, dass er ein unsensibler Klotz war, aber er war meistens so in die Angelegenheiten versunken, dass er gar nichts merkte, was um ihn herum geschah.
"Vielleicht sollten sie sich erst mal beruhigen", riet Sean der jungen Frau und versuchte, dabei so freundlich und beruhigend wie möglich zu klingen. Er wollte sie nicht noch mehr aufregen, als sie sowieso schon war, denn das würde ihnen die Arbeit nicht unbedingt erleichtern.
Sie drehte sich zu ihm um und öffnete den Mund. Dann schloss sie ihn wieder, die Augen nicht von ihm wendend.
Sie sah so geschockt und verletzlich aus, dass ihn sofort eine Welle tiefsten Mitgefühls überrollte. Es gab wirklich gute Menschen, die keiner Fliege was zuleide tun konnten und er konnte sofort sehen, dass sie eine von ihnen war, warum also mussten solche Sachen ausgerechnet solchen Menschen passieren? Die Welt war manchmal schrecklich ungerecht.
Er versuchte, sie so vertrauenswürdig wie möglich anzuschauen und seine ganze Zuversicht in seinen Blick zu legen, doch ob es ihm gelang, das wusste er nicht, denn Greg meldete sich wieder zu Wort und wollte in seiner gewohnten Art wissen, was weiter geschehen war.
Aus irgendeinem Grund schien sie noch verwirrter als vorher. War das mit dem vertrauenswürdigen Blick also doch schiefgegangen. Stotternd versuchte sie, Gregs Fragen zu beantworten, und Sean musste hin und wieder schmunzeln, als er sah, wie sie darauf reagierte.
"Sie haben nichts an dem Zustand der Wohnung verändert, nachdem Sie uns angerufen haben?", hakte Greg nach und sah sich in der verwüsteten Wohnung um, bei deren Zustand diese Frage eigentlich unnötig gewesen wäre.
Seans Blick fiel auf den Boden. Links von ihm, etwas weiter hinten, hing eine Schublade schief aus dem unteren Teil des Kleiderschrankes heraus, dessen Türen ebenfalls sperrangelweit offen standen. Rund um die Schublade herum lagen verschiedene Teile von Unterwäsche herum. Ganz normale, aber auch ein paar hübsche Dessous, wie er anerkennend feststellen musste. Ein amüsiertes Lächeln konnte er sich nicht verkneifen. Das war bestimmt nicht der Traum aller Frauen, die Unterwäsche in Gegenwart von vier Männern - die Spurensicherung mitgezählt -, so herumliegen und offen präsentiert zu haben.
Er begegnete ihrem verängstigten Blick, als sie ihn entsetzt musterte, und ihre Wangen waren ganz rot. Die Röte reichte sogar bis zu den Ohrläppchen, was er irgendwie süß fand.
"Ich äh... am Telefon hat man mir gesagt, ich soll nichts anfassen", rechtfertigte sie sich atemlos vor ihm und ihre Augen flackerten unruhig zwischen ihm und ihrer herumliegenden Unterwäsche hin und her, als wüsste sie nicht, welcher Anblick für sie persönlich schlimmer war. Das Ganze war ihr offensichtlich peinlich und das konnte er ja auch verstehen, trotzdem hatte die Situation etwas... Interessantes. Ja, eindeutig interessant. Jede andere Frau, die er kannte, hätte ihm jetzt kokett zugezwinkert und, vielleicht wenn Greg und die anderen nicht hier gewesen wären, etwas Anzügliches bemerkt.
Ganz plötzlich verspürte er das unerklärliche Verlangen, sie ein bisschen zu ärgern. Er wusste, es war gemein, wo sie doch sowieso schon in dieser unmöglichen Situation steckte und ganz offensichtlich eher der stille, zurückhaltende Typ war, der so etwas nicht gut vertrug, aber er konnte einfach nicht anders und er wusste auch nicht, weshalb.
Deshalb lächelte er nur schweigend über ihre Unbehaglichkeit und brachte sie dazu, sich noch unbehaglicher zu fühlen, was ihm auch sofort wieder leid tat. Und dann wiederum auch nicht.
Greg lenkte sie wieder von ihm ab, indem er sie mit noch mehr Fragen bombardierte, bis er endlich mit seiner ewigscheinenden Vernehmung fertig war.
"Wir melden uns bei Ihnen. Mein Kollege wird Ihre Personalien aufnehmen", fügte er noch an, steckte seinen geliebten Kugelschreiber wie gewöhnlich wieder zurück in seine Brusttasche und wandte sich ab. Ganz langsam drehte sich die Frau zu Sean um und bedachte ihn mit einem argwöhnischen Blick. Sie traute ihm nicht so recht über den Weg, das merkte er sofort, und, genauso wie eben, mit derselben Urgewalt und wie aus dem Nichts kommend, überwältigte ihn das Verlangen, das zu ändern. Er wusste nicht, woher es kam und er war machtlos dagegen, also lächelte er sie wieder beruhigend an und versuchte, bloß nichts zu machen oder zu sagen, das sie noch mehr verschrecken könnte. Im Moment erinnerte sie ihn an ein Kaninchen, das in der Falle saß und vor Furcht nicht wusste, wohin. Er mochte Kaninchen.
"Ihren Ausweis müsste ich sehen", sagte er sanft, mit leiser Stimme, als fürchtete er, sie würde ihm davonlaufen, wenn er zu laut werden sollte.
Als sie ihren Pass mit zittrigen Fingern aus der Geldbörse hervorholte und sich vor Anstrengung auf die Unterlippe biss, wurde ihm klar, dass ihr der Schreck noch tief in den Knochen steckte, und am liebsten hätte er alles fallen gelassen und sie in seine Arme gezogen, ihr gesagt, dass alles wieder gut wird und dass niemand sie mehr behelligen wird. Da an ein solches Verhalten mitten im Dienst und noch dazu mit einer fremden Frau nicht zu denken war, beschränkte er sich darauf, so freundlich und vorsichtig wie möglich zu sein, während er in ihrer Nähe war. Er nahm den Ausweis entgegen, den sie ihm schließlich hinhielt und schrieb sich alle wichtigen Daten auf. Dabei entging ihm nicht, wie sie hieß und wann sie Geburtstag hatte.
Emily. Das war ihr Vorname. Er passte zu ihr. Er klang genauso sanft und zerbrechlich, wie sie aussah und er fand ihn ebenfalls wunderschön. Und sie war 21, also war seine Annahme, dass sie um ein paar Jahre jünger war als er, richtig gewesen. Es verstärkte nur sein Bedürfnis, sie zu umarmen und ihr beruhigende Dinge ins Ohr zu flüstern. Und vielleicht ein paar Unanständige, nur ein bisschen. Sofort schämte er sich ein wenig für seine Gedanken. Es war wirklich unmöglich von ihm, in so einer Situation an so was zu denken. Die arme Frau war gerade ausgeraubt worden und er hatte nichts besseres zu tun, als seine Fantasie schweifen zu lassen. In Gedanken versunken gab er ihr ihren Ausweis wieder zurück und merkte erst da, dass er sie die ganze Zeit geistesabwesend angesehen hatte. Sie senkte den Blick und wandte sich ab, als sei es ihr unangenehm, dass er sie gemustert hatte. Kein Wunder, wer mochte es schon, angestarrt zu werden?
Er wusste gar nicht, was in ihn gefahren war. Wie schaffte es diese hübsche, junge Frau, ihn so aus dem Konzept zu bringen und solche Gefühle in ihm auszulösen, obwohl er sie doch gar nicht kannte? Er musste sich eingestehen, dass es doch nicht wie immer war, wenn er mal wieder kurz vor einem "Ausrutscher" stand. Es war viel.. stärker. Intensiver. Irgendwie endgültig. Und anders.
Ja, es war anders. Es war nicht dieses heftige, kurzzeitige Verlangen, das schnell wieder abebbte. Es war in aller erster Linie viel mehr... das Bedürfnis sie festzuhalten und zu beschützen und das Gesicht in ihren weichen Haaren zu vergraben und ihr langsam, ganz langsam die Kleider von den Schultern zu streifen und... Okay. Vielleicht war doch ein bisschen Verlangen dabei. Ein kleines bisschen zumindest.
Doch so unglücklich, wie sie gerade aussah, konnte er sie nicht stehen lassen. Er konnte einfach nicht. Aber er konnte auch nichts tun, als einfach nur nett zu ihr zu sein, deshalb bemühte er sich um einen besonders liebevollen Tonfall, als er seine nächsten Worte sprach.
"Darf ich Ihre Telefonnummer haben?"
Kaum ausgesprochen, wurde ihm bewusst, wie sich das anhörte. Normalerweise nahm er die Daten der Menschen, die sich an die Polizei wandten, ganz sachlich auf, und nicht so, als würde er mit ihnen flirten!
Sie schien es wohl auch bemerkt zu haben, denn sie blickte sofort auf und starrte ihn aus ihren grauen Augen mit den vorwitzigen grünen Flecken darin ungläubig an.
Oh, er war ein Mistkerl, das wusste er. Er hatte es ihr nur leichter machen wollen und jetzt hatte er ihr das Gefühl vermittelt, als wollte er ihre Nummer für private Zwecke. Was musste sie von ihm denken? Der lüsterne Polizist, der die sowieso schon katastrophale Situation einer hilflosen Frau, die fast mit den Nerven am Ende war, auch noch für persönliche Zwecke ausnutzte?
"Damit wir uns mit Ihnen in Verbindung setzen können", fügte er eilig an, um mögliche Missverständnisse aufzuklären und seinen Fehler wieder gut zu machen.
Erschöpft und mutlos sagte sie ihm die Nummer und er schrieb sie sich auf und – obwohl er es nicht wollte und nicht beabsichtigt hatte-, merkte sie sich. Ein letztes Mal, bevor er gehen musste, sah er sie an. Er hätte stundenlang da stehen und sie anschauen können, den sanften Schwung ihrer Mundwinkel, die beide freudlos und unglücklich nach unten zeigten. Es schien, als hätte sie resigniert, zumindest wirkte sie nicht mehr halb so aufgebracht wie am Anfang. Er fragte sich, wie sie aussah, wenn sie lächelte. Er hätte es nur allzu gern gesehen. Ob der matte Ausdruck in ihren Augen dann verschwunden wäre?
"Danke." Er warf ihr in einem letzten Versuch ein aufmunterndes Lächeln zu. Mit dem einzigen Ziel und der Hoffnung vor Augen, dass sie womöglich zurücklächeln würde, wie viele es ganz automatisch machten. Doch sie tat es nicht und er registrierte, dass er irgendwie enttäuscht war, ihr nicht einmal ein müdes, kleines Grinsen entlocken zu können.
Dann wandte er sich zum Gehen und sein Blick streifte wieder die Schublade mit der herumliegenden Unterwäsche. Ihr beschämtes Gestotter fiel ihm ein, dass sie nichts hatte anfassen dürfen und er wusste nicht, welcher Teufel ihn da wieder ritt, als er sich zu ihr umdrehte und sie vielsagend angrinste, so wie schon viele Frauen vor ihr.
"Sie dürfen jetzt übrigens ihre Wäsche wegräumen."
Kurz bevor er aus der Eingangstür herausglitt, fing er noch ihren entsetzten Blick auf und sah, wie ihr Mund fassungslos herunterklappte. Seine Laune besserte sich ein wenig, wenn auch nicht für sehr lange. Er war irgendwie stolz, dieses hübsche Wesen aus der Fassung gebracht zu haben, gleichzeitig aber machte sich da ein unangenehmes Gefühl in ihm breit. Ein Unwille zu gehen, sich immer weiter von ihr zu entfernen.
Aber er musste. Er hatte Arbeit. Und was immer dieses Mädchen mit ihm angestellt hatte, es würde warten müssen. Zumindest, bis sie sich ein bisschen erholt hatte. Sie war ganz klar viel zu verwirrt und er, er war an diesem Abend auch nicht ganz derselbe gewesen.
Wenn das Schicksal wollte, sagte er sich, würden sie sich schon wiedersehen. Die Tatsache, dass er Zugang zu der in wenigen Stunden angelegten Akte mit ihrer Adresse, Telefonnummer und Aussage haben würde, würde dem Schicksal schon ein wenig auf die Sprünge helfen, falls es gedachte, sich zu viel Zeit zu lassen...


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