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In an other world

my little paradise
von

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Weihnachten, schon wieder. Jedes Jahr, das Fest der Liebe. Lachende Gesichter, strahlende Kinderaugen, lächelnde Mütter und Väter die mit ihren Kindern spazieren gehen. Weiße Kristalle fallen vom Himmel, die Bäume und Sträucher glitzern und die Tannenbäume erstrahlen in hellem Licht. Weihnachten, schon wieder. Und wie jedes Jahr wünsche ich mir, ich könnte es auch genießen. Wünsche mir eines dieser Kinder zu sein, die strahlend durch die Straßen gehen, ihre Mütter und Väter an der Hand, lachend. Wünsche mir, wie jedes Jahr, das Weihnachten schön wird. Ich träume in meinem Zimmer, die Roll-Laden sind unten und mir ist kalt. Ich denke daran, dass ich dieses Jahr wieder alleine sein werde. Um mich herum sind Menschen, ich liebe diese Menschen, ich will bei ihnen sein. Wir feiern jedes Jahr zusammen. Meine Familie ist da, ich bin unter ihnen, wir werden auch dieses Jahr wieder gemeinsam feiern, doch ich werde wieder alleine sein. Alleine mit meinen Gedanken. Alleine mit mir selbst, einsam unter so vielen Menschen. "Guck mal, das hat mir Papa heute gekauft. Hübsch nicht wahr? Hast du was?" lächelnd sehe ich meine Schwester an. "Nein, ich hab nichts! Ja, sehr schön! Wart ihr auf dem Weihnachtsmarkt?" "Ja! War ziemlich kalt und viel Gedränge, wir haben Mandeln gegessen und Fischbrötchen und ich durfte Cola trinken!" sie strahlt mich an. Sie lacht glücklich. Dann rennt sie wieder hoch, sie sagt ihrem Papa auf wieder sehen, dann geht sie in ihr Zimmer. Lächelnd sehe ich zur geschlossenen Tür, weiß und kalt, gefühllos. Der Weihnachtsmarkt, wie gerne würde ich auch mal wieder auf einen Weihnachtsmarkt gehen. Würde gerne Zuckerwatte essen, mir ein Lebkuchenherz kaufen, mit Mama und Papa lachen, einfach nur glücklich sein. Doch das letzte Mal liegt schon lange zurück. Zu lange, ich kann mich nicht daran erinnern. Wie lange ist es jetzt her? Ich weiß es nicht. Ich träume weiter vor mich hin, dann reißt mich die Stimme meiner Mutter aus den Gedanken. "Du hast ja immer noch nicht aufgeräumt! Solange du hier nicht aufgeräumt hast gibt es nichts mehr! Weihnachten ist dieses Jahr gestrichen!" Die Türe knallt ins Schloss. Ich sehe traurig und verletzt durch den Raum. Auf dem Boden liegen Anziehsachen und Hefte, auch andere Dinge liegen hier verstreut, doch zum aufräumen fehlt mir die Kraft. Ich bin es so leid, ich bin es leid immer nur zu geben. Weihnachten fällt also aus. Was macht das schon? Mir ist Weihnachten egal geworden. Ich schreibe schon lange keine Wunschzettel mehr, habe aufgehört mich auf Weihnachten zu freuen. Es klopft, dann tritt meine Schwester wieder ein. "Kannst du bitte noch das Bad sauber machen? Das ist ja eklig!" Dann geht sie wieder, wartet nicht auf eine Antwort. Seufzend sehe ich wieder auf die geschlossene Tür, in Gedanken sage ich ja, doch tief in meinem Herzen sage ich nein. Habe auch dafür keine Kraft, keine Lust. "Jetzt mach schon, sonst kommen sie wieder rein und sagen dir wie faul du bist! Los, beeil dich! Du musst!" Ein Stich in meinem Herzen macht sich bemerkbar, die Stimme in meinem Kopf hat Recht. Ich muss es tun, ich habe keine Wahl. Ich bin faul, ich bin unnormal. Ich muss es schnell tun, bevor sie wieder schimpfen. Ich verliere immer mehr Lust und Kraft. Ich weiß ich muss es tun, doch je mehr ich daran denke, desto Lustloser werde. Müde, so unendlich müde. Ich glaube ich werde krank. Schon wieder. Wie immer. Ich bin immer krank. Dauernd fehle ich in der Schule. Ich darf nicht krank sein. Wenn ich krank bin ist Mama wieder böse und Papa schimpft wieder und dann haben Mama, Papa und ich wieder Streit. Das ist immer so. Es gibt keinen Tag an dem es keinen Streit gibt. Früher war das anders. Früher da war ich die jüngste in meiner Familie, da hatte ich noch keine Pflege-Geschwister.

Damals waren alle lieb zu mir und ich war glücklich, sie haben alle gerne mit mir gespielt und haben mit mir gelacht. Da haben Oma und Opa mich in Schutz genommen, wenn Mama und Papa geschimpft haben, da hat Papa noch mit mir gespielt und mich angelacht. Aber das ist schon lange her. Ich weiß nicht mehr wann es anfing, nicht mehr genau, aber ich weiß, dass wir damals das erste Pflegekind aufgenommen haben. Mama und Papa haben mich gefragt ob ich ein Geschwisterchen haben möchte. Doch als Sandra damals kam, wurde alles anders, als es war. Ich war nicht mehr die süße kleine, ich hatte Verantwortung, ich hatte Pflichten, plötzlich war ich ein Stückchen erwachsen geworden. Damals war ich glaub ich fünf Jahre alt.

Nach Sandra gab es noch Pascal, nach Pascal kamen Kevin und anschließend noch seine Schwester Kaya. Während wir Kevin und Kaya hatten, waren da noch Andreas und später Tim und Sarah. Tim ist wieder weg, doch seine Schwester Sarah wohnt noch immer hier, nur für wie lange, das weiß keiner. Heute bin ich fünfzehn und es sind zehn Jahre seit damals vergangen, als mir zum ersten Mal bewusst wurde, wie wechselhaft Familie doch sein kann. Liebe bekommt man wenn man klein und niedlich ist, wenn alle denken, das man noch unschuldig ist. Ich bin nicht mehr klein und niedlich und auch nicht unschuldig, ich bin schon groß, fast erwachsen, schon seit zehn Jahren. Mein Weltbild ist zerbrochen, ich kann nicht mehr glauben, das es die Liebe wirklich gibt, so wie man oft von ihr erzählt, all die Märchen und Geschichten, die man den kleinen Mädchen erzählt, wenn sie noch glauben, dass es den Weihnachtsmann wirklich gibt. Der Weihnachtsmann, wie gerne würde ich an ihn glauben, wünschte es gäbe ihn wirklich, wünschte, er würde mir meinen Wunsch erfüllen. Doch es gibt ihn nicht. Genau so wenig wie den Osterhasen, das Christkind und den Nikolaus. Das sind nur Märchen, nur Illusionen. Alles nur Lügen.

"Was machst du?" ein vorwurfsvoller Ton, ein böser Blick. Meine Mutter steht im Rahmen und sieht mich lauernd an. "Nichts" antworte ich ehrlich. "Das sehe ich! Wenn du meinst, du müsstest in diesem Hause nichts tun, bitte! Dann tun wir für dich aber auch nichts mehr!" Dann ist sie wieder weg. Wieder sehe ich nur noch die weiße Türe, geschlossen, wie immer. Ich friere, aber die Heizung mache ich nicht noch höher, auch das Gebläse mache ich nicht an. Mama hat geschimpft, wir müssten so viel Geld nachbezahlen, weil wir zu viel Strom brauchen. Ich sollte das Gebläse nicht immer anhaben. Also friere ich weiter. Will nicht wieder geschimpft bekommen.

Ich sehe auf den Boden, ich sollte aufräumen, hat Mama gesagt. Ich will mich bewegen, doch mein Körper reagiert nicht, ich sitze nur still schweigend da, kann mich nicht rühren, bin wie gelähmt und Tränen bahnen sich ihren Weg über mein Gesicht um auf dem Boden zu zerspringen. Sie sterben, leben nur für kurze Zeit. Wie wäre es wohl eine Träne zu sein, denke ich. Stelle mir vor, wie es wäre wenn ich jetzt auf dem Boden zerspringen würde, einfach gehen würde und nicht mehr zurück kommen würde. Frage mich im Stillen, ob sie weinen würden, ob sie mich vermissen würden. Zweifle an der Liebe meiner Familie, zweifle an meinem Leben, zweifle an mir, zweifle an allem was mir vorher so wichtig erschien. Noch immer sitze ich da, sehe hinab und träume davon zu fliegen, ganz weit weg, in der Nacht, wenn die Sterne leuchten und der Mond mir den Weg weist ins Paradies. Lächelnd sitze ich da, weine still vor mich hin und niemand weiß, das diese Tränen existieren, das sie in diesem Moment sterben, niemand weiß, wie ich gerade leide.

"Essen kommen!" schreit Papa von oben. "Ja!" rufe ich automatisch zurück. Keine Kraft mich zu erheben. Keine Lust jetzt hinauf zu gehen und die anderen zu sehen. Weinend, überlegend, leidend. Dann wische ich mir die Tränen weg. Ich erhebe mich und sehe mich schweigend im Zimmer um. Meine Hand ruht auf der Türklinke. Im Fenster gegenüber sehe ich mich selbst. Ich lächle, doch mein Spiegelbild lügt. Ich weiß es. Denn ich spüre die Tränen in mir drin, als ich schweigend und lächelnd die Türe öffne und die Treppen zum Wohnzimmer hochsteige..

Es ist gleich acht Uhr, draußen ist es dunkel, ich sitze in meinem Zimmer und lausche der Stille die nur in den wenigen Stunden herrscht, in denen es Nacht ist. Ab und an hört man noch jemanden reden, draußen vor meiner Tür geht meine Schwester her und meine Mutter sitzt am Computer. Sarah ist bereits ins bett gegangen und ich höre nur den Wäschetrockner piepen und die Uhr auf dem Nachtschränkchen neben meinem Bett tickt leise und stetig vor sich hin.

Ich schaue wieder auf den Boden, noch immer habe ich ihn nicht aufgeräumt. Noch immer habe ich das Bad nicht sauber gemacht. Ich wollte es, wirklich, habe auch schon angefangen das Bad zu säubern, doch irgendwann als ich den Schrank geöffnet habe, da sah ich ihn. Der Rasierer lag da, unschuldig, doch so gefährlich.

Scharfe Klingen, so scharf und doch so erleichternd. Die Klingen sind kalt und aus glänzendem Metall. Doch ich habe sie rot gefärbt. Meine arme brennen, die Schnitte sind nicht tief, aber tief genug um zu bluten, um weh zu tun, um den Schmerz in mir drinnen zu überdecken. Nachdem ich es wieder getan hatte, war die Kraft um weiter zu machen mit dem putzen einfach weg. Ich habe mich wieder zurück gezogen, zurück in mein Zimmer. Habe mich der anderen Welt hingegeben. Dort bin ich öfter. Immer wenn es mir nicht gut geht, wenn ich traurig bin, wenn ich weinen möchte. Immer wenn ich die Augen schließe, dann sehe ich sie vor mir. Diese andere Welt. Ein kleines Stück vom Paradies, nur für mich allein. Dort ziehe ich mich zurück, wenn ich mich einsam fühle. Dann laufe ich durch die Wiesen, pflücke Blumen und mach daraus einen Blumenstrauß. Dort lache ich mit der Sonne um die Wette, fliege mit den Vögeln, lasse den Wind mit meinen Haaren spielen und schaue den Sternen zu, wie sie um die Wette funkeln. Tag und Nacht bin ich dort. Kann dort ich selbst sein. Und ich weigere mich meine Welt wieder zu verlassen, will nicht mehr erwachen, würde gerne für immer dort bleiben. Aber manchmal, wenn ich in meinem Paradies bin, merke ich wie einsam es dort ist. Es ist niemand da, dem ich den Blumenstrauß schenken kann, es sieht niemand wie ich lache, niemand fliegt mit mir, niemand spürt mit mir den Wind und niemand ist bei mir, wenn ich den Sternen zuschaue. Niemand sieht mein wahres Ich. Dann werde ich traurig, fange an zu zweifeln, ob es richtig ist, dort hin zu verschwinden, wenn mir zuhause in meinem Leben die Decke auf den Kopf fällt. Eine Sucht, die von mir besitz ergriffen hat, meine kleine Welt, die ich liebe, für die ich alles geben würde, in der ich wirklich lebe.

Ich schaue auf die Uhr, gleich halb zehn, schon wieder, hab gar nicht bemerkt wie die Zeit vergangen ist. Ich kann noch nicht schlafen, will noch nicht schlafen, möchte die Ruhe genießen, so lange es geht, genieße es, einfach nur da zu sitzen und zu lauschen, spüre die Sehnsucht nach mehr, Sehnsucht nach jemandem, der diese Ruhe mit mir teilt. Der mich einfach in den Arm nimmt, mit mir schweigt und einfach nur da ist.

Wieder bemitleide ich mich selbst, wieder sehe ich mit großen, traurigen Augen aufs kalte Fensterglas, sehe mich selbst, wie ich dort auf dem Bett sitze, die Beine angezogen, die Haare fallen mir ins Gesicht, einzelne Tränen hinterlassen feuchte Spuren auf meinen Wangen und ein falsches Lächeln ziert meine schmalen, blassen Lippen. Wässrige Augen sehen mir entgegen, rot gequollen vom weinen. Ein heiseres Lachen entweicht meiner Kehle. Das bin nicht ich, das Fenster lügt. Das bin nicht ich. Das kann nicht sein. Nein. Das darf nicht sein!

Schnell wische ich die Tränen weg, richte meine Haare, drücke die Lippen fest aufeinander, damit sie wieder Farbe bekommen und setze ein glückliches Lächeln auf, welches nicht so falsch aussieht und doch noch falscher ist, als das davor.

Schon kommt meine Mutter ins Zimmer, sieht sich um, sieht mich an. "Ich geh jetzt hoch, ich kann nicht mehr. Ich bin müde. Wann hast du morgen Schule?" "Um acht" ich sehe sie nicht wirklich an, rede einfach, hoffe, dass es auf die Frage passt, da ich nicht wirklich höre was sie sagt, rate nur, da es eh jeden Abend das gleiche ist. "Gut, dann mach auch langsam mal Schluss! Du kommst morgen sonst nicht raus!" Dann beugt sie sich rüber und gibt mir ein Küsschen. Ich erwidere nichts. Wüsste nicht, was ich sagen sollte. Die Türe schließt sich wieder und meine Mutter geht die Treppen hoch, ins Schlafzimmer. Ich lausche ihren Schritten und den Geräuschen der Türe, dann ist es ruhig.

Seufzend sehe ich mich noch einmal um, dann lege ich mich hin, starre noch lange an die Decke. Denke nach, versinke in Erinnerungen, lasse den Tag noch einmal Revue passieren. Irgendwann schlafe ich ein. Dann bin ich wieder alleine, alleine in einer anderen Welt. Wieder im Paradies. Träume und will nie mehr erwachen. Ich lächle, selbst mein schlafender Körper ist entspannt. Mein Atem geht ruhig. Das Paradies gehört in diesen Nächten nur mir. Dort lebe ich, bis mich am nächsten Morgen die Realität erneut zurück holt...

An Mama und Papa

Ihr fragt euch sicher, warum ich euch einen Brief schreibe, nicht wahr?

Nun, ich werde es euch sagen, ich schreibe euch diesen Brief, weil ihr mir nicht zuhören würdet, würde ich versuchen es euch persönlich zu sagen. Und ich habe Angst vor euren Reaktionen. Ich könnte es euch nicht ins Gesicht sagen, schon alleine, weil ich dabei anfangen würde zu weinen. Ich will nicht, dass ihr seht wie ich weine, will nicht, dass ihr meine Tränen seht. Ihr würdet schimpfen, würdet mich egoistisch und faul nennen, undankbar bin ich in euren Augen, ihr würdet es nicht verstehen, mich nicht ausreden lassen, würdet Argumentieren, eure Sicht darstellen. Darum schreibe ich euch diesen Brief hier. Nur geben, dass werde ich ihn euch nie. Dieser Brief wird niemals da ankommen, wo er hin soll. Er wird für immer ungelesen bleiben, wird niemals diese Worte überbringen. Und doch schreibe ich ihn, adressiere ihn an euch. Und ich schreibe in ihm was mir auf dem Herzen liegt. Schreibe alles auf, was ich euch immer schon sagen wollte. Berichte euch hier was ihr nie erfahren werdet.

Ihr fragt euch was so wichtig ist? Wollt wissen warum ich eure Zeit verschwende?

Ich habe Durst!

Durst auf Liebe und Verständnis!

Ich bin bescheuert? Ja, ich bemitleide mich selbst! Ich bin krank, ich bin nicht wie ihr, ich passe nicht in diese Familie, die anderen sind viel bessere Kinder nicht wahr? Sie sind auch manchmal böse, machen Unsinn und sind frech, aber ihr liebt sie trotzdem nicht wahr?

Mich habt ihr auch lieb oder?

Das sagt ihr doch immer! Ihr sagt doch immer, dass ich auch dazu gehöre, dass ich euer Kind bin, dass ihr mich lieb habt.

Was ich damit bezwecke es hier auf zu schreiben?

Ich möchte es wissen!

Möchte es hören! Möchte es in euren Augen sehen!

Ich habe Angst, Angst das zu verlieren was ich glaube, nie besessen zu haben. Angst, es bereits verloren zu haben. Ich friere, ich friere wenn ihr mich anseht, friere wenn ihr mit mir redet, friere wenn ich in eurer Nähe bin, friere wenn ich an euch denke. Das kalte Licht der Lampen und die eisige Stille lassen mich erfrieren. Ich leide. Ihr seht es nicht, bemerkt nicht wie mein Herz zerspringt. Ihr seid nicht da, wenn ich die einzelnen Scherben meines zerbrochenen Herzens wieder einsammle und zusammenfüge, in der Hoffnung, dass es diesmal ganz bleibt. Gestern dachte ich, ich würde sterben vor Freude, als du, Mama, sagtest, wir könnten auf den Weihnachtsmarkt gehen. Wir sind hingefahren Mama. Wir sind wirklich hingefahren. So lange ist es her, aber gestern waren wir zusammen auf einem Weihnachtsmarkt! Aber schon bevor wir dort ankamen gab es wieder Streit. Ich war traurig Mama.

Als wir dort waren, hast du gesagt, ich würde ein Lebkuchenherzchen bekommen. Ich wollte mir eins aussuchen, aber die waren so teuer. Und ich wollte so gerne eins dieser Schwerter, statt einem Lebkuchenherz. Ich dachte du würdest das Geld vom Lebkuchenherz dazu tun, ich dürfte mir eines der Schwerter kaufen. Aber ich hatte kein Geld dabei, ich hätte es mir leihen müssen. Die Schwerter waren so schön, wie gerne hätte ich eines gehabt. Aber ihr habt es mir verboten. Ihr habt gesagt, für so einen ,Scheiß' würdet ihr kein Geld ausgeben. Papa muss dafür drei Stunden arbeiten. Ich war verletzt. Ich war sehr verletzt. Ich habe mir schon lange ein Schwert gewünscht. Für mich ist das nämlich kein ,Scheiß'. Ich war traurig und dann gab es wieder Streit. Doch ihr seht nicht ein, dass ich Schwerter besser finde als Lebkuchenherzen und Karussell fahren. Für Sarah habt ihr Geld ausgegeben. Sie ist Karussell gefahren. Wie aufregend. So etwas tolles kann man natürlich nicht mit einem Schwert vergleichen. Wer käme schon darauf ein Schwert zu kaufen, statt einem Karussellticket oder einem wunderbaren Lebkuchenherzen.

Aber das ist nicht eure Welt. Ich sehe das anders als ihr. Doch für euch ist es sinnvoller Geld auszugeben, wenn Sarah Spaß dran hat. Wie gerne ich dieses Schwert gehabt hätte, davon ahnt ihr nichts!

Auf dem Weihnachtsmarkt war ein Musiker, er hat gesungen, ein Lied, in dem er dem Weihnachtsmann einen Wunschzettel schreibt. Wunschzettel, damals schrieb ich auch welche. Aber damals ist schon lange her!

Heute schreibe ich keine mehr, habe aufgegeben welche zu schreiben. Bin es leid mir Gedanken zu machen, was ich mir wünsche. Bin es leid mich darauf zu freuen, bin es leid traurig zu sein, wenn am Weihnachtsabend nicht ein einziges Geschenk meines Wunschzettels unterm Weihnachtsbaum liegt. Ich bekomme doch so wie so nicht das, was ich mir wünsche, warum sollte ich da noch einen Wunschzettel schreiben?

Und an den Weihnachtsmann glaube ich auch nicht mehr, den gibt es nicht, sonst müsste ich an Weihnachten nicht traurig sein und ein falsches Lächeln aufsetzen, wenn ich die Geschenke auspacke. Falsch, weil ich mich nicht wirklich freuen kann. Setze es trotzdem auf, denn man will ja nicht, dass alle denken, man würde sich nicht freuen, man will ja nicht, dass es wieder Streit gibt. Niemand soll sich traurig fühlen an Weihnachten, niemand soll denken, ich würde mich nicht freuen über die Geschenke, die ich mir nie gewünscht habe!

Welchen Sinn ergeben Wunschzettel, wenn sie niemand liest? Was nützen sie einem, wenn derjenige der sie bekommt alle Wünsche für zu teuer oder nicht wünschenswert hält?

Ich schreibe euch zu viel?

Dann höre ich wohl besser auf!

Aber eines möchte ich dir noch sagen Mama:

Gestern, da waren wir auf einem Weihnachtsmarkt, Mama!

Gestern, da war ich für einen kurzen Augenblick glücklich!

Wir waren alle zusammen auf einem Weihnachtsmarkt!

Aber ich habe nicht bekommen was ich wollte!

Ich soll aufhören mit dem blöden Schwert?

Aber Mama, ich meinte doch gar nicht das Schwert!

Gestern, da waren wir auf einem Weihnachtsmarkt!

Gestern, war ich wieder alleine!

Und ihr wart auch da!

Ich hab neben euch gestanden!

Sarah ist Karussell gefahren, Papa hat ihr zugewinkt und zugelächelt!

Wir waren nur sehr kurz dort! Ich war traurig!

Dabei ist es schon so lange her, dass ich mit euch zusammen auf einem Weihnachtsmarkt war!

Ich hatte es mir so sehr gewünscht!
 

Gestern, da waren wir auf einem Weihnachtsmarkt Mama!

Und für einen kurzen Augenblick war Weihnachten wieder schön...

Freitag, der zwanzigste Januar Zweitausendsechs und ich wünschte dieser Tag wäre aus dem Kalender gestrichen worden. Ein Tag wie jeder andere, doch für mich einer der schrecklichsten meines Lebens, der so viel neues brachte, so viel veränderte und doch, er hat so wenig für mich getan, mir so wenig Glück gebracht. Er hat mir nur weh getan. So wie jedes Jahr. Immer wieder. Der zwanzigste Januar. Mein Geburtstag!
 

Am Morgen sah alles noch so schön aus, meine Eltern, Kevin und Kaya, Sarah, sie haben mir gratuliert. Ich habe Geschenke bekommen, schöne Geschenke, ich habe mich seit langem wieder über meine Geschenke gefreut. Nicht nur ein wenig, oder nur gespielt. Ich hab mich gefreut.

Da war die Welt noch in Ordnung. Hätte ich gewusst, was der Tag noch bringen würde, ich wäre nie aus dem Haus gegangen, wäre nicht hoch gekommen, als mein Besuch kam, ich hätte den Tag an mir vorbei ziehen lassen, bis er in unendlicher Ferne gewesen wäre, solange bis niemand mehr daran gedacht hätte. Vielleicht wäre das nicht einmal solange gewesen. Vielleicht hätte es nur einen Tag gebraucht.
 

In der Schule fing es an. Nicht mit Absicht, nicht böse gemeint, aber schmerzend, verletzend, nicht begreifbar für das kleine Ding in meiner Brust, das sich mein Herz nennt.

Als ich in der Schule ankam war das erste was ich hörte "Jenny hat heute Geburtstag!" und sie strahlte mich an, Nicole, eine Klassenkameradin. Ich lächelte und sagte nur "Ich weiß!", dann sah sie mich an, überlegte, bis ihr einfiel, dass heute auch mein Geburtstag war. Ein "Herzlichen Glückwunsch!" dann war ich wieder uninteressant. Ich stand nur daneben und lächelte. Doch tief in mir schrie mein Herz sie an. Ich konnte nicht hinsehen, schaute weg. Ich schluckte meinen Frust hinunter und sah auf. Lächelnd, damit niemand etwas bemerkte, damit niemand fragte. Doch ob sie gefragt hätten, da bin ich mir nicht einmal so sicher.

Wenige Minuten später kam Katrin dazu, und Gordy, ein Mädchen aus der Nachbarklasse. Wieder Glückwünsche. Dann ein erneuter Schlag ins Gesicht, als Katrin mir sagte, dass sie an diesem Tag nicht zu meiner "kleinen" Feier kommen könne. Ich lächelte und schluckte, dann sagte ich, es wäre okay. Wir redeten belangloses Zeugs, ich stand nur da, ich sah durch alles und jeden hindurch, merkte nichts mehr. Das Lächeln auf meinem Gesicht wurde zur Gewohnheit an diesem Tag. Eine Gewohnheit, die wie eine Maske mein Gesicht versteckte, die Tränen verbarg, die ungeweint zu Boden stürzten, um ungesehen zu zerspringen, zu sterben. Wir gingen hoch, Unterricht, von hier und da ein paar herzlose Glückwünsche, immer wieder ein Danke, ein lächeln, ein kleiner Stich mehr, doch ich bemerkte es nicht. Wollte es nicht bemerken. Wollte nur noch weg, fort von hier. Mir ging es schon seit drei Tagen nicht gut, hatte Schwindelanfälle, bekam Kopfschmerzen und spürte die Übelkeit in mir aufkommen. Und dann, wieder ein kräftiger Schlag ins Gesicht. Hatte ich vorher noch Jenny gratuliert und sie mir, so saß ich nun in der Klasse auf meinem Platz und sah zu, wie Jenny die Kerzen auf dem Kuchen ausblies, alle sie umjubelten und sie strahlte und lachte, während ich hart schlucken musste, um nicht weinend raus zu rennen, mein Lächeln aufsetzte und ihr fröhliche Dinge zurief, ihr Mut machte, sie anfeuerte und dabei mein Herz immer mehr verlor. Stückchen für Stückchen, bis nur noch ein leerer Fleck in mir herrschte, der mich zu verschlingen drohte. Ein kleines Stückchen Eis, das härter als Stein war, mich frieren ließ, doch mich nicht daran hinderte, das kleine Spielchen, dass man Leben nennt, fortzusetzen.
 

Mir wurde immer schlechter, alles drehte sich erneut, wieder wurde mir schummrig und ich hielt es letztendlich nicht mehr aus, ließ mich entlassen, wollte für diesen Tag nur noch weg, weg von all den Leuten, die mir unbewusst so weh taten, dass ich mich selbst nicht mehr aushielt, mich zerreißen wollte, mich betäuben wollte, mich und diesen Schmerz, der mich lähmte, bis ich keine Kraft mehr hatte, das lächeln zu erhalten und den Tag zu überstehen.
 

Es wurde besser, für kurze Zeit. Wieder zum Arzt, untersuchen lassen. Nichts feststellen können. Nach Hause, dort wartete der erste Besuch. Oma und Opa, die Eltern meiner Mutter, sie waren bereits da, ich wurde begrüßt, ich dachte, es könne nur besser werden.

Dann endlich, das Kaffee trinken, welches ich eigentlich nicht leiden kann. Ich bemühte mich, doch irgendwann war dann Schluss mit meinem Verstand. Ich verweigerte Sarah ein Stückchen von dem Kuchen, den meine Mutter für mich gebacken hatte. Ich blieb hart, erst bemerkten es meine Eltern und Omas und Opas nicht. Ich hatte nicht die Absicht, nach zu geben. Ich weigerte mich, ihr ein Stück zu gönnen. Schließlich rannte Sarah heulend hinaus und hoch. Ich lachte sie aus, ich hatte nicht das geringste Anzeichen von Reue oder schlechtem Gewissen. Die Erwachsenen meinten mich dafür verachten zu müssen. Doch in mir drin spürte ich Genugtuung. Ich war stolz auf mich. Stolz darauf nicht nach gegen zu haben. Stolz darauf, ihr ein wenig von dem gegeben zu haben, was sie mir angetan hatte. Wieder einmal sahen die Erwachsenen nur das arme, kleine Mädchen und das böse, verzogene Gör. Wieder hatte sie es geschafft. Tränen wollten sich ihren Weg bahnen, als man mir sagte, wie verabscheuungswürdig mich das machen würde. Ich schluckte, ich lachte, dann schob ich es in meine hinterste Gedankenwelt, nahm um mich herum nichts mehr davon wahr.

Wieder einmal war Sarah der Mittelpunkt, das Mädchen, dass alle mochten, alle liebten. Und ich stand daneben und lächelte.

Lächelte für die Tränen, die in meiner Seele zu Boden fielen, um auf dem kalten Grund zu sterben, so wie ich es in diesem Moment ebenfalls tat...
 

Weinend sitze ich jetzt hier, schreibe über das was an meinem Geburtstag, der nun genau seit 48 Minuten vorbei ist, geschah und versuche fest zu halten, was ich fühle, was ich denke, versuche das aufzuschreiben, was mich so beschäftigt.

Doch ich kann nicht alles so aufschreiben, wie ich es in mir drinnen fühle, kann nicht alles erzählen, was ich erlebt und gesehen habe.

Und doch schreibe ich weiter. Schließe den Schlaf aus meinem Herzen aus, will nur noch aufschreiben, um was es mir geht. Kann nicht schlafen, kann nicht trinken, kann nicht reden, kann nur weinen. Weinen über mich und mein Leben. Kann mich nur selbst bemitleiden. Kann nur das tun, was die anderen nicht tun werden. Will mich selbst trösten. Doch wenn ich weine und mein Herz nach Hilfe schreit, kann ich nichts tun, nichts sagen, damit meine Seele Frieden findet. Denn dazu reicht meine Kraft nicht mehr. Ich verbrauchte sie. Habe schon zu lange gekämpft, ohne zu bemerken, dass es sinnlos ist, es keinen Zweck hat und ich längst verloren habe.
 

Sarah. Wenn sie sich mit ihrer schleimigen, piepsigen, Kleinkindstimme bei den Erwachsenen einschleimt, wenn sie mir weg nimmt, was mir so wichtig ist, dann ist alles was mir bleibt, die Eifersucht, der Hass, die Wut und die Trauer, die mich langsam aber sicher in Stücke reißen, mich zerfleischen, mich qualvoll töten, während sie mit großen Augen daneben steht und die Frau, die mich geboren hat, Mama nennt.
 

Ein fremdes Mädchen, ein Kind, welches für mich niemals eine Familie sein kann, ein fremdes Mädchen, dass in meiner Familie lebt, welches mir nimmt, was mir gehört. Und doch gibt sie mir etwas, worum ich nie gebeten habe. Doch diesen Schmerz will ich nicht. Diese Qual ertrage ich nicht.

Diese Wunde wird nie wieder heilen.

Nicht ganz.

Sie wird für immer in meinem Herzen bleiben, meine Seele vernarben.
 

Doch die Erwachsenenwelt hat ihre eigenen Regeln. Sie sehen nur das, was sie sehen wollen. Sie bemerken nur das, was sie bemerken wollen. Sie hören nur das, was sie hören wollen. Und nichts und niemand kann ihnen die Wahrheit zeigen, wenn sie an die Lüge glauben wollen, die ihr Herz erblindet und ihre Seele taub macht.
 

Es war mein Geburtstag. Sie hat geweint. Papa war sauer, er hat sich betrunken, hat mich ignoriert. Mama hat mir Vorwürfe gemacht. Oma und Opa haben mich beschimpft.
 

Sie hat geweint.

Nun weine ich.

Die Tränen sterben, leben nur für kurze Augenblicke.

Sie haben mir weh getan, doch sie haben es nicht gemerkt.

Sie sehen nicht mit meine Augen, fühlen nicht, mit meinem Herzen.

Sie kennen nicht, was ich kenne, wissen nicht, was ich weiß.
 

Meine Geburtstagsfeier war ein Kinobesuch, den ich selbst finanzierte. Zu meiner "kleinen" Feier kamen letztendlich nur zwei Leute, darunter meine Schwester Kaya. Was mir von Freundschaft bleibt ist nicht mal eine kleine Feier zu meinem Sechszehnten Geburtstag.

Und so sitze ich alleine hier auf meinem Bett. Alleine mitten in der Nacht. Fühl mich einsam und quäle mich von Tag zu Tag, immer weiter. Hoffe, dass es irgendwann aufhören wird. Bete, dass es bald vorbei sein wird.

Was mir bleibt, ist nichts als Leere, die mir schmerzlich bewusst macht, wie weit ich es im Leben gebracht habe. Und ich frage mich wieder einmal, was ich falsch gemacht habe, dass ich so einsam bin, einsam, obwohl ich glücklich sein sollte. Kälte macht sich in mir breit, ein dichter Nebelschleier umhüllt mich und lässt mich sinken, in diese andere Welt, die mir ganz allein gehört. Keine Freunde, die mich im Stich lassen. Keine Sarah, die mir meine Familie weg nimmt. Keine Familie, die mich verachtet und beschimpft.
 

Langsam versiegen die Tränen, ich kann nicht mehr weinen, nicht mehr fühlen, welcher Schmerz noch immer, tief in mir verankert, mein Herz durchbohrt.

In mir macht sich langsam eine Wärme breit, eine Wärme, die mich schläfrig macht. Müde schreibe ich die letzten Sätze auf meinem PC.

Gleich werde ich schlafen. Dann werde ich wieder in einen traumlosen Schlaf verfallen. Morgen früh wird die Sonne wieder aufgehen.

Doch in mir wird die Nacht niemals enden.
 

Ich habe geweint.

Sie haben mir weh getan.

Immer wieder.
 

Ich habe geweint.
 

Es war mein Geburtstag....



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Kommentare zu dieser Fanfic (3)

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Von:  _Leigh_
2006-01-21T20:53:44+00:00 21.01.2006 21:53
Wenn ich deine FF so lese könnt ich heulen ey T_T
Das is zum kotzen...<<....manche Stellen beschreiben recht gut wie's mir grad geht *hehehe*
Sag ma...verlief dein Geburtstag wirklich so??? oO
Das is ja schrecklich!
*tröstknuddl*
Aba sonst is die FF echt total spitze!
Schön traurig T_T
Passt grad sehr schön...<<
Von: abgemeldet
2006-01-17T17:33:20+00:00 17.01.2006 18:33
Erste ^^
super geschreiben *knuddel*
Sry weiß nicht was ich sonst schreiben soll...
Von: abgemeldet
2005-12-20T18:29:15+00:00 20.12.2005 19:29
Toll nun sitz ich neben meiner mum und heule ^^,
Am liebsten würde ich dich jetzt in den Arm nehmen und weiß doch das ich es nicht kann...
Ich hasse sowas, nicht für meine Freunde da sein zu können wenn sie mich brauchen und hilflos mit anzusehen wie sie leiden. *knuddel* Hast du echt toll geschrieben...


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