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Mein Engel

Amor in Love
von

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Hi^^

Wie ich schon sagte: Ich weiß, was ich als nächstes aus Ray mache *muhahaha* Darum packt die Flügelchen aus und dann geht es ab auf Wolke 7... Nein, ich weiß auch nicht, weshalb ich gerade so drauf bin. Klingt doof, ist aber so.

Deshalb wünsche ich euch jetzt viel Spaß bei dieser Geschichte, von der ich leider selbst noch keinen Plan habe, wie lang sie werden wird. Macht aber nichts; Ahnung ist sowieso was für Anfänger ^.~
 

~~~ ; ~~~
 

Irgendwo auf einer rosafarbenen Wolke im Himmel saß ein kleiner Amor und regte sich tierisch auf. Natürlich handelte es sich dabei nicht um den Amor... Nein, der vögelte irgendwo auf Wolke 7 mit seiner heißgeliebten Psyche herum, während er sich um diesen... diesen Kerl kümmern musste!

Seit nunmehr fast neunzehn Monaten musste er, Amor Nr. 23887, auch kurz Ray genannt, mitansehen wie dieses beziehungsgestörte Wrack durch die Weltgeschichte torkelte. Neunzehn Monate, in denen der Name Kai Hiwatari ein Synonym für blanken Nerventerror geworden war! Kein einziges gottverdammtes Mal hatte dieser Eisklotz auch nur einen Hauch von Interesse für eine andere Person als sich selbst gezeigt, alle abgeschossenen Liebespfeile schienen bei seinem Anblick fiepend und wimmernd zu Ray zurückzukommen. Und ausgerechnet ihm hatte man diesen Fall zuteilen müssen...

Ray hätte heulen können, wäre er nicht so verdammt sauer gewesen. Wieso musste immer er die harten Fälle kriegen? Hätte man nach dem Nervenzusammenbruch seines Vorgängers nicht einfach die Sache ad acta legen und sich Leuten zuwenden können, die wirklich seiner Hilfe bedurften? Bei so einem Ekelpaket war das alles doch verlorene Liebesmühe!

"Achtung Achtung: Amor Nr. 23887, bitte erscheinen Sie sofort im Büro Ihres Vorgesetzten! Ich wiederhole..." Genervt verdrehte Ray die Augen; jetzt mussten die ihm auch noch mit ihren dämlichen Lautsprecherdurchsagen auf den Wecker gehen. Na ja, vielleicht wollten seine Vorgesetzten ihm ja mitteilen, dass Hiwatari endlich als hoffnungsloser Fall deklariert worden war und er einen anderen Schützling erhielt... Nicht sehr wahrscheinlich, aber träumen durfte man noch, oder?

Der schwarzhaarige Liebesengel¹ seufzte; im Grunde seines Herzens liebte er seinen Job, also würde er wohl oder übel gehorchen.
 

Mit hängendem Kopf stand Ray vor dem Schreibtisch seines Chefs und wartete auf das ihm bevorstehende Donnerwetter. Bislang war der Boss aber noch nicht angekommen; hatte wohl noch ein heißes Date mit seiner neuen Sekretärin...

Ein leises Knarren sagte dem Schwarzhaarigen, dass sein Unheil just in diesem Moment hinter ihm durch die Tür trat. Innerlich stellte er sich schon auf das Schlimmste ein, doch anstatt des erwarteten Anschisses erklang nur eine schüchterne Frauenstimme: "Entschuldigen Sie bitte die Verspätung, aber es hat eine Weile gedauert, bis ich hierher gefunden hatte." Verwirrt fuhr Ray herum und befand sich Auge in Auge mit der leeren Luft. Als er den Blick etwas senkte, sah er sich einer rosahaarigen, entschuldigend lächelnden jungen Dame gegenüber, die ihm die Hand hinstreckte: "Sehr erfreut, Sie müssen Ray sein." "Ja?!" "Oh, entschuldigen Sie bitte, wie unhöflich von mir! Ich bin Mariah, Ihre neue Vorgesetzte. Es gab da ein kleines Problem mit Enrico, meinem Vorgänger. Wie ich gehört habe, hat er die weibliche Belegschaft belästigt, und deshalb wurde ich sozusagen als Quotenfrau für den Job vorgeschlagen. Wie auch immer, ich wollte einfach mal alle meine neuen Mitarbeiter kennenlernen, deswegen die ganzen Durchsagen."

Ja, Jackpot! Man wollte Ray nicht nur nicht entlassen, er hatte auch gleich noch einen neuen Chef... eine neue Chefin gekriegt! Was machte es da schon, dass die Frau redete wie ein Wasserfall? Immerhin schien sie ihre Untergebenen mit Respekt zu behandeln, etwas, was Enrico nie getan hatte. Vielleicht wurde ja doch noch alles gut...

Der nächste Satz Mariahs holte ihn auf den harten Boden der Tatsachen zurück. "Außerdem wollte ich mit ihnen über den Fall Hiwatari reden." Panik stieg in Ray auf. Er war verloren, zerschmettert, arbeitslos! Wer wollte schon jemanden weiterhin beschäftigen, der allein neunzehn Monate an einen einzigen Klienten verschwendet hatte? Da konnte auch die Tatsache, dass er seine sonstigen Aufträge immer in Rekordzeit erledigt hatte, nichts dran ändern: Der Job als Putze im McHell war ihm sicher!

"Nun, wie ich aus den Akten erfahren habe, ist Kai Hiwatari ein echter Härtefall. Trösten Sie sich also, die bisherigen Misserfolge sind nicht Ihre Schuld!", beruhigen klopfte Mariah ihm auf die Schulter. Aus großen Augen starrte Ray seine Vorgesetzte an: "Ach nein?!" "Natürlich nicht; Sie sind einer unserer fähigsten Männer, und ich zähle darauf, mit Ihrer Hilfe dem Ganzen ein Ende setzen zu können."

Oh oh, das hörte sich eben aber gar nicht gut an... Hieß das jetzt, dass er diesen unausstehlichen Mistkerl weiterhin an der Backe hatte? "Und ich habe auch schon einen Plan, wie wir zum Erfolg kommen: Wir werden Sie direkt in seiner Umgebung einschleusen!" Ja, genau das hieß es. HILFE!!!

Ray wollte das nicht. Er hing durchaus an seinem Leben, und irgendetwas sagte ihm, dass die Qualität desselbigen rapide leiden würde, sollte er über längere Zeit in der Nähe eines gewissen beziehungsunfähigen Individuums bleiben müssen. Andererseits vermittelte der Gesichtsausdruck seiner Arbeitgeberin den Eindruck, als könnte das auch der Fall sein, wenn er den Job ablehnte... Das Leben konnte ja sooo ungerecht sein!
 

¹ Hilfe, jetzt muss ich mir Ray gerade in einem Brautkleid vorstellen! *Horror* Obwohl, Mariah läuft haarfarbentechnisch wohl eher auf Wedding Peach heraus...

Hi^^

Hier Teil 2 des Wahnsinns; diesmal aus der Sicht Enricos. Jeder Engel brauch schließlich ein paar blöde Dämonen als Gegner XD

Ich weiß, den Witz mit Enricos Akzent habe ich schon mal gebracht, aber auf Dauer wäre es mir einfach zu nervig gewesen, den zu schreiben - zumal ich es nicht kann...

Viel Spaß beim Lesen!
 

~~~ ; ~~~
 

In Gedanken wünschte Enrico seinen Vorgesetzten die Pest an den Hals. Hatten diese Versager ihn doch tatsächlich gefeuert, weil er angeblich seine Mitarbeiterinnen belästigte. In Wirklichkeit kamen die doch einfach nicht damit klar, dass er im Gegensatz zu ihnen über Sexappeal verfügte! Wütend grub der Blondhaarige seine Fingernägel in den Schuhkarton mit seinen Sachen. Aber denen würde er es zeigen! Man hatte ihm ja schließlich eine neue Arbeitsstelle angeboten, besser bezahlt, mit einer gesetzlichen Krankenversicherung und haufenweise hübschen, vollbusigen Angestellten...

Mit einem kurzen Ruckeln kam der Fahrstuhl zum Stehen, die Fahrstuhltüren gingen auf und gaben den Blick auf eine von Flammen erleuchtete Höhle frei.

"Herzlich willkommen in der Hölle! Wir sind sehr erfreut darüber, dass Sie unsere Hallen der Ewigen Verdammnis als Ihren neuen Arbeitsplatz auserkoren haben, Enrico. Ich wurde von der Geschäftsleitung ausgewählt, Sie bei der Erfüllung Ihrer Aufträge zu unterstützen.", freundlich lächelte ihn ein vorm Aufzug stehendes Mädchen an. Bisschen flachbrüstig die Kleine, aber ansonsten doch schon mal ein guter Anfang...

Zärtlich strich Enrico ihr eine Strähne ihres kurzen, grünen Haares aus dem Gesicht und sah ihr dann tief in die Augen: "Oh, dase iste wirklich freundlich von dere Geschäftsleitung! Dürfte icke dann den Namen von meine reizende Helferin erfahren?" "Sicher doch!", das Lächeln der Kleinen wurde breiter, "Oliver."

Der Blondhaarige wurde kreideweiß. Hatte er da eben richtig gehört? "Abere... Dase iste keine Mädchenname..." "Ich habe auch nie behauptet, eines zu seien. Und könnten Sie bitte mit diesem dämlichen Akzent aufhören? Wir wissen doch beide, dass Sie den nur benutzen, um naive kleine Mäuschen ins Bett zu kriegen..."

Verwirrt klappte Enrico den Mund zu. Woher wusste der Grünhaarige das? "Wie Sie sehen, haben meine Auftraggeber mich über ihre Gewohnheiten informiert.", meinte Oliver, "Aber jetzt kommen Sie, ich zeige Ihnen unser gemeinsames Büro!"
 

Wackeligen Schrittes folgte Enrico seinem Arbeitskollegen in einen kleinen, durch eine Trennwand noch einmal zusätzlich in zwei Bereiche unterteilten Raum. Dessen Interieur unterschied sich sehr von der in dem Arbeitvertrag angepriesenen "luxuriösen und geschmackvollen Inneneinrichtung": Statt Mahagonischreibtischen standen da nur irgendwelche lieblos hingeklotzten Artgenossen aus Metall, dazu dann zwei Plastikstühle und eine Kaffeemaschine, die ihrem Aussehen nach zu urteilen garantiert nicht mehr funktionierte. Während der Blondhaarige sich deprimiert auf einen der Stühle fallen ließ, sah er Oliver dabei zu, wie dieser eine eingegangene Topfpflanze angeekelt und mit spitzen Fingern in den Papierkorb entsorgte. Seinen Arbeitsplatz hatte er sich wirklich anders vorgestellt.

Die Tatsache, dass sich plötzlich ein Dimensionstor über Enrico öffnete und ihm dann etwas schweres auf den Kopf fiel, verbesserte seine Laune auch nicht unbedingt.

Als er wieder zu sich kam, beugte Oliver sich gerade über sein Gesicht. Unwillkürlich lief Enrico rot an. Zum Glück bemerkte der Grünhaarige aber nichts, vielleicht auch einfach, weil er nichts bemerken wollte. Stattdessen streckte er dem am Boden liegenden schlicht die Hand hin: "Geht's wieder? Kommen Sie, ich helfe Ihnen auf!" "Nein, danke, nicht nötig! Und ja, ich fühle mich besser.", hastiger als es eigentlich nötig gewesen wäre sprang der Blonde auf, das heißt er versuchte es zumindest.

Mit gerunzelter Stirn beobachtete Oliver seine Bemühungen, quittierte diese jedoch schweigend. Erst als das Vorhaben gelungen war, griff er hinter sich und reichte Enrico einen mit einem Stück Papier umwickelten Backstein. Das war ihm also auf den Kopf gefallen...

Neugierig machte er sich daran, den Zettel abzuwickeln. Was darauf geschrieben stand, brachte ihn nicht unbedingt dazu, vor Freude durch den Raum zu tanzen:
 

Willkommen in der großen, glücklichen Familie der gefallenen Engel!

Da ich leider momentan auf einer 1.000 - jährigen Geschäftsreise in der Karibik bin, wird mein Stellvertreter Robert Sie über Ihre weiteren Aufgaben unterrichten. Sie finden ihn in Büro 777, östlich der Schwefelseen.

Mit freundlichen Grüßen

Luzifer, Höllenfürst
 

"Ah, Sie haben also das Rundschreiben an alle Neulinge erhalten.", interessiert schaute Oliver ihm über die Schulter, "Das habe ich auch zugeschickt gekriegt, so vor 1.500 Jahren."

Erschrocken zuckte Enrico zusammen; mit dem hatte er jetzt wirklich nicht gerechnet. Vorsichtig rückte er drei Schritte von seinem Partner weg, was zur Folge hatte, dass dieser sofort drei Schritte nachgerückt kam. "Ache..." "Enrico!!!" "...Ach ja? Aber steht da nicht, er wolle nur 1.000 Jahre wegbleiben?" "Schon, aber anscheinend hat er es sich anders überlegt. Gerüchteweise ist er mit irgendeinem weiblichen Engel durchgebrannt, Alexiel oder so¹."

Einige Sekunden herrschte andächtige Stille. Dann meinte Enrico vorsichtig: "Ich denke, wir sollten uns lieber auf den Weg zu diesem Robert machen, ehe es irgendwelchen Ärger gibt."
 

Nach langen Irrwegen um die Schwefelseen, bei denen Enrico auf einem Stein ausrutschte und beinahe selbst in die gelbe, nach verfaulten Eiern stinkende Brühe gefallen wäre, kamen sie schließlich doch noch beim Büro 777 an. Es wurde von einem 3m breiten und gut doppelt so hohen Eisentor versperrt, vor dem ein neben diesem geradezu winzig wirkender Schreibtisch stand.

"Entschuldigen Sie bitte", sprach Oliver einen rothaarigen Möchte gern - Punk an, der an dem Schreibtisch platzgenommen hatte, "Mein Kollege hat heute erst angefangen, und jetzt sollen wir uns bei Robert unseren Auftrag abholen. Wäre denn noch ein Termin frei?" Mürrisch blätterte der Karottenkopf, dessen am Hemdskragen befindliches Namensschild ihn als "Johnny" auswies, in einem kleinen schwarzen Terminkalender mit einem großen, weißen Totenkopf drauf, herum. Mit einem deutlich ausgeprägten Haifischgrinsen sah er einige Sekunden später wieder auf: "Oh, Sie müssen Oliver und Enrico sein; Robert erwartet Sie schon ungeduldig." Mit einem mechanischen Summen öffnete sich das Tor. Trotz eines unguten Gefühles in seiner Magengegend folgte Enrico seinem grünhaarigen Kollegen ins Allerheiligste seines neuen Vorgesetzten; irgendwie gefiel ihm Johnnys rascher Stimmungsumschwung so gar nicht...

Das Gefühl des Unwohlseins verdichtete sich noch, als er mitten im hinter dem Eingang befindlichen Saal eine in eine lange schwarze Robe gehüllte Gestalt reglos auf einem beinernen Thron sitzen sah. Geistesgegenwärtig stieß Oliver ihm einen Arm in die Seite, deutete ihm so an, sich auf der Stelle zu verbeugen.

Kaum hatte Enrico gehorcht, da erhob sich der Maskierte und schlug die sein Gesicht verdeckende Kapuze zurück. Zum Vorschein kam ein junger Mann etwa in seinem Alter, der aufgrund seiner in Falten gezogenen Stirn und seines ernsten, angespannt wirkenden Gesichtsausdruckes jedoch eher wie ein Greis wirkte. Zudem fielen seine geradezu knallig lilafarbenen Haare auf, die, obwohl penibelst genau durchgestylt, seine ansonsten so majestätische Ausstrahlung irgendwie zu untergraben schienen.

"Sagen Sie Bescheid Enrico, wenn Sie damit fertig sind mich anzustarren. Ich würde dann nämlich gerne dazu übergehen, Ihre zukünftigen Aufgaben mit Ihnen zu besprechen.", kühl und sachlich riss Robert den Blondhaarigen aus seinen Gedanken. "Was? Oh, äh, natürlich. Verzeihen Sie bitte...", Enrico hatte vor Scham im Boden versinken können, während Oliver leise anfing zu kichern und ihm dann tröstend zuzwinkerte.

"Nun, Ihr Auftrag ist ganz einfach, meine Herren", wie auf Kommando wurde ein besonders kunstvoller Wandteppich, der die Vertreibung aus dem Paradies als Motiv hatte, zurückgeklappt und dafür kam ein großer Plasmabildschirm zum Vorschein, "Beschaffen Sie uns die Seele dieses jungen Herren." Mit bebenden Lippen starrte Enrico das eingeblendete Bild an, dass einen athletisch gebauten Blauhaarigen zeigte; er kannte diesen Kerl! Das war... KAI HIWATARI!?!
 

¹ *Haifischgrinsen* Sorry Leute, aber das musste jetzt einfach sein...

Hi^^

Im Vorfeld schon mal eins: Bis zu den Weihnachtsferien schreibe ich jetzt jede Woche mindestens eine Kursarbeit; wundert euch also nicht, wenn es dementsprechend etwas dauert, bis das vierte Kapitel kommt oder wenn es nicht allzu viele Seiten hat. Ich selbst finde das ja auch schade, da ich momentan sozusagen das genaue Gegenteil einer Schreibblockade habe, aber meine Noten gehen nun mal vor...

So, jetzt aber zu erfreulicheren Themen: Der Kampf der Titanen hat begonnen! In diesem Kapitel ist es soweit, Ray und Kai treffen das erste Mal aufeinander... Und das ist auch gut so ^.~

Viel Spaß beim Lesen!
 

~~~ ; ~~~
 

Zitternd und bibbernd stand Ray vor der Tür eines alten, baufällig wirkenden Hauses herum, starrte unablässig den Klingelknopf mit dem unscheinbaren Schildchen "K. Hiwatari" daneben. Ein Name, zwei Wörter¹, ein Punkt und neun Buchstaben...

Verdammt noch mal, was machte er hier eigentlich? Er zählte vollkommen sinnlos Sachen, nur um Zeit herauszuschinden; lächerlich! Wenn Ray noch lange hier draußen rumstand, würde er wahrscheinlich auf dem Gehweg festfrieren, zeigte das Thermometer doch immerhin tropische -12°C! Das war eindeutig zu kalt, um sich vor einem Gespräch in einer warmen Wohnung drücken zu wollen, selbst wenn es zwischen ihm und Kai Hiwatari, seinem ganz persönlichen Alptraum, stattfinden sollte.

Wesentlich entschlossener als zuvor betätigte der Liebesengel die Klingel. Als dann eine Männerstimme ertönte und ein leicht genervtes "Ja?" von sich gab, wusste Ray plötzlich nicht mehr, was er von der ganzen Sache zu halten hatte; Kai hörte sich ja richtig normal an! Ein bisschen unterkühlt, ja, aber irgendwie hatte er diesen emotionalen Dünnbrettbohrer mehr mit einem wahnsinnigen Lachen und dem geschrienen Satz "Du wirst sterben!" assoziiert...

"Ja hallo, mein Name ist Ray Kon; ich habe neulich wegen dem Uniaushang angerufen." Nein, eigentlich war das Mariah gewesen, die schon bevor er die neue Order erhalten hatte das dringende Bedürfnis verspürte, alles in die Wege zu leiten und ihn so in Zugzwang zu bringen.

Einen Moment herrschte eine seltsame Stille, und Ray feierte innerlich schon, dem Wahnsinn noch einmal entkommen zu sein. Wer weiß, vielleicht hatte Kai ja mittlerweile bereits einen Mitbewohner gefunden und er konnte wieder gen Himmel verschwinden?

"Ah ja, ich erinnere mich. Warte, ich lass dich rein...", ein kurzes Summen zeigte an, dass man die Tür nun problemlos aufdrücken konnte. Scheinbar hatte das Schicksal etwas gegen kleine, unschuldige Liebesboten, denn nicht mal der Aufzug funktionierte in diesem Saftladen richtig. Schön, trat er den Weg hinab in die Hölle eben über die Treppe nach oben an...

Dort lauerte dann auch schon der Grund für Rays schlechte Laune; blaue Haare, rubinrote Augen, abweisender Gesichtsausdruck - jepp, das war definitiv Kai Hiwatari! Immerhin hatte er ja zahlreiche wegen Überstunden durchwachte Nächte Zeit gehabt, um sich diesen Alptraum auf zwei Beinen haargenau einzuprägen. Aber he, Kai hatte ihm zumindest einen Gefallen getan und sowohl einen schwarzen Rollkragenpullover als auch eine schwarze Jeans angezogen - wie passend für die eigene Beerdigung...

Offenbar hatte Ray sich bei diesem Gedanken ein irres Lachen nicht verkneifen können, denn aufgeschreckt aus seinen Gedanken starrte der Blauhaarige ihn an.

...

Herrgott noch mal, wie lange wollte der ihn noch anstarren?

"Was ist?", Ray war mehr als nur ein bisschen genervt; dieser Kai hatte ihn neunzehn Monate seines Lebens gekostet, da musste er ihm nicht auch noch zusätzliche Zeit stehlen. "Ach nichts... Ich hab nur gedacht, du wärest ein Mädchen." "WAS?!" "Am Telefon klang deine Stimme ziemlich hoch und dann habe ich deinen Namen wohl falsch verstanden. Es sei denn natürlich, du heißt Rei...", selbst in dieser höchst peinlichen Situation schaffte dieses Ekelpaket es noch, sich ganz und gar unbeteiligt anzuhören. Das weckte so etwas wie Trotz in Ray; er würde diesem Mistkerl jetzt garantiert nicht den Gefallen tun und hysterisch auf diese Äußerung reagieren: "Ja klar bin ich ein Mädchen! Meine Brüste habe ich mir einfach nur aus mir selbst unerfindlichen Gründen mit Mullbinden abgebunden, weißt du?"

Hatte er da etwa den Anflug eines Lächelns bei Kai gesehen? Ne, oder?

"Aber um deine Frage zu beantworten: Nein, mein Name ist nicht Rei. Bei "Ray" handelt es sich eigentlich mehr um die Abkürzung für "Raymond"." Okay, das stimmte jetzt eigentlich nicht, aber der Engel konnte ja schlecht zugeben, dass sich sein Name vom englischen "ray", daher "Strahl" ableitete und sein Schöpfer ihm diesen Spitznamen aufgrund seiner funkelnden bernsteinfarbenen Augen gegeben hatte...

"So so, "Raymond"...", die Art und Weise, wie Kai seinen Namen betonte, brachte den Schwarzhaarigen unwillkürlich dazu, den Typ noch mehr zu hassen, "Dann sollte ich dir jetzt wohl mal die Wohnung zeigen, damit du entscheiden kannst, ob sie dir überhaupt gefällt." Oh, super, wahrscheinlich durfte Ray sich jetzt darauf gefasst machen, dass alles komplett rot angestrichen war; oder auf Schrumpfköpfe, die sämtliche Wände zierten; oder irgendeine andere Scheußlichkeit in der Art...
 

Die Realität war weitaus überraschender: Das war eine ganz normale Dreizimmerwohnung! Und was noch weitaus seltsamer war: Sie gefiel Ray! Die herumstehenden Pflanzen, die Bilder, die schlichte, hauptsächlich in Grün- und Blautönen gehaltene Einrichtung - das war leider genau sein Geschmack.

"Gefällt es dir?", Kais Stimme klang irgendwie lauernd, als er diese Frage stellte. Zur Antwort konnte Ray nur den Boden anstarren und nicken; alles andere wäre für ihn zu peinlich geworden. Sekunden später schnellte sein Kopf jedoch schon wieder in die Höhe: Hätte er da eben tatsächlich ein erleichtertes Ausatmen vernommen?

Jeglichen in diese Richtung gehenden Verdacht eine Lüge strafend, erwiderte der Blauhaarige seinen Blick mit unbewegter Miene: "Dann kann ich wohl davon ausgehen, dass du mein Mitbewohner wirst. Wann ziehst du ein?" Na super, dieser Kerl war nicht nur unverschämt, sondern auch noch unverschämt direkt! Aber bloß nicht aufregen: "Na ja, wann würde es denn gehen?" "Oh, wenn man meinen Geldbeutel ins Vertrauen zieht sofort; die Miete ist für einen allein verdammt happig.", kurz verzog Kai angewidert das Gesicht, "Aber dummerweise gibt es da ein Problem: Wie dir sicherlich schon aufgefallen sein dürfte, ist das hier nicht die modernste Wohngegend und dementsprechend könnte dein Zimmer ehrlich gesagt noch einige Reparaturen vertragen..." Aha, daher wehte also der Wind! Der Herr war knapp bei Kasse und wollte ihn ausbeuten ...

"Ist schon okay, ich kann ja die erste Zeit über auf der Wohnzimmercouch übernachten.", Ray brachte ein kleines Lächeln zustande in dem Bewusstsein, dass es eigentlich nicht okay war; dummerweise würde Mariah ihn umbringen, sollte er jetzt seinem Fluchttrieb folgen und sich vom Acker machen.

Sekundenlang herrschte verlegene Stille. Schließlich meinte Kai: "Oh, na ja, dann... Kann ich dir wenigstens dabei helfen, deine Sachen hierher zu transportieren?" Augenblicklich konnte Ray spüren, wie Übelkeit in ihm aufstieg. Sachen... Was für Sachen? Er konnte sich ja wohl schlecht seine gesammelten Habseligkeiten aus dem Himmel zuschicken lassen!

Das klingelnde Telefon bewahrte ihn vor einer Antwort. Eilig deutete Kai mit einer Handbewegung an, zu warten, ehe er den Hörer abhob: "Ja, hier bei Hiwatari..."

Während der Blauhaarige der Antwort am anderen Ende der Leitung lauschte, war keine Emotion auf seinem Gesicht zu erkennen; trotzdem vermeinte Ray, für wenige Sekunden ein irritiertes Aufglimmen in den Augen seines Schützlings wahrgenommen zu haben. Dann meinte dieser trocken: "Ray, ich soll dich von deinem Bruder Lee fragen, ob und wann er dein Zeug hierher bringen soll."

Nun war es an Ray, verwirrt zu blinzeln. Lee? Sein Bruder? Ein Lächeln stahl sich auf das Gesicht des Engels; wenn man es so betrachtete...

"Sag ihm, er soll so um Sieben hier sein."
 

Tatsächlich wurde es Halbneun, bis Lee in einem ziemlich verbeulten, metallicgrünen VW - Käfer ankam. Für einen kurzen Moment meinte Ray einen Anflug von Panik bei Kai aufblitzen zu sehen, als beim Abbremsen beinahe ein notdürftig mit Seilen festgebundener Karton vom Autodach gefallen wäre, doch Sekunden später zeigte dessen Gesicht nur wieder die für ihn so typische Gleichgültigkeit.

Mit einem breiten Grinsen stieg Lee aus dem Auto aus und unwillkürlich musste auch Ray lächeln. Ja ja, da kam er also, "sein Bruder". In gewisser Weise stimmte das sogar; sie waren am selben Tag geschlüpft und bis zur Beendigung ihrer Ausbildung praktisch unzertrennlich gewesen. Selbst jetzt noch, wo Lee Mitglied der Himmlischen Heerscharen geworden war, sahen sie sich relativ häufig. Eher ungewöhnlich bei der Unterschiedlichkeit ihrer Fachgebiete...

"Ah, du musst Kai sein!" Blinzelnd versuchten sowohl der Angesprochene als auch sein neuer Mitbewohner zu lokalisieren, von woher die mysteriöse Stimme gekommen war - und stießen dabei unwillkürlich auf einen kleinen grünhaarigen Jüngling, gegen den selbst Mariah noch eine Riesin war. Ihm zur Seite stand sein genaues Gegenteil, ein großer muskelbepackter Hüne mit schwarzem Irokesenschnitt. Kevin und Gary - also war der Einsatztrupp "White Tiger" komplett.

Wenn Kai überrascht war, so merkte man es ihm nicht an: "Ganz recht. Und du bist?" "Kevin. Ich und Gary helfen Lee beim Möbelpacken." "Danke, aber von jetzt an übernehme ich...", ohne noch weiter auf einen der Anderen zu achten, schnappte Rays Schützling sich die auf dem Autodach befindliche Kiste und machte sich auf den Weg zur Haustür. Doch so schnell ließen die Engels sich nicht abschütteln; weitere Kartons aus dem Wagen holend, folgten sie Kai ins Gebäudeinnere. Zurück blieb Ray, nicht wissend, was er von der ganzen Sache halten sollte. Warum ignorierte ihn hier jeder?

Oben öffnete sich ein Fenster und ein blauhaariger Kopf schob sich hindurch: "Ray, kommst du? Ich will doch nicht, dass du dir vor der ersten Miete den Tod holst..." Als Antwort erklang bloß ein leises Grummeln; das war mal wieder typisch egomanischer Eisklotz!
 

Eben jener "egomanische Eisklotz" öffnete die Wohnungstür just in dem Moment, als der Engel klingeln wollte: "Ich hoffe, es ist okay für dich, dass wir deine Sachen im Wohnzimmer abgestellt haben. Aber jetzt komm erst mal rein, ich mach euch erst mal einen Tee."

Verwirrt folgte Ray der Aufforderung; was war da bitte los? Normalerweise hätte er damit gerechnet, dass Kai Lee und Co. sofort wieder aus der Wohnung schmeißen würde, doch stattdessen verschwand der Blauhaarige tatsächlich in der Küche.

"So schlimm scheint er doch gar nicht zu sein...", gemütlich lümmelte Lee sich auf Rays neuem Schlafplatz - einer dunkelblauen Stoffcouch. "Hast du ne Ahnung; du hättest mal sehen sollen, wie bei einer chilenischen Kunststudentin die Tränen geflossen sind, als der Kerl ihr brutalst einen Korb gegeben hat...", ärgerlich ließ Ray sich neben seinen Kumpel fallen. "Na ja, er ist halt offensichtlich kein Mann großer Worte. Und außerdem ist das doch immer noch ehrlicher als zuerst große Liebe vorzuspielen und die Kleine dann nachdem man mit ihr im Bett war fallen zu lassen..."

"So, hier ist der versprochene Tee!", Kai durchbrach die nach Lees Äußerung eintretende Stille, indem er laut klappernd mit einem Tablett voller dampfender Tassen ankam, das er dann auf dem Couchtisch abstellte, "Sag mal, was studierst du eigentlich, Ray?"

Beinahe hätte der Schwarzhaarige sich verschluckt; über diese Frage hatte er ja noch gar nicht nachgedacht...

"Kunst. Er studiert Kunst.", seinem Engelskollegen einen bedeutsamen Blick zuwerfend, antwortete Kevin für ihn. Auch Lee hatte die Situation schnell realisiert: "Ja, und außerdem arbeitet er in unserem familieneigenen Chinarestaurant noch als Kellner."

Kai warf den Beiden einen feindseligen Blick zu: "Danke, aber ich bin durchaus davon überzeugt, dass Ray selbst antworten kann!"

He, das hatte sich ja jetzt beinahe... nett... angehört! Ne, oder?

"Im Übrigen wäre ich euch sehr dankbar, wenn ihr jetzt euren Tee austrinken und dann gehen könntet."

Aaaaaaaaargh! Von wegen nett - Kai war ein menschenfeindlicher Kotzbrocken!

"Sag mal, wie kommst du eigentlich dazu, einfach meinen Besuch aus der Wohnung zu schmeißen? , wütend sprang Ray vom Sofa auf, so dass er sich jetzt Auge in Auge mit dem Auslöser seiner Aggressionen befand. "Setzt dich sofort wieder hin.", kalt funkelte Kai ihn an. "Ich denke ja gar nicht daran. Und meine Freunde werden auch nicht gehen - nicht wahr, Jungs? Äh... Jungs?!" Mit einem leisen Knarren fiel die Wohnungstür ins Schloss.

Ärgerlich ließ der einzige noch übrige Engel sich wieder aufs Sofa fallen: "Das ist alles nur deine Schuld!" "Mag sein.", schulterzuckend machte Kai sich daran, die Tassen wieder in die Küche zu räumen, "Aber findest du nicht, dass du deinen Frust am Falschen auslässt? ICH bin nicht derjenige, der dich regelrecht zuhause rausgeworfen hat, dich beim Antransport deiner Möbel nicht einmal nach deinem Befinden fragt und dir dann auch noch die Fähigkeit für dich selbst zu sprechen abgesprochen hat..."

Schlagartig lief Ray rot an; so hatte das also für einen Außenstehenden gewirkt... Na ja, Kai konnte wirklich schlecht wissen, dass Engel immer ganz genau spürten, wie es ihren Artgenossen ging. Da war wohl eine Entschuldigung fällig... Nur wie? Wenn er jetzt um Verzeihung bat, würde es aussehen, als käme er angekrochen - und da spielte sein Ego einfach nicht mit. Vielleicht hatte Kai ja dieses Mal tatsächlich nichts dafür gekonnt, aber da waren noch die ganzen anderen Geschehnisse...

Nein, er musste sich entschuldigen, keine Frage. Also aufgestanden und hinterher in die Küche!

"Tut mir Leid, dass ich schon am ersten Tag unseres Zusammenlebens so einen Stress mache, aber dein Verhalten war einfach so... komplett unverständlich für mich...", beunruhigt sah Ray zu, wie Kai mit dem Rücken zu ihm aus dem Fenster starrte. Drei Mülltonnen und ein renovierungsbedürftiger Hof, wirklich sehr interessante Aussicht...

"Schon gut, wahrscheinlich habe ich das einfach missverstanden...", für einige Sekunden hörte es sich so an, als wolle der Blauhaarige noch etwas sagen, doch stattdessen drehte er sich abrupt um, "Sag mal, du bist doch bestimmt hungrig, oder?" "Ja, schon..." "Ich bestell uns was zum Essen - stilgerecht Chinesisch, wie wär's?" "Äh... Ich dachte, du hättest kein Geld?!"

Für einige Sekunden herrschte Schweigen und Ray glaubte schon, der mühsam zurechtgerückte Hausfrieden wäre wieder dahin, doch dann meinte Kai schlicht: "Ach, passt schon! Zur Feier deines Einzuges und weil heute Freitag ist, gönnen wir uns einfach mal ein bisschen Luxus! Und außerdem können wir dann noch ein wenig besprechen, wie unser Zusammenleben ablaufen soll."
 

Nachdem ein Bote, der unter seiner Ballonmütze verdächtig nach Kevin aussah, das Essen geliefert hatte, ließen sie sich auf die Couch sinken. "Was ich studiere weißt du ja jetzt, aber wie sieht das eigentlich bei dir aus? Wo liegen deine Interessen?", Ray wusste es wirklich nicht, hatte er sich doch nie mehr mit Kais Leben beschäftigt als er musste. Ohne ihn anzuschauen, griff Kai ein Päckchen Stäbchen und riss es auf: "Medizin."

Schlagartig schien sich die ganze Welt zu drehen. Bilder von blutigen Hackebeilen rasten durch Rays Geist, während er an jede schlechte Frankensteinverfilmung denken musste, die er in seinem kurzen Leben gesehen hatte. "Was ist, du bist ja plötzlich so bleich? Na ja, geht den meisten Leuten so, wenn sie das hören. Tatsache ist aber, dass ich den Menschen wirklich gerne helfen will...", ein dämonisches Glitzern glitt durch Kais Augen, "Und außerdem lernt man alles über die anatomische Beschaffenheit des menschlichen Körpers, was man für eine Karriere als Massenmörder braucht..." Rays Kopf schnellte hoch und mit schreckensgeweiteten Augen starrte er seinen Mitbewohner an.

"Äh... Das war ein Scherz!" "Oh... Haha?!"

Für eine Weile saßen sie einfach nur stumm da und aßen still vor sich hin. Dann stand Kai auf: "So, ich lasse dich dann wohl am Besten schlafen... Da du offenbar keinen Wecker dabei hast: Um wie viel Uhr soll ich dich morgen wecken?" Toll, schon wieder eine Sache, an die er nicht gedacht hatte!

"Na ja... So um Acht wäre nett." "Okay!", die Hände in die Hüften gestützt, machte Kai keinerlei Anstalten zu verschwinden. Erst nach einigen Minuten ging ihm das auf: "Oh... Hähä... Dann hole ich dir noch eine Decke und lasse dich dann wirklich in Ruhe. Nacht!" "Gute Nacht, Kai...", Ray war mehr als froh, als sein blauhaariger Alptraum das Wohnzimmer dann tatsächlich verließ.
 

¹Kann man das eigentlich schon als zwei Wörter zählen? Ach egal... ^_^

Hi ^^

Nach der langen Abstinenz kommt hier also das vierte Kapitel. Wieder nicht allzu lang, aber dafür wird das nächste Kapitel länger, versprochen! Na ja, und ein bisschen mehr wird es dann auch in der Story vorangehen.

Bis dahin wünsche ich euch viel Spaß beim Lesen, schöne Weihnachtsfeiertage und einen fröhlichen Silvesterabend!
 

~~~ ; ~~~
 

Ray wurde durch ein gedämpftes Stöhnen geweckt. Verschlafen rieb er sich die Augen: "Guten Morgen, Kai..." Dass der Blauhaarige gerade nur mit Boxershorts und einem T-Shirt bekleidet und sich den Fuß haltend durch die Gegend hüpfte, ließ den Engel seinen Ärger über die morgendliche Ruhestörung vergessen...

Ertappt hielt Kai in der Bewegung inne, versuchte, möglichst würdevoll auf einem Bein zu stehen: "Ich wollte in die Küche schleichen, um zu frühstücken, als ich gegen den Türrahmen geknallt bin. Auch einen Tee?"

Gut gelaunt nickte Ray; wie hieß es doch so schön? Die kleinen Sünden bestraft der Herr jetzt, die großen später. Tja, bei Kai gab es viel zu bestrafen...

"Dann komm in die Küche! In zwei Minuten ist das Wasser fertig.", mit diesen reizenden Worten verschwand Kai in besagtem Raum.

Langsam und gemütlich stand Ray auf, faltete in aller Seelenruhe die Decke ordentlich zusammen und schickte sich dann an, im Schneckentempo zu folgen. An der Tür blieb er noch mal stehen; was gab es hier bloß zu sehen, dass man mit dem Rahmen kollidierte?

Nun, da wäre der ausgeschaltete Fernseher, der Couchtisch und - die Sofalehne, auf der bis eben noch sein Kopf geruht hatte. Komisch...
 

Schweigend saßen sie sich gegenüber, tranken ab und zu aus ihren Tassen. Eines musste man Kai lassen: Der Tee schmeckte wirklich gut! So nach...

"In Karamell eingelegte Erdbeeren.", mit einem nichtssagenden Gesichtsausdruck sah Kai ihn an. "Äh... Was?" "Im Tee sind in Karamell eingelegte Erdbeeren; ein Familienrezept. Du hast so fragend zwischen mir und der Tasse hin und her geschaut, dass ich dachte, du wolltest es vielleicht wissen." "A-achso..."

Erneut trat Stille ein.

"Sag mal, warum bist du eigentlich um...", verstohlen schielte Ray auf die Küchenuhr, "6.30 Uhr schon wach? Es ist immerhin Wochenende." "Gewohnheit von früher; auf meiner alten Privatschule wurden wir täglich um Punkt Sechs geweckt."

So, Privatschule... Kai war also nicht nur ein selbstverliebtes Arschloch, er war ein reiches, selbstverliebtes Arschloch!

Ehe dem Amor noch weitere Beschimpfungen einfallen konnten, stand Kai auf und stellte seine Tasse in die Spüle: "Sorry, wenn ich nicht so gesprächig bin, aber ich bin seit jeher ein Morgenmuffel."

Ja, und außerdem ein Mittags-, Nachmittags-, Abends- und Nachtmuffel!

"Hast du heute schon was vor?"

Irritiert blinzelte Ray: "Wie jetzt?" "Na ja, dein Bruder hat gestern nach dem Hochräumen deiner Sachen gemeint, er würde im Laufe der nächsten Woche noch ein paar Möbel vorbeibringen und da wäre es doch ganz gut, wenn dein Zimmer fertigrenoviert wäre. Wenn du heute also Zeit hättest, könnten wir nachher in den Baumarkt fahren..."

Das war perfekt! Im Baumarkt konnte Ray sich einfach eine ahnungslose Kassiererin suchen, dafür sorgen, dass sie und Kai sich unsterblich ineinander verliebten und dann - Hasta la vista, Baby!
 

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"Sag mal Oliver, warum bist du eigentlich in der Hölle?", momentan wäre Enrico für jede Ablenkung dankbar gewesen.

"Ich bin schwul.", Oliver musste gar nicht hinschauen um zu wissen, dass das prustende Geräusch hieß, dass Enrico seinen Kaffee wieder ausgespuckt hatte. War ja klar gewesen, dass dieser Möchtegerncasanova so reagieren würde...

"Und wegen so was wurdest du echt aus dem Himmel geschmissen? Bei meinen vielen Frauengeschichten war es ja nur eine Frage der Zeit, aber das als Begründung ist... Ziemlich übertrieben, oder?"

Perplex blinzelte Oliver; hatte er da eben richtig gehört? Dann musste er unwillkürlich grinsen: "Na ja, dass ich Metathron angebaggert habe, dürfte auch eine Rolle gespielt haben. Wenn es um sein Sprachrohr geht, ist der Herr ziemlich streng. Noch nen Kaffee?"

"Gerne.", interessiert beobachtete Enrico, wie der Grünhaarige zur Kaffeemaschine dackelte, die sie aus Roberts Büro hatten mitgehen lassen. Hatte der jetzt wirklich geglaubt, er würde wegen so was ausrasten? Leben und leben lassen, so war Enricos Motto! Und wegen der sexuellen Orientierung seines Kollegen die Trennwand wieder aufzustellen wäre nicht nur lächerlich gewesen, es hätte auch wertvollen Platz gekostet...

"Da, bitte!", vorsichtig schenkte Oliver ihm Kaffee nach, "Irgendeine Idee, wie wir an Kais Seele herankommen könnten?" "Nein, nicht die geringste. Du?" "Na ja, wir könnten...", zur Sicherheit blätterte Oliver noch einmal in einer Akte nach, "Wir könnten ihm ein Regal auf den Kopf fallen lassen und ihn uns dann schnappen. Laut unseren Informanten will er heute in den Baumarkt, da würde das doch passen, oder?" "Hört sich gut an..."
 

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"Was findest du schöner: Smaragd oder Mint?", anpreisend hielt Ray die entsprechenden Farbmuster hoch. "Eisblau, aber es ist deine Entscheidung..."

Oh sicher, nachdem sie ausgemacht hatten, die Kosten für die Farbe zu teilen und Kai diesen Vorschlag gemacht hatte, war es DEFINITIV Rays Entscheidung. Aaargh!

"Schön, dann nehme ich eben das!", verdrießlich griff der Schwarzhaarige nach der entsprechenden Flasche Abtönfarbe, um sie aus dem Regal zu ziehen. Im selben Moment, in dem er sie in der Hand hielt, ertönte ein seltsames Rumpeln und dann kam ihm der gesamte Regalinhalt entgegen.

Geistesgegenwärtig zog Kai ihn aus der Reichweite der herabstürzenden Flaschen, geradewegs in seine Arme: "Alles in Ordnung?" Gegen seinen Willen errötete Ray: "J...Ja... Ich... Bei mir ist alles okay."

Sich wieder daran erinnernd, wer er war und wer ihn da eigentlich umschlungen hielt, machte er einen Schritt rückwärts: "Scheint, als solle das heißen, dass Eisblau doch nicht die richtige Farbe für mein Zimmer ist."

"Scheint so.", mit undefinierbarem Blick sah Kai ihn an, "In diesem Fall wäre ich für Smaragd."
 

Erst als sie mit einer Yukkapalme, einem Papierlampion, der Abtön-, sowie zwei Eimern weißer Farbe an der Kasse standen, fiel Ray wieder ein, dass er Kai eigentlich verkuppeln wollte.

"Das macht dann 165 Euro und 36 Cent.", meinte die für seinen Plan gänzlich ungeeignete, da männliche, Bedienung.

"Hier, bitte!", sichtlich genervt kramte Kai seine Brieftasche hervor und zahlte den gewünschten Betrag ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Das passte jetzt aber so gar nicht zum "armen Studenten"...

"Kai, es ist nicht nötig..." "Das weiß ich; gib mir nachher einfach deinen Anteil, ja?" Irgendwie kriegte der Blauhaarige es hin, dass Ray sich schäbig fühlte. Sicher, er war ein Engel und hatte von daher normalerweise nicht allzu viel mit Geld zu tun, aber...

Der Amor setzte gerade dazu an, mit auf Kais Schuhe gerichteten Blick eine Entschuldigung zu murmeln, da musste er feststellen, dass Kais Schuhe gar nicht mehr an ihrem Platz standen. Stattdessen hatte sein Schützling sich die Farbe geschnappt und war losmarschiert.

Eilig ergriff Ray die Pflanze und den Lampenschirm und eilte hinterher: "Warte! Wohin willst du?" "Na wohin wohl; zur Bushaltestelle natürlich!" "Du willst..." "Exakt so nachhause kommen, wie wir hergekommen sind? Erraten!"
 

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So, das mit dem Regal hatte also nicht geklappt; soviel hatte Enrico noch verstanden. Warum er jetzt allerdings mit Oliver in einem Bus herumhocken und sich von alten Damen komische Blicke zuwerfen lassen musste, lag außerhalb seines geistigen Horizonts.

Er wollte Oliver gerade eine dementsprechende Frage stellen, da hielt der Bus an der nächsten Haltestelle und Kai stieg ein - nur dass Kai leider nicht allein war.

"Oh Mist, der Schwarzhaarige da ist ein ehemaliger Untergebener von mir!", wider besseren Wissens versuchte Enrico, sich möglichst klein zu machen. Oliver sah ihn schief an: "Ja, und?" "Wenn der mich sieht, können wir den Job gleich vergessen."

Leise seufzte sein grünhaariger Kollege: "Ich weiß, dass ich das bereuen werde, aber... Umarm mich, Enrico!" "Was?" "Du sollst mich umarmen. Oder glaubst du, dass irgendjemand dich damit in Verbindung bringen würde, mit einem Kerl rumzukuscheln?" "... Okay, aber nur, bis sie wieder aussteigen!" "Sag das nicht so, als würdest du mir einen Gefallen damit tun!"

Zu seiner eigenen Verwunderung musste Enrico sich eingestehen, dass Oliver verdammt gut roch; irgendwie nach Maiglöckchen und... Der Blonde wollte gerade seine Nase im Haar seines Kollegen vergraben, um auch noch den Rest des Geruchs zu bestimmen, da stieß dieser ihn an: "Kannst aufhören, sie sind ausgestiegen!"

Sich erst jetzt vollkommen darüber bewusst werdend, was er gerade hatte tun wollen - was er getan hatte - rutschte Enrico schnell weg: "Äh... Gut!" Noch ehe er rot anlaufen konnte, zog ihm eine aussteigende Oma ihre Handtasche über den Kopf: "Sie sollten sich was schämen, so was in der Öffentlichkeit...!"

Kaum war sie draußen, zwinkerte Oliver ihn an: "Wenn du dich dadurch besser fühlst: Zwei Meter weiter rutscht sie auf Glatteis aus und bricht sich das Bein." "Schön, aber was ist mit Kai?" "Auf den wartet schon die nächste Überraschung..."
 

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Während sie ihre Einkäufe in mühseliger Schwerstarbeit hochschleppten, vermeinte Ray ein Pfeifen zu vernehmen, das auf eine Mischung aus "Oh du fröhliche..." und der Titelmelodie von "Für eine Hand voll Dollar" hinauslief. Als sie oben waren, sah er den Grund dafür: Vor ihrer Tür stand ein fröhlich wirkender Blondschopf mit Kuchen in der Hand, von dem ein stämmiger Dunkelhaariger vergeblich ein Stück zu mopsen versuchte.

Bei ihrem Anblick seufzte Kai: "Oh je, ihr schon wieder!"

Wie auf Kommando fuhren die Beiden herum: "Hallo Kai, wir wollten ein kleines Willkommensgeschenk für deine neue Mitbewohnerin vorbeibringen!" Schon streckte der Blonde Ray die Hand entgegen: "Hallo Rei, ich bin Max und der junge Mann neben mir heißt Tyson. Wir sind eure Nachbarn!" "He Kai, du hast uns gar nicht erzählt, dass deine Untermieterin so ein heißer Feger ist!"

Tysons Bemühungen, Kai auf die Schulter zu klopfen, wurden von diesem nur mit einem Todesblick quittiert: "Liegt wahrscheinlich daran, dass "sie" ein Er ist, Tyson. Und falls es dir noch nicht aufgefallen sein sollte, Max: Ray hat beide Hände voll und wird deine von daher kaum schütteln können."

Ohne noch ein weiteres Wort zu verlieren, ging der Blauhaarige an seinen Nachbarn vorbei, stellte die Farbeimer ab und kramte den Wohnungsschlüssel hervor: "Kommst du, Ray?"

Max und Tyson einen entschuldigenden Blick zuwerfend, eilte der Angesprochene Kai hinterher; seltsam, aber irgendwie war er dem alten Griesgram gerade ein ganz kleines bisschen dankbar...
 

"Wo soll ich die Pflanze hinstellen?" "Oh, die Palme...", suchend blickte Kai sich um, "Vorerst kann sie neben dem Fernseher bleiben - bis dein Zimmer fertig ist. Es sei denn natürlich, sie stört dich beim Schlafen..." "Wenn dem so wäre, hätte ich sie wohl kaum zur Verschönerung meiner vier Wände gekauft, oder?", grinste Ray breit.

Der Engel wollte gerade nachfragen, warum Kai ihn so überrascht und erfreut gleichermaßen anstarrte, da klingelte es an der Tür.

Als sie öffneten, blickten sie geradewegs in Max reumütiges und Tysons mit Krümeln bedecktes Gesicht.

"Was wollt ihr denn jetzt noch?", keine Spur der eben noch fühlbaren Wärme war mehr aus Kais Stimme herauszuhören, als er die beiden schroff anfuhr.

"Tut uns wirklich leid wegen eben... Zur Versöhnung würden wir euch ja den Kuchen anbieten, aber wie ihr seht hat Tyson ihn gegessen..." "Aber wir haben gesehen, dass ihr Farbe gekauft habt, und da dachten wir... Wir wollen euch beim Streichen helfen.", fügte der Tortentilger kleinlaut hinzu.

"Das wird zwar Wahrscheinlich wieder implizieren, dass ihr Chaos¹º anrichtet, aber... Na schön, kommt rein!", mit einem resignierenden Seufzen öffnete Kai die Tür gerade so weit, dass die beiden Plagegeister an ihm vorbei schlüpfen konnten.

Mit dieser Reaktion hatte Ray jetzt überhaupt nicht gerechnet; eigentlich hätte er mehr darauf getippt, dass dieser Eisklotz ihnen die Tür vor der Nase zuschlagen und sich für den Rest des Tages tot stellen würde...

"Wenn ihr mich und meinen Mitbewohner für einen kleinen Augenblick entschuldigen würdet: Wir suchen alte Zeitungen zum Abdecken des Bodens zusammen. Warum geht ihr nicht schon mal in eure eigene Wohnung und sucht euch alte Klamotten zusammen, bei denen es nichts ausmacht, wenn sie beim Streichen dreckig werden?", ohne eine Erwiderung abzuwarten, zog Kai Ray hinter sich her in die Küche.

Erst als sie einigermaßen außerhalb der Hörweite ihrer Besucher waren, blieb er stehen: "Kam ja bis jetzt noch nicht dazu, dir etwas über die Zwei zu erzählen, also hier das Kurzverfahren: Max kommt aus Amerika und studiert hier Psychologie, um mehr Zeit mit seinem geliebten Tyson verbringen zu können. Ja, die Beiden sind ein Paar. Nein, ich weiß nicht, wie sie sich kennengelernt haben... Hoffe, du hast kein Problem damit, mit Schwulen im selben Haus zu leben; wenn man von Max' Dauergrinsen und Tysons Fressattacken absieht, sind sie ganz in Ordnung."

Okay, mit einer derart liberalen Einstellung gegenüber Homosexuellen hätte Ray bei Kai nicht gerechnet; zumal dessen Äußerung, Max und Tyson seien "ganz in Ordnung" fast so etwas wie eine Auszeichnung war. Sollte Kai etwa doch in der Lage sein, andere Menschen als sich selbst zu mögen?

"Und wenn dir einer der Beiden auf den Keks geht, stopfst du ihm den Mund einfach mit einer der Zeitungen hier!", präsentierend zeigte Besagter auf einen Stapel neben der Papiertüte.

... Träumen durfte man doch noch, oder?

Hi^^

Mittlerweile sind war also schon/endlich bei Teil 5 angekommen. Ich weiß, dass diese Formulierung blöd klingt, aber für mich ist das hier ebenso eine Reise wie für euch. Ehrlich gesagt habe ich noch keine Ahnung, wie lange die Serie noch gehen wird, obwohl ich bereits ein bestimmtes Ende im Sinn habe...

Oh je, das hört sich noch merkwürdiger an. Keine Sorge, das war jetzt nicht so gemeint, dass ich in nächster Zeit aufhören will, im Gegenteil; wenn es zwischen den einzelnen Kapiteln etwas länger dauert, dann einfach nur, weil ich will, dass das hier so gut wie möglich wird ^.~

In diesem Kapitel tauchen auch zwei weitere Charaktere auf, auf deren Auftritt ich mich schon gefreut hatte. Das wären zum einen Voltaire (der hier nur kurz durch die Zeilen fliegt, aber später noch nen größeren Part haben wird) und Emily, die ... nun ja, einen Succubus spielt. Klingt doof, ist aber so XD

Ne, jetzt im ernst: Ich hab ihr keine Rolle bei den "Bösen" gegeben um sie niederzumachen, sondern weil ich sie (wie alle anderen) gerne habe und denke, dass sie gut in die Charakterkonstellation passt. Und an irgendjemanden muss Ray Kai ja verscheuern wollen, ne? *g*

Viel Spaß beim Lesen! *wink*
 

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Zu sagen, der restliche Samstag wäre ereignislos verlaufen, wäre falsch formuliert gewesen. Im Grunde war viel passiert, nur leider nicht das, was Ray sich vorgestellt hatte; statt harter Arbeit hatte Chaos und (bei Tyson mehr, bei den anderen weniger) das Futtern von Fertigpizza den weiteren Tagesablauf bestimmt. Was dazu führte, dass sie nicht über das Abdecken des Fußbodens und das Anrühren der Farbe hinausgekommen waren und Ray seinen Plan, Kai an die Frau zu bringen, wieder mal verschieben musste.

Der Engel war immer noch damit beschäftigt, die Grausamkeit seines Schicksals zu verfluchen, als Kai in die Küche kam. Wortlos holte der Blauhaarige zwei Tassen hervor und setzte Teewasser auf. Mit einem mehr als gequälten Lächeln sah ihm Ray dabei zu: "Tja, sieht so aus, als wärst du ausnahmsweise mal nicht der erste, der wach ist..." "Verdammt, und dabei hatte ich so hart an diesem Rekord gearbeitet!" Wäre nicht dieses herausfordernde Glitzern in Kais Augen gewesen, hätte Ray wirklich glauben können, dass der Andere das Gesagte ernst meinte.

Aber wozu wollte Kai ihn herausfordern? Wenn man mehr oder minder freiwillig mit jemandem zusammenlebte, dann tat man das doch wohl kaum, um jemanden zu haben, dem man den Kopf einschlagen konnte. Obwohl... Irgendwie würde er das Kai durchaus zutrauen...

Ray hatte nicht mitgekriegt, wie Kai an ihm vorbei zum Kühlschrank gegangen war, und dementsprechend wäre er vor Schreck beinahe vom Stuhl gefallen, als dessen Stimme plötzlich direkt hinter ihm erklang: "Es dauert also noch knapp drei Stunden, ehe Max und Tyson wieder hier auftauchen." "Äh...Ja.", panisch sah Ray auf die Küchenuhr über der Tür, nur um sich im nächsten Moment blitzartig umzudrehen. Und sich zu wünschen, dass er es gelassen hätte. Das überdimensionale Küchenmesser in Kais Hand gab nämlich einen verdammt guten Hinweis auf das, was gleich mit ihm passieren würde.

Irritiert folgte der Blauhaarige seinem Blick - und musste unwillkürlich grinsen: "Eigentlich wollte ich mir damit nur ein Stück Schokoladenkuchen abschneiden. Auch eins?" Wortlos nickte Ray; irgendwie kam er sich gerade ziemlich dämlich vor...
 

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"Fassen wir zusammen: Wir hocken in einem viel zu kleinen Büro, haben keine Ahnung, wie wir an Kais Seele kommen sollen und zu allem Überfluss ist auch noch ein ehemaliger Kollege von dir mit dem Auftrag betraut worden. Kann es noch schlimmer kommen?", nach einer Nacht, in der sie, nur von einer Flasche Johnny Walker unterstützt, über dem Fall Hiwatari gebrütet hatten, war Oliver nahe am Rande des Nervenzusammenbruchs. Unruhig sah Enrico den Grünhaarigen dabei zu, wie dieser quer durchs Zimmer tigerte: "Nun, Robert könnte hier auftauchen und uns sprichwörtlich die Hölle heiß machen..."

Für einen Moment hielten beide die Luft an und lauschten; als alles still blieb, atmeten sie erleichtert aus.

"Wie wäre es, wenn wir im Höllenarchiv nachsehen, ob wir nicht was über Kai rausfinden, das uns bei seinem Fall hilft?" Unsichere Blicke wurden ausgetauscht. Schließlich gab sich Enrico einen Ruck: "Warum nicht? Schaden kann es ja auch nichts mehr..."
 

Das Höllenarchiv hatte Enrico sich anders vorgestellt. Mehr so voller angeketteter Bücher, die umherschwebten und nach einem schnappten, wenn man nicht aufpasste. Zugegeben, Bücher gab es hier tatsächlich, aber die standen ordentlich sortiert in Regalen, die sich bis in die Unendlichkeit zu erstrecken schienen. Was vielleicht daran lag, dass dem so war...

Dass Oliver gerade auf einer bedenklich schwankenden Holzleiter stand und nach der gesuchten Akte Ausschau hielt, verbesserte die Lage nichtgrade, sah Enrico sich doch genötigt, beim Halten derselbigen ständig hinaufzustarren. Verdammt, warum musste ausgerechnet ein Kerl so einen niedlichen Hintern haben?

NIEDLICH?! Hatte er, der Superplayboy schlechthin, gerade bei einem Mann das Adjektiv "niedlich" benutzt?

Ganz ruhig, das waren bestimmt nur die Hormone! Immerhin hatte er seit er in der Hölle war ja fast... drei Tage nicht mehr mit einer Frau geschlafen. Sicher, er hatte nichts gegen Schwule, aber das hieß doch noch lange nicht, dass er auch selbst einer sein musste...

"Ich hab sie!", triumphierend hielt Oliver einen verknickten blauen Papierordner hoch. Im selben Moment, in dem der Grünhaarige herunterklettern wollte, brach eine Sprosse ein und er rutschte ab; wenige Augenblicke später fand er sich auf Enricos Bauch kniend wieder. Dieser war scharlachrot angelaufen, was irgendwie... nun, süß aussah. Verträumt lächelnd beugte Oliver sich hinab, bis ihre Gesichter nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt waren: "Alles in Ordnung bei dir?"

Dann wurde ihm bewusst, in welcher Position sie sich befanden, und hastig sprang er auf. Für einen Augenblick hatte er doch tatsächlich vergessen, dass alles andere als freundliche Distanz vollkommen unangebracht war...

"Ja, alles bestens...", langsam stand Enrico auf, versuchte mühsam, sein rasendes Herz wieder unter Kontrolle zu bringen, "Du hast also die Akte?" Übertrieben heftig nickte Oliver. "Dann lass uns doch mal nachschauen, ob wir was finden..."

Stumm machten sie sich auf die Suche nach einem Schreibpult, um den Fall besser studieren zu können; dabei kamen sie auch an einer Bücherreihe vorbei, hinter der seltsame Geräusche erklangen. Um der Peinlichkeit der Situation zu entfliehen und weil er glaubte, endlich ein wenig Horror aufgestöbert zu haben, steuerte Enrico zielstrebig auf den Quell der Laute zu - und stolperte damit geradewegs in eine noch viel größere Peinlichkeit: Statt dem erhofften Höllenfeeling fand er dort ein knutschendes Pärchen vor.

Kaum hatten die ihre Zuschauer wahrgenommen, verschwanden sie mit einem verschwörerischen Grinsen: "Keine Sorge, von uns erfährt keiner was! Viel Spaß noch..."

Es heißt immer, die Hölle bestehe aus einer Menge Menschen. Nun, wenn man sich all die Abteilungen, in denen es vom Büro bis zu den Schwefelgruben das unterschiedlichste Personal zu verteilen galt, anschaute, so mochte das durchaus stimmen. Aber wenn man in den eigenen kleinen Mikrokosmos ging, so stellten Enrico und Oliver gerade fest, konnte auch schon ein einziger Mann reichen: Der, der gerade neben einem steht und nichts sagt, weil er viel zu beschäftigt damit ist, das Problem zu ignorieren, dass es überhaupt ein Problem gibt.
 

So kam es, dass die beiden viel lieber in einer unleserlich geschriebenen Blättersammlung herumwühlten, als sich in die Augen zu sehen. Überhaupt war die gesamte Akte eine einzige Zumutung: Nicht nur, dass dieser Hiwatari bis auf die Tatsache, dass er ein grummliges, ganz und gar unleidliches Subjekt war, rein gar nichts verbrochen hatte, nein, nach den ersten zwanzig Seiten gab es noch immer keinen Hinweis auf mögliche Angriffspunkte. Erst Nummer 21, die letzte Seite, brachte die Rettung für die Ewige Verdammnis.
 

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Zu Rays Erstaunen klappte die Zusammenarbeit mit Kai erstaunlich gut. Sie wollten gerade anfangen, die andere Hälfte der zweiten Wand zu verschönern, da klingelte es an der Tür.

"Lass, ich geh schon!", noch ehe Ray überhaupt reagieren konnte, war Kai bereits aufgesprungen und aus dem Raum verschwunden.

"Wie kann ich hel..." "So, du gibst mein Geld also immer noch dafür aus, in so einer Bruchbude zu wohnen!", unterbrach eine missgestimmt klingende Männerstimme Kai, "Na ja, was habe ich auch anderes erwartet? Du legst es ja geradezu darauf an, mich durch dein Verhalten ins Grab zu bringen... Statt meine Firma zu übernehmen, studierst du lieber so einen unnützen Schwachsinn wie Medizin und..." "Medizin ist kein "unnützer Schwachsinn", Großvater; das dürftest du spätestens dann merken, wenn du einen Arzt brauchst. Vielleicht könnte ich dir sogar bei dieser Erkenntnisfindung behilflich sein...", Kai klang jetzt merklich unterkühlt.

Oh je, am besten sah Ray doch mal nach, was da eigentlich los war...

Vorsichtig lugte der Engel durch den Türspalt: Im Flur standen Kai und ein beleibter Mann mit langen, grauen Haaren und warfen sich feindselige Blicke zu.

Gereizt fuhr der Ältere fort: "Ach lenk doch nicht vom Thema ab! Der Punkt ist, dass ich dir alles gegeben habe und du nichts davon zurückzahlen willst. Statt dir eine Frau zu suchen und mir ein paar Erben in die Welt zu setzen, spielst du lieber den Wunderheiler und Handaufleger!"

Okay, dass Kai gerade einen Blick drauf hatte, als würde er seinem Verwandten gleich an die Kehle gehen, war sicher kein gutes Zeichen... Auch wenn Ray den Blauhaarigen ausnahmsweise verstehen konnte, so sollte er doch wohl besser eingreifen; wenn Kai wegen Mordes im Gefängnis saß, erleichterte das seinen Job schließlich auch nicht.

Ray schloss die Augen und atmete einmal tief durch, ehe er die Zimmertür ganz öffnete und hocherhobenen Hauptes in den Flur trat. Er konnte nicht so recht glauben, was er da gleich tun würde...

Sofort zuckte Kais Großvater herum und starrte ihn misstrauisch an: "Wer ist das?" "Ich bin Rei, Kais... äh... Mitbewohnerin.", Ray gab sich wirklich Mühe, seine Stimme möglichst hoch klingen zu lassen. Während Kai ihn daraufhin anstarrte wie das achte Weltwunder, unterzog dessen Großvater ihn einer kritischen Musterung.

Offenbar schien ihm das was er sah zu gefallen, denn mit einem zweideutigen Grinsen meinte er: "So so, die "Mitbewohnerin" also... Dann will ich auch gar nicht weiter stören."

Schneller als sie schauen konnten, war der Alte verschwunden. Stirnrunzelnd äffte Kai ihn nach: "So so, die "Mitbewohnerin" also... Wie bist du denn auf die Idee gekommen?" Ja, wie eigentlich? Na ja... "Da mich anscheinend sowieso jeder für ein Mädchen hält, dachte ich, ich kann dir damit ebenso gut helfen."

Für einige Sekunden sah es so aus, als wolle Kai lächeln, doch dann hatte er seine Mimik wieder unter Kontrolle: "So ganz nachvollziehbar ist das für mich auch nicht; aber um nicht vom eigentlichen Thema abzulenken: Tut mir leid, dass du dem berüchtigten Voltaire Hiwatari auf diese Art und Weise kennengelernt hast. Ich hätte dich ja gewarnt, aber normalerweise taucht er nur einmal im Monat hier auf und hält diese Predigt."

Irgendetwas machte beim Namen "Voltaire Hiwatari" "klick" in Rays Gehirn. "Heißt das..." "Ja, ich bin der Erbe der Biovolt Corporation, des weltweit größten Entwicklers für Computerchips und -programme aller Art. Entschuldige, dass ich dich in punkto meiner finanziellen Situation angelogen habe, aber du wirst verstehen, dass man das nicht jedem sofort auf die Nase bindet..."

Ja, das schon. "Aber wieso hast du dann eigentlich einen Mitbewohner gesucht?" "Ich dachte, dass sei eine gute Idee, um etwas Normalität in mein Leben zu bringen. Und Bei dir hatte ich einfach gleich ein gutes Gefühl."

Kai wollte Normalität in sein Leben bringen? Hurra, das war ja beinahe so, als hätte Hannibal Lecter gerade proklamiert, er wolle sich von jetzt an vegetarisch ernähren! Ray war bei dieser Vorstellung so nahe dran, in einen hysterischen Lachkrampf auszubrechen, dass er Kais zweite Äußerung gar nicht richtig registrierte. Selbst wenn er sie bemerkt hätte, hätte er das ganze wahrscheinlich sowieso nur als üblen Scherz abgetan, war er doch schließlich sowieso der Meinung, dass KAI HIWATARI garantiert nie etwas Nettes über jemanden sagen würde...
 

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"Ich glaub das nicht! Ich glaub das einfach nicht!", seit gut zehn Minuten wiederholte Oliver immer wieder in mehr oder minder abgewandelter Form diesen einen Satz, der mittlerweile mehr nach irgendeinem unbekannten, fernöstlichen Mantra klang.

"He, ich konnte vorher auch nicht ahnen, dass Voltaire sich Ray kurz anschaut und dann einfach glücklich und zufrieden verschwindet; wer kommt schon auf die kranke Idee, dass dieser infantile alte Sack¹ ihn für ein Mädchen halten könnte?" "Das sagt ausgerechnet derjenige, der mich für ein gottverdammtes Mädchen gehalten hat!"

Hitzig sprang Enrico von seinem Bürostuhl auf: "Was kann ich bitte dafür, wenn mir meine Hormone signalisieren, dass du ungemein sexy und erregend aussiehst?!"

Ehe einer von ihnen ihrem Lieblingshobby nachgehen und rot anlaufen konnte, materialisierte sich wieder ein mit einem Zettel umwickelter Backstein, der Enrico diesmal nicht auf den Kopf, sondern auf den Fuß stürzte. Während dieser laut fluchend auf einem Bein durch die Gegend hoppelte und sich beschwerte, dass er jetzt genau wisse, weshalb der Paragraph mit der gesetzlichen Krankenversicherung im Arbeitsvertrag extra fett gedruckt war, hatte Oliver sich die Mühe gemacht, das Papier vom Zettel zu wickeln und zu lesen. Die darauf stehende Anweisung war weder allzu blumig, noch besonders freundlich formuliert; vielmehr bot sich dem Blick des Lesers ein einziger, prägnanter Satz dar: In mein Büro - SOFORT!!!
 

Robert saß mit übereinandergefalteten Händen und ernster Miene an seinem Schreibtisch: "Meine Herren, dürfte ich bitte erfahren, welche Erfolge Sie bisher im Fall Hiwatari aufzuweisen haben?" "Öh... Na ja...", hilflos sah Enrico zu Oliver hinüber.

"Sie schweigen? Nun, dann sage ich es ihnen: Keine! Sie Versager haben rein gar nichts geschafft!", wütend sprang Robert auf. Seine Gesichtsfarbe war schon nicht mehr bloß rot, sondern kam langsam in den Bereich, in dem sie seiner Haarfarbe Konkurrenz machen konnte.

"Ja, aber wir sind doch erst seit zwei..." "Seit zwei Tagen mit dem Fall beauftragt? In zwei Tagen hat mein Urururgroßvater es Feuer regnen lassen, Sodom und Gomora in den Untergang getrieben und noch ganz nebenbei eine alte Frau unter einen vorbeifahrenden Streitwagen geschuppst! Hat einer von Ihnen eigentlich überhaupt eine Ahnung, wie man eine Seele stiehlt?"

Verlegenes Schweigen war Antwort genug. Seufzend ließ Robert die Hände aus den Hüften sinken: "Das Personal von heute... Na schön, dann werde ich Ihnen eben Hilfe zuteilen; eine der erfolgreichsten Succubi überhaupt dürfte eigentlich ausreichen, oder?"

Schlagartig wurde Oliver bleich; Enrico und ein Beischlafdämon in einem Team - das konnte einfach nicht gut gehen. Zumal da noch die kleine Stimme im Hinterkopf des Grünhaarigen war, die ganz unverhältnismäßig eifersüchtig auf diese Vorstellung reagierte...

Dennoch nickte er schicksalsergeben, als Robert ihn fragend ansah. Zufrieden schnalzte ihr Chef mit der Zunge, ehe er sich der Sprechanlage zuwandte: "Sehr schön! Johnny, würdest du bitte Miss Emily herbestellen?"
 

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So, Ray lebte also nicht nur mit einem Psychopathen, sondern mit einem reichen Psychopathen zusammen. Verdammt, er hätte Kais Akte wirklich lesen sollen...

"Du bist so ruhig; musst du immer noch über vorhin nachdenken?", fragend sah besagter Blauhaariger ihn an. "Was? Nein nein, es ist nur..." "Mein Großvater, schon klar. Hör mal, vor dem hast du nichts zu befürchten; er meint einfach, weil er mich bei sich aufgenommen und großgezogen hat, hätte er das Recht, sich in mein ganzes Leben einzumischen..."

Irgendetwas an dieser Formulierung ließ Ray hellhörig werden - aber was? Er war gerade fieberhaft am Überlegen, da läutete es schon wieder.

"Kai, Ray ©! Macht auf, wir sind's - Tyson und Max!" Stirnrunzelnd machte Kai keinerlei Anstalten, sich zu bewegen: "Schön für euch; sollte mich das jetzt irgendwie beruhigen?" "Ach kommt schon! Wir helfen euch immerhin beim Streichen - und wir haben DVDs für einen anschließenden Filmabend mitgebracht!"

"Wenn du sie noch weiter schmoren lässt, ist vielleicht sogar der dazugehörige DVD-Player drin...", ehe er überhaupt wusste, was er da sagte, hatte Ray diese Worte ausgesprochen. Oh, verdammt! Er als Engel sollte so was doch nicht sagen! So etwas war böse, habgierig, unfair und...

Das Lächeln, das Kai ihm schenkte, wischte jeden anderen Gedanken beiseite. Keine Spur von Selbstzufriedenheit oder Zynismus lag darin, viel mehr wirkte es ehrlich, ja beinahe... liebevoll.

Einige Sekunden starrte Ray Kai einfach an, konnte nicht glauben, dass er dieses kleine Wunder ausgelöst hatte. Dann kam wieder Leben in ihn: "Ich... Ich öffne ihnen dann mal, okay?" "Mmh, ist gut.", meinte Kai, ohne auch nur für eine Sekunde den Blick von ihm abzuwenden. Erst als Ray Max und Tyson hereinließ, wich das Lächeln aus seinem Gesicht und seinen Augen, machte dem gewohnten gleichgültigen Ausdruck Platz.
 

Den ganzen Tag über grübelte Ray nach, was da am Vormittag passiert war, warum er überhaupt das Gefühl hatte, dass da etwas passiert war. Machte Kai das auch mit den jungen Frauen so, die ihn anhimmelten und die er abblitzen ließ? Köderte er sie auch mit seinem Lächeln? Hatte er überhaupt eine von denen schon mal angelächelt?

Am liebsten hätte der Engel seinen Kopf gegen die nächste Wand geschlagen; bei seinen anderen Fällen hatte er sich so was doch noch nie gefragt! Warum also ausgerechnet bei Kai?

Weil das sein erster Schützling war, dem er so nahe kam? Weil er einigermaßen intelligent zu sein schien und gut aussah?

... Moment mal, seit wann fand er bitteschön, dass Kai gut aussah?

Na ja, die breiten Schultern, der athletische Körperbau und dieser knackige Hintern hatten schon was für sich...

Aaaaargh! Das war ja nicht zum Aushalten! Klar, rein äußerlich betrachtet war Kai top! Aber innerlich, innerlich war dieser Kerl ein Stück verwesendes Fleisch! Genau!

Seufzend fuhr der Engel sich mit einer Hand durch die Haare; warum verwirrte dieser Typ ihn so sehr, dass er einerseits wackelige Knie beim Gedanken an ihn bekam und ihn andrerseits manchmal (okay, fast immer) am liebsten umgebracht hätte?
 

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"Was, DIE soll irgendwelche Sterbliche dazu bringen, ihr hinterherzujagen?", fassungslos starrte Enrico den Succubus an, der eben hereingeführt worden war. Irgendwie hatte er sich solche Wesen immer anders vorgestellt; sinnlicher, nicht ganz so prüde.

Doch die junge Frau vor ihm hatte so gar nichts von einer devoten Verführerin. Ernst musterte sie ihn durch dicke Brillengläser hindurch, machte dabei den Eindruck, noch nie gelacht zu haben. Alles an ihr wirkte streng, ja geradezu verbissen penibel: Ihr orangenes Haar hing wie ein Vorhang auf Schulterhöhe, verdeckte noch mehr Haut, als ihr Rollkragenpullover und die Jeans es allein vermocht hätten.

"Nun, natürlich nicht in diesem Aufzug...", auffordernd klatschte Robert in die Hände, "Emily, wenn ich Sie bitten dürfte, Ihre Normalform anzunehmen."

Langsam geriet die Gestalt der Dämonin in Fluss: Die Haare wurden länger, bis sie schließlich in Form einer langen Lockenmähne über wohlgeformte Brüste wallten. Zeitgleich verschwand die Brille und die Kleidung wurde immer figurbetonter, bis sie schließlich in einem fast durchsichtigen weißen Sommerkleid endgültigen Ausdruck fand.

Emilys Stimme klang angenehm rauchig, als sie spöttisch fragte: "Und, gefalle ich Ihnen so besser, "großer Meister"?"

Abschätzend musterte Johnny sie: "Nun, du würdest uns noch besser gefallen, wenn du nicht so aufmüpfig wärst, aber das ist wohl die Art von deinesgleichen." Beruhigend legte ihm Robert eine Hand auf die Schulter: "Genug der Beschimpfungen; wir sind schließlich nicht hier, um einander zu diskreditieren, sondern weil wir einen Auftrag für Sie haben, teuerste Emily."

Misstrauisch funkelte Emily ihn an: "Und was hätte ich davon?" "Nun, ich würde mich im Gegenzug dazu bereit erklären, Ihren sehnlichsten Wunsch zu erfüllen: Auflösung Ihres Arbeitsvertrages und freies Geleit aus der Hölle. Im Gegenzug dafür werden Sie als Studentin auftreten und Zeit mit der von uns bestimmten Zielperson verbringen."

Während die anderen Drei sich unterhalten hatten, hatten Enrico und Oliver in einer Ecke gestanden, Däumchen gedreht und abwechselnd die Decke und ihre Schuhe angestarrt. Jetzt, da das Gespräch indirekt auf sie fiel, fühlten sie sich ... nun ja... unwohl. Dafür hatten sie jedoch höchst unterschiedliche Gründe: Während Oliver sich nicht eingestehen wollte, dass die Aussicht, außer sich noch eine Frau in Enricos Nähe zu wissen, ihn mehr beunruhigte als sie es eigentlich sollte, musste Enrico zugeben, dass Emilys Anblick noch immer keine Leidenschaft in ihm erweckte, sondern eher das Bedürfnis, sich Oliver unter einen Arm zu klemmen und wegzulaufen. Dabei war jedoch nicht in erster Linie der Aspekt der Flucht das Verwirrende, sondern das von seinem Unterbewusstsein angepeilte Versteck: Ein großes, mit Seide bezogenes Himmelbett, das genug Platz für... gewisse Aktivitäten bot.

Kritisch wurden sie von Emily gemustert, der keineswegs entging, dass ihre zukünftigen Kollegen synchron tomatenrot anliefen. Sie schien noch immer nicht gänzlich überzeugt, als sie schließlich widerwillig nickte: "Die Beiden sehen aus, als hätten sie jede Hilfe nötig, die sie kriegen können!"
 

Fragend sah Emily sich in dem kleinen, in etwa dem Format einer Schuhschachtel entsprechenden Büroraum um: "Und wo ist mein Platz?" Entgeistert starrte Oliver sie an: "Bist du nicht eigentlich nur für den Außendienst tätig?" "Ja, aber trotzdem muss ich Wochenberichte verfassen und eine feste Arbeitsstätte angeben.", teilnahmslos zuckte die Orangehaarige mit den Schultern, "So sind eben die Vorschriften!"

Als Enrico daraufhin den Mund öffnete, schloss Oliver gequält die Augen. Das Angebot, das ihn für immer aus der Nähe des Anderen verbannen würde, kam also noch schneller als erwartet...

"Nun, dann teilen uns Oliver und ich eben einen Schreibtisch und du übernimmst seinen, okay?"

Äh... Hä?
 

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Am Ende eines langen, anstrengenden Tages saßen Kai und Ray einträchtig nebeneinander auf dem Sofa und schauten "Tatsächlich...Liebe"², einen Film, den Max vorhin ausgesucht hatte. Jener weilte gerade in der Küche, um aufzupassen, dass das Popcorn von der Mikrowelle aus auch wirklich ins Wohnzimmer und nicht etwa in den Magen seines Liebsten wanderte.

"Du, Kai... Auf welchen Typ Frau stehst du eigentlich?", Ray gab sich Mühe, seine Frage möglichst beiläufig klingen zu lassen. Vielleicht half ihm das ja bei seinem Auftrag weiter...

"Nett, intelligent, sollte sich nicht jede meiner Launen widerstandslos gefallen lassen... Wieso fragst du?", prüfend sah Kai ihn an.

Ray konnte nicht verhindern, dass seine Wange sich leicht rosa färbten: "Och, nur so. Und äußerlich?" Er konnte schon fast so etwas wie Belustigung aus Kais Stimme heraushören, als dieser meinte: "Langhaarig und mit Augen, die einen alles andere um sich herum vergessen lassen. Aber das Wichtigste ist..."

Ehe Kai seinen Satz beenden konnte, kam Max hereingeplatzt: "So, ich bring euch was zum Knabbern mit... Oh, störe ich?"

"Nein nein!", panisch sprang Ray auf, "Ich wollte sowieso grade ins Bad!" Er wusste nicht, warum er dann davonstürmte, aber er hatte einfach nur das Bedürfnis, sich ins nächste Mauseloch zu verkriechen und nie wieder daraus hervorzukommen.
 

¹ Man beachte bitte den Widerspruch *g*

² Sorry, aber das musste jetzt hier rein. Ich liebe diesen Film... Schon allein, weil Alan Rickman mitspielt ^.^

Hi ^^

Auch in diesem Kapitel läuft es erneut chaotisch. Rein handlungstechnisch passiert immer noch nicht viel, aber dafür hege ich die Hoffnung, dass stattdessen der emotionale Aspekt nicht zu kurz kommt. Na ja...

Vielleicht ist die Storyentwicklung ein wenig langsam; aber es kommt mir einfach wahrscheinlicher vor, dass Ray erst dann einen Schritt auf Kai zu macht, wenn er ansatzweise eine Ahnung hat, warum sein Schützling sich so ablehnend gegenüber anderen verhält. Schließlich ist es in der Regel nicht so, dass man jemanden, den man eine ganze Zeit lang nicht gemocht hat, auf einmal total super findet. Sorry, falls das alles platt und 08/15 rüberkommt, aber ich habe mir mal Mühe bei der emotionalen Distanz gegeben. Bzw. es versucht.

*drop* Was ich eigentlich zu sagen versuche: Verzeiht mir, wenn dieses Kapitel lächerlich rüberkommt, aber ich bin meiner eigenen Meinung nach einfach nicht gut darin, ernst zu schreiben. Dementsprechend wird das Ganze dann auch meistens ziemlich OOC/ irgendwie ... lächerlich eben. Kann sein, dass ich das nur so empfinde, aber na ja... Falls ihr Tipps zum Bessermachen habt: Lasst sie mich bitte wissen!

Euer geschätzter Schreibsklave

Lady_Chaos
 

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Am nächsten Morgen machten Kai und Ray sich mit der Straßenbahn auf den Weg zur Universität. Das bedeutete 30 Minuten Fahrt, in denen man nichts anderes machen konnte als aus dem Fenster auf die vorbeiziehende Umgebung zu starren, die zu dieser Uhrzeit größtenteils noch in Hochhausschemen hinter erbsensuppendicken Nebel Ausdruck fand. Nur selten verirrte sich jemand hinaus auf die Straße und wenn derjenige das tat, dann wohl eher gezwungenermaßen. Bei einer derart spannenden Aussicht bereute Ray es ausgiebig, dass er nicht über ein Buch oder einen Discman oder sonst irgendetwas verfügte, mit dem er sich die Zeit vertreiben konnte.

"Warum hast du eigentlich so dringend eine neue Bleibe gebraucht?"

Hatte er gerade behauptet, er hätte keine Beschäftigung? Falsch; er hatte ja Kai...

Sich zunehmend unwohl fühlend, rutschte Ray auf dem grünen, quietschenden Kunstlederimitat¹ seines Sitzplatzes entlang: "Na ja, ich bin gerade erst umgezogen..." Ja, und zwar in den Vorhof der Hölle! "Eigentlich hat Lee mich bei sich wohnen lassen wollen, aber dann gab es Ärger mit dem Vermieter."

"Dein Bruder wohnt also schon länger hier.", Kai fragte nicht, er stellte fest.

"Ja. Er ist der Besitzer des Chinarestaurants direkt gegenüber des Universitätshauptgebäudes; deswegen ist es auch ganz praktisch, dass ich dort arbeiten kann. Sozusagen Lees Art, mir unter die Arme zu greifen.", Ray war richtig stolz auf sich. Bis jetzt war es ihm gelungen, keine einzige Lüge zu erzählen. Wenn er nicht gerade bei den Himmlischen Heerscharen im Sold stand, lebte Lee tatsächlich auf der Erde. Die Gaststätte hatte sein Freund dann kurzerhand aufgemacht, um Ray rund um die Uhr moralische Unterstützung bieten zu können.

"Tut mir leid, dass ich neulich so schlecht über deine Familie geredet habe; manchmal steigere ich mich da einfach in was hinein...", so etwas wie ein entschuldigendes Lächeln huschte über Kais Gesicht, "Wie wäre es, wenn ich dir als kleine Wiedergutmachung das Mittagessen ausgebe?"

Perplex starrte Ray ihn an; was war jetzt bitte los? Schließlich gelang es ihm, doch noch ein "Danke..." zu stammeln, ehe die Straßenbahn auch schon an ihrer Zielstation hielt und sie aussteigen mussten.
 

Von der Haltestelle aus waren es noch etwa fünf Minuten bergauf, ehe man auf dem Unigelände ankam. Hier trennten sich ihre Wege, fanden Kais Vorlesungen doch in einem anderen Gebäude statt als die von Ray.

Der Engel war ehrlich gesagt recht dankbar, mal eine Atempause zu erhalten, gab ihm das doch Zeit, seine Eindrücke von seinem Schützling zu sortieren. Er verstand einfach nicht, wie jemand einerseits so ein Widerling und andererseits so ... verwirrend sein konnte. Das Ekel, das er in den letzten neun Monaten vom Himmel aus überwacht hatte, passte nicht so recht mit dem zusammen, was Ray bis jetzt erlebt hatte. Sicher, Kai legte im Umgang mit ihm eine eher unterkühlte Höflichkeit an den Tag, aber dann waren da auch immer diese kurzen Momente, in denen der Blauhaarige nicht ganz so abweisend, nicht ganz so unnahbar wirkte. So ungern Ray es zugab, doch in den letzten Tagen war eher er es gewesen, der eine gewisse Aggressivität in Kais Verhalten reininterpretiert hatte...

Lag da das Problem? War er zu vorbelastet durch seine bisherigen Beobachtungen, um objektiv beurteilen zu können, wer zu Kai passte? Hegte er so einen großen Groll gegen seinen Mitbewohner, dass er ihm keine Liebe gönnte und dementsprechend auch gar nicht erst nach geeigneten Kandidaten suchte? Sicher, in letzter Zeit hatte er übertrieben gereizt auf Kai reagiert, aber das war nach dem ganzen Mist, den dieser verbrochen hatte, doch ganz normal, oder? ODER?

Den ganzen Tag über quälte Ray sich mit dieser Fragestellung. In seinem Kopf tauchten die schrecklichsten Bilder auf: Er als verbitterte alte Furie, die statt einem Liebesbogen eine Armbrust mit Giftpfeilen als Waffe führte und als Heckenschütze auf Kai lauerte, Mariah, die ihm einen Besen in die Hand drückte und zur Unterputze im McHell ernannte, Lee und die Jungs, die ihm sagten, wie enttäuscht sie doch von ihm seien, Enrico, der irre kichernd um ihn herumsprang und "Es tanzt ein Bi-Ba-Butzemann" trällerte... Und schließlich Kai selbst, der im Gegensatz zu all den anderen überhaupt nichts sagte, einfach nur dastand und ihn anschaute, mit seinen gottverdammten, göttlich schönen blutroten Augen, in denen Schmerz und Trauer und noch irgendetwas anderes lagen...

Schließlich war er einfach nur froh, als die Kurse, von denen er ohnehin nur weniger als die Hälfte mitgekriegt hatte, zuende waren und er lustlos in die Mensa schlurfen durfte. Weniger schön fand er jedoch, dass ihm Max dort mit Dauergrinsen bewaffnet und mit beiden Ärmchen winkend von einem Tisch aus regelrecht entgegensprang: "Huhuuuu, Ray, hier drüben!" Tja, das waren die vielgelobten Momente, in denen man am liebsten vor Scham im Boden versunken wäre...

Den Unmut seines Bekannten ignorierend, zog Max ihn in eine kurze, aber stürmische Umarmung: "Schön dich zu sehen! Setz dich doch, Tyson besorgt uns grade das Essen und Kai dürfte auch gleich kommen." "Tyson studiert also auch?", mit vielem hätte Ray gerechnet, aber nicht damit. "Japp, und zwar Geschichte; sein Vater ist Archäologe, es bleibt also sozusagen in der Familie. Aber sag mal, was hast du eigentlich mit Kai gemacht? So gut gelaunt hab ich ihn schon lange nicht mehr erlebt - eigentlich noch nie."

Ungläubig runzelte Ray die Stirn: "Findest du? Bis jetzt hatte ich eher das Gefühl, dass Kai alles daran setzt, eine höfliche Distanz zu mir zu waren; zumindest kann ich mich nicht daran erinnern, ihn meinen Einzug mit Partyhütchen und Tröte feiern gesehen zu haben..." "Allein die Tatsache, dass er überhaupt jemanden bei sich hat einziehen lassen, stellt ein kleines Wunder dar. Eigentlich hat er diesen "Suche Mitbewohner"-Aushang ja nur getätigt, damit Tyson und ich nicht mehr ständig versuchen, ihm einen Bekanntenkreis zu schaffen... Und selbst wir haben zwei Jahre gebraucht, ehe er mehr als ein flüchtiges "Guten Tag" im Treppenhaus für uns übrig hatte. Glaub mir, Kai mag dich!", verschwörerisch zwinkerte Max ihm zu, "Ach ja, da kommt er übrigens..."

Hastig drehte Ray sich in die angegebene Richtung, nur um dann sofort wieder wegzuschauen. Verdammt, was tat er hier eigentlich?

"Hallo.", so als hätte er das immer röter anlaufende Gesicht seines Mitbewohners nicht bemerkt, setzte Kai sich mit unbewegter Miene auf den Stuhl neben Ray, "Nachher noch zwei Stunden Hörsaal, dann hab ich's für heute hinter mir. Und du, Ray?" "Ähm, also... Ich kellnere nachher noch im Restaurant meines Bruders. Wieso ?" "Na ja, ich dachte einfach, wir könnten vielleicht zusammen nachhause fahren." "Oh... Okay."

Nein, nichts war okay! Am liebsten hätte Ray seinen Kopf gegen eine Wand geschlagen; wann bitte hatte sich sein Sprachzentrum in einen großen Klumpen Kartoffelbrei verwandelt?

Zu allem Überfluss war da auch noch Max, dessen Grinsen verdächtig nach einem "Siehst du, ich hab's dir ja gesagt..." aussah. Erst Tysons Auftauchen brachte ihn dazu aufzuhören, war der Blonde dann doch viel zu sehr damit beschäftigt, aufzuspringen und seinem Freund einen Begrüßungskuss auf die Wange zu hauchen.

Mit einem zufriedenen Seufzen ließ Tyson sich auf einen Stuhl fallen: "So, der Lieferservice ist da; hoffe, ihr mögt Tortelloni..."
 

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"Darf ich dich etwas fragen, Enrico?", nervös goss sich Oliver Kaffee in einen Pappbecher. "Sicher, nur zu!" "Warum hast du eigentlich nicht vorgeschlagen, dass Emily sich zu dir setzt?"

Für einen Augenblick hielt Enrico im Sortieren von alten Akten inne. Ja, warum eigentlich?

Sicher, selbst er konnte mittlerweile nicht mehr leugnen, dass er Oliver attraktiv fand, aber so etwas hatte ihn nie davon abgehalten, mehrere Personen gleichzeitig anzubaggern. Nein, da musste definitiv noch etwas anderes im Spiel sein... Nur was?

Als er im Himmel gearbeitet hatte, war er ein Einzelkämpfer gewesen, hatte es wegen seiner ständigen Frauengeschichten und der daraus resultierenden, eher mäßigen Popularität einfach sein müssen; aber mit Oliver war das so ... anders. Da war nicht nur der sexuelle Aspekt, er konnte sich mit dem Grünhaarigen unterhalten, ohne dass dessen Gegenwart ihn je langweilte oder gar nervte. Mehr noch, er mochte es, ihn einfach so in seiner Nähe zu haben! Für jemanden, dessen gesamter Erfahrungsbereich an zwischenmenschlichen Beziehungen bei einer vertrockneten Topfpflanze begonnen und geendet hatte, war das ein mehr als seltsames Gefühl...

"Keine Ahnung; schätze, sie ist einfach nicht mein Typ.", Enrico wagte es erst gar nicht, in Olivers Gesicht zu sehen.

"Nicht dein Typ?", fassungslos starrte sein Kollege ihn an, "Verdammt noch mal, JEDE ist dein Typ!" Uups, das war jetzt vielleicht nicht ganz die richtige Ausdrucksweise gewesen...

Betreten sah Enrico zu Boden: "Ja, normalerweise schon, aber... Ich muss ständig an jemand anderen denken." Zögerlich hob er den Kopf, hoffte, dass der Grünhaarige jetzt nicht zu geschockt reagieren würde. Natürlich wurde er prompt enttäuscht...

"Das... Das ist großartig, Enrico.", Oliver wusste genau, dass er gerade mit absoluter Sicherheit totenbleich wurde. Er war also nur als Schutzschild vor Emily gedacht, weil Enrico einen anderen Fisch an der Angel hatte... Aber warum bestürzte ihn das eigentlich so sehr? War doch sowieso lächerlich zu glauben, dass ausgerechnet ein Hetero sich in ihn verlieben könnte...

"Wenn du mich für einen Augenblick entschuldigen würdest...", so schnell er konnte, rannte Oliver aus dem Zimmer, damit Enrico bloß nicht die in seinen Augen aufsteigenden Tränen sah.
 

Auf dem Gang lief er geradewegs in Emily hinein, die zu seinem Erstaunen nun wieder kurze Haare und eine Brille trug.

"Aua, pass doch auf, du... Oliver? Was ist denn los?" "Nichts. Alles bestens!", selbst er merkte, wie erbärmlich sein Versuch unbekümmert zu klingen eigentlich war. "Klar, deswegen heulst du auch wie ein Schlosshund! Na los, erzähl schon, vielleicht fühlst du dich danach besser.", auffordernd bugsierte der Succubus ihn zu einem nahegelegenen Wartesaal für verlorene Seelen.

Oliver wusste nicht, warum er ausgerechnet auf einem Plastikstuhl kauernd und von einigen Dutzend auf ihren Berufungsprozess wartenden Verdammten umgeben zu reden begann oder warum es ausgerechnet Emily, eine fast völlig Fremde, es war, der er sich mitteilte. Irgendwie passte das alles einfach zum Wahnsinn des Moments, zur Groteske der ganzen Situation...

Unaufhörlich sprudelten die Worte aus ihm hervor, wie Wasser, das sich langsam den Weg aus seiner Quelle sucht. Immer mehr und immer schneller redete er, bis er selbst kaum mehr ein Wort verstand. Dennoch saß Emily die ganze Zeit still daneben, stellte keine Fragen, hörte einfach nur zu und nickte von Zeit zu Zeit verständnisvoll. Erst als Oliver verstummte, weil ihm langsam aber sicher die Luft ausging, gab sie ein leises Seufzen von sich: "Mann, und da dachte ich immer, meine Beziehung zu Michael sei kompliziert..."

Aus großen Augen sah Oliver sie an: "Du... Du hast einen Freund?" "Ja, Michael ist ein Sterblicher, der Sport und Geographie auf Lehramt studiert; ich hab ihn kennengelernt, als ich einen seiner Professoren abschleppen sollte...", ein abwesendes Lächeln huschte über Emilys Gesicht, "Ich weiß, dass sich das in Anbetracht dessen, was ich bin, ziemlich bizarr anhören muss, aber... Es war Liebe auf den ersten Blick."

"Nein, das hört sich überhaupt nicht bizarr an, im Gegenteil. Jeder braucht doch jemanden, der für ihn da ist. Weiß er...?"

"Er hat keine Ahnung, dass seine Freundin hauptberuflich auf der Jagd nach Seelen ist; deswegen ja auch die Verkleidung. Ich hasse diese Lügereien, aber ebenso wenig könnte ich es ertragen, wenn er nichts mehr mit mir zu tun haben wollen würde..."

Traurig grinste Oliver: "Wir sind schon zwei Glückspilze, was?" "Na ja, sehen wir es positiv: Immerhin sind wir überhaupt dazu in der Lage zu lieben. Aber jetzt sollten wir wohl besser zurück an die Arbeit gehen, ehe es noch Ärger mit dem Chef gibt."
 

Als sie zurück ins Büro kamen, wartete Enrico schon ungeduldig auf sie: "Wo habt ihr gesteckt?" Die Frage klang schärfer als beabsichtigt, war der Blonde doch noch vollkommen durch den Wind wegen Olivers plötzlicher Flucht. Hatte er es also mal wieder hingekriegt, genau das Falsche zu sagen...

Verdammt, warum musste das alles auch bloß so kompliziert sein?

Sonst war Enrico doch auch immer direkt auf das Objekt seiner Begierde zugeprescht und hatte es erobert, also warum musste er ausgerechnet jetzt weiche Knie und feuchte Hände kriegen? Hätte man sich diesen ganzen "Null Plan"-Quatsch nicht für irgendjemanden aufheben können, an dem ihm nicht ganz so viel lag?

Verschwörerisch blinzelte Emily Oliver zu, bevor sie schulterzuckend antwortete: "Ach, er hat mir nur etwas gebracht, was ich vergessen hatte." "Und dafür braucht Oliver knapp 1 ½ Stunden?" "Nun, wie du siehst war ich in einem anderen Fall tätig. Ist das Verhör jetzt abgeschlossen?" "Vorläufig.", noch immer war Enricos Misstrauen nicht ganz getilgt, "Trotzdem würde ich mich gerne noch mit Oliver über diesen Vorfall unterhalten - unter vier Augen."

Ein ungutes Gefühl bei der Sache habend, ließ sich Oliver auf den Gang schleifen. Gleich würde es kommen, das Donnerwetter, das Ausfragen, das...

"Tut mir leid, wenn ich vorhin was gesagt habe, das dich verletzt hat. Ich wollte wirklich nicht, dass du dich wegen mir schlecht fühlst; dafür hab ich dich viel zu gern...", zaghaft ließ Enrico zwei Reihen perlweißer Zähne aufblitzen, innerlich darum betend, dass er die Sache dadurch nicht noch schlimmer machte.

"Ich dich doch auch! Nur... Nur leider nicht auf die selbe Art wie du mich..."

"Damit werde ich dann wohl leben müssen." Noch immer lächelte Enrico, doch nun schien eine Traurigkeit darin zu liegen, die Oliver überraschte. Das war so gar nicht die Reaktion, die er nach dieser indirekten Liebeserklärung erwartet hatte; eigentlich hatte er viel eher damit gerechnet, gleich eine Faust im Gesicht kleben zu haben oder allein auf dem Gang zu stehen. Damit hätte er umgehen können, doch das... Das hier schmerzte irgendwie noch mehr als eine klare Abfuhr.

Was folgte, machte die Sache nicht besser. Unbeholfen zog Enrico ihn in eine Umarmung und murmelte genau die Worte, die man in solch einer Situation nicht hören wollte: "Aber wir können doch trotzdem Freunde bleiben, oder?" Das einzige, was diesen Spruch an Grauen toppen konnte, war das vielgerühmte "Natürlich bleibst du trotzdem unser Sohn."...

Dennoch zwang sich Oliver zu einem kindlisch-hilflosen Lächeln: "Sicher..."
 

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"Ich hab echt keine Ahnung, was ich noch machen soll, Lee. Vielleicht ist es ja verfrüht, nach drei Tagen auf Erden schon das Handtuch werfen zu wollen, aber... Verdammt noch mal, ich habe doch vorher schon neun Monate an diesem verfluchten Fall gesessen! Neun Monate, in denen keine einzige Frau auch nur ansatzweise Kais Interesse erweckt hat! Und als ob das nicht schon genug wäre, fängt jetzt auch noch mein Körper an, vor lauter Stress vollkommen verrückt zu spielen. Was soll ich deiner Meinung nach machen?", niedergeschlagen ließ Ray seinen Kopf auf den Tisch sinken.

So entging ihm auch das Lächeln, das kurz über Lees Gesicht huschte: "Wie äußern sich deine Beschwerden denn?" "So ein seltsames Kribbeln im Bauch und mein Herz schlägt viel zu schnell; muss wohl an der Schlaflosigkeit liegen, die mich dank Kai heimsucht..." "Vielleicht.", nun konnte sich Lee das Grinsen wirklich nicht mehr verkneifen, "Apropos: Da kommt er auch schon!"

Rot anlaufend, spähte Ray durchs Lokal. Tatsächlich stand vorne an der Eingangstür Kai und betrachtete interessiert einige in einem Wassertank herumschwimmende Kois; doch scheinbar spürte der Blauhaarige, dass er beobachtet wurde, denn Sekunden später wandte er auch schon seinen Kopf um und sah Ray ohne großartig nach ihm suchen zu müssen an. Eine halbe Ewigkeit lang sagte keiner ein Wort, ehe Kai schließlich meinte: "Nettes Lokal. Und so voll."

Ehe Ray wieder einen Wutanfall kriegen konnte, legte Lee ihm eine Hand auf die Schulter: "Normalerweise ist hier mehr los. Setz dich doch ruhig zu uns, immerhin haben wir ja genug Platz." Auffordernd zeigte er auf einen Stuhl neben sich.

"Ich bin nur hier, um Ray abzuholen.", höflich aber bestimmt schüttelte Kai den Kopf, "Die nächste Straßenbahn kommt gleich." "Ach komm schon, das macht gar keine Mühe! Ich hab heute so wenige Kunden, da kann ich nachher ruhigen Gewissens Kevin die Verantwortung übergeben und euch nachhause fahren..." "Nein danke, ich fahre Straßenbahn.", ein eisiger Unterton hatte sich in Kais Stimme geschlichen. Damit konnte der Blauhaarige jedoch auch nicht verbergen, dass ein kaum merkliches Zittern seinen Körper durchlief.

Noch ehe die Situation eskalieren konnte, räusperte sich Ray: "Danke, ist lieb von dir Lee, aber es ist wohl wirklich das beste, wenn Kai und ich jetzt gehen... Bis morgen!" Ohne auf eine Entgegnung des anderen Engels zu warten, packte er seinen Mitbewohner am Arm und zog ihn hinter sich her auf die Straße.
 

Als sie in ihrer Wohnung ankamen, hatte sich Rays Wut soweit angestaut, dass sie sich einfach in einem Ausbruch kanalisieren musste. Dreißig Minuten, die damit zugebracht werden, in der Straßenbahn zu sitzen und sich anzuschweigen, sind nicht unbedingt förderlich für Rücksichtnahme und Mitgefühl...

"Was war vorhin mit dir los, Kai?" "Nichts...", wütend biss sich der Blauhaarige auf die Unterlippe. "Ja klar, DAS haben wir ja vorhin alle mitgekriegt. Was für ein Problem hast du eigentlich mit Autos?" "Ich... Keines!", unwillkürlich wurde Kai lauter, "Und überhaupt sehe ich gar nicht ein, warum mein Privatleben dich etwas angehen sollte!"

Tja, da war er wieder, der Kai Hiwatari, den Ray am liebsten auf den Mond schießen würde! Der jede mühsam aufgebaute Sympathie innerhalb von Sekunden so sezieren konnte, dass nur noch kleine, unförmige graue Klumpen und ein schaler Nachgeschmack davon übrig blieben.

Ohne noch ein weiteres Wort von sich zu geben, ging Ray langsam an Kai vorbei in die Ruinen seines zukünftigen Zimmers, schloss die Tür so betont leise hinter sich, dass man das Gefühl hatte, er hätte sie mit voller Wucht hinter sich zugeschlagen. Er hatte es so satt...

Jedes Mal, wenn er glaubte ansatzweise mit Kai auskommen zu können, schleuderte der ihm all seine Bemühungen zurück ins Gesicht, so als habe er nicht das geringste Recht dazu, an seinem Leben teilzunehmen. Früher indirekt durch das Abblocken seiner Verkuppelungsversuche, nun auf diese Weise. Das machte Ray wütend, doch aus ihm selbst unerklärlichen Gründen machte es ihn ebenso traurig. Nichtmal wegen seinem Job oder der ganzen vergeudeten Zeit, sondern weil es einfach unglaublich weh tat, dass man jemandem gleichzeitig so nahe und dann doch wieder so weit entfernt von ihm sein konnte.

Ein zögerliches Klopfen riss Ray aus seinen allzu schwarzen Gedanken. Mit geschlossenen Augen lehnte sich der Engel an die Wand: "Geh weg, Kai, ich bin momentan nicht in der Stimmung für einen Streit."

Doch statt auf ihn zu hören, öffnete der Andere die Tür, warf ihm etwas entgegen, dass sich mit offenen Augen als sein Mantel herausstellte: "Komm mit!" "Wohin? Und warum sollte ich überhaupt?" "Komm mit oder lass es bleiben. Das hier ist das einzige Mal, dass ich es dir anbieten werde."

Es war nicht so, dass Ray daraufhin voller ehrfürchtigem Staunen Kais Hand ergriff und sich einfach davonschleifen ließ. So etwas passiert nur in drittklassigen Hollywoodschnulzen. Aber selbst der Engel konnte nicht ignorieren, dass bei der letzten Äußerung ein Hauch weniger Sarkasmus als sonst in Kais Stimme angeklungen war oder dass ihm irgendein unbestimmtes Gefühl sagte, das hier könne wirklich wichtig sein.
 

Keine zehn Minuten später standen sie unter einer alten Trauerweide auf dem Nordfriedhof. Weit und breit herrschte sprichwörtlich Totenstille und im immer schwächer werdenden Licht des Wintertages war auch kein anderer Mensch mehr zu sehen, der die Reihen von alten, halbzerfallenen Gräbern und Familiengrüften durchschritt. Doch nicht das erregte Rays Aufmerksamkeit...

Was seltsam war, war das Grab direkt vor ihnen. Von einer einfachen weißen Marmorplatte bedeckt, wies es nicht den kleinsten Hinweis auf, wer dort eigentlich begraben lag. Kein Name, kein Sterbedatum, kein Nichts; alles, was als Schmuck eingraviert worden war, war ein prachtvoller, in seiner Darstellung leicht orientalisch anmutender Vogel.

"Das ist ein Phönix. Du weißt schon, der Vogel, der aus seiner eigenen Asche wiedergeboren wird...", gemächlich kramte Kai eine Packung Streichhölzer aus den Taschen seines grauen Wollmantels hervor, um dann mit einem von ihnen ein bereits halb heruntergebranntes Grablicht anzuzünden, "Ich denke, es würde meinen Eltern gefallen, dass ausgerechnet dieses Fabelwesen ihre letzte Ruhestätte ziert."

Die Stimme seines Schützlings klang bei dieser Aussage neutral, aber dennoch konnte Ray in seine Augen erkennen, wie sehr ihn das hier belasten musste.

"Wir waren gerade auf dem Nachhauseweg von der Feier meines sechsten Geburtstags, als irgendein angetrunkener Yuppie gemeint hat, uns beim Überholen von der Fahrbahn abdrängen zu müssen; mein Vater war sofort tot, meine Mutter starb während der Fahrt ins Krankenhaus. Alles in allem ein grandioses Geburtstagsgeschenk, oder?"

"Ich... Tut mir leid.", betreten blickte Ray zu Boden.

Behutsam legten sich Finger unter sein Kinn, drückten es vorsichtig wieder nach oben. Ein zögerliches Lächeln machte sich auf Kais Gesicht breit: "Schon gut. Lass uns einfach nachhause gehen, ja?"
 

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Schweigend hatten Oliver und Enrico die Szene vom Monitor ihres Computers² aus beobachtet. Wahrscheinlich wäre das hier der perfekte Moment gewesen, um auf irgendeine zwielichtige Weise an Kais Seele heranzukommen, aber selbst in der Hölle gab es Dinge, die man verdammt noch mal mit Respekt zu behandeln hatte...

"Na toll, wir sollen jemandes Leben zerstören, der bereits in einem Alptraum großgeworden ist! Ich fühl mich gerade wie das letzte Arschloch.", zu seiner eigenen Überraschung stellte Enrico fest, dass dem tatsächlich so war; noch vor wenigen Tagen hätte er stattdessen irgendeinen scheinheiligen Kommentar von sich gegeben und dem Pechvogel geistig den Mittelfinger gezeigt...

"Ich weiß, was du meinst; man muss schon ein echter Dreckskerl sein, um sich Tag für Tag anzuschauen, wie man andere in ihr Unglück treibt, und das Ganze dann auch noch zu genießen.", traurig ließ Oliver seinen Kopf auf den Schreibtisch sinken, sah damit nur noch begehrenswerter für Enrico aus.

Sofort verbot sich der Blonde diesen Gedanken. Es war einfach nicht richtig, nicht, wenn Oliver nicht genauso fühlte wie er... Stattdessen sollte er lieber versuchen, eine Konversation zustande zu bringen: "Warum machst du den Job dann eigentlich?"

"Weil man diese Weisheit meistens erst dann erkennt, wenn man sich so danebenbenommen hat, dass einen Oben keiner mehr haben will..."

Betretenes Schweigen trat ein. Auch wenn es bisher nie ein Problem für ihn dargestellt hatte, war Enrico momentan alles andere als stolz auf sein bisheriges Leben; wenn er ehrlich war, konnte er jetzt sogar verstehen, weshalb seine Vorgesetzten ihn rausgeschmissen hatten. Wenn er bedachte, wie er sich über all die unglücklich Verliebten lustig gemacht hatte und das dann mit seiner eigenen Situation in Bezug auf Oliver verglich...

Oliver!

Unwillkürlich musste Enrico lächeln: "Na ja, aber andererseits hätte ich dich sonst nie kennengelernt..."

Schmerzhaft zog sich Olivers Herz zusammen; es tat weh, so etwas aus dem Mund desjenigen zu hören, in den man verliebt war und der selbst nichts von einem wollte. Zu wissen, dass Enrico das nie so meinen würde, wie Oliver sich es wünschte... Wie konnte man gleichzeitig so romantisch und so hoffnungslos ignorant sein? Immerhin hatte er Enrico doch gesagt, was er für ihn empfand...

Besagtem Blondschopf war unterdessen nicht entgangen, wie Olivers Gemütszustand von "bloße Deprimiertheit" auf "persönliches Problem" umgeschwungen war: "Alles okay?"

"Was? ... Ja, alles bestens.", mühsam brachte Oliver ein Lächeln zustande, "Du... Ich freue mich auch, dass wir uns begegnet sind."
 


 

¹ Kennt ihr dieses Zeug, das manchmal als Sitzbezug in alten Straßenbahnen Verwendung findet? Ich hasse es...

² Seien wir mal ehrlich: Wenn wir man sich solche Höllenprogramme wie Windows anschaut, wäre das doch genau das Richtige für den Teufel, um zur Störung unseres Seelenheils beizutragen, oder? XD

Hi,

Erstmal ein großes Sorry, dass ich so lange nicht weitergeschrieben habe; aber wie ihr gemerkt haben dürftet, dauert es bei mir immer ein bisschen länger... Ich bin beim Schreiben eine ziemliche Perfektionistin, und wenn ich nicht 100%tig mit dem Ergebnis meiner Bemühungen zufrieden bin, stelle ich das Ganze auch nicht online. Und leider war es gerade bei diesem Kapitel so, dass ich mich an einer Stelle verbissen habe und deswegen einfach nicht weiterkam. Tja, besagte Szene habe ich jetzt komplett anders abgehandelt, als sie ursprünglich gedacht war, aber ich bin mit dem Ergebnis glücklich ;-)

Ach ja, keine Ahnung, ob das jemanden interessiert, aber hier noch ein paar Lieder, die mir aus der Schreibblockade geholfen haben:

1. Delta Goodrem - Lost without you (Danke nochmal an Claudi für den Tipp ^.~)

2. Texas - I'll see it through

3. Rufus Wainwright - Hallelujah

4. Farin Urlaub - Sonne

5. Die Ärzte - Nie gesagt
 

Was dieses Nichtspeilen bei Enrico & Oliver (und teilweise auch bei Ray) angeht: Bitte glaubt mir, dass ich das nicht nur mache, um die Geschichte künstlich in die Länge zu ziehen. Ich kann so was als Leser selbst nicht besonders leiden und deswegen würde ich das auch nie tun... Aber genauso unrealistisch wäre es, wenn sie sich nach fünf Minuten ewige Liebe schwören würden. Sicher, in Einzelfällen mag so etwas vorkommen, aber wir alle kennen es doch nur zu gut, dass wir bei dem, was uns selbst betrifft, meistens viel eher auf dem Schlauch stehen als wenn es um andere geht. Zumindest geht mir das so...

Aber seid beruhigt: In diesem Kapitel tut sich endlich mal was in der Richtung ^.~ Ich wünsche euch allen auf jeden Fall noch viel Spaß beim Lesen!
 

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Als Ray am nächsten Morgen aufstand, hatte er einen Entschluss gefasst: Er würde dafür sorgen, dass Kai glücklich wurde. Nicht mehr bloß, weil es sein Job war, sondern weil sein Schützling es verdammt noch mal verdient hatte. Soviel hatte Ray in den unzähligen schlaflosen Stunden der vergangenen Nacht verstanden. Nur gut, dass Engel eigentlich gar keinen Schlaf brauchten; ansonsten hätte er jetzt wohl herumgehangen wie ein Schluck Wasser in der Kurve...

So drehte er einfach das Radio auf und summte gutgelaunt bei einem Lied mit, von dessen Text er nur die Hälfte verstand, während er sich daran machte, das Frühstück für sich und Kai vorzubereiten. Hm, mal sehen... Tee mit Milch und Honig, frische Backofenbrötchen, Butter, diverse Marmeladensorten...

Gewohnt jugendlich-frisch kam Kai in die Küche getorkelt, lief an Ray vorbei zum Kühlschrank, hielt in der Bewegung inne und drehte sich um: "Was ist denn hier los?" "Morgen, Kai!", gutgelaunt gab Ray Teig in eine Pfanne mit geschmolzener Butter, "Ich mache uns Frühstück. Setz dich doch schon mal hin, ich mache uns nur noch schnell die Pfannkuchen fertig." Sichtlich benommen gehorchte der Blauhaarige. Es dauerte einige Minuten, ehe er sich dazu im Stande sah, seinen Gedanken in zusammenhängenden Sätzen Ausdruck zu verleihen: "Wann bist du aufgestanden? Das alles muss doch eine Heidenarbeit gewesen sein!" "Och, schon okay... Ich dachte, dass sei nach gestern Abend eine gute Idee..."

"Das ist sicherlich nett gemeint, aber du brauchst das nicht zu machen... Ich hab keine Lust drauf, dass du aus purem Mitleid Zeit mit mir verbringst. Schließlich bist du ja nur mein Mitbewohner...", Kai gab sich alle Mühe, kalt zu klingen, aber dennoch schwang ein Hauch von... Ja, von was eigentlich? Frustration? Hilflosigkeit? Was immer es war, es schwang auf jeden Fall in Kais Stimme mit.

"Nur dein Mitbewohner? Kai, ich dachte, wir wären mehr... Ich dachte, wir wären Freunde! Okay, ich kenne dich erst seit ein paar Tagen... Aber du lässt doch nicht einfach einen Wildfremden so nahe an dich heran!?", wieder einmal war Ray von seinem Schützling restlos verwirrt.

"Nein, das tue ich tatsächlich nicht; und genau ist das Problem, Ray...", kurz zögerte Kai, beinahe als ob er noch etwas sagen wollte, dann drehte er sich um, "Ehrlich gesagt ist mir heute nicht nach Frühstücken zumute. Wenn du mich entschuldigen würdest... Ich glaube, ich gehe erst mal joggen."

Sprachlos sah Ray dabei zu, wie Kai die Küche verließ und sich allen Ernstes für Frühsport bereit machte. Dass neben ihm der Pfannkuchenteig sich gerade in der Pfanne festbrannte, war momentan die kleinste Sorge des Engels...
 

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Enrico fühlte sich erbärmlich, als er an diesem Morgen beobachten musste, was in der Wohngemeinschaft Hiwatari/Kon vor sich ging. Zu sehr erinnerte ihn das Ganze an sein eigenes Privatleben, bzw. an das Fehlen desselbigen. Er fühlte sich immer noch mies, weil Oliver so geschockt auf sein Geständnis reagiert hatte, und die Tatsache, dass der Grünhaarige heute nicht zur Arbeit erschienen war, machte die Situation nicht unbedingt angenehmer...

Emily, die nichts von Enricos Gedankengängen wusste und ihm nicht so recht verzeihen konnte, wie weh er Oliver getan hatte, grinste ihn spöttisch an: "Na Meister, haste den Pornokanal verfehlt?" Tja, ein Hangover war eben die Quittung dafür, wenn man die ganze Nacht über in einer Bar rumhängen und irgendwelche Frauen anbaggern musste...

Statt zu reagieren, starrte Enrico bloß weiterhin apathisch den Computermonitor an: "Was für ein Idiot..."

"Wie bitte?", bedröppelt blinzelte Emily mit den Augen, wusste nicht, wie sie das soeben gehörte einordnen sollte. Diese Äußerung eben hörte sich nicht unbedingt nach dem typischen Resultat eines Katers an...

Mit einer schlaffen Hand zeigte ihr blonder Kollege auf Ray: "Ich sagte, dass er ein Idiot ist. Kai hat sich in ihn verliebt, das sieht doch ein Blinder mit nem Krückstock. Und er selbst begreift einfach nicht, dass er sich nur so sehr über seinen Schützling aufregt, weil er auch etwas für ihn empfindet. Das ist doch erbärmlich; die Beiden passen so gut zueinander, und die einzigen, die es nicht merken, sind sie selbst."

Das sagte jetzt ausgerechnet jemand, der selbst die ganze Zeit über mit Scheuklappen vor den Augen durchs Leben rasselte, wenn es um Liebesdinge ging. Männer...

Dennoch machte Emily notgedrungen gute Miene zum bösen Spiel: "Na ja, dieses Gefühlschaos lässt sich wohl nur sehr schwer nachvollziehen, wenn man noch nie verliebt war..." Moment mal, warum lief Mr. "Monogamie ist was für Anfänger" jetzt bitte so rot an?

"Es gibt da nicht zufällig etwas, was du mir sagen willst?"

"Ähm..."

"ENRICO!!!"

"Ist ja gut... Also eigentlich bin ich ja auch verliebt; es ist dummerweise nur so, dass derjenige deutlich klar gemacht hat, dass das nicht auf Gegenseitigkeit beruht..."

"Derjenige?!"

"Ähä... Ja, weißt du...", wenn Blicke Löcher hätten bohren können, wäre Enrico schon längst auf der anderen Seite der Erdkugel herausgekommen; zumindest legte die Intensität, mit er den Boden unter seinen Füßen anstarrte, das nahe.

"Nein, ich weiß eben nicht. Warum klärst du mich nicht einfach drüber auf?"

"... Ach verdammt, was soll's? Ich hab mich in Oliver verliebt!"

Es waren solche Momente, in denen Emily dankbar dafür war, dass ihre Augäpfel fest an den Sehnerv angewachsen waren; andernfalls hätte sie jetzt auf dem Boden herumkriechen und sie suchen dürfen. So stand sie einfach nur da, hatte in etwa die Mimik eines Riesenfisches drauf und sagte kein Wort. Gegenwärtig wäre ihr sowieso nichts eingefallen, mal abgesehen vielleicht von der Frage...

"WAS MEINST DU BITTE MIT "ES BERUHT NICHT AUF GEGENSEITIGKEIT"?!"

"Genau das, was ich eben gesagt habe... Ich gab Oliver durch die Blumen zu verstehen, dass ich mehr als nur freundschaftliche Gefühle für ihn empfinde - und er hat mich abblitzen lassen. Seine genauen Worte dürften in etwa "Ich empfinde nicht dasselbe für dich wie du für mich" gewesen sein. Deutlicher geht's nicht mehr, oder?"

...

Es war also gar nicht so, dass Enrico Olivers Herz hatte brechen wollen... Die Beiden waren lediglich äußerst talentiert darin, aneinander vorbeizureden. Wäre die Situation nicht so verdammt deprimierend gewesen, Emily hätte laut aufgelacht.

So entschied sie sich dafür, Enrico vorsichtig an die Wahrheit heranzuführen: "Wenn ich das, was Oliver mir über dich erzählt hat, richtig interpretiere, dann ist es so, dass er durchaus deine Gefühle erwidert. Er ist sich deiner nur ziemlich unsicher und weiß nicht, wie er mit der Situation umgehen soll; immerhin warst du bisher immer nur mit Frauen zusammen, und auch diese Beziehungen waren nicht unbedingt die beständigsten..."

Halb hatte Emily damit gerechnet, dass ihr Enrico sofort an den Hals springen würde, doch stattdessen schloss er nur für einen Moment die Augen, überlegte. Dann nickte er langsam, zum Zeichen, dass er verstanden hatte: "Okay, aber wie kann ich ihm zeigen, dass ich es bei ihm ernst meine?"

"Das kann ich dir leider auch nicht sagen... Aber ich bin überzeugt, dass dir was einfallen wird.", der Hauch eines Lächelns machte sich auf dem Gesicht des Succubus breit, "Leuten wie uns fällt nun mal nicht alles in den Schoß; wir müssen es uns erarbeiten. Was mich auch schon zum Thema bringt: Ich muss jetzt leider gehen, wenn ich Kai noch von der Uni abfangen will..."

"Dann mach's gut. Und danke...", ohne großartig drüber nachzudenken, umarmte Enrico Emily, gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Schließlich verabschiedete man sich so von guten Freunden...
 

~~~ ; ~~~
 

Stirnrunzelnd wartete Oliver vor Büro 777; er wurde einfach nicht schlau daraus, warum seine Vorgesetzten ihm noch am gestrigen Abend ein Communique zugesandt hatten, in dem sie ihn so früh am Morgen zu sich bestellten. Zumal der Fall, den er gegenwärtig bearbeitete, ja normalerweise vor allem anderen Vorrang hatte...

Ach, warum versuchte er sich eigentlich einzureden, dass es ihm hierbei um seinen Job ging? Im Grunde wollte er doch nur seine egoistische Sehnsucht nach Enricos Nähe befriedigen, die er trotz aller guten Vorsätze noch immer verspürte. Zu wissen, dass Enrico nicht dasselbe für ihn fühlte, es wahrscheinlich nie empfinden würde, änderte daran leider auch nichts...

Donnernd schwang das Eisentor auf, holte Oliver so aus seinen trüben Gedanken. Die Tatsache, dass es nicht wie beim letzten Mal mit einem leisen Summen aufschwang, verdankte er wohl Johnny, der aus dem Büro herausgetreten war und nun mit verschränkten Armen an einem der beiden Türflügel lehnte, dabei ganz entgegen seiner vermutlichen Intentionen nicht einschüchternd, sondern bloß wie ein Zwerg wirkte. Eine auffordernde Geste deutete Oliver an, dass er schon erwartet würde.

Mit weit ausholenden Schritten kam Robert ihnen entgegen: "Schön, dass Sie sich so kurzfristig für uns Zeit nehmen konnten..." Offenbar wollte sein Vorgesetzter noch etwas hinzufügen, doch wenige Meter bevor er vor Oliver zum Stehen kommen konnte, stolperte er über den Saum seiner Kutte und holte sich dadurch selbst von den Füßen.

Verlegen hüstelnd sah Oliver zur Seite, während Johnny hastig an ihm vorbeieilte, um seinem Chef aufzuhelfen. Dass seine Hand dabei einige Sekunden länger als unbedingt nötig auf Roberts Hüfte liegen blieb, war ein kleines Detail am Rand, das zwar nichts zu sagen hatte, aber dennoch eine Menge erklärte...

Seinem Sekretär ein flüchtiges Lächeln zuwerfend, wandte Robert sich wieder zu Oliver um: "Entschuldigen Sie die kleine Unterbrechung, so etwas passiert mir ständig in diesen Roben. Aber die Leute erwarten von einem Mann in meiner Position nun mal, dass er gewisse Standards erfüllt. ... Würde es Ihnen vielleicht etwas ausmachen, ..."

"Nein nein, schon in Ordnung!", beschwichtigend winkte Oliver ab.

Von unsichtbaren Winden gepeitscht, bauschte sich Roberts Kutte auf, flatterte wild hin und her, nur im nächsten Moment rasend schnell einzulaufen, Farben, Form und Schnitt zu ändern. Wenige Sekunden später trug der Violetthaarige einen nachtblauen Nadelstreifenanzug, der ihm regelrecht auf den Leib geschneidert zu sein schien.

"So, das ist besser...", verlegen klopfte sich Robert imaginären Staub vom Jackett, "Um auf das eigentliche Thema zu sprechen zu kommen: Wie verstehen Sie sich denn mit Ihren Arbeitskollegen, Emily und Enrico?"

"... Ganz gut eigentlich. Wieso?", abwehrend neigte Oliver den Kopf zur Seite, verschränkte die Arme vor der Brust. Wussten seine Arbeitgeber etwa schon...?

"Reines Interesse. Ich wollte Ihre Meinung bezüglich der Beiden wissen, weil uns stichhaltige Beweise dafür vorliegen, dass die Zwei eine Affäre haben..."

"Sie lügen." Das konnte nicht sein; Emily liebte diesen Michael und Enrico... Oliver glaubte einfach nicht, dass der Blonde so handeln würde. Nicht, wenn er tatsächlich verliebt war.

"Mitnichten. Sehen Sie selbst...", mit einem beiläufigen Schulterzucken betätigte Robert einen kleinen, ovalen Knopf auf einer Fernbedienung, erweckte damit erneut den riesigen Observationsmonitor zum Leben. Flackernd erwachte aus der Schwärze ein Bild, welches Oliver dazu brachte, zischend die Luft einzuziehen: Enrico, wie er Emily überschwänglich umarmte, ihr einen Kuss auf die Wange hauchte. Der Succubus wehrte sich nicht dagegen, vielmehr erwiderte sie die Geste sogar lächelnd, strafte damit all die Worte Lügen, mit denen sie Oliver gestern zu beruhigen gesucht hatte.

"Es... Es gibt bestimmt eine Erklärung dafür.", noch während er die Worte herauswürgte, spürte Oliver bereits wie Wut und Enttäuschung in ihm aufwallten. Es tat weh, das mitansehen zu müssen... Nicht, weil er sich ernsthafte Chancen bei Enrico ausgerechnet hatte, sondern weil dieser mit seinem unbedachten Handeln eine Liebe verriet, die Oliver gerade in Anbetracht dessen, dass er sie nie selbst erlangen würde, unendlich kostbar erschien.

"Nun, ich bin überzeugt davon, dass es eine Erklärung gibt. Und Sie werden sie uns beschaffen...", sichtlich unberührt von dem zunehmend schmerzverzerrten Gesichtsausdruck seines Untergebenen, überreichte Robert Oliver ein Memo.

"Wie bitte?", geschockt starrte Oliver den Zettel an, den man ihm da gerade vors Gesicht hielt.

"Tun Sie doch nicht so naiv; Sie arbeiten lange genug hier, um zu wissen, dass wir unsere Angestellten durch ausgewählte Spione überwachen lassen. Tja, und Sie haben die Ehre, ab heute einer von ihnen zu sein!"

"Aber warum sollte ich Enrico für Sie bespitzeln?" Sicher, mit seinem Verhalten hatte der andere Oliver enttäuscht, aber...

Ein überhebliches Grinsen machte sich auf Roberts Gesicht breit: "Oh, weil Sie keine andere Wahl haben natürlich... Sie wissen, was nach Ihrem Rausschmiss aus dem Himmel kam, also wo werden Sie Ihrer Meinung nach landen, wenn Sie aus der Hölle entlassen werden?"

Schwer schluckend nickte Oliver zögerlich: "Ich nehme an, ich soll Ihnen täglich Bericht erstatten?" "Exakt. Sie können jetzt gehen!"

Erst als Oliver das Büro mit hängenden Schultern verlassen hatte, wagte Johnny es, zum erstenmal seit langem wieder auszuatmen: "Glaubst du wirklich, dass wir auf diese Weise unser Ziel erreichen?"

Mit einer Zärtlichkeit, die man dem ansonsten so kalten Robert gar nicht zugetraut hätte, hauchte er dem Rothaarigen einen Kuss auf die Stirn: "Vertrau mir, Liebling; es wird alles nach Plan laufen."
 

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Den ganzen restlichen Morgen über konnte Ray nur an seine Auseinandersetzung mit Kai denken. Bzw. daran, dass es eben keine echte Auseinandersetzung gegeben hatte - was paradoxerweise noch viel frustrierender war. Nach ihren Streitereien hatte zumindest immer so etwas wie eine Aussprache stattgefunden...

Nachdem Kai von seiner Joggingrunde zurückgekommen war, hatte hingegen lediglich monotones Schweigen geherrscht, und zwar das von der Sorte, mit der man Trommelfelle zum Platzen bringen kann. Das gesamte Frühstück über hatten sie einander gegenüber gesessen, lustlos Cornflakes gelöffelt und dabei die Tischplatte angestarrt. Dass Ray sich dabei fühlte, als würde die Raumtemperatur gerade merklich sinken, konnte nicht allein an dem aufgrund des Gestanks nach Verbranntem geöffneten Küchenfenster liegen.

Na ja, vielleicht doch, immerhin war Winter...

Aber nichtsdestotrotz schmerzte es, wie gleichgültig Kai sich ihm gegenüber verhielt, und das nicht nur während des Frühstücks. Auch in der Straßenbahn und auf dem restlichen Weg zur Uni wechselten Ray und sein Schützling kein Wort, keine Geste, nicht mal einen flüchtigen Blick.

So dämlich sich das anhörte, aber langsam begann er sogar, Kai zu vermissen - ein Gefühl, das um so deprimierender war, da er direkt neben ihm saß. Am liebsten hätten Ray laut losgeschrien, einfach, um diese entsetzliche Stille zu füllen, doch das hätte ihm bloß schale Blicke eingebracht.

Nein, ausrasten war definitiv keine Lösung für dieses Problem... Aber was dann?

Diese Frage stellte sich Ray immer noch, als er nach der Uni Lees Lokal betrat, um die Tagesschicht anzutreten. Arbeiten schien jetzt eine gute Möglichkeit zur Ablenkung zu sein, zumal er so vielleicht die Chance hatte, mit einem anderen über die Situation reden zu können...

Ray hatte schon die Hälfte des Weges zur Küche zurückgelegt, als er wie angewurzelt stehen blieb. Irgendetwas hatte er bemerkt, was nicht so recht ins Restaurant zu passen schien. Nichts großartiges eigentlich, lediglich der Eindruck, dass ein Detail von dem, was hier gerade geschah, nicht stimmte... Als der Schwarzhaarige seine Umgebung einer genaueren Betrachtung unterzog, wusste er auch, was es war: An einem der Ecktische, halb verborgen unter einer riesigen Bambuspflanze, saßen Kai und eine Frau und unterhielten sich.

Aber das war es nicht, was Ray beunruhigte; was ein unangenehmes Kribbeln über seinen Rücken jagte, war die Tatsache, dass die Unbekannte genau Kais Beschreibung seiner Traumfrau entsprach: Mit ihren langen, orangenen Haaren, der selbstbewussten Ausstrahlung einer geborenen Jägerin und ihren großen, dunkelblauen Augen war sie einfach perfekt für seinen Schützling...

Ray hatte das Gefühl, sein Magen würde zu Eis erstarren, als sich die besagten blauen Augen wie zufällig auf ihn richteten, ihm einen triumphierenden Blick zuwarfen. Wahrscheinlich wäre er sofort und ohne die geringste Chance auf eine baldige Wiederkehr zu Lee in die Küche gestürmt, hätte Kai nicht dummerweise auch zu ihm aufgesehen. So blieb ihm nur die Flucht nach vorne. Mit einem betont freundlichen Lächeln ging Ray auf den Tisch der Beiden zu: "Hi, mein Name ist Ray, ich bin Kais Mitbewohner. Und du bist?"
 

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"Emily; ich studiere hier erst seit kurzem Medizin.", innerlich zuckte der Succubus zusammen. Sie kannte diesen wahnsinnigen Massenmörderblick des Engels nur zu gut; normalerweise hatten den Frauen drauf, die sie dabei erwischten, wie sie aus beruflichen Gründen deren Freunde abzuschleppen versuchte... Ein Vergleich, der wahrscheinlich besser zutraf, als Ray oder Kai sich einzugestehen bereit waren.

Aber das war ja nicht Emilys Problem; letztendlich machte sie nur ihren Job. Einen Job, der bei gelungener Ausführung eine gemeinsame Zukunft mit Michael beinhaltete... Da brauchte sie nun wirklich keine Schuldgefühle zu haben, oder?

Ihre Zweifel zu ignorieren suchend, schaltete Emily wieder in den Modus "eiskalt und gefährlich" um. Besitzergreifend umklammerte sie Kais Arm: "Wenn du uns jetzt bitte allein lassen könntest; ich habe noch einige Fragen bezüglich des Studiums, die ich lieber unter vier Augen klären würde..." "Ist dem so?", Ray runzelte die Stirn und warf Kai einen fragenden Blick zu. Als dieser nicht reagierte, meinte er seufzend: "Schön, bin schon weg; soll ich Kevin sagen, dass er euch die Speisekarte bringen soll?" "Das wäre nett.", zum Abschied schenkte Emily dem Schwarzhaarigen ein frostiges Lächeln.

Kaum war Ray verschwunden, entzog sich Kai ihr und verschränkte die Arme vor der Brust: "Fandest du dein Verhalten eben in Ordnung?" "Ich kann es nun mal nicht ausstehen, wenn einer in meiner Privatsphäre herumstochert." "Das wäre dann wohl die erste und einzige Sache, die wir gemeinsam haben. Warum hast du mich hierher geschleift?" "Ich wollte dich kennenlernen."

Oh man, klang das erbärmlich, aber einer bessere Ausrede war Emily auf die Schnelle nicht eingefallen. Was hätte sie denn sonst sagen sollen? 'Ich bin ein Dämon und habe den Auftrag, dir deine Seele zu rauben' war nicht unbedingt die beste Methode um jemandes Vertrauen zu gewinnen. Genau genommen war dieser Spruch nur dann von Vorteil, wenn man unbedingt stolzer Besitzer einer Hab-mich-lieb-Jacke werden wollte...

"Nun, darauf lege ich wiederum keinen Wert; ich denke, dein Essen kannst du auch allein verzehren...", ohne Emily noch eines weiteren Blickes zu würdigen stand Kai auf und verließ das Restaurant.

Verblüfft sah die Orangehaarige ihm hinterher; so was war ihr ja noch nie passiert... Warum erlag Kai nicht ihren Reizen? Sicher, so wie er sich in Rays Gegenwart verspannt hatte, war es mehr als deutlich, dass er eigentlich auf Kerle - insbesondere auf kleine, schwarzhaarige Asiaten - stand, aber he, andere hatte das auch nicht davon abgehalten mit ihr ins Bett zu hüpfen... Zumal er und Ray ja nicht mal bereit zu sein schienen, sich ihre Gefühle für den jeweils anderen einzugestehen.

Herrje, was waren Männer doch kompliziert - und damit sprach sie jetzt nicht nur von Ray und Kai. Bei den Beiden konnte es ihr ja rein beruflich gesehen nur recht sein, wenn sie nicht zusammenkamen... Nein, im Grunde würde es sie im Augenblick viel mehr interessieren, was Enrico und Oliver gerade wieder taten, um ihr Gefühlschaos zu verschlimmern...
 

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"Entschuldige die Verspätung, aber ich wurde noch von einem hereinkommenden Auftrag aufgehalten..." Seit seiner Unterredung mit Robert und Johnny war kaum eine halbe Stunde vergangen und doch fühlte Oliver sich Jahrzehnte älter als noch am vorrangegangenen Morgen, als er das gemeinsame Büro betrat.

Unwillkürlich zuckte Enrico zusammen; bis eben hatte er noch darüber nachgedacht, mit was er Oliver eine Freude machen könnte. Hastig schaute er auf den Monitor um sicherzugehen, dass er auch ja nichts wichtiges verpasst hatte: "Schon okay. Was ist das denn für ein Auftrag?"

"Ach... Nur so eine Kleinigkeit, um die ich mich allein kümmern soll. Wirklich nichts wichtiges. Haben du und Emily schon irgendwelche Fortschritte gemacht?", Oliver musste sich Mühe geben, Verbitterung aus seiner Stimme herauszuhalten, kannte er die Antwort auf diese Frage doch schließlich nur zu gut. Bzm. vermutete wenigstens, sie zu kennen. Und genau das war das Schlimme an der Sache: Er wusste nicht recht, was er glauben sollte. Einerseits hatte er zuviel über Enricos Weibergeschichten gehört, um objektiv urteilen zu können, andererseits war da noch immer die irrwitzige Hoffnung, dass... War ja auch egal. Aber vielleicht war es ja gar nicht so schlecht, die Überwachung seines Kollegen übernommen zu haben...

Enrico wusste nicht, was gerade durch Olivers Kopf ging; alles, was er bemerkte, waren die widerstreitenden Gefühle, die sich in dessen Augen widerspiegelten. Konnte es sein...?

Vorsichtig legte er Oliver eine Hand auf die Schulter: "Na ja, wir haben... uns über gewisse Dinge unterhalten, wenn du das meinst."

Sofort zuckte Oliver zurück. War das eben etwa ein Schuldeingeständnis gewesen? Misstrauisch sah er Enrico in die Augen, suchte in ihnen nach Anzeichen für ein schlechtes Gewissen - vergebens. Alles was er wahrnahm war eine Zufriedenheit, die im Kontext des an ihm nagendes Verdachtes etwas Abstoßendes an sich hatte.

Darum bemüht, sich nichts anmerken zu lassen, meinte Oliver in möglichst neutralem Tonfall: "Das ist wirklich... interessant, Enrico. Warum gönnst du dir nicht eine Pause, während ich meinen Arbeitsrückstand aufhole?"

Verwirrt legte Enrico den Kopf schief; er konnte nicht wirklich verstehen, warum Oliver sich auf einmal so distanziert verhielt. Sicher, er fühlte sich wahrscheinlich hintergangen weil Enrico sich mit Emily über ihre Beziehung zueinander unterhalten hatte, aber andererseits musste ihm das doch zeigen, dass er für den Blonden mehr als nur ein kleiner Flirt war... Vielleicht sollte er das leidige Thema doch mal von sich aus ansprechen?

"Eigentlich wollte ich noch mit dir..."

"Enrico, bitte geh jetzt!", schneidend unterbrach ihn Olivers Stimme, ließ keinen weiteren Widerspruch zu.

Resigniert nickte Enrico. Eine Diskussion hatte momentan wohl eh keinen Sinn...
 

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Nur unter großer Anstrengung gelang es Ray Haltung zu bewahren, als er den Tatsachen ins Auge blickend in der Küche verschwand. Normalerweise hätte der Engel sich ja freuen müssen, dass Kai so schnell eine Frau gefunden hatte und er bald in den Himmel zurückkehren konnte, aber irgendwie war dem nicht so. Sicher, er hatte gewollt, dass Kai glücklich wurde, aber...

"Aber eigentlich habe ich gehofft, dass ich derjenige bin, der Kai glücklich macht.", plötzlich wusste Ray sehr genau, was mit ihm los war, warum sein Körper in letzter Zeit verrückt spielte. Was nicht bedeutete, dass er verstand, wie es dazu gekommen war.

Lächelnd sah Lee von dem Suppentopf auf, in dem er mit einer großen Suppenkelle herumrührte: "Hallo Ray, du kommst genau richtig! Könntest du mir vielleicht bei den Frühlingsrollen helfen, die..." "Tut mir Leid, aber ich wollte dir nur Bescheid sagen, dass ich gleich wieder verschwinde. Ähm... Könntest du mir ein bisschen was an Geld leihen?" "Sicher, aber wofür..." "Erklär ich dir später. Danke auch!", seinem besten Freund einfach das Portemonnaie aus der Hand schnappend, eilte Ray auch schon wieder aus der Küche eilte. Für einige Sekunden sah Lee ihm noch verwirrt hinterher, ehe er sich grinsend wieder seiner Arbeit zuwandte: "Also hast du es endlich kapiert, kleiner Bruder..."

Auf seinem Weg nach draußen wäre Ray beinahe mit Kevin zusammengestoßen, der nur durch viel Glück sein Tablett mit den Bestellungen vor einem unsanften Aufprall auf den Boden bewahren konnte. "Tisch Vier braucht ne Bedienung!", rief er dem leise vor sich hinfluchenden Kellner noch zu, ehe er endgültig verschwunden war.
 

Natürlich hatte Ray ein schlechtes Gewissen weil er statt seinen Freunden bei der Arbeit zu helfen abgehauen war, aber er hatte zu viel im Kopf umherschwirren, als dass er sich auf das Zubereiten und Servieren von Mahlzeiten hätte konzentrieren können. Wahrscheinlich wären derartige Versuche momentan sowieso eher auf eine akute Lebensmittelvergiftung der Gäste hinausgelaufen...

Allerdings stellte sich ihm nun, da er Lees Restaurant, das White Tiger Inn, verlassen hatte, die Frage, wohin er nun gehen sollte. Zurück konnte er nicht, ebenso wenig wie in ihre Wohnung, ganz einfach weil Kai dort mit Emily auftauchen könnte; Max und Tyson wollte er nicht stören. Und sonst kannte er logischerweise niemanden in dieser Stadt.

Vielleicht sollte er sich einfach irgendwo in ein Café setzen, einen Kaffee bestellen und abwarten, bis es wieder halbwegs sicher war, in die Wohnung zurückzukehren; eigentlich hatte er sich zwar das Geld von Lee geliehen, um sich so schnell wie möglich aus der WG mit Kai herauszukaufen, aber soviel war wohl auch noch drin. Hier in der Nähe dürfte sich ja irgendwo was Passendes finden lassen, immerhin versprachen die vielen Studenten einen satten Gewinn..

Suchend sah Ray sich nach jemandem um, der ihm aus einem seiner Kurse bekannt vorkam und den er dann fragen konnte. Doch der einzige, der ihm vage vertraut erschien, war ein braungebrannter Blondschopf, der auf der anderen Straßenseite an der Bushaltestelle stand und grade den Kopf in seine Richtung drehte.
 

"Enrico!?" Unwillkürlich zuckte der Angesprochene zusammen, als er Ray seinen Namen rufen hörte. Eigentlich war er Ray rein aus Trotz hinterhergeschlichen, weil Oliver ihn nicht bei ihrem Auftrag dabeihaben wollte, und nicht, damit der Engel ihn entdeckte...

Ein gezwungenes Lächeln aufsetzend, versuchte Enrico dennoch das Beste aus der Situation zu machen; bereitwillig ging er einige Schritte auf seinen ehemaligen Arbeitskollegen zu "Ray? Lange nicht gesehen, Mann! Wie geht's dir?" "Na ja, könnte besser sein; meine Arbeit ist grade verdammt kompliziert...", mit einem gequälten Gesichtsausdruck lächelte Ray, ehe er geschockt die Augen aufriss, "Entschuldige, ich hab nicht dran gedacht, dass du..." "Schon gut, ich hab schon was neues gefunden... Kein besonders großartiger Job, aber es ist Arbeit.", verlegen sah Enrico zur Seite, "Wie auch immer, im Grunde habe ich es mir ja selbst zuzuschreiben, nicht?"

Irgendwie berührte es Ray, seinen ehemaligen Vorgesetzten so ... erschüttert zu sehen; sicher, sie waren nie besonders gut miteinander ausgekommen, dafür hatte Enrico sich einfach zu arrogant seinen Untergebenen gegenüber verhalten, aber... "Wenn du Zeit und Lust hättest, könnten wir ja hier irgendwo in ein Lokal gehen und reden..."

Überrascht blickte Enrico Ray in die Augen, versuchte herauszufinden, ob der Andere ihn auf die Schleuder nehmen wollte. Dann lächelte er zögerlich: "Hört sich gut an..."
 

Zu seinem eigenen Erstaunen machte es Enrico wirklich Spaß, sich mit Ray zu unterhalten. Entgegen seiner früheren Meinung redete der Schwarzhaarige nicht nur sinnloses Zeug, sondern hatte wirklich was zu sagen; dabei achtete er jedoch auch darauf, seinen Gesprächspartner nicht zu demütigen oder auf andere Art zu verletzen. Wer weiß, wären sie nicht für verschiedene Seiten tätig gewesen, hätten sie vielleicht tatsächlich so etwas wie Freunde werden können...

Mit einem einzigen Satz schaffte Ray es, die gute Stimmung zu zerstören: "Kann sein, dass ich jetzt ein wenig zu neugierig bin, aber was machst du eigentlich hier auf der Erde?" Schlagartig wurde Enrico wieder bewusst, dass es falsch war, dass sie so einträchtig beieinander saßen, und auf einmal hatte er das Gefühl, in der schalen, abgestandenen Kneipenluft nicht mehr atmen zu können. Ohne genau zu wissen, weshalb er das überhaupt zugab, stammelte er: "Na ja, ich... Ich hatte Streit mit einem Arbeitskollegen."

"So, wie du das sagst, ist er mehr als nur ein Arbeitskollege für dich.", auch wenn er das bei Enricos ganzen Weibergeschichten nie für möglich gehalten hätte, erkannte Ray doch instinktiv, was los war.

"Nein... Nein, das ist Oliver tatsächlich nicht. Aber dummerweise hat er wegen meiner Vergangenheit begründete Zweifel daran, dass ich es ernst meine." Verdammt, warum hatte er das schon wieder gesagt?

"Hast du es ihm denn zu beweisen versucht?"

"Ich wollte mit ihm drüber reden, aber er hat abgeblockt. Und ansonsten fällt mir nichts ein, was ich machen könnte."

Aufmunternd lächelte Ray ihm zu: "Warum probierst du es nicht mit Blumen? Ich hatte zwar noch nicht sonderlich viele Fälle, in denen ich zwei Männer verkuppeln sollte, aber bei Frauen funktionieren sie als Entschuldigung meistens recht gut. Und wenn du Hilfe benötigst, können wir ja gemeinsam einen Strauß kaufen gehen..."

"Danke. Ich... Hilfe wäre wirklich wunderbar." Enrico wusste, dass die Situation mehr als bizarr war; mit dem Mann, dessen Arbeit er sabotieren sollte, zum Floristen zu stapfen und ein Geschenk zu kaufen entsprach ganz sicher nicht den gesellschaftlichen Normen. Und doch... Vom Zentrum der Spirale aus Wahnsinn, in der er grade feststeckte, betrachtet schien es vollkommen schlüssig zu sein. Falls er je eine Beziehung mit Oliver führen wollte brauchte er die Unterstützung eines Profis - Ray war das. Das hatte nichts mit ihrem Job zu tun. Und wenn man es genau betrachtete, war Enrico ja auch grade gar nicht richtig im Dienst...
 

Im Grunde wusste Ray selbst nicht so genau, warum er angeboten hatte, Enrico zu helfen. Logisch betrachtet hatte er nach all dem Ärger, den der Blonde ihm in der Vergangenheit bereitet hatte, nicht die mindeste Veranlassung dazu. Aber ebenso traf es nun mal auch zu, dass Ray schon immer ein Gefühlsmensch gewesen war, und dass ihn Enricos gegenwärtige Situation nur zu schmerzlich an seine eigene erinnerte. Sich alle weiteren in diese Richtung gehenden Gedanken verbietend, winkte der Engel einen Kellner zu sich heran, um den Espresso und das Wasser zu zahlen, die er getrunken hatte.

Keine Viertelstunde später standen sie in einem auf den ersten Blick unscheinbaren Blumenladen, der jedoch bei genauerer Betrachtung über eine geradezu unerhört große Auswahl an verschiedenen Pflanzen verfügte. Ob Sonnenblumen, Rosen, Stiefmütterchen oder Dahlien - alles war hier zu finden, unabhängig davon, ob die richtige Jahreszeit für diese Blumen war oder nicht.

"Und, hast du schon eine ungefähre Ahnung, was das Richtige für deinen Angebeteten wäre?"

"Na ja...", ratlos sah Enrico sich um; inmitten all dieser Formen, Farben und Gerüche kam er sich ein wenig verloren vor... Sein Blick fiel auf einen Eimer voller weißer Blumen, die ihn mit ihren sechs sternförmig angeordneten, an den Spitzen leicht nach unten gebogenen Blütenblättern sofort in ihren Bann zogen "Wie wäre es mit denen?"

"Ah, Lilien - Symbol für Reinheit und Unschuld. Ja, das dürfte passend sein...", lächelnd suchte Ray einige besonders schöne Exemplare aus und überreichte sie der Floristin: "Die hier bitte." Bedächtig nickend machte die Frau sich an die Arbeit, strafte ihr augenscheinliches Alter von Ende Fünfzig, Anfang Sechzig Lügen durch die Geschicklichkeit mit der sie in Sekundenschnelle einen prachtvollen Strauß gebunden hatte. Die Blumen mit Papier unwickelnd, sah sie noch einmal auf: "Sonst noch irgendetwas?"

Ray wollte schon verneinen, da blieben seine Augen an etwas hängen: Ein einfaches Gesteck, bestehend aus einigen Tannenzweigen und einer einzelnen, roten Kerze. Weder überwältigend an Schönheit noch an Einfallsreichtum, aber dennoch löste es bei ihm ein Gefühl von ... Sympathie aus. Unwillkürlich musste er an einen mit einem Phönix verzierten Marmorgrabstein denken und daran, dass dieser mit ein wenig Zierrat wohl nicht mehr ganz so kahl und trostlos wirken würde...

"Ja, ich nehme noch das hier.", ohne weiter drüber nachzudenken kramte Ray sein Portemonnaie hervor und bezahlte sowohl den Blumenstrauß als auch das Gesteck. Als Enrico dem widersprechen wollte, winkte er ab: "Schon in Ordnung; betrachte es als meinen Beitrag dazu, aus dir einen Ehrenmann zu machen. Schönen Tag noch!" Dem Blonden die Lilien in die Hand drückend, verließ Ray den Laden und machte sich auf den Weg zum Friedhof.
 

Ohne Kais Gesellschaft wirkte die Einsamkeit der friedlich daliegenden Gräber sogar noch bedrückender. Orte wie dieser sorgten mit ihrer Ruhe dafür, dass man seinen Gefühlen nachhing, und momentan war Ray mit seinen Gefühlen hoffnungslos überfordert. Er fühlte sich allein, verloren in einem Chaos aus Gedanken und Emotionen, die er nicht verstand. Und genau das war das deprimierende daran, immerhin war es sein Beruf, eben diese Empfindungen bei anderen Menschen zu fördern. Bei allen anderen bekam er das auch problemlos hin, also warum konnte er selbst nicht einfach aussprechen, dass er Kai...

Seufzend stellte Ray das Gesteck auf dem Grab von Kais Eltern ab, zündete die Kerze mit einem Einwegfeuerzeug an, das er auf dem Weg hierher noch rasch in einem Supermarkt besorgt hatte. Er konnte es nun mal nicht. Kai war sein Auftrag, ein ziemlich problematischer noch dazu, da konnte er es sich nicht leisten, dessen mögliches Lebensglück zu gefährden, indem er mehr für seinen Schützling empfand als für sie beide gut war. Zumal Kai jetzt endlich all das zu finden schien, was er immer gesucht hatte... Aber obwohl er all das wusste, tat diese Entscheidung weh. Verdammt weh sogar.

Eine behandschuhte Hand legte sich sanft auf Rays Schulter. Als er sich umdrehte, stand Mariah vor ihm: "Hallo Ray; Ich wollte nur mal vor Ort überprüfen, wie Sie mit dem Auftrag zurechtkommen. Und, schon irgendwelche Fortschritte mit Kai gemacht?"

Mit ausdrucksloser Miene sah Ray seine Vorgesetzte an, brachte kein Wort hervor. Sie musste doch ganz genau wissen, was er für Kai empfand. Und damit war klar, dass er von dem Fall abgezogen werden würde...

Theatralisch aufseufzend, setzte Mariah das Gespräch in einem vertrauteren Tonfall fort: "Schön, dann sprichst du's eben nicht aus; wir wissen schließlich beide, was los ist. Morgen werden die restlichen Möbel vorbeigebracht, damit du dich soweit in deinem Zimmer einrichten kannst." Sie wollte sich zum Gehen wenden, da packte Ray sie am Handgelenk: "Warte, ich ... hätte da eine Frage."

Leicht verzogen sich Mariahs Mundwinkel nach oben: "Schieß los..."

"Hat... Hat sich schon mal jemand aus unserer Abteilung in einen seiner Schützlinge verliebt?"

"Einmal. Schwierige Geschichte das Ganze; der arme Kerl verliebte sich so sehr in ein Mädchen, das er eigentlich mit einem völligen Taugenichts hätte verkuppeln sollen, dass er alle Befehle ignorierte und stattdessen mit ihr durchbrannte. Wie man sich vorstellen kann, waren weder ihre Familie, noch seine leitenden Vorgesetzten besonders glücklich drüber..."

"Und... was ist aus ihm geworden?"

"Nun, gegenwärtig ist er unser beider Arbeitgeber...¹", mit einem verschwörerischen Zwinkern umarmte Mariah Ray, "Bis morgen!"
 

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Mit einer Mischung aus Verwirrung und Ekel sah Voltaire dabei zu, wie Rei, die Mitbewohnerin seines Enkels eine andere Frau umarmte, als ob sie sie nie wieder loslassen wollte. Dabei fiel ihm auf, wie groß Rei für eine Frau war, und dass sie bei genauerer Betrachtung über noch weniger Oberweite verfügte, als es so schon den Anschein gehabt hatte. Und dann ging ihm auf, dass nicht jedes Wesen mit langen Haaren auch tatsächlich eine Frau war.

"Dieser Bastard!", murmelte Voltaire und wusste dabei nicht mal genau, ob er Kai oder diesen Möchtegerneunuchen da vorne meinte. Er wusste nur, dass er betrogen worden war, und das war etwas, was das Ego einen Voltaire Hiwatari nur schwerlich verkraftete... Ein fieses Grinsen machte sich auf dem Gesicht des alten Mannes breit. Nachlässig ließ er die Blumen fallen, die eigentlich für das Grab von Kais Eltern gedacht gewesen waren, zog stattdessen sein Handy hervor und tätigte einen gezielten Anruf: "Tala, hier Voltaire. Ich habe da einen Auftrag für dich und deine Jungs..."
 

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Auch wenn Oliver sich das nicht gerne eingestand, so fühlte er sich doch bedeutend besser, als Enrico endlich zurückkehrte. Er fühlte sich mies wegen seinem Verhalten; Enrico hatte versucht sich ihm anzuvertrauen und alles, was er fertig gebracht hatte, war, seinen Schmerz und seine Wut an ihm auszulassen. Ein schöner Freund war er!

Unsicher biss Oliver sich auf die Unterlippe: "Hallo.." "Hi.", auch Enrico wusste nicht so recht, wie er sich am Besten verhalten sollte. "Ähm... Die hier sind für dich, als Entschuldigung sozusagen...", mit zitternden Händen überreichte er Oliver den Strauß Lilien. Verwirrt starrte Oliver die Blumen an: "Danke, sie sind wunderschön. Aber warum denkst du, dass du dich bei mir entschuldigen musst?" Wenn überhaupt, dann war er doch derjenige, der einen Fehler gemacht hatte...

"Mir ist klar geworden, dass es falsch war, dich so mit meinen Gefühlen für dich zu überfahren. Doch nachdem ich mit Emily drüber gesprochen hatte und sie mir gesagt hat, dass du genauso für mich empfindest... Ich weiß, dass du Zeit brauchen wirst, um mir zu vertrauen, aber... Es wäre wirklich schön, wenn du soviel Geduld für mich aufbringen könntest.", erst jetzt wagte Enrico es wieder, seinem Kollegen in die Augen zu sehen.

"Du... Du meinst, du hast mit Emily einfach nur darüber geredet, dass du..."

"Dass ich mich in dich verliebt habe, ja. Ich hoffe, du bist mir nicht zu böse deswegen..."

Böse? Im Moment hätte Oliver eher vor Erleichterung laut loslachen können, so surreal war die ganze Situation... Stattdessen warf er die Blumen in seiner Hand auf den nächstbesten Schreibtisch und schlang dann seine Arme um Enrico: "Wir sind doch echt zwei gottverdammte Idioten!"

"Mit dem gottverdammt könntest du recht haben...", lächelnd hauchte Enrico Oliver einen Kuss auf die Wange, "Aber wie ich schon sagte: Ich bin froh, hier gelandet zu sein, denn immerhin habe ich dich dadurch kennengelernt..."
 

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Gutgelaunt verließ Ray den Friedhof; nach dem Gespräch mit Mariah fühlte er sich bedeutend besser, zumal ihm er Besuch beim Grab von Kais Eltern noch mal zusätzlich Zeit gegeben hatte, über seine Situation nachzudenken... Es war nicht so, dass alle seine Probleme in Bezug auf Kai und seinen Auftrag schlagartig verschwunden waren, ganz sicher nicht, aber zumindest hatte er das Gefühl, wieder einigermaßen mit sich selbst im Reinen zu sein. Na ja, wahrscheinlich war es jetzt das Beste, erst mal nachhause zurückzukehren und den Dingen ihren Lauf zu lassen...

Als der Engel sich gerade auf die Suche nach der nächstgelegenen Haltestelle begeben wollte, wurde er von hinten unsanft am Kragen gepackt und herumgewirbelt. Während einer, ein blonder Hüne mit der Statur eines Panzerschrankes, ihn weiterhin festhielt, bauten sich drei weitere Typen vor ihm auf. Zwei von ihnen - ein grauhaariger Zwerg mit Kartoffelnase und ein Kerl, der mit seinen kinnlangen lilanen Haaren und seiner mit Pelz besetzten Weste irgendwie nach Schafshirte aussah - standen einfach nur herum, doch ihr offensichtlicher Anführer, ein Rotschopf mit kalten, eisblauen Augen, packte Rays Haare und zog dessen Kopf gewaltsam auf seine Augenhöhe: "Nicht so schnell, Freundchen! Du hast einen Kunden von uns verarscht und dem gefällt das so gar nicht..."

Nur mühsam konnte sich Ray ein schmerzerfülltes Zischen verkneifen: Seine Kopfhaut fühlte sich grade an, als würde jemand Unmengen glühend heißer Nadeln in sie stechen... Gleichzeitig brachte der Schmerz jedoch auch wieder Klarheit, löste ihm aus dem Schockzustand heraus, indem er sich bis eben noch befunden hatte. Verzweifelt begann er herumzustrampeln, versuchte alles, um sich aus Griff des Blonden hinter ihm herauszuwinden. Amüsiert sahen seine Angreifer ihm bei seinen vergeblichen Befreiungsversuchen zu, genossen offensichtlich seine Panik. Wahrscheinlich wussten sie genau, dass sie ihn dadurch dazu brachten, sich noch hilfloser, noch ausgelieferter zu fühlen...

"Das Kätzchen vermisst seinen Kratzbaum - wie niedlich!", ein schadenfrohes Grinsen glitt über das Gesicht des Rothaarigen. Wut stieg in Ray auf, vermischte sich mit der Übelkeit, die er ohnehin schon ob der eigenen Schwäche empfand. Vielleicht konnte er ja tatsächlich nicht abhauen, und ganz sicher würden diese Brutalos in Grün und Blau schlagen, aber garantiert würde er das nicht einfach so kampflos hinnehmen. Nächstenliebe hin oder her, aber dieser Mistkerl vor ihm hatte definitiv einen Tritt in die Eier verdient...

Einige Millisekunden starrte ihm sein Gegenüber ungläubig in die Augen, ehe er mit einem schmerzverzerrtem Keuchen zu Boden sank. Sofort war der Lilahaarige bei seinem Kameraden, schaute zuerst diesen, dann Ray mit einem ungläubig-mordlüsternen Glitzern in den Augen an. "Du verdammter...", mit voller Wucht rammte er Ray seine Faust in den Magen. Als wäre das ein Startschuss gewesen, stürzten sich auch die anderen Bandenmitglieder auf den Engel, fielen über ihn her wie eine Meute ausgehungerter Wölfe über die Beute. Jeder weitere Schlag, jeder Tritt ließ neue Qualen durch seine Nerven toben, bis alles in einer Kaskade aus Schmerz explodierte.

Während alles um ihn herum immer dunkler wurde, hörte Ray plötzlich jemanden etwas in einer fremden Sprache schreien. Wie getretene Hunde hielten seine Angreifer in ihrem Handeln inne, drehten sich stattdessen zu dem Neuankömmling herum. Hastig wurden einige Worte ausgetauscht und dann rannten sie auch schon davon, ließen ihr Opfer einfach liegen. Das letzte, was Ray sah bevor sein Verstand endgültig in die Ohnmacht abglitt, war Kais Gesicht, das sich über ihn beugte.
 

"Halt still!", entschlossen drückte Kai Ray eine kalte Dose Hering in Tomatensoße aufs Auge, nicht grade zärtlich, aber dennoch behutsamer als man es dem Blauhaarigen zugetraut hätte, "Du hast Glück, dass ich noch mal zum Grab meines Eltern wollte; andernfalls wäre die Sache nicht so glimpflich für dich ausgegangen..."

"Das nennst du glimpflich?", schnaubte Ray und konnte nicht verhindern, dass er unter der Berührung des eisigen Metalls doch zusammenzuckte. Es tat ihm ja leid, wenn er Kais Arbeit dadurch erschwerte, aber ab gewissen Temperaturen reagierte der Körper nun mal empfindlich!

"Oh, glaub mir, du bist noch gut dabei weggekommen... Ich kenne Tala, Bryan, Ian und Spencer seit meiner Kindheit. Und jetzt hör auf rumzumeckern und setz dich im Wohnzimmer auf die Couch; ich geh den Verbandskasten holen und dann sehe ich mir deine restlichen Wunden an.", kurzentschlossen packte Kai Rays eigene Hand zum Halten auf die Dose und scheuchte ihn dann aus der Küche heraus.

Grummelnd leistete Ray der Aufforderung Folge; momentan hatte er einfach keine Kraft zum Streiten. War ja schon erbärmlich genug, wie er wieder hier angelangt war: Anscheinend hatte Kai ihn den ganzen Nachhauseweg getragen, denn er war erst wieder zu sich gekommen, als sein Schützling grade dabei war, mit ihm über die eine Schulter geschwungen den Wohnungsschlüssel aus der Tasche zu fischen und dann aufzuschließen. Und statt sich gegen eine solche Behandlung zu wehren hatte Ray es sich gefallen lassen, weil er viel zu sehr damit beschäftigt war rapide dahinhämmernde Stakkato seines Herzschlages wieder unter Kontrolle zu bringen.

Mittlerweile hatte Kai auch seine Suche beendet und war ins Wohnzimmer gekommen. Sich neben Ray aufs Sofa setzend, stellte er den Verbandskasten auf dem Couchtisch ab und kramte eine Rolle Mullbinden hervor: "Zieh deinen Pullover aus." Sich ein Stöhnen verbeißend als er den rechten Arm hob, zog sich Ray besagtes Kleidungsstück über den Kopf - und wurde prompt mit einem angenehm dunklen Lachen seitens Kai belohnt. Stirnrunzelnd sah er seinen Schützling an: "Was?" "Nettes T-Shirt...", zwar hatte Kai sich wieder halbwegs in der Lautstärke eingekriegt, aber noch immer zuckte sein linker Mundwinkel verdächtig.

Irritiert sah Ray an sich herab; er trug doch ein ganz normales schwarzes T-Shirt... das mit dem Bild einer Katze, die von einem Hund verfolgt wurde, sowie mit dem Untertitel "Fast Food" versehen war. Stimmte ja.

"Hör auf zu grinsen; das macht mir Angst...", spaßeshalber schlug er Kai auf den Arm - und musste feststellen, dass auch das im Augenblick höllisch wehtat. Geistesgegenwärtig versuchte Ray von der Situation abzulenken, indem er auf ihr vorheriges Gespräch zurückkam: "Du hast vorhin gemeint, dass du meine Angreifer seit deiner Kindheit kennst; wie hast du das gemeint?" "Mein Großvater hat sie als Spielkameraden für mich aus einem russischen Waisenhaus rausgekauft; er wollte eben schon immer vollkommene Kontrolle über mein Leben haben... Wie dem auch sei, mal abgesehen von ihrer rabiaten Ader sind die Vier ganz in Ordnung. Zumindest waren sie die einzigen, die offen zugegeben haben, dass sie nur mit mir befreundet sind, weil ich reich bin." "Kai!", entsetzt sah Ray seinen Schützling an. Der verteilte unbeeindruckt weiterhin eine kühlende Salbe auf der Brust des Engels, ehe er vorsichtig den Verband um die einzelnen Verletzungen wickelte: "Das war nur ein Scherz - na ja, fast. Warum denkst du, dass ich mich so sehr dagegen wehre, mir eine Freundin andrehen zu lassen? Wenn ich mit jemandem zusammenbin, dann nur weil ich denjenigen wirklich mag, und ganz sicher nicht, weil es in die Firmenplanung meines Großvaters passt..."

Heißer Atem strich über Rays Haut hinweg, machte ihm erst jetzt bewusst, wie nahe er und Kai sich momentan wirklich waren. Ihre Gesichter waren nur Zentimeter voneinander entfernt, als Kai sich zu ihm hinabbeugte und...

Flüchtig hauchte der Blauhaarige ihm einen Kuss auf die Stirn, ehe er den Verband über Rays rechter Schulter verknotete und aufstand: "So, fertig!" An der Schwelle der Wohnzimmertür drehte Kai sich noch mal um, schenkte Ray ein Lächeln, das so rätselhaft wie das einer Sphinx war: "Ich wünsch dir noch schöne Träume..."
 

¹ Nun, zugegeben ist meine Darstellung von Amor und Psyche eine recht freie Interpretation; wer sich einen kurzen Überblick über die tatsächlichen mythologischen Hintergründe verschaffen will, dem sei http://de.wikipedia.org/wiki/Amor_und_Psyche ans Herz gelegt...

Irgendwann waren sie in Olivers Wohnung gelandet, wo sie jetzt schon seit Stunden auf dem Sofa herumsaßen, sich unterhielten und von Zeit zu Zeit einen Schluck von der längst kalt gewordenen Tasse Kaffee zu sich nahmen, die der eigentliche Vorwand dieses Besuches gewesen war. Manchmal sagten sie auch minutenlang gar nichts, schauten sich stattdessen einfach nur an, versicherten dem Anderen mit flüchtigen Berührungen am Arm ihre Aufmerksamkeit.

Es war diese wortlose Geste der Vertrautheit, die Oliver letztendlich dazu brachte, bedächtig seinen Kopf in Enricos Schoß zu legen und die Frage zu stellen, die ihn schon beschäftigte, seitdem er zum ersten Mal einen Blick in die Akte seines Gegenübers geworfen hatte: „Sag mal, wie bist du eigentlich darauf gekommen, ein italienischer Akzent könnte die Damenwelt becircen?“

„Frag bloß nicht!“, der Blonde klang halb genervt, halb amüsiert.

Protestierend richtete Oliver sich auf, stützte sich dabei mit einer Hand auf dem Sofa ab: „Es interessiert mich aber!“

Ein Seufzen entrang sich Enricos Kehle; warum war ihm klar gewesen, dass sie es nicht einfach auf sich beruhen lassen konnten? „Na gut; aber versprich mir, nicht zu lachen!“

„Versprochen.“, zufrieden ließ Oliver sich wieder an seinen angestammten Platz zurücksinken, begierig danach, die kommende Geschichte zu hören.

Enrico holte zu einer dramatischen Geste aus: „Nun, ich habe es in einem Spiel aufgeschnappt. Natürlich weiß ich heute, dass es nicht unbedingt besonders clever war, sich einen zu kurz geratenen, schnauzbärtigen Klempner als Idol auszusuchen, aber damals erschien es wie eine gute Idee.“

Entgeistert blinzelte Oliver: „Du hattest Mario als Vorbild?!“ Als ihm die Absurdität dieser Vorstellung bewusst wurde, musste er sich unwillkürlich ein Kichern verbeißen.

„Ich hab’s gewusst; jetzt lachst du doch!“, gespielt vorwurfsvoll boxte Enrico ihn in die Seite.

„Nein!“, Olivers Versuch, ernst zu bleiben, ging in einem erstickten Losprusten unter, „Na ja, vielleicht ein bisschen… Aber es ist nicht böse gemeint.“

Nun konnte auch Enrico sich nicht länger ein schiefes Grinsen verkneifen: „Wieso stimmt es mich leicht skeptisch, diese Worte ausgerechnet aus dem Mund eines Gefallenen zu hören?“

„Ich habe nicht die leiseste Ahnung…“, meinte Oliver mit gespielter Unschuld, „Aber vielleicht gibt es ja eine Möglichkeit, wie ich dich von der Aufrichtigkeit meiner Aussage überzeugen kann?“

„Mmh, ich bin mir sicher, dass sich etwas aushandeln lässt, das für beide Seiten befriedigend ist…“, zufrieden lächelnd beugte Enrico sich hinab, um die Lippen des Anderen zu kosten.
 

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Das Geräusch der Türklingel riss Ray aus dem Bisschen an unruhigem Dämmerschlaf, den der Schmerz ihm bisher gewährt hatte. Mit einem leisen Stöhnen setzte der Engel sich auf dem Sofa auf, versuchte dabei das Stechen in seiner Seite zu ignorieren, das die Anstrengung des Unterfangens auslöste. In solchen Momenten bereute er es zutiefst, dass die bei den Menschen vorherrschende Vorstellung von strahlend schönen, unverwundbaren Gottesboten nicht den Tatsachen entsprach; die einzigen, die über eine gesteigerte Regenerationsrate verfügten, waren die Mitglieder der Himmlischen Heerscharen und nach ein paar Millennia an Kämpfen war man auch nicht mehr unbedingt eine Augenweide. Andererseits: Wann bestand denn sonst bei ihm die Notwendigkeit einer verbesserten Wundheilung? Wenn man zwölf Stunden pro Tag hinter einem Schreibtisch saß und Papierkram erledigte, war es nicht unbedingt sinnvoll, ein hauptsächlich für kriegerische Auseinandersetzungen geeignetes Talent mit dem Energieverbrauch einer mittelgroßen Stadt zu besitzen.

„Morgen.“, mit einer nonchalanten Selbstverständlichkeit ging Kai am Sofa vorbei Richtung Flur, „Dein Bruder hat gestern im Restaurant zu mir gemeint, dass deine Möbel heute vorbeigebracht werden. Ich habe mir die Freiheit genommen, Hilfe für den Aufbau zu organisieren.“

Ehe Ray noch die Chance hatte, etwas intelligenteres als „Hä?“ von sich zu geben, war die Wohnungstür auch schon geöffnet worden und die vier Menschen, die Ray am allerwenigsten wiedersehen wollte, kamen ins Wohnzimmer gestiefelt. Während der grauhaarige Zwerg aufgeregt wie ein Flummie von Zimmer zu Zimmer hüpfte, der blonde Riese gleich mal in der Küche verschwand und der Lilahaarige mit dem Ganovengesicht noch mal zurück in den Flur ging, um die Jacken aufzuhängen, machte ihr rothaariger Anführer nicht die geringsten Anstalten, sich vom Platz zu rühren. Stattdessen warf er Ray schlicht einen abschätzigen Blick zu: „Mir war klar, dass dieser Haushalt durch und durch verlottert ist, aber das…“ Leicht bedröppelt sah Ray an sich herunter, um festzustellen, was der Andere meinte. Na großartig, dem Feind ausgeliefert und nur mit Boxershorts bekleidet; konnte das Leben noch unangenehmer werden?

„Wie ich sehe, hast du immer noch nicht gelernt, dein Schandmaul im Zaum zu halten, Tala.“, es war der Moment, in dem Kai mit vor der Brust verschränkten Armen ins Zimmer trat, der in Ray den Wunsch auslöste, den Erfinder von rhetorischen Fragen auf ewig in der Hölle verrotten zu sehen.

Verächtlich schnaubte der Angesprochene: „Oh, ich bitte dich, weshalb sollte ich das auch nur versuchen? Jeder Idiot kann nett zu seinen Mitmenschen sein! Aber hast du eigentlich ne ungefähre Vorstellung, wie schwierig es ist, einen fiesen Kommentar von sich zu geben, der nicht das Niveau einer Kindergartenstreiterei hat?“

In gespieltem Erstaunen verzog Kai eine Augenbraue: „Es ist also originell, jemanden wegen seiner lädierten Erscheinung aufzuziehen, den man selbst bettlägerig geprügelt hat?“

„Du übertreibst; so schlecht geht es mir auch wieder nicht…“, verlegen strich sich Ray eine Strähne aus dem Gesicht, die sich aus seinem Zopf gelöst hatte. Er fühlte sich mehr als unwohl dabei, vor diesem Tala und seinen Spießgesellen eine Schwäche einzugestehen. „Weshalb sind diese Typen eigentlich hier?“

Statt sofort zu antworten, schnappte Kai sich erst mal die Decke von der Couch und legte sie Ray um die Schultern, so dass zumindest dessen Oberkörper bedeckt war: „Erstens: Ich bin der Mediziner, ich beurteile, wie es dir geht. Und zweitens: Wie schon gesagt, werden deine Sachen heute hier auftauchen. Und da du momentan kaum in der Lage sein wirst, deine Möbel aufzubauen, du andererseits aber ein richtiges Bett zur Erholung mehr als gut gebrauchen kannst, habe ich eben stattdessen die Verursacher deines Zustandes dazu motiviert, bei der Einrichtung deines Zimmers Hand anzulegen.“

Mittlerweile war Talas lilahaariger Begleiter aus dem Flur zurückgekehrt. Kais Bemerkung entlockte ihm nur ein abfälliges Schnauben: „Wohl kaum; für die einzige Form von Motivation, die außer Geld bei mir wirkt, ist schon Tala zuständig.“

Der Rothaarige warf ihm daraufhin ein zweideutiges Grinsen zu: „Da gehe ich dafür dann allerdings auch äußerst gerne zur Hand, Bryan…“

„Sagt einfach Bescheid, wenn ihr damit fertig seid, euch gegenseitig die Stange zu halten.“, genervt verdrehte Kai die Augen. Unwillkürlich musste Ray grinsen; die Art und Weise, wie diese Zankerei geführt wurde, offenbarte einfach ein solches Maß an Vertrautheit, wie Kai es nur bei äußerst wenigen Menschen zuließ.

„Sind die Beiden etwa schon wieder am Rummachen?“, mit mäßigem Interesse spähte der blonde Hüne aus der Küche hervor. Verzweifelt versuchte Ray sich an die Namen zu erinnern, die Kai gestern Abend erwähnt hatte. Zwei waren schon vergeben, also standen die Chancen jetzt fünfzig zu fünfzig, dass er den richtigen erwischte. Aufs Geradewohl meinte Ray: „Ian?“ „Spencer.“, der Gesichtsausdruck des Blonden blieb neutral, „Könntet ihr jetzt bitte den Knirps einfangen? Das Essen ist fertig.“ Mit diesen Worten drehte er sich um und verschwand wieder in der Küche.

„Essen?“, langsam hatte Ray das Gefühl, überhaupt nichts mehr mitzubekommen.

„Ich hatte ihn gebeten, schon mal das Frühstück vorzubereiten.“, mit einer Handbewegung deutete Kai Tala und Bryan an, Ian herbeischaffen zu gehen, „Aufgrund seiner Wortkargheit und seines Körperbaus wirkt Spencer zwar auf den ersten Blick wie ein typischer Schläger, aber im Grunde seines Herzens ist er ein verkapptes Hausmütterchen. Schätze, die Natur hat das als Ausgleich zu den anderen drei Chaoten so eingerichtet… Komm, ich helfe dir, dein T-Shirt anzuziehen und dann gehen wir in die Küche.“
 

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Leicht verloren sah Emily sich in dem Café um, das Michael und sie als Treffpunkt ausgemacht hatten. Das Lokal lag nicht weit vom Campus entfernt und war bei Studenten recht beliebt, dementsprechend hatte sich schon eine gewisse Stammkundschaft eingefunden, die einen Überblick zwar nicht unmöglich machte, aber doch erschwerte. Unwillkürlich schlich sich ein Lächeln auf ihr Gesicht, als sie den blonden Haarschopf ihres Freundes schließlich an einem kleinen Tisch in der hintersten Nische des Raumes entdeckte. Mit einer Tasse Kaffee bewaffnet, saß er über eine Zeitung gebeugt da, verschlang vermutlich gerade die Sportseite. Wenigstens eine Sache, auf die man sich immer verlassen konnte… Emily hatte keine Ahnung, wann oder wieso genau es passiert war, aber irgendwie hatte Michael es geschafft, eine feste Größe in ihrer von Unkonstanten bestimmten Welt zu werden. In einem Umfeld, das sich mit dem Wechsel ihrer Aufträge im Minutentakt verändern konnte, war er ein Fixpunkt, das Versprechen einer Stabilität, von der Emily zuvor nicht einmal gewusst hatte, dass sie sie in ihrem Leben vermisste.

Mit wenigen Schritten war sie an Michaels Tisch angekommen, ließ sich neben ihn auf einen Stuhl fallen. Verschlafen dreinschauende, blaugrüne Augen wandten sich von der Zeitung ab und ihrem Gesicht zu. Im Bruchteil einer Sekunde stahl sich ein zufriedenes Grinsen auf Michaels Gesicht: „Hi! Schön, dass du kommen konntest…“ Vorsichtig beugte er sich nach vorne und hauchte Emily einen Kuss auf die Wange: „Ich hab dich vermisst.“ „Ich dich auch.“, mit einem schiefen Lächeln zog Emily die Kaffeetasse so weit aus der Reichweite ihres Gegenübers, dass er sie unmöglich umstoßen konnte, „Aber momentan habe ich leider einfach viel zu viel um die Ohren, als dass wir uns öfter sehen könnten.“ Michael stieß einen gespielt genervten Seufzer aus, den der schelmische Ausdruck in seinen Augen jedoch Lügen strafte: „Wenn mein kleiner Workaholic sich schon über das Arbeitspensum beklagt, kann es ja nur schlimm stehen.“ Spielerisch schubste Emily seine Schulter: „Hey, es ist nicht so, als wäre mein Leben ausschließlich auf die Arbeit ausgerichtet!“ Auch wenn die es immer mehr für sich in Anspruch nahm. Bestes Beispiel dafür war die Sache mit Kai: Statt sich wie bisher immer nach den Vorstellungen ihres Klientels zu richten, missbrauchten ihre Arbeitgeber ihre eigentlich für den Alltag gedachte Identität, um an den Kunden heranzukommen. Blanker Hohn, dass ausgerechnet das ihr den Rückzug ins Privatleben freikaufen sollte…

Sie wurde jäh in die Wirklichkeit zurückgeholt, als Michael über den Tisch hinweg nach ihrer Hand griff, ihre Finger miteinander verschränkte. „He, dein Engagement ist doch grade eine der Sachen, für die ich dich liebe; wenn man etwas unbedingt erreichen will, dann muss man alles daran setzen, um es zu schaffen. Und was die Tatsache, dass wir uns momentan nicht so oft sehen können, angeht… Hast du schon über meinen Vorschlag nachgedacht?“ Michaels Vorschlag… Sein derzeitiger Mitbewohner hatte offenbar vor kurzem beschlossen, mit seiner Freundin zusammenzuziehen, und Michael hatte sich gedacht, sie könnten den frei werdenden Platz nutzen und dasselbe tun; so zumindest hatte er es in hastig herausgepressten Worten formuliert, als er ihr nach ihrem letzten Date das Angebot unterbreitet hatte.

Emily sah ihrem Freund nicht in die Augen, als sie antwortete: „Ja, das habe ich und ich würde sehr gerne mit dir zusammenziehen.“ „Aber?“ „Aber es gibt einige Dinge, die ich erledigen muss, ehe ich mir über einen Umzug Gedanken machen kann. Gib mir eine Woche Zeit, um ein paar Sachen ins Reine zu bringen, und dann können wir noch mal drüber reden.“ „Ich verstehe.“, Michaels Miene verdüsterte sich, „Hat deine Entscheidung irgendetwas mit dem Kerl zu tun, mit dem ich dich gestern im White Tiger Inn gesehen habe?“ Noch ehe Emily abstreiten konnte zu wissen, wovon er da eigentlich sprach, redete ihr Freund bereits weiter: „Hör zu, du hattest an dem Tag zwar ne andere Frisur und trugst Kontaktlinsen, aber wir sind jetzt lange genug zusammen, als dass ich dich mit jemand anderem verwechseln würde. Mir geht es jetzt auch gar nicht darum, dass ich eifersüchtig wäre, nur weil du dich von Zeit zu Zeit mal aufbrezelst oder was mit jemandem unternimmst, der zufälligerweise ein Mann ist. Aber momentan habe ich das Gefühl, dass du mir irgendetwas verschweigst, und deswegen würde ich einfach gerne aus deinem Mund hören, was Sache ist.“

Es war genau das eingetreten, was Emily immer befürchtet hatte. Was sollte sie Michael jetzt bloß sagen? ‚Ja, du liegst mit deiner unausgesprochenen Vermutung richtig; ich versuche, Kai zu verführen, aber damit betrüge ich dich eigentlich gar nicht, weil es mein Beruf ist, Leuten die Seele auszusaugen indem ich mit ihnen schlafe!’ schien nicht wirklich eine Option zu sein. Und auch wenn es sich nach all den Notlügen und Auslassungen, die sie ihm bisher ohnehin schon aufgetischt hatte, eine Lüge mehr wahrscheinlich keinen Unterschied mehr machen sollte, so konnte Emily sich doch nicht entschließen, die Unwahrheit zu sagen; dafür hatte Michaels Bitte einfach viel zu desperat geklungen. Was sollte sie bloß sagen?

Letztendlich nahm Michael ihr die Entscheidung ab; seufzend ließ er ihre Hand los und bedeutete einem vorbeilaufenden Kellner, dass er zahlen wolle: „Hör zu, ich will dich wirklich zu nichts drängen… Aber ich kann dir nun mal erst dann helfen, wenn du mir sagst, was dein Problem ist. Lass es dir einfach noch mal durch den Kopf gehen.“

Als Michael wenige Minuten später das Café verließ, fühlte sich Emily keineswegs besser, sondern eher noch schlechter. Sicher, sie hatte ihr Geheimnis wahren können, aber dafür war das Verhalten ihres Freundes mehr als merkwürdig gewesen. Sie hätte es verstanden, wenn er Vorwürfe ausgespieen, zu schreien und zu toben angefangen hätte, aber dass er einfach so plötzlich aufstand und unbeteiligt seiner Wege ging, das war ihr unbegreiflich. Dafür war Michael doch eigentlich ein viel zu emotionaler Mensch…
 

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Die Tatsache, dass Ray keine vierundzwanzig Stunden nach dem Überfall mit seinen Angreifern an einem Tisch saß und frühstückte, entbehrte nicht einer gewissen Komik; wäre das jedem Anderen passiert, hätte er wahrscheinlich laut gelacht. So stand er kurz davor, seinen Kopf gegen die nächste Wand zu schlagen. Sicher, er war ein Engel und sicher, im Neuen Testament hieß es, man solle seine Feinde lieben, aber ehrlich gesagt legte er keinen besonders großen Wert darauf. Er wollte diese Typen nicht kennenlernen, wollte nicht anfangen, sie beinahe ein bisschen zu mögen. Warum Kai es dennoch irgendwie schaffte, Ray mit einem Blick auf seinem Stuhl zu fixieren und zum zuhören zu bewegen, war keinem ein größeres Rätsel als dem Engel selbst.

So war Ray leider doch dazu gezwungen, Schritt für Schritt seine Meinung über Tala und Co. zu revidieren; was gesagt wurde war dabei ebenso wichtig wie der Tonfall, in dem es gesagt wurde. Verdammt, wenn Ray ehrlich war, spielte selbst das, was nicht gesagt wurde, eine Rolle. Kais Jugendfreunde mochten mit Sicherheit keine Heiligen sein, aber sie waren auch längst nicht so schlecht, wie Ray bisher angenommen hatte. Vermutlich konnte keiner derartig schlecht sein…

Das, was sie zu sagen hatten, mochte einem nicht immer gefallen, aber dafür wusste man wenigstens immer, woran man bei ihnen war. Sie schmierten niemandem Honig um den Mund, am wenigsten sich selbst; Sticheleien wurden innerhalb der Gruppe ausgetauscht wie andernorts Komplimente und das alles erfolgte zudem noch in einer Lässigkeit, die wenn schon nicht Vertrauen, dann doch zumindest die Sorte von Gewöhnung ausdrückte, die Grundlage für Vertrauen ist. Über die Jahre hinweg hatte sich zweifelsohne aus der von Voltaire ins Leben gerufenen Zwangsgemeinschaft eine Art Familie entwickelt. Sie mochte nicht besonders harmonisch oder besonders liebevoll sein, doch zumindest war sie da.

„Sag mal, mit welchen sexuellen Gefälligkeiten hast du Kai eigentlich dazu überredet, dich freiwillig bei sich aufzunehmen?“, nonchalant stupste Tala Ray mit dem Griff seines Buttermessers an, „Versteh mich nicht falsch, ich lege keinerlei Wert darauf, mir euch Beide in Aktion vorzustellen; aber was immer es war, es muss eine höllische Überzeugungskraft gehabt haben. Nachdem er jahrelang uns ertragen musste, hatten wir eigentlich gedacht, ihn auf ewig erfolgreich von jedweder Form des Zusammenlebens mit Anderen abgeschreckt zu haben.“ Aus seinen Gedankengängen gerissen, schreckte der Angesprochene auf: „Was? Kai war es doch, der nach einem Mitbewohner gesucht hat…“ „Der alte Grumpel? Nie im Leben!“, Ian brach in ungläubiges Gelächter aus. Auch die Gesichter von Kais übrigen Jugendfreunden spiegelten eine Mischung aus Zweifel und vagem Amüsement wider, je nach Person mehr oder weniger stark in Richtung einer der beiden Emotionen tendierend.

„Max und Tyson haben überall an der Uni Zettel ausgehängt, auf denen stand, dass ich einen Untermieter suche; schätze, sie wollten mich auf diese Art und Weise verkuppeln.“, warf Kai in einem beiläufigen, beinahe schon desinteressiert zu nennenden Tonfall ein. Ein Desinteresse, welches dadurch Lüge gestraft wurde, dass er zugleich aus dem Augenwinkel einen verstohlenen Blick zu Ray hinüberwarf.

Der wandte daraufhin verunsichert den Kopf ab: „Das hast du mir aber in keiner der drei Varianten deiner Geschichte erzählt…“ Sicher, Max hatte eine in diese Richtung gehende Andeutung gemacht, aber dennoch hatte es dabei geheißen, Kai sei der Initiator der ganzen Sache gewesen.

„Natürlich habe ich das nicht getan; wärst du andernfalls bei mir eingezogen?“, verständnislos runzelte Kai die Stirn, „Außerdem war als du dann das erste Mal vor mir standest klar, dass man dich ebenso reingelegt hatte wie mich. Der einzige Mensch, der bei mir wegen des Zimmers angerufen hatte und den ich nicht erfolgreich abwimmeln konnte, war so ein verrücktes Weibsbild; deswegen dachte ich ja auch zuerst, du seiest ein Mädchen.“ Verrücktes Weibsbild?! Herrgott, was hatte Mariah in ihrem Telefonat mit Kai bloß von sich gegeben?

Es sah so aus, als wolle Kai ihm seine unausgesprochene Frage gerade beantworten, als die Türklingel ertönte. Hastig sprang Bryan auf: „Na endlich! Wurde aber auch Zeit, dass die den Kram liefern! Je früher wir das Zeug hochgeschleppt und zusammengebaut haben, desto früher können wir auch wieder verschwinden und müssen uns nicht länger euren Ehekrach geben…“
 

Sobald man vor die Haustür trat, sprang einem der magentafarbene Kleinlaster ins Auge, der keine zwanzig Meter entfernt parkte. Es war nicht unbedingt so, dass man hinsehen und ihn bemerken wollte… Wie der Anblick eines Unfalls auf der Autobahn war das Ganze einfach viel zu verstörend, als dass man den Kopf hätte abwenden können.

Winkend und mit einem breiten Grinsen gewappnet, kam ihnen Mariah entgegen: „Tut mir leid, dass nur ich kommen konnte, aber im Restaurant geht momentan alles drunter und drüber.“ Sie drückte Ray einmal kurz herzlich an sich, ehe sie ihre Aufmerksamkeit Kai zuwandte: „Hi, du musst Kai sein! Ich bin Mariah, Lees Verlobte; wir haben damals wegen dem Zimmer telefoniert…“ Wenig begeistert starrte Kai die Hand an, die ihm hingestreckt wurde: „Ah, du warst das also; wir haben gerade noch über dich gesprochen…“ „Oh, habt ihr das…“, verlegen strich sich Mariah eine Haarsträhne hinters Ohr, „Hör zu, ich war an dem Tag, als ich dich angerufen habe, verdammt aufgekratzt; Lee und ich hatten uns darüber gestritten, dass Ray bei uns einziehen sollte. Ich weiß, das klingt erst mal schrecklich zickig, aber so war das nicht gemeint… Ich meine, klar hab ich Lee am liebsten für mich alleine, aber außerdem gab’s noch andere Gründe. Meiner Ansicht nach sollte Ray auch mal sein Leben genießen können, ohne dabei ständig die Familie im Nacken hocken zu haben. Und da das bei seiner Arbeit nun mal nicht der Fall ist, dachte ich eben, eine WG wäre was für ihn…“ Verdammt, seine Chefin war gut! Normalerweise hätten bei einer derartig schlechten Ausrede jedermanns Alarmglocken klingeln müssen, doch Mariah schaffte es, das Ganze tatsächlich aufrichtig klingen zu lassen. Hätte Ray nicht gewusst, dass ihre Geschichte komplett erstunken und erlogen war, wäre er vermutlich selbst darauf hereingefallen. Und auch, wenn Kais Mimik noch immer der einer steinernen Maske glich, so entspannte sich seine Körperhaltung doch merklich.

Ungerührt von dem lautlosen Kräftemessen, das soeben stattgefunden hatte, drängte sich Tala an Ray vorbei in die Gesprächsrunde: „Während ihr euer Kaffeekränzchen haltet, könnten wir ja schon mal die Umzugskartons hochtragen gehen… Krieg ich den Autoschlüssel?“ Mariah warf ihm ein strahlendes Lächeln zu, das viel eher zu einer Katze, die gerade eine Maus zum Spielen entdeckt hat, gepasst hätte: „Warum kommst du nicht einfach mit und lässt dir von mir den Laderaum des Wagens aufschließen?“

Belustigt sah Ray dabei zu, wie Tala und Konsorten in einer leise vor sich hin grummelnden Prozession seiner Vorgesetzten hinterhertrotteten; die Szene, die sich da vor ihm abspielte, erinnerte ein wenig an eine umherwatschelnde Horde Entenküken, die von ihrer Mutter zum ersten Mal zum Schwimmen an den Teich getrieben werden. Von dem sonst so latent vorhandenen Widerspruchsgeist des Chaotentrupps war plötzlich nichts mehr zu spüren…

„Jetzt sieh sich das einer an! Werden diese Idioten auf ihre alten Tage noch weich…“, der Hauch eines Zuckens umspielte Kais Mundwinkel, „Bist du noch wütend wegen vorhin?“ „Was meinst du?“ „Als du erfahren hast, dass ich eigentlich gar nicht freiwillig auf der Suche nach einem Mitbewohner war…“ „Da war ich nicht wütend; verunsichert und auch ein wenig verletzt, weil du mir anscheinend immer nur Teilstücke der Wahrheit vorwirfst, ja, aber nicht wütend.“, Ray stieß einen leisen Seufzer aus, „Ehrlich gesagt finde ich dich schrecklich verwirrend, Kai.“ Das Zucken um Kais Mund verwandelte sich in ein tatsächliches Lächeln: „Dann geht’s dir ja wie mir; ich finde dich ehrlich gesagt auch schrecklich verwirrend.“ Unwillkürlich musste auch der Engel grinsen: „Ach ja, und was ist bitte so verwirrend an mir?“ „Du glaubst doch nicht etwa, dass ich dir das sage, damit du mich wieder und wieder damit in den Wahnsinn treiben kannst, oder?“, ein spitzbübisches Funkeln erschien in Kais Augen, „Geh lieber rein und ruf schon mal den Aufzug, damit wir deine Möbel schneller hinauf in die Wohnung geschafft bekommen! Denn das ich dich in deinem gegenwärtigen Zustand was Schweres schleppen lasse, das kannst du mal gleich komplett abhaken…“
 

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Das hartnäckig-nervige Läuten eines Weckers riss Oliver aus seinen Träumen. Während er mit der Linken auf seinen Nachttisch einschlug in der Hoffnung, den Störenfried außer Gefecht zu setzen, schmiegte er sich gleichzeitig näher an die neben ihm im Bett liegende Wärmequelle. So gut…

Es dauerte einige weitere Augenblicke, bis es zu seinem noch schlaftrunkenen Geist durchdrang, dass es sich bei der Wärmequelle um Enrico handelte und er den Lärm gar nicht ausstellen konnte, weil der Weckruf nur in seinem eigenen Kopf erklang. Eine der zahlreichen Freuden, die sich daraus ergab, in der Hölle zu arbeiten… Nun ja, zumindest konnte Enrico auf diese Weise ungestört weiterschlafen. Vorsichtig kroch Oliver unter dem Arm seines Liebhabers hindurch und aus dem Bett hinaus, schlich sich dann auf Zehenspitzen ins Bad. Er hatte noch ungefähr zwanzig Minuten Zeit, um sich für seinen Termin mit Robert und Johnny zurechtzumachen.
 

Reichlich abgehetzt kam Oliver gerade noch rechtzeitig zum Meeting mit seinen Vorgesetzten. Nicht, weil er sich in seiner Zeitplanung vertan hatte oder weil er durch irgendein unvorhergesehenes Ereignis aufgehalten worden wäre… Zeit war etwas relatives, so sagte man zumindest, und in der Hölle entsprach das auch durchaus den Tatsachen. Während die Stunden, in denen man arbeitete, so langsam wie nur irgend möglich verstrichen, um mit einem Minimum an bezahlten Arbeitskräften auszukommen, rann einem der Rest des Tages wie Wasser durch die Hände. Sicher, der Arbeitgeber war vertraglich gezwungen, bestimmte Ruheperioden mit einem normalen Zeitablauf einzuhalten – andernfalls wäre Olivers gestrige Diskussionsrunde mit Enrico gar nicht möglich gewesen –, aber seltsamerweise schienen diese immer grade dann außer Kraft gesetzt worden zu sein, wenn man selbst es am dringendsten hätte gebrauchen können. Ständig war man in Panik davor, zu spät zu kommen, sich die Schuldzuweisungen des Vorgesetzten anhören zu müssen und mit allen erdenklichen Arten von Bestrafungen für das scheinbare Fehlverhalten konfrontiert zu werden; schließlich war Angst der Motor, der diesen Ort seit jeher antrieb.

In Anbetracht dessen kam Oliver wie blanker Hohn vor, dass die gegenwärtige Erscheinungsform von Roberts allzeit im Wandel begriffenen Büros die eines Wohnzimmers war, wie es jedem IKEA-Katalog hätte entsprungen sein können. Robert und Johnny nahmen sein Erscheinen gar nicht groß zur Kenntnis; stattdessen blieben sie auf ihrem Ledersofa sitzen und starrten weiterhin fasziniert den allgegenwärtigen Plasmabildschirm an, der gerade wiedergab, wie ein Jugendlicher sich durch einen Spiegel hindurch mit einem überdimensional großen, ziemlich deformierten Kaninchen unterhielt.

Leicht pikiert räusperte Oliver sich, versuchte sich auf diesem Weg zumindest ein wenig Aufmerksamkeit zu verschaffen; wenn er schon hier antanzen musste, dann wollte er wenigstens auch ernst genommen werden. Seufzend betätigte Robert die Pausetaste der Fernbedienung: „Wie ich sehe, sind Sie mittlerweile auch eingetroffen. Welche Ergebnisse können Sie uns bezüglich der Observation ihrer beiden Arbeitskollegen präsentieren?“

„Emily und Enrico sind kein Paar.“, Oliver sagte das in neutralem Tonfall, doch ein triumphierendes Funkeln schlich sich in seine Augen. Schon bald würde dieser ganze Schwachsinn hier vorbei sein, und dann könnte er zurück in seine Wohnung gehen und in aller Ruhe gemeinsam mit Enrico frühstücken, ehe sie sich zur Arbeit bequemen mussten…

„So, und wie können Sie sich da innerhalb eines einzigen Tages so sicher sein? Hat das Ihnen etwa ein kleines Vögelein gezwitschert?“, verächtlich verzog Johnny den Mund, „Na ja, wie auch immer; müssen wir uns eben ein anderes Druckmittel suchen, mit dem wir Emily dazu bewegen können, in der Hölle zu bleiben.“

„Wie bitte?!“, Oliver traute seinen Ohren nicht.

„Sie haben schon richtig verstanden. Hätte Emily eine Affäre mit Enrico gehabt, dann hätten wir ihrem Freund Fotos zuspielen können, welche die Zwei in eindeutigen Posen gezeigt hätten; warum sollte eine unserer erfolgreichsten Kundenbetreuerinnen die Firma verlassen, wenn der Grund, weshalb sie es tun wollte, mit ihr Schluss gemacht hat?“, gelangweilt spielte Robert an den Troddeln eines neben ihm liegenden Kissens herum, „Doch da das nun mal leider nicht der Fall ist und wir keine Erlaubnis erhalten konnten, die nötigen Fotos zu fälschen, werden Sie uns eben irgend ein anderes schmutziges kleines Detail ausgraben müssen.“

„Aber… Sie haben Emily doch versprochen…“

Robert stieß ein humorloses Lachen aus: „Hat irgendjemand gesehen, wie ich mit meinem eigenen Blut einen Vertrag unterzeichnet habe? Nein? Tja, dann handelt es sich bei der Abmachung lediglich um eine mündliche Absprache, und die werden in der Hölle prinzipiell nicht eingehalten.“

Oliver war nie jemand gewesen, der zur Gewalttätigkeit neigte, aber die schiere Ungerechtigkeit dieses Augenblicks brachte ihn dazu, sich zu wünschen, er könnte seinen Vorgesetzten ihr arrogantes Gehabe aus dem Leib prügeln. Stattdessen biss er sich jedoch nur so fest auf die Unterlippe, dass er den metallischen Geschmack seines eigenen Blutes im Mund hatte, und nickte dann resigniert; im Geiste hörte er eine Stimme, die nicht mehr gänzlich Roberts und doch auch noch nicht ganz seine eigene war, immer wieder „Wo werden Sie Ihrer Meinung nach landen, wenn Sie aus der Hölle entlassen werden?“ wiederholen.
 

Das Geräusch von Olivers Schritten, die auf dem Parkettboden des Flurs auf und ab wanderten, ließ Enrico aus dem Dämmerzustand aufschrecken, in den er nach dem Aufstehen seines Liebhabers hinübergeglitten war. Endlich Zeit fürs Frühstück! Und selbst wenn das nicht der Fall sein sollte, so würde man zumindest den Hunger nach etwas anderem stillen können… Mit einem wölfischen Grinsen ließ Enrico sich aus dem Bett rollen, schlang sich dabei das Laken fester um die Hüften; alles andere wäre für das, was er vorhatte, vollkommen overdressed gewesen.

„Da bist du ja wieder!“, lächelnd trat er auf den Gang hinaus. Das verging ihm jedoch schleunigst, als er sah, in welcher Verfassung Oliver sich befand: Die Körperhaltung seines Partners erinnerte an die eines getretenen Hundes. Er war nicht in der Lage, Enrico in die Augen zu schauen; stattdessen starrte er mit einer verzweifelten Intensität seine Füße an.

„Hey, was ist denn los?“, beunruhigt machte Enrico einen Schritt auf Oliver zu, streckte eine Hand nach ihm aus. Sofort zuckte der Andere zurück, als hätte er auf eine heiße Herdplatte gefasst: „Es… Es ist nichts.“ „Von wegen nichts! Ich sehe doch ganz genau, dass mit dir etwas nicht stimmt.“, sich einen Teufel darum scherend, was Oliver wollte, packte Enrico ihn am Handgelenk und zog ihn hinter sich her ins Wohnzimmer, „Du wirst mir jetzt sofort erzählen, was dich so sehr aus der Fassung gebracht hat!“ Entschlossen drückte er mit seiner freien Hand Olivers Kinn hoch, zwang diesen somit, ihn anzusehen.

In Olivers Augen ließ sich eine Vielzahl von Emotionen lesen, keine von ihnen positiv. Mit brüchiger Stimme meinte er: „Ich habe eine entsetzliche Dummheit begangen…“
 

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Ray wusste selbst nicht so genau, was er in Bezug auf den Aufzug erwartet hatte, aber es war bestimmt nicht gewesen, dass sich das Ding tatsächlich in Gang setzte. Für einen winzigen Augenblick hatte er den schrecklichen Verdacht, die Türen würden sich gleich öffnen und einen mit Hufen und Hörnern ausgestatteten Höllenboten offenbaren, der sich grinsend die Hände rieb, doch dann ging ihm die Absurdität dieser Vorstellung auf. Immerhin war er ja seinerseits ein Engel, momentan zwar ein recht lädierter, aber dennoch mit göttlichen Vollmachten ausgestattet. Ihm war zwar bis heute noch nicht ganz klar, was sie eigentlich besagten, aber irgendeinen Nutzen musste es da ja schließlich geben, oder?

Just in dem Moment, in dem der Fahrstuhl zum Halten kam, raste Ian mit einer Geschwindigkeit ins Haus hinein, als sei eine Horde tollwütiger Wiesel hinter ihm her. Ray wollte schon fragen, ob etwas passiert sei, da knallte der Jüngere ihm einen Karton voller Bücher vor die Füße, beförderte sie mit einem gezielten Tritt zwischen die Lichtschranken, welche die Aufzugstür am Schließen hinderte, und war in dem selben Tempo verschwunden, in dem er gekommen war. Wesentlich geruhsameren Schrittes folgten Tala und Bryan, stellten ihrerseits weitere Kisten ab und schlenderten wieder nach draußen. Spencer tauchte gar mit einer Schreibtischplatte unter dem Arm auf, begleitet von Kai, der ein bereits zusammengebautes Holzregal trug. Alles in allem kam auf diese Weise einiges an Kleinteilen und leichteren Sachen zusammen, mit denen Ray erst einmal hochfahren sollte; danach würde Ian mit der zweiten, etwas schwereren Fuhr nachkommen, während die Übrigen die Einzelteile von Rays Kleiderschrank – das einzige, was selbst zerlegt vom Format her nicht in den Aufzug passte – nach oben tragen würden.

Leicht verwirrt kratzte Ray sich am Kopf: „Sagt mal, wo steckt eigentlich Mariah?“ „Sie sucht gerade einen Parkplatz, auf dem sie längerfristig stehen bleiben kann, ohne die übrigen Verkehrsteilnehmer zu behindern.“, ungeduldig scheuchte Kai ihn mit einer Handbewegung weg, „Und jetzt steig endlich in den gottverdammten Aufzug!“ „Ja ja, ist ja gut!“, hastig humpelte Ray ins Innere der Kabine, „Aber sag mal, woher wusstest du überhaupt, dass das Ding funktioniert?“

„Ganz einfach: Mein Großvater hat uns vor wenigen Tagen besucht. Kannst du dir vorstellen, dass er freiwillig auch nur einen Schritt auf die Treppe setzen würde?“
 

Da Ray nicht in der Lage war, bei dem Aufbau der Möbel zu helfen (oder besser gesagt nicht in der Lage sein durfte), wurde er wieder auf das Sofa verfrachtet, welches seinerseits vor den Eingang seines Zimmers geschoben worden war. Nun saß er da, schaute den Anderen dabei zu, wie sie Kisten auspackten und Dinge zusammenschraubten, und gab ab und zu Anweisungen, was wohin gestellt werden sollte. Mit anderen Worten: Es war für alle beteiligten Parteien entsetzlich. Ray war nicht der Typ, der es genießen konnte, untätig herumzusitzen und anderen das Arbeiten zu überlassen. Tala, Ian, Bryan und Spencer gefiel es wohl kaum, sich ausgerechnet von ihm sagen zu lassen, wie sie ihre Arbeit zu machen hatten. Herrgott, selbst Kai schien von der Situation genervt, und er war immerhin derjenige, der den warnenden Blicken nach zu Urteilen seinen Mitbewohner wohl am liebsten am Sofa festgebunden hätte!

Ray war regelrecht dankbar, als Mariah endlich wieder Einlass begehrte, gab ihr Klingeln ihm doch eine gute Gelegenheit, zu flüchten; das Sofa blockierte seine Zimmertür so schön, dass er trotz allem immer noch schneller als die Anderen zur Wohnungstür kam. Mit einem verschmitzten Grinsen ließ er den anderen Engel hinein: „Schön, dass du noch ein wenig länger bleibst. „Lees Verlobte“, hm?“

„Irgendwie musste ich doch schließlich mein Auftauchen begründen…“, seine Vorgesetzte zuckte nonchalant mit den Schultern, „Außerdem: Weshalb wurde ihm und seinen Leuten wohl erlaubt, dir hier auf der Erde zur Seite zu stehen?“

„Soll das etwa heißen…?“, fassungslos brach Ray den Satz ab. Ihm fehlten einfach die Worte angesichts dieser Offenbarung. Nicht, dass Mariah nicht auf ihre eigene, ganz spezielle Weise attraktiv gewesen wäre – es fiel nur einfach schwer, sich Lee mit jemandem vorzustellen, der so fixiert auf die Farbe Rosa war. Das war ungefähr so, als hätte Dschingis Khan plötzlich seine Leidenschaft für das Züchten von kleinen, flauschigen Häschen entdeckt. Mal ganz abgesehen davon, dass Ray eigentlich erwartet hatte, eine derartige Nachricht im Fall der Fälle aus Lees Mund zu hören…

„Eine gesunde Portion Vitamin B kann nie etwas schaden…“, meinte Mariah trocken, nur um dann im nächsten Augenblick in ein hysterisches Kichern auszubrechen, „Du hättest eben mal dein Gesicht sehen sollen! Ich dachte wirklich, im nächsten Moment fallen dir vor lauter Erstaunen die Augen heraus!“ Sich wieder beruhigend, fuhr sie fort: „Scherz beiseite, dass Lee und ich ein Paar sind, hat rein gar nichts mit der Sache zu tun. Nachdem der Führer der Himmlischen Heerscharen von heute auf morgen spurlos verschwunden ist, hat einfach keiner auch nur den Hauch eines Plans, und deswegen hat ein Großteil der Truppen freibekommen, damit man in Ruhe eine Neuordnung organisieren kann. Nur die Wächter sind noch im Dienst und achten darauf, dass sich keine Dämonen an uns heranschleichen.“

Beunruhigt runzelte Ray die Stirn: „Kann man die Heerscharen denn überhaupt wieder rechtzeitig zusammentrommeln, wenn der Himmel tatsächlich angegriffen werden sollte? Ich bin natürlich kein großer Stratege, aber…“

„Deine Bedenken sind durchaus nachvollziehbar, und ich selbst bin auch nicht gänzlich überzeugt von der Richtigkeit ihrer Handlungsweise, aber wir werden den betreffenden Entscheidungsträgern wohl einfach vertrauen müssen. Schließlich ist unser Aufgabenfeld Liebe und nicht Krieg.“, Mariah wirkte nicht besonders glücklich. Vermutlich wäre es besser, das Thema zu wechseln…

Plötzlich fand Ray seine Schuhe ungeheuer interessant. Er wusste nicht, wie er Mariah in dieser Situation aufmuntern sollte, und wenn er ehrlich war, machte ihn seine Hilflosigkeit ganz krank vor Schuld und Wut. Das alles war so beschissen unfair! Wenn es wirklich zu einem Angriff der Dämonen kommen sollte, dann würden Lee, Gary und Kevin in der ersten Reihe der Verteidigungstruppen stehen; das war kein beruhigender Gedanke, selbst wenn man wusste, dass der den man liebte über die Fähigkeit der Selbstheilung verfügte. Es war eine Sache, gegen ein halbes Dutzend schlechtausgerüsteter, unmotivierter Unterklassedämonen zu kämpfen und eine ganz andere, einigen Tausenden ihrer mordlüsternen großen Brüdern gegenüberzustehen, die es bestimmt nicht bei halbherzigen Marodeursversuchen belassen würden. In den Legionen der Hölle befanden sich nur die grausamsten, hinterlistigsten Bastarde, jene Engel, die aus den Heerscharen gefallen waren und nun allem Himmlischen eines allesverzehrenden Hass entgegenbrachten. Sie waren nicht wie die besonneneren Bürokraten ihrer Spezies, mit denen man teilweise noch verhandeln konnte; für sie war es ein Spiel, andere Lebewesen vor lauter Agonie in den Wahnsinn zu treiben, und zwar eines, das man möglichst lange spielte.

„Lass uns nachschauen gehen, ob wir den Anderen noch irgendwie helfen können…“, behutsam legte Mariah Ray eine Hand auf die Schulter, holte ihn dadurch in die Wirklichkeit zurück. „Ja, ist gut.“, bedächtig setzte der Angesprochene sich mit Schritten in Bewegung, die einen an seinen motorischen Fähigkeiten zweifeln ließen. Zumindest tat er selbst dass, fühlte sich sein Kopf momentan doch an, als sei das Uhrwerk hinter seiner Stirn in tausend Teile zersprungen. Erst als sie kaum mehr einen Meter von Rays Zimmer entfernt waren, gelang es ihm langsam, seine Fassung zurückzugewinnen. Es brachte keinem etwas, wenn er ausgerechnet jetzt ausfreaken würde; zum einen war der Krieg selbst reine Spekulation, zum anderen hatte Lee mehr als einmal bewiesen, dass er auf sich selbst aufpassen konnte. Und selbst wenn nicht, Gary und Kevin würden jedem gehörig in den Hintern treten, der ihrem Chef auch nur zu nahe kam… Ray konnte in seiner gegenwärtigen Position ohnehin nichts ausrichten; seine Verpflichtung war es momentan, für Kai stark zu sein. Nein, so stimmte das nicht ganz; er wollte für Kai stark sein.

„Na, ist es dir endlich gelungen, die läppischen Reste deines Orientierungssinnes hervorzukramen und den Weg zurück zu finden?“, kommentierte Tala die Rückkehr des Engels. Der Hohn, den Ray heute Morgen noch aus diesen Worten herausgelesen hätte, verblasste angesichts des in der Wortwahl des Anderen zum Ausdruck kommenden Wohlwollens; am Frühstückstisch hatte Tala weitaus kreativere Beleidigungen genutzt, um Leute zu beschreiben, die sein Missfallen erregt hatten.

In gespielter Kränkung verzog Ray seine Mundwinkel zu einem verächtlichen Grinsen: „Oh bitte, projiziere deine eigenen Unzulänglichkeiten nicht auf mich; dass ich so wenig Zeit wie möglich in eurer Nähe verbringe, heißt noch lange nicht, dass ich nicht weiß, wo ihr euch befindet. Ganz im Gegenteil.“ Wenn er ehrlich war, hatte er mittlerweile einen diebischen Spaß daran, sich derartige Wortgefechte zu liefen. Vor allen Dingen, wenn es ihm ein solch unglaubliches Lächeln einbrachte, wie Kai es ihm gerade über einen Karton voller Zeichensachen hinweg schenkte…

„Touché!“, anerkennend schnalzte Tala mit der Zunge, „Warum setzt du dich nicht dort drüben auf den Fußboden und fängst schon mal an, die Schubladen deines Schreibtisches einzuräumen? Ich bin mir sicher, Kai wird dir zumindest soviel Arbeit erlauben.“ Schlagartig wich das Lächeln aus dem Gesicht von Rays Schützling und für einen Moment sah es so aus, als wolle er widersprechen, doch letztendlich zuckte er nur mit den Schultern: „Meinetwegen; nachdem, wie das hier vorhin abgelaufen ist, dürfte eine veränderte Arbeitseinteilung nicht unbedingt das Schlechteste sein.“

Ray war gerade dabei, sich vorsichtig in die Hocke zu begeben, da wisperte Bryan ihm im Vorbeigehen ins Ohr: „Keine Sorge, bis heute Nachmittag haben wir ihn soweit, dass er dich alleine den Kleiderschrank aufbauen lässt. Das heißt, wenn ihr Zwei nicht gerade damit beschäftigt seid, die Sprungfedern deiner Matratze auf Quietschgeräusche hin zu überprüfen…“
 

In dem ganzen Trubel zwischen Auspacken und Zusammenbauen bekam keiner mit, wie Talas Handy dank Vibrationsalarm über die Platte von Rays Schreibtisch tänzelte; andernfalls wären sie vorgewarnt gewesen was ihnen noch bevorstand.

Rückblickend verschwammen alle Erinnerungen, die Ray bezüglich der folgenden paar Minuten hatte. Alles, was ihm von diesem Moment deutlich im Gedächtnis blieb, war, dass Mariah ihm etwas über das Anschließen der Lautsprecherboxen an seine Anlage erklärte, als plötzlich Kais Großvater im Raum stand und laut herumzuschreien anfing. Nichts von dem, was Voltaire in trommelfellpunktierender Lautstärke bellte, war besonders schmeichelhaft, doch seine letzte, an Kai gerichtete Drohung schockte Ray am meisten: „Entweder du setzt diese elende kleine Schwuchtel auf die Straße und suchst dir innerhalb einer Woche eine feste Freundin, oder ich sorge dafür, dass du dein Medizinstudium für immer vergessen kannst!“

Mit einem lauten Klatschen traf Kais Handfläche die linke Gesichtshälfte seines Großvaters. Für wenige Sekunden war es so, als hätte diese eine Aktion den gesamten Erdenkreis zum Stillstand gebracht; dann lösten sich Tala, Bryan, Ian und Spencer langsam aus der Starre, die alle Anwesenden befallen hatte, um den zeternden Voltaire zu packen und wortlos aus der Wohnung zu werfen. Dieses Mal war der alte Mann endgültig zu weit gegangen.

„Verdammt! Ich hätte wissen sollen, dass dieser Bastard sich früher oder später einen Nachschlüssel für die Wohnungstür machen lässt…“, frustriert schlug Kai mit der Faust gegen den Türrahmen, drehte sich dann zu Ray um, „Hör zu, es tut mir wirklich leid, was da eben gesagt wurde; natürlich werde ich nicht…“

„Hey, schon okay, immerhin geht es hier um deine Zukunft!“, irgendwie gelang es Ray, ein Lächeln aufzusetzen, nach dem ihm absolut nicht zu Mute war, „Am besten, ich packe das bisher aufgebaute Zeug einfach wieder ein und fahre dann bei Mariah mit.“ Es war sowieso besser so; von vorneherein hatte festgestanden, dass er Kai unter die Haube bringen sollte, und da störte ein nerviger Mitbewohner, der zu allem Überfluss auch noch in den zu Verkuppelnden verliebt war, mehr als dass er half. Ray würde Kais Berufswünsche nicht gefährden, nur um dem selbstsüchtigen Verlangen nachgeben zu können, dem Anderen noch ein klein wenig länger nahe zu sein.

Entgeistert starrte Kai ihn an: „Du hast es immer noch nicht verstanden, oder?“

„Was soll ich nicht verstanden haben?“ Nur immer lächeln und sich ja nicht auf den Schmerz konzentrieren, vielleicht tut es dann weniger weh…

Hilflos schüttelte Kai den Kopf, ehe er mit hastigen Schritten den Raum verließ. Verwirrt drehte sich Ray zu Mariah um: „Habe ich was falsches gesagt?“ Seine Vorgesetzte vergrub daraufhin das Gesicht in den Händen: „Ich sage das ja nicht gerne, aber manchmal bist du ein kompletter Vollidiot!“
 

Damit war der Tag auch so ziemlich gelaufen; kurz nach dem ganzen Fiasko verabschiedete sich die Gang um Tala herum mehr oder minder wortkarg, Mariah warf ihm solange böse Blicke zu, bis sie sich darauf einigten, dass es wohl besser für sie war zu verschwinden, und Kai blieb den gesamten Nachmittag sowie einen Großteil des Abends in seinem Zimmer verschwunden. Die einzige Ausnahme dazu war, als er sich gegen acht Uhr in die Küche schlich, um etwas zu essen. Ray seinerseits versuchte sich von der angespannten Situation abzulenken, indem er einen Block und eine Packung Bleistifte aus den Umzugskartons hervorkramte und damit anfing, wahllos Skizzen zu zeichnen. Dass bei jedem Bild letztendlich ein Portrait von Kai herauskam, verbesserte seine Stimmung nicht unbedingt…
 

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Mit Mühe und Not hatte Enrico es geschafft, Oliver wieder zu beruhigen; nun lag der Andere auf der Couch und träumte einen unruhigen Dämmerschlaf, während Enrico in die Küche geflüchtet war, um sich mit zitternden Händen eine Tasse Tee zuzubereiten. Auch wenn er zuvor versucht hatte, Zuversicht zu vermitteln, so hatte sich sein Magen doch schmerzhaft verkrampft, als er von der ganzen Bespitzelungsaktion erfuhr. Verdammt, ihre Vorgesetzten hatten es tatsächlich geschafft, Oliver dazu zu bringen, seine Seele an den Teufel zu verkaufen – zum zweiten Mal! Das widersprach einfach allen Regeln des logischen Denkens.

Enrico war enttäuscht von Oliver, aber er konnte sich nicht die moralische Überlegenheit einreden, in der selben Situation nicht genauso gehandelt zu haben; schließlich waren es nicht seine hohen ethischen Prinzipien gewesen, die ihn hierher gebracht hatten. Außerdem gab es momentan wichtigere Dinge zu klären… Sie mussten Emily vorwarnen, ihre weitere Vorgehensweise planen. Wenn sie das hinter sich hatten, konnte man immer noch darüber nachdenken, ob und wenn ja wie sich das verlorene Vertrauen erneut aufbauen ließ.

In der Zeit, die der Teebeutel zum Ziehen benötigte, meldete Enrico sich und Oliver via Telefonanruf krank. Wie gesagt, es galt eine Menge vorzubereiten, und momentan interessierte es ihn einen feuchten Dreck, welchen Eindruck er bei den höherrangigen Dämonen hinterließ.
 

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Die nächsten zwei Tage waren so ziemlich die schlimmsten in Rays bisherigen Leben. Er und Kai redeten kein Wort miteinander, vielmehr ignorierten sie sich komplett, lebten einfach nebeneinander her. Das allein wäre schon hart genug gewesen, aber nicht einmal zu wissen, weshalb man morgens an verschiedenen Enden derselben Straßenbahn einstieg, machte die Situation unerträglich. Wie sollte man sich denn für einen Fehler entschuldigen, von dem man nicht die geringste Ahnung hatte, in was er eigentlich bestand?

Es war dieses unbequeme Schweigen, das zwischen ihnen herrschte, welches Ray letztendlich davon überzeugte, seinen Plan durchzuziehen; er war kein Feigling, aber so, wie die Dinge zwischen ihm und Kai standen, war es einfach das Beste, seinem Schützling eine Freundin zu suchen und dann so schnell wie möglich aus dessen Leben zu verschwinden. Alles andere würde sie Beide zu sehr verletzen.

Der Engel wusste auch schon, wen genau er auf eine Verabredung mit Kai ansprechen würde: Emily. Sie entsprach allen Partnerkriterien Kais, teilte sein Interesse für Medizin und – was am wichtigsten war – sie war offensichtlich interessiert. Alles gute Gründe, sein ohnehin nur aus Eifersucht geborenes schlechtes Gefühl ihr gegenüber zu ignorieren und dafür Kais Glück zu sichern.
 

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Das Büro war ohne Enrico und Oliver entsetzlich verlassen und trostlos, weshalb Emily sich entschloss, in den nächsten paar Tagen lieber dem Außendienst nachzugehen. Doch selbst umgeben von dem Rauschen der Menschenmassen konnte sie an nichts anderes denken, als an ihr letztes Treffen mit Michael; immer und immer wieder spulte sie das Vorgefallene auf der Leinwand in ihrem Kopf ab, analysierte jedes Wort, jede Veränderung in Mimik und Gestik. Die Frage, was genau sie falsch gemacht hatte, ließ ihr einfach keine Ruhe. Waren es ausschließlich ihre Lügen, oder war das Problem bereits in ihrer Entscheidung anzusiedeln, überhaupt eine Beziehung mit Michael einzugehen? Immerhin hatte sie von vorneherein gewusst, dass sie ihn und damit auch sich selbst früher oder später verletzen würde. In ihrem Bestreben, ihn trotzdem an sich zu binden, war Emily egoistisch gewesen – und gerade das war es, was sie an der ganzen Sache verwirrte. Succubi hatten nicht die Tendenz, bei ihrem Handeln an sich selbst zu denken; sie waren darauf indoktriniert, einfach nur die ihnen zugeteilten Aufträge auszuführen und keine Fragen zu stellen. Was hatte sie also dazu bewogen, die erste wirklich wichtige Wahl in ihrem Leben zu treffen und sich für Michael zu entscheiden?

In diesen und ähnlichen Bahnen verlief Emilys Denken die ganze Zeit über, nahm sie so sehr in Anspruch, dass sie weder etwas von ihrer Umwelt, noch von ihrer eigentlichen Okkupation mitbekam. Statt wie eigentlich geplant Kai schöne Augen zu machen und mehr über seine sozialen Hintergründe herauszubekommen, schleppte sich die Dämonin nur noch von Vorlesung zu Vorlesung, erinnerte dabei wohl mehr an einen Zombie als an ein lebendes Wesen. Es waren gerade diese Umstände, die es so verdammt ironisch machten, als ausgerechnet Ray am Ausgang eines Hörsaals auf sie wartete.

„Hey, kann ich kurz mit dir reden?“, der Engel sah in etwa so mies aus, wie Emily sich im Augenblick fühlte. Er war blass, zu blass um genau zu sein, und seine ganze Körperhaltung wirkte unkonzentriert und verkrampft.

„Schieß los!“, nur mit Mühe konnte Emily sich dazu bringen, ihre Stimme stark und entschlossen klingen zu lassen. Sie durfte sich auf gar keinen Fall anmerken lassen, wie unangenehm die gegenwärtige Situation für sie war…

„Es geht um Kai. Aber könnten wir das vielleicht an einem Ort besprechen, der weniger… öffentlich ist?“

Ein flaues Gefühl machte sich in Emilys Magen breit. Hatte Ray etwa mittlerweile herausbekommen, um was es sich bei seiner Konkurrentin um Kais Interesse handelte und wollte sie nun auf diese Weise möglichst unauffällig entsorgen? „Sicher.“
 

Ohne dass sie selbst so genau wusste, wohin ihre Schritte sie eigentlich trugen, führte Emily Ray in den der Universität angegliederten botanischen Garten. Mit all den unterschiedlichen Pflanzen, die hier wuchsen, hatte dieser Ort schon immer eine beruhigende Wirkung auf sie ausgeübt; das war auch einer der Gründe gewesen, weshalb ihre erste Verabredung mit Michael hier stattgefunden hatte.

Selbst im Winter, wenn alle Blumen längst verblüht waren und nur noch die heimischen Nadelbäume ihr grünes Kleid trugen, strahlte der Garten noch eine ungeheure Kraft aus. Die Augen schließend, sog Emily einmal kurz die kalte Luft ein, erdete sich, ehe sie zu einer vereinsamt stehenden Parkbank schritt. Mit vor der Brust verschränkten Armen ließ sie sich darauf nieder: „Was genau willst du mit dieser Unterredung erreichen?“

„Wenn ich das nur wüsste…“, meinte Ray lakonisch, ehe er sich neben sie setzte, „Hör zu Emily, unser erstes Zusammentreffen ist nicht besonders freundschaftlich abgelaufen und sowohl du als auch ich hätten es wahrscheinlich lieber vermieden, ein zweites folgen zu lassen – aber darum geht es hier nicht. Der entscheidende Punkt ist, dass du Kai all das bieten kannst, was er braucht. Also werde ich ein guter Verlierer sein und dafür sorgen, dass ihr Beide miteinander glücklich werdet.“ Der Engel holte einen säuberlich gefalteten Zettel hervor und drückte ihn Emily in die Hand: „Hier hast du unsere Telefonnummer; falls du Kai immer noch willst, rufst du an und bestätigst eure Verabredung. Nächsten Dienstag, um elf Uhr hier im Botanischen Garten.“

Irritiert verzog Emily eine Augenbraue; sie hätte nie gedacht, dass ihr Gegenüber so… intrigant traf es nicht, der noch am ehesten passende Ausdruck war wohl manipulativ… sein konnte. Jetzt nicht, dass Emily Ray böse Absichten unterstellt hätte… Es war nur für einen durchschnittlichen Engel einfach vollkommen atypisch, Dinge hinter dem Rücken von anderen zu arrangieren. Und das war der Moment, in dem Emily begriff.

„Du bist in Kai verliebt.“ Dass eine gewisse Anziehung zwischen dem Engel und seinem Schützling bestand, war ihr schon vorher klar gewesen; dass diese so tief ging nicht. Sicher, keiner konnte die Blicke ignorieren, die sie sich zuwarfen, wenn der jeweils andere gerade nicht hinsah – aber zwischen einer harmlosen Schwärmerei und tatsächlicher Liebe bestand immer noch ein meilenweiter Unterschied. Verdammt, bevor sie Michael kennengelernt hatte, hatte sie ja noch daran geglaubt, dass so etwas wie Liebe nicht existierte und alle dahingehenden Beziehungen lediglich auf den übermächtigen Sexualtrieb des Homo Sapiens zurückzuführen seien…

„Leb wohl, Emily.“, das letzte bisschen Würde zusammenraffend, welches er noch aufzubieten hatte, stand Ray auf. Mit einem seltsamen Ziehen in der Brust sah Emily ihm hinterher, als er an kahlen Sträuchern und raureifbedeckten Rasenflächen vorbei auf den Ausgang zustrebte.
 

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Ray war dankbar dafür, dass Kai noch nicht da war, als er in die gemeinsame Wohnung zurückkehrte; das Gespräch mit Emily war anstrengend gewesen, auf mehr als nur einer Ebene, und momentan hätte der Engel einfach nicht die Kraft gehabt, das zwischen ihnen herrschende Schweigen zu ertragen. Kais Abwesenheit gab Ray die Möglichkeit, sich erst mal in der Küche Fertigramen zu machen, zu essen und sich dabei mental für das zu wappnen, was noch vor ihm lag. Noch vor zwei Woche hatte er den Tag verflucht, an dem man ihm den Fall Kai Hiwatari zugeteilt hatte; nun war es der Gedanke, sich von dem Anderen trennen zu müssen, der weh tat. Und dennoch war es unvermeidlich, ja sogar notwendig.

Kai hatte ein Recht darauf, die bestmögliche medizinische Ausbildung zu genießen. Er hatte es verdient, seine Träume in die Tat umsetzen zu dürfen, glücklich zu sein. Da konnte er es nicht gebrauchen, ständig einen liebeskranken Engel im Nacken sitzen zu haben, der ihm alle Chancen verbaute.

Ja, klar! In Wirklichkeit hatte Ray doch einfach nur Angst davor, Kai zu verlieren – also tat er etwas Paradoxes und verjagte den Anderen, weil er auf diese Weise zumindest Kontrolle über die Situation hatte! Die ganze Zeit über war es doch so gewesen, dass wann immer Kai und er einen Schritt auf einander zu machten, es Ray war, der anschließend wieder zwei Schritte zurück machte. Warum sollte es dieses Mal also anders sein?

Aber er hatte doch den Auftrag erhalten, Kai in einer glücklichen Beziehung unterzubringen!?

Indem er seinen Schutzbefohlenen an jemanden verschacherte, den der nur vom sehen kannte und das auch noch, ohne Kai vorher überhaupt mal nach seinen Gefühlen für die betreffende Person zu fragen?

Seufzend fuhr sich Ray mit der Hand durchs Haar. Na das hatte er ja mal wieder großartig hinbekommen! Schlimmer noch, er konnte seinen Fehler nicht einmal mehr ausbügeln, denn in seiner Hast davonzukommen hatte er sich Emilys Telefonnummer nicht geben lassen. Im Telefonbuch nachschlagen entfiel auch, er kannte schließlich ihren Nachnamen nicht…
 

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Es dauerte drei Tage, bis Enrico und Oliver die Nachbeben des Geständnisses einigermaßen verdaut und sich bezüglich ihrer folgenden Schritte geeinigt hatten. Alles hätte viel schneller gehen können, wären da nicht die immer wieder zwischen ihnen auftretenden Irritationen gewesen; so bestanden ihre Konversationen größtenteils aus Herumstottereien und dem vorsichtigen Herantasten an Themen, die eigentlich vollkommen unproblematisch hätten sein sollen. Manchmal wurden Gespräche mitten im Wort abgebrochen, um stattdessen minutenlang betroffen ins Leere zu starren. Es war ein langsam voranschreitender, mühevoller Prozess, auch nur den einfachsten Smalltalk zu bestreiten, wie sollte man da bitte überhaupt zu den wesentlichen Entscheidungen kommen?

Und doch gelang es ihnen schließlich, sich auf einen gemeinsamen Plan zu einigen. Zunächst einmal galt es, ihre eigene Position gegenüber allen beteiligten Parteien abzuwiegen: Emily war ihre Freundin, aber genauso sehr waren sie Ray Hilfe schuldig, weil er ihnen seinerseits unter die Arme gegriffen hatte. Was ihre Arbeitgeber anging… Es war nicht zu erwarten, dass einer von denen auch nur einen Finger krumm machen würde, wenn seine Angestellten in der Klemme steckten, also warum sollten Enrico und Oliver sich umgekehrt verpflichtet fühlen? Ihre Entscheidung war also darauf gefallen, Emily alles zu erzählen und sie dann dazu zu bringen, einen Deal mit Ray abzuschließen; Beziehungsproblem + Liebesengel = Lösung, so zumindest der theoretische Ansatz. Es war nicht so, als wären alle von Olivers Zweifeln und Ängsten danach schlagartig verstummt, im Gegenteil: Die Stimme in seinem Kopf, die ihm mitteilte, das alles hier sei kompletter Wahnsinn und er solle doch bitte stattdessen die dreißig Silberlinge nehmen, ertönte so laut wie nie. Aber verdammt, es ging hier um seine einzige Chance, die Leute die ihm etwas bedeuteten halbwegs sicher über die Runden zu bringen!

Mit einem mulmigen Gefühl im Magen sah er zu der Theke mit der Kaffeemaschine hinüber, an der Enrico seit einer halben Stunde angelehnt stand und sich in einer immer noch leeren Tasse verkrallt hatte. Für einen Moment sah es aus, als wolle der Andere etwas sagen, doch dann kräuselten sich seine Lippen einfach nur zu einem Lächeln und er hob den Daumen. Es war nur eine kleine, unbedeutende Geste, aber in diesem Augenblick fühlte sie sich für Oliver nach Erlösung an.

Die Bürotür flog mit einem lauten Knall auf und herein kam Emily. Ihre Freundin sah nicht gut aus; die Haare waren glanzlos, die Augen rot und verheult, die Kleidung wirkte, als hätte sie einfach blind das Nächstbeste aus dem Kleiderschrank gezogen. Momentan wäre wahrlich niemand auf die Idee gekommen, es könnte sich bei diesem Häufchen Elend um einen verführerischen Succubus handeln.

„Hey…“, kraftlos ließ sich Emily auf den nächstbesten Stuhl fallen. Enrico und Oliver warfen sich alarmierte Blicke zu; als sie sich ihren Plan zurechtgelegt hatten, waren sie nicht unbedingt von solchen Umständen ausgegangen. Die Nachricht, welche es zu überbringen galt, war auch als solche schon deprimierend genug – da musste man nicht auch noch auf jemanden eintreten, der bereits am Boden lag. Nervös leckte Enrico sich über die Lippen: „Du siehst schrecklich aus! Ich meine… Alles okay?“

„Kommt darauf an, was du unter „okay“ verstehst…“, Emily kratzte sich im Nacken, „Michael hat mich mit Kai gesehen.“

„Oh… Das… Das ist ja schrecklich…“

Müde winkte die Dämonin ab: „Seid mir nicht böse, aber ich möchte einfach nicht mehr darüber reden; das Ganze verwirrt und deprimiert mich schon viel zu sehr, da möchte ich nicht auch noch euch mit hineinziehen. Außerdem habt ihr mich doch eigentlich hierher berufen, um über etwas anderes zu reden, oder?“

Verlegen räusperte sich Oliver: „Tja, das wäre dann wohl mein Stichwort… Es gibt da etwas, was ich dir sagen muss…“ Obwohl er es schon einmal getan hatte, war es hart, die Worte auszusprechen. Zuerst nur stockend, dann immer schneller und schneller perlten sie ihm über die Lippen, eben so, wie die Scham über die eigene Tat mehr und mehr von dem Bedürfnis verdrängt wurde, alles möglichst schnell hinter sich zu bringen.

Mit steinernem Gesicht hörte Emily seiner Selbstanklage zu. Egal was oder wie viel er sagte, um die unangenehme Stille zu füllen, sie saß einfach nur da und sah ihn mit unlesbarer Miene an. Erst, als Oliver geendet hatte, schien sie langsam wieder zum Leben zu erwachen: „Wow… Um ehrlich zu sein habe ich gerade nicht die geringste Ahnung, was ich denken oder sagen soll. Intellektuell betrachtet ist mir durchaus klar, dass du keine andere Wahl hattest als anzunehmen und dass wenn du es nicht getan hättest, Robert und Johnny jemand anderen für ihre Drecksarbeit gefunden hätten, aber…“

„Glaub mir, ich kann vollauf verstehen, wenn du nach der ganzen Sache nichts mehr mit mir zu tun haben willst, aber momentan sollten wir uns auf das größte Problem beschränken: Die Chefetage will dich und Michael auseinanderbringen!“, Oliver machte einige angespannte Gesten, „Und da haben Enrico und ich uns gedacht…“ „Wir haben uns gedacht, du und Ray könntet euch zusammentun.“, ergänzte Enrico den Satz.

Bitter lachte Emily auf: „Wie stellt ihr euch das denn vor? Soll ich etwa zu dem Engel gehen und sagen ‚Ich bin zwar ein böser, seelenstehlender Dämon und so weiter, aber ich bräuchte mal deinen Rat in Beziehungsfragen!’? Der zeigt mir doch den Vogel! Und selbst wenn er das nicht macht, weil er sich gut in meine derzeitige Situation hineinfühlen kann und zufällig auch noch ein wirklich netter Kerl ist, bleibt da immer noch der Fakt, dass sich der Himmel einen feuchten Kehricht um Versager wie uns schert! Für die sind wir doch nur ein Haufen Abschaum. Mal ganz abgesehen davon, dass ich momentan einen enormen Zweifel hege, ob Michael je wieder auch nur ein Wort mit mir wechselt…“

Pikiert starrte Oliver sie an: „Und was willst du dann bitte stattdessen machen?“

„Ganz einfach: Ich werde diesen dreimal verfluchten Auftrag so schnell wie irgend möglich hinter mich bringen und unseren Vorgesetzten somit gar keine Zeit geben, meine ohnehin schon angeschlagene Beziehung noch weiter zu ruinieren.“, eilig zog Emily einen Zettel aus ihrer Manteltasche, der aussah, als sei er schon unzählige Male auseinander- und wieder zusammengefaltet worden, „Wenn die Gentlemen mich nun bitte entschuldigen würden: Ich habe noch ein dringendes Telefonat zu führen.“
 

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Grummelnd vergrub Ray den Kopf unter seinem Kissen, versuchte das viel zu schrille Klingeln des Weckers auszublenden. Er wollte jetzt nicht aufstehen! Sein Bett war ein viel wärmerer und freundlicherer Ort, als die große, böse Welt da draußen je sein konnte… Doch schließlich ließ sich die Notwendigkeit unter der Decke hervorzukommen und einem geregelten Tagesablauf nachzugehen nicht mehr ignorieren, weshalb Ray sich wohl oder übel doch aus seiner Schlafstätte herausschälen musste. Sich gleichzeitig verschlafen am Bauch kratzend, schaffte er es irgendwie, mit der linken Hand unkoordiniert die Ausschalttaste des Weckers zu treffen, um dann anschließend mit noch halb geschlossenen Augen dem Badezimmer und damit der morgendlichen Dusche entgegenzuschlurfen. Dabei nuschelte er noch ein leises Dankeschön dafür gen Himmel, dass der Weg von seinem Zimmer aus zum Bad eine gerade Strecke ohne Hindernisse war, somit keine Gefahr drohte, in seinem derzeitigen Zustand gegen irgendwelche Ecken oder Möbel zu knallen.

Nachdem das auf ihn einströmende warme Wasser der Dusche seine Denkfähigkeit zumindest partiell wiederbelebt hatte, hastete Ray so schnell wie möglich in seine eigenen vier Wände zurück, um die Kleidung anzuziehen, die er zuvor in seiner Trandösigkeit vergessen hatte. Wenigstens sah so der Plan aus, als Kai ihn bei der Durchquerung des Wohnzimmers abfing; da stand Ray also nun peinlich–berührt, tropfte den Parkettboden voll und war doch ziemlich dankbar dafür, die Geistesgegenwart besessen zu haben, sich ein Handtuch um die Hüften zu binden. Der Hitze in seinem Gesicht nach zu urteilen lief er knallrot an, während er ein piepsiges „Guten Morgen“ hervorstammelte.

Interessiert musterte Kai seinen Mitbewohner, als sei dieser eine besonders seltene Spezies, von der man bisher nur in obskuren wissenschaftlichen Abhandlungen gelesen hatte: „Du hast keine Kleider an.“

„Ähm… ja.“

Eine verlegene Stille trat ein. Dann meinten beide gleichzeitig: „Ich muss dir etwas sagen!“ Unsicher lächelte Ray, kämmte sich mit den Fingern einige Knoten aus dem noch nassen Haar: „Fang du ruhig an.“ Er wusste, dass er Kai früher oder später über die Sache mit Emily aufklären musste, aber so hatte er zumindest ein paar Sekunden mehr Zeit, sich geeignete Formulierungen zurechtzulegen.

„Ich war gestern Nachmittag noch mal am Grab meiner Eltern und habe da das Gesteck gesehen; da mein Großvater nie auf die Idee kommen würde, so etwas feinfühliges zu machen, gehe ich einfach mal davon aus, dass du es am Dienstag dorthin gestellt hast. Ich… Ich wollte dir für deine Anteilnahme danken.“, Kai holte hörbar einmal tief Luft, „Außerdem wollte ich dir einen Waffenstillstand anbieten. Ich hätte am Mittwoch nicht einfach so aus dem Zimmer rennen sollen, aber deine Reaktion war wie ein Schlag ins Gesicht für mich.“

Verlegen sah Ray zur Seite: „Kann ich gut nachvollziehen, immerhin habe ich mich ja auch aufgeführt wie der letzte Trottel… Du versuchst auf deine Art ständig, mir entgegenzukommen und ich blocke meinerseits stets nur ab. Zumal es da noch etwas gibt, von dem du bisher nichts weißt…“

Mit einem Klicken sprang der Anrufbeantworter an und dann ertönte auch schon eine Frauenstimme: „Hi Ray, hier spricht Emily. Ich wollte nur Bescheid sagen, dass ich die Verabredung mit Kai liebend gerne annehme und mich schon wahnsinnig darauf freue. Dann also bis nächsten Dienstag! Ich werde pünktlich um Elf am Tor des Botanischen Gartens stehen.“

Für einen Augenblick entglitten Kai sämtliche Gesichtszüge. Dann verengte er die Augen misstrauisch zu kleinen Schlitzen: „Sag, dass das nicht wahr ist! Du kannst doch nicht wirklich auf die beschissene Idee gekommen sein, mich mit Emily zusammenbringen zu wollen!“ Betreten starrte Ray zu Boden. „Verdammt noch mal, ich hab dir doch gesagt, dass ich so was nicht will! So eine Aktion hätte ich meinem Großvater zugetraut, aber nicht dir… Zieh deine Klamotten an und verschwinde dann so schnell wie möglich aus dieser Wohnung!“

Kais Worte brachten Rays Herz zum Schmerzen. Am liebsten hätte er seinem Schützling jetzt gesagt, wie leid ihm die ganze Sache tat, dass sein gesamtes Handeln nur darauf ausgerichtet gewesen war, Kai zu helfen, doch das hätte auch nichts an der Situation geändert. Er hatte Kais Standpunkt gekannt und war dennoch über alles hinweggegangen, was dieser sich wünschte. Wie ein Panzer hatte Ray alles plattgemacht, woran Kai glaubte. Das konnte man mit einem einfachen „Sorry“ nicht wieder gut machen – letztendlich blieb für Ray nur, die Konsequenzen seiner Entscheidungen zu tragen und zu gehen.
 

Unschlüssig stellte Ray seinen Koffer auf dem Treppenabsatz ab, setzte sich daneben. Und wohin jetzt? Noch vor wenigen Momenten war der Engel sich so sicher gewesen, zu verschwinden sei die einzig richtige Handlungsweise, dass er sich keinerlei Gedanken darüber gemacht hatte, wohin er eigentlich verschwinden sollte. Er hatte keine Ahnung, wo oder ob Lee in dieser Stadt eine Wohnung besaß, und das Restaurant machte erst gegen halb elf auf. In den Himmel konnte er auch nicht einfach so zurückkehren, nicht nach den ganzen bösen Blicken, die ihm Mariah (zugegebenermaßen zurecht) zugeworfen hatte; da würden dieses Mal sonst nur Schläge folgen. Verdammt, momentan würde er sich ja am liebsten selbst mal ordentlich die Fresse polieren!

„Hey, warum sitzt du denn um diese Uhrzeit bei uns im Treppenhaus herum? Und wofür brauchst du den Koffer?“, erklang Max’ Stimme neben ihm. Als Ray aufsah, blickte er dem Blonden geradewegs ins besorgt wirkende, leicht verschwitzte Gesicht. Na toll, was sollte er denn jetzt bitteschön sagen? Immerhin handelte es sich hier in erster Linie um einen von Kais Freunden!

Scheinbar konnte man Rays Gedanken ungefähr von seinem Gesicht ablesen, denn sofort meinte Max: „Keine Sorge, ich werde dir schon nicht den Kopf abreißen! Warum kommst du nicht erst mal mit hoch in die Wohnung von Tyson und mir? Ich dusche noch schnell und dann können wir uns in aller Ruhe beim Frühstück darüber unterhalten, was zwischen dir und Kai vorgefallen ist…“
 

Die Wohnung war gemütlich eingerichtet: Helle, freundliche Farben, viel Holz, bei den Möbeln ein Mix aus alten und neuen Stücken. Das Wohnzimmer war mit gut einem halben Dutzend Regalen vollgestopft, die vor Büchern, CDs und DVDs geradezu überquollen. Trotzdem beschränkte sich die Unordnung auf ein erträgliches Maß, machte lediglich deutlich, dass hier tatsächlich gewohnt wurde. Das war jedenfalls der erste Eindruck, der sich für Ray ergab, als Max ihn in die Küche führte und sitzen zu bleiben hieß: „Bin gleich wieder da. Wenn du was trinken willst: Saft und Wasser stehen im Kühlschrank, Kaffeepulver und Filter sind oben im zweiten Regal von rechts. Tassen und Gläser findest du eins weiter.“ Abwesend nickte Ray.

Verschlafen kam Tyson in die Küche getapst, hauchte Max zwischen Tür und Angel einen Kuss auf die Wange und ließ sich dann erst mal auf einen Stuhl fallen. Gleich darauf ließ er seinen Kopf auf die Platte des Küchentisches sinken; es dauerte einen Moment, ehe ihm aufging, dass etwas anders war als sonst. Langsam wanderte sein Gesicht wieder so weit nach oben, dass er Ray einen Blick aus blutunterlaufenen Augen zuwerfen konnte: „’Allo…“

„Hi.“, Ray kam sich gerade ziemlich deplaziert vor. Nichts gegen Tyson, aber irgendwie war es schon verdammt seltsam, jemanden, den man kaum kannte, nur in einem Pyjama vor sich sitzen zu haben… Zumal das andauernde Schweigen zwischen ihnen nicht unbedingt dazu beitrug, die Situation irgendwie angenehmer zu machen.

Es dauerte einige Minuten, bis Tyson wach genug war, um sich an die mysteriöse Funktionsweise der Kaffeemaschine heranzutrauen – und offenbar auch an die seiner Stimmbänder: „Weißt du, ich hab wirklich nicht die geringste Ahnung, wie Max es Tag für Tag fertig bringt, in aller Herrgottsfrühe aufzustehen und joggen zu gehen.“ „Das liegt vielleicht daran, dass dein liebster Sport darin besteht, auf der Couch zu sitzen und anderen beim Fußballspielen zuzuschauen.“, sich an den Türrahmen lehnend, rubbelte Max sich grinsend mit dem Handtuch durch die noch feuchten Haare. In gespielter Empörung blies Tyson die Backen auf: „Das ist übelste Verleumdung! Du willst mir doch nicht etwa wirklich unterstellen, dass ich freiwillig Fußball schauen würde!“ „Okay, dann eben Tischtennis…“

Verwirrt sah Ray dabei zu, wie seine Gastgeber einander mit Grinsen bedachten, die ‚Warte nur ab, bis wir nachher allein im Schlafzimmer sind!’ zu sagen schienen; für ihn ergab sich mehr und mehr der Eindruck, an einem Ort gelandet zu sein, an dem er definitiv nicht sein wollte. Da nützte es auch nichts, dass man wenigstens den Anstand besaß, ihm eine Tasse Kaffee auszuschenken und einen Lebkuchen dazuzulegen.

„Ray frühstückt heute übrigens mit uns, weil er und Kai Streit hatten.“, Max sagte es ganz beiläufig, während er sich einen Würfel Zucker in die Tasse warf. Verdammt, verdammt, verdammt! Gleich würden sie anfangen, Ray zu zerfleischen wie die Löwen ihre Beute… Und dabei hatte Ray bisher nicht einmal öffentlich zugegeben, dass dem so war!

„Wirklich? Na ja, ich kann nicht sagen, ich sei über diese Nachricht überrascht; ist so eine Eigenart von Kai, sich früher oder später mit jedem in die Haare zu kriegen.“, ein deprimiertes Gesicht aufsetzend, zuckte Tyson mit den Schultern, „Nicht, dass er tatsächlich auf Krawall aus ist – er kriegt einfach tierisch schnell Dinge in den falschen Hals. Was hast du denn getan, um ihn so auf die Palme zu bringen, Ray?“

Um ehrlich zu sein, wusste Ray selbst nicht so genau, warum er überhaupt auf die Frage einging, doch zu seiner eigenen Verwunderung hörte er sich antworten: „Es gab da dieses Mal nicht besonders viel, was Kai in den falschen Hals kriegen konnte; ich war so dumm und habe versucht, ein Date mit einer Mitstudentin für ihn zu organisieren.“

Gepeinigt kniff Max die Augen zusammen: „Autsch! In Anbetracht dessen, was Kai in dir sieht, kommt das wirklich einer kalten Dusche gleich; kein Wunder, wenn er wütend reagiert hat. Aber warum hast du eigentlich etwas derart unüberlegtes getan?“ ‚Was Kai in ihm sah’ – was sollte denn das jetzt bitte bedeuten?

„Ich… Na ja, also… ich wollte… Sein Großvater hat gemeint, er würde Kais weiteres Medizinstudium verhindern, wenn ich nicht ausziehe und Kai nicht innerhalb von sieben Tagen eine Freundin hat, und da wollte ich… Ich meine, ich will Kai ja schließlich nicht seine ganze Zukunft verbauen, und daher…“, gegen seinen Willen lief Ray rot an. Selbst ihm war klar, dass er sich gerade wie der letzte Volltrottel anhörte – eine Einschätzung, die noch bestätigt wurde, als Tyson in hysterisches Kichern ausbrach.

„Hör auf zu lachen, das ist nicht komisch!“, Max verpasste seinem Partner einen leichten Klaps auf den Arm, was diesen nur dazu animierte, noch heftiger vor sich hin zu keckern. „Ignorier ihn einfach Ray, manchmal hat er einfach seine kindischen Phasen.“ Kurz hielt Tyson in seinem Ausbruch inne: „Aber… Du musst dir das mal überlegen: Die Zwei haben Streit, weil sie einander zu gern haben!“ Ein neuerlicher Lachanfall begann seinen Körper zu schütteln.

Max entschloss sich daraufhin, Tysons Albernheiten einfach zu übergehen und wandte sich stattdessen wieder Ray zu: „Ich mach dir einen Vorschlag: Du gibst Kai dieses Wochenende über Zeit, sich wieder zu beruhigen, und wir versuchen dann am Montag ein Versöhnungsgespräch zu organisieren; solange kannst du auch vorerst bei uns im Gästezimmer übernachten. Abgemacht?“

Logisch betrachtet hätte Ray jetzt wahrscheinlich ablehnen und stattdessen versuchen sollen, Kais Leben von irgendwo außerhalb in Ordnung zu bringen; dummerweise war er nicht Amor geworden, weil er nach Logik ging. So schlug er ohne zu zögern in die Hand ein, die Max ihm entgegenstreckte: „Sieht so aus, als hätten wir einen Deal…“
 

Später am Tag ließ Max Tyson und Ray allein in der Wohnung zurück, um seinem Nebenjob – wenn Ray es richtig verstanden hatte, arbeitete Max neben dem Studium als Verkäufer in einem Plattenladen in der Altstadt – nachzugehen. Was Ray und Tyson wieder mit der Frage zurückließ, was zum Teufel sie eigentlich mit der Zeit anfangen sollten. „Äh, tja… Soll ich dir vielleicht dein Quartier zeigen?“, befangen kratzte Tyson sich am Hals. Ray brachte ein schiefes Lächeln zustande: „Das wäre nett.“

Als sie dann im Gästezimmer waren, verschwand Tyson sofort wieder, um frische Bettwäsche zu holen. Das gab Ray genug Zeit, um sich in aller Ruhe im Raum umzusehen: Wie der Rest der Wohnung machte auch dieses Zimmer einen positiven Eindruck. Die Wände waren in einem hellen Sonnengelb gestrichen, das wahrscheinlich jede Winterdepression dazu brachte, schreiend davonzurennen. Nicht unbedingt die Farbe, die Ray ausgewählt hätte, aber alles in allem doch angenehm… Und selbst wenn dem nicht so gewesen wäre, hätte der Engel noch immer ein herrlich bequem aussehendes Bett gehabt, das ihn über diesen Umstand hätte hinwegtrösten können.

Auf einer Kommode stand ein großer, quadratischer Glasbehälter, der Rays Aufmerksamkeit auf sich lenkte; wäre da nicht ein unleugbarer Mangel an Wasser und bunten Fischen gewesen, er hätte auf ein Aquarium getippt. Doch in dem von einer Wärmelampe beschienenen Behälter befanden sich nur Sand, einige wild wuchernde, tropisch aussehende Pflanzen, ein Wassernapf und ein ziemlich deformierter Stein. Für was das wohl gut sein sollte? Vorsichtig stupste Ray das vermeintliche Stück Fels an. Als dieses plötzlich sechs zusätzliche Auswüchse entwickelte und ernste schwarze Augen aus einem verrunzelten Gesicht heraus Rays Finger anklagend musterten, fühlte sich der Engel doch sehr verwirrt.

„Ah, du hast Draciel entdeckt!“, neben dem Bettzeug hatte Tyson noch einen Teller voller Salatblätter in der Hand, als er den Raum wieder betrat, „Das hier war übrigens Max Zimmer, bevor wir angefangen haben, miteinander… Na ja, du weißt schon.“

Unwillkürlich musste Ray grinsen; irgendwie niedlich, wie Tyson da gerade knallrot anlief… „Hm, sag mal, wie haben du und Max euch eigentlich kennengelernt?“ Kai hat erwähnt, dass Max extra aus Amerika hierher gezogen ist und da habe ich mich gefragt…“

„Schon klar!“, zwinkernd stellte Tyson den Teller ins Terrarium, machte dann einen demütigen Knicks vor der Schildkröte, „Ihr Essen ist angerichtet, Mylady!“ Draciel warf ihm daraufhin einen Blick zu, der ‚Jetzt bist du endgültig vollkommen durchgeknallt!’ zu sagen schien. Prustend ließ sich Tyson nach hinten und damit aufs Bett fallen: „Eigentlich ist die Sache nicht besonders kompliziert: Mein großer Bruder ist Chemielaborant in derselben Firma, in der Max’ Mutter die Leiterin der Forschungsabteilung ist; irgend so ein millionenschwerer amerikanischer Konzern, dessen Name viel zu kompliziert ist, als dass ich ihn mir merken könnte. Wie auch immer, vorletztes Jahr hat mein Bruder mich eingeladen, Weihnachten mit ihn in den Staaten zu feiern. Weil er mich nicht vom Flughafen abholen konnte, hab ich mir ein Taxi geschnappt und bin zu ihm ins Firmengebäude gekommen; tja, und dort auf der Weihnachtsfeier bin ich dann zum ersten Mal Max begegnet.“

„Ah, also Liebe auf den ersten Blick, was?“

„Na ja, soweit würde ich nicht gehen; du musst dir vor Augen halten, dass da ein riesiges Büffet aufgebaut war, das sofort meine volle Konzentration in Anspruch nahm.“, Rays Gesichtsausdruck auf diese Äußerung brachte Tyson erneut zum Kichern, „Aber wir haben uns gut genug verstanden, um Emailadressen auszutauschen und dann so wahnsinnig zu sein, einander auch tatsächlich zu schreiben. Ein halbes Jahr später saß Max im Flugzeug…“

Ein warmes Gefühl machte sich in Rays Magen breit. Die ganze Geschichte, die Tyson ihm da erzählt hatte, klang so banal, so alltäglich… so unglaublich perfekt auf eine vollkommen schwachsinnige Art und Weise. Zum ersten Mal seitdem sie sich begegnet waren hatte der Engel das Gefühl, dass er und sein Gegenüber unter Umständen doch nicht so grundverschieden waren; es war dieser Eindruck, der es zwischen ihnen ‚Klick’ machen ließ, das bisherige unbeholfene Dulden des Anderen in tatsächliches Verständnis umwandelte.
 

Im Verlauf des Wochenendes schafften seine Gastgeber es noch einige Male, Ray zu erstaunen. So stellte sich nach dem samstägigen Abendessen (einem hervorragend schmeckenden Hähnchen Masala) heraus, dass Tyson es gekocht hatte – eine Fähigkeit, ‚die sich von selbst ergab, wenn man allein mit seinem Großvater unter einem Dach lebte’ – und Max entpuppte sich nicht nur als Fan von romantischen Komödien, sondern auch als glühender Verehrer von Quentin Tarantino. Was sich bei genauerer Betrachtung als verdammt unheimlich erwies, denn der Amerikaner stellte mehrfach unter Beweis, dass er jeden Satz von Pulp Fiction auswendig konnte – und das in Englisch, Japanisch, Deutsch und… äh, Kantonesisch. Wie auch immer, zumindest konnte man nicht behaupten, die Zeit mit den Beiden sei irgendwie langweilig gewesen… Und selbst in diesem Falle wäre die gemeinsame Zeit Ray immer noch lieber gewesen als das, was ihm heute bevorstand. Sicher, die Aussicht, sich vielleicht wieder mit Kai zu vertragen, erfüllte Ray mit Hoffnung, aber zutreffend war nun einmal auch, dass er im gleichen Maße Schrecken empfand. Was, wenn Kai erst gar nicht bereit war, sich seine Gründe anzuhören? Was, wenn er es tat und trotzdem der Ansicht war, Rays Verhalten sei ganz und gar intolerabel? Es war schon beim ersten Mal schwer genug gewesen zu gehen, wie sollte Ray da die Kraft aufbringen, all seine Hoffnungen ein zweites Mal zu Grabe zu tragen?

All das und mehr versuchte der Engel Max und Tyson begreiflich zu machen, doch die Beiden lächelten nur und klopften ihm beruhigend auf die Schultern, ehe sie hinunter in Kais Wohnung gingen, um eine Verabredung mit ihm auszumachen - wohlgemerkt ohne zu erwähnen, dass ein gewisser Mitbewohner von Kai mit von der Partie sein würde.
 

So kam es, dass Ray sich noch am selben Abend in einer gut bevölkerten, rauchverhangenen Bar wiederfand und nervös ein Glas nach dem anderen von etwas hinunterkippte, das sich „Long Island Iced Tea“ nannte, aber seltsamerweise gar nicht nach Eistee schmeckte. Bislang war Kai noch nicht aufgetaucht, und wahrscheinlich war das sogar besser so, denn allein wenn Ray an den Anderen dachte, fing sein Kopf an, sich zu drehen. Wie eigentlich auch sonst bei allem was er tat, wie ihm jetzt gerade mal so auffiel… Max warf ihm einen besorgten Blick zu: „Sag mal, ist alles in Ordnung bei dir?“

Ehe Ray auch nur die Chance hatte zu antworten, bahnte Tyson sich mit Kai im Schlepptau einen Weg an ihren Tisch: „He, schaut mal, wen ich auf meinem Spaziergang draußen aufgegabelt habe!“ Kaum hatte Kai Ray entdeckt, verspannte sich der Blauhaarige sichtbar: „Was will der denn hier?“ „Setz dich erst mal, ehe du uns eine Szene machst!“, Max machte eine beschwichtigende Geste, „Dieser junge Mann zu meiner Rechten hat dir etwas zu erklären, das zwar ganz und gar unlogisch ist, deinem eigenen Wahnsinn aber so sehr ähnelt, dass du vermutlich in der Lage sein dürftest, es nachzuvollziehen.“ Misstrauisch verzog Kai eine Augenbraue, hatte aber zumindest die Güte, sich auf den Stuhl gegenüber Ray niederzulassen. Gleichzeitig gab er einer Kellnerin zu verstehen, dass sie ihm doch bitte einen doppelten Wodka bringen sollte.

Für eine Weile saßen sie einfach nur so da und redeten kein Wort, nippten nur ab und zu an ihren Getränken. Anfangs versuchten Max und Tyson noch die Stimmung aufzulockern, indem sie mehr oder minder alberne Witze rissen, doch nachdem Kai sein Glas ein drittes Mal hatte auffüllen lassen, hörten auch sie damit auf. Stattdessen stieß Max Ray auffordernd seinen Ellenbogen in die Seite. Verwirrt sah der seinen Sitznachbarn an; was wollten die denn jetzt von ihm?

Kai räusperte sich: „Ich warte immer noch darauf, von dir mitgeteilt zu bekommen, weshalb du mich mit Emily zusammenbringen wolltest.“

Oh, richtig! Da war ja noch was gewesen… „Dein Opa war doch scho schauer, weil du mit mir suschammen wohnst, scho schauer, dasser dir deine gansche Sukunft verschauen wollte, scho schauer war er. Und… Und… Und da hab’ch halt gedacht, wenn’ch dir die Emily alsch Freundin beschorge, dann’st dein Opa sufrieden und lässt dich in Ruhe und dann bischt du sufrieden und dasch macht dann misch sufrieden.“

Interessiert runzelte Kai die Stirn: „Ah ja… Und wie bist du auf diese geniale Idee gekommen?“

Ray schenkte ihm ein strahlendes Lächeln: „Weil’ch disch liebe! Und jetscht… Jetscht muss’ch aufsch Klo!“ Ehe einer der Anderen etwas sagen konnte, war er schon aufgestanden und in Richtung des Schildes mit der Aufschrift „Zu den Toiletten“ getorkelt.
 

Als Ray die Toilettenkabine wieder verließ, konnte er seine Blase Lobeshymnen singen hören. Als er dann am Waschbecken stand, sich die Hände wusch und ein wenig kaltes Wasser ins Gesicht spritzte, blieb vom vorangegangenen Enthusiasmus nicht mehr viel übrig. Stattdessen meldeten sich die paar Gehirnzellen, die nicht im Laufe des Abends baden gegangen waren, zu Wort und spielten ihm das vorangegangene Gespräch noch mal in Großaufnahme ab. Oh! Mein! Gott!

Im Spiegel sah Ray, wie hinter ihm die Tür aufging und plötzlich Kai mit jenem unlesbaren Gesichtsausdruck im Raum stand, den er bis zur Perfektion beherrschte. Hastig drehte sich Ray zu den Neuankömmling um: „Hör zu…“ Doch noch bevor er den Satz beenden konnte, hatte Kai ihm bereits an den Schultern gepackt, gegen die kalten Kacheln der nächsten Wand gepresst und küsste ihn mit einer Ausgehungertheit, die an Aggressivität grenzte. Als sich dann auch noch ein vorwitziges Knie zwischen seine Beine schob und Reibung an einer ganz bestimmten Stelle seiner Anatomie erzeugte, setzte das rationale Denken bei Ray endgültig aus.
 

Im Nachhinein hatte Ray keine Ahnung mehr, wie Kai und er nach Hause gekommen waren; alles, was in diesem Moment zählte, war Kais Atem auf seiner Haut, der ihm Schauer über den Körper jagte, Kais Berührungen, die ihm flüssiges Feuer durch die Adern schießen ließen, Kais Lippen, die ihn um den Verstand brachten.

Als Ray am nächsten Morgen aufwachte, war der Platz neben ihm im Bett leer und die Matratze bereits kalt. Einzig das plattgedrückte Kissen bewies, dass Kai überhaupt da gewesen war. Auf dem Nachttisch lag ein Zettel mit der Aufschrift „Bin bei Emily“.

Entgeistert starrte Ray das Blatt Papier an. Im ersten Moment wusste er nicht so recht, was er denken oder fühlen sollte; der Eisklumpen, der sich langsam durch seine Eingeweide fraß, ließ in seinem Inneren nur Platz für einen Zustand der Betäubung. Hatte Kai ihre gemeinsame Nacht denn wirklich so wenig bedeutet, dass er jetzt einfach auf und davon war? Sicher, bei ihnen beiden war mehr als genug Alkohol im Spiel gewesen, als dass ihre Entscheidungen noch komplett rational abgelaufen wären, aber trotzdem… Immerhin war Kai derjenige gewesen, der ihren ersten Kuss initiiert hatte. Und selbst Gesetz dem Fall, Kai erwiderte Rays Gefühle nicht und sah das, was zwischen ihnen passiert war, nur als belanglosen Fehler: War es wirklich so unbegründet zu erwarten, der Andere solle wenigstens anständig genug sein, um Ray genau das ins Gesicht zu sagen? Natürlich wäre das höllisch schmerzhaft, aber dann wüsste Ray zumindest, woran er war und könnte mit dem Thema abschließen. Doch nein, stattdessen wurde eine Verabredung mit Emily als Ausflucht genommen, zudem eine, die ironischerweise ausgerechnet von Ray arrangiert worden war.

Gequält schloss der Engel die Augen. Tja, damit hätte er zumindest seinen Kontrakt erfüllt und Kai zu einer Beziehung verholfen; denn welches Ergebnis das heutige Treffen mit Emily haben würde, stand wohl außer Frage…

Hastig stand Ray auf, ignorierte die Übelkeit, welche diese Aktion beim ihm auslöste. Er wollte momentan einfach nur so schnell wie möglich seine auf dem Boden verstreuten Sachen aufklauben, sich anziehen und dann für immer aus dieser Wohnung verschwinden. Unter den gegenwärtigen Umständen hielt er es keine Sekunde länger hier aus und offenbar war das nun ja auch nicht mehr nötig…
 

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„So, dich haben sie also auch zu sich bestellt.“, wie ein nasser Sack ließ sich Oliver neben Enrico auf die Bank plumpsen. „Allerdings.“, Enrico sah seinen Partner aus erschöpften Augen an, „Die haben dir nicht zufällig gesagt, warum sie uns eigentlich sprechen wollen?“ Bedauernd schüttelte Oliver den Kopf. Enrico seufzte: „Hab ich auch eigentlich gar nicht erwartet.“

Eine Weile starrten sie einfach in schweigendem Unisono das Tor zu Roberts Büro an. Dann hielt Enrico es einfach nicht mehr länger aus: „Die Sache mit Emily ist…“

„Beschissen gelaufen, ich weiß. Tut mir leid.“, resigniert lehnte Oliver seinen Hinterkopf an die feuchte Steinwand hinter ihnen.

Irritiert runzelte Enrico die Stirn: „Was kannst du bitte dafür, wenn Emily unseren Vorschlag ablehnt? Sicher, wir hätten damit rechnen und einen Plan B haben sollen, aber zu diesem Zeitpunkt war unsere Idee nun mal das beste, was uns zur Verfügung stand.“

Oliver mied seinen Blick: „Hätte ich euer Vertrauen nicht missbraucht, wäre sie vielleicht auf den Vorschlag eingegangen.“ Die Art, wie er es sagte, brachte Enricos Herz dazu, sich unwillkürlich zu verkrampfen. In diesem einen Satz steckte eine solche Niedergeschlagenheit, ein solcher Selbsthass, dass es nicht auszuhalten war…

„Wage es ja nicht, ausgerechnet jetzt in Selbstmitleid zu versinken!“, energisch packte Enrico seinen Gegenüber am Arm und drehte ihn zu sich um, „Ja, du hast Mist gebaut und ja, wir stecken gerade in einer verdammt beschissenen Situation, aber Selbstvorwürfe ersetzen nun mal nicht aktives Handeln. Also lass uns aufhören zu jammern und stattdessen lieber überlegen, wie wir die gegenwärtige Lage zumindest minimal verbessern können!“ Seine Aufforderung galt ebenso sehr Oliver wie sich selbst; bevor sein Partner aufgetaucht war, hatte Enrico erstarrt herumgesessen und sich von der Angst die Luft zum Atmen abschnüren lassen. Aber wie gesagt, das war auf Dauer keine Lösung, und wenn sie schon untergehen mussten, dann wollte Enrico sich zumindest nicht vorwerfen müssen, nicht alles in seiner Macht stehende versucht zu haben.

Oliver warf ihm einen verunsicherten Blick zu, nickte dann langsam: „Ich bin froh, dass du bei mir bist.“ Statt zu antworten, verschränkte Enrico ihre Finger miteinander und drückte einmal kurz Olivers Hand.

Mit einem lauten Ächzen flog das Tor zu Roberts Gemächern auf und aus dem tintenschwarzen Schlund, der nun in der Wand klaffte, trat in würdevollem Marschschritt Johny hervor: „Mein Herr ist jetzt bereit, Sie zu empfangen.“ Ohne darauf zu achten, ob sie ihm überhaupt folgten, drehte er sich um und verschwand wieder an den Ort, von dem er nur Augenblicke zuvor gekommen war. Gemeinsam standen Oliver und Enrico auf, gingen Hand in Hand der drohenden Verdammnis entgegen.
 

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Es schmerzte, an seinen wie ein Schlachtfeld aussehenden Schreibtisch zurückzukommen, zu sehen, dass hier alles gleich geblieben war, während man selbst sich verändert hatte. Dem Auge des Betrachters enthüllten sich auf einmal die engen Grenzen einer Welt, die einem noch vor wenigen Tagen unendlich weit in ihren Möglichkeiten und Verheißungen erschienen war, Sehnsucht machte sich breit. Eine Sehnsucht, die um so schwerer wog, da sie nimmermehr Erfüllung finden konnte…

Oh man, jetzt hörte er sich schon an wie ein Prosatext aus der Romantik, ein schlecht geschriebener noch dazu; Sehnsucht hier, Sehnsucht da – Ray sollte wohl besser an die Arbeit zurückgehen, ehe er noch auf die glorreiche Idee kam, nach der Blauen Blume zu suchen. Bevor er neue Fälle in Angriff nehmen konnte, galt es jedoch, die Sache Kai Hiwatari endgültig hinter sich zu bringen: Ehe Ray den nächsten Auftrag zugeteilt bekommen würde, musste er sich zunächst von dem nächsthöherrangigen Engel seiner Abteilung einen Stempel unter die entsprechende Akte geben lassen, der die erfolgreiche Beendigung des Falles bestätigte; seitdem einige Kollegen so clever gewesen waren, problematische Fälle einfach auf einen Stapel zu schieben und sich anderen Dingen zuzuwenden, gehörte diese Vorgehensweise zum vorgeschriebenen Prozedere.

Seufzend schnappte sich Ray Kais Akte und machte sich auf den Weg in Mariahs Büro; bei seinem Glück erwartete ihn neben einem gebrochenen Herzen jetzt auch noch eine Klage wegen Missbrauchs eines Schutzbefohlenen.
 

Ohne groß darüber nachzudenken, ob er anklopfen sollte, riss der Engel die Tür auf: „Hi Mariah, entschuldige die Störung, aber ich bräuchte mal kurz…“ Er hielt im Satz inne, als zwei Augenpaare ihn vollkommen fassungslos anstarrten.

„Was in Gottes Namen machst du hier?“, hastig ließ sich Mariah von Lees Schoß herunter- und damit aus dem Bürosessel hinausrutschen, versuchte dabei gleichzeitig, ihren Rock wieder so weit herunterzuziehen, dass ihr Hintern bedeckt war. Einige Male blinzelnd, versuchte Ray immer noch zu verdauen, gerade das Höschen seiner Vorgesetzten gesehen zu haben: „Ich… ähm… Ich brauche deinen Stempel…“ Lee besaß tatsächlich die Dreistigkeit, ihm ein selbstgefälliges Grinsen zuzuwerfen.

Schlagartig sackten Rays Mundwinkel noch weiter nach unten als ohnehin schon; wollte ihn denn hier jeder verarschen? Er wollte gerade dazu ansetzen, genau das zu fragen, da baute sich Mariah mit ihrer vollen Größe von 1,60m vor ihm auf: „Sag mal, was war noch mal dein Auftrag?“

Irritiert sah Ray seine Chefin an: „Jemanden für Kai zu finden, in den er sich verliebt?“

„Warum bist du dann hier?“, die Frage wurde in einem Tonfall gestellt, den man sich normalerweise für störrische kleine Kinder aufhob.

Trotzig reckte der rangniedere Engel das Kinn nach vorne: „Er trifft sich in diesem Moment mit einer anderen Studentin!“ Damit hatte er ja wohl verdammt noch mal seine Schuldigkeit getan!

„Und du bist deswegen eingeschnappt.“, die Augen verdrehend, warf Mariah Lee eine aus dem Nichts hervorgezauberte Fernbedienung zu, „Dann lasst uns doch einfach mal schauen, wie genau dieses ‚heiße Date’ aussieht. Schatz, drück mal bitte auf den großen, grünen Knopf!“ Lee kam der Aufforderung seiner Liebsten nach, woraufhin sich eine Gruppe von kleineren Wolken über ihren Köpfen zu einer etwa medizinballgroßen Kugel zusammenballte. Blitze zuckten darin herum, ergaben bei ihrem Aufeinandertreffen ein Bild, das Rays Atem zum Stocken brachte.
 

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Emilys Herz fing wie wild an zu klopfen, als sie Kai tatsächlich auf sich zukommen sah. Den gesamten gestrigen Tag und auch auf dem Weg hierher hatte sie sich gefragt, ob es richtig gewesen war, Rays Vertrauen auszunutzen; jetzt kannte sie die Antwort auf diese Frage. Die Entschlossenheit, mit der Kai da auf seinen eigenen Untergang zusteuerte, löste bei ihr nicht wie erwartet Genugtuung und ein Gefühl der Befreiung aus, sondern bloß Übelkeit. Sicher, mit Michael zusammensein zu können stand noch immer ganz oben auf ihrer Prioritätenliste, aber wollte sie das wirklich um jeden Preis? War ihr das wirklich wert, sich selbst morgens im Spiegel nicht mehr ins Gesicht schauen zu können?

Angespannt begann Emily mit ihrem Fuß Muster in das herumliegende Streusalz zu malen, versuchte so, sich von ihren Gedankengängen abzulenken. Verdammt, warum musste sie ausgerechnet jetzt ein Gewissen entwickeln? Früher hatte sie sich doch auch keine Sorgen darüber gemacht, was sie anderen Menschen mit ihrem Job antat…

Nein, so stimmte das nicht ganz; sie hatte es bewusst vermieden, über die Auswirkungen ihrer Arbeit nachzudenken, weil sie sonst nicht mit ihren Schuldgefühlen klargekommen wäre. Deswegen war dieser Fall auch so anders: Ihr Zusammentreffen mit Ray hatte sie persönlich betroffen gemacht, erinnerte der Engel in seiner Hilflosigkeit sie doch an die Problematik ihrer eigenen Beziehung zu Michael. Deswegen war sie auch nicht in der Lage gewesen, gleich nach dem Erhalt der Telefonnummer bei Kai anzurufen, hatte stattdessen nur den ganzen Abend lang in ihrer Wohnung herumgesessen und unschlüssig den Zettel immer wieder auf- und zusammengefaltet. Letztendlich war ihre Entscheidung darauf gefallen, das Stück Papier nach der Arbeit zu verbrennen… Und dann hatten Enrico und Oliver ihr mitgeteilt, was ihre Vorgesetzten planten und sie hatte sich einfach so sehr in eine Ecke gedrängt gefühlt, dass sie keinen anderen Ausweg mehr sah.

Die Hände in den Taschen seines Mantels vergrabend, blieb Kai direkt vor ihr stehen: „Morgen. Sollen wir ein wenig spazieren gehen, während wir uns unterhalten?“ „Ähm… Ja, okay.“, Emily war wirklich dankbar für den Vorschlag, lenkte sie das Laufen doch von ihrer Nervosität ab und gab ihr gleichzeitig die Chance, ein wenig Ordnung in ihr Gefühlschaos zu bringen.

Sie entschieden sich für einen etwas abseits gelegenen, halb von Gebüsch überwucherten Pfad, der im Halbkreis um einen zugefrorenen Teich führte, um dann wieder in den Hauptweg zu münden. Eine Weile liefen sie einfach schweigend nebeneinander her, die Blicke auf den Boden vor ihnen gerichtet, das einzige Geräusch zwischen ihnen das Knirschen von Schotter unter ihren Füßen. Beide hatten sich in sich selbst zurückgezogen, konzentrierten sich ganz auf die eigenen Gedankengänge. Alles in allem war es eine recht freundschaftliche Stille.

Auf halben Weg blieb Kai plötzlich stehen: „Emily, der Grund, weshalb ich überhaupt hier bin… Ich muss dir etwas sagen.“ „So?“, Emily war stolz darauf, wie beiläufig ihr Tonfall klang. Ihr Verstand raunte ihr zu, dass es sich hierbei besser um eine Erklärung ewiger Hingabe handeln sollte, doch ihr Herz sagte ihr etwas ganz anderes.

Kais Stimme klang reumütig, aber er unterbrach keine Sekunde lang den Blickkontakt zwischen ihnen: „Es gibt da bereits jemanden in meinem Leben.“ Jetzt war der Moment gekommen, in dem der Succubus all seinen Charme, all seine Magie nutzen sollte, um Kai um den Verstand zu bringen, jeden Nerv in seinem Körper vor Begehren beben zu lassen, bis für nichts anderes mehr Platz war als für die blanke, nackte Gier, für einen alles verzehrenden Hunger, der den Sterblichen mit sich hinab in den Abgrund riss…

Der Hauch eines Lächelns umspielte Emilys Mundwinkel, als sie die Augen schloss und akzeptierte; „Also haben du und Ray es endlich geschafft, euch auf die Art eurer Beziehung zu einigen.“ Es tat gut, die ganze Verbitterung und Paranoia von sich abfallen zu lassen, auch wenn ein Teil von ihr gleichzeitig um die verlorene Chance mit Michael trauerte.

„Es scheint so; und selbst falls er sich im Angesicht des neuen Tages umentschieden haben sollte, werde ich all meine Überzeugungskünste aufwenden, um ihn umzustimmen.“, es war das erste Mal, dass Kai ihr ein verschwörerisches, ja beinahe schon waghalsiges Grinsen zukommen ließ. Dann wurde sein Gesichtsausdruck ernst: „Bei dir alles in Ordnung?“

„Nein.“, lächelnd strick Emily eine Haarsträhne aus dem Gesicht, „Aber ich werde schon irgendwie damit klarkommen.“
 

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Mit jeder verstreichenden Sekunde, in der sie die Verabredung von Kai und Emily verfolgten, war Ray unruhiger geworden; hatte sich das zunächst noch in einem nervösen Händereiben ausgedrückt, so war er in den letzten fünf Minuten dazu übergegangen, immer hibbeliger auf der Stelle zu treten. Kai liebte ihn auch! Und er Idiot stand hier herum und verging fast vor Eifersucht, anstatt etwas sinnvolles zu machen, wie zum Beispiel schon mal den lebenden Bettwärmer zu spielen!

„Na, ist jetzt auch endlich in deinem Dickschädel angekommen, warum ich dir die Geschichte von Amor und Psyche erzählt habe?“, Mariah grinste ihn an wie ein Honigkuchenpferd. Hilflos kratzte Ray sich am Kopf: „Ja, schon, aber…“

„Aber wie soll eure Beziehung auf Dauer funktionieren, wenn du die ganze Zeit im Himmel gebraucht wirst?“, lächelnd zog Lee einen Briefumschlag aus der Brusttasche seines Hemdes und schwenkte ihn bedeutungsvoll in der Luft umher, „Herzlichen Glückwunsch, du bist zum offiziellen Schutzengel eines gewissen Kai Hiwatari befördert worden! Scheint so, als würde er nicht nur Engel der Liebesabteilung regelmäßig in den Wahnsinn treiben…“

Fassungslos starrte Ray seinen besten Freund an: „Ihr habt…“ „Das alles geplant? Oh ja! Bedanken kannst du dich später bei uns; jetzt beeil dich, immerhin wartet Kai auf dich!“, sanft, aber bestimmend verpasste Mariah Ray einen Schupser in Richtung Tür. Der ließ sich das nicht zweimal sagen und legte einen Trockenstart hin, an dem jeder Albatros seine Freude gehabt hätte. Wenn er Glück hatte, konnte er noch haarscharf wieder vor Kai daheim sein…

Besitzergreifend zog Lee seine Freundin wieder auf seinen Schoß: „So, wo waren wir noch mal?“ „Oh, lass mich dein Gedächtnis ein wenig auffrischen…“, lächelnd wandte Mariah den Kopf nach hinten und gab ihm einen zärtlichen Kuss.
 

~~~ ; ~~~
 

Kai war schon lange fort, da wanderte Emily noch immer ruhelos durch den Botanischen Garten; sie wollte noch ein letztes Mal die Strahlen der blassen Wintersonne auf ihrer Haut genießen, ehe sie in das Gefängnis zurückkehrte, welches ihre Arbeit nun einmal für sie war. Die Kälte, die ihr Gesicht wie ein klammes Tuch umwickelte, das Rauschen der Äste im Wind… Es war fraglich, ob sie das alles je wieder in Ruhe würde wahrnehmen können. Und dennoch konnte sie nicht den Egoismus aufbringen, ihre Entscheidung zu bereuen.

Zuerst bemerkte Emily die einsame Gestalt gar nicht, die reglos unter einer entfernten Weide stand; letztendlich war es nur ein aus dem Augenwinkel wahrgenommener goldener Glanz, der ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Was sie sah, als sie den Kopf ganz drehte, ließ sie in ihren Schritten inne halten: Inmitten der weißen Winterlandschaft stand Michael, ganz in Schwarz gekleidet; die auf und ab tanzenden Lichtreflexe ließen sein herumflatterndes Haar wie einen Heiligenschein aussehen. Langsam hob er einen Arm, streckte ihr in einem stummen Gruß die Handfläche entgegen. Für einen Moment war Emily zu verwirrt, um irgendetwas zu denken, doch dann lief sie einfach los, rannte so schnell sie konnte auf ihn zu. Vielleicht tat sie gerade genau das Falsche, aber sie musste einfach sicher gehen, dass es sich da wirklich um Michael handelte, und nicht bloß um eine Einbildung hervorgerufen von Stress und emotionaler Aufgewühltheit. Falls das hier Realität war, könnte es ihre letzte Chance sein, sich zumindest in Ruhe zu verabschieden.

Kurz vorm Ziel stolperte sie über einen unter dem Schnee verborgenen Stein und wäre beinahe hingefallen, hätte Michael sie nicht in letzter Sekunde am Arm zu fassen bekommen. Vorsichtig strich er ihr eine Strähne aus dem Gesicht: „Alles okay?“ Atemlos nickte Emily. Einige Male tief ein und aus atmend, richtete sie sich zu ihrer vollen Größe auf, versuchte dabei gleichzeitig, ihre Kleidung einigermaßen glatt zu streichen: „Ich… Ich freue mich, dich hier zu sehen.“

„Und ich freue mich, hier zu sein.“, in Michaels Augen blitzte der Schalk auf, „Wie kann ich dir weiterhelfen?“ Verlegen schlug Emily die Augen nieder: „Nachdem du gegangen warst, ist mir klar geworden… Ich wollte mich einfach bei dir für unsere gemeinsame Zeit bedanken; sie hat mir unheimlich viel bedeutet. Tut mir leid, dass das alles ausgerechnet so enden musste.“

Michael legte den Kopf schief: „Ich habe nie gesagt, dass das mit uns beendet ist. Alles, worum ich dich gebeten habe, war, dass du mir die Wahrheit sagst.“

„Und genau das kann ich nicht.“, meinte Emily leise, verschränkte schützend die Arme vor der Brust.

„Weil du denkst, ich würde dir nicht glauben?“

„Weil ich weiß, dass du mir nicht glauben wirst; und selbst wenn du es tust, heißt das noch lange nicht, dass du es auch verstehst.“

„Warum gibst du mir nicht eine Chance, es wenigstens zu versuchen, hm?“, Michael lächelte ermutigend.

Emily holte tief Luft, wie ein Schwimmer, der sich auf einen besonders tiefen Tauchgang vorbereitete. Vom rationalen Standpunkt aus gesehen sollte sie ihr Geheimnis nicht preisgeben: Ihre Vorgesetzten würden sie dafür zur Verantwortung ziehen und Michael würde sie wahrscheinlich für wahnsinnig halten. Schlimmer noch, selbst wenn er es nicht tat, so war Emily doch zumindest seine Abscheu sicher. Andererseits wollte sie es Michael sagen, endlich reinen Tisch machen, und nachdem sie die Sache mit Kai vergeigt hatte, war ihr der Platz in der Hölle ohnehin sicher…

Letztendlich gewann ihre Sehnsucht danach, endlich für klare Verhältnisse zu sorgen.

„Ich bin ein Succubus.“, die Worte wurden in passivem, ja beinahe schon monotonem Tonfall geäußert. Gleichzeitig wartete Emily mit einer Mischung aus Antizipation und Schrecken darauf, dass das freundliche Lächeln auf Michaels Gesicht ersterben und einer Miene der Wut und des Ekels Platz machen würde. Stattdessen stieß er ein kehliges Lachen aus: „Ich weiß.“

„Wie bitte?“, Emily dachte im ersten Moment, sie hätte nicht richtig gehört. Doch Michael nickte nur vehement: „Ich weiß, dass du ein Succubus bist. Um genau zu sein weiß ich es seit unserer ersten Begegnung.“

Verunsichert knabberte Emily an ihrem Daumennagel: „Michael…“

„Genau! So wie in ‚der Erzengel Michael, Führer der Himmlischen Heerscharen, Bezwinger Satans, Seelenwäger…’.“, linkisch grinsend zuckte der Blonde mit den Schultern. Es wäre leichter gewesen, wenn er plötzlich riesige, schneeweiße Flügel ausgeklappt hätte oder von einem inneren Leuchten erfüllt worden wäre, doch dem war nicht so; trotzdem wusste Emily aus ihr selbst unerfindlichen Gründen einfach, dass er die Wahrheit sagte, wusste es so sicher wie ihren eigenen Namen.

Unbeirrt fuhr Michael fort: „Der Professor von mir, den du damals verführen solltest… Ich war eigentlich nur bei der Vorlesung anwesend, um für die Gegenseite seine Seele in Anspruch zu nehmen. Als Kontrahentin hatte ich irgendeine gefühlskalte, gewissenlose Dämonenbraut erwartet – und dann warst da du, eine junge Frau mit melancholischem Gesichtsausdruck, die ihrer eigentlichen Zielperson nach einem langen Gespräch in der Sammlung mitteilte, er solle besser nach Hause zu seiner Frau zurückkehren, wenn er sie doch so offenkundig immer noch liebe. Es war dieser Moment, in dem ich mich in dich verliebt habe.“

Emily runzelte die Stirn: „Und da hast du dir gedacht ‚Warum nicht eine Beziehung mit ihr anfangen?’, oder wie soll ich mir das vorstellen?“ Es fiel ihr schwer zu glauben, was Michael ihr da erzählte. Welchen Grund sollte es schließlich für einen Engel aus den oberen Chören geben, sich freiwillig mit einer Unterklassedämonin abzugeben?

„Ich weiß, du musst ziemlich misstrauisch mir und meinen Motiven gegenüber sein, aber so war das nicht… Entgegen dem, was du vielleicht denken magst, habe ich mich wirklich auf Anhieb in dich verliebt; ich habe mir jedoch nicht die geringsten Chancen für uns ausgerechnet. Also stand ich einfach nur unschlüssig neben dem Eingang der Sammlung rum und versuchte mich selbst davon zu überzeugen, dass es besser sei zu verschwinden. Keine drei Sekunden später kamst du aus der Sammlung gerannt, liefst genau in mich hinein und entschuldigtest dich für dein Ungeschick – obwohl zu dem Zeitpunkt meine Schilde aktiviert waren und du mich deshalb eigentlich nicht mal hättest spüren dürfen, geschweige denn sehen. Ich hielt das für ein Zeichen.“, Michaels Tonfall wurde flehend, „Vertrau mir, Emily; ich würde nie bewusst etwas tun, was dir schaden würde.“

Zögerlich nickte Emily: „Vielleicht liegt es nur daran, dass ich mich unbedingt an diese eine Hoffnung klammern will, aber ich glaube dir. Doch wie soll das mit uns deiner Meinung nach in Zukunft weitergehen?“

Verunsichert biss sich Michael auf die Unterlippe: „Wie möchtest du denn gerne, dass es mit uns weitergeht?“

„Ich weiß es nicht.“, Emily rückte ihre Brille auf der Nasenspitze zurecht, „Ich liebe dich, aber es wird dauern, bis ich verdaut habe, wer du wirklich bist; wir beide haben für viel zu lange Zeit unsere Geheimnisse mit uns herumgetragen, als dass wir jetzt einfach so tun könnten, als sei nichts gewesen. Und als wäre das allein nicht schon kompliziert genug, ist da immer noch der Umstand, dass ich für den Rest der Ewigkeit an die Hölle gebunden bin, während du im Himmel residierst.“

„Na ja, das ist so nicht ganz korrekt…“, für einen kurzen Moment flackerte jener aufmüpfige Funke in Michaels Augen auf, der letztendlich Emilys Herz erobert hatte, „Als ich sagte, ich könne dir nur helfen, wenn du mir Details schilderst, war das durchaus wörtlich gemeint; genau darauf beruht nämlich die Verabredung, die ich mit meinem Vorgesetzten geschlossen habe. Für deine Selbstlosigkeit im Umgang mit Kai kann ich dir zwar keinen Platz im Himmel besorgen, man hat dich aber zumindest aus den Knebelverträgen deiner bisherigen Arbeitgeber herausgeklagt…“

„Das hast du für mich getan?“, Emily wusste nicht so recht, was sie sagen sollte.

Mit einem nervösen Lächeln nickte Michael: „Ich war es dir schuldig. Fass das nicht so auf, dass du deswegen zu irgendetwas verpflichtet bist, aber… Denkst du, wenn wir es ruhig angehen lassen, könnten wir…“

Aus einem Impuls heraus trat Emily einige Schritte nach vorne und umarmte Michael, drückte ihn so fest an sich, wie es ihre Kräfte zuließen: „Wir werden es herausfinden.“
 

~~~ ; ~~~
 

Paradoxerweise war das erste, was Oliver beim Betreten des Raumes auffiel, die miefige, von Verwesung leicht süßlich riechende Luft, die ihm entgegenschlug; noch draußen hatte er sich ausgemalt, wie er mit scharfem Blick den ganzen Raum nach eventuellen Angreifern absuchen würde, und nun ließ er sich so leicht ablenken. Wie um dies gut zu machen, maß er seine Umgebung mit den Augen ab: Die Inneneinrichtung war dieselbe wie bei seiner ersten gemeinsamen Vorladung mit Enrico, nur dass zudem noch ein Dutzend Vasen voller gelber Rosen auf dem Boden verteilt worden waren. Die Blumen waren es auch, von denen der Geruch ausging.

Etwa drei Meter vor Roberts Thron hielt Johnny sie dazu an, stehenzubleiben. Verunsichert kamen sie der Aufforderung nach, wussten nicht so recht, was sie von der Situation halten sollten; zumindest ging es Oliver so, und aus der Art, wie Enrico sich von Zeit zu Zeit den Nacken massierte, zu schließen, fühlte der Andere sich ähnlich unwohl.

„Ich denke, Sie wissen, weshalb Sie hier sind.“, statt sie anzuschauen, verwendete Robert seine Energien lieber darauf, seine Fingernägel einer eingehenden Untersuchung zu unterziehen. Ohne seinen Gesprächspartnern überhaupt die Chance einzuräumen, auf seine Aussage zu antworten, fuhr er fort: „In den letzten paar Tagen haben Sie alle von uns in Sie gesetzten Erwartungen auf das Bitterlichste enttäuscht. Nicht nur ist es Ihnen trotz mehrfacher, teilweise durch unsere Mittel unterstützter Versuche nicht gelungen, die Seele ihrer Zielperson in ihren Besitz zu bringen, nein, Sie haben sie sogar der Gegenseite in die Hände gespielt. Doch das ist bei weitem nicht ihre einzige Verfehlung!“ Aus einer Tasche seiner Robe holte Robert eine kleine Fernbedienung hervor, zeigte damit anklagend auf den langsam zum Leben erwachenden Fernseher: „Eine unserer fähigsten Agentinnen musste von uns vorzeitig und unrechtmäßigerweise aus ihrem Kontrakt entlassen werden, nur weil Sie unfähig waren, die Ihnen gegebenen Befehle vorschriftsmäßig auszuführen. Ihnen ist hoffentlich klar, was uns das kosten wird!“

Während auf Roberts Stirn vor Wut eine Ader hervortrat, konnten Enrico und Oliver auf dem Monitor beobachten, wie Michael und Emily händchenhaltend auf einer Parkbank saßen und sich unterhielten. Vor Freude hätte Oliver beinahe laut aufgelacht; ihre Freundin hatte es also doch geschafft!

„Das alles wäre vielleicht noch verkraftbar.“, die Stimme ihres Vorgesetzten klang eisig, „wenn wir Grund zu der Annahme hätten, dass dies alles nur ein unglücklicher Zufall wäre; dem ist allerdings nicht so. Sowohl aus den Überwachungsaufzeichnungen Ihrer Wohnungen, als auch aus den Tonbandaufnahmen der Wanzen, die sich in ihrem Büro befinden, lassen sich die von Ihnen gehegten Verschwörungsabsichten entnehmen. Ich habe Sie doch gefragt, was Ihrer Meinung nach mit denen passiert, die aus der Hölle herausgeschmissen werden… Nun, Sie werden es bald erfahren.“

Schlagartig verebbte Olivers Freudentaumel, wurde durch Bestürzung ersetzt. Die Rosen um sie herum zerfielen innerhalb von Sekunden zu Staub, der in einer feinen Schicht den Boden bedeckte, dann ohne ersichtlichen Grund in Brand geriet. Ein Meer von blauen Flammen geisterte über den Marmor unter ihren Füßen.

Ein dünnlippiges Grinsen bedeckte Roberts Gesicht, als er ein Bein über das andere schlug und in beiläufigem Tonfall meinte: „Wie die Würmer werden Sie sich winden, wenn Sie all jene Tragödien und Unpässlichkeiten erleiden, mit denen ein normaler Sterblicher Tag für Tag kämpfen muss. Hunger und Durst, Kälte und Hitze, Krankheit, Alter und Tod… All dem werden Sie schutzlos ausgeliefert sein, nachdem wir Ihre Kräfte versiegelt und Sie in die Welt der Menschen geschickt haben. Für jemanden, der seit jeher die Freuden ewiger Jugend und Unsterblichkeit gewohnt war, wiegt eine derartige Strafe weitaus schwerer, als es jede Foltermethode der Hölle je könnte. Johnny, bringen Sie die Beiden zu den Räumen, in denen Versiegelungen vorgenommen werden.“

„Sehr wohl.“, gehorsam verbeugte sein Sekretär sich. Noch im Aufstehen packte der Rotschopf sowohl Oliver, als auch Enrico am Oberarm, schleifte sie hinter sich her aus dem Büro.
 

Weder Enrico, noch Oliver waren sich gänzlich sicher, was sie von ihrer Bestrafung zu halten hatten; auf den ersten Blick schien es nicht besonders schlimm, dauerhaft in der Menschenwelt festzustecken, doch die Hölle wäre nicht die Hölle gewesen, wenn sie nicht noch einige miese Überraschungen bereitgehalten hätte.

Zumindest das Versiegeln ihrer Kräfte entpuppte sich als relativ harmlos: Ein ältlicher Dämon malte ihnen mit roter Farbe einige Runen auf die Stirn, ehe sie nacheinander in einen in den Boden eingeritzten Bannkreis geschickt wurden. Sobald einer im Zentrum des Kreises stand, wurden durch Ventile Ströme einer dunkelbraunen, sirupartigen Substanz in die Rinnen des Pentagramms eingeleitet und der Aufseher fing an, mit einer ruhigen Baritonstimme Beschwörungsformeln vor sich hin zu murmeln.

Im selben Moment, in dem er mit seinem Sprechgesang endete, begannen die Runen auf der Stirn des im Bannkreis stehenden zu glühen. Es tat nicht weh, man spürte nur, wie den Körper ein seltsames Kribbeln durchlief; beinahe fühlte es sich an, als würde man in einer Wanne voller Brausewasser liegen. Auf jeden Fall hätte man nicht gedacht, dass die Energieblitze, die da gerade in den Boden schossen, aus dem eigenen Leib hervortraten… Das einzig wirklich unangenehme an der Prozedur war der Geruch, den die sirupartige Substanz abgab, als sie zischend verdampfte.

Interessiert sah Johnny dabei zu, wie sowohl Oliver, als auch Enrico die Zeremonie durchliefen. In beiläufigem Tonfall wandte er sich an den Aufseher des Raumes: „Und wie viel von dieser Lightshow ist tatsächlich notwendig?“ „Eigentlich reicht es schon, wenn ich sie einmal kurz berühre.“, der alte Dämon zuckte desinteressiert mit den Achseln, „Können wir jetzt bitte fortfahren? Ich habe bald Mittagspause.“
 

Nachdem der Vorgang der Versiegelung abgeschlossen war, drückte Johnny jedem von ihnen noch einen Umschlag mit Informationen über ihr neues Leben in die Hand und schickte sie dann fort, um einige Sachen zu packen; ein Koffervoll war ihnen zugestanden worden.

Schweigend begleitete Enrico Oliver auf dessen Weg zu sich nach Hause. Es war kein unangenehmes Schweigen, aber auch kein angenehmes; beide wussten einfach nicht so recht, was sie denken, geschweige denn wie sie es in Worte fassen sollten. Die heutigen Ereignisse signalisierten einen Abschied, nicht nur von dem Leben, das sie bisher gekannt hatten, sondern auch voneinander. Nicht, weil sie es so wollten oder weil es nun einmal das Beste war, sich nicht mehr zu sehen; es stand nur einfach außer Frage, dass eine gemeinsame Zukunft für Oliver und Enrico in den Plänen ihrer Vorgesetzten nicht vorgesehen war.

Wie verabschiedet man sich am besten von jemandem, den man in seinem Leben eigentlich gar nicht missen möchte? Klammert man sich wie ein Ertrinkender an ihn und weint, sagt ihm all das, was man für ihn empfindet? Schreit man seinen gesamten Kummer über den Verlust in die Welt hinaus? Oder lässt man ihn einfach mit einem flüchtigen Abschiedsgruß irgendwo auf dem Weg zurück, dreht sich nicht mehr um, weil man genau weiß, dass auch nur ein einzelner Blick zurück in seiner Schmerzhaftigkeit für beide Seiten tödlich wäre?

Unschlüssig blieben sie vor der Tür zu Olivers Wohnung stehen. Enrico räusperte sich: „Tja, da wären wir also…“

„Ja…“, Oliver sah zu Boden, „Dann wird es wohl Zeit, Lebewohl zu sagen…“

„Ja…“

„Ja…“

„Dann… Lebewohl.“, mit hängenden Schultern wandte Enrico sich zum gehen.

„Äh… Enrico?“

Hoffnungsvoll drehte der Blonde sich noch einmal herum: „Ja?“

Oliver lief um die Nasenspitze herum rot an: „Bevor du gehst, solltest du vielleicht zuerst meine Hand loslassen…“ Betroffen sah Enrico auf das Corpus Delicti; nach der Bannungszeremonie hatte er instinktiv wieder Olivers Hand ergriffen, ganz einfach weil es sich in diesem Augenblick absolut richtig angefühlt hatte. Noch eine Angewohnheit, von der es sich nun zu verabschieden galt…

„Sicher.“, zögernd löste er seinen Griff um Olivers Finger, strich dabei noch einen Moment länger über die Haut des Anderen, als es strenggenommen nötig gewesen wäre.

„Enrico…“, die Röte hatte sich mittlerweile bis zu Olivers Ohren vorgetastet und für einen Augenblick befand sich dieser ernsthaft in einem Ringen nach Worten, „Wollen wir nachschauen, wohin wir geschickt werden?“ Vielleicht trat ja das Unmögliche ein und sie hatten wider Erwarten Glück…

„Gut!“, dankbar für jede weitere Sekunde, die er mit Oliver verbringen konnte, riss Enrico seinen Umschlag auf. Hastig begann er zu lesen: „Hier steht, dass ich irgendwo in der Toskana in einem kleinen Bauernhaus lebe und Oliven anbaue. Du?“

Rasch überflog Oliver die Zeilen seiner Instruktionen: „Ich arbeite als Koch in einem Restaurant in einem Vortort von Paris.“ Enttäuscht sah er auf: „Dann heißt es jetzt wohl wirklich Abschied nehmen, was?“

„Scheint so.“, Enrico drehte sich um, als wolle er nun endgültig verschwinden, nur um gleich darauf wieder herumzufahren und Oliver gegen dessen Wohnungstür zu pressen. Erwartungsvoll trafen ihre Münder aufeinander, kämpften miteinander um die Oberhand, während Oliver sich in Enricos Schulterblättern verkrallte, den Anderen so noch näher an sich heran zu ziehen suchte.

Als sie nach einer halben Ewigkeit ihren Kuss unterbrachen, um nach Luft zu schnappen, sahen sie sich zunächst nur wortlos mit verschleiertem Blick an. Dann lächelte Enrico langsam: „Weißt du, eigentlich kann ich Italien nicht ausstehen… Holst du mich in zwei Tagen vom Flughafen Charles de Gaulle ab?“

„Okay!“, unwillkürlich musste auch Oliver grinsen. Nein, die Pläne ihrer Vorgesetzten sahen bestimmt keine gemeinsame Zukunft für Oliver und Enrico vor; aber zum Glück waren sie jetzt in der Lage, ihre eigenen Pläne schmieden zu können…
 

~~~ ; ~~~
 

„Ray, ich bin wieder da!“, Kai legte den Haustürschlüssel auf dem Schuhschrank ab und machte sich dann daran, seinen Mantel an der Garderobe aufzuhängen, „Ray?“ Keine Reaktion; das einzige, was ihn begrüßte, war Stille. Nun beschlich Kai doch ein leicht mulmiges Gefühl. Ray hatte sich doch wohl nicht direkt nach dem Aufstehen aus dem Staub gemacht…

Vorsichtig lugte Kai ins Wohnzimmer; da war Ray schon mal nicht. Auch ein Blick in Küche, die Schlafzimmer und das Bad ergab dasselbe Resultat. Großartig! Angespannt ließ sich Kai auf die Couch sinken. Da dachte er, sie hätten den Eiertanz umeinander herum endlich hinter sich, und dann verschwand Ray einfach! Mit heftigen verbalen Auseinandersetzungen konnte der Medizinstudent umgehen – immerhin hatte er darin jahrelange Erfahrung. Gegenseitiges Anschweigen um den Kontrahenten zu zermürben war ihm auch geläufig. Aber wie feige war es denn bitte, die Auseinandersetzung komplett zu scheuen und stattdessen sang- und klanglos zu verschwinden?

Zumal ihm Ray nie so vorgekommen war, als würde er sich derartig aus seiner Verantwortung stehlen. Sicher, sie hatten sich des öfteren vollkommen sinnlos über Kleinigkeiten gestritten, aber jedes Mal hatte das dazu beigetragen, den Anderen besser zu verstehen und damit ihre Beziehung zueinander zu redefinieren. Bevor Kai jemandem seine Gefühle für den Betreffenden offenbarte, wollte er ganz sicher wissen, dass sie erwidert wurden; deshalb hatte er Ray ja immer und immer wieder auf seine Vertrauenswürdigkeit getestet, ehe er Geheimnis um Geheimnis von sich preisgab. Und das war auch der Grund, weshalb Kai zwar eine Menge Innuendo von sich gegeben, es letztendlich aber seinem Mitbewohner überlassen hatte, den ersten Schritt zu tun. Ein erster Schritt, mit dem Kai nach der besonders hässlichen Episode mit der arrangierten Verabredung fast nicht mehr gerechnet hatte, der ihn aber dann umso angenehmer überraschte. Um genau zu sein hatte er ihn so angenehm überrascht, dass er seine Prinzipien in den Wind geschossen und schnell für sie Beide gezahlt hatte, ehe er Ray auf die Toilette gefolgt war; normalerweise gehörte es durchaus nicht zu seinen Angewohnheiten, über wehrlose, betrunkene Chinesen herzufallen, danke der Nachfrage.

Beinahe schon gegen seinen Willen musste Kai grinsen, als er an Rays Liebeserklärung in der Kneipe zurückdachte. Besonders ausgefeilt oder romantisch war das ja nicht gewesen… Andererseits hatte Kai schon immer Fakten irgendwelchen blumigen Umschreibungen vorgezogen, und zumindest diesen Punkt hatte Ray mit Bravour erfüllt. Zumal es irgendwie sogar recht liebenswert gewirkt hatte, wie sein Mitbewohner da mit geröteten Wangen und leicht weggetretenem Blick saß und Dinge vor sich hinnuschelte, die im Grenzland der Promille vermutlich absolut Sinn ergaben.

Das Klappern der an der Wohnungstür angebrachten Sicherheitskette unterbrach Kais Überlegungen. Er sprang daraufhin nicht sofort hastig vom Sofa auf, stolperte nicht fast über seine eigenen Füße, nur um in den Flur zu kommen, oh nein; gemächlich ging er auf das Geräusch zu, blieb so stehen, dass er sich mit einer Hand am Türrahmen abstützen konnte. Falls die andere die ganze Zeit über an seinem Oberschenkel auf und ab rieb, so ignorierte er das.

„Hi!“, Ray lächelte ihn so schüchtern an, als sei die gestrige Nacht gar nicht gewesen, „Ich war noch schnell Brötchen holen… Und, na ja, oben bei Max und Tyson wegen meinen Sachen.“ Oh!

Mit möglichst unbeteiligtem Gesichtsausdruck drängte sich Kai an seinem Mitbewohner vorbei und schnappte sich dessen Koffer: „Ich bringe den hier schon mal in dein Zimmer; kümmere du dich derweil um das Frühstück, okay?“
 

„Du hast gedacht, ich sei auf und davon, oder?“, Ray stand mit dem Rücken zu Kai und ließ Wasser in den Teekessel laufen, als der die Küche betrat. Zunächst dachte Kai darüber nach, es zu leugnen, entschied sich jedoch dagegen: „Ich war mir nicht sicher, wie du reagieren würdest, wenn du aufwachst; immerhin warst du ja ziemlich angeheitert, als ich dich abgeschleppt habe.“ Aus Richtung der Spüle erklang ein prustendes Geräusch. „Was ist?“, Kai konnte seine Irritation nicht gänzlich aus seiner Stimme heraushalten.

Ray drehte sich zu ihm um, Lachtränen in den Augen: „Genau dasselbe habe ich heute Morgen auch von dir gedacht, als ich aufgewacht bin und deinen „Bin bei Emily“-Zettel neben mir auf dem Nachttisch gefunden habe! Du hattest am Vorabend doch den ganzen Wodka getrunken und…“

„Und da hast du dir überlegt, ich hätte den Sex mit dir bereut und sei abgezogen, um mit Emily meinen Großvater zufrieden zu stellen.“, ein langsames Lächeln wanderte über Kais Gesicht, „Mein lieber Raymond, darf ich dir hiermit mitteilen, dass Wodka in Russland ein Grundnahrungsmittel ist! Um mich betrunken zu kriegen, braucht es schon einiges. Außerdem wäre ein One Night Stand mit seinem Mitbewohner ziemlich bescheuert, nicht?“ Er trat näher an Ray heran, fuhr ihm mit einem Handrücken über die Wange: „Keine Sorge, mich wirst du nicht so schnell los…“

Große, bernsteinfarbene Augen musterten ihn prüfend. „Tja, und wie stellst du dir die Zukunft vor?“

„Wenn wir von meinem Studium und dem, was so darum herum läuft, reden: Ich komme auch ohne meinen Großvater klar. Meine Eltern haben zu ihren Lebzeiten ein Konto mit etwas Geld darauf für mich angelegt und wenn ich noch einen Nebenjob annehme, dürfte es reichen, um uns einigermaßen über die Runden zu bringen; der Aspekt wäre also schon mal geregelt. Was den Rest angeht… Ich kenne genug Professoren, bei denen die Abneigung meines Großvaters mir gegenüber eher für mich sprechen dürfte. Er ist kein besonders beliebter Mensch, wie du dir sicherlich denken kannst.“

Lächelnd rieb Ray seine Nasenspitze an der von Kai: „Dann sollten wir Gott wohl dankbar dafür sein, dass alles so glimpflich ausgegangen ist, hm?“

Kai stieß einen halb empörten, halb amüsierten Seufzer aus: „Ja, wir hatten Glück – allerdings weigere ich als Atheist mich standhaft, einen Großen Bart im Himmel dafür verantwortlich zu machen.“ Leicht perplex sah er Ray dabei zu, wie dieser sich vor Lachen schüttelte: „Was hast du denn?“

Mühevoll schaffte der Chinese es, sich wieder zu beruhigen: „Och nichts; ich musste nur gerade an etwas lustiges denken. Aber sag mal, wenn du nicht an Gott glaubst, woran glaubst du denn dann?“

„Oh, an eine Menge Dinge… An physikalische Gesetze und chemische Prozesse… An Kants Kategorischen Imperativ und Murphie’s Law… An unbedingte Wahrheit und Notlügen… An den gesunden Menschenverstand und das Aussetzen desselbigen…“, Kai hielt für einen Moment inne, sah Ray dann fest in die Augen, „Und an uns.“ Das Lächeln, welches Ray ihm daraufhin schenkte, war das schönste, was Kai je gesehen hatte.
 

~~~ ; ~~~
 

Zufrieden beobachteten Robert und Johnny auf dem Monitor vor ihnen, wie Ray gerade Kai dazu bewegen suchte, sich von ihm mit einem Honigbrötchen füttern zu lassen; zwar weigerte sich Kai bisher hartnäckig, doch immerhin lächelte er dabei. Also mal Ausnahmsweise keine Unwetteraussichten an dieser Front…

„Drei Pärchen mit einem Fall zusammengebracht – gar nicht mal schlecht, oder?“, Johnny nutzte den Augenblick, um sich noch ein wenig näher an Robert zu kuscheln, „Schatz, habe ich dir eigentlich schon mal gesagt, wie gut dir schwarze Seide steht?“

„In den letzten 5.000 Jahren erst etwa 1,5 Milliarden mal.“, lächelnd klopfte Robert ihm auf den Oberschenkel, „Und jetzt pack besser schnell deine Sachen zusammen, immerhin will Luzifer sein Büro auch mal wieder haben. Er mag ja vielleicht dankbar dafür sein, dass wir ihm seine jetzige Ehefrau vorgestellt haben, aber irgendwann ist selbst für den Fürsten der Finsternis die Hochzeitsreise mal zuende.“

„Ich weiß…“, mit einem deprimierten Seufzer machte Johnny sich daran, die letzten paar Sachen in einen Umzugskarton zu verstauen. Dann sah er sich noch ein letztes Mal sehnsüchtig im Raum um: „Ich werde diesen Ort vermissen; klar, das Fernsehprogramm kannste hier unten vergessen, aber dafür frierst du dir zumindest nicht ständig den Arsch ab.“

„Mein armer Liebling…“, Robert hauchte Johnny einen besänftigenden Kuss auf die Nasenspitze, „Komm, lass uns zur Sicherheit noch mal die Checkliste durchgehen!“

„Wenn’s sein muss…“, angewidert verzog Johnny das Gesicht, holte aber dennoch brav besagten Zettel aus einer Tasche seiner Jeansjacke hervor, „Lass mal sehen… Meine DVD-Sammlung?“

„Da!“, als Beweis hielt Robert einige Hüllen hoch.

„Die ganzen Akten, die wir fälschen mussten?“

„Auch da!“

„Okay, klasse, die Dinger lassen sich bestimmt super dazu benutzen, Weihnachtskarten aus ihnen zu basteln… Was ist mit unseren Kaffeetassen? Du weißt, wie sehr ich diese Kaffeetassen liebe!“

„Wenn ich es auch liebend gerne verdängen würde, ja.“, Robert warf seinem Partner ein Lächeln zu, „Sonst noch was?“

„Da ich den Schreibtisch ja trotz all der wunderbar verruchten Dinge, die wir darauf anstellen könnten, ja leider nicht mitnehmen darf… Nein.“, ebenfalls lächelnd hob Johnny den Umzugskarton auf, „Dann bliebe wohl nur noch eins zu tun…“

„In der Tat.“, noch während Robert die Worte aussprach, wurde seine Stimme bereits höher. Zugleich wurde seine Gestalt immer zierlicher und kurviger, die violetten Haare wuchsen so lange, bis aus ihnen bis zur Hüfte reichende, seidig glänzende Locken geworden waren. Johnny unterdessen begann in die Höhe zu schießen, sein Körperbau wurde muskulöser, seine Gesichtszüge kantiger.

Grinsend hängte Psyche sich bei ihrem Mann ein: „Was hältst du davon, wenn wir zwei jetzt endlich auf Wolke Sieben zurückkehren, Schatz?“ „Oh, davon halte ich sehr viel…“, mit dem Umzugskarton im einen und seiner Frau im anderen Arm, machte Amor sich auf den Weg in den Sonnenuntergang.
 

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„Der Unnerschied von einen Menschen und einen Engel ist ganz einfach: Das meiste von ein Engel ist innen, und das meiste von ein Menschen ist außen“

- Hallo Mister Gott, hier spricht Anna



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Kommentare zu dieser Fanfic (62)
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Von:  Hatsu-chan
2013-01-03T13:49:38+00:00 03.01.2013 14:49
Nach einen kleinen Beyblade-Marathon... habe ich wieder total die Lust bekommen mal wieder was zu meinen Lieblingspairing zu lesen und ich verstehe ehrlich gesagt nicht, warum ich deine FF noch nie zuvor gelesen habe @.@ (immerhin war ich früher da viel aktiver, mit schreiben und lesen).
Ich finde diese FF einfach nur göttlich!
Eigentlich mag ich FF mit Alternativ Universum nicht so gerne, aber diese muss man einfach gelesen haben.
Dein Schreibstil ist so super, ausführlich, flüssig, humorvoll... ich hab richtig Pipi in den Augen vor lachen^^
Ich war am Anfang etwas skeptisch der Idee gegenüber das Ray Armor spielt, aber das ist einfach nur genial umgesetzt.
Ich mag Rays trockenen Humor und Kai als Arzt kann ich mir auch gut vorstellen (mit dem Kittel sieht er sicher total sexy aus).
Auch wie du die anderen eingebaut hast finde ich klasse, gut Tala und die anderen als Schläger (irgendwie passend) da war ich auch erstmal skeptisch ob das gut geht, das sie nun zusammen mit Kai bei Aufbau helfen, aber die Sticheleien sind einfach nur köstlich.
Eigentlich wollte ich erst beim letzten Kapi ein Kommi schreiben, aber ich dachte mir das zwei sicherlich auch gut wären und eigentlich verdienst du ja 10 für diese tolle FF ^.~
Von:  Minerva_Noctua
2011-02-26T13:36:32+00:00 26.02.2011 14:36
Ach, einfach klasse!
Ich liebe deine Darstellung vom Himmel und Rays Sarkasmus am Anfang der Story.
Süßes Ende^^.

Bye

Minerva
Von:  Minerva_Noctua
2011-02-24T20:52:29+00:00 24.02.2011 21:52
Ach, ich liebe es.

Bye

Minerva
Von:  Minerva_Noctua
2011-02-20T12:33:14+00:00 20.02.2011 13:33
Love it.
Ich habe die FF schon mal gelesen, denk ich.
Aber das macht auch nichts, Ist Jahre her und außerdem liebe ich den Humor und die Darstellung des Himmels.

Bye

Minerva
Von: abgemeldet
2007-03-20T13:45:19+00:00 20.03.2007 14:45
x3~
*freu*
Schönes Chapter ^^
Und schöner Abschluss...
Allerdings hätte mich sehr interessiert, was Kai dazu gesagt hätte, wenn er wüsste, wer Rei eigentlich ist XDDD~ Würde aber wohl ohne eine geistreiche Begründung nicht hierhin passen XD (warum sollte Rei das auch erzählen XD)
Von: abgemeldet
2007-03-20T13:30:48+00:00 20.03.2007 14:30
*endlich mal wieter gelesen hat* +.+
Toll Toll Toll !!! Das ist sooo süß ^O^
*weiterlesen geht*
Von:  BlueJey
2007-03-06T22:48:29+00:00 06.03.2007 23:48
Ahhh! xDDDD
*sich noch immer wegen dem ende in lachkrämpfen wind*
Armor und Psyche... xDDD
...
*chrm chrm*
Ähm... ^^''

Oki!^^ Geistreicher Kommentar: Wie.hammer.geil! ò__ó
Ich hab die ganze Geschichte lang immer überlegt, wie DAS alles ausgehen könnte... und bin dann bei jeder neuen Wendung wieder gegen Glaswände gelaufen... xD Aber DAMIT hatte ich nicht gerechnet... xDDDD Ich mein - HappyEnd is gut - aba DAS is genial!!! *hin und weg*
Ich hab ehrlich gesagt nicht die leiseste Ahnung, wie zum Teufel du es bitte geschafft hast, dass am Ende alle(?) glücklich vergeben sind, ohne das das gesamte letzte Kapitel in Kitsch ertrinkt...! Ich bin so was von begeistert! xD
Eine der besten Ideen war wirklich Michael... Ich wäre nicht im Traum darauf gekommen, mal irgendwie diesen Namen mit dem ENGEL MICHAEL in Verbindung zu bringen... x'D
Und Ray als Schutzengel... Mein einziger Gedanke: Wenn er DAVOR schon am Verzweifeln war. . . *satz unbeendet lass...*
*ggg*
Und alle sind glücklich! *freuzZz* (Ich hatte ja schon fast irgendwo noch ein Stück SadEnd befürchtet... x.X'')

Naja - ich bedanke mich im Namen der Welt für diese geniale FF! XD *sich das jetzt mal so erlaub*

Deine Blue!^^
Von:  Vergangenheit
2007-02-26T19:26:50+00:00 26.02.2007 20:26
Rei ist ein Trottel, er denkt nicht mal daran, dass Kai nur gegangen sein könnte, um Emily abzuwimmeln. Aber seine Gedanken waren großartig, ‚er hört sich an wie ein Prosatext aus der Romantik, ein schlecht geschriebener noch dazu’. Wo nimmst du nur immer diese Vergleiche her.

Ah ja, der Blick auf das ‚Date’ von Kai (btw Diese hergezauberte Fernbedienung gefiel mir gut, so was sollte mal einer erfinden, dann sucht man das Teil nicht immer). Emily tut mir sehr leid, es muss für einen Succubus das Schlimmste überhaupt sein, sich selbst zu verlieben und ein Gewissen zu entwickeln. Aber bei ihr steht ja auch noch ihre Zukunft mit Michael auf dem Spiel. Ich möchte in dem Moment wirklich nicht in ihrer Haut stecken, sie hat die Wahl, entweder ihren Job zu machen und mindestens ein Leben zu zerstören oder ihr eigenes Leben und ihre eigene Zukunft kaputt zu machen. Ihre Reaktion auf Kais Geständnis hat mich sehr berührt, einerseits schien sie glücklich darüber zu sein, dass Rei und Kai es geschafft haben. Aber dennoch spürte man ein wenig Hoffnungslosigkeit mitschwingen, da es für sie praktisch das Ende ist.

Boah, volle Kehrtwendung! Michael ist nicht nur irgendein Michael, sonder _der_ Michael?!? Die Überraschung ist dir gelungen! Ich bin total aufgelöst. Das ist wirklich fantastisch, auf diesen Gedanken bin ich nicht mal ansatzweise gekommen. Nicht mal der Hinweis mit dem verschwunden Führer der himmlischen Heerscharen, hat mich darauf gebracht. *drop* Liegt aber vielleicht auch daran, dass ich nicht wirklich bibelfest bin und mich bei den ganzen Engeln und deren Positionen auch nicht auskenne. Eine klasse Idee.
Und diese Sätze, dass sie sie wegen ihrer Selbstlosigkeit aus ihren Verträgen rausklagen konnten, gefiel mir. Diese Bürokratie in Himmel und Hölle. Ich mag es, wie du so spielerisch das normale Leben auf den Himmel und die Hölle beziehst.

Enrico und Oliver werden also Menschen. Ja, das ist in der Tat eine furchtbare Strafe. Irgendwie sind Robert und Johny sehr süß. Und dich liebe einfach dieses Bürotor mit dem kleinen Johny davor. Ist auch irgendwie aus dem Leben gegriffen. Ich denke, dass den meisten die Tür zum Büro des Vorgesetzten so ungefähr vorkommt und man ab und an das Gefühl hat, in den Schlund der Hölle zu schauen, wenn sie sich öffnet. ^^ Aber kommen wir zu der Zeremonie. Ich habe sehr gelacht, bei der Frage, wie viel davon eigentlich nötig sei. Da hat einer echt Spaß bei seiner Arbeit und lebt seine kreative Ader aus, was? Großartig.

Kommen wir jetzt zu Rei und Kai. Herrlich, dieser Blitzstart von Maos Büro aus. Wieder so ein großartiger Vergleich. ^^ Über die wichtige Besprechung zwischen Mao und Rai breiten wir jetzt mal aus Anstandsgründen den Mantel des Schweigens. Aber die Sache, dass Kai auch der Abteilung Schutzengel so einiges an Kopfzerbrechen bereitete, hat mich auch schmunzeln lassen, da Kai eigentlich nicht unbedingt nach jemandem aussieht, der sich zu halsbrecherischen Aktionen verleiten lässt oder extrem unfallgefährdet ist. Aber egal, Hauptsache Rei hat diesen Auftrag bekommen.

Kais Gedanken als er Heim kam mochte ich sehr, sie haben viel von seinem Verhalten, dass ja nicht immer leicht nachzuvollziehen ist, erklärt. Mein Favorit in all diesen Gedanken war natürlich dieser überaus sarkastische Abschnitt, der besagte, das es normalerweise nicht seine Art sei, über wehrlose, betrunkene Chinesen herzufallen. Hach, ich liebe diese Sprüche von dir. Auch der ganze nachfolgende Teil, die Gedanken über die rhetorische Ausgefeiltheit und den Stil von Reis Liebeserklärung und der lakonischen Anmerkung, dass er blanke Fakten sowieso bevorzugt. Und auch Kais Weg zur Tür. Ich musste einfach losprusten. Das war so Un-Kai-mäßig, herrlich. Tja, auch ein Kai Hiwatari kann zu einem verliebten Trottel mutieren. ^^ Und der Schluss zwischen den beiden war so wunderschön, ich mochte Kai Aufzählung von Dingen, an die er glaubt, dass war sehr Kai-mässig und auch ironisch. Ich kenne zwar Kants Kategorischen Imperativ nicht, aber dass Kai an Murphys Law glaubt, hat mich doch (positiv) überrascht. Und der letzte Satz, dass er an sie beide glaubt, dass war wunderschön. Es passt einfach wunderbar zu Kai, die Dinge einfach so ohne Schnörkel zu formulieren und dennoch spürte man, wie tief die Gefühle hinter diesen schlichten Worten waren. Ein Kompliment an die Autorin. Diesen Balanceakt so gnadenlos gut hinzubekommen, schaffen nicht viele Autoren.

Das Ende. Robert und Johny sind Amor und Psyche? Wer hätte das gedacht! Da war ich der Meinung, nach der Überraschung mit Michael könne mich nichts mehr schocken und dann das! Ehrlich, dass ist großartig, diese Geschichte hatte ja auf dem, was eigentlich die Zielgerade ist, mehr Wendungen und Kurven aufzubieten, als so manch ein Irrgarten.

Also um es mal so nebenbei zu erwähnen, der Kommentar ist etwas komisch, ich habe ihn beim Lesen schon geschrieben, zumindest großteils. Das ist sonst nicht so meine Art. Bitte nicht darüber wundern. ^^

Tja, Ende. *schluchz*
Diese Story war wirklich großartig. Mal wieder ein Meisterwerk und ich weiß gar nicht, wie ich in Worte fassen soll, wie sehr mir die Geschichte gefallen hat. Ich habe sehr gelacht und auch mitgelitten, obwohl du nie großartig auf die Tränendrüse gedrückt hast, sondern alles mit einer gehörigen Portion Galgenhumor vorgetragen hast. Ich liebe deinen Stil ganz aufrichtig. Du bist eine fantastische Erzählerin und ich habe mich mal wieder einfach nur großartig unterhalten gefühlt. Auch wenn ich bedaure, die Geschichte erst so spät entdeckt zu haben. XD

ByeBye
BlackSilverLady
Von:  Takara_Phoenix
2007-02-23T16:00:21+00:00 23.02.2007 17:00
Wahhh... geil *___*
Schutzengel X3
Sweet! ^o^
Aba die Szene mit Mariah un Lee is ja süß, wo Ray reinplatzt XD
Ô__________________Ô
WAS?! ERZENGEL MICHAEL? Damit hast du mich nun wirklich umgeworfen ô_ô
*überglücklich seufz*
Das heißt, Em un Michael kriegen auch ein Happy End *_*
MENSCHEN? Die große Bestrafung ist das Menschsein? Man, du haust mich heut echt aus den Socken X3
Un Olli un Rico kriegen auch n Happy End *___*
Geile Ausrede hat sich Ray einfallen lassn^_~
Grundnahrungsmittel? Wodka? Na gut in Russland stimmts wohl... X3
Ach, ich wusste doch, dass Johnny un Robbie auch zusammen sin X3
Amor und Psyche? Du bist wirklich genial *_*
Oh Mein Gott.
Liege ich recht in der Annahme, dass es nun vorbei ist?
Wenn ja muss ich dir sagen, dass du da echt was geniales erschaffen hast.
Die FF hat mir riesen Spaß gemacht.
Vorallem, dass am Ende doch noch die ein oder andere Überraschung gewartet hat fand ich spitze^o^
Ich muss dir sagen, selten hat mich ne FF so mitgerissen, weil man so gut mitfühlen konnte, es einfach witzig war und die Ideen genial.
Sie war einfach spitze.
Zai jian, Ta-Chan
Von:  BlueJey
2007-02-19T20:11:40+00:00 19.02.2007 21:11
Awww! -^.^- Wie süß... xD

Ja - das is mal mein Spontankommentar zu dem (bzw den letzten beiden) Kappi(s)...
Irgendwie hab ich nämlich verpeilt, dass zwischen 7 und 9 ein klitze kleiner Unterschied is und nicht mitbekommen, dass es hier weiter ging... x'D

Zum Kapitel selber:
*neu in schreibstil verlieb...*
*neu in charas verlieb...*
*neu in alles verlieb...*

...

*chrm chrm* Eh, ja! xD

Also: Ich fand's einfach zu genial! Mal im Ernst - ich find die Art, wie ja irgendwie doch alle auf dem Weg zur glückstechnischen Besserung sind so schön! -^.^-
Tala's Gang ist übrigens super gelungen. Die Art, wie die alle miteinander reden und Ray (anfangs) nur planlos daneben sitzt... Göttlich!^^
Total cute fand ich auch die fast letzte Szene von dem Pitel hier, wo Ray sein Liebesgeständnis dann endlich los wird... Ganz im Ernst: Ich will Kais Gesicht in dem Moment sehn...!!! xD Das is ja wohl nur noch sweet!!!

Aba naja... Das Blue-viech stellt grade fest, dass es nicht gut Kommis schreiben kann... deswegen hört das Blue-viech jetzt mit selbigem auf... ^.^''

Blue

(PS: Krieg ich vllt. ne Benachrichtigung beim nächsten Pitel oder auch so, wennu ne neue FF on stellst?^^ Ich vergess/überseh/vercheck sowas imma... *verplant bis zum geht nich mehr*)


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