Zum Inhalt der Seite

Abendstern

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Tag 0

ABENDSTERN
 


 

VORWORT
 

Willkommen in den geweihten Hallen des Abendsterns! Theoretisch ist dies meine erste Fanfic - doch das liegt nicht daran dass mir das Schreiben binnen der letzten Jahre völlig egal war, sondern eher weil ich mich noch nicht an so etwas herangetraut hab. Nach meinen bisherigen fünf Hobbyautorenjahren war es aber an der Zeit mal ein paar Experimente einzugehen - und letztenendes ist der Abendstern daraus resultiert.

Einige Aspekte des NGE Universums hab ich frisch und fröhlich durcheinander gewürfelt - das war Absicht (ehrlich!!!) und wirklich nötig um dieser Handlung einen ordentlichen Kontext zu verpassen. Die große Danksagung spare ich mir fürs Ende auf, doch vorab muss ich noch bei meinen Betaleserinnen Tina und Chibi bedanken die ihre Arbeit wirklich gut gemacht haben.... knuddel*

Und bevor es dann endlich los geht noch eine allgemeine Warnung (oder ein Anreiz?): In dieser Story gibt es ein paar nicht zu unterschätzende Knuddel- bzw. Sexszenen die zum einen relativ kitschig sind (hey, die Children sind halt nicht älter als 14!) und zum anderen durchaus zur Sache gehen. (An alle Hentais unter euch: Ist es nicht deprimierend wenn man eine NGE Fanfic liest, in der Hoffnung dass endlich eine Sexszene kommt, und diese dann bevor es richtig anfängt abgeblendet wird? Ich hasse das!!! Heul*)
 


 

PROLOG
 

Die Kirche lag einsam und verlassen in der Nacht. Der Bischof hatte die Kerzen vor dem Altar angezündet und schlug etwas gelangweilt die heutige Tageszeitung des 15ten August 2000 auf. Draußen tobte ein gewaltiges Unwetter, er wollte nicht in diesem Regen nach Hause gehen.

Also hatte er beschlossen zu warten bis es wieder trockener wurde. Was allerdings sehr lange auf sich warten ließ - denn es regnete nun schon seit 2 Stunden in Strömen. Mittlerweile war es 10 Uhr Abends und bereits dunkel.

Er hatte Hunger - er wollte nicht ewig in dieser Kirche sitzen bleiben. Hastig überflog er die Titelzeilen der Zeitungsartikel.

Nichts außergewöhnliches.

[Halt!]

Eine Überschrift fiel ihm sofort ins Auge: "Italien verprasst Millionengelder - Vatikanspalast in Rom soll sicherer gemacht werden!"

Mit skeptischem Blick las er sich den Artikel durch und stand dann entnervt auf. Mit einem kräftigen Atemzug blies er die Kerzen aus und verließ die Kirche durch die Vordertür - er hatte es satt zu warten. Vermutlich müsste er sich dann in der heimatlichen Wohnung zuerst aus den nassen Sachen schälen, aber dieses Risiko ging er gerne ein.

[Moment mal....]

Warum roch das Zeug, das vom Himmel fiel so seltsam? War es wirklich Regen?
 

Am 15. August 2000, kurz nach 10 Uhr fand auf der Erde der Second Impact statt..

Davor hatte es fünf Stunden lang nonstop LCL geregnet.

22. November - 26 November

KAPITEL 1: 22. NOVEMBER - 26 NOVEMBER
 


 

PHASE 1: RUHE
 

Der Flughafen Tokyos war wie an jedem Tag völlig überfüllt. Überall hasteten Menschen mit vielen Koffern und gestressten Gesichtern umher, kleine Kinder plärrten weil die Warteschlangen vor den Eisständen so lang waren dass die Mütter darauf verzichteten anzustehen, über die Lautsprecher waren ständig neue Meldungen zu hören, und so gut wie jeder in dieser riesigen Halle schien sich mit irgendjemand anderem zu unterhalten.

Shinji Ikari kam sich überflüssig vor.

Er hatte seinen Flug hinter sich, ohne Koffer, ohne Begleitperson. Nun saß er auf einer der Bänke die beim groß angelegten Parkplatz standen und wartete auf den Absender des Briefes den er vor wenigen Tagen bekommen hatte.

Na ja, ein ,Brief' war es nicht gerade. Shinji kramte aus Langeweile die verknickte Postkarte aus seinem Rucksack und betrachtete die Vorderseite: Eine jung aussehende Frau die nicht älter als 30 sein konnte lächelte ihn zaghaft an und trug einen langen weißen Kittel der ihr eindeutig zu groß war.

Die Rückseite der Karte war ähnlich nichtssagend, neben dem Absender und der Anschrift war nur ein flüchtig hingekritzeltes ,Ich hole dich wie vereinbart um 4 Uhr ab!' und die Unterschrift ,Misato Katsuragi' zu lesen. Shinji wusste überhaupt nichts von dieser Frau. Abgesehen davon dass sie eine gute Freundin seines Vaters zu sein schien.

Und bereits eine Viertelstunde Verspätung hatte.

"Bist du Shinji?"

Die Frau auf der Postkarte stand plötzlich vor ihm. Er hatte sie gar nicht kommen sehen, vermutlich war sie schon seit mehreren Minuten dabei den Parkplatz und das Flughafenhauptgebäude nach ihm abzusuchen.

Der Junge stand ruckartig und mit benommenen Gesichtsausdruck von der Band auf und gab es mühsames ,Ja' von sich, bevor die Frau ihm ihre Hand zustreckte und er die Geste so freundlich wie er konnte erwiderte. Er fühlte sich immer noch fehl am Platz.

"Mein Auto steht da hinten", führte Misato weiter aus und wies auf eine völlig andere Ecke des Parkplatzes. "Wenn wir schnell genug heim kommen haben wir danach vielleicht noch Zeit dich neu einzukleiden." Sie versuchte zu lächeln, und Shinji erkannte dass es ihr schwer fiel und die Situation sie völlig überforderte.

Nach kurzer Zeit saßen sie im Wagen und fuhren in das zukünftige neue Zuhause des Jungen. Misato fuhr so rücksichtsvoll wie man es von einer korrekt arbeitenden Wissenschaftlerin erwartete, sie hielt sich immer an das Tempolimit und grüßte den anderen Autofahrern freundlich zu.

Ihr Verhalten wirkte völlig aufgesetzt, andererseits auch irgendwie gewohnheitsmäßig. Jedenfalls wenn Shinji dies mit seiner eher lauen Menschenkenntnis beurteilen konnte.

"Was ist Nerv?", fragte der Junge schließlich um die Atmosphäre mit einem Gespräch zu lockern.

"Das wirst du schon noch früh genug erfahren." Misato seufzte.

Shinji betrachtete die Häuserreihen die an ihnen vorbeirasten.
 

Misatos Apartment war ähnlich wie ihr Fahrstil: Trocken und wohl strukturiert. Fast schon langweilig: Als die Forscherin Shinji herum führte, nahm er bei jedem Raum aufs neue zur Kenntnis dass alles aufgeräumt und kein Körnchen Staub auf der mageren Inneneinrichtung zu sehen war.

Schließlich kamen sie wieder in ihrem Esszimmer an.

"DEIN Zimmer zeige ich dir später", meinte Misato trocken. Sie hatte schon den Mund aufgemacht um weiter zu reden, doch in genau diesem Moment hörte man das Haustürschloss klacken. Katsuragi fing an zu lächeln.

Die Tür öffnete sich, und hervor trat ein eher großgewachsener - alles andere als gründlich rasierter - Mann in lockerer Kleidung der sich mit einem leicht dümmlichen Grinsen vorstellte.

"Du musst Shinji sein! Ich heiße Kaji!"

Shinji gab ihm verwirrt die Hand, der Junge wusste nicht dass Misato einen Mitbewohner hatte.

"Er wohnt seit kurzem bei mir", erklärte sie schnell. "Er arbeitet auch für Nerv, wie dein Vater und ich."

Shinji machte einen perplexen Eindruck, und Katsuragi redete weiter. "Er hat schon hier gewohnt bevor ich erfahren hab dass du zu uns nach Tokyo kommst. Die Sache mit deinen Verwandten hat mich schwer getroffen."

[Lügnerin, du kanntest sie gar nicht].
 

Es ging alles zu schnell. Der Tod seines Onkels und seiner Tante - Personen bei denen er sein ganzes Leben lang wohnte und die er wie Eltern betrachtete - war erst wenige Tage her und für ihn wirkte der Vorfall immer noch wie ein böser Traum. Es war alles so unwirklich.

Genauso wie dieser merkwürdige Konzern der sich Nerv nannte. Shinji wusste überhaupt nichts über ihn, obwohl es ihn schon interessierte bei welchem Vorhaben sein Vater arbeitete. Es musste irgendetwas wichtiges sein, schließlich hatte Gendo in all den Jahren kein einziges Mal Tokyo verlassen um seinen Sohn zu besuchen.

Plötzlich ging die Tür zu seinem Zimmer auf. Shinji bemerkte, dass er die ganze Zeit in den Gedanken versunken auf seinem Bett gesessen hatte, obwohl ihm die Müdigkeit zu dieser späten Stunde deutlich anzumerken kam. Die Person die hereinkam war Kaji, wieder hatte er einen grinsenden Gesichtsausdruck.

"Ich hab aus deinem Zimmer Licht brennen sehen", meinte er nüchtern und schloss die Tür hinter sich. "Misato ist immer so, du wirst dich dran gewöhnen. Sie ist eben eine der ruhigen Sorte." Kaji seufzte.

"Wie gut kennen sie meinen Vater, Kaji-san?"

Shinji sah seinem Gegenüber an, dass er nicht gerne gesiezt wurde und wich seinem Blick verlegen aus.

"Er ist ein Arbeitstier, ich rede nur mit ihm wenn es um etwas geschäftliches geht."
 


 

PHASE 2: AUSLAUF
 

"Ich habe sie hergerufen um ihnen etwas wichtiges mitzuteilen."

Misato stand nervös vor dem riesigen Schreibtisch ihres Vorgesetzten (eigentlich war er der Kopf von Nerv) Gendo Ikari - Shinjis Vater.

"Bis jetzt waren sie bei uns als Forscherin angestellt, dies wird sich heute ändern. Wir haben erste Anzeichen von Feindaktivitäten registriert, und den Kollegen von Nec und Waechter geht es genauso."

Misato verstand nicht recht was Gendo damit meinte, aber sie fürchtete schlechte Kunde. Vielleicht würde sie jetzt entlassen werden, das wäre das Ende ihrer wissenschaftlichen Laufbahn.

"Mit Forscherinnen kann man keine Kriege führen", meinte Gendo mit Nachdruck und sah sie mit kühlen Augen an. "Ab morgen gehören sie zum Militär. Taktische Abteilung - ihre Unterschrift bitte!" Er wies auf ein bedrucktes Blatt Papier dass auf seinem Tisch lag.

"Taktische Abteilung? Militär?" Misato war ihr Entsetzen schnell anzuerkennen. "Warum ausgerechnet ich?!?"

"Ich glaube, dass sie die Richtige für diesen Arbeitsbereich sind."

Misato sah ihn immer noch schockiert an und rührte sich keinen Millimeter vom Fleck.

Gendo seufzte. "Natürlich bekommen sie ein besseres Gehalt."

Katsuragis Miene entspannte sich langsam - ihre Augen fingen an zu leuchten.
 

Kaji saß am Esszimmertisch und dachte etwas besorgt über Shinji nach. Der Junge hatte sich den ganzen Tag in sein Zimmer eingeschlossen und kein Wort von sich gegeben.

Ein kurzer Blick auf die Uhr zeigte, dass Misato bald kommen würde - es wurde auch Zeit denn dank Kajis Unfähigkeit eine warme Mahlzeit zuzubereiten war er in dieser Hinsicht auf sie angewiesen. Ansonsten war ihre Beziehung zueinander eher ruhig, und es war klar dass er bei einem neuen Auftrag diese vier Wände schnell wieder verlassen musste.

Ruckartig wurde die Wohnungstür aufgerissen. Misato schoss mit völlig ungewohnt überschwänglichem Gesichtsausdruck zu Kaji, packte ihn bei der Hand und zerrte ihn mit sich.

"Was ist denn los?", fragte letzterer sichtlich verwirrt während sie ihn durch das Treppenhaus ins Freie zerrte.

"Ich bin jetzt beim Militär!" Sie zeigte ein noch nie da gewesenes Temperament. "Los, du musst mir helfen die Sachen aus dem Auto zu tragen!" Misato öffnete den Kofferraum und gab einen Blick auf haufenweise übereinander gestapelte Paletten Bierdosen preis. "Die trägst du, ich kümmere mich um den Rest auf dem Beifahrersitz!"

Kaji blickte Misato mit offenem Mund an und war im ersten Moment völlig unfähig sich zu rühren, und sein Zustand verschlimmerte sich noch als seine Mitbewohnerin einen Pinguin aus dem vorderen Teil des Wagens zerrte.

"Das... ist ein Pinguin", meinte Kaji völlig perplex und wies mit seiner rechten Hand auf das Tier.

"Ein Warmwasserpinguin - er heißt Pen Pen!" Misato vollführte eine noch nie da gewesene Agilität. "Süß, nicht?"

Kaji setzte zu einem Nicken an, schaffte es aufgrund seiner Verwirrung jedoch nur weniger überzeugend. Aber das war egal, denn Katsuragi hatte seine Reaktion gar nicht abgewartet sondern rannte direkt wieder mit dem Pinguin im Arm in den Wohnungskomplex.

"Shin-chan! Helf Kaji unten das Bier rauftragen!"

Letzterer hatte sich am Wagen noch keinen Millimeter von der Stelle gerührt sondern starrte nur entsetzt die ganzen Dosen an. Er hatte starke Zweifel ob die Frau, die eben die Tür zu der Wohnung geöffnet hatte, wirklich Misato war.
 

Kaji hatte sich schnell an die vielen Bierflaschen im Kühlschrank gewöhnt. Und irgendwie war ihm die neue Misato auch sympathisch.

Aber warum dieser Pinguin?

"...und morgen gehst du hier in Tokyo zur Schule, du bist schon angemeldet!" Misato grinste ihn verschmitzt an während sie eine leere Bierdose auf ihrem rechten Handrücken balancierte.

"Aber ich bin doch gerade erst hier angekommen!"

"Okay, dann eben übermorgen." Die Frau öffnete sich eine neue Dose.

Kaji vergrub sich in Gedanken und murmelte ein vorsichtiges "mach dass du morgen an deinem ersten Tag in der Militärabteilung keinen Kater hast".
 

"Ist irgendwas?"

Die Frau die sich eben bei ihr als Ritsuko Akagi vorgestellt hatte, blinzelte sie verwirrt an.

"Nein, nein, alles in Ordnung." Misato hielt sich mit leicht schmerzverzerrtem Gesicht den Magen. Sie hätte auf Kaji hören sollen und heute morgen nicht nüchtern die unzähligen Bierdosen runterkippen sollen. Dann hätte sie sich vor Ritsuko eben jedenfalls nicht um ein Haar bei der Begrüßung übergeben müssen.

"Deine Aufgabe wird es in den nächsten Monaten sein, die Angriffe der EVAs zu koordinieren. So soll ich es dir jedenfalls von Gendo sagen - in Wahrheit ist es eine sehr langweilige Tätigkeit."

"EVAs?"

Ritsuko winkte ab. "Ich zeige sie dir später. Es sind riesige Kampfmaschinen die zur Bekämpfung von Engeln eingesetzt werden. Bis jetzt haben wir nur eine Pilotin, ich werde sie dir nachher auch vorstellen."

Misato verkniff sich einen Kommentar zum Wort ,Engel' und ließ Dr. Akagi weiter reden.

"Nerv sieht zwar von außen wie ein unscheinbarer Komplex aus der eher auf Wissenschaft spezialisiert ist, aber in Wahrheit gibt es uns nur wegen der EVAs."

"Wer finanziert uns?"

"Dass weiß ich selbst nicht. Aber ich weiß, dass wir in dieser Hinsicht nicht einzigartig sind. Die USA hat eine Organisation namens ,NEC', die genau dieselben Absichten haben wie wir. Der einzige Unterschied besteht darin dass sie bis jetzt weder EVAs noch Children haben, aber ich denke dass es bis zu diesem Zeitpunkt nicht mehr lange dauern wird. Und dann gibt es noch ,Waechter', das Nervgegenstück der EU. Sie haben bereits den ersten EVA fertig gestellt, und das Waechter First Children steht auch schon fest: Ihr Name ist Soryu Asuka Langley. Aber wir sind beiden Organisationen weit voraus, wir haben den ersten EVA schon lange fertig, das First Children steht fest, und für weitere Children stehen einige Kandidaten in der engeren Auswahl. So berichtete es mir jedenfalls Gendo."

Misato hatte es schwer Dr. Akagi zu folgen, aber sie blieb ruhig und hörte sich sämtliche Ausführungen genau an. Erst als Ritsuko fertig mit reden war, wagte Katsuragi-san eine erste Frage.

"Und Children sind..."

"... die Piloten der EVAs. Kinder, nicht älter als 14, aber die einzigen die es schaffen mit den Kampfmaschinen zu verschmelzen."

[Verschmelzen?]

Misato sparte sich weitere Fragen und wartete ab was der Tag sonst noch so bringen würde.
 

[Empfänger: Ikari Gendo - Nerv

Datum: 24. November 2015 > Nachricht 1/1

Absender: Unbekannt

---

NEC bestätigt dass es bis zur Fertigstellung ihres EVA 00 nicht mehr lange dauern wird. Des weiteren wurde bereits ein Pilot gefunden: Clade Shawver, wie alle anderen bisher gefundenen Children im vierzehnten Lebensjahr. Man hofft dass bis zu den ersten Tests nicht mehr viel Zeit verstreicht und man Nerv im Falle eines ersten Angriffes der Engel so früh wie möglich beistehen kann.]
 

Misato vergaß ihren Kater ruckartig, als sie Rei zum ersten Mal sah.

Eben hatte sie den EVA gesehen, ein furchterregender Roboter zu dem sie fürs Erste einen gehörigen Sicherheitsabstand halten will. Sie fragte sich welcher Typ Mensch wohl als Pilot eines solchen Kolosses in Frage kommen würde - aber mit einer Person wie Ayanami Rei hatte sie nicht gerechnet.

Das Mädchen wirkte schwach, völlig untersetzt, blass, ausdruckslos. Ihre Miene war ernst und unsicher.

Sie bewegte ihre Mundwinkel nicht, als sie Misatos begrüßende Hand ergriff. Rei dachte gar nicht daran, Katsuragis aufmunterndes Lächeln zu erwidern.

Die ganze Erscheinung des Mädchens wirkte völlig surreal. Nicht menschlich.

Sie trug eine unförmige Schuluniform die ihr eindeutig alles andere als gut stand - schien sich aber nicht an diesem Makel zu stören. Sie schien sich genauer genommen an gar nichts zu stören, sie stand einfach nur da und wartete darauf, dass irgendjemand etwas sagte. Das war also das First Children.

Misato sehnte sich nach einer kühlen Dose Bier.

Die Frau fühlte sich als hätte ihr jemand einen harten Schlag in den Magen verpasst. Hilfesuchend blickte sie auf Ritsuko, doch letztere blieb stumm.

"Kann ich gehen?", fragte Rei emotionslos und mit kraftloser Stimme. Die Frage klang weder unhöflich noch pietätlos, höchstens ehrlich.

"Ja, geh ruhig", meinte Dr. Akagi trocken, und Misato sah mit perplexem Blick an wie das Mädchen sich umdrehte und unbeholfen langsam von ihnen weg stapfte.
 

"...er ist in seinem Zimmer und hört Discman."

Misato funkelte Kaji an diesem späten Abend sauer an. "Wo zum Teufel hat er einen DISCMAN herbekommen? Ich habe ihm gesagt dass er sich von meinem Geld nur Sachen zum Anziehen kaufen soll!" Die schon wieder leicht betrunkene Frau knabberte an einem warmen Toast und schien sich durch diese Tätigkeit abzureagieren.

"Shinji hat mich darum gebeten", meinte Kaji trocken. "Ich war ja schon froh dass er überhaupt mal zu einem von uns irgendetwas sagt. Er ist völlig in sich zurückgezogen."

In diesem Moment erkannte Misato zum ersten Mal eine Parallele zwischen Shinji und Rei, und irgendwie missfiel ihr der Gedanke die nächsten Wochen und Monate mit einem verklemmten Jungen zusammen zuleben.

Kaji las Misato ihren Gedanken von den Augen ab, und fürchtete dass Katsuragi in ihrem derzeitigen Zustand etwas tat dass Shinji komplett einschüchtern könnte. Der stetige Alkoholeinfluss machte aus ihr einen völlig anderen Mensch - was auf Kaji aber auch irgendwie eine aufreizende Wirkung hatte.

Doch bevor Misato überhaupt auf irgendeine Weise handeln konnte, wurde sie durch ein klingelndes Telefon aufgeschreckt. Sie streckte die Hand nach ihrem Mobiltelefon aus und hörte eine bekannte Stimme am anderen Ende der Leitung.

"Katsuragi-san?"

Dr. Ritsuko Akagi klang völlig durch den Wind, sie hörte sich an wie eine aufgebrachte Epileptikerin.

"Ja, was ist los?"

"Kommen sie bitte sofort zur Nervzentrale!"
 


 

PHASE 3: DER TAG DANACH
 

[Empfänger: Ikari Gendo - Nerv

Datum: 25. November 2015 > Nachricht 1/3

Absender: James Schaffer - NEC

---

Wir bedanken uns für den ausführlichen Bericht den wir am gestrigen Tag von ihnen bekamen, und hiermit verkünden wir ihnen die Ergebnisse die unsere gestrige spontan eingerufene Konferenz hervor brachte.

1.: Wir beglückwünschen sie dafür, dass der erste EVA Einsatz gegen einen Engel erfolgreich endete. Diesen Glückwunsch möchten wir auch der Piloten Ayanami Rei ausrichten lassen.

2.: Gleichzeitig haben wir ihnen soeben einen hohen Betrag überwiesen, der ihnen hoffentlich helfen wird die großen entstandenen Schäden an EVA 00 reparieren zu lassen. Gleichzeitig wünschen wir uns mit ihnen dass die Pilotin so schnell wie möglich wieder aus dem Koma aufwacht.

3.: Wir teilen ihre Meinung, ausführliche Forschungsstudien zum Verhalten des Engels anlaufen zu lassen.

Mit freundlichen Grüßen, James Schaffer.]
 

Shinji konnte sich immer noch nicht erklären was am gestrigen Tag passiert war. Er erinnerte sich wie Misato am späten Abend die Tür zu seinem Zimmer aufriss, und zu ihm sagte dass er dringend mit ihr zur Nervzentrale fahren müsse.

Als sie im Auto saßen, murmelte sie noch etwas von: "...gleich an meinem ersten Tag in der militärischen Abteilung ein Ernstfall...", ansonsten schwieg sie und fuhr mit einem mörderischen Tempo die Straße entlang. Ihre Augen hatten geleuchtet.

Nur wenige Minuten später befanden sie sich alle in einer riesigen Halle, die mit Dutzenden Stühlen und Bildschirmen bestückt war. Nicht nur er und Misato, der ganze Raum war überfüllt mit bangen Gesichtern.

Unter anderem auch mit dem seines Vaters.

Auf den Monitoren war ein geradezu bizarres Schauspiel zu sehen: Ein riesiger Roboter mit der Aufschrift ,EVA 00' kämpfte gegen ein gewaltiges unförmiges, wenn auch sehr organisch aussehendes Monstrum an.

Auf einem anderen Monitor war das Gesicht eines Mädchens mit auffällig roten Augen und blassblauen Haaren zu sehen.

Und mitten im Geschehen war Misato. Sie hetzte hin und her, redete mit allen möglichen Leuten, verschwand immer wieder in etlichen Türen und tauchte ebenso blitzartig wieder auf.

Shinjis Blick wanderte ständig von den Monitoren mit den beiden kämpfenden Gewalten zu dem einzelnen Bildschirm auf dem das Gesicht des Mädchens zu sehen war. Er las den Namen ,Ayanami Rei' eingeblendet.

[Rei...]

Ikaris Augenpaar versuchte zwar zu verstehen was auf dem Monitor mit dem Kampfkoloss der gegen das Monster anlief WIRKLICH zu sehen war, aber vergeblich. Er verstand sowieso schon nicht viel, aber dieses Gemetzel ging eindeutig über seinen Horizont. Und immer dann wenn er sich aufgrund dieser Erkenntnis hilflos fühlte, sah er in das Mädchengesicht und beruhigte sich.

In ihm brodelte plötzlich das unbegründete Verlangen, dieser ,Rei' nahe zu sein, mit ihr zu reden, von ihr in den Armen gehalten zu werden.
 

[Empfänger: Ikari Gendo - Nerv

Datum: 25. November 2015 > Nachricht 2/3

Absender: Winston Druchov - Waechter

---

Ich bedanke mich im Namen von Waechter für den ausführlichen Bericht den wir gestern in ihrem Namen erhalten haben, und bedauern gleichzeitig die missliche Lage in der wir uns nun befinden. Niemand von uns hatte ahnen können, dass die EVA-Technologie derart schmählich gegen einen Engel aussehen würde. Daher möchten wir ihnen raten (und wir haben uns in dieser Hinsicht auch mit NEC abgesprochen) ein Second Children einzusetzen.

Wie ich hörte werden sie schon durch unsere amerikanischen Kollegen mit Geldspenden unterstützt, wir möchten unseren finanziellen Mittel daher dem Kongress von Neo-Tokyo3 zukommen lassen um die durch den Angriff entstandenen Schäden an der Stadt so schnell wie möglich reparieren zu können.

Mit freundlichen Grüßen, Winston Druchov.]
 

"Misato, wer ist Rei?"

Shinjis Frage löste bei Katsuragi eine Mischung aus Verwirrung und Neugier aus. Zum einen war sie froh dass der Junge sich aufgelockert zu haben schien und nicht mehr allein griesgrämig in einer Ecke seines Zimmers grollte, zum anderen wusste sie aber auch nicht wie sie ihm diese Frage beantworten sollte.

Es war am späten Nachmittag. Misato hatte ihre Drohung wahr gemacht und Shinji nun endgültig bei der Schule angemeldet, letzterer wiederum bekam von ihr als Aufmunterung ein trockenes Instant-Essen serviert.

"Rei ist die Pilotin von EVA 00. Du hast ihren Kampfroboter ja gestern auf den Monitoren in Aktion gesehen."

"Aber was hat sie da gemacht?"

"Sie hat unsere Stadt gegen einen Engel verteidigt."

[An meinem ersten Arbeitstag...]

"Engel?"

"Ich kenne diese Wesen auch nicht sonderlich gut. Ich habe heute versucht Gend... - deinen Vater darauf anzusprechen, aber er hat es vorgezogen mich weiterhin im Unklaren zu lassen. Ich weiß nur, dass gestern der erste von ihnen aufgetaucht ist."

Sie hatte Rei heute während ihrer Mittagspause auf der Krankenstation besucht. Ein schrecklicher Anblick, sie hatte überall Verbände an ihrem Körper, eine Infusionsnadel steckte in ihrer Vene, und sie war an einen nervtötenden Elektrokardiographen angeschlossen.

Das Schlimmste war aber ihre Haut. Sie war völlig kalt, fast tot. Erschreckend.

Shinji merkte dass Misato abwesend und in Gedanken versunken war. Ein ungewohnter Anblick, nach ihrem enorm temperamentvollen Auftreten am gestrigen Tag.

"Geht es Rei gut?", fragte er schließlich.

Misato fing sich wieder und sah ihn mit interessierter Miene an. "Du kannst sie morgen nach der Schule auf der Nervkrankenstation besuchen."

"Geht das denn?"

"Ja", sie zog eine kleine Plastikkarte mit Magnetstreifen, belanglosen Namen und Zahlen sowie einem Foto Shinjis hervor. "Deine Securitycard ist heute angekommen." Sie drückte ihm die Karte in die Hand.

"Aber ich gehöre nicht zu Nerv!"

Misato seufzte.

"Doch, ab morgen schon."
 

"Warum haben sie mich hier hergerufen, Ikari-san?"

"Um ihnen Anweisungen zu ihrem eigenen Schutz zu geben."

Es war Nacht. Man sah deutlich den tiefschwarzen Himmel durch die Fenster von Gendos Büro. Kaji stand dem alten Vater Shinjis mit neugieriger Miene gegenüber, obwohl er sich schon dran gewöhnt hatte generell keine guten Nachrichten aus Gendos Mund zu hören.

"Es geht um Keyko Urusawa." Ikari schob sich seine Brille zurecht. "Er kehrt aus Italien zurück nach Neo-Tokyo."

"Das freut mich", so Kajis verhaltene Reaktion ohne eigentlich zu wissen, was sein Gegenüber von ihm wollte.

"Ich weiß dass sie das freut, und genau dass ist ja das Schlimme. Vermutlich wird Keyko direkt versuchen Kontakt mit ihnen aufzunehmen, ich weiß dass ihr euch mal als Söldner nahe gestanden habt, und deswegen werden sie wohl seine erste Anlaufstelle sein. Aber sie dürfen kein Treffen mit ihm zulassen!"

Kaji machte ein perplexes Gesicht. "Warum nicht?"

"Wie ich schon sagte, die Anweisungen sind zu ihrem eigenen Schutz."

[Keyko...]

Keyko und Kaji standen sich wirklich mal nahe, sehr nahe. So nahe wie sich zwei Menschen nun mal standen, die auf eigene Faust mutterseelenallein riesige Wüsten durchquerten um Hinweise auf das ominöse Mardukinstitut zu suchen. Vor knapp zwei Monaten hatte sich Urusawa bei ihm verabschiedet, er sagte dass er an etwas ,Großem' dran wäre, und dafür nach Italien müsse.

"Ikari-san, woher wissen sie so genau dass sich Keyko nach seiner Ankunft in Neo-Tokyo direkt jemandem anvertrauen will?"

[Welche Entdeckungen hat er in Italien gemacht?]

Gendo schwieg, Kaji ausgiebig musternd.
 

[Empfänger: Ikari Gendo - Nerv

Datum: 25. November 2015 > Nachricht 3/3

Absender: Unbekannt

---

Für uns steht fest dass weitere Engel kommen werden. Der Zeitpunkt des nächsten Angriffes wird in circa zwei Tagen stattfinden, bereiten sie bis dahin das nötigste für eine Gegenoffensive vor.]
 

Shinji hatte seinen ersten Schultag hinter sich gebracht. Und irgendwie missfiel es ihm, diese Einrichtung noch ein zweites Mal zu betreten. Er hasste es ,der Neue' zu sein. Denn so war er im Zugzwang auf fremde Menschen zuzugehen, da es ihm sonst verwährt blieb zwischenmenschliche Kontakte zu knüpfen.

Der eigentliche Unterrichtsstoff war nicht der Rede wert. Aber das hatte er auch nicht anders erwartet.

Egal, im Moment schlich er sich durch etliche kalte Gänge der Nervzentrale um Misatos gestrigen Vorschlag aufzugreifen und das Mädchen ,Rei' besuchen zu gehen.

Und irgendwie hatte er sich verlaufen, er suchte in diesen menschenleeren Gängen nach Leuten die er fragen konnte wie er zur Krankenstation kam.

Misato hatte ihm gestern keine Antwort gegeben, was seine Frage anbelangte warum er nun so plötzlich einer von Nerv war. Was sollte Shinji hier eigentlich tun?

Und warum wollte er überhaupt dieses ihm völlig unbekannte Mädchen besuchen?

Der Junge verwarf diesen Gedanken schnell wieder als er eine Frau mit langem weißen Kittel - eindeutig eine Wissenschaftlerin - und Klemmbrett in der Hand sah. Er fragte sie mutlos nach dem Weg zu Station, und bekam schnell eine recht unkomplizierte Wegbeschreibung als Antwort.
 

Da lag sie also. Rei - er erkannte ihr Gesicht eindeutig wieder - schlafend in einem Raum zwischen etlichen Medikamenten, Verbänden, Infusionen und einem schrill piependen EKG. Sie machte einen ruhigen Eindruck, als ob es besser wäre sie nicht aufzuwecken.

Leise schlich Shinji näher zum Bett hin, er wollte sie aus der Nähe sehen. Aber kaum als er direkt neben dem Bett stand, schlug Rei die Augen auf und drehte den Kopf langsam zu ihm hin.

"Wer bist du?", fragte sie fast tonlos. Er verstand aber jede einzelne Silbe, genauso wie er verstand dass sie nicht viel von seiner Anwesenheit hielt. Sie war eine Patientin die Ruhe brauchte - wieder fragte sich Shinji was er eigentlich hier sollte.

"Ich... habe dich gestern gesehen", stotterte er verwirrt und begriff schnell dass dem Mädchen diese Antwort nicht sonderlich viel sagen würde.

"Was machst du hier?"

Shinji merkte förmlich wie er rot anlief. Nicht nur weil ihm diese Situation irgendwie peinlich war, sondern auch weil er nicht wusste wie er die Frage beantworten sollte.

Aber er hatte sowieso keine Gelegenheit zu einer Antwort anzusetzen. Die Tür des Krankenzimmers ging hinter ihm auf, der Junge drehte sich zu dem Besucher herum.

"Papa!"

Shinji erkannte seinen Vater auf Anhieb. Zum ersten Mal seit einer Ewigkeit sah er ihn wieder in Fleisch und Blut. Gendo trug einen langen Mantel und eine getönte Brille, und machte allgemein einen ziemlich abweisenden Eindruck.

"Was willst du hier, Shinji?"

Sein kalter Wortlaut irritierte den Jungen noch mehr, und machte ihn irgendwie wütend.

"Wenn du hier nichts zu tun hast, dann geh wieder und lass dem Mädchen ihre Ruhe." Gendo warf einen besorgten Blick zu Rei und in diesem Moment verspürte Shinji eine enorme Eifersucht in sich aufkeimen.
 

"Ich habe Shinji eben getroffen!", verkündete Ritsuko mit einer heißen Tasse Kaffee in der Hand zu ihrer Kollegin Misato. "Er hat mich nach dem Weg zur Krankenstation gefragt und sah ziemlich verwirrt aus."

Misato verkniff sich ein sarkastisches Grinsen und starrte stattdessen besorgt aus dem Fenster hinaus. Draußen, in den Straßen Tokyos regnete es in Strömen.

"Er hat mich gestern nach Rei gefragt. Ich habe ihm vorgeschlagen sie auf der Krankenstation besuchen zu gehen."

"Rei?" Dr. Akagi machte ein perplexes Gesicht. "Der Junge kennt sie doch gar nicht."

Misato zog es vor, schnell das Thema zu wechseln. "Was meint Magi zu den Proben die wir von dem Engel haben?"

Ritsuko schob sich ihre Brille zurecht. "Magi - unser Supercomputer scheint mit diesen Proben überfordert zu sein. Er kann das Gewebe nicht analysieren." Sie schüttelte den Kopf. "Andererseits konnte man die Überreste des Engels auch nicht mehr als ,Gewebe' bezeichnen."

"Ja, das Vieh sah ziemlich zerfetzt aus nachdem sich die UNO eingemischt hat."

Misato blickte gelangweilt auf den Bildschirm ihres Computers und tippte weiterhin an Erklärungen und Berichten über die gestrige Schlacht, die Nerv dann im Namen von Gendo an alle wichtigen Verfassungsorgane der Nationen senden würde.
 

Kaji ging aufgewühlt im Zimmer auf und ab. Shinji und Misato waren noch nicht da, und so brauchte er nicht so zu tun als wäre er sorgenfrei und gut gelaunt. Soeben wurde ein Brief für ihn abgegeben - und nach einer dunklen Vorahnung stellte sich tatsächlich heraus dass dieses Schreiben von Keyko Urusawa kam. Sein alter Freund hatte ihn morgen Abend in einer kleinen Kneipe ,auf ein Bier' eingeladen.

Kaji wusste direkt dass mehr dahinter steckte. Und er wusste auch dass er Gendo Ratschlag ignorieren und dieses Treffen auf keinen Fall verpassen würde.
 


 

PHASE 4: KAJI
 

"Wo zum Teufel ist dieser Schwachkopf eigentlich?!?" Misato war aufgebracht, sie hatte sich erst nach zwei großen Schlucken Bier wieder unter Kontrolle. Als ihre Schicht bei Nerv gestern beendet war und sie durch das Haupttor auf den Parkplatz gehen wollte, fiel ihr Shinji auf, der mit besorgniserregend deprimiertem Gesicht auf einer Bank saß und irgendwie ins Nirgendwo starrte. Sie war auf ihn zugegangen, und wenige Minuten später saßen sie beide in ihrem Wagen und fuhren zurück nach Hause.

Dort angekommen war Kaji nicht da. Gut, es war am frühen Abend und vermutlich hatte er seine Gründe gehabt weg zu gehen ohne eine Nachricht zu hinterlassen - aber heute morgen war er immer noch nicht da!

Misato öffnete entnervt eine neue Dose Bier. Shinji betrachtete sie irritiert und versuchte sich auf das Rührei zu konzentrieren, dass er sich zum Frühstück zubereitet hatte.

Pen Pen schlummerte immer noch in seinem Kühlschrank, ihn interessierte es nicht ob Kaji da war oder nicht, solange er regelmäßig sein Frühstück bekam.

"Wie kommst du mit der Schule zurecht?", fragte Misato Shinji um sich abzulenken.

"Gut, gut", meinte der Junge beiläufig. Er hatte ihr gestern nicht erklären können warum er in diesem zermürbten Zustand auf der Bank vor dem Nervparkplatz saß. Es war im unendlich peinlich gewesen, dass Misato ihn in dieser Situation sah.

Aber er selbst konnte nur noch an seinen Vater denken. Die Art wie Gendo auf ihn herab gesehen hat, und wie er dieses Mädchen gleichzeitig mit seinen Blicken umsorgte..!

Doch nach einem kurzen Blick auf die Uhr bemerkte er, dass er eigentlich gar keine Zeit hatte sich darüber Gedanken zu machen. Die Schule fing gleich an, und er musste sich auf den Weg machen um nicht zu spät zu kommen.

"Ich muss gehen, Misato", verabschiedete er sich trocken und bekam ein säuerliches Grummeln als Antwort. Schließlich verließ der Junge den Wohnungskomplex.
 

Shinji staunte nicht schlecht als Kaji plötzlich in seinem Auto neben ihm Halt machte.

"Komm schon, ich hol dich ein Stück mit."

Der Verlorengeglaubte zog lässig an seiner Zigarette und machte für Shinji die Beifahrertür auf, doch letzterer wusste nicht Recht ob er dieses Angebot annehmen sollte oder nicht. Ihm war von Anfang an klar dass mehr dahinter steckte.

"Du wirst zur spät zur Schule kommen, Shinji!"

Letztenendes zeigte der Junge ihm das Vertrauen und stieg widerwillig ein.
 

[Empfänger: Ikari Gendo - Nerv

Datum: 26. November 2015 > Nachricht 1/1

Absender: Unbekannt

---

Neue Berechnungen haben unsere gestrige These bestärkt: Morgen wird der nächste Engel in der Gegend um NeoTokyo auftauchen. Wie wir hörten geht es der momentanen EVA 00 Pilotin noch nicht besser, wodurch wir ihnen raten wollen einen weiteren Piloten einzuweihen.]
 

"Misato war sauer weil du die ganze Zeit weg warst", meinte Shinji verwirrt und blickte auf Kaji, der deutlich sicherer autofahren konnte als Katsuragi.

"Misato wird in Zukunft längere Zeit ohne mich auskommen müssen", antwortete der Fahrer trocken ohne den Jungen anzusehen. "Dann wirst du hoffentlich dafür sorgen, dass sie keinen Unsinn macht."

Shinji war verwirrt, versuchte aber einen souveränen Eindruck zu machen und nickte zaghaft.

"Und noch etwas Shinji", fing Kaji bedeutungsschwanger an. "Ich wollte dir eigentlich noch sagen dass du gut mit Rei auskommen sollst, aber das kann ich mir wohl jetzt verkneifen. Stattdessen rate ich dir deinen Vater zu ignorieren."

"Woher..?"

Kaji seufzte. "Gendo hat mich angerufen. Er hat mich in einer ungewohnt freundlichen Art darum gebeten, dir auszurichten dass du ihn vergessen sollst."

"Was?!?" Shinji schreckte auf, mit so etwas hatte er wirklich nicht gerechnet. Natürlich wusste er von der abweisenden Haltung Gendos ihm gegenüber, aber die Worte Kajis vermochten wirklich Shinji völlig aufzuwühlen.

"Mach dir nichts draus. Gendo ist irgendwann im Laufe der Zeit zerbrochen, ich bezweifle dass er jemals wieder für irgendjemanden Zuneigung entwickeln kann."

"Was ist mit Rei?", erwiderte der Junge grummelnd.

"Rei ist etwas ganz Anderes." Kaji grinste sarkastisch. "Sie hat eine merkwürdige Ausstrahlung, findest du nicht?"

Shinji schwieg.
 

"Wir haben erste Ergebnisse von NEC erhalten." Ritsuko nahm eine Akte von ihrem Schreibtisch und gab sie der perplex aussehenden Misato. "Da ihr EVA 00 nun endlich fertig ist, hat man einen Probelauf mit dem Piloten gemacht."

"Und?", fragte Misato ohne sich zu bemühen die Akte aufzumachen und selbst darin zu lesen.

Dr. Akagi seufzte und griff sich ihre Kaffeetasse. "Nichts besonderes. Clade hat verhältnismäßig gut mit der Maschine synchronisiert, aber an Rei kam er bei weitem nicht ran."

Nun öffnete Katsuragi doch neugierig die von Ritsuko gereichte Akte. ,Synchronwert: 70%' las sie ab, bei Ayanami hatte man Werte von wenigstens 90% verzeichnet.

"Wie geht es Rei?", fragte sie plötzlich.

Ritsuko stellte fest dass ihr der Kaffee bei weitem zu heiß war, und stellte die Tasse wieder auf ihren Schreibtisch. "Sollen wir zur Krankenstation rübergehen?"

Anfangs reizte Misato der Gedanke, ihr langweiliges Büro verlassen zu können, doch eigentlich wollte sie das seltsame Mädchen fürs erste in Ruhe lassen. "Später vielleicht."

Dr. Akagi zuckte mit den Schultern und blickte wieder sehnsüchtig auf ihren Kaffee.
 

Rei lag immer noch auf der Krankenstation, sie war es nicht gewöhnt so lange ans Bett gefesselt zu sein. Eine Infusionsnadel steckte in ihrem Arm.

Und plötzlich hatte sich alles verändert. Sie lag nicht mehr in einem steril-weißen Krankenzimmer, die beeindruckende Gabe zu träumen hatte sie direkt an einen einsamen Strand katapultiert. Rei hörte den kreischenden Vögel am Himmel zu, genoss dass beruhigende Geräusch der Wellen.

[Und dann war da noch Shinji.]

Rei hatte Gendo nach dem Jungen gefragt. Sie wollte wissen wie die Person hieß, die sie in ihrem Krankenzimmer besucht hatte.

[Shinji.]

"Ayanami?" Shinji stand im trockenen Sand und ließ sich seine Verwirrung deutlich anmerken. Er hatte keine Ahnung warum er sich plötzlich mit Rei an einem endlosen Strand befand.

"Shinji, endlich habe ich dich gefunden." Rei lächelte ihn freundlich an. Der Junge erwiderte ihre Geste zögerlich.

"Rei... Du hast mich gesucht?"

Das Mädchen ging mit einem spitzbübischem Grinsen auf ihn zu. "Jemanden den ich lieben kann", verbesserte sie ihn.

Ikari dachte noch über ihre Worte nach, als ihn eine eher unbekannte Stimme wieder in die Realität zurück holte.

"Stinklangweilig, was?" Toji grinste ihn an.

Shinji schreckte auf, er war in der Schule eingeschlafen! Ein Blick auf die Uhr bestätigte ihm, dass er in der letzten Schulstunde eingenickt sein musste! Der Klassenraum war nun völlig leer, abgesehen von Toji und Kensuke die scheinbar auf ihn gewartet hatten. Zwei Menschen die sich ihm am gestrigen Tag vorgestellt hatten und langsam zu Sympathiefiguren für den Jungen wurden.
 

Der Tag verging. Nachdem er Shinji zur Schule gefahren hatte, begann für Kaji eine endlose Autofahrt ohne Ziel. Er fuhr einfach die Straßen entlang, versuchte sich abzulenken.

Vergeblich. Am Abend hatte er wieder den Ausgangspunkt seiner Reise erreicht und musste das drohende Risiko eingehen und seinen Freund treffen. Gendo hatte Recht - Kaji würde damit sein Todesurteil unterschreiben.

Aber eigentlich war es dem Söldner egal. Er hatte es satt, eine Marionette unter Gendo zu sein. Als Kaji die Kneipe betrat wurde er von zwei Nerv-Spionen dabei beobachtet.

"He!", hörte er eine bekannte Stimme an einem der Tische hören. "Kaji! Endlich treffen wir uns wieder!"

Keyko saß breit grinsend mit einem Bier in der Hand auf einem Stuhl und winkte seinen alten Freund zu sich hin. Es begann eine längere Konversation, die Kaji schließlich das Leben kosten sollte.

[Aber noch nicht jetzt]
 

"Verdammt, wo ist Kaji nur!?!" Misato war völlig außer sich, sie schmetterte eine leergetrunkene Bierdose gegen die Wand und schnappte sich in einem blitzartigen Handgriff die nächste. Shinji war schnell in seinem Zimmer verschwunden und hörte Discman, er wollte nicht Opfer von Misatos Wutattacken werden.

Zumal er ihr bewusst verschwiegen hatte, Kaji heute morgen gesehen zu haben.
 

Während am Tresen die Stimmung nicht gerade überschwappte, und nur mehr oder weniger belanglose Alkoholgespräche geführt wurden, fand in der hintersten Ecke der Kneipe eine Konversation von höchster Wichtigkeit statt. Keyko erzählte Kaji alles was er in den letzten Tagen erlebt hatte, und enthüllte damit zumindest ansatzweise die dunklen Geheimnisse -

"... des Vatikans!" Kaji starrte seinen Freund ungläubig an. "Du warst im Vatikan?"

Keyko lächelte. "Streng genommen nicht. Ich war nicht in Vatikanstadt, aber im Vatikanspalast in Rom, der Residenz des Papstes. Und dem Aufenthaltsort der vatikanischen Bibliothek." Kaji gaffte auf seinen Gegenüber als hätte er es mit einem Alien zu tun, Keyko musste Sekunde für Sekunde mehr grinsen. "Du weißt dass der Vatikanspalast perfekt geschützt wird. Sogar direkt nach dem second Impact wurde das Gebäude von allen Seiten bewacht. Es wurde besser geschützt als alle wichtigen amerikanischen Ministerien zusammen. Und in den mysteriösen Keller des Vatikans, kommt selbst der Papst nicht so einfach rein."

"Und du warst da drin?", spottete Kaji sarkastisch.

"Ja", entgegnete Keyko trocken. "Und es war verdammt schwer. Nicht nur dass ich fließend italienisch und englisch sprechen lernen musste - ich hatte mehrere verschiedene Identitäten und etliche gefälschte Genehmigungen. Und damit kam ich auch wirklich nur in die tiefen Gemächer des Palastes hinein - aber keinen Schritt in die Keller. Diesen besonderes Zugang musste ich mir verschaffen indem ich gegen circa zwanzig Gesetze verstoßen hab. Ich war kaum in der ersten Halle der Katakomben drin, als ich entdeckt wurde und nur mit Mühe aus dem Palast wieder fliehen konnte. Ich habe nur durch Glück überlebt."

"Was hast du in den Katakomben gesehen?", fragte Kaji hastig. In ihm brodelte eine enorme Neugierde und Sensationslust hervor.

"Die Vatikanbibliothek enthält mittlerweile mehr als 20000 Bücher, davon mehr als 15000 unbezahlbare Unikate. Ich habe im Keller eine andere Bibliothek gesehen - Bücher die aus gutem Grund von der Kirche verboten wurden. Satanistische Schriften, Beschwörungsformeln, etliche Bücher die auf verschiedene Art und Weise den Weltuntergang prophezeiten. Leider konnte ich mich wie gesagt nicht lange in diesem Raum aufhalten."

"Also hast du keine Beweise?"

Keyko grinste wieder und kramte in seiner Hemdtasche. Er zog ein altes vergilbtes Leintuch hervor und legte es Kaji hin. "Ich fand diesen Fetzen in einem der Bücher und hab es mit geholt."

Kaji sah sich das Motiv des kleinen Tuches an und zuckte innerlich zusammen. Das Bild auf dem Stoff war farblich so verblasst, dass es mehr als Fünfhundert Jahre alt sein musste - aber es zeigte eine Kreatur die Kaji erst vor wenigen Tag sah.

Es war der Engel, den Rei besiegt hatte.

[Wie kann dass sein???]

Keyko zog sein Bierglas an sich und entleerte es in einem Zug. Danach grapschte er sich sein Leintuch und steckte es wieder ein; Kaji machte einen perplexen Gesichtsausdruck.

"Aber eines weiß ich sicher", fing Keyko erneut an, "in den Katakomben des Vatikans sind nicht nur Bücher... Ich habe merkwürdige Geräusche gehört, und es verliefen etliche Stromkabel am Boden. Ich will nicht zuviel vermuten, aber ich glaube, dass sich in diesem Keller etwas von unschätzbarem Wert befindet."
 


 

ENDE KAPITEL 1
 


 


 


 


 

VORSCHAU: PHASE 5 (12. DEZEMBER 2015)
 

Shinji hat sich mit Toji und Kensuke angefreundet und bereits zwei Engel mit Rei's Hilfe besiegt
 

Keyko Urusawa versteckt sich vor NERV-Agenten
 

Misato hat nun schon 17 Tage nichts mehr vom plötzlich verschwundenen Kaji gehört
 

Waechter schickt ihr First Children Asuka zu NERV, um Shinji und Rei beim Kampf gegen die Engel zu helfen

12. Dezember - 16. Dezember

KAPITEL 2: 12. DEZEMBER - 16. DEZEMBER
 


 

PHASE 5: VERLUST
 

Irgendetwas fehlte in ihrem Herzen. Kaji hatte nur wenige Wochen bei ihr gelebt, aber sie hatte ihn mit all seinen Fehlern schätzen und lieben gelernt. Seit 17 Tagen war er nun verschwunden.

Mittlerweile zählte sie bereits die Tage; am 25. November hatte sie ihn zuletzt gesehen, dann war er wie vom Erdboden verschluckt.

Am 27. November tauchte dann der zweite Engel auf. Rei hatte sich noch nicht so recht erholt, und somit hatte Shinji seinen ersten Einsatz. Natürlich hatte der Junge eine höllische Angst, und hätte fast alles verpatzt - am Ende mussten sie Rei doch aus ihrem Tiefschlaf im Nerv-Krankenhaus wecken und sie in den EVA 00 schicken.

Misato dachte schmunzelnd an diesen Tag, wie Shinji ein totales Nervenbündel war und danach zwei Tage nichts anderes als Joghurt essen konnte.

Der nächste Engel kam dann am 9. Dezember, vor drei Tagen. Shinji hatte bereits mehrere Tests hinter sich und wirkte ein ganzen Stück souveräner, mit Rei's Hilfe fiel es ihm leicht den Engel zu besiegen. Aber der Junge war sowieso in all den Tagen sehr viel selbstbewusster geworden. Vielleicht lag es an seinen neuen Freunden, Toji Suzuhara und Kensuke Aida die ihn nun jeden Tag zur Schule abholten. Oder es lag an -

"Misato!!!" Katsuragi hörte Shinji aufgebracht ihren Vornamen schreien. Es war früh am Morgen, gleich würde er in die Schule gehen.

"Was ist los, Shin-chan?", fragte sie unschuldig und sah den gerade erst aufgewachten (und zugegeben etwas zerzausten) Jungen schmunzelnd an.

"Du solltest heute morgen Frühstück machen - so steht es auf dem Küchenplan!"

Misato zuckte innerlich zusammen - hatte sie doch bei ihrem morgendlichen Monolog ihre Pflichten vergessen! Aber Shinji hatte es bereits aufgegeben sie wütend anzufunkeln, er schob zwei Scheiben Brot in den Toaster und verschwand ins Bad.
 

[Empfänger: Ikari Gendo - Nerv

Datum: 12. Dezember 2015 > Nachricht 1/1

Absender: Unbekannt

---

Weitere Engel werden in den nächsten Tagen um Neo-Tokyo auftauchen. Wir haben bereits NEC und Waechter informiert, und im Namen des NERV-Hauptquartiers um Piloten gebeten. NEC wird in dieser Hinsicht bis zum Ende des Monats warten, aber Waechter wird übermorgen ihr First Children Soryu Asuka Langley als Hilfe für NERV nach Tokyo schicken. Richten sie sich darauf ein.]
 

Und immer wieder fiel sein Blick auf Rei. Sie saß zwei Bankreihen vor ihm und starrte leblos auf ihr aufgeschlagenes Heft, während der Lehrer etwas von Trigonometrie erzählte. Er hatte sich bis jetzt noch nicht getraut, ein wirkliches Gespräch mit ihr anzufangen - aber im Moment reichte es ihm ihren Hinterkopf anzustarren.

Dann klingelte es zur Pause, und sofort sammelten sich Toji und Kensuke um Shinjis Tisch.

"Hey, wie ist Misato eigentlich so privat???", fragte Suzuhara stürmisch, der genauso wie Aida von der gutaussehenden erwachsenen Mitbewohnerin Shinjis fasziniert war.

"Schlampig", murmelte Shinji vor sich hin und blickte instinktiv auf Rei's blaue zottelige Frisur.

Und plötzlich drehte sich Rei nach hinten um und sah den Jungen mit nichtssagendem Blick an. Er stockte.

Aber nichts passierte, eine Sekunde später hatte das Mädchen ihren Blick wieder in ihr aufgeschlagenes Heft vertieft. Toji hatte das ganze Schauspiel schmunzelnd beobachtet.

"Hey, soll ich für dich und Rei was arrangieren?"

Shinji ging auf Suzuharas Stichelei nicht ein, und letzterer hatte auch keine Zeit sich darüber zu beschweren - sofort wurde Toji von der Klassensprecherin Hikari gepackt und in schreiendem Wortlaut darauf hingewiesen dass er diese Woche mit dem Putzdienst an der Reihe war, und er sich heute nicht wie gestern davor drücken sollte.

Aida beobachtete die Situation mit einem breiten Grinsen, und auch Shinji's Miene entspannte sich langsam wieder. Ständig gab es Ärger zwischen Hikari und Toji.
 

"Immer noch nichts neues von Kaji?", fragte Ritsuko in der Mittagspause als sie mit Misato in einer entlegenen Ecke der Cafeteria saß.

"Nein", seufzte Katsuragi und versuchte sich ihre Trauer nicht anmerken zu lassen. Sicherheitshalber wechselte sie schnell das Thema. "Hat man irgendetwas neues über die Struktur der Engel herausgefunden?"

"Unser Supercomputer ist damit überfordert, nix zu machen."
 

Die Schule war vorbei und der Klassenraum war fast leer. Shinji befand sich mit Kensuke und Toji gerade auf dem Heimweg, während Rei mit Hikari den Klassenraum putzte. Hikari war eigentlich gar nicht mit Putzen an der Reihe, aber sie half dem blauhaarigen Mädchen als Vorwand um mit ihr ins Gespräch zu kommen. Sie hatte keine Ahnung was in Ayanami den ganzen Tag vor ging, und das wollte sie schleunigst ändern (schließlich war Hikari Klassensprecherin!).

"Verstehst du dich mit Shinji gut?", fragte sie und sah zu wie Rei unbeholfen mit dem Besen hantierte.

"Es geht", so die knappe Antwort.

"Er scheint dich zu mögen."

"Kann sein."

"Hey", fing Hikari fröhlich grinsend an, "wenn du Shinji erobern willst solltest du deine weiblichen Reize spielen lassen!"

Rei sah die Klassensprecherin perplex und etwas verärgert an, und sofort hörte letztere auf zu Grinsen. Stattdessen ging sie auf Ayanami zu und wies auf den Besen.

"Du musst ihn fester halten, so wie du kehrst wird der Raum wohl nie sauber werden." Wieder deutete Hikari ein freundliches Lächeln an, doch Rei erwiderte die Geste nicht sondern umklammerte den Besenstiel energischer.
 

Misato saß gelangweilt vor dem PC des Büros, das sie sich mit Ritsuko teilte. Letztere schien irgendwo im Nerv-Gebäude herumzulaufen, denn obwohl ihre Pause bereits seit einer halben Stunde vorbei war, befand sich Misato allein in dem Raum.

Genervt schaltete sie die einzelnen Überwachungskameras auf ihren Monitor. Die erste Kamera zeigte einen momentan leeren Gang, der direkt zu Cage 1 führte. Kamera 2 filmte einen leeren Abstellraum in dem sich verstaubte Akten befanden, Kamera 3 zeigte auf eine kleine Kammer in der sich die Putzutensilien befanden -

... bewegte sich da etwas???

Misato sprang energisch von ihrem Stuhl hoch. Irgendjemand schien sich hinter den zahlreichen leeren Eimern und Flaschen zu verstecken!

Katsuragi verließ ruckartig ihr Büro um der Sache auf den Grund zu gehen.
 

"Also ist Shinji nichts für dich?", fragte Hikari grinsend während sie Rei auf ihrem Heimweg begleitete. Sie wollte den Blauschopf nicht allein gehen lassen, sie wollte sich ihr Vertrauen gewinnen.

"Weiß nicht."

"Hast du einen anderen Freund?"

"Ich habe keine Freunde", antwortete sie emotionslos. Hikari stockte und warf einen verwirrten Blick auf Rei's Gesicht um an ihren Augen den Wahrheitsgehalt der Aussage ablesen zu können. Ayanamis Augen starrten ohne einen Ansatz von Belustigung nach vorne.

"Warum nicht?", fragte die Klassensprecherin perplex und ein wenig eingeschüchtert.

"Sie haben keinen Wert."

Rei vermittelte ein merkwürdiges Bild von sich selbst. Sie schien fast schon unmenschlich emotionslos, auf der anderen Seite aber auch stark und widerstandsfähig.

Und wirklich nicht gesellschaftsfreudig.

"Warum gehst du mit mir?", fragte Ayanami plötzlich und irritierte Hikari noch mehr.

"Ist dir meine Anwesenheit unangenehm?"

"Nein. Eher ungewohnt."
 

Abstellraum 04 - Misato stand direkt vor dem Ziel ihres kurzen Ausflugs. Die Tür ging mit einem kurzen Summen auf und zeigte eine kleine muffige Kammer die mit allerlei Putzutensilien voll gestapelt war. Wenn sich hier jemand verstecken sollte, musste er wirkliche Probleme am Hals haben.

"Ist da jemand?", fragte sie unbeholfen in den Raum und lugte durch die nebeneinander aufgetürmten Eimer.

Sie hörte eindeutig ein Atmen.

Blitzschnell hatte Katsuragi ihre Dienstwaffe in der Hand und hielt sie ausgestreckt vor sich.

"Misato Katsuragi - Nerv! Identifizieren sie sich!"

Zuerst blieb alles still, dann hörte sie eine leise Antwort.

"Keyko Urusawa."

Keyko Urusawa? Der Freund von Kaji???

"Wissen sie wo Kaji ist???"

Anstatt einer klaren Antwort war zuerst nur ein schweres Seufzen zu hören. Dann gab Keyko eine klare Arbeitsanweisung.

"Verriegeln sie dir Tür hinter sich und setzen sie die Sicherheitskamera in diesem Raum außer Gefecht."
 

Hikari musterte luftschnappend Rei's triste, kalte und völlig trostlose Wohnung. Als die beiden vor wenigen Minuten noch unten an der Straße waren wollte Rei die Klassensprecherin schon verabschieden. Doch Hikari blieb stark und antwortete dass sie nicht eher gehen würde bis sie einmal in Ayanamis Wohnung gewesen wäre.

Aufdringlich, aber effektiv. Hikari wollte mehr über Rei erfahren.

Doch diese lieblosen vier Wände verschlugen ihr wahrlich den Atem.

"Hier lebst du also?"

Rei antwortete mit einem verwirrten Blick, sie wusste nicht was an diesem Ort seltsam sein sollte.

"Völlig einsam in dieser trostlosen Wohnung?"

"Geh jetzt bitte wieder."
 

"Kennst du Kaji gut?", fragte Keyko die junge Frau.

"Ja, und egal wohin er verschwunden ist, ich hätte ihn gern wieder."

Keyko seufzte. "Ich war mit Kaji etliche Monate auf der Suche nach dem Mardukinstitut; ich kenne ihn auch gut. Vor mehr als 2 Wochen habe ich mich mit ihm in einer Kneipe getroffen und ihm von meiner letzten Operation erzählt - ich scheine ihn wohl neugierig gemacht zu haben."

Die Abstellkammer war abgeschlossen und verdunkelt. Misato hatte die kleine Überwachungskamera in der Ecke des Raumes mit einem gezielten Schuss ihrer Dienstwaffe außer Gefecht gesetzt.

"Warum verstecktst du dich hier, Keyko?"

"Ich habe zu viel gesehen, eure Leute sind hinter mir her."

"Unsere Leute???"

"Gendo hat mich seitdem ich in Japan angekommen bin, ausspionieren lassen. Du kennst ihn doch."

Misato atmete tief durch, diese Geschichte schien ihr nun deutlich zu unwirklich. "Wenn Nerv hinter dir her ist - warum versteckst du dich dann ausgerechnet im Nerv Hauptquartier?!?"

Keyko lachte kurz auf. "Erstens würde Nerv mich hier niemals erwarten - zweitens will ich hier etwas für Unruhe sorgen..."

Katsuragi fiel auf dass sie immer noch ihre Dienstwaffe ihren verschwitzten Händen hielt. Sicherheitshalber steckte sie die Pistole wieder ein.

"Aber wo ist Kaji nun?", fragte sie schließlich.

"Er wird wohl auf meinen Spuren weiterforschen. Also ist er in..."

Mit einem heftige Ruck ging die Tür auf. Der Code von Misato der dass Portal verriegelt hatte, schien außer Gefecht gesetzt worden zu sein und machte nun den Weg für fünf bewaffnete Nervagenten frei. Blitzartig zielten sie mit ihren Pistolen auf die völlig verschrockene Misato.

"Machen sie Platz, Offizier Katsuragi."

Misato verließ widerwillig den Raum.

"Gehen sie zurück in ihr Büro, mit Keyko werden wir allein fertig."

Als die Frau sich anfangs nicht vom Fleck bewegte, wurde sie grob von einem der Männer am Arm gepackt und weggeführt. Sie musste Keyko zurücklassen, und das Rätsel um Kajis Verschwinden schien sich immer mehr zu verkomplizieren.
 


 

PHASE 6: FASZINATION DER NEUEN EXISTENZ
 

"Hey, habt ihr schon das neuste über die UN gehört?", fragte Kensuke aufgeregt als er mit Shinji und Toji am folgenden Tag zur Schule ging.

"Aida-kun - wir haben selbstverständlich NICHT das neuste über die UN gehört weil es uns nicht interessiert!"

Kensuke grinste über Tojis ungehaltene Äußerung. "Das hier wird euch aber sehr interessieren! Vor allem dich, Shinji!" Der angesprochene Junge blickte Aida fragend an. "Die UN transportiert heute ein ,unbestimmtes Objekt' unter enormen Sicherheitsaufwand von Deutschland nach Neo Tokyo!"

Shinji blickte Aida immer noch fragend an.

"Das kann doch nur ein neuer EVA sein!!!"

Nun wurde Aida nicht nur von Ikari sondern auch von Toji skeptisch angesehen, als zweifle man am Geisteszustand des Ersteren.

"Ihr habt alle kein Gespür für wichtige Neuigkeiten", brummte Kensuke verstört, und die anderen beiden konnten ihr Gelächter nicht länger zurückhalten.

"Das muss doch selbst für euch offensichtlich sein! Ein großer schwerer und gut bewachter Transport für ein ,unbestimmtes Objekt' aus Deutschland - da hat doch bestimmt Waechter seine Finger im Spiel!"

"Warum sollte Waechter uns ihren EVA schicken?"

Aida grinste Shinji schelmisch an. "Vielleicht weil du und Rei nicht allein mit den Engeln fertig werdet?"

Toji grinste gut gelaunt mit. "Oder um mich vor Hikari zu beschützen!"

"Ich weiß nicht", meinte Shinji nachdenklich, "ich glaube du und Hikari würdet gut zusammenpassen!"

Suzuhara verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust. "Keine 10 EVAs könnten mich mit dieser Schreckschraube zusammen bringen!"

"Mal sehen", meinte Aida verschwörerisch und beendete das Gespräch.
 

[Empfänger: Ikari Gendo - Nerv

Datum: 13. Dezember 2015 > Nachricht 1/1

Absender: Winston Druchov - Waechter

---

Ich freue mich ihnen mitteilen zu können, sie in Zukunft durch einen unserer Piloten verstärken zu dürfen. Es handelt sich dabei um unser hochtalentiertes First Children Soryu Asuka Langley, die morgen um 16 Uhr im Flughafen von Tokyo eintreffen wird. Wir hoffen dass sie eine Unterkunft für Asuka bereitstellen können, und wünschen ihnen viel Glück für die Zukunft.]
 

"Und, was wollte Gendo von dir?", fragte Ritsuko ihre Kollegin Misato, die gerade den Raum betrat.

"Du warst bei Gendo?", platzte Maya die von ihren PC hervorschaute dazwischen und blickte Katsuragi neugierig an.

"Wir bekommen Verstärkung", verkündete Misato trocken. "Waechter schickt ihr First Children Soryu Asuka Langley zu uns."

"Klingt doch großartig! Was ist mit dem EVA?"

"Asukas EVA wird gerade per UN Flugtransporter hier hin geschafft, vermutlich ist er heute Abend schon da." Misato legte zahlreiche Akten und CDs auf Ritsukos Schreibtisch. "Das sind alles Unterlagen über EVA und die Pilotin - du sollst sie kurz für Gendo überfliegen."

"Ich werd mich sofort an die Arbeit machen! Wie ist Asuka denn als Pilotin so?"

"Ihre Synchronwerte sind höher als die von Shinji und Rei."

Ritsuko klatschte mit einem breiten gut gelaunten Lächeln in die Hände. "Großartig! Und warum machst du dann so ein geknicktes Gesicht?"

Misato seufzte. "Wir sollen für Asuka eine Wohnung bereitstellen, und Gendo hat angeordnet dass sie bei mir unterkommt."

"Weiß Shinji schon davon?"

"Wie denn - wo ich es doch selbst erst vor fünf Minuten erfahren hab! Er wird ganz schön irritiert sein."

"Ach was, ich glaube diese Asuka ist ein gutes Mädchen! Ein bisschen mehr Kontakt mit anderen Leuten wird unserem Shinji gut bekommen!"

Misato seufzte wieder und ließ sich in ihren Stuhl fallen. "Nebenbei, Ritsuko - kannst du mal nachgucken ob du in unseren Archiven etwas über ,Keyko Urusawa' findest?"

Die angesprochene Frau zog die Augenbraue hoch. "Keyko Urusawa? Wer ist das? Dein neuer Macker?"

"Pah, schön wär's..."

Misato schnappte sich Ritsukos halbvolle Kaffeetasse und nahm einen tiefen Schluck von dem heißen Gebräu.
 

"Shinji, kannst du mir Geld leihen?" Kensuke ging in der Pause zu Ikaris Tisch hinüber und blickte ihn fragend an. Auch Suzuhara schaltete sich ein und wartete auf einen Moment um sich in diese Unterhaltung einzumischen.

"Wofür?"

"Ich hab gestern in einem Schaufenster gesehen dass Generals 4 jetzt endlich auf dem Markt ist! Ich MUSS es haben!"

Shinji blickte ihn stutzig an. "Generals 4?"

"Na ja, diese neue super-realistische Kriegssimulation", erklärte Aida gefesselt. "Mir fehlen noch 2000 Yen, dann kann ich es mir direkt nach der Schule kaufen!"

Ikari dachte einen Moment lang nach. "Okay, aber dafür will ich ne Runde mitspielen."

"Logisch!", freute sich Aida und fing sofort begeistert an zu erzählen. "Ich hab gelesen dass man sogar eine Fokker D 7 mit der Originallackierung aus dem zweiten Weltkrieg fliegen kann!"

Suzuhara fing an zu grinsen und schlug Kensuke auf die Schulter. "Warum gehst du eigentlich noch in die Schule? Los - auf in die Schlacht, Soldat!"

Aida runzelte die Stirn und Shinji brach in schallendes Gelächter aus, er teilte mit Toji die Meinung dass Kensuke viel zu viel Freizeit hatte und eindeutig ne Freundin brauchte.

"Hey, ihr wisst doch, ich bin hundertprozentiger Pazifist!", beteuerte Kensuke standhaft.

"Und dann willst du tatsächlich ein EVA Pilot werden?"

"Na ja... Engel bedrohen die Menschheit - das ist eine Ausnahme." Plötzlich leuchteten Aida's Augen hell auf. "Moment mal: wenn die UN tatsächlich einen neuen EVA nach Japan bringt und ihr dafür noch einen Piloten sucht - darf ich dass dann sein???"

Shinji wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als sich Rei zwei Bankreihen weiter zu ihnen umdrehte. Ihre helle Stimme tönte kaum lauter als ein Wispern, aber ihre kristallklar ausgesprochenen Worte waren trotzdem gut zu verstehen. "Neuer EVA?" Ihre emotionslosen Augen blieben an Shinji haften.

Letzterer war mit dieser Situation völlig überfordert und lief erst mal feuerrot an. "Na ja... Äh.... Das ist noch nicht sicher..." Schließlich erlöste ihn Aida von seiner Qual und antwortete dem Mädchen.

"Die UN ist dabei etwas großes von Deutschland nach Japan zu transportieren - dann KANN doch nur ein EVA sein!"

"Ah", murmelte Rei und drehte sich wieder nach vorne.

Einen Moment lang war alles still.

"Sie hat dich angesprochen", flüsterte Toji zu Ikari mit belustigtem Unterton. "Das ist ein gutes Zeichen!"

Und als ob sich alle gegen den rot angelaufenen Jungen wenden würde, bemerkte er dass er selbst von Hikari merkwürdig angesehen wurde.

Kurz bevor ihr Blick auf Toji fiel und seine Gesichtskonturen aufgeregt musterte.
 

Misato stand allein in ihrer Wohnung. Sie hatte bis morgen Zeit ein Zimmer für Asuka herzurichten, und musste so schnell wie möglich Platz schaffen. Wenn der neue Pilot männlich wäre, dann gäbe es keine Probleme - dann könnte er mit Shinji in einem Zimmer schlafen. Aber bei einem Mädchen war die Sache schon komplizierter...

Plötzlich klingelte das Telefon. Reflexartig hob Misato den Hörer ab.

"Misato, hier ist Ritsuko! Ich habe Informationen über Keyko Urusawa!"

"Leg los!"

"Es hat etwas länger gedauert, er ist nämlich kein Mitglied von Nerv. Aber Gendo heuerte ihn vor Jahren mal als Söldner in einer geheimen Mission an - über die ich leider keinen Zugriff habe. Jedenfalls schien er sich mit Kaji gut verstanden zu haben, denn Monate später machten sich beide laut Unterlagen auf die Suche nach möglichen Aufenthaltsorten des Marduk Instituts. Mit eher zweifelhaftem Erfolg."

"Aha. Und sonst hast du nichts gefunden?"

"Doch", raunte Dr. Akagi in den Telefonhörer. "Laut Unterlagen ist Keyko gestern gestorben."

Misato zuckte zusammen. Diese verfluchten Nerv-Angestellten hatten ihn also tatsächlich..!

"Danke Ritsuko. Ich werde mich morgen ausführlich bedanken."

"Kein Problem."

Sie legte auf. Eines war Misato nun klar geworden: Kaji schien in großer Gefahr zu sein.

Doch wieder wurde sie aus ihren Gedanken gerissen; die Wohnungstür öffnete sich und Shinji trat herein. "Hallo Misato", begrüßte er sie fröhlich.

"Du kommst spät. Wo warst du?"

"Bei Kensuke, er hat ein neues Computerspiel und..."

"Ja, ja! Hilf mir lieber!"

Shinji sah seine Mitbewohnerin fragend an. "Helfen?"

"Ja! Nerv bekommt Verstärkung! Eine neue Pilotin wird ab morgen hier wohnen und wir müssen ihr ein Zimmer herrichten."

Eine neue Pilotin? Dann hatte Kensuke also tatsächlich Recht gehabt?
 

Rei lag in ihrem Bett. Ihre Augen schweiften herum und begutachteten ihre Behausung.

[Hier lebst du also? Völlig einsam in dieser trostlosen Wohnung?]

Hikaris Worte gingen ihr nicht mehr aus dem Kopf hinaus. Was war an dieser Wohnung trostlos? Und was war an ihren grauen Wänden so schlimm? Schließlich war doch sowieso alles egal.

Und mit diesem Gedanken fiel sie in einen traumlosen Schlaf. Stunden vergingen, bis sie kurz nach Mitternacht in ihrem Bett aufwachte.

Vor ihrem inneren Auge sah sie Shinji.

"...Rei... Ich weiß nicht wie ich es sagen soll..."

Das Mädchen kniff sich mit aller Wucht die Augen zu und zwang sich an etwas anderes zu denken.
 

Ihre roten Augen blickten Shinji im Schlaf an. Er sah ihr Gesicht vor sich und begutachtete ihre Pupillen aufs Genauste.

Es half nichts, er musste mit ihr reden. Es würde ihn krank machen, wenn er noch einmal neben ihr her gehen würde als wären sie Fremde.

Sie waren weitaus mehr als das.
 


 

PHASE 7: SPHÄRE DES LICHTS
 

"Es gibt also wirklich einen neuen EVA?", fragte Kensuke begeistert nachdem er mit Shinji ins Gespräch gekommen war. "Und eine Pilotin?"

"Ihr Name ist Soryu Asuka Langley, Misato holt sie heute um 16 Uhr am Flughafen ab."

Toji fing an zu grinsen und klinkte sich geschickt ins Gespräch ein. "Hoffentlich sieht sie gut aus und kommt in unsere Klasse - wär' mal ne Abwechslung zu den ganzen Schreckschrauben hier."

Unglücklicherweise hatte Hikari Suzuharas letzten Satz mitgekriegt und fauchte ihn nun wütend an, es entstand eine kleine Rangelei in der Toji das Gleichgewicht verlor und Shinji mit sich riss. Pech für Ikari, er knallte mit der Wange gegen das Fensterbrett und zog sich eine leichte Prellung zu. Langsam kam er wieder auf die Beine und hielt sich schützend seine dicke Wange.

"So ein Mist! Es tut mir so Leid!", rief Hikari und rannte aus der Klasse um dem Jungen einen Eisbeutel zu besorgen.

"Großartig", murmelte Shinji und setzte sich wieder auf seinen Stuhl.

"Frauen bringen nur Ärger", grinste Kensuke und ahnte gar nicht dass er damit den Leitspruch des Tages ins Leben gerufen hatte.
 

"So Shinji, ich hole Asuka jetzt ab. Du bist sicher dass du nicht doch mitfahren willst?"

"Nein", raunte Shinji während er am Esszimmertisch saß und sich einen klobigen Eisbeutel an die Wange presste.

"Wenn du meinst..." Misato warf einen letzten Blick in den Spiegel und machte sich dann auf den Weg nach draußen. Sie musste zum Flughafen.

Frustriert ließ Shinji die Minuten verrinnen und dachte über seine zukünftige Mitbewohnerin nach. Er versuchte natürlich optimistisch zu denken - ein weiblicher Zimmernachbar hatte durchaus seine Vorteile - aber irgendwie hatte er das dumpfe Gefühl als ob die nächsten Wochen hart werden würden.

Dann klingelte es plötzlich an der Tür, und noch bevor Shinji sich hatte Gedanken machen können wer nun da eben auf die Klingel gedrückt hatte, war er bereits aufgesprungen und hastete zur Klinke. Er brauchte dringend etwas mit dem er sich ablenken konnte, und Besuch kam da gerade recht.

Überraschenderweise stand Rei Ayanami vor ihm.

Ihr emotionsloser Blick ging direkt durch Shinji hindurch und würdigte ihn in keiner Sekunde. Mit einer kurzen Geste hielt sie ihm eine zusammengefaltete Kopie hin. "Von Hikari."

"Hikari?" Shinji sah sich das Blatt an und überflog es kurz. Es war eine Einladung zu einem Klassentreffen bei Hikari in mehreren Wochen - eigentlich eine eher triviale Angelegenheit.

"Sie hat vergessen den Zettel heute im Unterricht auszuteilen", fügte Rei trocken hinzu.

Warum hatte die Klassensprecherin Rei geschickt um ihn diesen Zettel zu geben - obwohl es wirklich nicht schlimm gewesen wäre wenn sie die Einladung erst morgen ausgeteilt hätte?

Dann verstand Shinji.

"Rei, willst du nicht reinkommen?"

Zum ersten Mal am heutigen Tag blickte das Mädchen nicht durch Shinji hindurch sondern sah ihn genau an. Für den Bruchteil einer Sekunden stand die Zeit still, und es schien so als ob Rei in ihren Gedanken ertrunken wäre. Dann öffnete sie zaghaft den Mund.

"Ja."
 

[Empfänger: Ikari Gendo - Nerv

Datum: 14. Dezember 2015 > Nachricht 1/2

Absender: Unbekannt

---

Morgen wird der nächste Engel Neo Tokyo erreichen. Richten sie sich darauf ein - das neue Children wird ihnen gute Dienste leisten.]
 

"Ikari, hier lebst du also?", fragte Rei wie schon Hikari am gestrigen Tag. Sie bemühte sich über ihren Schatten zu springen und nicht wie eine leblose Puppe zu wirken. Dennoch hatte sie keinen rechten Ausdruck im Gesicht als sie sich das Zimmer seines EVA-Kollegen ansah. Ein typisches Zimmer: Bett, Schrank, Tisch, CD Regal - vielleicht ein wenig bunter als ihr eigenes.

"Du kannst mich ruhig öfter besuchen kommen", meinte Shinji mit schüchterner Verlegenheit. Rei antwortete ihm nicht, sie gingen zurück ins Esszimmer.

Und für einen unendlich erhabenen Moment wurde die ganze Szenerie in einem schon fast unnatürlichem Licht getränkt. Einen winzigen Moment lang befanden sie sich an einem anderen Ort und lebten unter anderen Regeln. Einen klitzekleinen Moment lang war alles anders.

Dann war das Schauspiel vorüber. Shinji blinzelte kurz und sah Rei verwirrt an, während letztere sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den Kopf hielt.

"Stimmt was mit dir nicht, Rei?", fragte der Junge besorgt und sah sie mitleidig an.

"Ikari, ich..."

Wieder kniff sie wehleidig ihre Augen zu. So einen Anfall hatte sie noch nie gehabt.

Der Junge merkte dass sie sehr wacklig auf den Beinen stand und hielt sie besorgt an den Schultern fest. "Geht es dir gut, Rei?"

Ihre rot leuchtenden Augen sahen ihn gleichgültig an.

Dann schmiss sie sich an ihn und legte ihre Lippen etwas unbeholfen an seine.

Sie hatte noch nie jemanden geküsst, und sie hatte nie gedacht dass sie es jemals tun würde.

Shinji war völlig überwältigt. Mit so einer Reaktion hatte er im Leben nicht gerechnet, und er konnte nichts anderes tun als das Gefühl der trockenen Lippen auf seinem Mund zu genießen.

Doch - er konnte etwas tun.

Der Junge legte seine Arme um sie und erwiderte ihre Geste in einem langgezogenen intensiven Kuss. Wie zusammengewachsen standen sie im Raum und tauschten ihre Körperwärme für ein Gefühl absoluter Geborgenheit aus, ließen ihre Zungen miteinander spielen.

So innig aneinandergekettet mussten sie wenigstens 2 Minuten gestanden haben, doch es kam beiden wie eine einzige Sekunde vor. Eine einzige Sekunde - die wohl bedeutsamer war als ihr gesamtes bisheriges Leben.

Und gerade als Shinji dies realisiert hatte, und sich schwor Rei nie wieder loszulassen, ging die Tür mit einem heftigen Ruck auf und machte Platz für Misato und Asuka. Während letztere nur einen skeptischen Blick für das küssende Pärchen übrig hatte, war Katsuragi dem ausflippen nahe.

"Shinji! Ich WUSSTE doch dass du irgendwann aufweichst! Großartig!"

Der angesprochene Junge wurde rot wie ein Feuerteufel und befreite sich von Rei. Verzweifelt suchte er nach Ausflüchten, fand aber keine und starrte verlegen auf Asuka.

Und auch Ayanami zeigte eine Regung: Selbst das Mädchen dem niemand eine Emotion zugetraut hätte, bekam eine leichte Rotfärbung auf ihren blassen Wangen.

"Shinji", fing Misato breit grinsend an und zeigte auf dass neue Gesicht, "das hier ist Asuka!"

"Hallo", murmelte Ikari verlegen und wich schnell ihren stierenden Blicken aus.

"Asuka", Misato wies auf die beiden Children, "der übermütige Junge ist Shinji Ikari, und das Mädchen ist Rei Ayanami."

"Die weltberühmten Second und First von Nerv?", gab Asuka überrascht wie skeptisch von sich. "Ihr seid zusammen???"

"Nein!", japste Shinji, "es ist nur so..."

"Ja?", hakte Misato neugierig nach.

"Wir, also ich... Äh..."

Schließlich kam auch Rei an die Reihe, die sich an dem ganzen Gespräch bisher stillschweigend herausgehalten hatte.

"Ich gehe jetzt", meinte sie trocken.

Misato sah ihr verwirrt hinterher; wie Ayanami sich in Bewegung setzte und aus der Tür schritt bis nichts mehr von ihr zu sehen war.

"Willst du ihr nicht hinterher laufen?", fragte Katsuragi schmunzelnd den Jungen.

"Äh... Ich...", Shinji war endgültig am Ende.

"Und diese Pfeife ist also das weltberühmte Secondchildren", fasste Asuka zusammen und schüttelte den Kopf.
 

Noch am selben Abend saßen sie zusammen am Esszimmertisch. Während Asuka begeistert von ihrer bisherigen Laufbahn erzählte, war Shinji mit den Gedanken bei Rei. Er konnte sich beim besten Willen nicht auf Asukas Gespräch konzentrieren.

"Du wirst natürlich auf dieselbe Schule wie Shinji und Rei gehen. Auch in dieselbe Klasse", erklärte Misato gelassen. Sie hatte sich die neue EVA Pilotin wirklich anders vorgestellt.

"Was ist mit meiner Bezeichnung? Bei Waechter war ich das First Children!"

"Ja, und bei NERV bist du das Third Children. Shinji und Rei waren vor dir da."

Asuka machte einen empörten Gesichtsausdruck. "Aber ich war eine der ersten Piloten die für die EVAs ausgebildet wurden! Ich wurde noch vor Shinji rekrutiert!"

"Okay", meinte Misato grübelnd, "da ist was dran. Ich werde mit Kommandant Ikari reden, damit du ab morgen Second Children wirst. Shinji wird dann das neue Third Children."

Der Junge stocherte weiterhin abwesend in seinem Essen rum.

"Sag mal Asuka", fing Katsuragi mit erhobener Augenbraue an, "wie ist Waechter eigentlich? Sind sie ähnlich strukturiert wie Nerv?"

"Ja", meinte Asuka redegewandt. "Winston Druchov ist das Oberhaupt, und eigentlich sehr nett. Er hat mich schon etliche Male gelobt!"

"Wie wird Waechter genau finanziert? Allein durch die EU?"

"Ja, Waechter ist offiziell ein Projekt der europäischen Union. Besonders große Geldmittel werden aber durch Russland, Deutschland und vor allem Italien verfügbar gemacht."

"Reicht dass Geld denn?"

"Eigentlich schon, obwohl ständig neue Ausgaben entstehen." Das Mädchen hatte von solchen Dingen nicht allzu viel Ahnung und zog es vor, dass Thema zu wechseln. "Was ist jetzt mit Ikari? Ist er wirklich mit Ayanami zusammen???"

"Äh... Na ja...", fing Misato schmunzelnd an, "frag ihn doch selber! Ich würde aus auch gerne wissen! Was ist los, Shin-chan?"

"Was soll los sein?", stotterte der Junge irritiert.

"Du und Rei natürlich! Was ist nun zwischen euch?"

"Nichts", beteuerte Shinji energisch.

"Das sah eben aber nach was ganz anderem aus! Ihr habt euch ja wirklich süß umarmt!"

"Hör auf damit, Misato", grummelte der Junge vor sich hin.

"Nur wenn du mir sagst was zwischen euch los ist!"

"Nichts!", schrie Ikari plötzlich und rannte in sein Zimmer.
 

[Empfänger: Ikari Gendo - Nerv

Datum: 14. Dezember 2015 > Nachricht 2/2

Absender: Occasio

---

Hallo Gendo, alter Knabe!

Ich muss mich wirklich bei dir bedanken - wenn du mir nicht so ausdrücklich davon abgeraten hättest Keyko zu treffen, wäre ich auf seine Einladung niemals eingegangen! Jetzt bin ich Italien und werde seine Reise fortsetzen. Vermutlich hast du bereits mehrere deiner Männer im Auftrag Seele's auf mich losgeschickt, aber es wird dir nichts bringen. Ich habe mich hier hinter mehreren Identitäten versteckt und kann bald meine Trumpfkarten ausspielen. Bitte sorg dafür, dass es Misato und Shinji in meiner Abwesenheit gut geht!

Mit freundlichen Grüßen, Ryoki Kaji]
 


 

PHASE 8: NICHTS BLEIBT ÜBRIG
 

"Na Shinji? Gut geschlafen?"

Der Junge setzte sich grummelnd zu Misato an den Frühstückstisch. Er hatte natürlich NICHT gut geschlafen, sondern die meiste Zeit wach gelegen und sich hin und her gewälzt.

"Wo ist Asuka?", fragte er beiläufig.

"Im Bad", seufzte Misato. "Seit einer vollen Stunde."

Plötzlich kam das angesprochene Mädchen zur Tür rein. Ihre Haare waren weich, glänzend und sauber gekämmt.

"Hey! Wer lästert hier über mich?!? Dabei habe gerade ICH Grund zu lästern - japanische Badezimmer sind furchtbar klein!"

"Tja, damit wirst du leben müssen."

Shinji stand auf und ging ins Bad.
 

Asukas erster Schultag in Japan verlief für sie mehr als nur großartig. Sofort wurde sie von sämtlichen männlichen Wesen der Klasse umringt und mit etlichen Fragen bombardiert. Toji und Kensuke machten da keine Ausnahmen, und ließen Shinji allein an seiner Bank sitzen. Depressiv packte er seinen Discman aus und hörte Musik.

Verträumt und in den Klängen seiner CD versunken, schwenkte sein Blick durch die Gesichter der Klasse. Asuka... Toji...

Hikari?

Die Klassensprecherin stand direkt an Rei's Bank und schien irgendetwas mit ihr zu bereden. Irgendetwas, dass nichts mit schulischen Dingen zu tun hatte, denn Hikari grinste breit.

Rei saß einfach nur ausdruckslos da und antwortete ab und zu ein paar Satzfetzen.

Shinji schaltete den Discman aus und versuchte so unauffällig wie möglich zu lauschen was die beiden Mädchen zu bereden hatten. Unglücklicherweise stellte er aber schnell fest dass sein Unterfangen sinnlos war - das Gespräch von der Klassensprecherin und Ayanami wurde von Asukas neuen Verehrern schnell übertönt.
 

[Empfänger: Ikari Gendo - Nerv

Datum: 15. Dezember 2015 > Nachricht 1/1

Absender: Unbekannt

---

Gendo, es ist äußerst wichtig. Wir von Seele haben lange über die Situation bezüglich Kaji nachgedacht, und eine Entscheidung getroffen. Senden sie bitte sämtliche Söldner die sie auf ihn gehetzt haben wieder zurück! Kaji muss unbedingt am leben bleiben!

Wie sie wissen ist es schon lange nicht mehr wichtig große Besitztümer zu haben - mächtig allein machen in unserer Gesellschaft nur noch Informationen. Wer Wissen hat, ist mächtig. Und Kaji scheint im Moment ein Geheimnis um den Vatikan aufzudecken, dass selbst für unsere Augen unsichtbar ist. Er ist ein fähiger Mann, und darf erst getötet werden nachdem wir durch ihn erfahren haben, was WIRKLICH in den Kellern des Vatikanpalastes steckt.

Diese Anweisungen haben in unseren Plänen höchste Priorität.]
 

Misato saß gelangweilt an ihrem PC und nippte an ihrer Kaffeetasse. Sie brauchte den Kaffee um sich nach ihrem allmorgendlichen Bier wieder zu erholen und die Arbeit bei Nerv mit klarem Kopf zu erledigen.

Natürlich machte sie sich Gedanken über Asuka und Shinji. Nach Katsuragi's Einschätzung würden die beiden wohl eher weniger gut miteinander auskommen.

Und da war ja noch Rei.

Als Misato gestern Shinji mit dem Mädchen eng umschlungen gesehen hatte, wäre sie fast hinterrücks umgekippt. Sie hatten sich - für 14 jährige Kinder - fast schon LEIDENSCHAFTLICH geküsst, was sie dem Jungen beim besten Willen nicht zugetraut hatte.

Und Rei erst recht nicht. Wie war dieses emotionslose Mädchen zu so etwas fähig?

"Misato!", hörte sie plötzlich Dr. Akagis Stimme nach ihr rufen.

"Ich bin hier! Was ist los?"

"Ein Engel! Wir brauchen die Children!"
 

"Das ist also ein Engel?", fragte Asuka ungläubig als sie in ihrem EVA dem Engel gegenüberstand. Ein unmenschlich aussehender Klotz mit krakenartigen Armen und hell glühenden Augen.

"Konzentrier dich auf ihn!", rief Misato über Funk und wendete sich Rei und Shinji in EVA 00 und 01 zu. "Und ihr gebt Asuka Rückendeckung!"

"Verstanden!"

"Dann wollen wir mal", murmelte Asuka vor sich hin und stürzte sich energisch mit ihrem Progmesser auf den Engel. Letzterer jedoch konnte den Angriff gut mit seinen Armen abfangen und bot sich ein hektisches Handgemenge mit EVA 02.

"Rei, hilf ihr mal!", orderte Misato, und wurde von Shinji leise durch ein "Sei vorsichtig...." ergänzt.

Asuka nahm die ganze Sache locker und hielt den Engel geschickt auf Abstand. "Ich brauche keine Hilfe!" Um ihre Worte zu verdeutlichen verpasste sie der Kreatur einen gezielten Fausthieb auf die klobige Schnauze.
 

Shinji saß wie festgewachsen in EVA 01. Seine Augen waren weit aufgerissen, und doch erblindet. In diesem Augenblick hatte er einen Synchrowert von 120% - ohne es zu merken.

Vor seinem inneren Auge liefen hektische Bilder ab. Eine blitzartige Diashow voller vergangener Erlebnisse, und in deren Zentrum ein kleines Mädchen mit blauen zotteligen Haaren. Rei kontrollierte sein Denken.

"Würdest du dich in einem zeitlosen Raum nach dem Morgen sehnen?", hörte er ihre helle Stimme zu ihm sprechen. "Würde es dir wichtig erscheinen, was morgen geschieht?"
 

Asuka hämmerte mit ihren Fäusten auf die Kreatur ein, ohne viel Gegenwehr erwarten zu müssen. Es war eine einfach Angelegenheit, bis zum Zeitpunkt der Explosion.

[Die Zeit der Stille ist beendet! Spürt unseren Zorn!]

Ohne jegliche Vorwarnung zerplatzte der Engel in Tausend Einzelstücke und ging in einer enormen Flammensäule in Luft auf. Die Druckwelle riss Asuka direkt mit dich, und erwischte auch die etwas abseits stehenden Shinji und Rei. Keiner der Piloten war noch ansprechbar, Misato schrie sich in der Nerv Basis die Seele aus dem Leib.

Blitzschnell wurde ein Einsatzteam gebildet, dass die Children bergen und ins Nerv Krankenhaus bringen sollte. Asuka wurde noch am selben Tag operiert, ihr Zustand war kritisch.
 

"Was ist da passiert?", fragte Misato hysterisch während sie in Ritsukos Büro auf und ab ging. "Warum ist dieser Engel einfach explodiert?"

Ritsuko räusperte sich. "Ich habe eben mit Gendo geredet. Dieser Engel hat Asuka kein einziges Mal angegriffen, es schien ein spezieller Typ gewesen zu sein dessen einzige Verteidigung darin bestand, sich selbst in die Luft zu sprengen."

"Großartig!" Misato war außer sich vor Wut. "Und wie kannst du so ruhig dasitzen während unsere Children in kritischer Verfassung im Krankenhaus liegen?"

"So kritisch ist die Sache gar nicht. Shinji und Rei schlafen nur - wahrscheinlich eine Schockreaktion. Und Asuka kommt schon wieder auf die Beine, immerhin ist sie eine starke Pilotin."

Misato war in ihrer Raserei kurz davor Ritsuko zu ohrfeigen, konnte sich im letzten Moment aber noch mal bremsen.
 

Das beruhigende Weiß der Wände ließ ihn wieder zur Besinnung kommen. Als Shinji den Oberkörper aufrichtete, schwenkte sein Blick über das triste Krankenhauszimmer.

Er war noch niemals hier gewesen. Die bisherigen Engelkämpfe verliefen alle kontrolliert und stellten für Shinji und Rei keine große Gefahr dar.

[Rei!]

War mit Rei alles in Ordnung? Hatte sie die Explosion gut überstanden? Der Junge war in großer Sorge um sie - mit ihr konnte alles mögliche passiert sein! Aber vielleicht hatte Rei auch einen Platz in einem der Krankenhauszimmer, und er könnte einfach zu ihr rüber gehen..?

Einen Versuch war es wert, und wenn Misato ihn unterwegs ertappen würde, dann wüsste sie wenigstens dass Shinji mittlerweile wieder auf den Beinen war.

Plötzlich öffnete sich mit einem metallischem Klacken die Tür zu seinem Zimmer. Shinji drehte dem Besucher den Kopf entgegen und traute seinen Augen kaum. Es war tatsächlich Ayanami! Allein mit einem dünnen weißen krankenhausüblichem Nachthemd - durch das sich eindeutig ihre Brust hervorzeichnete - trat sie emotionslos zu ihm hin.

"Rei..?", fing Shinji fragend an und ließ sich seine Verwirrtheit deutlich anmerken.

"Ich wollte wissen wie es dir geht", entgegnete sie ausdruckslos. Der Junge lief sofort rot an und wurde noch irritierter. Ohne einen klaren Gedanken fassen zu können, starrte er Rei an.

"Mir geht es gut", sagte er schließlich. "Dir auch?"

"Ja, ich habe schon Schlimmeres erlebt." Rei zeigte keinerlei Gefühl. Es schien so als ob ihr ein Gespräch mit Shinji unangenehm wäre - aber warum war sie dann in sein Krankenzimmer gekommen?

Sie kam immer näher an sein Bett. Ihr linkes Augenlid zuckte unruhig, und mit jedem Schritt wurde der Schmerz in ihrer Hüfte stechender.

"Weißt du wie es Asuka geht?", fragte Shinji nervös um sich abzulenken.

"Nein." Rei kam immer näher.

"Ayanami.... Was machst du da?" Der Junge brannte innerlich. Sein Puls hatte alle messbaren Werte überschritten, und am liebsten wäre aus dem Fenster gesprungen. Ein höllischer Schmerz breitete sich in seiner Magengegend aus, und als Rei ihm keine Antwort gab sondern stattdessen immer weiter zu ihm hin ging, spürte er einen enormen Brechreiz in seinem Rachen.

Shinji schluckte ihn mit letzter Kraft runter.

Er saß immer noch auf seinem Bett, konnte sich nicht bewegen.

Es war Nacht, vom Fenster des Zimmers aus konnte man den Mond sehen.
 

[Empfänger: Ikari Gendo - Nerv

Datum: 16. Dezember 2015 > Nachricht 1/2

Absender: Unbekannt

---

Nein, wir können ihnen trotz ihrer Bitten keine genauen Informationen über den Engel ,Lacrima' schicken. Wir sind selbst im Unklaren darüber, warum er sich so plötzlich selbst in die Luft gesprengt hat.]
 

[Empfänger: Ikari Gendo - Nerv

Datum: 16. Dezember 2015 > Nachricht 2/2

Absender: Winston Druchov - Waechter

---

Entschuldigen sie bitte diese Nachricht zu dieser Tageszeit. Mir ist bewusst dass sie es wohl nicht sehr angenehm empfinden, um 1 Uhr Nachts noch Mitteilungen dieser Art zu bekommen - aber seit Major Katsuragi uns mit der Nachricht dieser ungewöhnlichen Schlacht konfrontierte, ist das gesamte Waechterzentrum in Aufruhr. Uns ist klar, dass die Frage nach all dem was ihr Zentrum nach der Selbstzerstörung von Naeron durchmachen musste, egoistisch klingt - aber können sie uns sagen ob es Asuka gut geht? Wir sind alle sehr in Sorge.

Mit freundlichen Grüßen, Winston Druchov.]
 

"Rei, was..?" Sie hatte sein Bett erreicht und setzte sich an die Bettkante. Langsam umfasste sie seine Hand und sah ihm tief in die Augen. Der rechte Träger ihres Nachthemdes rutschte prekär über ihre Schulter.

Ihre eigenen Pupillen schienen unheimlich rot zu leuchten.

"Shinji, so darf es nicht enden."

"Enden?" Er war noch verwirrter als vorher. "Was meinst du damit?"

In diesem Augenblick war ein hauchdünnes Lächeln auf Rei's Lippen. Sie kletterte auf sein Bett und legte ihre Hände um seinen Hals. Zärtlich küsste sie ihn und drückte seinen Oberkörper zurück in eine liegende Position.

Sie lag direkt auf ihm - und Shinji war zwischen ihrer Umarmung gefangen.

Er wollte nicht dass sie aufhörte, aber er hatte angst.

Vorsichtig drückte sie mit ihren Füßen die Decke vom Bett und küsste ihn mit jedem Atemzug inniger. Ihre Hände ertasteten seinen Körper, und ihre weichen Brüste schmiegten sich unter dem schummrigen Licht der Zimmerlampe an seinen Oberkörper.

In Shinji brodelte eine Erregung die er sich nicht erklären konnte. Er versuchte sie zu kontrollieren, aber dazu war er beim besten Willen nicht in der Lage.

In ihren Armen war er hilflos.

Immer intensiver rieben sich ihre harten Brustwarzen an seiner Haut. Ihr Hemd rutschte zwischen diesen überschwänglichen Emotionen bei jedem neuen Kuss weitere Zentimeter höher, bis der Stoff schließlich über die Hüfte geschoben wurde. Unter diesem Bereich war sie völlig nackt, und ihr kleiner Po glänzte im schummrigen Licht.

Shinji bekam davon gar nichts mit, in seinem Sichtfeld war nur Ayanamis Gesicht. Ihre Wangen waren blass wie immer, aber eine dünne Schweißschicht hatte sich auf ihrer Haut gesammelt und verklebte langsam mit ihren zotteligen blauen Haaren.

Wieder verschlossen sie sich in einem innigen Kuss. Ihre Zungen spielten miteinander wie balgende Katzen und bescherten Shinji eine Nacht die er wohl niemals vergessen würde.

Es wäre wohl der schönste Augenblick seines bisherigen Lebens gewesen, wenn nicht plötzlich Misato die Tür geöffnet hätte.

Ihr Unterkiefer klappte reflexartig nach unten, und sie peitschte mit einem lauten Knall die Tür hinter sich zu.

Shinji sah in seinen Augenwinkeln eine feuerrot angelaufene Misato und schreckte explosionsartig auf. Er versuchte Rei an den Schultern zu packen und von sich zu stoßen, erwischte in seiner Hysterie jedoch nur den Träger ihres Hemdes und entblößte sie nur noch mehr. Von einem Augenblick auf den anderen war Rei nicht mehr der erhabene Mittelpunkt seines Denkens, sondern nur noch ein schwerer verschwitzter Körper.

"Shinji! Rei!", krächzte Katsuragi cholerisch.

Ayanami beobachtete die Szenerie wie ein unbeteiligter Zuschauer. Sie fühlte sich in ihrer Situation völlig überfordert und wusste absolut nicht was sie tun sollte - in einem Anflug von völliger Hilflosigkeit klammerte sie sich fester an Shinji.

Letzterer tickte endgültig aus und riss das Mädchen von sich. Rei fiel vom Bett und landete unsanft mit ihrem nackten Hintern auf dem harten Zimmerboden. Für sie selbst unbegreiflich, spürte sie Tränen auf ihrer Wange hinabgleiten.

Misato stand immer noch stocksteif da, schenkte Rei aber einen kurzen mitleidigen Blick.

Dann sah sie Shinji an, welcher panisch den Kopf wegdrehte.

Ayanami lag zusammengekrümmt auf dem Boden.
 


 

ENDE KAPITEL 2
 


 


 

VORSCHAU: PHASE 9 (9. JANUAR 2016)
 

Weitere drei Engel wurden mit Hilfe Asukas besiegt
 

Hikari übernachtet bei Rei
 

Asuka verwirrt Ikari Tag für Tag mehr
 

Misato führt mit Shinji ein Gespräch unter Männern

3. Januar - 11. Januar

PHASE 9: VORBEREITUNGEN
 

Am Ende war alles doch noch gut gelaufen. Nachdem Misato Shinji und Rei im Krankenhausbett erwischt hatte, begann sie ernsthafte Zweifel darüber zu hegen ob es so eine gute Idee war, den Jungen in der selben Wohnung wie Asuka schlafen zu lassen. Aber in dieser Hinsicht verlief alles problemlos. Asuka fing zwar ständig Zoff mit Shinji an, jedoch verringerte dies die Chancen dass sie irgendwann von ihm schwanger werden würde.

Rei hatte sich in den letzten Wochen nicht mehr bei dem Jungen gemeldet. Sie trafen sich zwar weiterhin jeden Tag in der Schule, aber Ayanami schien nach diesem Ereignis am 16. Dezember noch sehr eingeschüchtert.

Zwischendurch kamen drei Engel, die alle ohne größere Schwierigkeiten besiegt wurden. Seltsamerweise tauchten alle Engel um Tokyo herum auf - kein einziger zeigte sich in den Einflussbereichen von Waechter und Nerv! Misato geriet langsam ins Grübeln deswegen....

Was war eigentlich mit Waechter los? Offiziell hatte man nur von Asuka als Children gehört - und diese war ja mittlerweile bei Nerv! Hatte sich Waechter in all den Wochen um ein neues First Children bemüht?

Von Clade, dem First Children bei NEC hörte man auch nicht viel. Abgesehen davon dass er ganz akzeptable Synchronwerte zustande brachte.
 

Es klingelte - die Schule war beendet. Befreit stand Shinji von seinem Stuhl auf und wartete bis Kensuke und Toji es ihm gleich taten.

"Dieser verfluchte Mathematikstoff macht mich krank...", stöhnte Toji. "Ich werde es wohl nie verstehen."

"Kein Wunder, Baka!", mischte sich Asuka streitlustig ein. "Du weißt ja noch nicht einmal wie viel Ecken ein Dreieck hat!"

"Hey, ich muss mich wenigstens nicht hinter meinen Schulnoten verstecken weil ich einen grausigen Charakter hab!"

"Nein - sondern weil du ein verfluchter Vollidiot bist!"

Kensuke schaute gelangweilt auf die Uhr. "Können wir jetzt gehen?"

"Kommt ganz darauf an wann Hikari und Rei sich endlich erheben...", grummelte Asuka.

Die Klassensprecherin sprang auf und ging zu ihnen rüber. "Auf uns könnt ihr lange warten - wir haben Putzdienst."

"Schon wieder???"

"Ja. Geht schon mal ohne uns los."

Asuka blickte zornig drein. "Du willst mich ALLEIN mit dem Idiotentrio heim gehen lassen???"

"Geht halt nicht anders."

"Gut!", rief Soryu und drehte sich mit erhobener Nase um. "Dann putzt ihr mal schön die Klasse!"

"Gehen wir", murmelte Shinji und macht sich aus dem Staub.
 

"Ritsuko - wie kommt es eigentlich dass alle Engel nur um Neo Tokyo herum auftauchen?" Misato sah sie fragend an und nippte an ihrem Kaffee.

"Dass weiß ich selbst nicht so genau. Jedenfalls gibt es dafür keine Erklärung von offizieller Seite."

"Waechter und NEC sind streng genommen völlig nutzlos und nehmen enorme finanzielle Mittel in Anspruch. Und uns fehlt es in diesem Punkt an allen Ecken und Enden."

Ritsuko sortierte weiterhin ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen unzählige Akten. "Was NEC und Waechter für finanzielle Mittel verbrauchen geht uns nichts an. Das ist eine Zuständigkeit der USA und EU."
 

"Rei, kann ich was fragen?", raunte Hikari während sie den Besen kreisen ließ.

"Was?", antwortete Ayanami emotionslos.

"Du weißt doch dass ich morgen Abend diese Feier bei mir zuhause hab... Meine Eltern sind gestern bis zum Ende der nächsten Woche in Urlaub in Hokkaido..."

"Ja?", fragte Rei noch mal da sie absolut nicht wusste worauf Hikari hinaus wollte.

"Kann ich heute bei dir übernachten?"

Im Gesicht des Wuschelkopfes zeigte sich für einen kurzen Moment völliges Unverständnis ab. "Was?"

"Allein daheim sein ist langweilig!", versuchte Hikari sich zu verteidigen.

Und allein aus Langeweile wollte Hikari nicht daheim sondern bei Rei sein? Dort, wo es wenigstens genauso langweilig sein würde?

Da musste mehr dahinter stecken.

"Okay", antwortete Ayanami schließlich.
 

Shinji saß müde auf dem Sofa und hörte Discman. Aus irgendeinem Grund hatte ihn der Schultag heute besonders geschlaucht. Es war weder der Unterrichtsstoff - sondern mehr ein endloser Monolog den er den ganzen Tag schon geführt hatte. Ein Monolog, der ihn bis zum Rand des Wahnsinns bringen würde, wenn er nicht endlich -

"Shinji!", hörte er plötzlich, und in seinem Sichtfeld tauchte Asuka auf. Träge nahm der Junge die Stöpsel aus den Ohren.

"Was ist?"

"Morgen ist doch die Party bei Hikari!"

"Und?"

"Du musst ohne mich dahin gehen."

"Du kommst nicht mit? Ich dachte du könntest Hikari gut leiden!"

"BAKA! Daran liegt es doch gar nicht! Aber ich habe keinen der mich dahin ausführt! Die Jungs in der Klasse sind doch alle Bakas!" Asuka schwieg kurz und regte sich langsam wieder ab. "Was ist mit dir? Mit wem gehst du hin?"

"Na ja..." Shinji stockte. Er wollte eigentlich Rei fragen, hatte aber noch nicht die passende Gelegenheit gefunden (wobei er sich langsam ernsthaft fragte ob es bei Rei überhaupt eine passende Gelegenheit gab).

"Also mit noch keinem, Shinji?"

Ikari nickte zaghaft. Ihm gefiel nicht worauf dieses Gespräch hinaus lief.

"Nein...", murmelte Shinji.

"Gehst du dann mit MIR hin?" Asuka stellte sich in Pose und wartete seine Antwort ab. Der Junge war verwirrt. Es wäre ihm lieber gewesen mit Ayanami hin zu gehen, da es mit Asuka wahrscheinlich in einem Debakel enden würde. Warum war sie eigentlich so verdächtig freundlich?

"Meinetwegen", antwortete Shinji schließlich. Ein Tag mit Asuka - was konnte da schon großartiges passieren? Danach könne er sich wieder Rei zuwenden.

Niemals würde er ihren warmen Atem vergessen...
 

Hikari stand mit einem Rucksack in der Hand vor Rei's Wohnung.

"Hallo!", meinte sie fröhlich und lächelte Rei an.

"Hallo."

"In dem Rucksack sind meine Sachen für heute und morgen." Sie zeigte auf die prall gefüllte Tasche. Rei hatte knapp so viele Sachen in ihren Schränken, wie Hikari in diesen Rucksack gezwängt haben musste. Beim Anblick des Mädchens fühlte sich Ayanami aus irgendeinem Grund hilflos. Auf was hatte sie sich da bloß eingelassen?
 

Shinji saß mit Misato am abendlichen Esszimmertisch. Er hatte gerade fertig gekocht und servierte gut gelaunt dass Essen. Überrascht stellte er fest dass Asuka nicht anwesen war.

"Asuka ist Kleider für morgen kaufen", erklärte Katsuragi schnell.

"Für morgen?" Shinji machte einen verdutzten Gesichtsausdruck. "Aber es ist doch nur eine einfache Feier! Und so geht doch nur mit MIR hin!"

"Darüber wollte ich mit dir reden", fing Misato nüchtern an. "Setz dich."

Shinji gehorchte und hörte den Ausführungen seines Gegenübers zu.

"Asuka ist in letzter Zeit merkwürdig gelaunt. Sie hat Stimmungsschwankungen, und irgendwie kommt sie mir depressiv vor. Normalerweise würde ich dir abraten mit ihr morgen dorthin zu gehen - aber ich glaube dass das Mädchen krampfhaft nach einer Person sucht der sie sich anvertrauen kann."

Shinji saß perplex da und hörte Misato wortlos zu.

"Pass auf sie auf. Und entscheide dich gefälligst zwischen ihr und Rei - nur Machos wie Kaji haben zwei Freundinnen."

Shinji lief feuerrot an, Misato fing an zu grinsen. "So, nachdem das geklärt ist..." Sie griff unter den Tisch und zog eine noch geschlossene Bierdose hervor. "Zeit zum Abendessen!"
 

[Empfänger: Ikari Gendo - Nerv

Datum: 9. Januar 2016 > Nachricht 1/1

Absender: Unbekannt

---

Wir haben erneut Probleme. Unsere Informanten und Söldner haben in Italien Kajis Spur verloren. Nicht dass es im Moment sonderlich wichtig wäre - es liegt weiterhin in unserem Interesse dass er am Leben bleibt - aber wir möchten sie dennoch darüber informieren. Weiterhin werden wir unser Möglichstes dafür tun, Kaji wieder zu finden.]
 

Hikari hatte sich spontan entschlossen für Rei zu kochen. Ihr Nachtlager hatte sie bereits aufgebaut - sie schlief auf drei übereinandergelegten Decken und einem kleinen Kissen. Rei hatte weder eine zweite Matratze noch einen Schlafsack in ihrer Wohnung.

Die Klassensprecherin entschied sich für ein einfaches Reisgericht, da sie nicht wusste was Ayanami schmeckte und was nicht. Vorsichtig verteilte sie das Essen zu zwei gleich großen Portionen in zwei Schüsseln, und brachte es zu Rei in ihr Zimmer.

"Es ist eine Lüge..."

Hikari blieb plötzlich stehen. Sie war noch nicht in Ayanamis Sichtbereich - hörte aber eindeutig ihre emotionslose Stimme. Führte das Mädchen etwa Selbstgespräche?

"Hör nicht auf verrückt zu sein...."

Eine leichte Gänsehaut breitete sich auf den Armen der Klassensprecherin aus, als sie den Text hörte den Rei wie ein Mantra vor sich hin murmelte.

"Wo immer du auch bist.... Hör nicht auf verrückt zu sein... Es ist eine Lüge zu glauben, dass wir nicht alles lernen könnten..."

Hikari betrat mit perplexem Gesicht den Raum und Rei verstummte sofort.
 

Shinji saß vor dem Fernseher - obwohl er bei seiner momentanen Müdigkeit am liebsten im Bett liegen würde. Misato war bereits tief in ihrem Schlafzimmer entschlummert. Ihrer Begründung nach hätte sie morgen einen wichtigen Termin und müsse ausgeschlafen sein.

Und Asuka war immer noch nicht zurück. Einer musste wach bleiben und auf sie warten - da sie in aller Eile den Haustürschlüssel vergessen hatte.

"Asuka...", murmelte Shinji gereizt und schaltete gelangweilt durch die Kanäle.
 

"Liebst du Shinji nun oder nicht?"

Das Licht war erloschen, und die beiden Mädchen lagen tief zwischen wärmenden Decken vergraben. Die eine auf einem weichen Bett, die andere auf dem abgepolsterten Boden.

"Hm...", raunte Rei nichtssagend als Antwort. Für sie existierte der Begriff ,Liebe' nicht, es war ein Trugbild um sich die nutzlose Zeit des Lebens zu vertreiben.

[Nutzlos, wie sie selbst.... Ersetzbar...]

Aber dennoch gab es etwas, dass sich in ihr ausbreitete wenn sie Shinji sah. Eine Art inniges Vertrauen, das bisher noch bei keiner Person verspürt hatte.
 

Endlich klingelte es an der Tür. Shinji sprang auf, schaltete den Fernseher ab und riss die Türe auf. Vor ihm stand Asuka - mit etlichen Einkaufstüten in der Hand.

"Wo warst du so lange, Asuka?", fing Shinji gereizt an. "Misato liegt schon im Bett - ich musste extra wegen dir aufbleiben!"

Das Mädchen sah ihn im ersten Augenblick nichtssagend an.

Dann ging sie etwas schüchtern zu ihm hin, küsste ihn auf die Wange und trug die Tüten an ihm vorbei.

"Danke."

[Asuka?]
 


 

PHASE 10: TEIL 1 - HIKARI / TEIL 2 - REI
 

Verschlafen rollte sie sich in ihrem improvisiertem Bett hin und her. Hatte der Wecker schon geklingelt? Wann müsste sie aufstehen und zur Schule gehen?

[Hatte Rei überhaupt einen Wecker?]

"Rei!"

Hikari machte die Augen auf und sah sich um. Ayanamis Bett war leer, und man hörte wie die Dusche vor sich hin prasselte.

[Rei's Wohnung ist erstaunlich leer...]

Hikari sah sich um. Neugierig öffnete sie einen Schrank, um darin mehrere Kleiderkombinationen zu sehen die irgendwie alle gleich aussahen.

Eine Schublade, die die Klassensprecherin vorwitzig öffnete war völlig leer. Rei schien keine persönlichen Sachen zu besitzen - nur das Nötigste was man zum Leben brauchte. Eigentlich wollte Hikari bei Ayanami übernachten um mehr über sie zu erfahren - aber was sich hier zeigte erschütterte sie irgendwie. Rei schien nicht zu leben - sie schien einfach nur vor sich hin zu vegetieren...

[Und was ist eigentlich zwischen ihr und Shinji?!?]

Die Klassensprecherin beschloss spontan, bei der Klassenfete heute Abend die Kupplerin zu spielen.
 

"Shinji!"

Asuka kam frisch gewaschen aus dem Bad raus und sah ihn grimmig an.

"Was ist?"

"Wegen der Feier heute Abend..."

Shinji grinste. "Hast du es dir anders überlegt und willst doch nicht mit mir hingehen?"

"BAKA! Ich wollte dir nur sagen dass du dir für heut Abend was ordentliches anziehen sollst! Dieses langweilige Hemd dass du andauernd trägst, nervt!"

[Doch keinen Rückzieher, Asuka?]

Shinji sah sie einen kurzen Moment lang fragend an.
 

"Hey, Misato!"

Ritsuko kam freundlich grinsend auf sie zu und hatte neben einem Kaffee auch eine komplette Aktenmappe in der Hand. Es war Mittagspause, und Misato war gerade dabei ihre Müdigkeit mit einem kalten Bier runterzuspülen.

"Was ist los, Ritsuko?"

"Zu deinen kritischen Bedenken gestern", Dr. Akagi räusperte sich, "habe ich relativ gute Nachrichten. Der achte Engel wurde bei Sacramento gesichtet und wird gerade von NECs First Children Clade bekämpft."

"Was???" Misato sah sie mit weit aufgerissenen Augen an.

"Das heißt, Nerv ist nicht allein betroffen. Deine Bedenken sind völlig grundlos." Ritsuko knallte ihr die Akte auf den Tisch.

"Und was ist nun mit dem Engel? Wird Clade ihn besiegen können?"

"Wir erwarten gegen Abend einen ausführlichen Bericht."
 

Toji stand an Shinjis Bank aufgestützt und rieb sich den Schweiß von der Stirn. Zum Glück war die Schule bald aus - nur noch eine Stunde.

"Mann! DIE hat's gut! Keine Eltern, dann die Party heut... Viel besser als es ihr verschrobener Charakter verdient!"

"Hey, red nicht schlecht über Hikari! Schließlich hat sie dich auch eingeladen!"

"Sie hat die ganze Klasse eingeladen - dass ist etwas anderes."

Warum hat sie das eigentlich getan? Warum hatte sie diese Klassenfete organisiert? Plötzlich kamen in Ikari kritische Gedanken über die Uneigennützigkeit der Klassensprecherin zum Vorschein.
 

Hikari blickte Rei an. Es war mitten im Unterricht, der Lehrer versuchte etwas zu erklären, doch sie hörte nicht zu. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt in diesem Augenblick Rei, und sie konnte ihren Blick nicht abwenden.

Was war los? Es konnte nichts mit Liebe zu tun haben, denn in dieser Hinsicht war Toji ihr ein und alles. Aber IRGENDETWAS war da. Aus irgendeinem Grund fühlte sich Hikari von Rei seltsam angezogen.
 

Bevor Misato Feierabend machte, ging sie noch mal zu Ritsuko. Letztere befand sich bei Magi und tippte etliche Daten in den Supercomputer ein.

"Gibt es neues von NEC?"

Ritsuko fing an zu grinsen als sie Misatos neugieriges Gesicht sah.

"Ja, wir haben soeben die Ergebnisse der Schlacht bekommen. Engel Nr. 8 wurde planmäßig und ohne Schwierigkeiten von NEC First Children Clade Shawver besiegt."

Clade hatte es geschafft?

Ohne Probleme?

Sein erstes Zusammentreffen mit einem Engel?
 

Sein erstes Zusammentreffen mit...
 

Rei...
 

... lag in ihrem Bett und starrte mit ihren rot leuchtenden Augen an die Decke. Für sie war es ein Tag wie jeder andere. Die Feier bei Hikari war uninteressant für sie - sie gehörte da nicht hin.

Vermutlich würde sie sowieso nur rumstehen und den anderen gestenlos zusehen. Selbst wenn Shinji....
 

... viel zu spät!" Asuka schrie wütend durch die geschlossene Badezimmertür. Shinji war bereits seit einer Viertelstunde im Bad, und...
 

... Misato beobachtete belustigt wie die beiden Kinder sich für den Abend vorbereiteten. Es kam ihr vertraut vor, und irgendwie musste sie unweigerlich an...
 

(...)
 

Die Tür klingelte - Hikari wachte erschrocken aus ihrem unruhigen Schlaf auf. Sie musste eingenickt sein! Nun waren die Getränke noch gar nicht kalt gestellt, und nichts war vorbereitet!

[Ruhig Blut...]

Zum Glück war morgen keine Schule - sie konnten die ganze Nacht durchfeiern. Also hatte sie auch genug Zeit Getränke kaltzustellen. Alles würde problemlos verlaufen.

[Hoffentlich...]
 

Gegen 7 Uhr klingelte Asuka an Hikaris Haustür. Als die Gastgeberin die Tür öffnete wurde sie fröhlich von dem Second Children angelächelt, während Shinji sich hinter ihr verkrümelt hatte und in eine triviale Richtung starrte.

"Hallo Asuka! Shinji!"

"Hallo!"

"Ihr seid fast die letzten!", beklagte sich Hikari amüsiert und sah zu wie Shinji einen mürrischen Blick auf Asuka warf.
 

Alles verlief bestens. Die Stimmung lockerte sich schnell, und es entstanden in kürzester Zeit ausufernde Diskussionen über völlig unwichtige Dinge. Eigentlich war jeder an diesem Abend gut gelaunt - außer Hikari.

Sie lag auf ihrem Bett im Obergeschoss und nahm die Unterhaltungen im Wohn- und Esszimmer nur als leises Murmeln wahr. Ihr war verflucht übel.

Es war eine Schande. Ausgerechnet heute, am Tag der Feier! Zuerst ihre furchtbare Schläfrigkeit, und dann die Übelkeit die schwer an ihrer Seele nagte. Viel lieber wäre sie unten bei den anderen...

Aber vielleicht fehlte ihr auch nur etwas frische Luft? 5 Minuten draußen und es wäre wohl alles wieder besser.

Hikari stand auf.
 

Shinji stand etwas abseits der Menge. Seine ,Verabredung' mit Asuka bestand darin, dass sie bei ihren Freundinnen stand und er sich überflüssig vorkam. Verschlimmernd kam hinzu dass Kensuke in letzter Sekunde wegen eher zweifelhaften Gründen absagen musste, und Toji immer noch nicht da war.

Die Stimmung um ihm herum kochte über. Alle waren gut gelaunt, und die Tatsache dass er selbst es noch nicht war deprimierte ihn noch mehr.

Plötzlich kam Hikari die Treppe hinuntergeschneit, ihr Gesicht war ungewöhnlich farblos und blass. Ihre Augen schweiften kurz durch den Raum, und fixierten sich dann auf die Wanduhr.

9:41 Uhr...

"Stimmt etwas nicht?", fragte Shinji, der sich spontan zu ihr gesellt hatte.

"Mir geht es nicht gut", antwortete sie schleppend und hielt sich die rechte Hand an den Bauch. Shinji seufzte, wieder überfiel ihn die Langeweile.

Doch dieses Gefühl ließ schnell nach, als es an der Tür klingelte. "Das ist bestimmt Toji", murmelte er vor sich hin und ging mit Hikari zur Haustür.
 

"Wo ist deine Begleitung eigentlich hin?", fragte eines der Mädchen die um Asuka herum standen.

"Du meinst Shinji?!? Keine Ahnung wo dieser Baka sich rumtreibt!"

"Warum bist du dann ausgerechnet mit IHM hier hin gekommen?"

"Na ja..." Asuka räusperte sich und blickte zu Boden. Sie wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als Shinjis und Hikaris Stimmen plötzlich laut zu hören waren.

"Rei!"

Der Blauschopf stand ruhig aber etwas perplex in einem schmucklosen Kleid an der Haustür. "Hallo", murmelte sie emotionslos.

"Schön dass du gekommen bist!", freute sich Hikari und vergaß ihre Übelkeit völlig. "Komm rein!"

Ayanami trat über die Schwelle und ging mit der Klassensprecherin zur improvisierten Getränkebar. Shinji blieb etwas verklemmt an der geöffneten Tür stehen und starrte in die Dunkelheit.

[Mach die Tür zu, Idiot!]

"Warte! Shinji!", japste eine wohlbekannte Stimme und rannte auf Hikaris Haus zu. "Tut mir Leid dass ich so spät bin!", entschuldigte sich Toji.

"Kein Problem." Ikari ließ ihn hinein und schloss die Tür.
 

Rei stand alleingelassen mit einem Glas Wasser in der Hand in einer Ecke des Raumes. Sie beobachtete, wie sich alle Klassenkameraden untereinander austauschen - und wie Toji verdächtig freundlich mit Hikari umging. Aber das interessierte sie eigentlich gar nicht, sie fragte sich momentan nur warum sie überhaupt hergekommen war.

"Hallo Rei", meinte Shinji plötzlich und kam lächelnd in ihr Sichtfeld. "Es hat mich überrascht dass du gekommen bist."

"Mich selbst auch", flüsterte Rei ohne den Jungen anzusehen. Obwohl sie aussah als wäre ihr alles egal, schwirrten Tausende Gedanken in ihrem Kopf herum. Gedanken, die niemals unausgesprochen bleiben dürften.

"Lass uns rausgehen", meinte sie plötzlich und sah ihn stechend an.
 

Asuka blickte intuitiv auf die Uhr. 11 Uhr schon - irgendwie wollte sie wissen was Shinji im Moment so trieb. Ihre Augen schweiften durch den Raum.

Wo war Shinji eigentlich???

Und wo war Rei???

Asuka zog ein wenig zornig die Augenbraue hoch.

Wo waren Hikari und Toji???
 

[Sie standen sich gegenüber. Lächelnd. Ihre Augen fixierten sich auf die ungewisse Dunkelheit die vor ihnen lag. Die ruhige See schlug in schäumenden Wellen an den Strand.

"Ich glaube an dich", sagte Hikari ruhig.

"Du bist einzigartig", erwiderte Rei.

Der trockene Sand umspielte ihre Füße -]
 

Rei ging schon seit Ewigkeiten mit Shinji die Straßen entlang. Sie genossen die reinigende Dunkelheit um sich herum und unterhielten sich als wäre ihr Verhältnis zueinander völlig unkompliziert und normal.

Eigentlich redete nur Shinji, Rei zog es vor zuzuhören.

Sie wusste auch nicht was sie hätte sagen sollen.

Aber sie genoss den Augenblick.
 

Ebenso wie Hikari ihr plötzlich entstandenes Zusammensein mit Toji genoss. Dies war ihre Nacht -
 

Shinji saß mit Rei in demselben Park, indem Kaji saß als er an seinem letzten Tag in Neo Tokyo die Zeit bis zum Abend totzuschlagen versuchte. Mittlerweile war alles leer und still - die beiden Children waren unter sich.

Doch Shinji hatte nicht mit den Launen des Wetters rechnen können. Ein leichter Nieselregen fiel vom Himmel und begann langsam die beiden zu durchnässen. Doch weder ihn noch sie schien es in irgendeiner Form zu stören.

"Rei, warum bist du WIRKLICH zu Hikaris Feier gekommen?"

Sie sah ihn mit fragenden Augen an.

"Ich weiß nicht", meinte sie schließlich. "Ich weiß nicht was mit mir los ist."

Shinji glaubte zu verstehen und sah in Gedanken versunken auf den Boden. Er musste an die Nacht im Krankenhaus zurück denken, in der er mit Rei eng umschlungen auf dem Bett gelegen hatte - die damalige Situation entstand ganz plötzlich aus einer Laune Ayanamis heraus.

[Aus dieser Nacht könnte ebenfalls so eine Szenerie entstehen...]

Er sah sie an.

Ihre Blicke trafen sich.

Zärtlich legte er seine Hand auf ihre nasse Wange. Unaufhörlich prasselte der Regen weiter.

[Irgendetwas stimmt hier nicht.]

"Was ist?", fragte Rei mit einer Mischung aus Irritation und Besorgnis. Ihre Stimmte klang bei weitem nicht so emotionslos wie gewöhnlich.

Shinji war schon dabei seine Hand nervös zurückzuziehen, doch er zwang sich diese Szenerie nicht auf sich beruhen zu lassen. Selbst wenn ihn irgendetwas an der Umgebung irritierte - mit Rei war alles in Ordnung. Im Gegenteil, sie wirkte lebendiger als je zuvor.

Ihre Wange war warm. Das Mädchen schien heute noch mehr Körperwärme abzugeben als damals im Krankenhausbett -

Sie packte mit starkem Gesichtsausdruck seine Hand. Selbst wenn sie normalerweise nicht mehr als eine Puppe war; in diesem Moment übte sie Macht aus.

Sie saßen nachts auf einer Parkbank und es regnete.

Aber es störte sie nicht.
 

"Aha!" Asukas gellender Schrei war durch das ganze Zimmer zu hören. Alle Augen waren auf Hikari gerichtet, die blitzschnell errötet mit Toji zusammen die Treppe runterkam. Bei beiden bildeten sich augenblicklich Schweißtropfen auf der Stirn.

"Wo kommt ihr denn her???", fragte Asuka spitzbübisch und grinste die beiden diabolisch an.

"Ich wollte ihm nur zeigen, wo... äh..." Hikari wich ihrem Blick sichtlich verlegen aus, Toji schien sich hinter ihr zu verstecken.

Asuka hatte sich langsam wieder beruhigt und die diabolischen Züge entschwanden aus ihrem Gesicht. Dennoch hackte sie weiterhin (nicht unamüsiert) auf Hikari herum. "Darf man euch nun gratulieren?"

Hikari und Toji sahen sich verwirrt an. Dann fingen sie an zu lächeln.

"Ich glaub's nich..." murmelte Asuka und verschwand ausdruckslos zur improvisierten Getränkebar.
 

Eng umklammert hatten sich Shinji und Rei wieder in intensiven Küssen verfangen. Ikari schob ihr zärtlich eine Strähne ihres nassen Haares aus dem Gesicht und drückte ihren Körper mit der anderen Hand kraftvoll an seinen eigenen. Diesmal wollte er sich nicht von irgendetwas unterbrechen lassen.

Er wollte sie...

[Wie weit willst du gehen?]

Blitzschnell ergriff Rei die Initiative und drückte seinen Oberkörper nach vorne. Sie MUSSTE sich irgendwie verändert haben - die ,alte' Rei wäre zu so etwas niemals fähig gewesen. Wie eine Nymphomanin drängte sie Shinji in eine liegende Position und breitete sich auf ihm auf. Wieder hatte sie ihn in die Defensive gedrängt und lag in einem engen Kuss verschmolzen auf ihm. Während sein Rücken unbequem auf die Parkbank gepresst wurde, prasselte auf ihr eigenes Kreuz der immer heftiger werdende Regen. Ihre nassen Haarsträhnen fielen ihm ins Gesicht.

In Ayanami erwachten binnen weniger Sekunden Emotionen, die sie noch nie verspürte und auch nie begreifen sollte. Sie hatte in all der Zeit gelernt sich im Zaum halten zu können, ihren eigenen Willen (hatte sie überhaupt jemals einen gehabt?) zu unterdrücken und jegliche Gefühle verhindern zu können - aber in diesem Moment zählte das alles nicht. Rei fühlte sich auf Shinji wie ein Kind im Spielwarengeschäft, und sie wollte ausprobieren zu was ihr Körper alles in der Lage war.

[Wenn er ihr diesen Wunsch gestatten würde...]

Unbeholfen knöpfte sie sein Hemd auf.

"R...Rei...?", hauchte er verwirrt nach einem ihrer intensiven Küssen, und wurde gleich darauf wieder von ihrer Zunge umgarnt.

Er könnte sie entweder weitermachen lassen, oder sie von sich stoßen....

Oder selbst in Aktion treten?

Langsam tasteten seine Hände nach ihrem Rücken, strichen über ihre weiche Haut und lösten vorsichtig die Träger ihres Kleides von ihrer Schulter.
 

Etwas neben der Spur stand Asuka bei ihren Freundinnen und hielt ein leeres Glas zwischen ihren Fingern. Es war bereits 1 Uhr nachts, und während einige von ihnen um diese Uhrzeit erst richtig wach wurden, schmiedeten anderen schon Pläne wie sie heimkommen sollten.

"Wann gehst du eigentlich, Asuka?"

"Wenn dieser Baka Shinji endlich wieder da ist!!!"

Ihr lag wirklich nicht mehr viel an dieser Party, wenn es nach ihr ginge wäre sie schon längst weg. Aber draußen regnete es ja in Strömen, und dieser verfluchte Ikari - IHRE Begleitung - zog es ja vor einfach zu verschwinden.

Genauso wie Wondergirl...

Gab es da einen Zusammenhang?

Asuka beschloss sich abzulenken und Hikari noch ein bisschen zu ärgern.
 

Es hatte aufgehört zu regnen.

Rei's Kopf lag erschöpft auf Shinjis nacktem Oberkörper und gab hektische Atemlaute von sich. Ihr BH lag im nassen Gras neben der Bank, und ihre Brust wurde von ihrem eigenen Körpergewicht auf Shinjis Bauch gepresst.

Letzterer lag mit hochrotem Kopf auf dem Holz und versuchte gleichmäßig zu atmen, was ihm beim Spüren von Rei's harten Brustwarzen auf seinem Körper nicht so ganz gelang.

"Shinji", ächzte das Mädchen verhältnismäßig emotionslos (wenn man bedachte dass sie im Moment halbnackt auf ihm lag).

"J...Ja?", stotterte er und ließ sich seine Nervosität deutlich anmerken. Der ganze Zauber dieser Nacht war vorbei, Rei war wieder Rei, und Shinji war wieder der verklemmte Junge von nebenan.

"Ein letztes Mal...", flüsterte sie und krabbelte mit langsamen Bewegungen bis zu seinem Kopf. Wieder berührte sie zärtlich mit ihren nassen Lippen seinen Mund und ließ sich von seiner Zunge liebkosen. Ihr durchnässtes Haar fiel ihm direkt auf seine Stirn, einzelne Tropfen perlten seine Wange hinab.

"Hm!", hustete er plötzlich und drückte sie so zärtlich wie nur möglich von ihm weg. Blitzschnell saß er in einer aufrechten Position und wurde von Rei fragend angesehen.

"Das WAR kein Regen!", meinte er plötzlich. "Regen schmeckt und riecht anders!"

"Anders?"

"Dieser Geruch ist fremd... Aber irgendwie vertraut..." Dann fiel ihm auf dass Ayanami mit völlig nacktem Oberkörper neben ihm auf der Parkbank in dieser einsamen und stillen Grünfläche saß. Ihre Augen sahen ihn verwirrt an.

"R... R... Rei.... D... Deine..." Mit feuerrot angelaufenem Kopf und einem Herzschlag jenseits des Messbaren deutete er in einem zaghaften Blick auf ihre nackten Brüste.

Rei sah an sich herab und erkannte zufrieden dass ihr Busen noch in voller Form vorhanden war, irgendwie erkannte sie nicht auf was Shinji eigentlich hinaus wollte.

"W.... Willst du dir nicht was... anziehen?" Er zitterte am ganzen Leib.

Ein weiteres Mal sah Rei an sich herab. "Irritieren sie dich?", fragte sie verwirrt und blickte ihn unbewusst mit Hundeaugen an.

Das war endgültig zuviel, Shinji bekam blitzschnell Nasenbluten und kippte der Ohnmacht nahe von der Bank, um mit dem Kopf mit nassen Gras aufzuschlagen.

(direkt neben Rei's BH...)
 


 

PHASE 11: SPHÄRE DES LICHTS 2
 

Das Mittagessen war bereits vorbei. Misato hatte eine für sie typische Instandsuppe warm gemacht, und Asuka damit durchgefüttert. Shinji blieb davon verschont - er war immer noch am schlafen. Ungewöhnlich für den Jungen, das Mittagessen zu verschlafen, aber er war mit seiner Begleitung auch erst um 2 Uhr nachts heim gekommen.

Das Mädchen starrte Misato stocksauer an und stand auf.

"Ich werde Shinji einen Besuch abstatten", meinte sie trocken und setzte sich in Bewegung.

Misato rechnete mit dem Schlimmsten und wagte gar nicht Asuka von ihrem Unterfangen abzuhalten.
 

Wortlos betrat sie Shinjis Zimmer. Gestern ließ er sie etliche Stunden warten bis er sich endlich wieder bei Hikari blicken ließ - völlig durchnässt und mit Rei im Schlepptau. Schon beim Gedanken an diese Sache brodelte in Asuka die unbändige Wut.

Die allerdings schnell wieder abflachte, als sie den Jungen friedlich allein in der Unterhose auf dem Bett liegen sah. Sein Atem ging leise und gleichmäßig, er schlief wie ein Baby.

Einen Moment lang sah das Mädchen ihn verträumt an.

Dann fiel ihr auf dass seine Lippen sich bewegten. Es war kein Laut zu hören, aber Langley erkannte dennoch sofort was er sagen wollte.

"...Rei... Rei..."

Schließlich fiel ihr Blick auf die nicht zu übersehene Beule in seiner Hose, und sie ging schreiend auf ihn los.

"BAKA HENTAI!!! Wach gefälligst auf!!!" Mit Genugtuung stellte sie fest dass der Junge völlig verschrocken aufgewacht war. "Und überhaupt!!! Was fällt dir ein mit MIR auszugehen und dann mit WONDERGIRL zu verschwinden!!!"

"Ich...", stotterte er in Asukas Würgegriff und bekam nur schwer Luft zum atmen. Das Mädchen ohrfeigte ihn auf die Wange und verschwand schließlich aus seinem Zimmer. "Er ist wach!", rief sie noch Misato zu und ging ins Bad.
 

Als ob ihr bisheriges Leben nicht mehr als ein langer Traum gewesen wäre, erwachte Rei noch später als Shinji aus ihrem traumlosen Schlaf. Sie fühlte sich wie gerädert, konnte gar nicht fassen was sie gestern mit Ikari angestellt hatte...

Irgendetwas ist über sie gekommen. Eine merkwürdige Stimmung, die sie dazu brachte sich ein schlichtes blaues Kleid zu kaufen, es anzuziehen, zu Hikaris Feier zu gehen und schlussendlich mit Shinji auf der Parkbank zu enden.

Was hatte sie nur getan???

Verwirrt und angewidert von sich selber stieg sie aus ihrem Bett und zog sich etwas an.

Ihre Beine schmerzten.

Sie hatte einen ekligen Geschmack im Mund.

Und als sie glaubte sich übergeben zu müssen, klingelte es auch noch an der Tür.

"Ich bin es!", meldete sich eine fröhliche Hikari und Rei taumelte zum Eingang ihrer Wohnung hin.

Als sich die Tür öffnete, änderte sich die Miene der Klassensprecherin schlagartig. ,Du siehst ja entsetzlich blass aus', wollte sie ansetzen, wurde im letzten Augenblick aber noch von der Erkenntnis unterdrückt dass Rei sowieso schon immer entsetzlich blass ausgehen hatte.

Aber trotzdem sah Ayanami schlimm aus, als ob sie die ganze Nacht nicht geschlafen hätte...

"Geht es dir gut?"

"Ja."

"Du siehst aus als wärst du krank."

[Krank...?]

Vielleicht war sie das tatsächlich.

Hikari räusperte sich. "Ich bin eigentlich nur zufällig an deiner Wohnung vorbeigekommen und muss gleich wieder weg. Aber wo warst du gestern die ganze Zeit? Ich habe dich auf der Feier so gut wie nie gesehen!"

Rei stockte, für eine Sekunde lang bildete sich ein zarter Rotschimmer auf ihrer Wange.

"Shin...", fing sie irritiert an.

"Shinji??? Du warst mit Shinji weg???" Hikari ließ ihre Tasche augenblicklich aus den Händen fallen und stürzte zu dem Mädchen hin. "Was habt ihr gemacht???"

Rei seufzte, sah sie einen Moment lang skeptisch an, und begann schließlich zu erzählen.
 

[Empfänger: Ikari Gendo - Nerv

Datum: 11. Januar 2016 > Nachricht 1/1

Absender: Unbekannt

---

Der Plan hatte gestern Abend seinen gewohnten Lauf verlassen. Unsere Spione mussten uns mit Bedauern mitteilen, dass sich das First Children unter einem strömenden LCL Regen mit ihrem Sohn vergnügte - was zu beachtlichen Komplikationen im Programm führen kann. Falls solche Fälle weiterhin auftreten, müssen wir Shinji aus dem Konzept verbannen - Rei ist als Prototyp wichtiger als er. Andererseits wissen wir nun, in wie weit sich die Gehirnwellen der Children unter LCL Einfluss verändern können.]
 

"Aber ihr habt ja noch gar nichts genaues gesagt! Wie war eure Feier gestern?" Misato schaute schelmisch zwischen zwei Bieren zu Shinji und Asuka hinüber. Sie wusste dass irgendetwas vorgefallen sein musste, und irgendwie war sie neugierig was genau passiert war.

Das Mädchen wendete den Blick von ihrem Abendessen ab und funkelte Shinji beim Gedanken an gestern böse an.

"Shinji?", fragte Misato mit Nachdruck.

"Ich... Äh... Also..."

"Ja?", fing Asuka an, "was war zwischen dir und Rei?"

"Du und Rei?!?", schrie Misato lauthals und verschreckte Ikari nur noch mehr. "Schon wieder???"

Langley sprang blitzschnell auf und gaffte Shinji mit großen Augen an.

["Schon wieder?" Er hat es schon einmal mit ihr getrieben???]

Sie rannte in ihr Zimmer, Misato fing sofort an zu grinsen.

"Shinji, ich glaube ich sollte dich langsam aufklären..."

"Wir haben es nicht..!", versuchte er mit hochrotem Kopf zu erwidern, wurde aber jäh von Misato unterbrochen.

"... aber vielleicht wäre es besser Rei aufzuklären." Katsuragis Mine war plötzlich todernst. "Etwas stimmt mit ihr nicht, wenn sie einfach so auf dich losgegangen ist."

"He!", rief der Junge empört, "woher weißt du dass SIE auf MICH losgegangen ist?"

"Shinji, ich kenne dich, du hättest niemals den ersten Schritt gemacht..." Wieder schmunzelte sie.
 

Hikari war den ganzen Tag bei Rei gewesen. Sie hatte sich die Geschichte mit Shinji angehört, und versucht mit Ayanami ein Gespräch darüber zu führen - doch eher vergeblich. Für sie war es unklar was das Mädchen gestern dazu getrieben hatte mit Shinji einfach zu verschwinden, denn heute war sie wieder die emotionslose Rei die sie immer war. Unfähig dazu, eine Diskussion zu führen.

[Unfähig zu lieben?]

Und so stapfte die Klassensprecherin am späten Abend wieder nach Hause.

Enttäuscht - aber irgendwie auch stolz dass Rei sich ausgerechnet ihr anvertraut hatte.

Irgendetwas in ihr fühlte sich auf eine merkwürdige Art und Weise zu dem Mädchen hingezogen...
 

Shinji saß auf seinem Bett und blickte aus dem Fenster hinaus. Es war Nacht, und die Dunkelheit draußen verdammte ihn beim Blick auf die Scheibe sein eigenes Spiegelbild zu sehen. Er konnte nicht schlafen - Rei kontrollierte seinen Geist völlig.

[Dieses Mädchen...]

Er musste mit ihr reden, allein schon um wieder ruhig schlafen zu können. Morgen würde er zu ihr hin gehen und -

Seine Zimmertür öffnete sich langsam. Im ersten Augenblick rechnete er mit Misato, doch stattdessen begrüßte ihn ein verschlafenes Mädchen dass allein mit einem dünnen Nachthemd bekleidet war.

"Shinji...", begrüßte Asuka ihn trocken und schloss die Tür hinter sich. "Wir müssen reden."

Der Junge sah sie verschrocken an, und blieb wie angewurzelt sitzen als sie immer näher zu ihm kam.

"Eigentlich bedeutet dir Rei gar nichts, richtig?", flüsterte sie ihm zuckersüß ins Ohr. "Du würdest es mit jeder treiben, die Person wäre völlig egal."

Damit umarmte sie ihn plötzlich und umschloss seine Lippen mit ihren. Shinji reagierte nicht.

Er war geschockt und dachte über ihre Worte nach.

Hatte sie recht?

Die Leere die er seit gestern immer dann verspürte, wenn Rei nicht in seiner Nähe war, wurde in diesem Augenblick ganz automatisch von Asuka ausgefüllt. War es wirklich Liebe, oder nicht mehr als ein spontanes Verlangen?

Er musste über diese Frage nachdenken.

Aber es gelang ihm nicht, solange Asukas Zunge wie ein Kaubonbon an seinem Gaumen klebte.

Er erwiderte ihre Geste und legte seine Arme um sie. Einige Minuten lang standen sie ineinander verschränkt und tauschten leichte Zärtlichkeiten aus, bis Asuka schließlich mit freundlichem Grinsen ,ich hasse dich' murmelte und mit wackligen Schritten sein Zimmer verließ.

Er sah ihn verwirrt hinterher.

Legte sich ins Bett; schnell fand er seinen ersehnten Schlaf.
 

Von einem grässlichen Geräusch geweckt sah Misato verschlafen auf ihre Uhr. 1:34 - großartig.

Das Telefon klingelte.

Zuerst wollte sie den Anruf mürrisch ignorieren, doch dann kam ihr in den Sinn dass es vielleicht wichtig sein könnte. Jemand der sie so spät noch anrief musste seine Gründe haben.

Sie stand auf, verließ ihr Schlafzimmer und stapfte müde zum Telefon.

"Ja?"

"Hallo Kleines..."

[Kaji???]
 

Shinji stand im trockenen Sand, ihm gegenüber Rei. Die Sonne schien hell und das Wasser schäumte die Gischt in regelmäßigen Abständen an den herrlichen Strand.

Jedoch ohne ein Geräusch von sich zu geben - alles war völlig still. Nichts war zu hören.

[Alles um sie herum war stumm und tot.]

Das Mädchen stand ihm immer noch lächelnd gegenüber und musterte ihn in dieser bizarren Stille ganz genau.

Schließlich bewegte sie ihre Lippen als ob sie mit ihm reden würde - doch anfangs blieben auch diese Laute stumm. Nach kurzer Zeit aber hörte Shinji ihre dünne kristallklare Stimme von allen Seiten.

"Ich wusste dass es so weit kommen würde."

"Was?" Seine eigene Stimme hallte wie ein Echo vom Meer.

"Dass du dich in sie verlieben würdest."

"Sie?" Shinji sah Ayanami irritiert an. "Du meinst Asuka?"

"Nein..." Sie senkte mit einem leichten Lächeln den Kopf. "Ich meine Rei."

"Rei? Aber ich dachte DU bist Rei!"

Ein zaghaftes Kichern war zu hören.

"Ich bin... LCL..."
 

"KAJI!!!" Misato schrie seinen Namen förmlich ins Telefon, es war ein Wunder dass Shinji und Asuka nicht aus ihren festen Träumer herausgerissen wurden.

"Lange nicht gesehen!"

"Warum rufst du an?"

Sie hörte ein Räuspern am anderen Ende der Leitung. "Misato... Es ist wichtig. Ich bin in Italien, habe etliche verschiedene Identitäten und Pässe. Eine Identität macht aus mir einen Nerv-Angestellten, eine andere einen vatikanischen Söldner. Verstehst du was ich meine?"

"Ja, aber nicht worauf du hinaus willst."

"Ich wollte das hier eigentlich nur durchziehen um in die Keller des Vatikans hineinzukommen - aber so langsam überschlagen sich die Ereignisse."

"Was ist passiert?"

"Wie gesagt, ich bin nun unter anderem ein Söldner des Vatikans. Und vor kurzem hat mich ein äußerst ungewöhnlicher Auftrag ereilt. Irgendein richtig hohes Tier verlangt dass ich Gendo umbringe, und zahlt eine immense Summe dafür."

"Gendo??? Er ist eine Zielscheibe des Vatikans??? Wirst du ihn töten?"

"Ich werde vorerst Italien nicht verlassen." Er seufzte. "Aber da ist noch etwas anderes. Haben sich die Children in letzter Zeit merkwürdig verhalten?"

"Merkwürdig?"

"Ja. Anders als gewöhnlich."

"Rei turtelt mit Shinji herum."

Kaji lachte kurz und herzhaft. "Okay, das sind GUTE merkwürdige Verhaltensweisen..." Er fing sich wieder. "Aber ich meine etwas anderes. Eine Identität macht aus mir einen hohen Angestellten von Waechter - ich hatte ein sehr aufschlussreiches Gespräch mit Winston Druchov. Er hat mir einige sehr interessante Dinge verraten..."

"Was???"

"Das LCL - es ist nicht ganz ungefährlich. Ich habe noch nicht herausgefunden in wie weit, aber ich werde mich wieder bei dir melden. Pass auf die Children auf."

"Ich werde Rei so oft wie möglich besuchen. Auf Shinji und Asuka hab ich ja sowieso schon ein Auge geworfen."

"Gut."

Misato seufzte kurz. "Kaji... Keyko ist tot. Ich habe ihn kurz vor seinem Tod noch getroffen."

"Keyko wusste dass er sterben würde. Er war bereit."

"Bereit zu sterben???"

"Ich bin es auch." Er stockte. "Es ist eine wichtige Angelegenheit."

Er legte auf.
 

ENDE KAPITEL 3
 


 

VORSCHAU: PHASE 12 (27. JANUAR 2016)
 

Ein weiterer Engelangriff ist überstanden: Die Children liegen in der Nerv Krankenstation
 

NEC First Children Clade Shawver wird als Verstärkung für NERV nach Japan geschickt
 

Shinji, Rei und Asuka erleben merkwürdige Fieberträume
 

Clade hat die Wahl bei Misato oder in Rei's Wohnung unterzukommen...

27. Januar - 3. Februar

KAPITEL 4: 27. JANUAR - 3. FEBRUAR
 


 


 

PHASE 12: OFFENE WUNDEN
 

Niemand hätte gedacht dass der Engel so schlimme Verwüstungen unter den Children hätte anrichten können. Rei lag in der Intensivstation - sie war am schlimmsten von allen dran. Mit einer selbstmörderischen Aktion hatte sie sich auf das Wesen gestürzt und es letztenendes besiegt.

Ayanami hatte starke Kopfverletzungen und zahlreiche innere Blutungen. Sie lag im Koma und wurde so gut es ging behandelt.

Shinji hatte hohes Fieber und zahlreiche Wunden am ganzen Körper. Er schlief fast den ganzen Tag.

Asuka hatte einen gebrochenen Arm - ihre verhältnismäßig gute Verfassung erlaubte ihr zahlreiche wache Phasen am Tag. Misato war oft bei ihr und hatte mit dem Mädchen geredet.

Doch in diesem Moment konnte sie nicht bei den Kindern sein - sie musste gleich zum Flughafen fahren und das neue Fourth Children abholen. Clade Shawver - ehemals das First Children von NEC.
 

Asuka stand im weichen Sand eines endlosen Strandes. Das Meer lag in ruhigen Wellen auf dem Flussbett und bot einen besinnlichen Kontrast mit der hell scheinenden Sonne am Himmel. Dem Mädchen gegenüber stand Shinji, mit nichtssagender Miene behaftet.

"Ikari-kun?"

Er sah sie einen Moment lang schweigend an. "Nein."

"Wer bist du?"

"Jemand den du eigentlich kennen solltest."
 

Misato wartete mit Ritsuko auf dem Parkplatz und hielt Ausschau nach dem ominösen Fourth Children. Clade schien sich ganz schön viel Zeit zu lassen, er war weit und breit nicht zu sehen...

"Wie sieht es eigentlich aus mit der Romanze zwischen Rei und Shinji?", fragte Ritsuko schmunzelnd.

"Rei hat sich seit Ewigkeiten nicht mehr bei ihm gemeldet... Ich war ein paar Mal bei ihr, aber sie wollte mir nicht verraten was sie von Gendos Sohn hält."

"Und Shinji?"

"Ihm ist alles egal, hoffentlich wird er nicht zu einem Typen wie Kaji..." Misato seufzte.

"Vielleicht liegt ihm aber auch mehr an Asuka."

"Shinji??? Das bezweifle ich! Asuka ist wirklich nicht sein Typ!"

"Na ja... Gegensätze ziehen sich an..."

Misato sah Ritsuko einen Moment lang herausfordernd an.

"Okay!", meinte Katsuragi schließlich. "Lass uns wetten! Ich wette um 3000 Yen dass Shinji mit Rei zusammen kommt!"

"Gut, ich setze auf Asuka! Und WEHE du hilfst der ganzen Sache nach indem du ihn darauf ansprichst!"

"Ich doch nicht!" Die beiden besiegelten ihre Wette mit einem Handschlag und hatte den eigentlichen Grund ihres Aufenthaltes auf dem Parkplatz längst vergessen.

"Hallo?", meldete sich Clade kleinlaut und versuchte sich Aufmerksamkeit zu verschaffen.

"Clade!", riefen beide Frauen gleichzeitig und sahen ihn überrascht an. "Du kommst spät!"

"Das Flugzeug hatte eine Verspätung."

Clade war etwa genauso groß wie Shinji, hatte glatt gekämmte dunkelblonde Haare und einen nicht zu überhörenden amerikanischen Akzent in seinem Japanisch.

Misato wies ihm in ihr Auto zu steigen.
 

[Empfänger: Ikari Gendo - Nerv

Datum: 27 Januar 2016 > Nachricht 1/1

Absender: Occasio

---

Hallo Gendo!

Ich rate dir keine vorheiligen Schlüsse zu ziehen, und vergiss alles was du über diese Schlacht weißt. Seitdem ich in Italien meine Nachforschungen betreibe - und den Namen Ryoji Kaji größtenteils abgelegt habe - bin ich Woche für Woche auf immer größere schockierende Tatsachen gestoßen. Nun bin ich bald in der Lage in den Keller des Vatikanpalastes einzudringen - und ich bin gespannt was mich dort unten erwarten wird.

Vermutlich werde ich bald wieder in Japan sein. Wenn du Misato oder die Children bis dahin ,beseitigen' lässt, werde ich dasselbe mit dir tun.]
 

Mit verwirrtem Blick saß Clade in Misatos Esszimmer (nachdem er die gefährlichste Autofahrt seines bisherigen Lebens hinter sich gebracht hatte). Katsuragi und Ritsuko hatten sich bei ihm vorgestellt und waren dabei ihn über NEC auszufragen. Der Junge konnte alle Fragen knapp aber präzise beantworten, und taute so langsam auf.

"Wo übernachte ich eigentlich?"

"Na ja..." Misato warf einen fragenden Blick auf Ritsuko. "Da das Third und Second Children momentan in der Krankenstation liegen, habe ich hier bei mir zwei Zimmer frei. Such dir eins aus - danach sehen wir weiter." Sie blickte ihn schmunzelnd an. "Nebenbei... Wie war es eigentlich einen Engel zu besiegen?"

"Engel?" Clade sah sie verwirrt an. "Was für einen Engel?"

Für einen Augenblick war alles still. "Der achte Engel - den du laut unseren Aufzeichnungen bei Sacramento besiegt hast!"

"Ich habe keinen Engel besiegt! In Amerika gab es noch keine Engelangriffe!"

Misato warf einen tödlichen Blick zu Dr. Akagi. "Ein Fehler im Programm?" Sie fing an sarkastisch zu grinsen. "Sabotage?"

"Entschuldigt mich - ich werde das NERV Hauptquartier aufsuchen." Ritsuko stand auf und verließ mit schnellen Schritten Misatos Wohnung.
 

Shinji sah sich um, die Szenerie kam ihm bekannt vor. Der Strand... Der Sand... Das Meer...

[Rei, die ihm gegenüberstand.]

"Was willst du?", fragte Shinji barsch und sah das Mädchen skeptisch an. Er wusste dass es nicht die ,echte' Rei war, sondern nur ein Wesen dass genauso aussah wie sie.

[LCL?]

"Du wirst sie doch nicht alleine lassen?"

"Wen? Ayanami?"

"Genau sie. Wirst du sie im Stich lassen?"
 

Clade saß alleine an Misatos Esszimmertisch. Die Frau hatte ihm sein Zimmer gezeigt und ihn daraufhin verlassen, ihrer Aussage nach wolle sie noch die verletzten Children im Krankenhaus besuchen. Er selbst solle hier bleiben und sich umsehen - sich an die neue Wohnung gewöhnen.

Aber irgendwie war ihm nicht danach. Die Zimmer waren fremd, und er wollte nicht unbedingt die Schubladen durchwühlen um zu erfahren wie Katsuragi und die beiden Children hier lebten.

Clade fühlte sich verdammt Fehl am Platz. Am Liebsten wäre er wieder in Amerika, an vertrauten Orten.

Sein ganzes Leben bestand aus irgendwelchem Umzügen. Als Vollwaise lebte er ständig bei neuen Eltern, die ihn adoptierten und meist nach wenigen Jahren wieder wie einen alten Hund zurück ins Waisenhaus schickten. So war es ihm schon dreimal wiederfahren.

Angefangen hatte es mit einem verheiratetem Ehepaar, das selbst keinen Nachwuchs haben konnte und sich nach Kindern sehnte. Sie nahmen ihn bei sich auf, und die ersten Jahre ging alles gut.

Dann stellte seine ,Mutter' fest dass sie im dritten Monat schwanger, und eine kleine Tochter im Anmarsch war. Er wurde überflüssig und kam nur wenige Wochen zurück ins Heim. Hart - aber Realität.

Geendet hatte es bei einem reichen Militärtaktiker namens James Schaffer, der ihn mit seiner Frau ein Jahr lang liebevoll umsorgte - aber letztenendes nur einen Piloten für den ersten Evangelion NECs brauchte.

Und nun lebte er also in Japan, was sicherlich auch nicht lange währen würde.

Gelangweilt sah er auf die Uhr.
 

"Asuka! Was machst du hier?"

"Psssst! Er schläft noch!"

Leise schlich sich Misato in Shinjis Krankenzimmer und beäugte das Second Children kritisch, welches den rechten Arm in einer Schlaufe hatte und an Ikaris Bett saß.

"Wer hat dir erlaubt dein Zimmer zu verlassen?"

Asuka funkelte sie sauer an. "Ich habe es satt ständig im Bett zu liegen! Mein Arm ist fast völlig kuriert und weh tut auch nichts mehr! Ich will wieder einem Engel in den Arsch treten!"

Misato ignorierte sie und warf einen besorgten Blick auf Shinji. Sie hatten den Jungen in den letzten Tagen so gut wie nie wach gesehen. Ebenso wenig wie Rei, die sie gerade eben besucht hatte.

"Wie geht es ihm?"

Asuka warf einen trübsinnigen Blick aus dem Fenster. "Er schläft und wacht nicht auf."

"Ich kann nicht lange bleiben, Clade ist in meiner Wohnung."

"Clade?", das Mädchen grinste schelmisch. "Dein neuer Macker?"

"Nein! Das neue fourth Children, mit freundlichen Grüßen von NEC."

"Ach so... Er wird doch hoffentlich nicht in deiner Wohnung bleiben? Da ist kein Platz mehr!"

Misato sah sie einen Augenblick lang schweigend an. "Ich denke dass ich dich morgen aus der Krankenstation rausbringen kann. Bei Shinji wird es noch etwas dauern, also wird Clade so lange in seinem Zimmer schlafen."

"Und wenn Shinji wieder in Ordnung ist?"

"Dann sehen wir weiter."

Asuka hob kritisch die Augenbraue. "Er ist doch hoffentlich kein Hentai??? Sonst wird er es mit MIR zu tun bekommen!"

"Na ja... Er macht auf mich den Eindruck als hätte er ganz andere Sorgen. Er wirkt niedergeschlagen."

Das Mädchen seufzte. "Also noch so ein Langweiler wie Shinji..."

"Was ist mit mir?", murmelte der Junge schläfrig und sah die beiden an. Einen Moment lang war alles ruhig, Misatos und Asukas Kopf drehten sich wie in Zeitlupe Ikari zu. In ihren Gesichtern war eine totale Verblüffung abzulesen.

"Wie lange bist du schon wach?", fragte Misato mit sorgendem Unterton.

"Seit eben. Wie lange habe ich geschlafen?" Er wendete den Kopf abwechseln Katsuragi und Asuka zu. "Wer ist Clade?"

"Du wirst in früh genug kennen lernen."
 


 

PHASE 13: GESCHREI INNERHALB DER TIEFE
 

"Das ist nicht dein Ernst?"

"Doch! Du musst nur noch unterschreiben!" Misato hielt Ritsuko grinsend ein Formular und einen Kugelschreiber hin.

"Du willst Asuka in ihrem Zustand wieder aus der Krankenstation rausbringen?"

"Hey, ihr geht es gut! Sie hat nach eigenen Aussagen keine Schmerzen mehr und war gestern den ganzen Abend über bei Shinji."

Ritsuko nahm skeptisch das Formular und warf einen flüchtigen Blick darauf. Ihre Augen musterten den eng gedruckten Text und begutachteten jeden Satz zweimal. Eigentlich wollte sie Asuka nicht in ihrem derzeitigen Zustand in Misatos Wohnung lassen - aber vielleicht würde es dem Fourth Children gut tun wenn er mal etwas Gesellschaft hätte. Schließlich war Clade neu in Japan.

Etwas widerwillig setzte Dr. Akagi ihre Unterschrift unter den Text und gab das Blatt an Misato zurück.

"Pass gut auf Asuka auf."

"Logisch!" Misato grinste und verließ Ritsukos Büro.
 

[Empfänger: Ikari Gendo - Nerv

Datum: 28 Januar 2016 > Nachricht 1/1

Absender: James Schaffer

---

Mit Freude nahm ich zur Kenntnis dass unser First Children Clade Shawver gut bei ihnen angekommen ist, und auch sein EVA sicher in ihrem Terminal Dogma steht. Doch ich kann die Anschuldigungen seitens ihrer Mitarbeiterin Dr. Ritsuko Akagi nicht verstehen. Uns ist nicht klar warum sie uns vorwerfen Akten gefälscht zu haben - der Bericht in dem beschrieben wird wie Clade den achten Engel besiegt beruht auf wahren Tatsachen.

Mit freundlichen Grüßen, James Schaffer.]
 

"Clade..." Misato grinste ihn an und wies auf das Second Children. "Das hier ist Asuka!"

"Hallo", begrüßte er sie zurückhaltend und hob seine Hand. Direkt wurde er von dem Mädchen streng gemustert und kritisch begutachtet, ihre Augen wanderten von seinem Kopf zu seinen Füßen und ließen kein Körperstück aus. Katsuragi stand nur daneben und versuchte sich das Lachen zu verkneifen.

"Hallo!", rief Asuka schließlich. "Denk dran - wenn du nachts in mein Zimmer kommst bist du tot!" Damit ging sie an ihm vorbei und durchstöberte den Kühlschrank. Clade sah ihr verwirrt hinterher.

"Die übrigen Children sind anders, keine Sorge..." Misato sah ihn breit grinsend an.
 

Das Zimmer war merkwürdig leer. Ein Bett, ein paar Bücher, CDs, ein Fenster. Trist, fast schon unpersönlich.

Aber bei ihm zuhause sah es genauso aus, deswegen störte Clade sich nicht an Shinjis Zimmer. Zumal er ja sowieso nur vorrübergehend hier einquartiert war.

Gelangweilt ließ er sich auf die Bettdecke fallen und starrte an die Decke. Er war also hier um Engel zu bekämpfen? Eine recht zweifelhafte Ehre, wenn man bedachte dass er irgendwie nicht wusste wie er sich diese Wesen vorzustellen hatte. Aber laut den Aussagen seines Kommandanten würde sich seine Aufgabe meist sowieso nur darauf konzentrieren, den anderen EVAs Rückendeckung zu geben, da sein eigener EVA nicht so stark war wie die Übrigen.

[Also perfekte Vorraussetzungen...]

Ruckartig ging die Tür auf. Asuka warf einen kurzen Blick ins Zimmer und musterte Clade, der trübsinnig auf seinem Bett lag.

"Jetzt fang du nicht auch so an wie Shinji", meinte sie trocken und er sprang auf die Beine.

"Was ist los?"

"Misato will die anderen beiden Children in der NERV Krankenstation besuchen und lässt fragen ob du mitkommen willst."

Das fourth Children dachte einen Moment über das Angebot nach.
 

Rei stand mit leicht verwirrter Miene im warmen Sand eines endlos langen Strandes. Das Meer bot in unruhigen Wellen einen lebendigen Kontrast.

Ihr gegenüber stand Hikari, mit ungewohnt selbstbewusstem und selbstsicherem Ausdruck.

"Hallo Rei", fing sie sarkastisch an.

"Was ist?" Ayanamis Stimme klang in ihrer Nervosität noch dünner als sonst.

"Dasselbe könnte ich dich fragen. Warum greifst du nicht in deine Umwelt ein?"

"Was meinst du..?"

"Anstatt zu handeln liegst du halbtot im Krankenbett."

"Was soll ich denn tun? Mein Körper kann nicht aufstehen!"

Hikari lächelte schwach. "Du bist der Prototyp - du kannst ALLES..."
 

Misato stand mit Clade und Asuka vor Shinjis Zimmer, als sie plötzlich eine vertraute Stimme hinter sich hörte. Nachdem sie sich umgedreht hatte, sah sie direkt in Ritsukos Gesicht.

"Misato... Kann ich dich kurz sprechen?"

Katsuragi deutete den Children an schon mal in Ikaris Zimmer zu gehen - sie selbst schlenderte mit ihrer Kollegin den Gang entlang.
 

"Hallo Shinji!", lächelte Asuka und begrüßte den längst aufgewachten Jungen. Ihm schien es schon wieder besser zu gehen, seine Gesichtsfarbe hatte an Blässe verloren und allgemein machte er einen sehr viel wacheren Eindruck, als noch vor Tagen.

"Hallo Asuka...", murmelte er. Sofort musterte er den unbekannten Besucher.

"Clade Shawver, Fourth Children", stellte sich der EVA 03 Pilot nüchtern vor. "Ich habe viel von dir gehört."

"Das beruht wohl auf Gegenseitigkeit", knirschte das Mädchen und erkämpfte sich blitzschnell wieder Shinjis Aufmerksamkeit. Im Laufe des Tages sollten sie beide auf eher unbequemen Krankenhausstühlen an Ikaris Bett sitzen - wobei Clade eher zuhörte als selber etwas sagte.

Schon wieder fühlte er sich fehl am Platz.
 

"NEC leugnet Berichte zu fälschen. Sie bestätigen den achten Engel durch Clade besiegt zu haben."

"Aber der Junge hat doch gesagt..."

"Ich weiß was er gesagt hat, irgendetwas stimmt hier nicht." Ritsuko sah Misato mit strengem Blick an. "Entweder lügt NEC oder Clade."

"Warum sollte Clade lügen?"

"Warum sollte NEC lügen?"

Sie blieben stehen und sahen sich schweigend an. Man konnte Katsuragi deutlich an den Augen ablesen dass sie sich auf die Seite des Jungen schlug.
 

"Wie geht es Rei?"

Asuka runzelte die Stirn. Wie konnte Shinji in diesem Moment an REI denken???

"Keine Ahnung", meinte sie dann und hoffte dass sich das Thema damit erledigt hätte.

"Ist sie noch nicht wieder aufgewacht?"

Das Mädchen seufzte und sah Clade ruckartig an. "Komm, sie mal nach ihr und sag uns ob sie wieder wach ist." Der angesprochene Junge zuckte zuerst nervös zurück und fragte dann nach der Zimmernummer des Mädchens.

Als er auf den hellen Gang trat merkte er dass er im Moment völlig in der Luft hing. Er hatte keinen Halt, niemanden der ihn stützte; jeder um ihr herum konzentrierte sich nur auf seine eigenen Sorgen und beachtete ihn so gut wie gar nicht.

Allerdings war das in Amerika auch nur bedingt anders gewesen.
 

Ritsuko hatte eine ,offizielle' Krisensitzung mit Misato in ihrem Arbeitszimmer einberufen. Beide Frauen hatten Tassen mit frischem Kaffee in der Hand und saßen auf ihren tristen Bürostühlen, ihre Blicke waren auf einen Computerbildschirm gerichtet. Daten über NEC wurden runtergescrollt, Berichte wurden gelesen.
 

Es geschah mit dem ersten Blick, den Clade apathisch auf die schlafende Rei warf. Sofort blieb er stehen und bewunderte ihr traumhaftes Antlitz, wie sie nymphengleich in diesem sterilen weißen Krankenhausbett lag. Sofort als er sich aus seinem ersten Schock erholt hatte, hastete er zu ihr hin und betrachtete ihr schlafendes Gesicht.

Es ging nicht um ihr Aussehen - irgendetwas in ihm reagierte auf sie.

Irgendetwas brach in ihm hervor.

Dies war das merkwürdigste Mädchen dass er je getroffen hatte.

Sie war regelrecht unheimlich.

Clade verließ hastig den Raum und knallte die Tür hinter sich zu, auf seinem Gesicht bildeten sich zahlreiche Schweißtropfen.
 

Rei erwachte noch am selben Abend aus ihrem Dornröschenschlaf.
 

Am Tag darauf war sie bereit aus der Krankenstation entlassen zu werden. Misato und Ritsuko waren aufgrund der so schnellen Heilung skeptisch und geschockt, dennoch gingen sie auf den Wunsch der Patientin ein. Ayanami lebte mit einigen Verbänden wieder unter normalen Umständen in ihrer Wohnung.
 

Wiederum ein Tag später wurde auch Shinji entlassen, nachdem Asuka ihn fast keine Sekunde des Tages allein gelassen hatte. Am liebsten wäre sie über Nacht bei ihm geblieben - ein Gefühl zu ihm entstand dass sie sich selbst nicht eingestehen wollte und zu verdrängen versuchte.
 

Aber das Geheimnis um den ominösen achten Engel den Clade besiegt haben sollte, wurde erst viel später gelüftet.
 


 

PHASE 14: AUFGANG DER FARBEN
 

"Rei?"

Vorsichtig klingelte Hikari an Ayanamis Wohnungstür. Es war der 2te Februar 2016 - 4 Tage nachdem der Blauschopf aus der Krankenstation entlassen wurde.

Als die Klassensprecherin merkte dass niemand auf ihr Klingeln reagierte, betrat sie perplex die Wohnung und ließ ihre Augen durch die Ecken schweifen. Die Schule war gerade vorbei. Shinji, Asuka und der neue Schüler Clade nahmen bereits wieder am Unterricht teil, doch von Rei gab es keine Spur.

"Rei? Ich bin's, Hikari!"

Schließlich wurde die Klassensprecherin fündig.

Rei lag mit ausgestreckten Gliedmaßen wie tot auf ihrer Bettdecke, und gab nur ein ruhiges Atmen als Lebenszeichen von sich. Ihre Augen waren geöffnet und starrten mit einem ungewohnt entspanntem Ausdruck an die Decke.

Als Ayanami die Anwesenheit eines Besuchers bemerkte, drehte sie Hikari den Kopf zu.

"Hallo", murmelte ihre dünne kristallklare Stimme, und mit Mühe stand das Mädchen von ihrem Bett auf.

"Was ist mit dir..?" Die Augen der Klassensprecherin waren wie erstarrt.

Irgendetwas musste mit Rei geschehen sein.
 

Clade schlief nun bei Shinji im Zimmer, notgedrungen hatte man ihm eine Matratze auf den Boden gelegt. Er hätte theoretisch auf bei Rei schlafen können (schließlich war dort genug Platz), doch dieses Angebot hatte er direkt abgelehnt. Immer wenn er Rei sah, fühlte er sich seltsam.

Shinji war in dieser Hinsicht völlig anders, Clade und er freundeten sich schnell an und erkannten beide ihre Vorliebe für Musik. Misato musste grinsen als Clade sie nach einem eigenen Discman fragte.
 

[Empfänger: Ikari Gendo - Nerv

Datum: 2. Februar 2016 > Nachricht 1/1

Absender: Unbekannt

---

Gendo, wir erkennen erhebliche Probleme mit dem neuen Fourth Children Clade Shawver. Wir konnten nicht damit rechnen, dass er in einer derart extremen Form auf das First Children reagiert. Wenn es zu schlimmeren Auseinandersetzungen kommen sollte, bleibt uns nicht anderes übrig als Clade zurück nach Amerika zu schicken.]
 

Rei, die sonst trotz ihrer emotionslosen Art die Verkörperung von Grazie und Eleganz war, wirkte in diesem Augenblick unbeholfen und plump.

"Du siehst komisch aus", begann Hikari zaghaft.

Rei blickte sie fragend an; die Klassensprecherin folgerte leichtfüßig dass Ayanami wohl selbst nicht wusste was ihr eigentlich fehlte.

[Falls sie in diesem Augenblick überhaupt noch ihren eigenen Namen wusste.]

"Was ist mit dir los? Ist irgendetwas wegen Shinji?"

Der Name ,Shinji' schien Rei langsam wieder zur Besinnung zu bringen. Kraftlos stand sie auf und musterte Hikari vom Kopf zu den Füßen, sie schien nichts ungewöhnliches zu bemerken.

[Sie schien nichts....]

"Rei?!?"

[Überhaupt nichts....]

"Was ist los???"

[Niemand... -
 

Das blaue Meer schäumte die Gischt an den hellen Sandstrand.

Rei stand Clade gegenüber, kein Ton war zu hören.
 

Wer bist du?]

"REI!?!"

Zittrig hob Ayanami die Augenlider und blickte direkt in Hikaris panisches Gesicht. Sie lag auf dem Boden ihrer Wohnung und spürte einen kalten Hauch durch ihre Glieder streifen. Das einzig warme in diesem Augenblick, war der aufkeimende Blick der Klassensprecherin.

"Was ist nur mit dir los?", murmelte Hikari verzweifelt und legte ihre Arme fürsorglich um das First Children.

"Hikari..."
 

"Shinji?"

"Hm?"

Es war die Nacht desselben Tages. Clade lag unruhig auf der Matratze, den ganzen Tag schon wurde er von üblen Magenkrämpfen geplagt. Shinji lag auf dem Bett neben ihm und sein ruhiges Atmen wirkte irgendwie beruhigend.

"Was ist Rei für eine Person?"

"Ich weiß was du denkst. Sie wirkt zwar auf den ersten Blick seltsam, ist aber eigentlich ein ganz normales Mädchen."

Clade seufzte. "Nein, ist sie nicht. Sie KANN nicht normal sein."

"Wie meinst du das?"

"Merkst du es nicht wenn du in ihrer Nähe bist?"

Shinji wurde aus schier unergründlichem Anlass wieder der Augenblick ins Gedächtnis gerufen, in dem Rei ihn halbnackt unter strömendem Regen auf der Parkbank ,bearbeitet' hatte. Damals musste er zugeben, ein ihm unbekanntes Gefühl verspürt zu haben - als wäre Magie in der Luft gewesen.

Doch eigentlich machte Rei auf ihn einen völlig normalen Eindruck.

"Ich weiß nicht was du meinst."
 

Misato stürmte schon fast aus dem Bett, als sie das Telefon um 1 Uhr nachts klingeln hörte. Auf der einen Seite hoffte sie die Children nicht aufzuwecken, aber andererseits stolperte sie beim Versuch ihr Schlafzimmer zu verlassen über alles was in diesem Moment nur hinderlich sein konnte. Es war ein Wunder dass sie das Telefon lebend erreichte.

"Ja?"

"Hallo Kleine..."

[Kaji, Kaji, Kaji!!!]

Misato hüpfte freudig umher und hätte fast den Hörer fallen gelassen.

"Wie geht's euch in Neo-Tokyo? Wie geht es den Children?"

"Gut, abgesehen von Rei."

Von der anderen Seite der Leitung war ein lautes Seufzen zu hören. "Das war zu erwarten, Clade wohnt jetzt bei dir, richtig?"

Katsuragi stockte. Mit einem Mal war ihre Stimme völlig ernst. "Was weißt du über Clade? Oder die Children?"

"Es sind keine normalen Kinder. Ebenso wenig wie das LCL eine normale Flüssigkeit ist. Um mit einem EVA zu synchronisieren müssen enorme Emotionen frei gesetzt werden, deswegen haben Rei, Asuka und Shinji alle bereits wenigstens eine Operation hinter sich."

"Operation???"

"Es handelt sich dabei um eine neue Technik, die von Seele entwickelt wurde. Ohne diese Technik wäre das Synchronisieren mit einem EVA niemals möglich. Bereits kurz nach der Geburt werden dem Gehirn des Children bestimmte Stoffe injiziert, die eine Reaktion mit LCL ermöglichen und als geplante Nebenwirkung bestimmte emotionale Funktionen außer Gefecht setzen. Shinji zum Beispiel wird niemals in der Lage sein zu weinen, er kennt dieses Gefühl nicht und wird es bis zu seinem Tod auch nicht kennen lernen. Rei war der Prototyp, an ihr wurde diese Technik zum ersten Mal ausprobiert, dementsprechend wurde ihr Hirn von den vielen Operationen am meisten geschädigt. Sie lebt ihre wahre Natur erst dann aus, wenn sie mit LCL intensiv in Berührung kommt. Asuka ist auch so ein Fall, sie kann ihre Emotionen beim besten Willen nicht richtig fokussieren."

Misatos Augen waren weit geöffnet, eine einsame Träne kullerte von ihrer Wange herab.

"Clade ist ein besonderer Fall, ich weiß selbst nicht genau was mit ihm los ist - das ist alles eine Angelegenheit von NEC und außerhalb meines Einflussbereiches. Aber es steht fest, dass der Junge in besonderer Form auf LCL reagiert."

"Ist es nicht gefährlich, ihn hier in Neo-Tokyo zu lassen?"

"Ja, vor allem für Rei. Ich habe befürchtet dass sie mit Clade nicht klar kommen würde."

Für einen endlos langen Augenblick herrschte Stille an beiden Enden der Leitung.

"Misato, versuch zu schlafen. Ich werde dich wieder anrufen."

"Wann kommst du zurück?"

"Wenn ich alle Antworten in Italien gefunden habe."

Damit legte er auf. Misato ließ den Hörer los und versuchte sich zu bewegen, doch dies gelang ihr nur mit viel Mühe. Sie war völlig perplex und irritiert.
 

Das Fourth Children hatte alles gehört.

[Was weißt du über Clade? Oder die Children? - Ist es nicht gefährlich, ihn hier in Neo-Tokyo zu lassen?]

"Was bedeutet dass?", fragte er Shinji.

Zu seiner linken hörte er aus der Dunkelheit wie sich jemand im Bett umdrehte. Ikari war also auch wach. "Ich weiß es nicht."

Was hatte Misato über ihn zu bereden gehabt? So langsam kamen Clade erste Zweifel ob es wirklich gut war, hier zu bleiben. Zwar hatte er in Shinji endlich einen Gleichgesinnten gefunden, aber jeder neue Tag brachte ihm neue Rätsel. Was war so besonders an ihm? Und was war überhaupt mit Rei los?

Der Junge beschloss, alles morgen aufzuklären. Es wurde Zeit die Initiative zu ergreifen.

Wenn er schon irgendwann wieder nach Amerika zurück geschickt werden müsste, dann wenigstens mit der Gewissheit die Wahrheit zu kennen.

Shinji ahnte nichts von den Plänen seines Zimmergenossen. Und er hatte sich von den Bruchstücken die er aus Misatos Munde hörte, auch nicht ausmalen können über was sie da eben mit dem unbekannten Anrufer [Kaji?] geredet hatte.

Draußen regnete es in Strömen.
 

Rei lag in ihrem Bett und lauschte der Stille um sie herum. Die ganze Wohnung war in völlige Ruhe gehüllt.

Sie konnte nicht schlafen - irgendetwas hielt sie wach.

Immer wieder schweiften ihre Gedanken ab, zu Shinji, zu Clade, zu Hikari.

Sie konnte nicht schlafen - sie konnte es einfach nicht.

So etwas hatte sie noch nie erlebt, ihr Körper rebellierte gegen ihren Geist und ließ ihn nicht zur Ruhe kommen. Vielleicht sollte sie das Fenster aufmachen, um etwas frische Luft hineinzulassen.

Obwohl, bei dem Regen wäre dies wohl keine so gute Idee...

Schmerzverzerrt zuckte sie zusammen. Plötzlich schien ihr ganzer Körper zu verkrampfen, eine Attacke die ebenso schnell endete wie sie gekommen war. Rei wurde mehr und mehr von sich selber irritiert, es war so als ob ihre Seele Befehle abgeben würde, die ihr Körper nicht richtig empfing und falsch wiedergab.

[Irgendwie redete sie von sich selber wie von einer Maschine....]

Aber sie war keine Maschine! Sie war keine -

Ein vorsichtiges Stöhnen entwich ihren schweißbenetzten Lippen.

Wieder schweiften ihre Gedanken zu Shinji und Hikari ab.

Und sie ließ ihren Händen freien Lauf.
 

Kaworu ging langsam durch die Straßen. Der Regen prasselte auf ihn herab, und einzelne Tropfen fielen von seinem Haar in sein Gesicht. Er konnte das LCL schmecken.
 

Ihre Kleider lagen längst neben ihrem Bett auf dem Boden. Aus ihrem hechelndem Atem wurde ein quietschiges Stöhnen, und erst nach einem kurzen Aufschrei war sie wieder in der Lage klar zu denken. Die drei Finger die sie eben zwischen ihren Beinen hatte verschwinden lassen waren nun unübersehbar befleckt und glänzten im unheimlichen Mondlicht. Selbst in Wochen würde Rei nicht begreifen was sie gerade eben getan hatte.
 


 

PHASE 15: CLADE
 

Misato hatte exakt vier Stunden Zeit um sich schlaflos im Bett herumzuwälzen, bis der nächste Anruf kam. Um 5 Uhr hastete sie erneut aus ihrem Schlafzimmer und sprang zum Telefonhörer.

"Kaji???"

"Äh... Nein", meldete sich trocken eine weibliche Stimme. Ritsuko räusperte sich am anderen Ende der Leitung. "Wir haben einen neuen Engel gesichtet, du musst sofort die Children zum NERV Hauptquartier bringen."

[Ein neuer Engel?]

"Ich bin gleich da!"
 

Das Telefon klingelte.

[Lass es klingeln.]

Träge schlug Rei die Augen auf, sie fühlte sich so müde als hätte sie die ganze letzte Nacht über nicht geschlafen.

Mühsam stand sie auf und ergriff mit ihrer unbefleckten Hand den Telefonhörer.
 

"Also", Misato räusperte sich, "der Engel wird wohl in fünf Stunden das Zentrum Neo Tokyos erreichen. Bis dahin können wir ihn in einem verlassenen Ödland abfangen." Katsuragi blickte in die müden und deprimierten Gesichter vor sich. "Was ist denn mit euch los? Etwas mehr Einsatz - wir müssen einen Engel besiegen!"

Shinji stöhnte genervt auf, er hätte liebend gern noch etwas länger geschlafen, ebenso wie Asuka. Bei Clade war es etwas anderes - er war depressiv weil er den ersten Engel seines Lebens mit leerem Magen besiegen musste (und er HASSTE es einen leeren Magen zu haben).

"Gut", verschaffte sich Misato wieder Aufmerksamkeit, "Shinji und Asuka: Ihr hattet letztens die besten Werte - ihr nehmt ihn in die Zange. Rei - du gibst Asuka Deckung; Clade - du gibst Shinji Deckung."

"Ich brauche niemand der mir Deckung gibt", murmelte Asuka gereizt.

Draußen stieg gerade die Morgensonne auf, majestätisch erhob sie sich über das Land und trocknete die Spuren des gestrigen Regenschauers.
 

Völlig apathisch hatte Rei sich umgezogen und trottete nun im Plug Suit zu ihrem EVA 00. Sie fühlte sich wie ein Wrack, ihre seelischen Funktionen schienen ihren Dienst aufgegeben zu haben.

Hinter ihr gingen Asuka, Shinji und Clade. Letzterer hatte sich jedoch seinen eigenen Plan geschmiedet - mit dem Mut der Verzweiflung wollte er heute endgültig die Wahrheit erfahren. Sein EVA war anders als die der übrigen Children - das hatte er bereits herausgefunden. Er konnte weder mit EVA 00 noch mit EVA 01 synchronisieren, in EVA 02 hatte man ihn gar nicht hineingesetzt. Und wenn er nicht wollte, konnte er auch EVA 03 abblocken.

Damit wäre er untauglich, und während Shinji, Asuka und Rei den Engel besiegten, könnte er sich etwas in Magi umsehen...
 

"Rei, alles in Ordnung?"

Das Mädchen gab in ihrem EVA ein dünnes Seufzen als Antwort. Sofort wurde die Startsequenz eingeleitet, und ihr Körper von dem notwendigen LCL durchflutet.

Und langsam verließ die Lähmung ihren Körper. Ihre Apathie schwand als wäre sie niemals da gewesen.
 

"Clade! Was ist mit dir los?"

In der Kommandozentrale hatte sich Misato wütend über das Mikrofon gebeugt und betrachtete die Übertragung aus EVA 03. Clade schien irgendwie nicht synchronisieren zu können.

"Ich weiß nicht", stotterte er, "mir so ist übel..."

"Die Aufregung", murmelte Ritsuko und sah Katsuragi fragend an. "Willst du ihn in seinem Zustand wirklich gegen den Engel losschicken? Zumal ich sowieso bezweifle dass er heute noch in der Lage sein wird, mit seinem EVA zu synchronisieren."

"Aber das hier ist ein Ernstfall! Wir brauchen gegen den Engel jede Hilfe!"

"Major!", hörte man Gendos raue Stimme aus dem hinteren Teil des Raumes. "EVA 03 ist gestrichen - ein Pilot der in einem Ernstfall nicht einzusetzen ist, ist für uns völlig nutzlos."

"Jawohl..."
 

Während sich die anderen EVAs in Bewegung setzten, blieb Clade in der Kantine des NERV Komplexes und grinste innerlich vor sich hin. Durch den Engelangriff war man abgelenkt und nicht wirklich fähig auf ihn aufzupassen. Er hatte leichtes Spiel.

Langsam stand er auf und setzte sich in Bewegung.

Er wusste noch wo Misatos Arbeitsraum war, und er wusste wie er die Daten auf ihrem PC zu seinen Gunsten einsetzen konnte.
 

Misato beobachtete mit Gendo im Rücken wie sich die vorhandenen EVAs um den Engel positioniert hatten, und ihn mit Progmessern angriffen. Rei zeigte sich erstaunlich beweglich und bekämpfte das Wesen fast im Alleingang, was Katsuragi nach den vergangenen Tagen reichlich merkwürdig vorkam.

Aber in diesem Augenblick beschloss sie optimistisch zu bleiben.

[Selbst wenn ihr Kajis Telefongespräch nicht mehr aus dem Kopf ging.]
 

[Was..?]

Clade starrte ungläubig auf Misatos Notizblock, welches sie in der untersten Schublade ihres Schreibtisches versteckt hatte. Auf den meisten Seiten standen unnütze Kritzeleien über die Children und die Engel, doch die letzte Seite schien ein merkwürdiges Geheimnis zu bergen...

,LCL - Emotion;

Rei - Prototyp;

Clade - besondere Reaktion auf LCL - Verbindung zu Rei'

Was hatte das zu bedeuten?

Der Junge stand wie angewurzelt im Zimmer und blickte auf die verwirrenden Notizen.

[Rei?]

Kaum hatte er ihren Namen gelesen, sah er ihr Ebenbild in Gedanken. Wie sie sich auf einem endlosen weißen Strand befand und ihn mit glasigen Augen ansah.

Wie sie die Lippen öffnete und ihn ins Reich der Träume beförderte...
 

Misato traute ihren Augen nicht.

Niemand in diesem Raum tat das - am wenigsten Gendo.

Rei hatte sich ohne Vorwarnung mit ihrem EVA auf Shinji gestürzt und schmetterte ihm erbarmungslos ihre Fäuste ins Gesicht, der Junge war völlig überfordert und erlitt grausame Schmerzen. Seine Synchronrate fiel jede Sekunde mehr, und sein Bild auf dem Monitor war zu einem endlos langem Schrei verzogen.

Asuka hatte ihren Augen auch nicht getraut, und wurde prompt von dem Engel überrumpelt. Mit einer Druckwelle hatte er sie blitzartig von den Beinen gehoben und mehrere Meter hinterrücks in den trockenen Sand des Ödlandes geschleudert.

Ihre Augen waren wutentbrannt.

Und der ganze Operationsraum wurde ausgefüllt von Misatos ekstatischen Schreien.

"Rei!!! Hör auf damit! Reeeei!!!"

Gendo starrte wie gebannt auf die Monitore.
 

"Du wolltest mich sprechen?", fragte Ayanami mit heller Stimme. Clade sah das Mädchen an, wurde durch die gleichmäßig schlagenden Wellen beruhigt.

"Wer bist du?"

Das Mädchen schien kurzzeitig zu kichern, hatte sich aber schnell wieder unter Kontrolle. Die ganze Sache wurde Clade nicht geheuer - aber vielleicht war dies die einzige Möglichkeit um auf Antworten zu stoßen.

"Was meinst du? Willst du wissen wer ICH bin, oder wer REI ist?"

"Rei", kam eine verdutzte Antwort.

"Ayanami", fing das Mädchen geheimnistuerisch an, "ist das erste Kind von Gendo und Yui Ikari. Shinjis Schwester, die direkt nach ihrer Geburt von zahlreichen Operationen gepeinigt und zerstört wurde. Sie ist in merkwürdiger Weise abhängig von LCL."

"Und wer bist du?"

"Ich bin LCL - das Grundelement allen Lebens."

Clade dachte kurz über die Antwort nach und sah die Rei-Gestalt fragend an. Seine Gedanken hatten die Frage schon längst formuliert, doch seine Lippen brauchten ihre Zeit um sie auszusprechen:

"Wer bin ich?"

"Du bist etwas ganz neues, eine weiterentwickelte - reinere - Form des LCL; das Grundelement des neuen Lebens."

Der Junge stand wacklig - um ihn herum drehte sich alles. Er hatte die Kontrolle über seinen Körper verloren und entsetzliche Kopfschmerzen. Unter enormen Schmerzen wachte er auf und realisierte schweißgebadet in Misatos Arbeitsraum zu liegen, er musste ohnmächtig geworden sein.

[Was hatte das zu bedeuten???]

Blitzartig sprang Clade auf die Beine und suchte seinen Weg in den Operationsraum.
 

Es war der dritte Februar.

Misato traute ihren Augen kaum; diese Schlacht nahm eine erschreckende Wendung.

[Wondergirl...]

Asuka sprang in EVA 02 blitzschnell wieder auf die Beine und nahm sich Rei vor, die immer noch dabei war Shinji aus unergründlichem Anlass zu verprügeln. Augenblicklich mischte sich dass Second Children in die Keilerei ein und stieß den Blauschopf von Ikari weg. Der Engel schien auf diese Gelegenheit nur gewartet zu haben und krallte sich in den Rücken von EVA 00 - Rei schrie sich vor Schmerz die Seele aus dem Leib.

Asuka dachte gar nicht daran Ayanami zu helfen, sie saß kauernd vor Shinji und betrachtete sein Gesicht auf dem Monitor ihres EVAs.

"Katsuragi-san - befehlen sie Asuka dem First Children augenblicklich zu helfen." Gendo versuchte mit ruhiger Stimme zu reden, doch es gelang ihm beim besten Willen nicht.

Misato drehte sich zu dem starrköpfigen Mann um und blickte ihn fragend an.

"Sie würde nicht auf mich hören."

"Tun sie's!"

Sprunghaft ging die Tür des Raumes auf, laut keuchend platzte plötzlich Clade hinein und wurde von allen Seiten kritisch gemustert.

"Lasst mich in meinen EVA steigen."
 

Kaji lag tief schlafend auf einem weichen Bett, eines teuren Edelhotels mitten in Rom. Seine letzten Tage waren durchaus hektisch, und er hatte so gut wie keine Zeit zum schlafen gehabt. Auf dem Boden lagen unübersichtlich verstreut zahlreiche Straßenkarten und Kleidungsstücke, neben dem Bett stand sein sündhaft teurer und fest verschlossener Koffer aus schwarzem Leder.

Der wohl wichtigste Schatz in diesem Augenblick.

Fast so wichtig wie das Handy auf dem Nachttisch, welches plötzlich zu klingeln anfing und Kaji unschön aus seinen Träumen riss. Genervt packte er das Gerät und hielt es an sein Ohr.

"Ja?"

Eine unbekannte jugendliche Stimme meldete sich am anderen Ende der Leitung. "Du suchst nach dem Abendstern, richtig?"

"Abendstern?" Kaji versuchte das Wort irgendwo einzuordnen, doch er hatte es noch nie gehört. Gereizt ändert er seine Tonlage in einen eher dominanten Wortlaut. "Wer sind sie eigentlich???"

Die ersten Sekunden blieben ruhig, als der ehemalige NERV-Söldner plötzlich einen wahrlich beunruhigenden Gedanken hatte. "Kaworu Nagisa???"

"Du kennst mich?"

"Deinen Namen, dein Gesicht, und die Tatsache dass deine Existenz völlig unbekannt ist. Ich hätte nie gedacht dass ich jemals das ,Vergnügen' bekomme mit dir zu reden."

"Kaji", die Stimme hatte plötzlich einen flehenden Unterton, "hör auf dich in die Tiefen des Vatikans einzuschleichen! Das Erwachen des Abendsternes steht kurz bevor - bis dahin haben wir noch eine kleine Frist des ruhigen Lebens. Wenn du zu voreilig handelst, stiehlt du den Menschen die letzten friedlichen Wochen und Monate ihrer Existenz. Es wird sich alles ändern."

"Und in wie fern hängst du mit der ganzen Sache zusammen?"

"Ich bin der Grund warum der Abendstern existiert."
 

Ekstatisch schmiss sich Clade auf den Engel und riss ihn von Rei los. Sein Synchronwert hatte die 100% längst überschritten, und wieder klappten im Operationsraum die Kinnladen runter.

Außer bei Gendo. "Sie haben mir einiges verschwiegen, Schaffer...", murmelte er gereizt.

Asuka konzentrierte sich weiterhin nur auf Shinji, sie verfluchte Rei und beim Anblick von Ikaris geschlossenen Augen rollten einsame Tränen ihre Wange herab. In ihren Augenwinkeln realisierte sie Clade, der im Alleingang den Engel besiegte. Er neutralisierte das feindliche AT Feld mit seinem eigenen und bearbeitete den Wunden Punkt des Wesens mit seinem Progmesser.

Misato und Gendo waren sich einig: Jemand der so kämpfte MUSSTE schon einmal einen Engel besiegt haben.

Doch sie waren im Unrecht.
 

[... Unrecht...]
 

"Warum bist du nur so ein Weichling?" Asuka sah Shinji tief in die Augen und hatte einen schon fast rührenden Gesichtsausdruck. Der Junge lag auch nach diesem Kampf wieder auf der NERV Krankenstation - wobei die Wunden, Prellungen und Brüche diesmal Ayanami zu verdanken waren.

Doch Shinji hatte keine Zeit sich darüber Gedanken zu machen, wegen der vielen Schmerz- und Betäubungsmitteln fiel es ihm schwer, wach zu bleiben.

"Wo ist Rei?"

"Rei?" Asuka hob kritisch die Augenbraue. SIE war die ganze Zeit bei ihm gewesen, und er fragte nach REI??? "Sie liegt im Nebenzimmer. Der Engel hat sie erwischt nachdem sie über dich hergefallen ist."

Shinji drohte einzuschlafen; seine Augen schlossen sich wieder. Asuka kommentierte sein Mimenspiel mit einem erleichtertem Seufzen.

"Ich werde nicht zulassen dass Rei dich noch einmal anfasst."
 

Rei lag wie ein totgetretenes Insekt auf ihrem Bett des Krankenzimmers. Sie sah absolut erbärmlich aus, und es war kaum zu glauben dass sie noch fähig war ein Gespräch mit ihrem Besucher zu führen.

Selbst wenn sie meist nur apathisch Satzfetzen flüsterte.

Clade hörte dennoch aufmerksam zu, verstand was sie meinte und redete beruhigend auf sie ein.

"Du hast keine Schuld, was Shinji betrifft. Du warst nicht du selbst, und er weiß das."

"Aber warum..."

"Weil etwas mit dir geschieht wenn du intensiven Kontakt mit LCL hast. Ikari wird dich verstehen."

[Vor allem wenn man bedenkt dass er dein Bruder ist.]

Rei kniff die Augen zu. Sie hatte niemals vorgehabt Shinji auch nur ansatzweise weh zu tun, sie wusste selbst nicht was in jenem Moment geschehen ist. Manchmal fühlte sie sich wie eine Flipperkugel die ziellos hin und her gestoßen wurde.

Clade ergriff ihre eisig kalte Hand und wärmte sie mit seiner eigenen.

"Rei....", flüsterte er, "ich weiß nicht wie lange ich noch in Japan bleiben kann. Man wird wohl versuchen mich zurück zu NEC zu schicken."

Das Mädchen sah ihn fragend ein und versank dann endgültig in tiefe Träume.

[Kaum zu glauben dass sie die Schwester von Shinji ist...]
 

Kaworu stand in Reis leerer Wohnung und sah sich neugierig um, bevor er sich müde auf ihr Bett legte. Alles schien so vertraut, selbst wenn er wusste dass er noch nie hier gewesen war.

Aber er wusste dass Kaji nicht auf ihn hören würde. Der Mann schien völlig besessen darauf zu erfahren was sich hinter den Portalen des geregelten Lebens verbarg. Er könnte das Lamm sein, welches nach der heiligen Überlieferung die schlafende Bestie wecken würde.

Den Abendstern...
 


 

ENDE KAPITEL 4
 


 


 


 


 


 


 


 


 


 


 

VORSCHAU: PHASE 16 (11. FEBRUAR 2016)
 

Clade lebt sich in Neo Tokio ein und findet Rei als Seelengefährtin
 

Asuka klammert sich an Shinji
 

Ein unlängst befürchteter Anruf erreicht Ritsuko und Misato
 

Die letzten Momente Clades in Japan brechen an

11. Februar - 14. Februar

KAPITEL 5: 11. FEBRUAR - 14. FEBRUAR
 


 


 

PHASE 16: SCHÜTZENDER HIMMEL
 

Clade hatte sich in den letzten Tagen verändert.

Es war nicht so als ob er zu einem völlig anderen Mensch wurde, aber er zeigte sich auf einmal sehr viel selbstsicherer in seinem Auftreten. Er gab mehr von seinem Charakter preis, und konnte sich dadurch viele Sympathien gewinnen.

[Irgendwie ähnelte er wirklich Shinji....]

Misato dachte vor einem heißen NERV Kantinenkaffee über diese Entwicklung nach und musste unweigerlich seufzen.

Clade würde nicht ewig bei ihnen bleiben, der Abschied rückte immer näher. Zwar hatte Gendo noch nichts offizielles gesagt, aber dies war nur noch eine Frage der Zeit. Dass Fourth Children war zu neugierig geworden.

Dabei hatte er gerade angefangen, sich gut mit Rei zu verstehen. Er ging sie oft besuchen und brachte ihr kleine Geschenke mit.

Außerdem war er die Verbindung zwischen Ayanami und Shinji. Während Asuka die beiden irgendwie voreinander abzuschotten versuchte, knüpfte Clade beide näher zusammen.

Wenn Shawver weg wäre, würden wohl harte Zeiten für Rei anbrechen.

[Andererseits musste das Mädchen eigentlich ständig harte Zeiten durchleben.]

Ein weiteres Problem: Ohne Clade hätten sie wertvolles Children weniger. Die Engel waren bis jetzt immer eine große Bedrohung gewesen, und trotz einiger Startschwierigkeiten hatte der Junge hervorragend damit umgehen können (auch ein Grund warum er in Asukas Gunst nicht gerade hoch stand).

Es war schon etwas erschreckend, wie die EVA Piloten untereinander Gruppen gebildet hatten. Shinji mit Asuka - Rei mit Clade. Wobei letzterer sich immer noch mit Ikari das Zimmer teilte, und beide daher nachts stundenlange Gespräche führen konnten.

[Als wären sie miteinander verwandt....]
 

"Shinji! BAKA! Steh endlich auf!"

"Gomen", murmelte er in leichtem Schlaf versunken, während er auf seinem Bett lag und sich unruhig hin und her wälzte. Mit der letzten Konzentration die er in diesem Moment aufbringen konnte, versuchte er die Stimme die aufgebracht durch die geschlossene Tür seines Zimmers schrie, einer Person zuzuordnen. Letztendlich kam er auf den Gedanken dass es eigentlich nur Asuka sein konnte.

[Ja... Asuka...]

Beruhigt nickte er wieder ein.

"BAKA SHINJI!!!"

Sein flüchtiger Blick erreichte den Wecker neben seinem Bett. Es war 5 Uhr nachmittags, und eigentlich verstand er nicht warum er ausgerechnet JETZT aufstehen sollte. Er hatte sich direkt nach der Schule ins Bett gelegt, da er völlig übermüdet sowieso zu nichts anderem mehr fähig gewesen wäre.

"Was ist denn..?", nuschelte er in sein Kissen hinein ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, irgendwann aus seinem Bett aufzustehen.

"Du hast Küchendienst - und ich hab Hunger!!!"

"Lass dir von Misato was machen..."

"Bist du verrückt??? Außerdem ist Misato immer noch nicht zurück! Sie macht wohl Überstunden."

"Was ist mit Clade..?"

"Dieser verfluchte Hentai??? Er ist natürlich wieder bei Rei!!!"

"Dann koch dir halt selbst was...."

"WAS??? Nur weil du zu FAUL bist aufzustehen???"

Wütend öffnete Asuka die Tür und sah Shinji nur leicht bekleidet mit geschlossenen Augen auf seinem Bett liegen.

"Jetzt steh endlich auf!"

"Ich bin müde..."

"BAKA!!!"

Entnervt schnappte sie sich Shinjis Kissen und prügelte damit auf den Jungen ein - langsam kam er wieder auf die Beine.
 

Es verlief alles ohne viele Worte. Clade stand am Herd in Rei's Wohnung und kochte gekonnt ein einfaches Gericht aus Nudeln und Gemüse. Das Mädchen selber lag im Nebenzimmer auf ihrem Bett und hörte dem beschäftigten Treiben aus der Küche innerlich schmunzelnd zu. Sie genoss die Aufmerksamkeit, die ihr neuerdings durch Clade zuteil wurde.

Natürlich ahnte sie nicht dass diese wie auch andere Emotionen die sie in seiner Gegenwart verspürte, allein mit der ungewöhnlichen LCL Ausstrahlung in ihm zu tun hatte.

Aber es wäre ihr auch egal gewesen.

Clade war anders als Shinji; vermutlich war sie die Einzige der dieses Detail bisher aufgefallen war. Shawver zeigte deutlich mehr Ehrgeiz in seinem Handeln als Ikari. Selbst wenn auch Clade etliche Narben in sich trug, so war er doch eine Kämpfernatur.

[Eine Kämpfernatur die gerade für sie kochte....]

Rei fühlte sich bei diesem Gedanken ungewohnt geschmeichelt und konnte sich ein Lächeln diesmal nicht verkneifen.

"Es dauert nicht mehr lange!", rief Clade plötzlich aus der Küche und klimperte demonstrativ mit den Töpfen.

"Gut", antwortete Rei mit fröhlichem Unterton und setzt sich auf.
 

"Wie sieht es eigentlich mit unserer Wette aus?", fragte Ritsuko schmunzelnd und nippte an ihrem Kaffee. Misato blickte vom tristen Bildschirm ihres PCs ab und grinste Dr. Akagi vergnügt an.

"Nichts neues bis jetzt. Shinji ist fürs erste mit Clade abgelenkt."

"So wie ich das sehe, ist eher Rei mit Clade abgelenkt."

"Pah! Ich bleibe dabei! Shinji wird sich irgendwann an Rei klammern - und ich bekomme von dir 3000 Yen!" Misato blickte sie siegessicher an.

"So weit würde ich gar nicht denken...." Auf Ritsukos Gesicht zeichnete sich ein breites Grinsen ab. "Überleg doch mal!", fing sie an, "in genau diesem Moment bist du hier im Nervkomplex, Clade ist bei Rei, und Shinji mit Asuka völlig allein in deinem trauten Domizil."

Misato würde plötzlich völlig bleich, ihr Gegenüber lachte kurz auf.

Doch die lockere Atmosphäre wurde plötzlich von dem Klingeln eines Telefons rau unterbrochen. Ritsuko sah Misato fragend an und nahm das Gespräch entgegen.

"Ja.... Ah.... Okay.... Da ist wohl nichts zu machen.... Morgen schon? Aber.... Hm.... Gut..." Sie legte wieder auf und hatte einen leicht perplexen Ausdruck im Gesicht.

"Was ist denn los? Jetzt sag schon!"

Selbst Misatos quengelndes Gesicht konnte Ritsuko kein Lächeln mehr abgewinnen.

"Sie wollen Clade zurück zu NEC schicken. Das hier heute ist sein letzter Tag."
 

Es war spät, und Misato war immer noch nicht zurück. Asuka saß gelangweilt am Esszimmertisch und blätterte in diversen Physiklehrbüchern, bevor sie den Schulkram entnervt vom Tisch schmiss und aufstand.

[Was machte Shinji eigentlich im Moment???]

Neugierig stand sie auf und vernahm gedämpfte Gespräche - der Fernseher war an. Leise folgte sie dem Geräusch, um sich wie ein Raubtier an ihn anzuschleichen...
 

"Was hält dich eigentlich am Leben?"

Rei blickte Clade irritiert an und dachte über seine plötzliche Frage verwirrt nach. "Was meinst du damit?"

"Für was lebst du? Es muss doch irgendeine Sache geben die dich dazu bringt, jeden Tag aufs neue aufzustehen und dieses ganze Chaos mitzumachen."

Das Mondlicht fiel durch das offene Fenster ins Zimmer.

"Ich weiß nicht was du meinst."

"Was ist mit Shinji?"

"Shinji?"

Clade seufzte, er gab dieses Thema auf und beschloss Rei anderweitig abzulenken. Doch das Mädchen sah ihm seine Enttäuschung an und wurde verlegen, sie schämte sich aufgrund ihrer Unwissenheit.

"Es tut mir Leid."

In einem Anfall ungewohnter Menschlichkeit sah sie ihn traurig an und senkte den Kopf. Der Junge erkannte sofort was für einen Schaden er eben angerichtet hatte. Resignierend rückte er zu ihr und umarmte sie, rasch hatte sie seine Geste erwidert.

"Danke", murmelte sie zaghaft.
 

Asuka sah Shinji verwirrt an. Er war auf der Couch eingeschlafen und schlummerte seelenruhig vor sich hin.

"Shinji?"

Er reagierte nicht. Sollte sie ihn aufwecken? Mit welcher Begründung?

Sein Gesicht wirkte irgendwie friedlich.

Verträumt blickte sie ihn an.

Und als Misato hineinplatzte und diese Szenerie überrascht betrachtete, ahnte sie dass sie ihre Wette mit Ritsuko verloren hatte.
 

Zwei Stunden waren seit diesem Vorfall vergangen, und Katsuragi hatte die ganze Zeit vor dem Fernseher auf die Ankunft Clades gewartet. Sie hätte nie gedacht dass alles so plötzlich verlaufen, und dass man den Jungen so ruckartig wieder aus seinen neu gewonnenen Kontakten reißen würde.

[Wer war dafür verantwortlich???]

Ritsuko bekam den Anruf; aber von wem? Gendo? Fuyutsuki? Misato beschloss morgen noch ein wenig rumzuschnüffeln.

Sobald sie den Jungen um 3 Uhr zum Flughafen gebracht hatten. Es war schon alles organisiert: Das Flugticket, das ,Begrüßungskommando' in Amerika, und sogar sein EVA würde morgen abtransportiert werden.

[Sein EVA....]

Misato würde nie diesen Moment vergessen, als Clade in den Operationsraum gestürmt war und nach seinem EVA verlangt hatte. Er hatte es allen gezeigt und den Engel mit Leichtigkeit besiegt - obwohl er Stunden zuvor noch dem Nervenzusammenbruch nahe schien.

[Was verheimlichte der Junge?]

Das Schloss klackte, ein Schlüssel wurde umgedreht.

Die Wohnungstür öffnete sich.

Wie mechanisch stand Misato auf und begutachtete den perplex hineintretenden Clade. Er hatte nicht damit gerechnet, dass die Frau zu so später Stunde noch auf ihn warten würde.

"Hallo...", murmelte er irritiert.

"Clade, du musst morgen wieder zurück nach Amerika." Misato hatte die quälenden Worte ausgesprochen und wartete auf eine Reaktion des Opfers. Zuerst blieben die Augen des Jungens völlig ausdruckslos, dann für einen kurzen Moment panisch, und schließlich wieder ruhig und gelassen.

"War zu erwarten."

Der Junge ging schweigend an ihr vorbei und bewegte sich ins Bad; er war müde.
 

"Shinji?"

Das Zimmer war völlig dunkel. Ikari lag ausgestreckt auf seinem Bett (nachdem er den ganzen Tag verschlafen hatte fiel es ihm schwer in der Nacht zur Ruhe zu kommen), Clade auf der Matratze daneben.

"Hm?"

"Misato hat gesagt dass ich morgen wieder fort muss."

"Ja." Shinji stockte betroffen. "Ich weiß."

Clade seufzte, er würde Neo Tokio vermissen. Shinji, Asuka, Misato, Rei - so kitschig es auch klang, aber vielleicht hatte er binnen dieser wenigen Tage endlich eine Familie gefunden.

[Familie..?]

"Shinji", fing er nervös an. "Du bist Rei's Bruder."

Nichts rührte sich. Die Schwärze um sie herum wirkte beruhigend, und durch die Tatsache bedingt dass von außen keine Geräusche ins Zimmer kamen, hatte man das Gefühl in einer völlig fremden Welt zu sein. Als ob Ikaris Zimmer sich in diesem Augenblick in einer verlassenen Sphäre befinden würde.

"Was?" Aus Shinjis Stimme war deutlich sein Entsetzen heraus zu hören. "Woher weißt du das?!?"

"Das kann ich dir nicht sagen, ich weiß es einfach", antwortete er murmelnd mit leichter Verzweiflung. "Merkst du es nicht selber? Die Verbindung zwischen dir und Rei?"

Clade hatte Recht, und außerdem war es unlogisch dass er ihn in diesem Moment anlügen würde. "Aber...? Wieso...?"

[Wieso mochte sein Vater Rei lieber als ihn, wenn sie beide seine Kinder waren?]
 


 

PHASE 17: VERZWEIFLUNG DER FARBEN
 

"Wer ist dran?"

"Ich", meinte Asuka trocken und legte eine Herz-Dame auf den Tisch.

"Ich passe."

"Ich auch."

Die Stimmung hatte sich trotz der etwas aufgelockerten Atmosphäre nicht sonderlich verbessert. Misato war der Meinung gewesen dass man Clades letzten Tag in Japan nicht in der Schule vergeuden sollte - weswegen sie jetzt im Esszimmer saßen und ,Sechsundsechzig' spielten. Eigentlich war Asuka die einzige, die die Regeln wirklich beherrschte - jegliche Versuche ,den anderen Bakas' den Sinn des Spiels zu erklären hatten nur recht dürftigen Erfolg - aber wenigstens verstand Clade einigermaßen worum es in dem Spiel ging und zeigte trotz seines baldigen Abschieds reges Interesse.

Selbst wenn man ihm seine Betroffenheit deutlich ansah.

Eine komplett andere Seite zeigte Shinji. Er war still wie ein Totengräber, gab nur einsilbige Antworten und sah den anderen Anwesenden so gut wie nie ins Gesicht. Sein Kopf war tief in die Karten gebeugt und blieb die meiste Zeit fast völlig regungslos.

[War er so bestürzt über Clades Abschied?]

"Warum sitzt Rei nicht hier?", fragte Clade plötzlich und riss Misato ruckartig aus ihrem Gedankengang. Sie sah ihn fragend an, eine vorsichtige Röte stieg auf ihre Wangen.

"Ist es dir so wichtig? Ich wollte sie heute morgen nicht extra anrufen, sie sitzt bestimmt im Moment in der Schule und..."

"Schon gut." Clade wendete den Blick ab und sah wieder in seine Karten. Katsuragi wurde sofort von Schuldgefühlen überwältigt. Warum hatte sie Rei vergessen anzurufen? Sie wusste doch genau dass das Mädchen Clade sehr am Herzen lag! Nun würde er einfach zurück nach Amerika fliegen ohne sich bei Rei verabschieden zu können!

"Wenn du willst kann ich sie über NERV aus der Schule beordern lassen! Es wäre zwar etwas umständlich, aber..."

"Nein, es ist nicht wichtig."

[Doch!]

"Ich kann dich aber auch noch kurz zu ihr fahren wenn sie aus der Schule zurück kommt!"

Von Misatos überschwänglicher Besorgnis fast schon gerührt wendete Clade seinen Aufmerksamkeit wieder von den Karten ab und sah der Frau in ihr aufgebrachtes Gesicht. Ihre Augen hatten einen seltsamen Ton, den er nicht zu identifizieren vermochte.

"Dafür wäre ich dir sehr dankbar."

Shinji legte seine Karten offen auf den Tisch und stand auf. "Ich mach Frühstück, spielt eine Runde ohne mich weiter." Wieder hatte er es vermieden den anderen ins Gesicht zu sehen.

Asuka sah ihm besorgt hinterher.
 

[Empfänger: Ikari Gendo - Nerv

Datum: 12. Februar 2016 > Nachricht 1/1

Absender: Winston Druchov - Waechter

---

Zuallererst möchten wir uns im Namen unserer amerikanischen Kollegen bedanken, dass sie Clade so schnell und komplikationslos wieder zurück zu NEC schicken. Ihre Kompetenz wirft ein sehr positives Licht auf Neo Tokyo und NERV.

Dennoch tut es uns Leid, sie mit einem weiteren plötzlichen Problem vertraut machen zu müssen. Ich habe zwischen unserem amerikanischen Partner John Schaffer und mir ein Treffen in Prag arrangiert, und möchte auch sie eindringlich bitten an diesem Tag anwesend zu sein. Das genaue Datum ist mit zahlreichen anderen Informationen im Anhang beigefügt - äußerste Geheimhaltung und Dringlichkeit ist erforderlich.

Mit freundlichen Grüßen, Winston Druchov.]
 

Sein Blick wanderte durch sein eher tristes Zimmer und blieb an Clades Matratze auf dem Boden hängen. Die Musik aus seinem Discman beruhigte ihn - andererseits erschreckte ihn die Leichtigkeit mit der er es scheinbar vermochte, seine Tränen zurückzuhalten.

"Jemand da?", Asukas gespielt fröhliche Stimme war selbst unter dem Klangteppich seines Discmans deutlich zu vernehmen. Sie klopfte verspielt zweimal an die Tür bevor sie sein Zimmer betrat, und ihn besorgt ansah.

Shinji zog die Stöpsel aus den Ohren und blickte in ihr etwas aufgelöstes Gesicht. Und als sie sich neben ihn auf sein Bett setzte, bemerkte der Junge die Veränderung an ihr ganz deutlich: Ihre Gestik war ganz anders.

Sie hatte ihre Maske fallen gelassen.

"Was ist mit dir los?", begann gefühlvoll sie mit samtweicher Stimme. "Es war doch absehbar dass Clade wieder zurück nach Amerika muss."

"Das ist es nicht", erwiderte er stockend. "Rei... ist meine Schwester."

Asukas Augen weiteten sich.

[Seine Schwester?]
 

Misato sah Clade mit bestürzten Augen an. Was war heute nur los? Wie konnte Shinji einfach so verschwinden! Und als ob Asuka nichts besseres zu tun hätte, läuft sie ihm gleich hinterher! Und nun saß Katsuragi allein mit dem Jungen am Esszimmertisch und suchte verzweifelt nach Gesprächsthemen.

Schließlich stellte sie die Frage die ihr schon seit Tagen auf dem Herzen lag - ihre neugierige Ader wollte befriedigt werden.

"Vor anderthalb Wochen, als du den Engel besiegt hast - wie hast du das gemacht? Wie hast du deinen EVA so gut unter Kontrolle gebracht?"

"Ich bin kein normales Children."

Ihre Augenbrauen hoben sich, in ihrem Ausdruck verschmolz Skepsis mit Entsetzen.

"Was meinst du damit?"

"Ich weiß es selbst nicht so genau." Clade wich ihren Blicken konstant aus, was der Frau ein resignierendes Seufzen entlockte.

"Ich bringe dich jetzt zu Rei - es wird Zeit. Ich werde dich nur dort absetzen - mach mit Rei was du willst und hol dir nachher ein Taxi um zum Flughafen zu kommen. Ich will mich zwischen dir und dem Mädchen nicht wie eine Aufsichtsperson fühlen."

"Misato..."

"Ich fahre direkt wieder zurück."

"Danke."

Die Frau stand mit einem verzweifelten Lächeln auf. "Asuka! Shinji! Kommt her!"

Sekunden später erschienen beide vor ihnen.

"Auf Wiedersehen", verabschiedete sich Clade trocken und hob die rechte Hand. "Es hat mir hier viel Spaß gemacht." Er ging einen mutigen Schritt vorwärts und umarmte wie in einer spontanen Laune Asuka. Das Mädchen wollte ihn zuerst von sich stoßen und ihm eine schallende Ohrfeige geben - ließ es schließlich aber doch bleiben.

Von den anderen Beteiligten ungehört flüsterte Clade ihr eine letzte Bitte ins Ohr.

"Pass gut auf Shinji auf."

Schließlich löste er sich wieder von dem Mädchen und wendete den Blick zu Ikari.

"Die Koffer sind schon gepackt und im Auto - das war's dann. Ich wäre gern länger geblieben."

Shinji schwieg.
 

Es klingelte an der Tür. Rei warf einen verwirrten Blick auf die Uhr in ihrer Wohnung - das Mädchen war gerade erst aus der Schule gekommen. Mit unbeholfenen Schritten tapste sie in Richtung ihres unbekannten Besuchers und öffnete die trennende Tür.

Clade lächelte sie schief an, er trug zwei Koffer in seinen Händen.

"Was ist los?", fragte das Mädchen bestürzt.

"Ich muss zurück nach Amerika."

Rei zuckte innerlich zusammen, der Ausdruck in ihren Augen veränderte sich im Bruchteil einer Sekunde und erinnerte nun an eine geschlachtete Katze.

"Ich habe noch etwas Zeit", fuhr er ernst fort, "aber es dauert nicht mehr lang bis ich zum Flughafen muss." Er setzte wieder ein erzwungenes Lächeln auf. "Darf ich reinkommen?"
 

Misato hatte gerade die Tür zugeschlagen um Clade zu Rei zu bringen, als sich Asuka schlagartig wieder Shinji zuwandte.

"Was meinst du damit, du wärst Reis Bruder? Von wem weißt du das überhaupt?"

"Clade."

"Und du glaubst ihm das so einfach?"

Shinji stierte sie fragend an. "Würdest DU es ihm NICHT glauben?"

Asuka gab keine Antwort. Einen kurzen Moment lang standen sie sich einfach nur gegenüber und blickten einander in die Augen. Weitere Worte wollten ausgesprochen werden.

"Warum deprimiert dich das so? Ich wäre froh, wenn ich eine Schwester wie Rei hätte."

[Was das wirklich noch Asuka?!?]

Für Shinji wirkte die Situation ziemlich surreal.
 

"Warum bist du hier?", fragte Rei in ihrer dünnen kristallklaren Stimme. Sie stand an eine Wand angelehnt, während Clade mit ausgestreckten Körperteilen auf ihrem Bett lag und es sich bequem gemacht hatte.

"Ich wusste gestern Nachmittag noch nicht dass ich so plötzlich wieder weg muss - deswegen konnte ich mich nicht bei dir verabschieden."

"War das schlimm?"

"Ja! Stell dir vor ich wäre heute einfach zurück nach Amerika geflogen, und du hättest davon nichts gewusst!"

Rei blickte ihn fragend an, scheinbar verstand sie nicht genau worauf er eigentlich hinaus wollte. Tiefere menschliche Gefühle waren ihr immer noch fremd - selbst wenn sich dies dank Clade etwas verbessert hatte.

"Ich kann dir das nicht so einfach erklären", meinte der Junge verlegen, stand vom Bett auf und ging einen Schritt auf sie zu. Zärtlich nahm er ihre linke Hand in seine eigene, und streichelte mit seinem Daumen über ihren zarten Handrücken.

Und plötzlich fühlte sie es...

Sie nahm die Aura des LCL nicht wahr, welche gerade von seinem Körper in ihren überging; sie merkte nur dass plötzlich Clades Worte einen Sinn ergaben.

Und sie war gerührt.

Wie in Trance erwiderte sie seine freundliche Geste in einer ekstatischen Umarmung, klammerte sich an ihn und versuchte mit der Wucht neu gewonnener Emotionen fertig zu werden. Es war wieder einer DIESER Augenblicke, sie spürte es ganz genau. Diese fast schon beklemmende Abhängigkeit von der Menschlichkeit, die sie bis jetzt nur an Shinji ausgelassen hatte.

[Sie musste sich zusammen reißen....]

Aber war es nicht genau das was sie wollte? Menschlicher werden?

Sie sah wie er sie anlächelte.

Sie lächelte zurück.

"Es wird Zeit dass ich zum Flughafen komme. NEC wartet."
 


 

PHASE 18: KREUZZUG DES LICHTS
 

Gelangweilt saß Misato im Büro vor ihrem Rechner, während sie mit der rechten Hand eine extra große Portion Zucker in ihren Kaffee rührte. Ritsuko beobachtete sie grinsend dabei und stellte gerade Vermutungen auf, welchen Anlass zur Trübsinnigkeit ihre Kollegin gerade hatte. Normalerweise gab es dafür nur drei realistische Gründe: Erstens - Ärger mit Kaji; Zweitens - Ärger mit den Children; oder Drittens - die Biervorräte waren leer.

"Ist Clade wieder sicher in Amerika?"

"Ja", seufzte Misato. "James Schaffer hat mir heute morgen eine Nachricht zukommen lassen - es ist alles in Ordnung."

"Wie hat Shinji auf Clades plötzlichen Abschied reagiert?"

Misato machte ein genervtes Gesicht - und für Dr. Akagi stand fest dass nun also Punkt 2 für Katsuragis Laune verantwortlich war.

"Es ist SCHRECKLICH! Alle verhalten sich seltsam! Shinji ist nun ähnlich verschlossen wie Rei - warum auch immer! - Asuka ist gegenüber des Jungens extrem freundlich und zutraulich, und Rei beginnt langsam immer menschlicher zu werden!"

"Na ja... Abgesehen von Ikari-kun sind das doch recht gute Neuigkeiten?"

"Ja - aber es kommt alles so plötzlich! Und was das Schlimmste ist: Du wirst unsere Wette gewinnen!"

Ritsuko fing breit an zu grinsen, worauf Misato entnervt in sich zusammen sackte.

"Hey, so viel sind 3000 Yen nun auch wieder nicht!", meinte die Ältere der beiden Frauen fröhlich und aufmunternd.

"Du verstehst das ni-"

Misatos ganzer Bildschirm blinkte.

Engelalarm.

"Was ist da los?", fragte Ritsuko gehetzt und hastete zu Misatos Computer. Sofort war eine Karte von Neo Tokyo und Umgebung zu sehen, und mittendrin ein kleiner aufblinkender Punkt. Katsuragi sah ihre Kollegin geschockt an.

"Ein Engel? Mitten..."

"... in der Innenstadt Neo Tokyos???"

Doch ebenso plötzlich wie das Signal kam, war es auch wieder verschwunden. Der Engel war weg -übrig blieb allein die Gänsehaut auf den Körpern der beiden Frauen.

"Was ist da passiert?"
 

Es war ein merkwürdiger Anblick.

Jedenfalls nach Kensukes Meinung.

Dass Hikari und Toji auf dem Heimweg händchenhaltend nebeneinander trotteten war nichts besonderes mehr - aber die Art mit der Asuka Shinji neuerdings ansah war wirklich seltsam.

[Fast schon erschreckend!]

"Sagt mal...", fing er grinsend an, "Shinji... Asuka... Läuft da zwischen euch was?"

"BAKA!!!" Das Mädchen hatte sich blitzschnell zu Aida umgedreht, mit ihrem eisigen ,ich-werde-dich-in-Sekundenbruchteilen-töten'-Blick angefunkelt, und ihm schließlich eine schallende Ohrfeige verpasst. Toji war froh dass diesmal ausnahmsweise nicht ER der Schuldige war und grinste schadenfroh vor sich hin - was ihm eine ruckartige Ohrfeige von Hikari einbrachte.

"Gut so, Schwester!", lachte Asuka. "Du lernst schnell!"

Toji begutachtete die Situation mit einem vorsichtigem Seitenblick. "Asuka.... Hikari... Ihr verbringt zuviel Zeit miteinander..."

"BAKA!!!" Die zweite Ohrfeige Asukas traf diesmal Suzuhara - genau auf die Wange die zuvor schon von Hikari in Anspruch genommen wurde.

"Shinji! Sie verbünden sich gegen uns!!!"

Ikari bedachte die ganze Szenerie mit einem breiten Grinsen und bekam langsam Gefallen an Asukas stürmischer Art. Es war schon fast intuitiv geschehen: Jetzt wo Rei außer Reichweite lag, sah er Langley mit anderen Augen.

Natürlich konnte er nicht ahnen, dass Rei nichts von ihrer verwandtschaftlichen Beziehung mit Shinji wusste.

Und er konnte auch nicht ahnen, dass Rei sich an diesem Tag zum ersten Mal in Gedanken ihre Liebe zu ihm eingestanden hatte.
 

Clade war weg.

Rei saß auf ihrem Bett, blickte sentimental aus dem Fenster. Auf einmal wirkte alles wieder trist.

Nicht nur ihre Wohnung - ihr ganzes Leben war bisher in Leere getaucht gewesen, und sie hatte es nicht gemerkt.

Nicht gemerkt...

Nicht...

Eine seltsame aber dennoch vertraute Melodie drang plötzlich an ihr Ohr. Hastig sprang sie von ihrem Bett auf und blickte in Richtung des Wohnungseingangs, wo ein ihr unbekannter Junge bruchstückhafte Harmonien vor sich hin pfiff. Einen Moment lang war sie mit der Situation überfordert, dann meldete sich dass selbstbewusste neue Ich in ihr.

"Wer bist du?"

"Kaworu Nagisa - die Tür war nicht abgeschlossen, deswegen brauchte ich nicht zu klingeln." Er lächelte sie an.

"Was willst du hier?"

"Na ja... Ich wollte nachsehen wie es dir geht! Man weiß ja nie... Und jetzt wo auch noch Clade weg ist..."

"Woher weißt du von dieser Situation?"

Kaworu drehte sich wieder um und war kurz davor Reis Wohnung zu verlassen. Er hatte sich sein erstes Treffen mit der legendären Ayanami Rei weniger bissig vorgestellt, und beschloss seine Unterredung mit ihr auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Mit einem fast unhörbar geflüsterten ,Viel Glück mit Shinji' verließ er ihren Sichtbereicht und ließ die Tür hinter sich leise ins Schloss fallen.

[Was war das für ein Junge?]

Rei beruhigte sich langsam wieder und ließ sich genervt auf ihr Bett fallen. Um sich abzulenken beschloss sie zu überlegen wie sie ihr am besten anfangen könnte, ihr Leben zu verändern. Ihrer Meinung nach war es dringend nötig, sie musste mehr aus sich machen und nicht wie ein Güterzug auf vorgeebneten Wegen fahren.

Sie musste endgültig die Initiative über sich selbst ergreifen.

Selbst wenn sie absolut nicht wusste wie sie damit anfangen sollte.

Letztenendes rief sie hilfesuchend Hikari an.
 

Shinji stand auf einem endlosen Sandstrand, das Meer trieb in gleichmäßigen Bewegungen die trübe Gischt an Land und stellte eine Klangkulisse her, die seinen aufgewühlten Geist sofort zu beruhigen vermochte.

Ihm Gegenüber stand Rei.

"Magst du mich?", hörte er sie mit dünner Stimme fragen.

"Natürlich."

"Liebst du mich?"

[klack]

Shinji hielt die Augen geschlossen und lauschte. Er lag in seinem Bett, es musste spät in der Nacht sein, und irgendwie wollte er nichts lieber tun als weiterschlafen. Dennoch konnte er nicht ignorieren dass soeben jemand die Tür seines Zimmer geöffnet hatte, und in der Dunkelheit zu ihm hin schlich.

"Asuka?", murmelte er müde und hielt die Augen geschlossen.

"Ich will nicht mehr alleine schlafen", hörte er ihre Stimme flüsternd antworten.

Etwas bewegte sich.

Jemand zog an seiner Decke.

Sein Bett ächzte kurz auf.

Er spürte einen warmen Atem in seinem Nacken.

Er fühlte einen weichen Körper durch ein ebenso weiches Nachthemd.

Und von seiner Müdigkeit überwältigt schlief er wieder ein.

[Liebst du mich?]
 

Der Wecker klingelte schrill.

Shinji schlug genervt die Augen auf und zog seine Decke zurecht - aus irgendeinem Grund war sie völlig verrutscht und bedeckte kaum mehr als seinen rechten Arm.

Aber als er sich aufzusetzen versuchte, fiel ihm auf dass er sowieso in einer arg verrenkten Lage geschlafen haben musste. Als ob er sich letzte Nacht ständig bewegt hätte.

[Hatte er das?]

Der Junge konnte sich weder an irgendetwas erinnern, noch sonst in irgendeiner Form klar denken. Um seinen Schädel befand sich eine meterdicke Nebelschicht.

[Vielleicht hervorgerufen durch einen unruhigen Schlaf?]

"Shin-chan! Steh endlich auf - du musst Frühstück machen! BAKA!!!"

[Asuka... Sie wird sich wohl nie ändern...]

Moment mal...

[Hatte sie ihn eben tatsächlich "Shin-chan" genannt???]

Hastig zog sich Shinji an und verließ sein Zimmer.

[Und warum war Asuka eigentlich schon so früh wach?]
 

Es war eine reichlich seltsame Situation.

Asuka redete am Frühstückstisch fröhlich wie ein Wasserfall, während Shinji und Misato müde vor ihren Tellern saßen. Asukas gute Laune deprimierte sie nur noch mehr - ein Zustand der erst dann wieder beendet wurde als das Mädchen grinsend die Runde verließ und ins Bad ging.

Misato seufzte. "Ich mag Asuka eigentlich lieber wenn sie so tut als hätte sie ihre Tage..."

"Was ist heute mit ihr los?"

"Keine Ahnung - aber dafür dass es früh am Morgen ist, redet sie eindeutig zu viel!"

Shinji stimmte ihr in Gedanken zu, stand auf und machte sich allmählich für die Schule bereit.

Dies sollte einer der denkwürdigsten Tage seines Lebens werden...
 


 

PHASE 19: TEIL 1 - REI 2 / TEIL 2 - ASUKA
 

"Ich hasse... Geometrie..." Toji fing auf dem morgendlichen Schulweg laut an zu seufzen. Shinji und Kensuke stimmten unüberhörbar mit ein, während Asuka gut gelaunt neben ihnen lief. "Mal im ernst: Wer kann sich so viele Formeln behalten??? Und morgen ist schon die Prüfung!"

"Ich hab mich gestern mal vor die Bücher gesetzt", meinte Aida stöhnend, "aber das ist definitiv zu hoch für mich!"

Shinji nickte. "Für mich sowieso - mein Gedächtnis ist ein Sieb..."

"HA! Da hilft nur eins!" Kensuke blieb stehen und machte ein siegessicheres Gesicht. "Wir gehen heute alle zu Ikari und lernen bei ihm!"

"Warum denn ausgerechnet bei mich???"

"Da ist Misato!"

Toji beugte sich zu Kensuke hinüber. "Pssst... aber da ist auch Asuka..."

"Umso besser!"

Sie blickten das Mädchen kurz an; Asuka lief fröhlich mit ihnen mit und schien in völlig anderen Sphären zu schweben, sie schien gar nicht zuzuhören über was sie hier redeten.

"Hey!" Aida sprach mit seinem überraschten Aufschrei allen Beteiligten aus dem Mund, und blickte überrascht zu zwei weiblichen Gestalten die ein paar Häuser weiter standen und scheinbar auf sie warteten. "Wer ist das?"

"Also die eine sieht aus wie Hikari... Aber die andere..."

"Schwer zu sagen...", stimmte Toji zu. "Aber diese blauen Haare kommen mir irgendwie bekannt vor..."

"REI???" Shinji weitete seine Augen. "Dieses Mädchen soll Rei sein?" Unbewusst verschnellerte er sein Schritttempo. Kensuke tat es ihm gleich.

"Also eine gewisse Ähnlichkeit mit Rei ist schon vorhanden..."

Schließlich hatten sie das blauhaarige Mädchen erreicht - und trauten ihren Augen kaum. Selbst Asuka, die schon die ganze Zeit fröhlich neben ihnen marschierte, wurde durch diesen Schock zurück in die Realität geholt. Rei war nicht wieder zu erkennen.

Anstatt ihrer üblichen blau-weißen Kleidungskombination trug sie ein kurzes unbedrucktes Oberteil (mit unerhört tiefem Ausschnitt) unter einer knappen geöffneten Jacke. Ein paar Regionen tiefer dann ein Minirock, der seinem Namen alle Ehre machte und erstaunlich viel Bein zeigte. Und was dass unglaublichste war: Als Rei feststellte dass die männlichen Begleiter Asukas ihre Kinnladen zu Boden fielen ließen, fing sie breit an zu grinsen.

Ebenso Hikari, die neben Ayanami stand. "Rei, ich glaube du kommst gut an!", lachte sie enthusiastisch. Asuka fand das ganze weniger komisch.

"Meinst du nicht dass du deinen Freund etwas irritieren könntest, wenn du Rei hilfst sich derart einzukleiden?"

Die Klassensprecherin wusste erst gar nicht was das Second Children meinte, warf dann einen verwirrten Blick zu dem wie paralysiert auf Rei starrenden Toji und gab ihm eine schallende Ohrfeige.

Daher war Suzuhara auch der erste der sich wieder gefangen hatte, während Shinji und Aida immer noch festgewurzelt still standen und Rei ansabberten.

"Das übernehme ich!", rief Asuka gereizt, stellte sich gekonnt in Pose und hämmerte Shinji eine Ohrfeige ins Gesicht die sich vor keinem Boxhieb verstecken musste. "Danke", murmelte Ikari nuschelnd und kam langsam wieder zur Besinnung.

"Und wer schlägt jetzt Kensuke?" Toji grinste in die Runde, und sofort tat Hikari es ihm gleich und drehte sich dem Blauschopf zu.

"Rei, wenn du Aida-kun jetzt noch zur Besinnung prügeln kannst, hast du deine Weiblichkeit endgültig bewiesen!"

"Ich werd mir Mühe geben!" Dies war dann der Moment der Wahrheit - die letzte Prüfung - die Rei dank eines niederschmetternden rechten Hakens mit Bravour meisterte.

Nachdem Shinji und Suzuhara aufgehört hatten zu applaudieren, führte die Gruppe ihren Schulweg fort.
 

Als Misato mit ihrer täglichen Tasse Kaffee in Ritsukos Büro trat, fand sie ihre Kollegin etwas bestürzt in ihrem Bürostuhl sitzen. Eine merkwürdige Situation, die erst durch Katsuragis skeptischen Blick gelockert werden konnte.

"Was ist denn mit dir los?"

"Misato..." seufzte Dr. Akagi genervt, "wir müssen schon wieder alles umschreiben. Es gibt ein neues Fourth Children..."

"Der wird doch hoffentlich nicht auch noch bei mir einziehen?"

"Nein, soweit ich weiß besitzt er eine eigene Wohnung."

"Gut! Dann ist ja alles in Ordnung! Wie heißt er?"

"Kaworu Nagisa. Seine Akte liegt auf deinem Schreibtisch, aber es steht nicht sonderlich viel drin. Er scheint keine besonders aufregende Vergangenheit zu haben."

"Umso besser! Hoffentlich fängt er keinen Streit mit Asuka an..."

Ritsuko grinste. "Wie sieht es eigentlich mit unserer Wette aus? Hat Asuka schon..?"

"NEIN! Andererseits... Heute war sie erstaunlich fröhlich..."

"HA! Das ist ein Zeichen!"

"Hm..." Misato seufzte und stürzte sich auf Kaworus Akte.
 

Asuka saß am Küchentisch, mit völliger entsetzter Miene, den Kopf auf die Hände gestützt. Die Schule hatte sie nur mit viel Mühe überleben können, und wenn Shinji jetzt nicht schnell etwas Essbares servieren würde, wäre sie dem Wahnsinn endgültig verfallen.

"Rei hat heute mehr Liebesbriefe bekommen als ich in meinem ganzen Leben...", murmelte das Mädchen aufgelöst wie ein Mantra vor sich hin.

"Der Reis ist fertig!", rief Shinji aus der Küche und trug zwei Schalen des heutigen Mittagessens ins Esszimmer zu Asuka. Selbst der zugegebenermaßen betörende Geruch seiner Kochkünste konnte sie nicht aufmuntern.

"Warum seid ihr Männer solche Bakas?", fing sie dann gereizt an. "Kaum trägt Rei einen Rock, läuft ihr Wondergirl wie Schoßhündchen hinterher!"

"Hey! Das hab ICH heute nicht gemacht!" Shinji machte einen leicht gekränkten Eindruck.

"Ja! Du hast schon mit ihr rumgeknutscht als ich in Tokio angekommen bin!"

"Das... Also... Äh..."

"Siehste!"

Schweigend wand sich das Mädchen wieder ihrem Reis zu.
 

Mit einem siegessicheren Grinsen saß Hikari auf Reis Bett, während sie einen kurzen Blick in ihre Schulbücher warf und kleine Herzchen in ihre Hefte kritzelte. Ayanami selbst hingegen stand in der Küche und versuchte eines ihrer schon lange gesteckten Ziele zu erreichen: Gerichte kochen zu lernen die sie auch anderen servieren konnte, bzw. besser mit den Töpfen umgehen zu können als Misato.

"Du hast ja ganz schön abgesahnt!, meinte die Klassensprecherin gut gelaunt und ging zu Rei in die Küche. "Da könnte man richtig neidisch werden."

"Es nervt, wenn man von allen Seiten angestarrt wird. Und Shinji hat die ganze Zeit an mir vorbei gesehen." Reis Stimme kam nicht mehr so kraftlos wie noch vor Wochen, wirkte aber trotzdem noch etwas monoton.

"Das mit Shinji wird schon noch!"

[Nicht wenn Asuka mir in die Quere kommt...]

"Asuka?"

[Mist!]

Rei zuckte innerlich zusammen. Hatte sie das gerade eben laut gedacht?

Hikari runzelte die Stirn und verfiel in ein tiefes Grübeln. "Du meinst Asuka und Shinji..? So hab ich das noch nie gesehen... Aber andererseits ist Asuka doch ständig in Streitereien mit ihm verwickelt... Obwohl das bei Asuka ja nicht viel heißen will..." War das vielleicht alles nur Fassade? Auf einmal war sich die Klassensprecherin nicht mehr sicher.

Aber das war im Moment auch gar nicht wichtig - Reis neues fröhliches Ich wurde durch eine todernste nachdenkliche Miene entstellt.

"Hey! Was sollte Shinji gegen dich haben? Du bist Asuka doch mehr als ebenbürtig!"

Doch kaum hatte die Klassensprecherin den letzten Satz zu Ende gesprochen, blockierten sich plötzlich ihre gesamten Gedankengänge. Hatte sie Asuka - ihre beste Freundin - gerade hinter Rei zurückgestellt?

Konnte es sein dass sie völlig zwischen die Fronten geraten war?
 

Shinji fühlte den weichen Sand unter sich. Die Sonne schien auf ihn und das endlos blaue Meer hinab, und beschien auch die ihm gegenüberstehende Rei.

"Sie haben sich alle verändert", flüsterte das Mädchen. "Du, Asuka, Clade, Rei..."

"Was meinst du damit?", fragte Shinji, wohlwissend dass dies hier alles nur ein Traum war.

"Hier geschehen seltsame Dinge." Das Wesen in Gestalt von Ayanami fing plötzlich an zu grinsen. "Aber es gibt wichtigeres... Liebst du mich?"

Ikari fing wieder an zu stocken. Diese Worte in Kombination mit Reis Äußeres sorgten bei ihm für merkwürdige Magenkrämpfe. "Ich weiß nicht..."

[Weiß nicht...]
 

Verwirrt schreckte der Junge aus seinem Traum auf und sah direkt in die fürsorglichen Augen von Asuka. Er lag in seinem Bett, war wohl während dem Musikhören eingeschlafen, und musste feststellen dass das Second Children an seiner Bettkante saß und ihn die ganze Zeit angesehen hatte.

Shinji sah auf die Uhr in seinem Zimmer, es war später Nachmittag.

"Was ist los?", fragte er das Mädchen irritiert.

"Mir ist langweilig."

"Und deswegen beobachtest du mich im Schlaf???"

Sie schwieg, verkniff sich jeden Kommentar.

Er schwieg ebenfalls, verwirrt durch ihre undurchsichtigen Handlungen.

"Shinji..."

"Ja?"

"Als ich dich so friedlich schlafen gesehen hab, konnte ich mich nicht mehr zurückhalten und hab dich..."

Der Junge sprang mit hochrotem Kopf von seinem Bett auf und sah das Mädchen geschockt an, bis letztere in lautes Gelächter ausbrach und ihm damit unmissverständlich signalisierte nur einen Witz gemacht zu haben.

"Hach!", lachte sie, "es gibt nichts unterhaltsameres als einen Baka wie dich zu ärgern!"

"Und deswegen bist du also in mein Zimmer gekommen?"

"Ja!" Sie grinste verschmitzt.

Shinji sah sie einen kurzen Moment lang an, wurde urplötzlich von Rachegedanken durchschüttelt und fasste binnen weniger Sekunden ein wahnsinniges Vorhaben ins Auge... Noch ehe Asuka seinen merkwürdigen Blick deuten konnte, hatte der Junge sich unmittelbar vor sie bewegt und mit gekonnten Bewegungen seine Lippen gegen ihre gepresst.

Nur zaghaft löste er sich wieder von ihr.

"Baka", murmelte sie und sah ihn verträumt an. So langsam schien er wirklich zu einem ebenbürtigen Gegner zu werden.

Sie lächelte ihn an.

Schüchtern lächelte er zurück.

"Liebst du mich?"

Shinji stockte, seine Miene wurde todernst und seine Augen waren befangen von dem verschmitzten zuckersüßen Grinsen des Mädchens. Sie strahlte eine merkwürdige Vertrautheit aus, die er bisher nur bei Rei ausmachen konnte.

Als Asuka merkte dass der Junge vor lauter Verunsicherung nicht antworten konnte, ergriff sie selbst die Initiative und beugte sich zu ihm hinüber. Wie in Trance umspielten ihre Lippen die seinigen und brachten ihm einen liebevollen Kuss der seine Sinne zu vernebeln drohte.

Und Shinji hatte weder den Willen noch die Kraft sich dagegen zu wehren. Nicht wenn er es hier mit Asuka zu tun hatte.

[Sie war eine würdige Gegnerin...]

Noch während ihrem Lippenspiel verzogen sich seine Mundwinkel zu einem Lächeln. Zögerlich legte er in einem Anflug euphorischem Selbstvertrauens seine Arme um sie, tastete mit seinen Händen an ihrem Rücken entlang.

Asuka erwiderte seine Geste.

Und langte mit ihrer Zunge tiefer in seinen Rachen.

Sie hatte ihn soweit.

Und Rei würde ihnen nicht mehr in die Quere kommen.

Endlich hatte sie eine Person gefunden die nur ihr allein gehörte - und der sie sich vollends anvertrauen konnte.

Shinji grub seine Finger in ihr weiches Haar und spürte gar nicht wie Asuka ihn geschickt in ihre Richtung zerrte. Irgendwann verlor er das Gleichgewicht und landete mit ihr in einer engen Umklammerung auf seinem Bett, doch statt einer Ohrfeige küsste das Mädchen ihn nur noch inniger.

Sie knöpfte sich ihre Bluse auf und entledigte sich so dem überflüssigen Stoff - ebenso wie sie es mit Shinjis Hemd tat.

Letzterer wiederum nahm ihre Auszieh-Aktionen anfangs erst gar nicht wahr. Nach so vielen Wochen machte für ihn endlich alles einen Sinn. Asuka hatte ihn gebraucht, sie hatte ihn gemocht und ihn an sich gebunden. Er war nicht nutzlos, er hatte eine Person gefunden die auf ihn angewiesen war.

Und er knüpfte dieser Person gerade den BH auf.
 

Kaji hätte fast einen tödlichen Fehler begangen. Gestern hatte er eine 50/50 Chance sicher in den Keller des Vatikans zu kommen, und fast hätte er die Gelegenheit ausgenutzt.

Glücklicherweise nur ,fast'.

Er hatte viel zu überstürzt gehandelt! Bevor er womöglich das größte Geheimnis von allen aufdecken würde, müsste er seine Schulden in der Gegenwart bereinigt haben.

Und dazu gehörte auch, mit Misato ins Reine gekommen zu sein.

Doch gerade als er von dem Bett des schäbigen Hotelzimmers aufstand um den Anruf zu betätigen, klingelte das Telefon. Irritiert nahm Kaji den Hörer ab und hörte Kaworus Stimme am anderen Ende der Leitung.

"Was ist los?", fragte der ehemalige NERV Söldner gereizt.

"Du hast nicht mehr viel Zeit."

"Was willst du mir diesmal sagen? Das letzte Mal wolltest du noch dass ich mir Zeit lasse!"

"Die Dinge haben sich geändert. Die CHILDREN haben sich geändert."

"Wegen dem LCL?"

"Ich weiß nicht, aber sie haben sich alle verändert. Asuka hat sich selbst ihre Liebe zu Shinji eingestanden und ist zärtlich geworden; Shinji selber wird immer selbstbewusster und Rei gewinnt langsam aber sicher an Menschlichkeit. Wenn alles in diesem Tempo weitergeht wird die Kettenreaktion zum Untergang schnell beendet sein. Und der Abendstern wird sich zeigen bevor du Gelegenheit haben wirst ihn auszuspionieren." Kaworu seufzte.

"Danke", murmelte Kaji verwirrt und legte auf.
 

Sie waren perfekt aufeinander abgestimmt - ohne es wirklich zu merken.

Als Shinji mit Rei in dem verlassenen Park herumgewerkelt hatte, hatte Ayanami eindeutig die Initiative ergriffen.

Doch in diesem Moment, als beide Children eng umschlungen auf dem Bett lagen - unfähig die Finger voneinander zu lassen - waren Ikari und Asuka sich absolut ebenbürtig. Zwischen innigen Küssen kreisten die Finger seiner rechten Hand um ihre harten Brustwarzen, während ihre Hand langsam in seine Hose hinabglitt. Unter das hauchige Atmen beider Children schlich sich ein leises Stöhnen.

"Ich liebe dich....", nuschelte sie in Ekstase, als sie beständig seine Erektion mit geschickten Fingern bearbeitete.

Und Shinji konnte nicht anders - er musste ihr Geständnis erwidern. Asuka ließ ihn in diesem Moment Rei vollends vergessen, und ihre stetig auf und ab wippenden Brüste vor seinen Augen taten ihr übriges.
 

Es war kalt.

Rei hatte vergessen das Fenster ihres Zimmers zu schließen.

Doch in dieser Nacht hatte sie sich so fest in ihre Decke gewickelt dass sie nicht mehr aufstehen wollte um das Kälteproblem zu lösen.

Mit dem Gedanken an Ikari schaffte sie es dennoch irgendwie einzuschlafen.
 


 

ENDE KAPITEL 5
 


 


 


 

VORSCHAU: PHASE 20 (17. FEBRUAR)
 


 

???
 

???
 

???
 

Kapitel 6 - Das vorletzte Kapitel von Abendstern birgt die Wahrheit...

17. Februar - 18. Februar

KAPITEL 6: 17. FEBRUAR - 18. FEBRUAR
 


 


 

PHASE 20: HERZSCHLAG
 

[Shinji spürte den weichen Sand unter seinen Füßen. Warme Gischt wurde in regelmäßigen Zügen angeschwemmt und benetzte den Untergrund mit lebensspendender Feuchtigkeit. Die Sonne schien auf das himmelblaue Meer hinab und bestrahlte auch Rei, die ihm emotionslos gegenüber stand.

"Du liebst sie nicht."

"Sie ist meine Schwester."

Die Rei-Gestalt räusperte sich, sah den Jungen kurz und eindringlich an, und führte ihre Rede dann fort.

"Es dauert nicht mehr lange bis sie von dem Kelch der Erkenntnis trinken wird. Wenn sie die Wahrheit kennt - dass sie nicht mehr als das Versuchskaninchen ihres eigenen Vaters war - wird sie sich von niemandem mehr einen Riegel vorschieben lassen. Du hättest ihr letzter Halt der Vernunft werden können, doch du hast dich für Asuka entschieden."

Shinji stockte und hörte den Ausführungen des LCL-Wesens weiter zu.

"Aber ich mache dir keine Vorwürfe. Du weißt nichts von den zukünftigen Ereignissen, und mit Asuka hast du durchaus einen guten Fang gemacht. Doch Rei wird wohl daran zugrunde gehen."

Plötzlich verschwand das ganze Meer, als würde es binnen weniger Sekunden im Flussbett vollständig versickern. Neben den beiden Gestalten entstand plötzlich eine surreale Umgebung, in der sich Gendo mit einer im Schatten befindlichen Person unterhielt.

"Das war vor gut 14 Jahren", erklärte Rei, und die unwirkliche Szenerie wurde wie ein Videoband abgespielt. Shinji sah zu, wie sein Vater sich räusperte und seine Brille zurechtschob, während die schattenvergangene Gestalt völlig ruhig blieb.

"Es bleibt nur Shinji und Rei übrig. Eine von den beiden muss als Versuchskaninchen dienen." Gendo sah seinen Gegenüber herrisch an.

"Du weißt wen du opfern musst", erwiderte dieser dann. "Shinji erzielt schon in seiner momentanen sehr frühen Lebensform erstaunliche Testergebnisse - bessere als Rei."

"Aber... Rei..!"

"Wir wissen dass du mehr an ihr hängst als an dem Jungen, aber das tut nichts zur Sache. Sie wird die ersten Operationen erleiden müssen, an ihr werden wir die neue Technik ausprobieren."

Gendo schob seine Brille wieder zurecht, und versuchte seine aufkeimende Wut zu unterdrücken. "Gut. Ich werde mich darum kümmern."

"Und noch etwas", fing die Schattengestalt wieder an, "du solltest Rei eine andere Identität geben. Einen anderen Nachnamen, ein anderes Leben. Es wäre zu auffällig, wenn sich ganze zwei der Children als deine Erben entpuppen würden."

Die ganze Umgebung verschwand wieder in den Untiefen dieses bizarren Alptraumes, und die LCL-Gestalt ergriff wieder das Wort.

"So wurde aus Rei dass was sie heute ist. Gendo opferte sie um die Interessen Seeles zu vertreten." Ein neues Bild erschien: Eine unendlich weite zerklüftete Eislandschaft, welche in einem völlig extremen Schneesturm begraben wurde. Nirgendwo ein Zeichen von Leben.

"Das war noch einige Monate früher: Am 15 August 2000 - der Tag des Second Impacts", erklärte das Mädchen das Shinji gegenüberstand. "In der Antarktis."

Plötzlich war nicht mehr nur die Eislandschaft zu sehen: Eine noch frische Leiche war deutlich zu erkennen. Mit blauer Haut lag sie dort im Schnee; neben dem Körper lag ein noch funktionstüchtiges Funkgerät.

"An alle die sich noch auf dieser Expedition befinden und verloren gingen", war knarzend aus dem kleinen Gerät zu hören, "dies hier ist meine letzte Botschaft." Die Stimme klang resignierend und traurig. "Wir haben an diesem schicksalsträchtigen Tag genau den Fund gemacht, den wir machen wollten. Leider schließt dies ein, unsere Spuren komplett verwischen zu müssen." Und während überall auf der Welt LCL vom Himmel regnete, wurde in der Antarktis der geheim entwickelte Sprengsatz entwickelt der enorme Naturkatastrophen, und schließlich den Second Impact auslösen sollte.

Auch diese Szenerie verschwand schnell wieder.

"Es war der Abendstern", erklärte die Rei-Gestalt. "Diese Organisation hatte damals am Südpol den Fund gemacht, und alles nur Sekunden später in die Luft gejagt."

"Aber was ist der Abendstern?"

"Das kann ich dir nicht sagen - du solltest wohl besser Kaworu fragen."

"Kaworu Nagisa?" Shinji stockte. "Das neue Fourth Children?"

Wieder verschwamm die Umgebung neben Shinji, und es tauchte etwas neues auf. Ein für Ikari durchaus bekannter Raum: Sein eigenes Zimmer. Es musste Nacht sein, und er selbst lag tief schlafend in seinem Bett.

"Das hier war vor wenigen Tagen", erklärte Rei, und das Bild bewegte sich erneut.

Die Tür zu Shinjis Zimmer öffnete sich, und Asuka trat allein in einem dünnen Nachthemd bekleidet ein. Ihre Augen schimmerten im kaum vorhandenen Licht, und ihre Bewegungen wirkten kraftlos und zittrig.

"Asuka?", murmelte Ikari schläfrig.

"Ich will nicht mehr alleine schlafen", gab sie leise von sich und huschte zu ihm unter die Decke. Der Junge war schon wieder in tiefem Schlummer versunken, weswegen er gar nicht mehr realisierte wie das Mädchen sich an seinem Körper wärmte. Ihre Hände glitten über seinen Rücken, tasteten nach seinem Bauch, strichen ihm verspielt über sein Gesicht.

Sie streifte ihr Nachthemd vom Körper und ließ es achtlos auf den Boden neben dem Bett fallen. Sorgsam - bedacht zu vermeiden ihn aufzuwecken - legte sie ihre Arme um ihn und lehnte sich mit ihrem Kopf an seinen Rücken. Zarte Tränen liefen ihr von der Wange.

Das Bild verschwand wieder. Shinji war völlig aufgelöst und sah die Rei-Gestalt die ihm still wie ein Felsen gegenüberstand völlig perplex und irritiert an.

"Ist es ernüchternd zu sehen was sich hinter deinen Augen abgespielt hat?", fragte sie ihn ohne Sarkasmus in der Stimme und ging einen Schritt auf ihn zu. "Willst du noch mehr sehen?"

"Ja."

Wieder erschien eine neue Szenerie, diesmal war es Reis Schlafzimmer. Ayanami stand vor ihrem Kleiderschrank, und versuchte die ganzen Oberteile, Röcke, Hosen, sowie die nicht zu unterschätzende Unterwäsche die sie heute mit Hikari gekauft hatte in ihren Schrank zu ordnen. Die Klassensprecherin selber saß auf dem Bett des Mädchens und beobachtete Rei bei ihrem Vorhaben mit einem verschmitztem Grinsen.

"Gut dass du endlich mal Sachen hast mit denen du deinen Kleiderschrank füllen kannst."

"Ich glaube mein Schrank ist zu klein."

"Hey, ich hab eine Idee", rief Hikari plötzlich fröhlich und stand auf. "Wir könnten doch morgen Shinji und Asuka zusammen bei ihrem Schulweg abfangen!"

,Warum?', wollte Rei erst fragen, realisierte aber dann dass sie morgen zum ersten Mal in ihrem Leben ein hauchdünnes Oberteil mit Minirock tragen würde. Sie fing an zu schmunzeln.

"Bisher weiß ja nur Shinji dass auch du durchaus deine Rundungen hast", lachte die Klassensprecherin und stellte vergnügt fest dass sie Ayanami ziemlich in Verlegenheit gebracht hatte. "Ich hoffe er weiß es zu schätzen!"

"Hör auf..."

"Hey! Du musst langsam anfangen wie eine Frau zu denken! Wenn du Shinji willst musst du in die Offensive gehen!"

Rei wies grinsend auf ihren Kleiderschrank. "Ich werde einen Minirock tragen - offensiver geht es wohl nicht mehr?"

"Der Minirock ist ein guter Anfang..." Doch noch während die Klassensprecherin lachte, fiel sie plötzlich zu Boden und fasste sich mit entsetztem Gesichtsausdruck an die Kehle. Sie bekam keine Luft mehr, rang nach Atem und hustete wie eine Asthmakranke mit hochrotem Kopf. Ayanami stand daneben und wusste nicht was sie tun sollte - sie geriet in Panik. Doch nach zwei Minuten war der Spuk vorbei, und Hikari stand wieder auf.

"Was ist mit dir los? Geht es dir gut?"

"Ja", meinte Hikari trocken. "Ich habe so etwas öfter - ich weiß auch nicht warum."

Das Bild verschwand wieder. Doch Shinji befand sich nicht mehr auf den Überresten eines makellosen Sandstrandes, sondern mit in einem endlosen schwarzen Raum ohne Begrenzungen. Keine Wände, keine Decke, kein Boden - er schien im Nichts zu schweben. Rei stand ihm immer noch gegenüber, ihre Stimme hatte in diesem Vakuum ein schier endloses Echo.

"Das war wohl zur selben Zeit, als Asuka zu dir ins Bett gekrochen ist."

"Was ist mit Hikari los?" Ikari war seine Besorgnis deutlich anzuerkennen.

"Sie hat eine LCL Vergiftung. Sie sollte eigentlich eines der Children werden, doch als Seele ihre Experimente an ihr durchführten, bildete ihr Immunsystem Antikörper auf das LCL."

Shinji sah die Rei-Gestalt mit einem gefasstem Gesichtsausdruck an. Er wollte sichergehen nichts falsch verstanden zu haben, und war darauf aus endlich die Wahrheit hinter diesen Geschehnissen zu erfahren.

"Also wurden an allen Children Experimente von Seele durchgeführt?"

"Ja. Rei war die erste. Das Versuchskaninchen, an ihr wurde die neue Technik ausprobiert. Bei diesen Versuchen werden emotionale Schäden im Hirn verursacht, und man macht den Charakter abhängig von LCL. Nur in Verbindung mit dieser Flüssigkeit, erwachen in den Children die Emotionen die ihnen sonst verborgen bleiben. Bei dir und Asuka ist es genauso - nur Clade ist anders."

"Inwiefern ist mein emotionales Seelenleben betroffen?", fragte Shinji mit angst in der Stimme. Doch die Gestalt ihm gegenüber wich seinen Blicken aus, als suchte sie selbst nach einer passenden Antwort. Endlose Sekunden des Schweigens vergingen, bis sich alles um den Jungen herum plötzlich in Bewegung versetzte. Er spürte in diesem Vakuum ein enorme Rotation, die ihn langsam um den Verstand brachte. Alles drehte sich.

Er spürte den Drang sich übergeben zu müssen.

Die Rei-Gestalt vor ihm zersetzte sich in ihre Einzelteile.

Vor seinem geistigen Auge tauchte plötzlich Gendo auf.

,Wir wissen dass du mehr an ihr hängst als an dem Jungen, aber das tut nichts zur Sache. Sie wird die ersten Operationen erleiden müssen, an ihr werden wir die neue Technik ausprobieren.']
 

Shinji wachte schweißgebadet auf.

Es war mitten in der Nacht, es würden noch fünf Stunden vergehen bis der Wecker zur Schule piepen würde. Entnervt legte er sich wieder hin und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen; was letztenendes jedoch vergeblich blieb. Schließlich verfiel er in einen unbeschwerten traumlosen Schlaf.

Doch bevor er einschlief hörte er noch einmal die klare Stimme der LCL-Gestalt in der Trümmerwelt seiner Seele.

[Hast du dich schon mal gefragt warum du nicht weinen kannst?]
 


 

PHASE 21: LICHT DES NEUEN HIMMELS
 

Die Gruppe die morgens zur Schule ging, bestand schon lange nicht mehr nur aus Shinji, Kensuke, Toji und Asuka - Hikari, Rei sowie der neue hinzugekommene Clade-Ersatz Kaworu Nagisa hatten sich ihnen angeschlossen. Dementsprechend munter fiel das morgendliche Treiben auch täglich aus, wobei es heute etwas gehemmter war. Zwar kicherten Hikari und Rei auch in diesem Morgen miteinander rum, und auch Aida führte mit Kaworu wieder seine Gespräche über militärische Kriegstaktiken; doch Shinji zeigte sich ungewöhnlich ruhig.

[Rei.... Wenn sie vom Kelch der Erkenntnis trinkt, wird sie sich von niemandem mehr einen Riegel vorschieben lassen...]

Shinji warf einen verstohlenen Blick auf Ayanami. Sie lachte, wirkte fröhlich - wie ein normales Mädchen. Doch seine Blicke blieben ihr nicht unverborgen, direkt hatte sie ihren Kopf in seine Richtung gedreht und lächelte ihn breit an. Für einen Augenblick sah sie aus wie Misato...

Ikari musste auf seine Schwester aufpassen - sie hatte sonst niemanden mehr.

Aber er konnte auch Asuka nicht im Stich lassen.

Und dann war da noch Kaworu...

Wer war Kaworu überhaupt? Shinji wusste nichts über ihn, kannte ihn nur flüchtig und hatte kaum länger als fünf Minuten bisher mit ihm geredet. Er wusste nur dass Nagisa eine eigene Wohnung hatte, ganz akzeptable Testergebnisse vorweisen konnte und oft Rei besuchte.

Vielleicht konnte Kaworu für Rei der Bruder sein, der Shinji niemals werden würde?

So wie es Clade fast geworden wäre?

[Clade...]

Alles fiel auseinander. Die traute Einheit die fast zwischen den einzelnen Fragmenten seiner Seele entstanden wäre, drohte für Shinji mit einem Mal in Tausend Teile zu zerbrechen. Endlich hatte er eine Situation mit der er Leben konnte - Asuka; Rei; Misato; Toji; Kensuke - sie alle taten ihr übrigstes dazu und hielten ihn Tag für Tag aufs neue an seiner Existenz.

Er würde keinen Keil zwischen sie kommen lassen.

Er würde die Initiative ergreifen müssen.

"Sagt mal...", fing er in merkwürdiger Tonlage an und blieb stehen. Alle hatten sich zu ihm umgedreht und schauten ihn neugierig an, sein fast schon diabolisches Grinsen war für die anderen völlig ungewohnt. "... wollt ihr heute wirklich in die Schule gehen?"

Man warf sich untereinander nervöse Blicke zu, als zweifelte man an seinem Geisteszustand.

"Ausgerechnet heute? An so einem schönen Tag?"

"Nein!", rief Rei lachend und steckte die anderen mit ihrer guten Laune an.

"Okay, was machen wir?", grinste Toji verschwörerisch und rieb sich die Hände.

"Hey! Wir könnten doch alle mal zu Rei gehen!" Hikari stieß ihre Freundin mit dem Ellenbogen an.

"Zu mir???"

"Warum nicht?" Aida schmunzelte vergnügt vor sich hin. "Ich wollte schon immer mal wissen wie es bei Rei daheim aussieht!"

"Meinetwegen..." Das angesprochene Mädchen seufzte, freute sich aber insgeheim über die vielen Besucher die sie heute bekommen würde.

Kaworu hatte sich bisher aus der Diskussion rausgehalten, konnte sich aber nicht verkneifen einen abschließenden Kommentar zu dieser Situation abzugeben. "Ich denke es würde nichts bringen wenn ich mich weigern würde mit zu gehen?" Auf seinen Lippen war ein eindeutiges Grinsen zu erkennen.

"Nein, Baka!", rief Asuka und ballte obligatorisch die Faust. "Du würdest uns nur dem Sensei verpfeifen!"

"Dann auf geht's!"
 

Als Kaworu mit den anderen Reis Wohnung betrat, wurde ihm die Veränderung ihres Charakters schlafartig bewusst. Als er das letzte Mal hier war, kam er sich vor als würde er ein steriles Labor betreten. Alles war sorgsam aufgeräumt und an seinem Platz gewesen - was man heute nicht mehr behaupten konnte. Ihr Bettlaken war völlig zerknüllt, Bücher lagen in der Gegend herum, und Nagisa war sich nicht sicher ob der Slip von ihr der neben dem Bett auf dem Boden lag, noch frisch oder bereits getragen war. Rei fing sofort an rot anzulaufen und versuchte die Unordnung so schnell wie möglich zu beseitigen.

"So..." Toji rieb sich die Hände. "Nachdem wir die Schule geschwänzt haben - was machen wir hier?"

"Hm...."

Streng genommen war Ayanamis Behausung für spontane Treffen völlig ungeeignet. Kein CD-Player, kein Computer, kein Alkoholvorrat, kein Fernseher...

[Fernseher..?]

"Hey!" Rei fing plötzlich breit an zu Grinsen. "Shinji, komm mal mit!" Sie packte energisch seine Hand und zerrte ihn mich sich. Asuka beobachtete mit skeptischem Blick wie Ayanami mit IHREM Shinji in einem zur Abstellkammer umfunktioniertem Hinterzimmer verschwand.
 

Ikari sah sich ausgiebig um und musterte die Dinge, die Rei als Gerümpel hier hin verbannt hatte. Größtenteils Sachen die wirklich unbrauchbar waren und die ein normaler Mensch schon längst weggeschmissen hätte. Gerissene Kleidung, kaputte Schränke, unnutzer Kleinkram.

"Weißt du wir man so ein Ding richtig anschließt?" Rei wies auf eine alte Fernseher/Videorekorderkombination die neben einigen Kartons in der Ecke stand.

"Wo hast du den Fernseher denn her?"

"Gendo hat ihn mir mal rübergebracht." Rei schmunzelte. "Ich weiß auch nicht warum. Bisher hab ich ihn nie gebraucht, und ich hätte schon fast vergessen dass ich ihn überhaupt hab. Also - kannst du ihn anschließen?"

"Ich nicht, aber vermutlich werden es Kensuke und Toji irgendwie schaffen."

"Dann tragen wir ihn am besten gleich in mein Wohnzimmer rüber." Enthusiastisch ging Rei in die Hocke und packte an einer Kante des klobigen Gerätes an, Shinji tat es ihr gleich und gemeinsam stemmten sie das Ding mühsam in die Höhe. Wirklich gut ging dies aber lediglich die ersten Sekunden...

[Rei?]

Vor ihren Augen tauchten plötzlich Schatten auf. Düstere Illusionen die nur langsam eine menschliche Form annahmen und sich bewegten.

Gendo... Shinji... Unbekannte Gestalten...

Sie selbst..?

[Rei!]

Vorsichtig öffnete sie wieder ihre Augen. Shinji stand mit besorgtem Blick vor ihr und versuchte mit aller Kraft den Fernseher zu halten.

[Sie musste für kurze Zeit weggetreten sein?]
 

Ritsuko saß wie gebannt vor ihrem Bildschirm und studierte Kaworus gestrige Testergebnisse. Die Synchrontests verliefen unglaublich gut - das neue Children schien voller Überraschungen zu stecken.

Während Asuka in ihren Glanztagen kaum mehr als eine 80% Rate zustande brachte, hatte Nagisa gestern 85% aus dem Ärmel gezaubert obwohl er allgemein einen eher trägen Eindruck machte. Aber er war ohne irgendwelche Ängste in den EVA gestiegen, was bei Shinji damals ja völlig anders war.

"Hier."

Vor Dr. Akagis Augen tauchten plötzlich drei 1000 Yen Scheine auf. Nachdem die Frau kurz neben sich blickte, wusste sie was passiert war und fing breit an zu Grinsen.

"Siehste, ich wusste es von Anfang an!"

"Glück", murrte Misato trocken und setzte sich auf ihren Stuhl. "Shinji und Asuka haben sich am Anfang überhaupt nicht vertragen."

"Das tut nichts zur Sache! Ich hab die Wette zweifellos gewonnen und kaufe mir für das Geld jetzt eine neue CD!"

"Pah... Man könnte 3000 Yen auch besser investieren!"

Ritsuko grinste. "In Alkohol?"

"Richtig! Du hättest uns alle auf ein Bier einladen können!"

"Das hätte Gendo bestimmt nicht gefallen."

"Ach was! Gendo ist doch egal! Außerdem ist der ab morgen eh weg!"

"Er ist weg?"

Misato sah Ritsuko skeptisch an. "Wusstest du davon nichts? Er muss auf eine Tagung in Prag mit NEC und Waechter. Keine Ahnung was die da zu bereden haben."

"Hm..."
 

Es war ein schöner Anblick - so ziemlich jeder der Anwesenden machte einen vergnügten Eindruck. In erster Linie natürlich die, die zusahen wie Toji und Kensuke vergeblich versuchten mit ihren ,Fachkenntnissen' den uralten Fernseher richtig anzuschließen. Etwas abseits der Situation stand Kaworu, und musterte die Szenerie mit einem von einem Ohr zum anderen gezogenen Grinsen.

Am folgenden Tag sollte sich alles ändern.
 


 

PHASE 22: OFFENBARUNG DES LETZTEN ENGELS
 

Der Wecker klingelte. Shinji streckte instinktiv seinen Arm aus und tastete mit der Hand nach dem Knopf zum ausschalten. Mit seinen geschlossenen Augen hatte er ihn überraschend schnell gefunden, doch nachdem er ihn zweimal drückte stellte sich ein stechender Schmerz in seiner Wange ein. Fast so, als hätte Asuka ihn geohrfeigt..?

Verwirrt schlug er die Augen auf, und stellte irritiert fest dass seine Hand auf der Nase des Second Childrens ruhte. Asuka funkelte ihn gereizt an und schlug seine Finger aus ihrem Gesicht.

"Gomen...", murmelte Shinji reflexartig, bis er sich aus seinem morgendlichen Dämmerzustand erholt hatte. "Was machst du in meinem Bett???"

"Ich darf nicht ohne Grund nachts in dein Bett rein?"

"Na ja..." Ikari hob gedankenversunken die Augenbraue und ließ ihren schmunzelnden gut gelaunten Gesichtsausdruck auf sich wirken. "Aber wenn Misato dich hier sieht..!"

"Sie wird vermutlich neidisch werden weil ich bessere Chancen hab binnen der nächsten Woche Sex zu haben als sie selber."

"Aaaarg..." Mit einer Mischung aus Trommelfeuerpuls und Herzstillstand kippte Shinji letztenendes aus dem Bett und kam unter Asukas ständigem Kichern nur mühsam wieder auf die Beine.

"Und zieh dir mal was an, sonst frierst du dir noch weiß Gott was ab."

Shinji sah an sich herab und stellte in Panik fest dass der völlig nackt war. Hektisch schnappte er sich die nächstbeste Hose und zog sie sich über; gerade rechtzeitig bevor Misato mit hochrotem Gesicht ins Zimmer stürmte. Doch selbst ihr völlig aufgewühltes Selbst fing an zu stocken als sie Asuka mit verschrockenem Gesicht in Shinjis Bett liegen sah.

"Was ist denn hier los?"

"Ähhh..."

"Egal! Das tut jetzt nichts zur Sache - ihr müsst ins Nerv Hauptquartier kommen!!!" Katsuragi schien völlig in Panik zu sein, so hatte Shinji sie nur selten gesehen. "Ein Engel greift uns an!"

[Ein Engel?]

Ikari und Asuka warfen sich perplexe Blicke zu.
 

Rei und Kaworu standen mit unruhigen Mienen vor dem Nerv Hauptquartier und warteten auf die baldige Ankunft Misatos mit den beiden anderen Children. Man hatte Ayanami und das neue Fourth Children vor ein paar Minuten erst angerufen, und dementsprechend aufgewühlt wirkten sie nun auch.

Obwohl... Kaworu machte einen eher gelassenen Eindruck, als ob ihn nichts aus der Ruhe bringen könnte.

Fast schon unheimlich, fand Rei die unruhig auf und ab ging und an ihrer Unterlippe knabberte. Während sie vor einem Monat noch den Gedanke gegen einen Engel kämpfen zu müssen ohne Abschweife ertragen hätte, wünschte sie sich in diesem Augenblick nur noch mit einer Wärmflasche ins Bett.

"Keine Sorge", fing Nagisa plötzlich an. "Es ist der letzte Engel - danach ist endlich Schluss."

"Was?" Rei starrte ihn einen Augenblick lang fragend an. "Woher willst du das wissen?"

Kaworus grinsendes Gesicht wich einer ernsten Miene. Doch seine Lippen blieben stumm und vermieden es streng zu antworten.

Dafür sprachen seine Augen jedoch Bände - Rei konnte in Nagisas Ausdruck mehr erfahren als er Worte je zustande gebracht hätten.

Und sie war bestürzt vor der Ehrlichkeit in seiner stummen Antwort. Perplex wich sie einen Schritt zurück und versuchte ihm nicht mehr ins Gesicht zu schauen. Glücklicherweise kam schnell Misato mit ihrem lebensgefährdenden Fahrstil angebraust und legte eine satte Vollbremsung hin.

"Aussteigen!"

Hastig schmissen sich Shinji und Asuka aus dem Wagen, irgendwie war ihnen die Freude anzusehen, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.

"Nachdem alle Children zusammen sind - ab in die EVAs!!! Es ist ein Notfall!!!" Selten hatte man Misato so aufgewühlt gesehen, die Tatsache Asuka eben in Shinjis Bett ertappt zu haben, schien ihr endgültig den Gnadenstoß gegeben zu haben.
 

Gendo saß in seiner üblichen Pose am Konferenztisch eines Prager Regierungsgebäudes. Das Zimmer war fast völlig abgedunkelt, und erinnerte Ikari erschreckend an sein eigenes Büro im Nerv Hauptquartier.

Ihm gegenüber saßen zum einen James Schaffer, zum andere Winston Druchov. Die beiden Oberhäupter von NEC und Waechter - das bedeutete sicher nichts gutes.

"Es geht um ihr Second Children Soryu Asuka Langley...", fing Druchov ohne Umschweife an. "Sie werden sicher noch in Erinnerung haben, dass wir ihnen das Mädchen nur ausgeliehen haben."

Gendo nickte knapp.

"Daher können sie sicher nachvollziehen, dass wir sie wieder zurück in unser europäisches EVA Labor haben möchten. Wir haben es bis jetzt noch nicht geschafft ein neues First Children zu finden, und ich fürchte dass könnte noch etwas dauern. Deswegen unsere Bitte."

"Verständlich", murmelte Gendo. "Ich denke dagegen ist nichts einzuwenden - ich werde direkt nach meiner Rückkehr nach Neo Tokyo mit Ms. Langley reden."

"Gut", beendete James Schaffer das Thema und faltete die Hände zusammen. "Kommen wir zum zweiten Punkt des heutigen Gespräches - Clade Shawver hat sich nach dem Aufenthalt bei NERV merkwürdig verändert..."

Gendo hob skeptisch die Augenbraue und hörte seinem Kollegen perplex zu.
 

"Das Problem an diesem Engel ist eine nicht vorhandene klare organische Form. Wir können ihn ganz klar als Engel orten, sogar sein AT Feld ist teilweise sichtbar, aber keine Monitoraufzeichnung konnte uns bisher Details über sein Aussehen geben."

"Wo ist er im Moment?"

"Westlich Neo Tokyos - er wird die Stadt wohl in einer halben Stunde erreichen."

Alle hörten nervös den Ausführungen Misatos zu, wobei Rei eindeutig die aufgebrachteste von allen war; sie konnte zu keine Sekunde ruhig bleiben und machte einen völlig deplazierten Eindruck. Shinji sah sie mitleidig an und konnte einfach nicht anders reagieren als ihre zittrige Hand zu halten (sehr zum Unmut von Asuka, die ohne Misatos Beisein wohl wie ein Vulkan explodiert wäre). Und irgendwie hatte er Erfolg - Rei wurde direkt ruhiger. Mühsam verkniff sie sich ein verräterisches Lächeln.

"Wir gehen auf Nummer sicher und machen einen kompletten Frontangriff mit allen vier EVAs. Gendo ist heute in Prag; ihr braucht für ihn also keine gute Figur zu machen. Rennt einfach hirnlos auf das Ding ein und macht es platt - mehr wird nicht von euch erwartet. Und achtet ein wenig darauf dass die Evangelions nachher nicht zu sehr einem Schrotthaufen ähneln, unser Geldgeben hat seine Augen überall. Alles klar?"

Shinji nickte kurz und realisierte dann dass er statt Reis Hand auch genauso gut einen Eiszapfen halten könnte. Ihre Finger waren taub und wie abgefroren, schlimmer als es der Junge je an einem Menschen gefühlt hatte. Beunruhigt wendete er seinen Blick von Misato ab und schwenkte den Kopf zu Ayanami.

[Rei???]

Was er in diesem Augenblick sah, schockte ihn bis auf den Grund seiner Seele. Als er in ihre Augen blickte, die ihn geweitet und völlig apathisch mit dem Ausdruck absoluter Fassungslosigkeit anstarrten, wusste er was geschehen war. Stille Tränen rollten ihre Wange hinunter, und ihre Lippen öffneten sich zu kraftlos geflüsterten Lauten.

"Gendo... hat mich die ganze Zeit... benutzt?"

Niemand sagte etwas. Allein der junge Ikari wusste was geschehen war - der Kelch der Erkenntnis wurde ausgeleert und begann Sporen zu tragen. Das LCL schien zu dem Mädchen gesprochen zu haben... Vielleicht wegen der wärmenden Berührung die Shinji ihr vor Sekunden noch schenkte.

"Geschwister..."

Völlig zerschmettert verlor Rei das Bewusstsein und fiel plump wie ein Mehlsack auf den Boden.

Einen Moment lang war alles still, selbst Misato starrte wie versteinert auf den regungslosen Körper Rei Ayanami's. Schließlich musste sie aber auch die erste sein, die den Trancezustand von den Children lösen sollte.

"Geht in den EVA - ich lasse Rei auf die Krankenstation bringen."
 

[Geschwister... Das war es also...

Und Gendo hat es die ganze Zeit gewusst und sie missbraucht... Sie war nie mehr als ein Werkzeug gewesen. Er hatte sie um ein normales Leben betrogen und aus ihr einen emotionslosen Krüppel gemacht...]
 

Hikari stand in einem miefigen Toilettenraum der Schutzunterkünfte und kotzte sich die Seele aus dem Leib. Noch nie im Leben war ihr so dermaßen übel gewesen, und sie fürchtete nie wieder etwas essen zu können. Ihr ganzer Magen hatte sich quer gestellt, und verschlimmert wurde das nur noch durch extreme Kopfschmerzen.

Erst nach einer halben Stunde torkelte sie wieder aus der Damentoilette hinaus - wo überraschenderweise Toji auf sie wartete. Er musste ihr hinterhergelaufen sein.

"Ist mit dir alles in Ordnung?"

"Nein...", flüsterte sie unruhig und wich seinen quälenden Blicken aus.
 

Nichts würde mehr so sein wie es gestern noch war.

Und Shinji wusste das.

Eigentlich missfiel es ihm, in einem solchen Augenblick Rei alleine zu lassen und in seinem EVA einen Engel abzufangen, aber es musste sein. Er hatte keine andere Wahl.

Und irgendwie fragte er sich auch, was es wohl für ein mysteriöser Engel war der auf den Monitoren des NERV Hauptquartiers nicht richtig angezeigt werden konnte.
 

Regelmäßig atmend lag Rei im Bett des Krankenzimmers. Sie war allein, niemand schaute auf ihren Schlaf herab.

Ihre Brust hob und senkte sich im Sekundentakt; sie träumte.

Ihre Lippen waren farblos und trocken.

Ihr Geist war leer.
 

[DAS war der Engel???]

Die drei Evangelions stockten, als sie das Wesen auf einer endlosen Steppe abfangen konnten. Niemand rührte sich mehr, oder wagte es sich zu bewegen. Niemand traute sich irgendwelche Schlussfolgerungen aus dieser Situation zu ziehen.

[Der Engel sah aus wie Rei.]

DAS war also das Geheimnis des mysteriösen Engels?

"Was ist?", meldete sich Misato plötzlich aufgebracht über Funk. "Könnt ihr ihn sehen?"

Shinji runzelte die Stirn. "Kannst DU ihn nicht sehen? Wir stehen direkt vor ihm!"

"Nein, die Kameras sind scheinbar ausgefallen - hier ist nur ein unregelmäßiges Flimmern."

Rei ging langsam auf sie zu.

[Ayanami...]

Aber es KONNTE nicht Rei sein! Sie war doch eben noch besinnungslos zusammen gebrochen! Es musste...

[... LCL.]

Shinji visierte das Ziel mit höchster Sorgfalt an.

"Was... Was macht Wondergirl hier?" Asukas Stimme über Funk klang völlig verunsichert. "Das kann doch kein Engel sein!"

"Doch", antwortete Ikari trocken. "Aber es ist nicht Rei."

"Hey! Die Monitore im Operationsraum zeigen wieder Bilder an..!" Misatos Stimme wirkte arg irritiert, ungewohnt für sie.

"Und? Siehst du den Engel jetzt?"

"Nein, da ist nichts! Nach dem Ortungsgerät müsste er direkt in eurer Nähe sein, aber ich sehe ihn nicht!"

[Rei...]

War es nun wirklich ein Engel oder nicht? Warum konnte er auf den Bildschirmen nicht dargestellt werden - und warum hatte er ausgerechnet die Gestalt von Rei? Ayanami KONNTE kein Engel sein - sie war Shinjis Schwester! Sie wurde als normaler Mensch geboren und danach zu Forschungszwecken ausgenutzt!

[Und im Moment lag sie wohl gottverlassen und allein in einem sterilen Krankenhauszimmer...]

"Was bist du?", fragte Ikari schließlich mit gehörigem Nachdruck in der Stimme. Aus irgendeinem ihm unbekannten Grund brodelte in diesem Augenblick eine ungeheure Menge Wut in ihm hoch.

"Du...", fing Kaworu plötzlich außer Atem an, "du bist ein perfektes Replikat der alten Engelrasse!"

Und mit einem Mal waren keine Umgebungsgeräusche mehr zu hören. Alles war völlig stumm und ebnete somit die Geräuschkulisse für eine kristallklare weibliche Stimme, die von allen Seiten zu kommen schien.

"... richtig. Der Abendstern hegt nicht zu Unrecht sein ganzes Vertrauen in dich."

"Oh doch, er irrt sich...", flüsterte Nagisa noch emotionslos, bevor sich die ganze Landschaft schlagartig veränderte. Sie waren nicht mehr auf einer tristen Steppe; sie liefen nicht mehr unter einem wolkenbedeckten grauen Himmel, und sie saßen auch nicht mehr in ihren EVAs.
 

Das Wasser des endlos weiten Ozeans ließ die Gischt wie feine Seifenlauge an den weißen Sandstrand schäumen. Die Rei-Gestalt stand erhaben wie eine Prinzessin den drei Children gegenüber und blickte sie ausdruckslos an. Niemand rührte sich.

"So weit sind wir nun also gekommen", hörte man das LCL Wesen sagen. "Und auch ich werde nicht in der Lage sein, meine Aufgabe zu erfüllen."

Kaworu nutzte Shinjis kurze Benommenheit und übernahm schnell die Initiative. "Welche Aufgabe? Was hatten die etlichen Engel vor dir im Sinn gehabt?"

"Wir sind alle nur Marionetten. Gezüchtet und gesteuert vom Abendstern."

"Ihr habt keinen eigenen Willen?"

"Nein. Wir leben in festgelegten Maßstäben, und dürfen unseren Käfig nie verlassen."

"Aber was plant der Abendstern damit?"

Die Rei-Gestalt drehte den Kopf zur Seite und fing an zu Seufzen. "Ist das nicht offensichtlich?"

"Offensichtlich?" Kaworu stockte. "Heißt dass, sie wollen tatsächlich den Third Impact?"

"Ja. Und der Third Impact ist nichts anderes als eine neue Sintflut - sie nennen es den Plan zur Optimierung der Menschheit. Der Versuch Engelsgene in einen perfekten Menschen einzusetzen."

Kaworu senkte den Kopf - nur er selbst begriff im Moment das komplette Ausmaß dieses Dramas. Wehleidig warf er einen Blick auf den völlig perplexen Shinji.

"Es ist soweit."

"Was..?"

Reflexartig zückte Kaworu ein Messer und stürmte auf die LCL Rei zu. Mit einem unerbittlichen Stoß pfählte er das mysteriöse Wesen, und brachte alle beteiligten Children wieder zurück in die Wirklichkeit. Nun saßen sie wieder in ihren EVAs, und konnten Misato aufgebracht über Funk hören.

"Was ist passiert? Das Ortungsgerät zeigt keinen Engel mehr an!"

"Er ist weg", meinte Kaworu trocken.

"Und was ist mit... AAAH!!!" Über Funk war plötzlich ein lauter Schrei zu hören. "Was ist mit Asuka los??? Nach meinen Werten hat ihr Herz aufgehört zu schlagen!!!"

"WAS???" Shinji stürmte in seiner Evangelioneinheit zu dem Mädchen hin und versuchte sie wie eine Langschläferin wieder wachzurütteln - doch vergeblich. Er konnte nicht ahnen was mit ihr während dieser Begegnung geschehen war, doch er wusste dass er sie nicht so einfach sterben lassen würde. Mit dem Mut der Verzweiflung löste er ihren Entry Plug, schnappte ihn sich mit seinem EVA, und rannte direkt nach Neo Tokyo zum NERV Hauptquartier.
 


 

PHASE 23: KAJI 2
 

Es hatte lange gedauert. Etliche Papiere mussten gefälscht, etliche hohe Beamte getäuscht, etliche Wächter überwältigt werden. Er hatte es als letzten großen Auftrag angesehen, und dementsprechend nostalgisch stolzierte er nun auch durch die heiligen Hallen des Vatikanpalastes. Niemand beobachtete ihn, und die Überwachungskameras waren ebenfalls lahm gelegt. Dank Keyko, und seinen letzten Aufzeichnungen wusste er wo er den geheimen Eingang zu suchen hatte, und bald schon würde er ihn gefunden haben. Nur noch wenige Schritte, und er hatte Eden erreicht. Kaum jemand vor ihm war dem Geheimnis des Vatikans jemals so Nahe gekommen.

Und schließlich hatte er die Pforte gefunden. Mit langsamen Schritten stieg er eine aufwändig marmorierte Treppe hinab und betrat als einer der ersten Menschen den legendären Keller des Vatikans - Keyko wäre stolz auf ihn. Und irgendwie war alles so, wie es ihm sein alter Freund einst beschrieben hatte. Der erste Raum bestand aus einer riesigen Bibliothek unheiliger Bücher, von überall waren merkwürdige metallische Geräusche zu hören, und zahlreiche Stromkabel verliefen am Boden herab.

Kaji ließ die Stimmung genaustens auf sich wirken - so eine Chance bekam man schließlich nicht alle Tage.

Die Atmosphäre des eigenartigen und endlos langen Raumes schien schon fast seinen Verstand zu umnebeln. Jedes der Bücher musste wenigstens Fünfhundert Jahre alt, und damit dementsprechend wertvoll sein. Ebenfalls antik wirkte der Geruch dieser Kellerhalle: Alte Tinte, Druckerschwärze, gebundenes Leinen, vergilbtes Pergament. Die Luft war aber alles andere als stickig - und Kaji vermutete dass sich irgendwo in diesen uralten Gemäuern eine hochmoderne Lüftungsanlage befand (was aber trotzdem nicht dieses komische metallische Pochen, dass leise von allen Seiten kam, erklärte).

[Egal...]

Er hatte wichtigeres zu tun. Kaji hatte die einmalige Möglichkeit in den unheiligen Archiven des Vatikans zu wühlen, und er würde sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen. Mit lautlosen Schritten hastete er an ein beliebiges Regal, zog das erstbeste Buch heraus und betrachtete den verstaubten, tristen Einband. Alsbald stellte er aber fest dass der Wälzer von vorne bis hinten in griechisch geschrieben war, weswegen er das Werk direkt wieder wegstellte. Ebenso das zweite Buch welches er sich nach dem Zufallsprinzip herausgesucht hatte. Enttäuscht wendete er seinen Blick ab und wechselte das Regal.

Das nächste Werk sah schon vielversprechender aus. Es war in lateinisch geschrieben (eine Sprache die er mittlerweile bestens beherrschte), sah sehr alt aus und hatte einen aufwändig rötlich gefärbten Ledereinband. Sorgsam durchblätterte er einige Seiten.

Es war faszinierend...

Die ersten Seiten dieses Buches - das schon uralt schien - zeigte einen der Engel den Shinji mit Reit vor wenigen Wochen noch besiegen konnte. Mühsam mit einer Feder gezeichnet, immer wieder in verschiedenen Positionen und Winkeln.

Nach mehrmaligen Umblättern fand Kaji dann die dazugehörige Erklärung: Scheinbar hatten einige Mönche eines uralten Klosters einst in einer verlassenen Felsspalte den toten Körper eines unheimlich aussehenden Wesens gefunden - und ihn direkt in ihre Gemäuer getragen. Dieses Buch schilderte in Tagebuchform wie man die Existenz dieses Wesens (ohne Zweifel einer der Engel) gedeutet hatte. Kaji konnte auf dem alten Pergament nicht alles entziffern, doch einige Absätze blieben ihm nicht verborgen.

,... dass dieses Wesen göttlicher Natur sein muss. Es strahlt Stärke und Macht aus, weswegen wir...'

,... jeden Tag wird ein Mönch ausgewählt, der dem toten Gott einen Teller erlesener Früchte bringt...'

,... wir scheinen Adonai enttäuscht zu haben, wieder ist einer der unseren in kurzer Zeit gestorben und zeigte merkwürdige Anzeichen eines...'

,... die tödliche Grippe streckt weitere der unseren nieder, gestern hatte es...'

,... aufgeregt berichtete uns Bruder Matthias wie sich das Wesen bewegt haben sollte, wir schenken seinen Worten jedoch nur...'

,... einer der Mönche ging gestern zu dem Gott in die Kellerräume hinab, und kam nicht...'

[...]

Kaji seufzte. Die letzten Seiten waren derart unsauber geschrieben dass er keine Zeichen mehr entziffern konnte. In Gedanken versunken stellte er das Buch zurück und fing sich intensiv an zu fragen was es nun wirklich mit den Engeln auf sich hatte.

[Die Antwort war bestimmt in einer der weiteren Hallen...]

Von der Neugier gepackt setzte er sich in Bewegung und verließ den langgezogenen Raum durch ein schweres, halbgeöffnetes Tor.
 

Der nächste Winkel bestand aus einer gewaltigen Gemäldegalerie. Kaji zuckte zusammen als er die zahlreichen Bilder an den Wänden des Raumes hängen sah - denn alle Bilder stellten in irgendeiner Form den Tod dar. Entweder die biblische Apokalypse in feuerroten Farben, Opfer der Sintflut, oder Passagen des legendären Krieges zwischen Himmelswesen und Dämonen. Jedes Ölbild ein perfekt ausgearbeitetes Meisterwerk.

[Aber...]

Kaji stutzte, seine Augen waren auf einen besonderen Punkt der Wand fixiert.

[Das kann doch nicht..?]

Unscheinbar in einer Ecke des Raumes hing ein Originalgetreues ,Portrait' des ersten Engels, der von Rei damals besiegt wurde.

[Macht das alles hier überhaupt noch einen Sinn?]

Diese Halle hatte für Kaji nichts besonderes mehr an sich - atemlos betrat er die nächste.
 

Und in diesem Raum fand er auch heraus was für die metallischen Geräusche verantwortlich war - die ganze Halle war abgesehen von einem schmalen Mittelgang völlig eingenommen von mannshohen Maschinen. Generatoren, Pumpen, Kompressoren, Hydraulik- und Fräsmaschinen. Einerseits wurde hier für Strom gesorgt, andererseits konnte Metall verarbeitet werden. Und theoretisch waren ausreichend Werkzeuge vorhanden um sich eine eigene kleine Panzerdivision zusammenzuschustern.

Mit hochgezogenen Augenbrauen begutachtete er die etlichen Stromfresser, während er die Halle geradewegs durchquerte. Wer hatte das hier alles aufgebaut? Was war der Sinn dieser außergewöhnlichen Konstruktion?

Als er das Ende des Raumes erreichte, erwartete ihn eine unerwartete Überraschung: Eine Weggabelung. Links und rechts waren zwei verschlossene Türen, und irgendwie musste er sich nun zwischen eine der beiden entscheiden.

[Vielleicht wäre es keine gute Idee, dem Zufallsprinzip zu vertrauen...]

Mit lautlosen Schritten näherte er sich dem rechten Tor, um durch das Holz zu lauschen. Auf der anderen Seite waren Geräusche - merkwürdige aufgebrachte Stimmen - die so schrill und laut erhallten dass sie sogar den Lärm der Maschinen übertönten. An der linken Tür hörte er nichts dergleichen - und genau durch diese Pforte schritt er augenblicklich hindurch.

[Keyko wäre stolz auf mich...]

Kajis Augen waren von den neuen Räumlichkeiten derart gefesselt, dass er fast vergaß die Türe hinter sich zu schließen. Was er hier sah war keine mysteriöse Gruft - sondern eine Art überdimensionales Büro. Aktenschränke standen in Massen aneinandergereiht an der Wand, Regale mit überquellenden Ordnern waren sorgsam aufgehangen, und ein wenig Abseits davon stand ein hochaufgerüsteter PC auf einem Schreibtisch in der Ecke. Kaji packte die Gelegenheit beim Schopf und setzte sich voller Neugier an den Computer.
 

Schnell stellte sich heraus dass die Festplatte völlig überfüllt mit etlichen Daten war. Die Oberfläche war in die drei Abschnitte Vatikan, Metallbau und Abendstern eingeteilt, und der ehemalige Söldner hatte sich spontan für letzteren Punkt entschieden.

Wieder erschienen Hunderte Dokumentverknüpfungen auf dem Bildschirm; um sie alle zu durchstöbern hätte er Jahre gebraucht. Flüchtig klickte er die erstbeste an.

[Was zum..?]

Seine Augen hatten sich geweitet - mit so etwas hatte er nicht gerechnet.

In dieser Datei waren genaustens Profile der einzelnen Children aufgeführt, mit seltsamen Anmerkungen verzeichnet. Und hinter jedem Namen stand eine mehr oder wenige hohe Prozentzahl.

[Shinji Ikari - Wahrscheinlichkeit 68%]

[Rei Ayanami - Wahrscheinlichkeit 23%]

[Clade Shawver - Wahrscheinlichkeit 71%]

[Soryu Asuka Langley - Wahrscheinlichkeit 19%]

[Kaworu Nagisa - Wahrscheinlichkeit 99%]

Was hatte Kaworu damit zu tun? Kaji war nun nicht mehr aufzuhalten - er wollte alles über den Abendstern wissen was er aus diesem erbärmlichen PC rausquetschen konnte.

Satte vier Stunden später hatte er dann des Rätsels Lösung (und es war ein Wunder dass ihn niemand in dieser Zeit entdeckt hatte).
 

Sie hatten sich alles von der biblischen Offenbarung abgeleitet. Der Fall Babylons - die Auferstehung eines neuen Himmels - der Triumphzug Gottes. Und sie hatten vor der ganzen Sache etwas nachzuhelfen...

Es gab genug vorgeschichtliche Aufzeichnungen über ,unförmige klobige - und doch mächtige' Wesen die einst auf die Erde hereinbrachen. Engel.

Engel hatten Seite an Seite mit der menschlichen Rasse die Welt bevölkert, ohne dass es jedweden Krieg gab. Man hatte sich gegenseitig ignoriert und in Ruhe gelassen - bis die Menschheit übermütig wurde. In wenigen Tagen wurden sämtliche Engel die auf Erden lebten auf merkwürdige Art und Weise niedergestreckt. Doch scheinbar konnten sich einige wenige der himmlischen Spezies vor den zahlenmäßig weit überlegenen Menschen verstecken, und tauchten zu verschiedenen Zeiten der Weltgeschichte wieder auf.

Einer dieser Engel war in dem Kloster, von dem Kaji eben noch in der Bibliothek gelesen hatte. Einer von elf.

Doch nur einer der elf Engel war wirklich perfekt, und würdig eine neue Ära zu beginnen.

Schnell hatte es der Kirchenstadt verstanden, schon von Anfang an die Schriftstücke und Bilder über diese unheilverkündenden Wesen ,im Namen der Kirche' zu konfiszieren. Im Laufe der Jahre entstand daraus die Organisation ,Abendstern', die sich allein mit der Anschaffung von Beweisen einer Engelsrasse auf Erden auseinander setzte. Heute lagen die Ziele dieser Gruppierung aber in einem völlig anderen Bereich.

Im Jahre 1967 wurde der Plan ,Optimierung der Sintflut' ins Leben gerufen.

Und am 15ten August ging das Vorhaben in die entscheidende Phase. Man hatte etliche Forschungen betrieben und voller Erstaunung festgestellt dass sich in der Antarktis letzte Überreste der alten Engelsrasse befanden: Ein perfekt konserviertes Stück Fleisch dass sicher im Eis aufbewahrt war. Man barg diesen unschätzbar wertvollen Brocken und jagte die ganze Umgebung mit Hilfe eines neu entwickelten Bombentyps in die Luft. Ein Ereignis dass die Polkappen schmelzen ließ, Jahreszeiten aus dem Gleichgewicht brachte, für etliche Bürgerkriege sorgte, und später als Second Impact vertuscht wurde.

Direkt gingen die Forschungen in den Kellern des Vatikanpalastes weiter. Man schaffte es, sämtliche elf Engeltypen aus diesem einen Stück Fleisch genetisch zu klonen und hätte theoretisch die Möglichkeit gehabt eine Züchtung zu betreiben - doch die wirklichen Ziele sahen anders aus.

Nur einer der elf Engel war wirklich perfekt. Ein Wesen dass über allem menschlichem Leben stand und perfekte Gene barg - das Wesen dass in Rei-Gestalt aufgetaucht war und von Kaworu gepfählt wurde. Das Wesen, dass keine humane Form hatte und seinen Molekularzustand jederzeit ändern konnte.

Ein Wesen dass zu 100% aus LCL bestand.

Das LCL war der Schlüssel. Diese schon fast verboten rätselhafte Flüssigkeit barg die Erleuchtung und konnte in den richtigen Händen das Tor zum Himmel öffnen.

Und dann war da noch die Sache mit ,dem Einen'. Der Abendstern konnte sich nicht erklären, warum an bestimmten Tagen immer wieder an verschiedenen Orten LCL vom Himmel geregnet hatte, aber sie sahen es als himmlisches Zeichen. Nach dem Second Impact entstanden fünf auserwählte Kinder, die genetisch perfekte Schlüssel aufwiesen um mit der Flüssigkeit zu reagieren: Shinji, Asuka, Rei, Clade und Kaworu. Die ersten vier der Children wurden direkt von bestimmten Organisationen ausgenutzt - selbst wenn sie sich natürlich nicht mehr daran erinnern sollten - und erhielten damit schwerwiegende psychische Probleme auf dem Weg. Kaworu war anders, seine Familie hatte die Zeichen gedeutet und ihn in einem abgeschiedenen Bergdorf versteckt gehalten.

Einer der fünf Children war der sagenumwobene Eine. Der bei seiner Geburt das Erbe der Menschheit aufgebürgt bekam.

Und der Abendstern wollte herausfinden welcher der Kinder diese besondere Gene in sich trug.

Dazu musste man Ereignisse inszenieren, und die Auflistung dieser Vorfälle las sich schon fast wie eine Strafakte. Das systematische Aufspüren Kaworus - die Ermordung seiner Eltern - und ein gefälschter Brief seines mittlerweile verstorbenen Onkels, der Nagisa dazu brachte sich nach Neo Tokyo zu bewegen. Ebenso die Beseitigung der Erziehungsberechtigten von Shinji und Clade - alles wurde nur zu Testzwecken durchgeführt. Leider konnte man sich in Reis Leben weniger intensiv einmischen, denn die Organisation Seele wachte ständig über sie. Seeles eigentliche Ziele waren dem Stern jedoch immer noch ein Rätsel.

Nach langen Forschungen und Beobachtungsstudien stellte sich heraus, dass nur Shinji, Clade oder Kaworu der Eine sein konnte - und nach weiteren Tests wurde Nagisa als perfekte Struktur ermittelt. Sie hatten ihr Opfer gefunden.

Denn ihr Vorhaben bestand darin, dem Einen Gene des perfekten Engels zu verabreichen, um damit den perfekten Menschen zu erschaffen. Wenn dieses Ziel erreicht war, könnten sie mit gutem Gewissen die zahlreichen Bomben zünden die überall auf der Welt geschickt platziert waren. Eine weitere in den Überresten der Antarktis - eine in Washington - eine vor der Küste Frankreichs - eine auf den Vulkaninseln südlich Japans - eine im zentralen Raum Kapstadt - eine in kleines Stück vor Moskau und eine mitten in Neo Tokyo... Riesige hausgroße Sprengsätze; wenn sie alle zur gleichen Zeit explodieren würden hätte es mehr als doppelt so schlimme Ausmaße, als wenn sämtlich Vulkane der Erde zur gleichen Zeit hoch gehen würden.

Aber der Abendstern wäre unter dem Vatikan dank meterdicken Stahlmauern und architektonischen Meisterleistungen sicher isoliert. Er würde mit dem Einen diese Katastrophe überleben, und eine neue Ära aufbauen.

Und sie waren kurz vor der finalen Ausführung dieses Planes. Die elf Engel waren alle nach Neo Tokyo geschickt worden, um dort herauszufinden wer unter den Children der Eine ist - und nachdem man Kaworu als den Auserwählten identifiziert hatte, ging es nur noch darum Nagisa von Tokyo nach Italien zu bringen. Dafür gab es ja Waechter...

[Waechter...]

Alles machte auf einmal einen Sinn.

Kaji musste unbedingt wieder hier raus und sein neu erworbenes Wissen nach Tokyo bringen. Er musste Nerv warnen, die Children schützen und vor allem wieder mit Misato reden. Hastig stand er von dem Computer auf und beseitigte seine Spuren. Einen kurzen Augenblick grübelte er noch darüber nach ob es vielleicht sinnvoll wäre, einen der Ordner die hier überall standen als Beweis mitzunehmen dass er diesen Ort tatsächlich betreten hatte - aber er verwarf den Gedanken schnell. Im Moment war nur wichtig, so schnell wie möglich wieder das Tageslicht zu sehen und...

"Ryoji Kaji!"

Eine unbekannte dunkle Stimme hallte durch den Raum, und fror jede Bewegung erbarmungslos ein. Der ehemalige Nervsöldner drehte seinen Kopf perplex in Richtung der Tür, und verstand augenblicklich wie hoffnungslos seine Lage im Moment war.

Man hatte ihn ertappt, er saß in der Falle - drei Männer des Abendsternes hatten in diesem Moment ihre Waffen auf ihn gerichtet.
 

[Empfänger: Winston Druchov - Waechter

Datum: 18. Februar 2016 > Nachricht 1/1

Absender: Ikari Gendo - Nerv

---

Sehr geehrter Herr Druchov,

der Engelangriff der während unserer Konferenz stattfand hat das Second Children Soryu Asuka Langley stark verletzt. Im Moment liegt sie im Koma und wird nur mit viel Mühe von unseren Medizinern am Leben erhalten, daher ist es mir in nächster Zeit nicht möglich sie zurück nach Europa zu schicken. Als Ausgleich wäre es uns aber möglich unser Fourth Children Kaworu Nagisa zu entbehren - wenn sie es verlangen könnten wir ihn schon morgen nach Europa fliegen lassen.

Hochachtungsvoll, Gendo Ikari.]
 


 

ENDE KAPITEL 6

20. Februar - 21. Februar

PHASE 24: VERLORENES BLUT DER HIMMELSFARBEN
 

"Du weißt wie es mit Rei steht. Von Asuka ganz zu schweigen."

"Ja", nickte Shinji und ließ seinen Blick durch das kleinlichst aufgeräumte Esszimmer schwenken. Weder er noch Misato waren in letzter Zeit oft daheim gewesen, daher blieb diese Wohnung die letzten Tage meist unbewohnt. Shinji hatte sich fast ständig in der Nerv Krankenstation aufgehalten um nach Rei und Asuka zu sehen - Kaworu hatte ihm dabei Gesellschaft geleistet.

Rei war schon wieder einigermaßen in Ordnung. Körperlich wenigstens - aber in ihre Seele hatten sich tiefe Narben geritzt die wohl die nächsten Monate nicht wieder heilen würden.

Bei Asuka sah es anders aus: Sie schlief den ganzen Tag und zeigte nur einen schwachen Puls. Wenigstens war sie aus dem Koma aufgewacht.

"Ich habe lange mit Gendo gestritten", fing Misato ernst an, "konnte ihn aber schließlich dazu überreden mich Rei bei mir aufnehmen zu lassen. Sie wird wenn sie wieder bei Kräften ist in Asukas Zimmer wohnen."

"Was ist mit Asuka? Du weißt das sie mit Ayanami nicht gut auskommt."

"Ja, deswegen wird Asuka ja auch dauerhaft in deinem Zimmer schlafen. Es wäre dann ja wohl nicht das erste Mal dass sie in deinem Bett schläft."

Shinji lief direkt rot an, war aber gleichzeitig geschockt von Misatos ungewöhnlicher Mimik. Sie hatte diese Worte mit einem völlig steifen Gesichtsausdruck gesprochen, keine Spur von jeglichem Sarkasmus oder Ironie. So ernst hatte er sie noch nie gesehen.
 

Gendo saß still brütend in seinem Büro, die Augen wie üblich von einer dunklen Brille verdeckt. Waechter hatte sich mit der Antwort merkwürdig viel Zeit gelassen, waren jetzt jedoch auf höchste Dringlichkeit ausgelegt. Irgendwie verdächtig, aber Ikari hatte sich nicht viel dabei gedacht - wenn er gerade dabei wäre in eine Falle zu laufen, hätte ihn Seele garantiert vorgewarnt.

"Sie haben nach mir rufen lassen?" Kaworu trat in Ikaris Büro ohne vorher angeklopft zu haben. Er hatte Shinji oftmals über seinen Vater reden hören, und dementsprechend schlecht war die Einschätzung Nagisas über Gendo.

"Ja", antwortete letzterer trocken. "Deine Dienste bei NERV sind vorläufig beendet, du wirst bei Waechter gebraucht. Dein Evangelion ist vor wenigen Sekunden schon per Flugtransporter auf den Weg geschickt worden, dein eigener Flug geht heute um 19 Uhr."

Kaworus Gesicht war leichenblass, stocksteif blieben seine Füße wie angewurzelt in Ikaris Büro stehen. Seine Augen waren weit aufgerissen; er wollte es einfach nicht wahr haben.

"Nein...", murmelte er apathisch. "Sie können mich nicht von hier wegschicken!"

"Es ist alles schon geregelt - ein Nichteinhalten dieser Order wird mit harten Strafen geahndet." Die Haltung des Kommandanten hatte sich um keinen Millimeter geändert

"Sie werden mich nicht dazu bringen von hier weg zu gehen."

Gendo sah ihn stirnrunzelnd an.

"Ich steige bei NERV aus."

"Das geht nicht."

"Doch - ich gehe in meine Heimat zurück."

"Deine Heimat ist in deinem EVA."

"Meine Heimat ist dort wo man früher meine Eltern ermordet hatte."

Eine Sekunde lang herrschte Stille, so langsam schien Ikari den seltsamen Jungen als starrköpfigen Gegner akzeptiert zu haben.

"Du kannst jetzt nicht aufhören", meinte der Kommandant dann. "Waechter verlässt sich auf dich."

"Waechter braucht mich nicht - es ist der Abendstern der sich auf mich verlässt."

"Was... weißt du über den Abendstern?"

Kaworu achtete nicht auf die Frage seinen Vorgesetzten und drehte sich um. Wortlos schritt er aus Gendos Büro, und achtete auch nicht auf die wütenden Rufe die letzterer ihm nachschrie. Er musste von hier weg - und kannte nur einen Ort wo er wirklich hingehen konnte.
 

[Ich war nie zufrieden mit meiner Existenz, die ich kalt und einsam vor mich hin verlebte.]

[Ich dachte es wäre meine Schuld, dass ich so bin wie ich bin.]

[Aber das war es nicht...]

"Wie geht es dir?"

Nach einem kurzen routinemäßigen Anklopfen trat Shinji zu Rei ins Krankenzimmer. Er begutachtete resignierend ihre blasse ausgemerkte Haut und setzte sich neben sie ans Bett. Es waren jetzt fünf Stunden vergangen, seitdem Kaworu aus Gendos Büro geflohen war.

"Gut", hauchte Rei emotionslos. Sie hatte sich in die Gestalt zurückentwickelt die sie war, als der Junge am 22. November letzten Jahres nach Neo Tokyo kam.

[Nein...]

Es war immer noch etwas von der ,neuen' humorvollen und gut gelaunten Rei in ihr vorhanden, doch so tief in ihr versteckt dass es weh tat diese Emotion heraus zulassen. Kummer und Schmerz waren ihre neue bittere Decke in kalten Nächten.

"Du kommst mich immer besuchen. Warum?"

"Verstehst du es nicht?"

Rei sah ihn fragend an.

"Ich fühle mich schuldig", erklärte Shinji trocken und wand den Blick von ihrem gequälten Gesicht ab. "Ich habe dir viele Dinge verschwiegen."

"Du wusstest dass wir Geschwister sind?"

Ikari seufzte, und blickte dann wieder in ihre unendlich tiefen roten Augen. Er nickte fast unmerklich.

"Hast du dich deshalb für Asuka entschieden?"

Ein weiteres Mal nickte er schwach. Rei zeigte zum ersten Mal am heutigen Tage Gefühl und hörte auf ihn anzustarren, sie blickte starr auf die Decke vor sich und zog ihre Knie an ihre Brust. "Ich wünschte du hättest es nicht", murmelte sie schwach.

"Ob wir nun Geschwister sind oder nicht, ich liebe dich. Aber ich werde dich niemals wie eine Freundin lieben können."

"... ich weiß."

"Rei, ich will dir nicht vor den Kopf stoßen, aber...", der Junge sah sie durchdringend an, "...lass uns als Children aufhören. Die EVAs bringen nur Ärger, sie haben sich bisher immer zwischen uns gestellt."

"Das geht nicht", hauchte Ayanami trocken. "Die EVAs sind ein Teil von mir."

"Es sind nur Maschinen! Und außerdem bist du auch schon lange ein Teil von mir."

"Die EVAs sind mehr als nur Maschinen. Ich weiß nicht was es ist, aber jedes Mal wenn ich mich in den Robotern aufhalte, spüre ich eine familiäre Wärme in meinem Körper. Als ob ich endlich Glück gefunden hätte..."

[Meint sie das LCL???]

Wieder blickte Ikari in ihre letztens noch so verspielten Augen - heute waren sie tot. Die Emotion war ihr verloren gegangen, die Sphäre des Lichts verschwunden.

Und übrig blieb ein einsamer und monochromer Raum, abgeschottet und still wie der Tod.
 

Shinji sollte nicht mehr lange bei Rei bleiben.

In diesem Augenblick, am 20. Februar 2016 um 17:23 Uhr infiltrierten zahlreiche Männer des Abendsterns NERV.

Man hatte sich eine geschickte Zeit ausgewählt, denn die unwichtigeren Mitarbeiter des Komplexes waren schon längst nach Hause gefahren und konnten sich dem Feierabend widmen. Abgesehen von ein paar Ausnahmen befanden sich in diesem Moment nur noch die wichtigeren Köpfe des NERV Zentrums im Komplex und konnten direkt überführt und weggebracht werden.

Inklusive Shinji, Rei und der sich immer noch im kritischen Zustand befindenden Asuka.

Gendo hatte drei Minuten vor der Invasion eine Nachricht von Seele erhalten und konnte rechtzeitig fliehen.

Misato hatte pünktlich die Arbeit beendet und bekam von alledem gar nichts mit.
 

"Hallo zusammen!" Mit überschwänglicher aber nur gespielter Fröhlichkeit kam Katsuragi in ihrer Wohnung an.

Niemand antwortete ihr, nachdem sie kurz ihren Blick durch die Wohnung hatte schweifen lassen, stellte sie resignierend fest dass sie abgesehen von Pen Pen allein war. Das musste nichts schlimmes heißen, vermutlich war Shinji mal wieder bei Rei oder Asuka und würde erst später heim kommen.

Doch nur wenige Sekunden später, fand Misato heraus dass sie DOCH nicht alleine war...

"Hallo, Katsuragi-san."

Kaworu kam mit ruhiger und ernster Miene aus Shinjis Zimmer heraus und hob förmlich den Arm zur Begrüßung, doch mit seinem gelassenen Auftreten verwirrte er die Frau nur noch mehr.

"Was ist los?"

"Kann ich ein paar Tage hier bleiben?"

Misato sah ihn skeptisch und perplex an. "Was???"

"Gendo will mich nach Europa schicken."

"Dann wirst du diesen Befehl wohl einhalten müssen."

"Ich habe meinen Dienst als Children aufgegeben."

Wieder herrschte einen Augenblick lang Stille. Katsuragi hatte bisher noch keine großen Sympathien zu dem seltsamen Jungen aufbauen können, und zog es daher eher vor auf Entfernung zu ihm zu bleiben. Aber andererseits war sie neugierig was genau zwischen Nagisa und Gendo geschehen war, weswegen sie sich die Bitte des (ehemaligen?) Fourth Childrens noch mal durch den Kopf gehen ließ.

Mit nachdenklichem Gesichtsausdruck setzte sie sich mit ihm an den Küchentisch und ließ sich die ganze Geschichte erklären.
 

Gendo stieg mit nichtssagendem Gesichtsausdruck in sein Auto. Er hatte die Männer des Abendsternes beobachtet als sie die Nerv Mitarbeiter und Rei in einen stillgelegten Schutzkomplex unter der Erde entführten; und sich dann geschickt aus dem Staub gemacht. Doch nun würde er handeln müssen - es lag alles an ihm. Der Fortbestand seines Plans, sowie die Zukunft seiner Tochter...

[Rei..!]
 

Kaworu hatte ihr alles erzählt was er über die Sache wusste. Von seinen knappen Informationen über den Abendstern, bis zu seinem Verhältnis zu den Children, Gendo und sich selbst. So langsam dämmerte es Misato, und zusammen mit dem Wissen dass sie sich von Kaji aneignen konnte, besaß die Frau nun ein Grundverständnis dieser Situation das sie sofort den Kopf kosten könnte.

Aber es war ihr egal - mit ihren Kenntnissen war sie in der Lage die Mysterien um NERV aufzuklären; und ihre eigene Neugier ausreichend zu befriedigen.

"Darf ich nun hier bleiben oder nicht?" Nagisa weckte sie mit seinen emotionslosen Worten ruckartig aus ihren Gedanken.

"Ja. Asuka wird wohl noch längere Zeit im Krankenhaus bleiben müssen, du kannst ihr Zimmer haben. Und ich werde Gendo nicht sagen dass du hier bei mir wohnst."

"Danke."
 

Irgendwo in einem winzigen engen Raum leuchtete einsam eine Glühbirne. Sie war an der Decke befestigt; doch das Kabel hatte sich bereits gelöst und ließ das Licht unruhig hin und her schaukeln. Die Bewohnerin dieses Raumes schaffte es mit letzter Kraft die Augen zu öffnen und starrte den glühenden Draht apathisch an.

Asuka war wieder wach. Nachdem man sie mit LCL voll gepumpt hatte, war ihr komaähnlicher Schlaf beendet.

Doch hinter ihren leblos schimmernden Augen war sie immer noch am träumen.
 


 

PHASE 25: HIMMELSKRIEG
 

Shinji hatte Glück gehabt - die Türe seiner kleinen ,Zelle' war schon dermaßen alt dass er sie ohne Probleme öffnen konnte. Irgendjemand hatte ihn gestern in Rei's Krankenzimmer außer Gefecht gesetzt, und heute morgen musste er mit einem verdammt üblen Geschmack im Mund in diesem verlassenen Schutzbunker erwachen. Es wurde Zeit den Weg ins Freie zu suchen.

[Was ist geschehen?]

Sein Kopf hämmerte wie verrückt, es viel ihm schwer geradeaus zu gehen, aber ansonsten kam er recht gut durch die klaustrophisch schmalen Gänge voran. Links und rechts waren zahlreiche abgeschlossene Türen, die wohl zu unbenutzten Zellen führten und für Ikari ohne Belang waren. Wichtig war im Moment nur seine...

[Hm?]

An einem Schloss hing ein kleiner Schlüssel dran, was sofort die Aufmerksamkeit des Jungens erlang. Zaghaft klopfte er einmal an der Tür und lauschte nach einem Lebenszeichen.

Und tatsächlich ertönte zaghaft eine ihm wohlbekannte Stimme.

"Wer ist da?"

Sofort - ohne einen überflüssigen Gedanken zu verschwenden - drehte er den Schlüssel um und riss energisch die Tür auf. Seine Augen waren gefesselt von dem Anblick, den er Sekundenbruchteile später haben sollte...

Rei (die eindeutig so schien als ob sie noch ein paar Tage auf der Krankenstation vertragen könnte), lag mit zerfetzter Kleidung auf dem dreckigen Fußboden einer winzigen Zelle, die genauso klein wirkte wie seine eigene. Eine alte Glühbirne sorgte schwach für Licht.

"Shinji?"

Ihre Stimme klang schwach und kraftlos. Ikari setzte sich sofort zu ihr und versuchte sie zu stützen - seine Gedanken ließen sich zu keiner Sekunde durch den nicht zu übersehenden Brustansatz Rei's unter dem zerrissenen Stoff betören.

"Was ist passiert?", fragte sie kränkelnd und sah ihn mit schimmernden Augen an. Er konnte ihr keine Antwort geben, zaghaft küsste er sie und schmeckte ihre kalten blassblauen Lippen.
 

"Ich muss los", meinte Misato trocken zu Kaworu als sie sich wie jeden Morgen auf den Weg zum NERV Quartier machte. "Bleib wo du bist."

"Ich hatte nichts anderes vor gehabt."

"Gut."

Ruhig und gelassen verließ sie ihre Wohnung und schlug die Türe hinter sich zu. Sie wirkte wie ein völlig anderer Mensch - vielleicht weil sie aufgrund ihres ungewohnten Besuches ihr morgendliches Bier hatte ausfallen lassen.

Oder weil sie immer noch in Sorge um Shinji war. Er war gestern nicht mehr heim gekommen, wahrscheinlich auf der Krankenstation eingeschlafen. Ungewohnt für den Jungen.
 

"Shinji!", hauchte Rei mit letzter Kraft.

"Ja, ich habe es auch gehört." Ikari stand blitzartig auf. "Ich komme nachher wieder." Augenblicklich hatte er die Tür aufgerissen und die Zelle Ayanamis verlassen; aus der Entfernung waren eindeutig Schritte zu hören. Und es wäre keine gute Idee, sich in Rei's Zimmer erwischen zu lassen. Lautlos huschten seine Füße durch die kalten und dunklen Gänge, bis er seine eigene Unterkunft wieder gefunden hatte und dort in sich zusammen sackte.

[Rei..!]

Sie hatten seine Schwester dermaßen hart behandelt, dass sie an ihren Verletzungen jeden Moment sterben könnte. Und wenn sie wirklich daran zugrunde gehen würde, dann könnte Shinji es ihnen...

"Da hinten!"

Ikari hielt den Atem an und lauschte.

Von draußen waren eindeutig aufgebrachte Stimmen zu hören; Männer rannten an seiner ,abgeschlossenen' Zellentür vorbei und riefen sich undeutliche Kommandos zu.

Aber irgendwie war es ihm egal, Müdigkeit drohte ihn zu übermannen.
 

Asuka lag auf dem kalten und schmutzigen Boden. Sie hatte weder die Kraft noch den Willen aufzustehen, ihre Wahrnehmung war ganz auf die Glühbirne konzentriert die an der Zellendecke unruhig hin und her schwank. Im Moment hatte sie jeglichen Bezug zur Realität verloren.

Um ihren Kopf drehte sich alles, und ihre Stirn war bedeckt von einer hauchdünnen Schweißschicht. Ihr Atem wirkte unregelmäßig und rau, als wäre sie heiser oder Asthmatikerin. Selbst ein Blinder hätte gemerkt dass dieses Mädchen schnellstens in ein warmes Bett gebracht werden müsste.

Plötzlich war in dieser Isolierung ein schwaches Flüstern zu hören.

"LCL..."
 

Völlig perplex fuhr Misato auf den leeren NERV Parkplatz und sah sich mit heruntergeklappter Kinnlade um. War sie etwa die einzige hier? War heute etwa irgend so ein neuer Nationalfeiertag? Hektisch stieg sie aus dem Wagen aus und sah sich um, die NERV Pyramide wirkte tot und verlassen.

[Was ist mit Shinji, Asuka und Rei???]

Sekunden später fuhr ein zweiter Wagen auf den Parkplatz, ein ihr wohlbekanntes Vehikel aus dem alsbald Ritsuko ausstieg.

"Was ist denn hier los?", fragte Dr. Akagi hektisch. "Wo sind die ganzen Autos?"

"Keine Ahnung." Misato schüttelte den Kopf und seufzte. "Aber ich will jetzt nicht wieder heimfahren, nachher wird uns dieser Tag noch vom Urlaub abgezogen."

"Hm... Unsere ID Karten müssten doch trotzdem noch funktionieren?"

"Klar."

"Dann lass uns reingehen, dort ist bestimmt jemand den wir ansprechen können."
 

"Was..?"

Kaum konnte sich Ikari aus seinem leichten Schlaf lösen, strauchelte er hektisch auf die Beine. Wie konnte er in einem solchen Moment nur einschlafen??? Das musste mit der stickigen Luft in seiner Zelle zusammenhängen, oder wegen...

[Rei!]

Er musste unbedingt zurück zu Ayanami! Sie sorgte sich bestimmt schon um ihn! Andererseits war eher sie diejenige, um die man sich Sorgen machen sollte...

Egal, Shinji stellte schnell fest dass die Geräusche von draußen mittlerweile längst wieder verschwunden waren und öffnete die Zellentür. Im schwachen dämmrigen Licht tastete er sich die Wand entlang und folgte dem Gang so schnell wie möglich - seine ganze Wahrnehmung war auf seine Schwester gerichtet.

Und er war somit derart abgelenkt, dass er die vielen Blutspritzer an Boden und Wänden völlig übersah.

Dies war ihm jedoch nicht mehr möglich als er um eine Ecke bog und direkt vor Rei's Zelle eine blutige und scheinbar noch völlig frische Leiche auf dem Boden liegen sah. Was war geschehen? Völlig verwirrt hastete der Junge zu dem Körper hin und erkannte trotz des schwachen Lichts eine Schusswunde, und zahlreiche Messerstiche auf der Brust des unbekannten Mannes.

Dann kam ihm ein furchtbarer Gedanke und Shinji sprang blitzartig auf die Beine - doch seine Befürchtungen hatten sich bewahrheitet.

Als Ikari Rei's Zellentür öffnete, war der Raum leer.
 

"Wo... Wohin fahren wir..?"

Rei presste sich mit zittrigen Fingern ein neu aussehendes Inhaliergerät auf den Mund und atmete das luftähnliche Gemisch stoßartig ein. Sie saß auf dem Beifahrersitz eines edel und neu aussehenden Wagens - der von ihrem vermeintlichen ,Retter' Gendo Ikari gefahren wurde. Sie würde wohl nie vergessen wie Shinjis Vater plötzlich ihre Zellentür geöffnet und sie an der Hand rausgezerrt hatte.

"Zum NERV Hauptquartier."

"Was ist mit Shinji?"

"Der tut nichts zur Sache."

Konnte das wahr sein? Rei blickte ihn stutzig an. Er konnte seinen Sohn einfach so in diesem stickigen Schutzbunker zurücklassen?

Sie selbst konnte es nicht.

"Du musst zurückfahren und ihn auch holen gehen!", fing sie plötzlich mit neu gewonnener Kraft an. "Du kannst ihn nicht so einfach da zurück lassen!"

"Doch - es gibt eine wichtige und dringende Besprechung in meinem Büro."

"Ohne mich! Lass mich aussteigen, ich gehe zurück!"

"Werd nicht leichtsinnig."

Rei erkannte schnell dass es sinnlos war gegen Gendos kühles Verhalten zu protestieren. Sie musste sich ihm wohl oder Übel fügen - was einen pochenden Schmerz in ihrem Kopf einsetzen ließ.
 

"Siehst du bei dir irgendwas?!?" Misato's Augen suchten in der Entfernung nach Ritsuko.

"Nein! Und schrei nicht so laut!"

Die beiden Frauen durchsuchten das NERV Hauptquartier schon seit einer halben Stunden nach irgendwelchen Lebenszeichen ab, und riefen sich ständig wirre Kommandos oder Fragen zu. Es brachte jedoch alles nichts - die ganze Pyramide schien wie leer gefegt. Selbst auf der Krankenstation gab es kein Lebenszeichen, was Katsuragi schwer beunruhigte. Wo war Shinji? Rei? Asuka?

"Misato! Ich hab hier was!"

Hastig rannte die angesprochene Frau den Gang entlang und schoss direkt zu Ritsuko, die über einen kleinen PC gebeugt stand.

"Was ist los?"

Akagi drehte sich nach Katsuragi um und deutete ihr näher zu kommen. Sie wies auf den Bildschirm, wo sie gerade das Systemprotokoll aufgerufen hatte.

"Als ich hier hin gekommen bin, war der PC schon an. Er läuft jetzt seit mehr als 24 Stunden am Stück." Ritsuko räusperte sich. "Er wurde gestern gar nicht ausgeschaltet. Egal wer normalerweise in diesem Büro arbeitet - er wurde gestern unfreiwillig von seinem Computer entfernt."

"Das bedeutet nichts gutes."

"Misato... Ich hatte es ja eigentlich nicht vor - aber wir sollten uns wirklich mal in Gendos Büro umsehen."

Katsuragi blickte einen Moment lang schweigend auf den Boden. Beide hegten einen tiefen Groll auf Gendos Arbeitszimmer, und würden nur im höchsten Notfall dorthin gehen. Andererseits war es wohl im Moment leer, also die perfekte Gelegenheit sich mal darin umzuschauen... In Misato erwachte wieder der Hobbydetektiv, und sie ging wortlos in Richtung des Aufzugs.
 

Wie apathisch starrte Rei aus der Fensterscheibe des Autos heraus. Plötzlich wurde sie müde, und Übelkeitsgefühle stellten sich im beängstigendem Format ein. Zum Glück waren sie bald bei der NERV Pyramide angekommen - lang hätte sie diese Autofahrt nicht mehr ausgehalten.

[Shinji...]
 

Kaworu saß immer noch am Esstisch in Misatos Wohnung. Er hatte sich schon seit Stunden keinen Millimeter bewegt, seine Augen wirkten leer und abweisend.

Schon immer hatte er gewusst dass er nicht normal war - daher wurde er auch von seinen Eltern die ganzen Jahre lang versteckt gehalten. Er wusste nicht warum genau er anders war, aber er wusste was er alles machen konnte. Wie er sich einmischen konnte.

In diesem Augenblick sah er alles. Seine Augen schwenkten zu Shinji, der verzweifelt versuchte den Weg aus dem Schutzbunker zu finden, und nur Sekunden später zu Misato die momentan mit Ritsuko im Aufzug stand.

Er wusste was geschehen würde.

Die unnormale Präsenz des LCL in seinem Körper nahm langsam aber sicher von ihm Besitz. Er fühlte den Abendstern im Nacken, wie diese ,allwissende' Organisation ihn als den Einen bezeichnete und eine gnadenlose Hetzjagd begonnen hatte. Doch bis der Abendstern seinen Fehler einsehen würde, wäre Kaworu schon lange tot.
 

Nachdem sie mit Ritsuko einen zögerlichen Blick gewechselt hatte, klopfte Misato zaghaft an die Tür von Gendos Büro. Von Innen waren keine Laute zu hören, und so betraten sie ruckartig den riesigen Raum. Obwohl die Fenster geschlossenen und abgedunkelt waren, wirkte die Luft nicht stickig sondern eher steril wie in einem wissenschaftlichem Labor. Wahrscheinlich waren überall in den Wänden kleine Lüftungsanlagen installiert, die fleißig und lautlos ihren Dienst taten. Dennoch - die Atmosphäre dieses Büros wirkte beklemmend und irgendwie angsteinflößend.

"Gendo ist auch nicht hier."

"Also ist wirklich der ganze Komplex leer."

Ritsuko sah ihre Kollegin durchdringend an. "Ich wüsste nicht was wir noch hier zu suchen haben, am besten wir fahren wieder heim."

"Wir sollen hier verschwinden ohne vorher Gendos Schreibtisch durchwühlt zu haben?"

"Du willst..?"

"Es wäre die perfekte Gelegenheit! Bist du nicht auch neugierig was er da den ganzen Tag dran macht?"

"Na ja..."

Doch alle Gedanken an eine kurzfristige Durchsuchungsaktion wurden blitzschnell wieder verworfen, als eiskalt hallende Schritte auf dem marmorierten Boden zu hören waren und sich in Richtung des Büro hinbewegten. Beiden Frauen blieb für eine Sekunde lang das Herz stehen - was wenn man sie hier erwischen würde?

Und als Gendo mit Rei plötzlich vor ihnen auftauchte, machten Misato und Ritsuko wirklich unbewusst dass Gesicht zweier Einbrecher die man auf frischer Tat ertappt hatte.

"Ihr?" Aus Ikaris Stimme war eine empörte Verwunderung zu hören.

"Äh... Wir..." Misato wich seinem Blick systematisch aus und suchte nach Worten. Schließlich fiel ihr eine passende Gegenfrage ein. "Warum ist das ganze NERV-Gebäude leer?"

"Sie haben beide heute Urlaub - verlassen sie bitte sofort das NERV Quartier."

Misato starrte Gendo fragend an.

"Und verlassen sie vor allem mein Büro, hier soll in wenigen Minuten eine wichtige Besprechung stattfinden."

Aus dem nichts tönte plötzlich eine Gendo nicht unbekannte, und völlig kühle Stimme. "Major Katsuragi wird noch gebraucht, streichen sie ihren Urlaub."

Hinter Ikari tauchten mit ruhigen Bewegungen elf schwarz vermummte Gestalten mit dunklen Brillen auf. "Dr. Akagi, Major Katsuragi; warten sie bitte im Operationsraum auf weitere Anweisungen."

Nach einer kurzen Schweigepause setzten sich Misato und Ritsuko letztenendes in Bewegung, vermutlich war es besser die unbekannten Männer nicht zu verärgern. Schließlich konnten sie von allerlei wichtigen Organisationen sein! UN, NATO, NEC, Waechter, oder vielleicht...

... Seele?
 

"Asuka!"

Es war wie ein Wunder. Genauso wie er in dieser tristen Dunkelheit Rei gefunden hatte, entdeckten seine wachsamen Augen auch das Second Children. Zusammengekrümmt lag sie mit apathischem Blick auf dem verdreckten Boden und stieß ein unregelmäßiges und ruckartiges Atmen aus. Ihr Zustand wirkte weitaus beängstigender als der von Ayanami.

"Asuka-chan!!!"

Erst jetzt nahm sie langsam Notiz von ihm. Langsam drehte sie ihren Kopf in seine Richtung und fing kurz an zu blinzeln - bis sie wieder von den Schmerzen übermannt wurde und sich zurück in ihre Ausgangsposition krümmte. Shinji kniete sich zu ihr nieder und legte beruhigend einen Arm um sie.
 

Niemand von Seele hätte je damit gerechnet, nach so vielen Jahren wieder mit Ikari in physischen Kontakt zu treten. Aber diesmal hatten sie allen Grund, auf der Suche nach Kaworu schien der Abendstern ganz Neo Tokyo überrennen zu wollen. Söldner waren überall in der Stadt versteckt und warteten nur auf ein Zeichen um hervorzustürmen und wenn erforderlich dass NERV Quartier auch ein zweites Mal zu überrennen.

Um diese lauernde Gefahr zu beseitigen musste man wohl den einzigen Vorteil ausnutzen den NERV wohl jemals haben würde: Die EVAs. Solange der Abendstern (der nach Ansicht Seeles stark mit Waechter kooperierte) nicht schnell noch einen Piloten und eine Evangelioneinheit Waechters auftreiben würde, hätten sie in dieser Hinsicht einen gehörigen Nachteil.

Und genau deswegen war der elfköpfige Rat hinter NERV äußerst angetan von Gendos kaltblütiger Aktion die das First Children schließlich aus dem stillgelegten Schutzbunker befreite. Nun hatten sie einen Piloten - und mit Misato war sogar der Major anwesend. Ideale Vorraussetzungen für einen Gegenschlag.

Das einzige Hindernis zwischen Seele und dem Abendstern waren nur noch die zahlreichen Zivilisten auf den Straßen der Stadt - doch auch dafür wurde rasch eine geeignete Lösung gefunden.

"Wir simulieren einen Engelangriff. Jeder Zivilist wird sich in einem Schutzbunker befinden, und die Söldner des Abendsterns verlieren ihre Fähigkeit zwischen den Massen unsichtbar zu werden."

"Und Rei..?"

"... wird mit ihrem EVA gegen den Abendstern vorgehen."

Ayanami spürte die zahlreichen Blicke auf ihrem Körper und wurden alsbald von einem starken Brechreiz überfallen. Die Nacht in der dreckigen Zelle hatte ihr übrigstes getan, und irgendwie hatte sie das Gefühl Shinji im Stich gelassen zu haben.

Und für die Beteiligten Männer war sie nicht mehr als ein Werkzeug. Sie sollte den EVA steuern, niemand sorgte sich um ihre Gesundheit...

[Selbst Gendo nicht... Er sah eiskalt an ihr vorbei und hatte nur seine eigenen Pläne im Sinn...]

Ihr Kopf dröhnte. Sie bezweifelte dass sie so in der Lage wäre einen EVA zu steuern, doch irgendetwas in ihr verhinderte dass sie tatsächlich zum Ausbruch kam. Nach außen hin schien sie ruhig wie sie es immer war.

Aber in ihrem Inneren war sie todkrank.
 

Für Toji und Hikari war es ein Vormittag wie jeder andere. Sie genossen den schulfreien Tag und konnten sich keine Sekunde mehr alleine lassen (was nur noch durch die Tatsache verstärkt wurde dass Hikaris Eltern mal wieder geschäftlich unterwegs waren und sie das Haus ganz für sich allein hatten). Schließlich lief es darauf hinaus, dass sie dasselbe Zimmer, Bett und oftmals auch dieselbe Dusche teilten.

"Wir könnten hier eigentlich mal wieder ne Fete mit der Klasse veranstalten, solange du noch sturmfrei hast."

"Ja, es wäre mal interessant zu erfahren wen wir dort mit Kensuke verkuppeln könnten..."

Toji grinste. "Da bliebe ja eigentlich nur noch Rei übrig!"

Hikari seufzte und drehte den Kopf in eine andere Richtung. Ihr war es immer noch unbegreiflich wie Shinji sich am Ende doch noch für Asuka entscheiden konnte, obwohl sie aus Rei einen völlig neuen Menschen gemacht hatte.

[Einen neuen Menschen der deutlich perfekter war als sie selber...]

"Was ist mit dir?", fragte Toji plötzlich skeptisch und musterte nicht ohne einen leichten Anflug von Besorgnis den seltsam bekümmerten Ausdruck in ihren Augen. Er war es jedoch gewöhnt mitanzusehen wie sich ihre Mimik von einer Sekunde auf die andere schier ohne grund veränderte - ihr passierte so was andauernd.

"Nichts", murmelte sie abwesend und wurde erst durch einen schrillen Alarmton aus ihrem tranceartigen Zustand geweckt. Für einen kurzen Augenblick schreckte sie panisch auf, dann klärte sich ihr Blick - sie kannte diesen Ton gut genug...

"Ein Engel?"

Toji zuckte mit den Schultern.
 

Die Straßen leerten sich binnen weniger Minuten. Für die Söldner des Abendsterns war klar dass ihre Anwesenheit in dieser Stadt schon lange nicht mehr geheim war. Sie hatten Seele unterschätzt und waren längst aufgeflogen.

Aber das musste nicht viel bedeuten. Sie waren NERV immer noch zahlenmäßig überlegen und konnten es wagen in die Pyramide einzudringen.

[Und alles nur des Einen willens...]
 

Rei fiel es schwer einen klaren Gedanken zu fassen; etliche zusammenhangslose Wörter prasselten wie ein Hagelsturm auf sie ein, während sie langsam in den Entry Plug stieg und von Dutzenden Augen beobachtet wurde. Man behandelte sie wie ein wertloses Stück Fleisch.

Niemand hatte mit ihr geredet, niemand hatte sie nach IHRER Meinung zu dieser Sache gefragt, jeder rechnete damit dass sie brav alles tat was man von ihr erwartete.

Wenn wenigstens Shinji bei ihr wäre! Er war der erste Mensch der sie mit Respekt behandelt hatte - und nun steckte er wohl immer noch in diesem dunklen und verdreckten Schutzbunker! Sie hätte ihn ja liebend gerne aus seiner misslichen Lage befreit, doch wieder hatte sich Gendo in ihre Wünsche eingemischt und sie eiskalt zerschlagen.

Sie musste sich ihm immer und immer wieder beugen... Dabei machte er sie völlig krank, und würde sie wohl schon bald vollends zerstört haben...

Am liebsten würde sie wieder aus dem Plug aussteigen und NERV den Rücken zudrehen, doch irgendetwas in ihr verhinderte dass sie sich derart emotional gehen ließ.

"Rei - bereit?"

Sie sah Misatos Gesicht auf einem Monitor in ihrem EVA.

"Ja, Major."

Im Operationssaal drehte Katsuragi Ritsuko ein letztes Mal vor dem Start den Kopf zu, in ihren Augen spiegelte sich ernster Zweifel. "Ich habe wirklich meine Bedenken ob das so eine gute Idee ist."

Akagi zuckte mit den Schultern. "Befehl ist Befehl."

"Rei, du kannst starten wenn du soweit bist!"

"Ja."

Misato wand sich vom Mikrofon ab und kaute nervös auf ihrer Unterlippe herum, sie hatte das Gefühl einen folgenschweren Fehler zu machen. Immer wieder kamen ihr Kajis Worte in den Sinn, und die Erinnerung an diesen Mann verband weitere schmerzliche Emotionen für sie.

"Startvorgang einleiten", war schließlich aus Rei's Entry Plug zu hören. Ihre kristallklare Stimme wirkte ruhig und kein bisschen aufgebracht. "Hauptstromquelle anschließen."

Und in diesem Moment fiel Katsuragi endlich ein was sie die ganzen Zeit verdrängt hatte - doch es war zu spät. Noch bevor der EVA gestartet war, wusste sie dass sie alles verloren hatten. Rei's kühle Worte besiegelten ihr Schicksal.

"LCL einleiten!"

[LCL...]

Das warme Element flutete den Entry Plug und hüllte sie hoffnungsvoll und voller bunter Farben ein. Rei schloss die Augen, verspürte das Leben dass sie plötzlich durchdrang, und atmete die Emotion.
 

In diesem Moment begann der Amoklauf von EVA 00.
 


 

PHASE 26: FARBENFINSTERNIS
 

"Was ist das???" Ritsuko schrie den Operationsraum förmlich zusammen als sie die Werte aus dem Inneren des Entry Plugs sah. Rei war unantastbar, sie hatte sämtliche Verknüpfungen zu NERV lösen können und trieb die Einheit nun mit der eigenen Energie des Evangelions an. Ayanamis Synchronwert hatte schon längst die 100 % überschritten und stieg mit jeder Sekunde weiter, und nach nur wenigen Augenblicken hatte sie es geschafft alle Barrieren NERVS zu brechen.
 

Hikari brach völlig zusammen, selbst Toji konnte sie nicht mehr stützen. Es kam völlig ansatzlos; die Schmerzattacken hatten sie von einer Sekunde auf die andere übermannt und drohten sie nun in die Bewusstlosigkeit zu zerren. Suzuhara musste panisch zusehen wie seine Freundin qualverkrümmt auf dem Boden lag und sich die Hand vor den Mund hielt als müsste sie sich jeden Augenblick übergeben. Sie schwitzte, ihr Gesicht war scharlachrot.
 

"Rei! Rei!!!"

EVA 00 hatte das Nervhauptquartier soeben verlassen und befand sich auf den leeren Straßen Neo Tokyos. Misato, Ritsuko und Gendo (Seele waren genauso schnell wieder verschwunden wie sie gekommen waren) konnten im Operationsraum nichts anderes tun als apathisch beobachten wie die Evangelioneinheit durch die Stadt schritt. Alle Monitore die normalerweise das Innenleben des Entry Plugs gezeigt hätten, wurden durch irgendein unbekanntes Signal gestört und zeigten nicht mehr als ein schwarz-weißes Rauschen.

"Major Katsuragi", fing Gendo kühl an, "listen sie all Orte auf zu denen das First Children in ihrem derzeitigen Zustand hingehen könnte."

Es war erstaunlich wie ruhig Ikari in diesem Moment bleiben konnte, wo sich doch alles gegen sie gewendet hatte. Jeden Augenblick könnten die Söldner des Abendsterns das Hauptquartier einrennen, Rei drehte völlig durch, von Kaworu fehlte immer noch jede Spur, und Shinji schmorte mit Asuka weiterhin in diesem verlassenen Schutzbunker...

[Der Schutzbunker!]

Doch Gendos Gedankengänge wurden schlagartig unterbrochen als die eben noch gestörten Monitore wieder ein klares Bild zeigten. Eindeutige Botschaften aus dem Inneren des Entry Plugs...

Misato und Ritsuko waren geschockt als plötzlich Rei's Gesicht vor ihren Augen auftauchte. So hatten sie das Mädchen noch nie gesehen...

Ihre roten Augen schienen unheimlich zu leuchten und hatten die Ausstrahlung eines psychopathischen Serienkillers, ihre Haare waren zerzaust, und ihre Mundwinkeln hatten sich zu einem bösartigen Grinsen verschoben.

[Was hatte der EVA mit ihr angestellt?]

"Was machen wir jetzt?", fragte Misato panisch und drehte sich zu Gendo um.

Letzterer hatte sich mit einer steifen Bewegung sein Jackett wieder angezogen und schob sich seine Brille zurecht. Wieder war auf seinem Gesicht keine Emotion zu erkennen.

"Ich muss weg, ich übergebe ihnen jegliche Befehlsgewalt."

Ritsukos Augen weiteten sich und starrten ihren Vorgesetzten entsetzt an. "Sie müssen weg??? In so einer Situation???"

Doch Ikari antwortete nicht und verließ wortlos den Raum. Es gab Antworten, die er einholen musste.
 

Shinji hatte Asuka Huckepack genommen und lief mit ihr auf dem Rücken orientierungslos die dunklen Gänge entlang. Er wusste nicht so Recht wo er in diesem Gewirr von Fluren und Räumen hinrennen sollte, aber ein Weg musste ja schließlich nach draußen führen. Vielleicht befand sich dieser Korridor aber auch im hintersten Winkel des unterirdischen Komplexes, denn der Junge war schon seit Ewigkeiten keiner Menschenseele mehr begegnet.

Shinji fühlte sich erbärmlich. Er hatte Hunger, seine Kehle war ausgetrocknet, die Luft war stickig und Asuka bildete ein schweres Gewicht auf seinem Kreuz. Warum waren nicht schon lange die rettenden NERV Truppen eingetroffen? Sie mussten doch einen Suchtrupp aufgestellt haben!

[Niemand...]

Niemand kam ihm zur Hilfe.
 

Gendo hastete den Weg nach oben in sein Büro; so langsam wurde ihm alles klar. Genauso wie er Seele hintergangen hatte, hatten sie ihn hintergangen. All die Jahre...

Theoretisch waren Seele nichts anderes als die Konstrukteure der EVAs. Von ihnen stammt der erste Grundriss, und sie haben mit umfangreichen Investitionen das ganze Projekt erst möglich gemacht. Als sie merkten dass die Idee in jeder Hinsicht erfolgreich werden würde, mussten sie wohl angefangen haben mit ihrer vorteilhaften Lage richtig umzugehen.

Jahre später wurde NERV gegründet, mit Seele als heimlichen Herrscher und Gendo als ihr Handlanger. Doch Ikari nutzte diese Position nur um seinen eigenem Ziel näher zu kommen: Die Erschaffung eines exakten Ebenbildes seiner verstorbenen Frau Yui.

Yui Ikari starb während des ersten Testlaufs von EVA 00, als der EVA Amok lief und nicht mehr zu kontrollieren war, genauso wie es mit Rei im Moment der Fall war.

Doch Gendo hatte immer noch Yui's DNA. Theoretisch hätte er sie schon längst klonen können, doch dann wäre die Seele Yui's im Körper eines Säuglings gefangen, und das wollte er nicht.

Zu dieser Zeit kam ihm die geniale Idee, den erbärmlichen Zustand seiner Tochter, die dank Seele mit speziell entwickelten Drogen emotional stumpf gemacht wurde, komplett auszunutzen. Wenn sie ein gewisses Alter erreicht hätte, würde er ihr die DNA verabreichen und seine Frau wieder lebendig machen. Bis dahin musste ,Ayanami' noch ausreichend präpariert werden.

Äußerlich ruhig ging Gendo zu seinem Büro, doch innerlich brodelte er vor Zorn.

Shinjis Gedanken waren es damals, die EVA 00 gesteuert hatten! Der Junge war so jung dass er noch kaum richtig sprechen konnte.

Damals gab es noch keinen Entry Plug - die Piloten wurden an komplexe Maschinen angeschlossen und konnten die Roboter somit durch Gedankenübertragung bewegen. Es sollte nur ein kurzer Testlauf sein, ob Shinjis Hirn mit dem des EVAs harmonisierte, und am Ende war es eine totale Katastrophe. Kurze Zeit später schickte Gendo seinen Jungen aus Neo Tokyo und ließ ihn fortan bei seinen Verwandten wohnen. Eigentlich wollte er ihn nie wieder sehen.

Seele hatte Gendo niemals gesagt was die Evangelioneinheiten wirklich waren. Er hatte zwar schon immer geglaubt dass es keine gewöhnlichen Roboter waren, wie es Seele ihm einst versichert hatte, aber nun hatte er eine schreckliche Vermutung die er unbedingt auf den Wahrheitsgehalt prüfen wollte. Er musste mit Seele reden.

Sie konnten noch nicht weit weg sein. Vielleicht aus dem NERV Hauptquartier, aber nicht aus Neo Tokyo. Glücklicherweise hatte Ikari seinen alten ,Freund' Lorenz Keel eben mit einem magnetischen Punkt markiert, den er nun an seinem Ortungsprogramm am PC überall lokalisieren konnte.
 

Rei wurde von einem blendend hellen Licht umgeben. Sie nahm weder Entry Plug noch EVA richtig wahr, ihre ganzen Gedanken waren auf die unendliche Tiefe dieser Stille konzentriert.

"Was ist es, was du wirklich willst?", hörte sie eine unbekannte Stimme zu ihr sprechen.

"Ich weiß nicht."

"Wenn du die Welt mit nur einem Gedanken völlig verändern könntest, wie würde diese neue Erde aussehen?"

Rei dachte lange über eine Antwort auf diese Frage nach.
 

Misato beobachtete entsetzt wie die Bildschirme die eben noch Rei's entstelltes Gesicht gezeigt hatten, wieder ausfielen und ein schwarz-weißes Rauschen zeigten. Katsuragi hatte keine Ahnung was das alles bedeutete. Sie war machtlos, alles was sie in diesem Moment tun konnte war zusehen wie sich der EVA auf den Radarmonitoren planlos durch die Stadt bewegte. Ständig wechselte Ayanami die Route, es schien so als würde sie sich fortlaufend im Kreis bewegen.

Misato wechselte einen flüchtigen Blick mit Ritsuko.

"Glaubst du wir könnten..."

Doch sie wurde jäh unterbrochen: Blitzschnell stürmten bewaffnete Söldner des Abendsterns in den Operationsraum und richteten ihre Waffen auf die beiden Frauen. Ihnen blieb jeder Schrei im Halse stecken.

Nerv wurde vollständig infiltriert.
 

Gendo starrte apathisch auf den Bildschirm seines PCs; soeben hatte er erfahren wo sich Lorenz Keel in diesem Moment befand.

Immer noch in Ikaris Büro...

Und dies konnte nur einen wirklichen Grund haben.

[Ich wurde hintergangen...]

Ein Schuss fiel; Gendo gab einen kurzen Schmerzenslaut von sich und sackte auf den Boden. Ein weiterer Schuss fiel, und sein Schicksal war endgültig besiegelt.

Eine unförmige Blutlache breitete sich in Ikaris sterilem Büro aus.
 

Shinji realisierte gerade noch wie er das Gewirr aus Gängen verlassen konnte, und in eine weite komplett verdunkelte Halle trat. Kaum ein Lichtschimmer fiel in den Raum, doch man konnte trotzdem erahnen dass dieser Bereich sehr weit und großräumig war.

Aber es war sowieso egal; Shinji brach mit Asuka auf dem Rücken zusammen und alles an ihm drohte sich zu verkrampfen. Seine Glieder knickten zusammen wie ein Kartenhaus, und letztenendes lag er auf dem verdreckten Boden und kämpfte damit nicht ohnmächtig zu werden. Seine ganze Wahrnehmung hing an einem seidenen Faden.

Plötzlich ging das Licht an.

Zwei vermummte Gestalten mit schallgedämpften Pistolen betraten die Halle durch ein breites Tor und blickten die beiden Children verwirrt an.

"Ich wusste es doch!", fing einer der beiden aufgeregt an. "Ich hatte ein Geräusch gehört!"

"Schon gut, du hattest Recht gehabt..."

"Und was machen wir mit den beiden jetzt?" Der Mann fing an zu grinsen und zielte mit seiner Waffe auf Shinjis Kopf. "Ob sie wohl noch gebraucht werden...?"

Der andere Soldat fing ebenfalls an zu grinsen. "Oh ja, SIE werden noch gebraucht... Aber du wohl eher nicht!" Er schnappte sich seine Pistole und hämmerte seinem ,Kollegen' drei Kugeln in den Schädel.

"Endlich hab ich euch gefunden!"

Shinji hörte laut wiederhallende Schrittgeräusche die sich in seine Richtung hin bewegten.
 

[Wie würdest du dir die perfekte Welt vorstellen?]

[...]

[Rei?]

Das Licht um sie herum breitete sich noch mehr aus, und schien immer heller zu werden. Das Mädchen wurde völlig geblendet und kniff die Augen zu.

[Rei?]

Es fiel ihr wahrlich schwer die ganzen Stimmen zu ignorieren, die ständig auf sie einprasselten. Mal hörte sie Shinji, manchmal Asuka, aber am öftesten Gendo in seiner kühlen emotionslosen Tonlage.

"Rei?"

Als sie die Augen wieder aufmachte, war sie nicht mehr in ihrem EVA - sie saß in einer randvoll mit heißem Wasser gefüllten Badewanne und sah sich verwirrt um.

Sie konnte nicht bei sich zuhause sein - denn sie selbst hatte nur eine Dusche und keine Badewanne. Also war sie in...

... Misatos Wohnung?

Durch die verschlossene Badezimmertür war ein kurzes gedämpftes Lachen zu hören.

Perplex stieg Rei aus dem Wasser, trocknete sich mit dem erstbesten Handtuch ab und zog sich an. Auf einem Stuhl lagen die gewohnten Kleidungsstücke ihrer Schuluniform, ordentlich zusammen gelegt und übereinander gestapelt.

Langsam öffnete sie dir Tür und schlich durch die unbekannten Räume in Misatos Wohnung. Sie konnte sich nicht erinnern jemals in diesem Badezimmer gewesen zu sein, und auf der Suche nach jedweder Orientierung, folge sie einfach dem ruhigen Stimmengemurmel dass aus einer trivialen Richtung kam und sie dank ihres hervorragend ausgeprägten Gehörsinns ohne Probleme lokalisieren konnte. Schließlich war sie im Esszimmer angelangt.

Shinji spielte mit Asuka, Misato und Kaworu am Küchentisch Karten. Jeder von ihnen hatte eine emotionslose Miene aufgesetzt und konzentrierte sich ganz auf das Spiel, es dauerte eine Zeit bis das Mädchen von ihnen beachtet wurde.

"Oh, hallo Rei...", murmelte Shinji gedankenverloren. "Bist du endlich wieder bei Kräften?"

"Ja...", nuschelte Ayanami und realisierte sogleich dass niemand ihr so richtig zuhörte.

"Willst du nicht mitspielen?"

Rei sagte kein Wort, setzte sich aber dennoch an den Tisch und beobachtete wie jeder der Anwesenden reihum eine Karte ablegte, und sich ab und zu eine neue vom Stapel nahm.

"Was ist passiert?"

Shinji zuckte mit den Schultern ohne seinen Blick von den Karten abzuwenden.

"Warte Rei", fing Misato ohne Gefühl in der Stimme an, "wir spielen diese Runde hier noch schnell zu Ende, dann mache ich dir was zu essen."

"Besser nicht", erwiderte Shinji ebenso emotionslos. "Mit Misatos Kochkünsten ist nicht zu spaßen."

Wieder herrschte die Stille für einige Zeit. Niemand sagte etwas, niemand ging aufeinander ein. Rei kam sich überflüssig vor.

Entnervt stand sie auf und ging ins Wohnzimmer. Nach kurzem Suchen fand sie die Fernbedienung für den Fernseher und drückte wahllos auf einer der Tasten, doch das Gerät schien keine Programme zu empfangen und der Bildschirm blieb schwarz.

Erst jetzt fiel dem Mädchen diese Totenstille auf, die sich wie ein dunkler Nebelschleier auf die Umgebung gelegt hatte. Ab und zu sagte einer der Kartenspielenden etwas, aber derart leblos und kalt dass es ihr eiskalt den Rücken runterlief.

Und plötzlich nahm Rei auch einen seltsamen Geruch wahr. Die Räumlichkeiten müssten mal wieder gelüftet werden.

Doch alle Fenster waren fest verschlossen und durch zugezogene Gardinen versperrt.

"Kann ich mal etwas frische Luft reinlassen?", fragte sie, doch niemand aus dem Nebenraum antwortete ihr. Ihnen schien gleichgültig zu sein was sie in diesem Augenblick tat - also konnte sie ihr Vorhaben beruhigt in die Tat umsetzen.

Doch in dem Moment als sie die Gardinen auseinander schob und durch die Scheibe blickte, drohte ihr Herz stehen zu bleiben.

Draußen war keine Spur des Lebens mehr zu erkennen, wohin das Auge reichte nur eine endlose, öde, tote Steppe die unter einer brennend heißen Mittagssonne lag und von keinerlei Lebewesen bevölkert wurde.

In einiger Entfernung sah sie die Spitze eines pyramidenförmigen Gebäudes aus der trockenen Erde herausragen.
 

Misato konnte den weiteren Verlauf von Rei's Amoklauf nur flüchtig verfolgen - immer noch waren Waffen auf sie gerichtet. Sie wusste nicht was sie tun sollte und beschloss die unbekannten Söldner nicht in Rage zu bringen. Sie waren deutlich in der Überzahl.

Doch was sie benommen auf den Monitoren wahr nahm, beschäftigte ihre Gedanken vollends: Der EVA kam wieder zurück in Richtung des NERV Hauptquartiers.

Plötzlich öffnete sich die Tür zum Operationsraum wieder. Zwei weitere Bewaffnete stürmten hinein und wandten sich an den Leiter dieser Infiltration.

"Gendo Ikari ist tot, wir haben seine Leiche im obersten Stockwerk entdeckt."

[Gendo ist tot?]

"Was ist mit Kaworu?"

"Wir haben keine Spur von ihm gefunden."

Der Einsatzleiter wandte sich mit Nachdruck an Misato und Ritsuko.

"Wo befindet sich das Fourth Children Kaworu Nagisa?"

"Keine Ahnung", antwortete Ritsuko knapp. "Ich bin Wissenschaftlerin und sie ist Major - mit Kaworus Verschwinden haben wir nichts zu tun."

"Hm..." Der Mann des Abendsterns nickte schwach. "Dann würde ich..."

Plötzlich hallte ein schriller Alarmton durch den Raum, und Misato rannte zur Wand an der die zahlreichen Monitore befestigt waren. Ihre Bewacher hatten immer noch die Waffen auf sie angelegt, doch der Einsatzleiter deutete den Männern rasch dass Katsuragi keine Bedrohung darstellte.

Und Rei schien dies auch nicht mehr zu tun.

Plötzlich zeigten alle Monitore wieder ein klares Bild: Es hatte den Anschein als ob der EVA auf dem leeren Parkplatz vor der NERV Pyramide zusammen gebrochen und Rei wieder bei Sinnen wäre. Ihre roten Augen schimmerten, sie schien erschöpft und ausgelaugt.

"Major...", murmelte sie schwach und versuchte wieder zu Atem zu kommen. "Erwarte weitere Befehle."

"Aussteigen", meinte Misato freudestrahlend und vergaß einen Augenblick lang dass NERV gerade infiltriert wurde. Rei war ihr irgendwie ans Herz gewachsen.

[Und Shinji...]

[Und...]

[...Asuka....]

"Was gedenken sie nun mit uns zu tun?", fragte Misato als sie wieder die Beherrschung zurückgewonnen hatte und drehte sich zum Einsatzleiter des Abendsterns um.

"Wir haben dir Order sie nicht länger in Ruhe zu lassen bis Fourth Children Kaworu Nagisa gefunden wurde."

Die Anspannung im Raum war etwas verschwunden. Die zehn vermummten Männer die sich mittlerweile in Operationsbereich NERVs versammelt haben, steckten ihre Waffen wieder ein und warfen sich gegenseitig verwirrte Blicke zu. Man hatte sich diesen Auftrag weitaus unkomplizierter vorgestellt.

Und langsam verschwand auch die Anspannung bei Misato und Ritsuko. Zwar war diese Situation seltsam, aber nicht mehr zwanghaft bedrohlich. Man hatte es nicht mit willenlosen Killern, sondern mit intelligenten Söldnern zu tun.

[Fast so wie Kaji...]

Ruckartig öffnete sich die Tür - und die etlichen Waffen wurden in Sekundenschnelle wieder gezückt und visierten nun den Eindringling an.

"Lasst die Waffen ab!", rief Misato aufgebracht und sah in das völlig verschrockene Gesicht von Rei. Sie hatte den Entry Plug manuell gelöst und war somit in der Lage gewesen den EVA zu verlassen - doch mit einem derartigen Bild hatte sie nicht gerechnet. Was war mit Seele passiert? Und wo war Kommandant Ikari?

[Wo war Shinji?]

"Was machen wir jetzt?", fragte einer der Söldner unruhig. "Wir haben keine Ahnung wo das gesuchte Objekt steckt."

"Ich werde unseren Auftraggeber kontaktieren", meinte der Einsatzleiter trocken, steckte seine Handfeuerwaffe ein, und zog stattdessen ein übergroßes Funkgerät aus der Tasche seiner schwarzen Jacke. Doch in diesem Moment stellte sich schnell heraus, dass ihm eine neue Gefahr gegenüberstand...

Fünf der Söldner zogen zeitgleich ihre Schnellfeuerpistolen und visierten damit den perplexen Söldner des Abendsternes an. Für einen Augenblick stand alles still.

"Was soll das?"

"Wir gehören nicht zum Abendstern. Seele hat euch reingelegt."

[Was???]

Misato riss die Augen auf. Seele hatte unter die Söldner des Abendsterns fünf eigene Leute geschmuggelt??? Dann mussten sie von Anfang an gewusst haben dass es zu einer Infiltration des Hauptquartiers kam!

"Wenn ihr mich erschießen solltet", fing der Kopf der Abendsternsöldnergruppe emotionslos an, "hättet ihr es schon lange getan." Damit steckte er sein Funkgerät wieder ein und zückte seine Waffe.

Die anderen vier untätigen Männer taten es ihm gleich. Nun war die Situation ausgeglichen: Fünf Söldner des Abendsternes standen sich fünf Spionen Seeles gegenüber.

"Was versucht ihr genau mit Nagisa zu bezwecken?", fragte einer der letzteren mit scharfem Unterton.

"Wir sind nur Söldner. Wir kennen keine Beweggründe."

"Dann gebt mir euren Auftraggeber."

"Negativ - damit wäre unser Auftrag gescheitert."

Doch mit einem Mal stockten sie. Schon die ganze Zeit war ein seltsames Summen im Hintergrund zu hören gewesen; aber nun wurde die Melodie zunehmend lauter. Und mit dem Summen kam ein Gefühl der Benommenheit in den Schädeln der Anwesenden, als ob jeder einzelne einen gewaltigen Alkohol-Kater ausleben würde. Niemand hatte mehr die Kraft sich wirklich zu konzentrieren.

...und dann betrat Kaworu den Raum. Über allem erhaben musterte er die Anwesenden bevor er sich nach einem kurzen Seufzer an die Wand lehnte. Er machte einen gelangweilten Eindruck, als hätte er dies schon alles kommen sehen.

"Ka... Kaworu?" Misato musterte ihn mit einer Mischung aus Entsetzen und Skepsis. "Was machst du hier? Warum musstest du ausgerechnet JETZT ins Nerv Quartier kommen???"

"Es hat doch eh' keinen Zweck...", murmelte der Junge ohne die Frage wirklich beantwortet zu haben. Er hatte dieses ewige Versteckspiel leid, denn letztendlich gab es sowieso keinen Ort an dem er sicher wäre. Sie würden niemals aufhören ihren falschen Illusionen hinterher zujagen und ihn in Ruhe lassen.

Am Anfang, bevor sich seine Eltern mit ihm in ein kleines Bergdorf isolierten, hieß es noch er wäre ein Wunderkind. Seine Auffassungsgabe wäre viel besser als die der anderen Kinder, sein logisches Denkvermögen viel besser ausgeprägt. Dann begann er seine ,Kräfte' zu entwickeln...

Telekinese...

Postkognitives Traumsehen...

Telepathie...

Sowie ein zweiter Charakter in ihm, was schon fast eine schizophrene Szenerie in sich barg. Er war kein normaler Mensch mehr - und für ihn gab es niemanden mehr der normal war.

[Auch jetzt nicht...]

Einer der Söldner Seeles richtete ohne Vorwarnung seine Waffe auf Nagisa, behielt den Kopf aber weiterhin dem Einsatzleiter der Abendsternsoldaten zugewandt.

"Wenn ich ihn jetzt umbringen würde, wäre euer Auftrag auch gescheitert - richtig?"

Der Infiltrationsführer gab keine Antwort von sich, deutete aber mit einem kurzen Nicken auf die Pistole, mit der er den Spion Seeles weiterhin anvisierte. Es war eine riskante Situation, denn jeder der anwesenden Söldner - ob Seele oder Abendstern - wusste dass der erste Schuss auf ein Blutbad hinauslaufen würde. Wenn der Erste schießt würden gleich darauf ALLE schießen, und damit wäre niemanden geholfen.

[Der erste Schuss...]

Kaworu wusste worauf dies hier hinauslaufen würde...

Ein jeder dieser Männer war ein Profi, es war unwahrscheinlich dass jemand die Nerven verlieren würde. Sie warteten alle auf eine Reaktion seinerseits - er selbst musste die Initiative ergreifen, was sich wohl nicht zu seinen Gunsten auswirken würde. Sein Blick ruhte auf der Pistole, deren lauf ihn weiterhin bedrohlich anstarrte.

"Ich habe keine Hemmungen." Der Söldner Seeles gab dem Einsatzleiter des Sterns eindeutige Gesten mit seiner auf Kaworu gerichteten Waffe. "Ich bringe ihn um."

Doch das abgeklärte Verhalten der Männer verschwand augenblicklich, als aus dem Nichts eine nicht völlig unbekannte Stimme auftauchte.

"Das bezweifle ich stark."

Mit gezückter Waffe trat Kaji durch die geöffnete Tür und musterte die Anwesenden kurz aber prägnant. Sein Auge blieb bei Misato hängen. "Shinji und Asuka geht es gut, sie warten draußen beim Evangelion."

Katsuragi schöpfte plötzlich wieder Hoffnung.

Und sie zog ihre Dienstwaffe.
 

Es war ein heilloses Durcheinander. Das Blutbad dass sich deutlich abzeichnete vergrößerte sich nun auch auf Misato und Ritsuko - denn auch letztere hatte schnell ihre Dienstwaffe gezückt. Eines war für Nagisa klar: Irgendjemand würde hier sterben. Vielleicht alle, vielleicht nur ein einzelner. Hier standen sich Parteien gegenüber die durch Worte nicht zu besänftigen waren.

[Vielleicht alle... Vielleicht nur Einer...]

Kaworu wusste dass er selbst mehr oder weniger unwichtig war. Er wusste dass es ein großer Fehler wäre, ihn als den Einen zu bezeichnen. Er war ein Nichts. Er war nicht besonders - höchstens ein Freak der zu übernatürlichen Begabungen neigte.

"Ich hatte gehofft dass es anders enden würde", fing er resignierend an. "Eigentlich hatte ich bis zum Ende noch geglaubt dass sich so etwas verhindern lassen könnte."

Er zückte ein Messer aus seiner Jackentasche; ein einfaches Küchenmesser dass er von Misato hatte mitgehen lassen.

Danach ging alles viel zu schnell.
 

Keine Stunden der Finsternis brachen an, als Kaworu aus etlichen Dutzend Wunden blutend zusammenbrach.

Keinen Dornenkranz trug er, als er sich das Messer im Takt eines Maschinengewehrs in den Bauch gerammt hatte.

Nichts... Gar nichts...

Und übrig blieb das Chaos.
 

"Unser Auftrag ist gescheitert", murmelte der Einsatzleiter des Abendsterns noch bevor er aus heiterem Himmel das Feuer gegen die Söldner Seeles begann.

Kaum ein Atemzug verging, bis letztere zurückfeuerten.

Obwohl Nagisa niemals die Hoffnung verloren hatte, so hatte er es dennoch nicht geschafft den ernüchternden Gedanken vollends zu verdrängen: Das Blutbad war unvermeidlich. Die Dinge waren alle eingetreten wie er es sich am wenigsten gewünscht hatte.

Und es würde wahrscheinlich noch schlimmer werden.
 

Aber die Schlacht um Nerv war gewonnen. Die Engel waren besiegt, die Children gerettet. Eigentlich hatte sich alles zum Guten gewendet.

[Eigentlich...]

Und mit diesem Gedanken verabschiedete sich Kaworu endgültig vom Diesseits.
 

Misato ließ entsetzt die Waffe fallen - noch nie zuvor hatte sie soviel Blut gesehen. Im gleichen Augenblick war sie geschockt von der abgebrühten Art wie Kaji über die etlichen Leichen stieg um zu ihr zu kommen und sie zu umarmen.

Keiner der Söldner hatte überlebt.
 

Shinji wollte eigentlich gar nichts wissen warum mitten auf dem NERV Parkplatz eine abgeschaltete Evangelioneinheit lag, er begnügte sich damit sich an das Stahlmonster gesetzt zu haben um Asuka umklammern zu können. In ihm erwachte etwas, dass bei seiner Ankunft in Neo Tokyo vor etlichen Monaten noch nicht einmal ansatzweise vorhanden war: Sein Beschützerinstinkt. Er würde Asuka nicht mehr aus den Augen lassen.

Und er freute sich bereits auf den Moment, in dem sie wieder aufwachen würde.
 


 

ENDE KAPITEL 7

Tag X

NACHWORT

© 2003 Frederik Fell
 

So, jetzt komme ich endlich dazu mal ein paar Leuten zu danken...
 

Es war eigentlich gar nicht meine Idee eine NGE Fanfiction mit den düsteren Geheimnissen des Vatikans zu verknüpfen. Es geschah in einer langweiligen Vertretungsstunde, als ich mit Denis Seibert (Gott habe ihn selig) darüber diskutiert hab was denn nun unter dem Vatikanspalast gelagert sein könnte, und er scherzhaft meinte: "Hey, vielleicht ist das ganze auch so was wie NERV und die haben Evangelions da unten!" Dieser harmlose Spruch hat sich binnen weniger Sekunden zu einem Wahnsinnsplotbunny entwickelt, aus dem schließlich nach etlichen durchgeschriebenen Nächten diese Geschichte hier resultierte.

Also: Der größte Dank geht an Denis Seibert...
 

Dann ein Dank an meine tapferen (und knuffigen) Betaleserinnen Christina Müller und Christina Landers, die ich als Ausgleich für meine unzähligen peinlichen Grammatikfehler wohl auf ein Kebab einladen muss... Arigato!
 

Und ein letztes Dankeschön an den NGE Experten Christopher Trapp, der mich

a) Überhaupt erst auf die Serie gebracht hat

b) Davon überzeugen konnte dass die Serie geil ist, und

c) Mir die gottgleiche Idee zugespielt hat, Rei am Ende von Kapitel 4 masturbieren zu lassen!

Danke!

(Rei masturbiert... Ist diese Vorstellung nicht wahnsinnig reizvoll?)
 

Nicht zu vergessen:

Allen ein Dank dass sie diese Geschichte gelesen haben!

Und ein Dank im voraus für alle die sich die Zeit nehmen mir eine Kritik zu schreiben! ^_____^ (Joneleth@gmx.de)
 


 

Und hier die Gewissheit für alle die, die noch skeptisch sind:
 

Ihr habt Recht - die Story ist noch lange nicht vorbei...
 


 


 


 

EPILOG - TOD - 22. FEBRUAR
 

"Wir sie alle wissen", fing Fuyutsuki unheilsschwanger an als er vor den höheren Mitarbeitern NERVs eine Rede in Gendos Büro hielt, "ist NERV momentan führerlos. Als stellvertretender Kommandant liegt es an mir für einen vorläufigen Nachfolger Gendos zu sorgen. Aufgrund der vergangenen Ereignisse halte ich es für klug statt eines einzelnen Kommandanten ein Konsulat bestehend aus zwei Personen einzuführen." Die Anwesenden sahen ihn skeptisch an, vereinzelt wurde jedoch auch applaudiert. "In jedem Fall werden heute Nachmittag unter den hier Versammelten - stellvertretend für alle NERV Mitarbeiter natürlich - offizielle Wahlen durchgeführt die dieses Konsulat bestimmen werden."

Misato und Ritsuko sahen sich einen Moment lang fragend an, stimmten dann aber schnell in den Applaus ein.
 

Kaji wartete mit einem ausgesprochen gut schmeckenden Vanilleeis in der Hand vor einer völlig überfüllten Einkaufspassage Neo Tokyos. Rei wollte eigentlich pünktlich um 17 Uhr das (sich über mehrere Stockwerke erstreckende) Modegeschäft verlassen haben, war bis jetzt aber bereits 23 Minuten zu spät an...

Aber eigentlich war es Kaji völlig egal; wenn es nach ihm ging könnte er bis Mitternacht auf sie warten. Erstens brauchte Rei ganz dringend ein paar neue Kleider, die von ihrem langweiligen Schuluniformschema abwichen; zweitens schien sie unübersehbar viel Freude beim Einkauf zu verspüren; und drittens waren Shinji und Asuka in der Zwischenzeit allein in Misatos Wohnung...

Es hatte sich alles zum Guten gewendet - insbesondere die Wohnungsfrage. Seit gestern Abend wohnten sie alle zusammen.

Rei bekam Asukas Zimmer, Asuka schlief bei Shinji, und Kaji nistete sich direkt als Misatos neuer (und alter) Bettnachbar ein. Es schien so, als hätte Katsuragi endlich ihre eigene kleine Familie gefunden.

"Kaji!"

Rei kam fröhlich zu ihm hingelaufen; ein breites Grinsen zierte ihr engelsgleiches Gesicht und in jeder Hand trug sie zwei vollgepackte Einkaufstüten.
 

Shinji war mit Asuka in einem innigen Kuss versunken.

Gestern Nacht noch war das Mädchen wieder zu sich gekommen; erstaunlich munter wenn man bedachte wo sie die letzten Tage verbracht hatte... Sie kam schnell wieder auf die Beine, und als sie heute morgen aufwachte nahm sie - zugegebenermaßen noch etwas benommen - mit einem mehr als nur gesunden Appetit am Frühstück teil.

Seine Hände öffneten langsam ihre Bluse, während ihre Finger sich zielstrebig am Knopf seiner Hose zu schaffen machten. Nichts lag nun mehr zwischen ihnen.

"Deiner Schwester würde es wohl gar nicht gefallen wenn sie uns so sehen würde", schmunzelte Asuka vergnügt und ließ ihre Zungen miteinander spielen. Shinji kam gar nicht dazu, sich vorzustellen was Rei denken würde - er hatte nach all der Zeit gelernt nicht über die Zukunft nachzudenken sondern die Gegenwart auszukosten. Der schützende Himmel würde ihn nicht mehr verlassen; die Sphäre des Lichts würde ihn nicht wieder ausschließen, und nun galt es endgültig die Faszination der neuen Existenz zu genießen.

Und Asuka war ein Teil davon...
 


 


 

EPILOG ENDE
 


 

ACHTUNG!
 

Dies ist die letzte Möglichkeit noch umzukehren! In diesem Moment ist die Story noch abgeschlossen; wer will kann den Abendstern hiermit verlassen und sich mit einem Happy End begnügen...

Doch es sind bei weitem noch nicht alle Handlungsfäden beendet...
 


 

ZWISCHENSPIEL - WIEDERGEBURT - 23. FEBRUAR
 

Misato saß gelangweilt vor dem PC ihres Büros - der Alltag war schon fast wieder eingetreten. Auf ein neues musste sie sich mit offiziellen Briefen an UN, NATO und EU abquälen. Dabei war es überhaupt fraglich ob NERV noch gebraucht wurde...

"Misato!"

Ritsuko stürmte breit grinsend in den Raum und knallte eine Palette mit sechs Bierdosen auf den Tisch.

"Ritsuko???" Misato musterte zuerst ihre Kollegin - dann das verlockend aussehende Bier... "Was treibt dich hier her??? Seit wann trinkst du Bier???"

"Ich...", sie stellte sich gekonnt in Pose, "bin nach den offiziellen Ergebnissen nun mit Fuyutsuki an der Führungsspitze von NERV!"

"DU???" Katsuragis Kinnlade klappte in Sekundenbruchteilen bis zum Teppichboden hinab. "Du bist jetzt meine Vorgesetzte???"

"Ja!", meldete sich Fuyutsuki plötzlich und trat ebenfalls gut gelaunt in den Raum hinein. "Und sie hat eine Menge zu tun und keine Zeit zum Feiern!"

"Was???"

"Unsere erste Amtshandlung besteht darin, Ikaris Schreibtisch aufzuräumen und zu gucken was so alles ans Licht fällt..."

Ritsuko wurde schlagartig wieder ernst und verließ den Raum.
 

Irgendwie war Asuka nur noch von Verrückten umgeben...

Misato trank jetzt doppelt so viel Bier, seitdem sie nach der Verteidigung NERVs ,erst so richtig gut gelaunt' war... (Lächerlich!)

Wondergirl schien sich neuerdings an Kaji ranzuschmeißen... (Obszön!)

Und Shinji?

Er war immer noch derselbe Langschläfer wie früher...

Wie konnte es sein, dass er um 19 Uhr schon in seinem Zimmer am schlafen war? Asuka musterte ihn kritisch, zog sich dann aber bis auf die Unterwäsche aus und stieg zu ihm ins Bett. Sein Atem war leise und gleichmäßig, und irgendwie hatte dieses Geräusch eine beruhigende Wirkung auf das Mädchen. Langsam streichelte sie ihm über die Wange...

"Shinji!!!" Ruckartig wurde die Szenerie durch eine stürmisch hereinplatzende Rei gestört, die sofort verstummte als sie Shinji im Bett liegen sah (bzw. bis sie von Asuka stinksauer angefunkelt wurde). "Gomen", huschte ihr noch über die Lippen, doch Shinji war bereits aufgewacht...

... und ziemlich erschrocken, als er Asuka plötzlich neben sich liegen sah.

"Ich wollte nur...", fing Rei stammelnd an, wurde aber erneut durch einen harten Blick des Second Childrens aus der Ruhe gebracht. Letztenendes zeigte sie hastig dass sie in der rechten Hand einen Brief hielt, legte den Umschlag auf den Tisch, und verschwand ebenso schnell wieder wie sie gekommen war.

"Ein Brief?" Shinji stand auf und begutachtete den Absender.

[Clade Shawver...]
 

Kaji hatte noch nicht einmal annähernd verstehen können, wie groß die Keller des Vatikans wirklich waren... Es war eine riesige unterirdische Stadt, in denen die klügsten Köpfe der Weltbevölkerung hausten um den finalen Plan zu schmieden...

"Kaworu war nicht der Eine, es war ein riesiger Fehler gewesen", kam es von der einen Ecke. Sofort stellten sich knappe Gespräche im Flüsterton untereinander gänzlich ein, und man hörte den Rednern zu.

"Unsere Computer rechnen gerade den nächsten Kandidaten aus."

"Wird es endlich der richtige sein?"

"Ja. Wir konnten vorgestern als unsere Söldner NERV infiltrierten neue Daten sammeln, die ein recht unerwartetes Ergebnis mit sich brachten."

Jemand räusperte sich. "Und das wäre?"

"Erstens ist Seele ein ernst zu nehmender Gegner, den wir nicht unterschätzen sollten. Und Zweitens..." Ein weiteres Räuspern war zu hören. "... nach den gesammelten Daten haben wir es wohl mit Shinji Ikari zu tun. Er ist der Eine, der das Ende herbeiführen kann und das Himmelreich auf die Erde bringt."
 

Misato lag im Bett und starrte unruhig an die Decke. Der neben ihr liegende Kaji schien schon ein gutes Stück ruhiger, war aber dennoch irgendwie besorgt um Katsuragi. Sie hatte seitdem sie heim gekommen war noch nicht viel gesagt, und die bruchstückhaften Hinweise die sie ihm gegeben hatte, ließen auf nichts gutes hoffen. Scheinbar hatte man in Gendos Schreibtisch nichts gefunden, und auch seine Festplatte wurde vor gar nicht langer Zeit sorgsam formatiert...

"Sag mal Kaji... Wir haben keine Geheimnisse voreinander, richtig?"

"Äh... Ja!"

"Gut..." In ihrer Stimme schwang ein seltsamer Unterton. "Vielleicht kannst du mir dann sagen was es mit NEC auf sich hat..."

"Och Misato! Muss das denn um 12 Uhr Nachts noch sein?"

"Ja!", erwiderte sie hart und setzte in ihrem Kopf die einzelnen Fragmente zusammen. "Die drei Organisationen NERV, NEC und Waechter sind in ihrer Zielsetzung identisch - doch es schien von Anfang an klar zu sein dass nur NERV wirklich von Engeln angegriffen werden würde. Waechter ist nicht viel mehr als eine Marionette des Abendsterns, aber was ist NEC? Was sind ihre Ziele?"

"NEC... ist ein Teil der amerikanischen Regierung. Ich würde mich nicht wundern wenn die Amerikaner wieder mal ihr eigenes Süppchen kochen würden."
 

Der geheime Rat von Seele tagte an einem unbekannten Ort unter der Oberfläche Neo Tokyos. Sie waren mit der Fügung der Ereignisse nicht unzufrieden, und planten bereits die Zukunft NERVs...

"Das Bewusstsein von EVA 00 ist nun endgültig erwacht."

"Dann kann unser Plan endlich beginnen."

Der Raum in dem sie tagten war völlig verdunkelt, niemand erkannte das Gesicht eines anderen.

"Gendo war ein fähiger Mann gewesen."

"Ja, aber er hatte zuviel Eigensinn entwickelt."

Lorenz Keel sprach die Worte aus die allen in diesem Moment im Kopf herumspukten - seine Stimme wirkte kalt und überlegen.

"Ein Glück dass wir mit Dr. Akagi noch einen weiteren Verbündeten im NERV Quartier haben..."
 

In dieser Nacht regnete es LCL über Neo Tokyo.
 


 


 

C O M I N G S O O N:
 

E N D O F A B E N D S T E R N



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (20)
[1] [2]
/ 2

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2008-01-08T15:32:19+00:00 08.01.2008 16:32
*gelesen, für gut befunden....auf fortsetzung wart...*
(warsch kein glück hab wegn weiterführung aber egal. Abendstern is dir sehr gut gelungen)

Read ya Later !!!
Au Revoir
Jen...
Von:  Maitomi
2005-04-16T22:00:33+00:00 17.04.2005 00:00
HEY!!
Na du? Noch kein Kommi? krass!! dann bin ich ja die erste!! *smile* erst das zerite mal bei mir ^.^

Schreibst du die FIc, so, wie sie richtig ist? Also, wie der Anime/Manga is?
bg auf jeden!!
Von:  kingmb
2005-03-06T15:49:10+00:00 06.03.2005 16:49
Ähm... tja irgendwie kann ich mir nicht vorstellen das es hiermit zu ende sein kann... stand da nicht irgendwas mit "Comming soon" oder so, oder hab ich mich da verlesen... hoffe doch nicht und hoffe vor allem das wir nicht zu lange auf eine Fortsetzung warten müssen...
Von:  Nostradamus_MB
2005-02-18T04:25:00+00:00 18.02.2005 05:25
Hey wann kommt den nun endlich "END OF ABENDSTERN"? du hast es doch angekündigt *fg*
aber es war mal wieder lustig die geschichte zu lesen und ja man lacht sich am ende von kapitel vier schon zu tode. es hätte ja nur noch gefehlt wenn dann auf einmal hikari oder shinji gekommen wären (ich meine in der wohnung erschienen wären!) ^^

michel
Von: abgemeldet
2004-10-03T17:55:19+00:00 03.10.2004 19:55
wow cool ^^
sehr gut geschrieben ...
und schön das sich mal wer in richtung "hentai?" traut ^^

mfg
Garf
Von:  HorusDraconis
2004-04-14T13:30:35+00:00 14.04.2004 15:30
Intressant... wirklich. Was man aus altem Wissen, ein bisschen Fantasie und dem Vatikan machen kann... alles passt nahtlos zusammen und das "Eigenleben" von Rei, was im Abspann noch erwähnt wurde, hat noch ein wenig Zerstreunug reingebracht. *gg* Auch der Name "Abendstern" war passend. In den Filmen wurd ja auch angedeutet, dass noch eine Organisation hinter allem steht oder zumindest mitmischt. Wirklich gut geschrieben.
Muss mir bei Gelegenheit die Vortsetzung durchlesen.
Von:  Nostradamus_MB
2004-02-03T21:53:17+00:00 03.02.2004 22:53
glaubst du wirklich du hättest irgent einen leser mit der warnung abschrecken können? *g*
ich finde den letzten satz solltest du noch einmal überarbeiten, in der LCL-Regen stelle im Prolog fuhr mir regelrecht ein schauer über den rücken, aber hier... hmm, irgentwie nichts ^^

ansonsten recht gut gelungen und falls du fragen hast, wie ich das jetzt nun meine, frag mich ruhig.

michel
Von:  Nex_Caedes
2004-02-02T17:34:17+00:00 02.02.2004 18:34
Und doch keine ruhe für die Children.
nex
Von:  Nex_Caedes
2004-02-02T14:40:35+00:00 02.02.2004 15:40
Fast zuende,
zwar blutig aber schön
nex
Von:  Nostradamus_MB
2004-01-25T19:04:35+00:00 25.01.2004 20:04
sehr gut, ich kann nur sagen das wendungen kamen die ich beim besten willen nicht erwartet hätte. wahrscheinlich werden hier noch mehr wendungen kommen die unerwartet sind. ob kaworu "der eine" ist kann man ja auch noch nicht sagen.
ich freue mich schon darauf mehr zu lesen.

nos / michel


Zurück