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Erichs Erinnerungen

Eine Drabble-Sammlung
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Triggerwarnung: Bericht von Krankheit und Tod. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Das hier ist ein Bonusdrabble zur Drabblezeit von Lupus-in-Fabula. Schaut doch mal rein und zeigt ob eure Charas einen grünen Daumen haben. (Oder ein großes Schnippelmesser^^) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Heute beginnt ein neuer Monat voller Stichworte rund um das nigelnagelneue Thema: „Alles menschlich“.

Es wird also in den nächsten Drabblen ein bisschen weniger musikalisch werden. Ist aber vielleicht auch besser so, denn ich fürchte, Tichon kann nicht singen und wenn wir ihm eine Geige geben, wird das für alle Beteiligten auch eher schmerzhaft werden.^^

Vielen Dank, dass ihr die Drabble bis hierhin verfolgt habt und jetzt wünsche ich Euch viel Spaß mit dem neuen Monat. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hier beginnen die Drabble des nächsten Monats. Sie drehen sich rund um das Thema: "Das hast du schön gesagt". Ihr findet im folgenden also schlaue, nicht ganz so schlaue und richtig dumme Sprüche.



Ich wünsche euch viel Spaß mit ihnen. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Dieser Monat steht unter der Überschrift: "Stolz ohne Vorurteile."

Viel Spaß mit Gabriel. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Heute beginnen wir einen neuen Themenkomplex zum Thema: Titel.
Dieses Mal mit mehr Themen als der Monat Tage hat. Sein wir also gespannt, welche es in die Auswahl schaffen. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Diesen Monat widmen wir uns Postkartenmotiven. Also allem, was man so auf eine Karte drucken kann. Und das ist wirklich eine ganze Menge. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Eigentlich wollte ich jetzt bei Tichon weiter machen, aber der Gute hat sich standhaft geweigert zur See zu fahren. Deshalb folgt jetzt ein kleiner Einschub mit allem, was ein echter Seebär so braucht. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Neuer Monat, neues Thema. Dieses Mal unter der Überschrift: "Dinge, die die Welt nicht braucht." Ich war ja sehr fasziniert, was da alles so zusammengekommen ist. Also haltet Alexa und Siri die Ohren zu, damit sie sich nicht beschweren und willkommen bei den Dingen, die niemand braucht. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Anm.: Ich weiß, ich weiß. Eigentlich hieß das Stichwort Hundehaarfärbemittel. Aber ich habe keinen Hund zur Hand und ich bin mir sicher, damit kann man auch alles andere färben, was nicht schnell genug wegrennt (Oder sehr scharfe Krallen hat.) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Herzlich Willkommen im nächsten Monat.

Es ist kalt, grau und trist geworden und darum gibt es diesen Monat dreißig "Dinge, von denen die Welt mehr braucht". Wenn ihr mich fragt, gehört dazu ganz eindeutig "Sonnenschein". Komplett anzeigen

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The town I loved so well

Erich konnte sich an seine Heimatstadt kaum erinnern. Einzig ein paar auffällige Hausfassaden waren ihm im Gedächtnis geblieben. Da war ein großes Fachwerkhaus gewesen, mit bunten Blumen im Fenster, wo sie oft gemeinsam frische Wurst gekauft hatten und ein kleineres Haus, mit einem Laden voller Zuckerwerk.

Immer wenn man ihn gefragt hatte, woher er kam, hatte er sich auf die Zehenspitzen gestellt und stolz „Wallerstädten“ geantwortet, selbst dann noch, als die Erinnerung langsam blass und immer blasser geworden war.

Um so mehr überraschte es ihn, als er eines Tages vor einem neugierigen Kameraden stand und aus tiefster Überzeugung „Lenzkirch“ sagte.

Schlaflied

An seine Mutter konnte Erich sich besser erinnern. Sie hatte ihm immer die schönsten Märchen erzählt und manchmal, wenn er großes Glück gehabt hatte, hatte sie auch für ihn gesungen. Dann hatte ihre warme Stimme das Schlafzimmer mit den verschiedensten Melodien erfüllt und es hatte nie lang gedauert, bis er eingeschlafen war.

Er erinnerte sich an traurige Lieder, die er nie auf seiner Geige spielte, obwohl er es gewiss konnte.

Einmal – erinnerte er sich weiter – hatte er seine Mutter gefragt, warum all ihre Lieder so traurig waren und sie hatte gelächelt und gesagt: „Weil das Leben eben manchmal traurig ist.“

The day the music died

Die Musik starb wie seine Mutter. Langsam und schleichend. Zunächst war es nur eine kurze Pause zwischen zwei Liedern gewesen. Ein leichtes Kratzen im Hals. Dann kam der Husten und die Pausen wurden länger.

Sie fuhren zu Ärzten, auf Kuren und schließlich auch in das erste Sanatorium. Dort, zwischen all den Behandlungen, blieb kaum noch Zeit für Märchen und Geschichten. Auch an Lieder war kaum noch zu denken. Und so wurden seine Tage still ...

Aus einem Sanatorium wurden zwei. Aus Luft- wurde Wassertherapie und als sie schließlich bei Strom angekommen waren, ahnte Erich, dass die Lieder nie wieder erklingen würden.

Verstimmt

Sein erster Eindruck von Herrn von Tufen war kein sonderlich guter. Vor ihm stand ein hagerer Mann ganz in Schwarz, mit einem altmodischen Schnauzbart, wie ihn auch der Kaiser zu tragen pflegte. Er hatte eine große Adlernase und einen strengen Blick. Statt Erich zu begrüßen, starrte er auf seine Taschenuhr.

„Sie kommen zu spät“, informierte er die Krankenschwester, die ihn in den Raum begleitet hatte und veranlasste die junge Frau damit direkt zur Flucht. Zurück blieb Erich, mit einem schweren Koffer in der Hand und der Frage wieso seine Mutter gewollt hatte, dass er ausgerechnet bei so einem Menschen blieb.

Wer übt, hat's nötig

Herr von Tufen stellte hohe Anforderungen, nicht nur an sich selbst, sondern auch an sein Mündel. Und so verbrachte Erich einen Großteil seiner Zeit damit, Rezepte und Anweisungen auswendig zu lernen, um seinem Vormund im heimischen Labor zur Hand gehen zu können.

Es dauerte drei Monate, dann hatte er sich soweit eingelebt, dass er sich neuen Herausforderungen gewappnet fühlte. Und so packte er eines schönen Abends, nach einem langen Tag voller Hahnenklee und Krötenwurz das aus, was seit sehr langer Zeit seinen Koffer nicht mehr verlassen hatte. Kurz zögerte er, dann hob er die Geige und brachte die Musik zurück.

Schräge Klänge

Herr von Tufen war kein Geigenfreund. Eigentlich war Herr von Tufen Niemandes Freund. Zwar duldete er Erichs Übungen, doch er nannte sie „Katzenjammer“ und beschwerte sich regelmäßig darüber, dass er sich bei den schrägen Klängen nicht konzentrieren konnte.

Erich ignorierte es, denn ihm blieb keine Wahl, irgendwo musste er üben. Und so litten die Nerven seines Vormunds im gleichen Maße wie Erichs Geigenkenntnisse wuchsen.

Trotzdem überraschte es Erich, als er Jahre später Herrn von Tufens Haus betrat und von ihm mit strengem Blick erwartet wurde. „Du kommst spät“, tadelte der Alte ihn, „Deine Geigenstunde hat bereits vor fünf Minuten angefangen.“

Das Lied seines Volkes

Die Leute im Ort hielten ihn für sonderbar, dabei hatte Erich mit den wenigsten von ihnen schon einmal gesprochen. Es waren überwiegend Bauern mit großen oder kleinen Kuhherden, die von der Dorfjugend auf die umliegenden Weiden getrieben wurden.

Kaum einer der Jungen konnte sich vorstellen, warum Erich nicht wusste wie man eine Kuh antrieb, oder wieso er bei dem verschrobenen „Apotheker“ am Rande des Ortes lebte, der noch nicht einmal eine Kuh zum Antreiben besaß. Und so begannen sie, ihn „Stadtjunge“ zu nennen und ihn zu meiden. Erich störte das wenig, denn so blieb ihm mehr Zeit für seine Musik.

Orgel

Seine neue Schule war ein Internat mit strengem aber ausgezeichnetem Ruf und obwohl Herr von Tufen nicht müde wurde, zu betonen, dass es der Wunsch seiner verstorbenen Mutter gewesen war, dass er auf diese Schule ging, wusste Erich, dass Herr von Tufen auch nicht ganz unfroh darüber war. Auf diese Art und Weise konnten sie den Leuten aus dem Dorf aus dem Weg gehen.

Außerdem hatte Erichs neue Schule eine Orgel im Speisesaal und wenn man als Schule schon eine drei Meter hohe Orgel im Speisesaal zu stehen hatte, dann – so hoffte er – musste man dort auch einfach musikalisch sein.

Bläserklasse

Erichs neue Schule hatte neben einem Duellkurs, diversen Sportarten, drei Sprachkursen und einem Kurs für Blumenarrangements auch eine Blaskapelle. Eine bunte Mischung aus ein paar Hörnern, drei Trommeln, einer Tuba und einer Handvoll schlanker Trompeten, die allesamt in erster Linie dafür benutzt wurden, um verschiedenste Fanfaren zu erlernen. Es gab sogar einen extra Kurs dafür.

Erich und seine Geige wollte man dort nicht, auch wenn er die Abfolgen vermutlich auch im Schlaf hätte spielen können.

Zugegebenermaßen konnte er die Begründungen des Lehrers aber sogar ein bisschen verstehen. Selbst er fand den Gedanken an eine weithin schallende Jagdgeige ein wenig befremdlich.

 

Terz

Hans war kein ganz einfacher Zimmergenosse, aber das war Erich auch nicht. Sie stritten über den Zapfenstreich, darüber wann ihr gemeinsames Zimmer gelüftet werden sollte und sogar über Banalitäten wie Schokoladenkekse im Bett.

Aber den meisten Terz machte Hans wegen der Geige. Er verstand nicht, dass Erich täglich üben musste und Erich verstand nicht, was so schlimm daran war, ein Violinenstück zwölf mal in Folge zu hören.

Das Ganze gipfelte in einem heftigen Streit, bei dem Hans aber nur zwei Sätze weit kam. Dann schlugen die Schokoladenkekse durch, die vielleicht eine Mischung von Herrn von Tufens besten Kräutern beinhaltet hatten.

Wieder Solo

Nach der Keksattacke bekam Hans ein anderes Zimmer und Erich blieb allein zurück. Herr von Tufen schrieb ihm einen bitterbösen Brief, doch zwischen den Zeilen glaubte Erich einen gewissen Stolz erkennen zu können. Immerhin hatte er seine Lehren tadellos umgesetzt.

Die Lehrer betrachteten seine Einzelunterbringung als Strafe, Erich sah sie als Privileg. Immerhin konnte er jetzt üben wann er wollte, lüften wann er wollte, schlafen wann er wollte und Kekskrümel verbieten wem er wollte.

Alles in allem eindeutig ein Fortschritt. Das Hans und seine Freunde ihm ein klein wenig böse waren ... Nun ja, das war wohl dem Durchfall zu verdanken.

Dirigent

Tichon betrat die Schule zwei Wochen zu spät. Doch keiner der Lehrer fand das sonderlich erwähnenswert. Egal was er sagte, egal was er tat, die meisten von ihnen gaben ihm einfach recht. Selbst wenn er zu einer Sache noch gar keine Meinung zu haben schien.

Sie tanzten nach seiner Pfeife wie das Orchester nach der Hand seines Dirigenten, verbogen sich in alle Richtungen und wunderten sich dann, dass der Junge kein Interesse an ihren Worten zu haben schien.

Hans und seine Freunde waren nicht besser. Sie alle wollten Tichons Freunde sein. Schlimmer noch, viele von ihnen wollten selber Tichon sein.

Mehrstimmig

Tichons Anhängsel ließen ihn zuweilen wirken, als wäre er eine Hydra. Sogar wenn er beschäftigt war, hatte einen einer seiner Schoßhunde im Blick und nutzte jede Chance, um seine Beobachtungen mit Tichon zu teilen.

Wenn man etwas fragte, wurde es direkt noch schlimmer. Meist verhinderte ein eifriges Anhängsel, dass man das Wort direkt an ihn richten konnte, doch selbst wenn man es schaffte, musste man damit rechnen, dass man eine mehrstimmige Antwort erhielt.

Erich fand das gruselig und ging der Clique darum aus dem Weg, doch manchmal fragte er sich trotzdem, ob sie sich wenigstens auf dem Klo voneinander trennten.

Mit Pauken und Trompeten

Tichon betrat die Bibliothek wie üblich mit Pauken und Trompeten. Sein Anhängsel hatte die Tür noch nicht ganz hinter ihnen geschlossen, da trat die sonst so strenge Bibliothekarin unauffällig den Rückzug an. Selbst sie hatte für ihn kein „Psst“ parat.

Erich bemühte sich, die Gruppe zu ignorieren, bis er ein leises „Ist er das?“ vernahm. Skeptisch hob er seinen Blick und sah Hans eilig nicken.

„Ja, er wollte mich vergiften“, hörte er ihn erzählen.

Tichons Blick richtete sich auf ihn und Erich schwante Böses. „Ja, ich habe ihn vergiftet“, beschloss er zum Gegenangriff überzugehen. „Und ich würde es wieder tun.“

Klimpern

Tichons Kleidung klimperte, als er sich auf den Stuhl ihm gegenüber fallen ließ. Seine Anhängsel gruppierten sich hinter ihm.

„Ich habe gehört, du bist gut mit Tränken und Tinkturen?“, begann er unter ihrem wachsamen Blick.

Erich nickte. „Ich bin auch gut im Spucken und kann das Vorderteil einer Kuh von ihrem Hintern unterscheiden“, gab er trocken zurück.

Die Jungs im Hintergrund schnappten heftig nach Luft, Tichon dagegen verzog keine Miene. „Ich muss dich um einen Gefallen bitten“, redete er unbeeindruckt weiter.

Erich runzelte die Stirn. „Einen Gefallen?“, wiederholte er. „Ich vergifte keine Verflossenen.“

„Darum geht es mir auch gar nicht.“

Playback

„Dr. Petrow hat ihm mitgeteilt, dass seine Noten schrecklich sind“, begann Hans zu erzählen.

„Wirklich schrecklich“, wiederholten die anderen Anhängsel. Tichon seufzte, doch noch bevor er den Faden wieder aufnehmen konnte, mischte sich Josef ein: „Er hat ihm gesagt: ‚Entweder du verbesserst deine Noten, oder ich muss deinem Vater schreiben.‘“

Tichon öffnete ein weiteres Mal den Mund, doch wieder sprang einer seiner Freunde dazwischen. „Da hat Tichon ihm versprochen, er würde sich einen Nachhilfelehrer suchen.“

Erich sah erst Tichon und dann dessen Freunde skeptisch an. „Mich?“, fragte er ungläubig.

Tichon nickte. „Nachdem ich von Hans' Verdauungsproblemen gehört habe, definitiv du.“

Harmonie

Nachhilfe mit Tichon war nicht so schlimm wie Erich zunächst befürchtet hatte. Zumindest nachdem er Tichons Anhängsel, unter dem Vorwand sie bräuchten Ruhe zum lernen, aus dem Zimmer geschmissen hatte.

Er lehrte ihn, dass Zaubertränke ein gewisses Maß an Geduld benötigten und Tichon erzählte ihm im Gegenzug begeistert von den Stunden, die er im Duellkurs verbrachte.

Schnell wurde Erich klar, dass da der Hase im Pfeffer lag. Tichon hatte keine Geduld für langwierige Berechnungen. Er handelte am allerliebsten aus dem Bauch heraus. Das machte ihn zu einem verdammt guten Duellanten und zu einem miserablen Braumeister. Und so zeigte Erich ihm Tag für Tag wie man Kräuter hackte, wie schnell man in einem Kessel rühren durfte und warum man das Feuer besser nicht so heiß wie möglich werden ließ.

Und siehe da, er hatte Erfolg damit.

Als Tichon ihm das erste Mal von einer guten Note erzählte, glaubte Erich, er hätte sich verhört. Sein Gegenüber klang so völlig gleichgültig dabei.

Beim zweiten Mal fühlte zumindest Erich einen gewissen Stolz.

Bei der dritten guten Note hoben sich Tichons Mundwinkel so unmerklich, dass er es fast übersehen hätte. „Sag mal“, fragte er, „Magst du nicht auch mal zu uns in den Duellkurs kommen?“

Däää däää da da da däää däää

Im Duellkurs tanzte Tichon nach seiner eigenen Melodie, die Erich nur zum Teil erfassen konnte. Während seine Tränke immer eine Art Crescendo bildeten, das langsam begann und während der Arbeit immer greifbarer wurde, bis es schließlich mit der Vollendung seinen Höhepunkt erreichte, waren Tichons Duelle von Anfang an schnell, laut und überraschend. Ein Allegro, bei dem man nie wusste ob es sich noch steigern wollte oder ob es mit dem nächsten Paukenschlag abrupt ein Ende fand.

Tichons Freunde feierten das bedingungslos und versuchten stets mitzuhalten, außer der armen Sau, die in den sauren Apfel beißen und seinen Gegner mimen musste.

Über den Wolken

Tichon schwebte im Duellkurs regelmäßig über den Wolken. Er war wie ein Fisch im Wasser. Ein Vogel in der Luft und seine Begeisterung war durchaus ansteckend.

Erichs erstes Duell war aufregend, aber eigentlich nichts besonderes. Tichon hatte ihm einen „einfachen“ Gegner empfohlen und es fiel ihm nicht schwer den Rhythmus in den Bewegungen des anderen Jungen zu identifizieren. Kaum hatte er ihn erkannt, wusste er was zu tun war um diesen Tanz zu stoppen. Es bedurfte nur einer Handbewegung, einem winzigen Aufflackern seiner Magie. Dann war es vorbei.

Sein Gegner war geschlagen und er das erste Mal über den Wolken.

Karneval der Tiere

Sie kannten sich schon mehr als zwei Monate als Tichon eines Tages überraschend die Stirn runzelte. Sein Blick glitt unter Erichs Stuhl, wo dieser seinen Geigenkoffer abgelegt hatte. „Ich wusste nicht, dass du Geige spielst“, bemerkte er.

Erich zuckte mit den Schultern. „Schien mir nie der Rede wert zu sein“, entgegnete er.

Tichon hielt den Blick auf seinen Koffer gerichtet. „Geige ist doch ziemlich schwer, nicht wahr?“

„Am Anfang ist alles schwer“, wiegelte Erich ab.

„Aber du kannst es inzwischen?“, bohrte Tichon weiter.

Erich nickte. „Ich denke schon.“

„Dann spiel mir etwas vor.“

„Ja, was denn? Den Karneval der Tiere?“

Karaoke

„Ich spiel dir etwas auf der Geige vor, wenn du dazu singst“, erklärte Erich und verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust. Er hatte diese Haltung schon ein paar Mal eingenommen und wusste, dass Tichon sie zu deuten wusste.

Dieser starrte ihn finster an. „Kommt gar nicht in Frage“, lehnte er den Vorschlag ab. Einen Moment lang hingen seine Worte zwischen ihnen in der Luft, dann stieß Tichon ein unzufriedenes Seufzen aus. „Ich kann nicht singen“, grummelte er schließlich.

Erich legte den Kopf schief. „Unsinn“, widersprach er „Jeder kann singen. Bei einigen klingt es nur etwas schiefer als beim Rest.“

Walzer

„Ich mache dir ein Gegenangebot“, erklärte Tichon. „Du spielst für mich etwas von Johann Strauss und ich tanze für dich einen Walzer dazu.“

„Du kannst tanzen?“, fragte Erich, obwohl er es eigentlich hätte wissen müssen. Vermutlich hatte Tichon einen Tanzlehrer gestellt bekommen, kaum das er in der Lage gewesen war anständig geradeaus zu gehen.

Tichon nickte. „In den letzten Ferien habe ich den Tango gelernt“, erzählte er ohne besonderes Interesse, „Aber ich tanze auch Quadrille, Polka und einen akzeptablen Kasatschok.“

„Kannst du mir das beibringen?“, rutschte es Erich beinahe wie von selbst heraus.

Tichon nickte. „Welchen von ihnen?“

„Na alle!“

Bassist

Tichon erhob sich ruckartig, dann hielt er ihm die Hand entgegen. „Komm“, forderte er.

Erich warf einen Blick auf die angebotene Hand, dann blickte er zu seinem Geigenkoffer. „Mir fällt gerade ein, wenn ich tanze, kann ich nicht Geige spielen.“

„Ohne Musik kann man nicht tanzen“, entgegnete Tichon. „Das ist in der Tat ein Problem. Ich schätze, wir brauchen Jemanden, der den musikalischen Part übernimmt.“

Erich schnalzte mit der Zunge. „Wenn du jetzt Fräulein Ludwig rufst, damit sie Orgel spielt, bin ich raus.“

„Ich dachte mehr an Josef und seinen Kontrabass. Praktischerweise lauscht der nämlich ohnehin schon an der Tür.“

Schrei nach Liebe

„Du hast das gewusst?“, entfuhr es Erich, als Josef und Hans ins Zimmer stolperten.

Tichon zuckte mit den Schultern. „Natürlich“, entgegnete er. „Egal was man tut, lauscht keiner an der Tür, steht einer unterm Fenster.“

Hans stieß ein verärgertes Schnauben aus, während Josef eilig ein paar Schritte zurück machte. „Ich ... hole meinen Kontrabass“, rief er und rannte.

Hans sah ihm nicht nach. „Wir sind deine Freunde!“, fuhr er stattdessen Tichon an. „Wir versuchen dich vor schlechtem Einfluss zu beschützen!“

„Mich, oder euer bequemes Leben?“

"Beides natürlich", entgegnete Hans. Zu spät bemerkte er, dass das definitiv die falsche Antwort gewesen war.

Remix

Danach ging Hans ihnen aus dem Weg. Er warf ihnen im Speisesaal nicht mal mehr einen Blick zu. Doch andere Konsequenzen stellten sich nicht ein. Erich wunderte das nicht. Wer wollte schon einen Kleinkrieg mit Tichon beginnen?

Dafür überraschte Josef ihn. Dieser hatte wirklich einen Kontrabass und konnte überraschend gut spielen. Außerdem schien es ihn zu freuen, wenn Erich ihm vorschlug, das eine oder andere Stück als Duett auszuprobieren. Er mochte die Harmonie zwischen Bass und Geige. Die tiefen Töne, die viel besser herauskamen, wenn Josef sie seinem Bass entlockte.

Und Tichon? Dem schien die neue, musikalische Unterhaltung zu gefallen.

Diese Rosen kosten Blut

Josef warf einen skeptischen Blick zu Tichon. „Es hat drei Köpfe“, sagte er. Dieser nickte. „Und ein Krötenbein“. Erich stieß einen langen Seufzer aus. „Das ist ein Hase!“, rief er, doch seine Freunde schüttelten synchron den Kopf.

„Ich war schon auf einigen Jagdausflügen“, erklärte Tichon mit missbilligendem Blick. „Ich habe noch nie einen dreiköpfigen Hasen gesehen.“

Erich stöhnte. „Und was mache ich jetzt? Die Prüfung ist in einer Woche und mein Hase sieht aus wie –“

„Frankensteins Monster“, half Josef aus.

Tichon seufzte ebenfalls. „Ich würde dir wirklich gerne helfen. Schon weil du mir immer mit meinen Tränken hilfst. Aber ehrlich gesagt, weiß ich nicht, wie ich daraus etwas machen soll, das wie ein Hase aussieht.“

Josef nickte. „Ich fürchte, da bin ich auch raus“, stimmte er Tichon zu. „Dieses Krötenbein macht mir ziemlich Angst.“

„Und was soll ich jetzt tun?“, fragte Erich sie. „Wenn ich durch diese Prüfung falle, schicken sie einen bösen Brief an Herrn von Tufen. Den missbilligenden Vortrag ertrag ich nicht!“

Tichon seufzte. „Ich verstehe dein Dilemma. Als ich so schlecht im Brauen war, habe ich Dr. Petrow um einen persönlichen Gefallen gebeten und er hat mir die Nachhilfe empfohlen.“

„Du willst sagen, ich soll ...“

„Irgendetwas aushandeln.“

 

Der passende Soundtrack

Nach dem Lehrergespräch war Erich nach Bach zumute. Während sein Bogen über die Saiten glitt und er sich auf die komplexen Tonfolgen konzentrierte, konnte er die ganze Miesere vergessen. Es missfiel ihm, dass Hr. Obermaier einfach den Rotstift angesetzt und seine letzten Noten verbessert hatte. Er wusste, das hatte er nicht verdient. Seine Arbeit war schlecht. Richtig schlecht sogar, das wussten sie beide.

Gerne wollte er glauben, dass Obermaier ihm den Gefallen tat, weil er wusste, dass Tichon daran gelegen war, doch Erich hatte seinen Blick gesehen und wusste es innerlich längst besser. Er würde für jeden einzelnen Strich bezahlen.

Ich wollte nie erwachsen sein

Das Schuljahr endete schneller als Erich gucken konnte und bald wurden aus einem Jahr zwei und dann drei. Die Zeit ging dahin. Er sah Tichon seinen Abschluss machen und schließlich war der Tag gekommen, an dem auch er sein letztes Zeugnis bekam.

Tichon hatte ihm einen langen Brief geschrieben, voll mit Entschuldigungen, weil sein Vater ihn just in diesem Monat zu einer entfernten Cousine nach Schweden gesandt hatte. Flucht undenkbar.

Dafür war Herr von Tufen gekommen. Mit mürrischem Gesichtsausdruck saß er in der ersten Reihe und beobachtete mit Argusaugen die ganze Zeremonie. Als endlich Erichs Name erklang, applaudierte er sogar.

Blumen, Bäume, Sträucher (Bonus)

Die Sonne brannte unbarmherzig auf ihn herab. Erich legte sich die Hand in den Nacken. Er war heiß. Das ließ ihn erahnen, dass ihm ein ordentlicher Sonnenbrand drohte. Er würde sich etwas dagegen zusammenbrauen müssen. Doch nicht jetzt. Jetzt musste er erst einmal das erledigen, weshalb er hergekommen war. Strahlend hob er sein Messer, ließ es einen Augenblick in der Sonne glänzen, dann fuhr er damit auf sein Opfer herab.

Eine Mohnblume landete blutend in seinem Körbchen. Sein nächstes Opfer hatte eine Vielzahl goldgelber Blüten. Sie strahlten ihn an und Erich strahlte zurück. Er liebte die Vielseitigkeit des Echten Johanniskrauts.

Ohrwurm

Erich summte die Melodie einer neuen Operette, während er eine Handvoll sorgsam abgezählter Pflanzensamen in seinen Kessel fallen ließ. Neben ihm knurrte Herr von Tufen seine Waage an. Er hatte seinen Zwicker wieder einmal verlegt und nun Probleme die Zahlen richtig zu erkennen. Erich verkniff sich ein Lächeln.

„Du wirst uns noch vergiften, alter Mann“, neckte er ihn.

Herr von Tufen schnaubte abschätzig. „Wenn du es bis heute nicht geschafft hast, schaffe ich es nimmermehr“, schoss er zurück.

Trotzdem lehnte sich Erich zu ihm, um, über seine Schulter hinweg, auf die Waage blicken zu können. „Dir fehlt ein halbes Gramm.“

Who wants to live forever

Herr von Tufen erwartete ihn mit der Zeitung in der Hand und seinem Zwicker auf der Nase. Statt „Guten Morgen“ sagte er „Der Erzherzog ist tot.“

Seine Stimme klang besorgt. Erich nahm ihm die Zeitung aus der Hand und überflog den Artikel.

„Es wird Krieg geben“, redete der Alte weiter. „Sie werden erwarten, dass ich meinen Beitrag leiste.“

Langsam ließ Erich die Zeitung sinken. „Du?“, fragte er ungläubig. „Mach dich nicht lächerlich, alter Mann.“

„Meine Tränke sind die Besten.“

„Aber in einem Zelt überlebst du keine Woche.“

Der Alte schnaubte. „Was soll ich machen?“

„Lass mich an deiner Stelle gehen.“

Das Ende vom Lied

Der starre Kragen seiner Uniform kratzte am Hals, trotzdem zwang sich Erich zu einem Lächeln. „Keine Sorge alter Mann. Es ist nicht für lang.“

Herr von Tufen nickte. „Ich denke auch. In einem Monat, spätestens in Zweien bist du zurück und kannst mir wieder auf die Nerven gehen.“

Erich grinste schief. „Es wird mir ein Vergnügen sein“, stichelte er.

Herr von Tufen schüttelte amüsiert den Kopf.

„Versprich mir vorsichtig zu sein“, drängte er ihn. „Ich weiß, du bist jung und du willst dich noch beweisen, aber du musst kein Held werden um heimkommen zu können, du musst am Leben bleiben.“

Krank im Kopf

Tichon starrte aus dem Fenster seines Zugabteils. Das rote Polster schmiegte sich sanft an seinen Rücken und auf dem Tisch schaukelte Schwarztee in einer schlanken Porzellantasse.

Das gleichmäßige Rattern des Zuges hörte er schon längst nicht mehr. Er hatte Kopfschmerzen und das schon seit Tagen. Seit der Erzherzog verstorben war, plagte ihn eine üble Schlaflosigkeit. Nächtelang hatte er sich im Bett herumgeworfen, doch wenn er überhaupt Schlaf gefunden hatte, hatten ihn seine Träume alsbald wieder aufgeweckt.

Wäre Erich bei ihm gewesen, er hätte ihm sicher etwas zusammengebraut, doch Erich war nicht da und so musste Tichon eben einfach wach bleiben.

Ich will aber nicht ins Bett!

Ich will aber nicht ins Bett!, maulte Tichon, doch seine Mutter löste nicht einmal den Blick von ihrer Post. Dafür schenkte Clifford, der Butler, ihm einen mitfühlenden Blick.

Mit Verlaub, junger Herr. Ihr Herr Vater wird nicht erfreut darüber sein, wenn Sie morgen früh über Ihrem Frühstück einschlafen.

„Ich werde nicht einschlafen!, widersprach Tichon ihm.

Wenn nicht über dem Frühstück, dann tun Sie es sicher später über Ihren Rechenaufgaben, gab Clifford ungerührt zurück.

Tichon stemmte die Hände in die Hüften. Gar nicht wahr!, maulte er. In der Wiege begann das Baby zu quengeln und endlich senkte seine Mutter ihren Brief.

Blutsbande

Du hast deinen kleinen Bruder aufgeweckt, stellte seine Mutter fest, doch ihre Stimme klang nicht tadelnd.

Tichon schlug trotzdem die Augen nieder. Bitte verzeihen Sie, Madame.

Seine Mutter ging zur Wiege, um das weinende Baby herauszunehmen. Wenn, dann solltest du deinen Bruder um Verzeihung bitten.

Tichon verzog das Gesicht. Er wollte sich nicht bei dem kleinen Schreihals entschuldigen.

Seine Mutter musterte ihn. Weißt du, was das besondere an ihm ist?

Das er immer weint?

Nein, entgegnete sie, Was ihn so besonders macht, ist die Tatsache, dass dein Bruder, egal was auch passiert, für immer ein Teil deines Lebens sein wird.

Versprechen

Es ist soweit, begrüßte ihn seine Mutter, als er den Salon betrat. Sie trug ihren Reisemantel und hatte ihre dunkelblonden Haare streng hochgesteckt. Ihre Hand legte sich auf seine Schulter.

Ich muss gehen, informierte sie ihn. Und während ich fort bin, musst du etwas für mich tun. Ihr Blick fiel auf die Wiege.

Ich würde ihn mitnehmen, wenn ich könnte, aber ich kann nicht. Also ist es jetzt an dir möglichst gut auf ihn zu achten. Versprich es mir.

Tichon öffnete den Mund um etwas zu erwidern, doch der Salon begann um ihn herum zu verschwimmen und er wachte auf.

 

„Also sind Menschen Gurken mit Gefühlen?“

Seine Augen brannten, als er sie wieder aufriss. Er musste für einen Augenblick eingenickt sein. Vor dem Fenster zogen immer noch Felder vorbei. Er konnte nicht lange geschlafen haben.

Tichon gähnte.

Er fühlte sich wie eine matschige Gurke. Trotzdem machte er die Augen nicht wieder zu. Stattdessen griff er vorsichtig nach der Teetasse. Vielleicht würde ein guter Schluck Schwarztee ihm dabei helfen, wieder einen klaren Kopf zu bekommen.

Er wusste ohnehin nicht, warum er sich ausgerechnet jetzt zu erinnern begann. War es die Tatsache, dass der Krieg immer näher kam? Oder hatte der überraschende Tod des Erzherzogs alte Gefühle geweckt?

Krone der Schöpfung

Die Türen knallten, als Tichon den Salon betrat. Clifford schenkte ihm einen tadelnden Blick, doch er sagte nichts. Sein Vater dagegen ließ langsam die Zeitung sinken. „Wieso kommst du erst jetzt?“, schnauzte er.

„Weil der Zug nicht schneller gefahren ist.“

Sein Vater rümpfte die Nase. „Ich hoffe, du hast wenigstens einen eigenen Waggon gemietet und nicht wie der Pöbel in einem scheußlichen Abteil gehockt.“

Tichon unterdrückte ein Augenrollen. Er brauchte keinen ganzen Waggon, doch er wusste, Streit brachte sie nicht weiter. Sein Vater hatte ihn nicht gerufen, um darüber zu diskutieren. Es ging um den Krieg und um ihr Überleben.

Nein ist ein kompletter Satz

„Ich habe einen wunderbaren Posten für dich“, erklärte sein Vater. „Im Kriegsministerium. Du wirst ihrer Majestät dabei helfen, unsere Offensive zu planen.“

Tichon schüttelte den Kopf. „Mit Verlaub, in taktischen Fragen war ich noch nie bewandert.“

Sein Vater fuhr mit den Fingern durch seinen Schnurrbart. „Dann wird es Zeit, dass du es lernst.“

„Hat mein Bruder die Stelle abgelehnt?“

Sein Vater schenkte ihm einen bösen Blick. „Natürlich nicht“, blaffte er. „Er war nur nicht geeignet dafür.“

„Hat er nicht mal einen Schachpreis gewonnen?“

Sein Vater schnaubte abwertend. „Eine dumme Spielerei. Außerdem habe ich ihm bereits eine andere Aufgabe zugeteilt.“

Tichon hob die Augenbrauen. „Eine Aufgabe?“, hakte er nach.

„Natürlich. Einen Posten im Kriegsministerium besetzt heutzutage jeder. Ich dagegen kann ihrer Majestät berichten, dass mein Sohn Entscheidungen in der ersten Reihe trifft.“

Tichon spürte wie sein Kopf erneut zu schmerzen begann. „Sie haben ihn an die Front geschickt?“

Sein Vater zwirbelte seinen Schnurrbart. „Es ist eine gute Gelegenheit. Er wird endlich lernen, was es heißt ein Mann zu sein und wir werden von seinem Einsatz profitieren. Also, du wirst morgen früh im Ministerium erscheinen. Ich habe dich bereits angekündigt. Du kannst den Wagen nehmen.“

„Nein.“

„Wie bitte?“

„Ich habe ‚Nein‘ gesagt.“

Verschlossene Augen

„Diese Angelegenheit steht nicht zur Diskussion!“, blaffte sein Vater, doch seine Worte perlten an Tichon einfach ab. Wenn sein Vater die Augen vor einer falschen Entscheidung verschließen wollte, bitte. Er würde es nicht tun.

„Ich werde morgen früh den Wagen nehmen“, erklärte er ihm, „Aber ich werde nicht ins Ministerium fahren. Ich werde meinen Bruder zurückholen.“

Sein Vater verschränkte verärgert die Arme vor der Brust. „Und wenn ich es dir verbiete?“

„Dann werde ich trotzdem gehen.“

„Ich könnte dich in dein Zimmer sperren lassen.“

Tichon nickte. „Das können Sie wohl. Die Frage ist nur, wie lange ich wohl drin bleibe.“

Ja, ich will?

„Ich kann deine Tür rund um die Uhr bewachen lassen“, erinnerte sein Vater ihn.

Tichon nickte. „Das können Sie“, stimmte er ihm zu. „Aber was wollen Sie mit einem Erben, der seinen gesellschaftlichen Verpflichtungen nicht nachkommt? Was wollen Sie Marina sagen? Sie wird nie einer Verlobung zustimmen, wenn ihr Zukünftiger die ganzen Verhandlungen über nicht einmal anwesend ist. Und sie ist zu reich um sich von Ihnen bestechen zu lassen. Wenn Sie diese Verbindung zu schließen wünschen, werden Sie mich irgendwann herauslassen müssen. Und was glauben Sie, würde ich ihr in dieser Situation wohl zuflüstern? Sicherlich kein sanftes ‚Ich will.‘“

Unsichtbarer Freund

"Sie haben einen hohen Einsatz gewählt, Sir", urteilte Clifford, während er ihm die Tür zu seinem Zimmer öffnete. Er sah älter aus als in Tichons Traum und wirkte insgesamt erschöpfter.

Tichon atmete tief durch. "Immerhin hat es funktioniert", entgegnete er. "Er wird mich ziehen lassen."

"Er wird Ihnen keine Steine in den Weg legen", stimmte Clifford zu, "Aber er wird Ihnen auch nicht helfen. Mit Verlaub, wie wollen Sie Ihren Bruder finden? Da draußen sammeln sie gerade Tausende. Sie werden seine Regimentsnummer brauchen."

"Hat er sie Ihnen genannt?"

"Bedaure, junger Herr. Aber was nicht ist, kann ja vielleicht noch werden."

Gern geschehen

Tichon war Clifford für seine Hilfe dankbar. Er wusste, würde sein Vater herausbekommen, dass Clifford die Regimentsnummer herauszufinden versuchte, würde er ihn direkt vor die Tür setzen. Das er seit mehr als zwanzig Jahren ihrem Haushalt vorstand, egal.

Ein guter Butler hatte verschwiegen und treu zu sein. Erfüllte er einen dieser Punkte nicht, war das ein Grund ihn zu feuern. Und frisch gefeuert, ohne Empfehlung würde ihn auch kein Anderer in seine Dienste nehmen. Er würde ...

Ja, was eigentlich? Einen Moment lang war Tichon versucht, Clifford danach zu fragen, doch dieser schenkte ihm nur einen bedeutungsschweren Blick, dann lächelte er.

grausam

In dieser Nacht starrte Tichon an den Baldachin seines Himmelbettes und grübelte. Vielleicht hatte Clifford recht und er hatte zu hoch gepokert. Wenn er seinen Bruder fand, würde sein Vater erwarten, dass er seine Rolle in der Marinasache spielte.

Aber was blieb ihm übrig? Er konnte seinen Bruder nicht in diesen Krieg ziehen lassen.

Nicht den Jungen, der es geschafft hatte, binnen zweier Minuten von einem stehenden Pferd zu fallen. Der anfing zu weinen, wenn man vom Jagen sprach. Ihn alleine dort draußen zu lassen, war nicht nur grausam, es war auch herzlos. Und Tichon wollte keins von beidem sein.

 

 

Tischa hat angefangen!

Es war ein heißer Sommertag auf ihrem Landgut. Und ihre Gouvernante hatte ihm verboten auszureiten. Und so saß Tichon jetzt gelangweilt in der Bibliothek. Eine schöne Bibliothek war das, wo es nicht einmal Abenteuergeschichten gab. Aber wenn man keine Abenteuergeschichte hatte, musste man sein Abenteuer eben selber machen.

"En garde!" rief er und stürzte mitsamt seinem Degen hinter einem Regal hervor. Sein kleiner Bruder zuckte heftig zusammen.

"Wehr dich, Unhold!", versuchte Tichon ihn für das Kriegsspiel zu begeistern, doch die Augen seines Bruders wurden nur noch größer.

"I-ich", murmelte er und verschwand zur Hälfte wieder hinter seinem Buch. Tichon nutzte die Chance und piekste mit dem Degen gegen den Buchrücken. "Ich habe Sie gefordert, Monsieur", versuchte er es noch einmal.

Sein Bruder lugte hinter dem Buch hervor. "Madame Cohen hat gesagt, wir sollen lesen", flüsterte er.

"Lesen ist öde", maulte Tichon. "Außerdem will ich jetzt fechten."

"Muss das sein?", fragte sein Bruder leise.

Tichon nickte, natürlich musste das sein.

Leider hielt sein Triumph nur wenige Minuten, dann stolperte Nazar bei einem Ausweichmanöver in eines der Regale. Der Lärm lockte natürlich Madame Cohen an und als die wütend vor ihnen stand, hatte sein Bruder nur eines zu sagen: "Tischa hat angefangen!"

Runter von meinem Rasen

"Raus aus meinem Garten", keifte ein Mütterchen und zog damit Tichons Aufmerksamkeit auf sich. Er hatte sich spontan gegen den Wagen entschieden und so hatte der alte Wanja seine liebsten Rappen für ihn angespannt. Zusammen mit der teuren, offenen Kutsche gaben sie ein furchteinflößendes Bild ab.

Nur die Soldaten interessierte das nicht. Die stapften munter weiter durch den Garten der fremden Frau. "Finger weg von meinen Tomaten!", schluchzte sie. "Bitte nicht mein Rasen."

Tichon hob die Hand und sein Kutscher brachte die Pferde zum Stehen. Eigentlich hatte er keine Zeit für sowas. Uneigentlich würde er den Rüpeln jetzt Manieren beibringen.

Ich will den Manager sprechen!

"Vielen, vielen Dank mein Herr", krächzte die Alte, während Tichon die Soldaten musterte. Es waren einfache Männer mit langem Hemd und Hose. Dazu kamen kakifarbene Schirmmützen und Stiefel, die sie mehr schlecht als recht selbst schwarz zu färben versucht hatten. Sie sahen ihm nicht in die Augen. Offensichtlich hatten sie Angst.

"Sie sind eine Schande für unsere Armee", begann Tichon seine Standpauke. "Sie sollten sich schämen, eine rechtschaffene Frau zu bestehlen!"

Die Männer ließen die Köpfe hängen.

"Ich werde mit Ihrem befehlshabenden Offizier sprechen und bis dahin gehen Sie gefälligst wieder in diesen Garten und stellen seinen Ursprungszustand wieder her!"

Moderne Nomaden

Das Lager war ein eilig zusammengewürfeltes Sammelsurium, ohne erkennbare Struktur und Ordnung. Alles deutete darauf hin, dass die Männer nicht all zu lange an diesem Ort verweilen sollten. Tichon war das nur recht. Er hatte genauso wenig Interesse daran, länger hierzubleiben, wie die Offiziere Interesse daran hatten, ihn hier zu beherbergen.

Vorne rum lächelten sie und nickten, egal wie dumm seine Fragen auch wurden, doch hinten rum verdrehten sie die Augen über ihn. Tichon kannte das gut. So hatte man ihn schon in der Schule behandelt. Und er hatte gelernt, es zu ignorieren, zumindest solange am Ende die Ergebnisse stimmten.

 

Luxusproblem

Das nächste Lager war nicht viel besser. Angeblich war sein Bruder hierher geschickt worden, doch als Tichon dort aus dem Zug stieg, war er längst schon wieder über alle Berge. Man überließ ihm eine Offiziersbaracke, teilte ihm ein paar Männer zu und nannte ihn bei einem Titel, den er bisher nur pro forma geführt hatte. Aber wenigstens störte man seine Nachforschungen nicht. Und so kämpfte er sich mühsam durch schlecht sortierte Unterlagen und neueste Feldberichte.

Dabei verfluchte er den Einrichter seiner Unterkunft, denn der Stuhl, der zu seinem Schreibtisch gehörte, war aus einem harten Holz und schmerzte an seinem Hintern.

Höhlenmensch

Zunächst wollte Tichon sich nicht weiter mit den ihm zugeteilten Männern befassen. Das was er von ihnen sah, reichte ihm vollkommen aus. In seinen Augen waren sie Höhlenmenschen, ohne jede Form von gutem Benehmen. Teilweise war ihr Akzent so stark, dass er sie kaum verstand und das obwohl sie schworen, aus der gleichen Stadt zu kommen wie er. Und als wäre das nicht genug, mangelte es auch an anderen Stellen. Die Wenigsten von Ihnen hatten schon einmal ein Gewehr in der Hand gehabt. Sie waren Bauern, keine Soldaten und die Meisten von ihnen versuchten auch nicht das irgendwie zu ändern.

Rituale

Im Lager entwickelten sich schnell gewisse Rituale. Eines von ihnen war, dass jeden Tag im Laufe des Vormittags ein sorgsam herausgeputztes Küchenmädchen an seiner Tür klopfte, um ihm lächelnd einen Teller Obst zu bringen. Vermutlich versprach sie sich weit mehr davon, als Tichon zu geben bereit war, doch das Obst nahm er dennoch an.

Und so aß er jeden Morgen einen Apfel und ließ den Zweiten bis zum Nachmittag auf seinem Schreibtisch stehen, um ihn dann nach getaner Arbeit aufzuessen.

So hielt er es zehn Tage lang, bis er am elften Tag die Hand ausstreckte und seinen Teller leer vorfand.

Logisches Denken

Die Logik sagte ihm, dass es nur zwei Erklärungen für den verschwundenen Apfel gab. Entweder es gab in diesem Lager Ratten, die den Weg in die Vorratskammern – und zu den Katzen – noch nicht gefunden hatten, oder aber ein Langfinger hatte den Weg in sein Quartier gefunden.

Tichon überprüfte seine Geldbörse und auch das übrige Inventar, doch wenn es wirklich ein Langfinger gewesen war, hatte er außer dem Apfel nichts genommen.

Er beschloss der Sache am nächsten Tag nachzugehen. Er würde wie immer einen Apfel essen und den Zweiten im Zimmer lassen, während er vorgab zur Postausgabe zu wollen. Und dann ...

Panik

Der Soldat zuckte heftig zusammen als Tichon ihm von hinten die Hand auf die Schulter legte. "Erwischt", knurrte er, während sein Apfel unzeremoniell zu Boden fiel. "Erklären Sie sich!", blaffte er den anderen Mann an.

Der Soldat, der bei näherem Hinsehen eher noch ein Junge war, fing zu zittern an. "I-Ich", begann er, "Ich hatte Hunger."

Tichon runzelte überrascht die Stirn. "Hunger?", fragte er.

Der Junge nickte.

"Meine Stube ist keine Essensausgabe. Wenn du einen Apfel willst, warum fragst du nicht Anissija nach einem?"

"Wen?"

"Das Mädchen aus der Küche. Die mit den roten Haaren."

"Ich glaube, die heißt Anja."

Empathie

"Ich glaube nicht, dass Anja mir Essen geben darf", murmelte der Junge. "Solche Sachen machen die Küchenmädchen nur für Offiziere. Wir bekommen nur etwas, wenn die Ausgabe offen ist. Und was es gibt, ist vorgeschrieben."

Tichon nahm vorsichtig die Hand von der Schulter des Jungen. "Und deshalb stiehlst du meine Äpfel?", fragte er noch einmal.

Der Junge schluckte. "Ich dachte, Sie wollen ihn ohnehin nicht mehr", gab er kleinlaut zu.

Langsam blickte Tichon zu dem Apfel, der reglos auf dem Boden seiner Unterkunft lag. Seine gelbe Schale leuchtete ihm mahnend entgegen.

"Ich", murrte er schließlich, "denke, du kannst ihn haben."

Seele

Einmal "angefüttert", kam der Junge immer wieder. Und nach etwa einer Woche merkte Tichon, dass er anfing, seinen Besuch einzuplanen. Mal legte er ihm einen Apfel zurück, mal war es eine Hand voll Teegebäck.

Sein neuer Freund war nicht sonderlich wählerisch. Alles was irgendwie essbar aussah, wurde erst einmal in den Mund gesteckt. Alles außer Kohl.

Ansonsten schien er eine gute Seele zu sein. Er erzählte viel von seinen vier Geschwistern und vom elterlichen Hof. Und als er merkte, dass Tichon täglich auf Post wartete, machte er es zu seiner persönlichen Aufgabe, zur Ausgabe zu laufen um für ihn nachzufragen.

Hobbys

Sascha, der laut der offiziellen Akten eigentlich Alexander hieß, hielt seine Postversessenheit für ein obskures Hobby, doch Tichon machte sich nicht die Mühe, ihn darüber aufzuklären. Immerhin, der Junge brachte ihm die Post. Dafür, dass es nicht die Richtige war, konnte er nichts.

Tichon wusste, Erich konnte ihm nicht schreiben. Ein Brief ins Feindesland hätte sie Beide in Teufels Küche gebracht. Bei Josef sah es ähnlich aus. Und so blieb ihm nur zu hoffen, dass die Beiden irgendwo einen sicheren Posten gefunden hatten und zurechtkamen.

Sein Bruder schrieb ihm auch nicht. Entweder er hatte sich Zuhause nicht gemeldet, oder Clifford hatte es nicht geschafft, ihm unbemerkt seine Nummer zukommen zu lassen. Er hoffte ein bisschen auf letzteres.

Dabei gab der Butler sich alle Mühe und schickte ihm regelmäßig neueste Erkenntnisse und Gerüchte aus der Heimat. Er schrieb die Briefe in seiner Muttersprache, Englisch, vermutlich damit der Rest des Haushalts nichts mit ihnen anfangen konnte, sollten sie abgefangen werden. Er adressierte sie auch entsprechend. Doch schon beim dritten Brief hatte sich Tichon daran gewöhnt und wunderte sich nicht mehr über das "Timothy", das unter seiner Nummer auf dem Umschlag prangte. Nur das es Sascha nicht auffiel, war schon ein bisschen sonderbar.

So sind Menschen nun einmal

"Verzeihung, Sir", rief Sascha, als er herein rauschte. Tichon hob den Blick. Normalerweise war Sascha deutlich weniger höflich, doch heute nahm er sogar Haltung an, bevor er erwartungsvoll in seine Richtung schaute.

Tichon legte den Kopf schief. "Was ist?", fragte er ihn.

"Ich habe einen Brief von meiner Mutter bekommen", eröffnete er strahlend.

Tichon musterte den Umschlag in seinen Händen. "Glückwunsch."

Sascha holte tief Luft. "I-Ich dachte Sie könnten ihn mir vielleicht", begann er und schob ihm den Brief entgegen, "vorlesen?"

Tichon hob die Augenbrauen. Warum sollte er – "Oh", entfuhr es ihm, als der Groschen fiel, "Du kannst nicht lesen?"

Freizeitstress

Tichon hatte Sascha mit dem Brief einen Gefallen tun wollen, doch das sollte sich schnell als Fehler herausstellen. Am Tag nachdem er dessen Brief erst verlesen und dann beantwortet hatte, stand Sascha nämlich erneut vor seiner Tür.

"Verzeihung", begann er und das laute Gemurmel im Türrahmen verriet Tichon, dass der Junge nicht allein gekommen war. "Mischa hat einen Brief von seinem Vater bekommen", erzählte er ihm.

"Und er möchte, dass ich ihm den vorlese?", riet Tichon ins Blaue hinein. Er kannte Mischa nicht, aber Saschas Tonfall war recht eindeutig gewesen.

Der nickte. "Und vielleicht die für Fjodor und Boris auch?"

„Man sieht nur mit dem Herzen gut.“

"Denk daran, man sieht nur mit dem Herzen gut", beendete Tichon einen weiteren Brief. Der Besitzer schenkte ihm ein Lächeln. "Danke, Sir."

Tichon hatte keine Ahnung, wann aus zwei oder drei Soldaten ein Dutzend geworden war, aber er hatte das Gefühl, dass er dringend einige Gespräche mit den verschiedensten Ministern führen musste. Es konnte doch nicht sein, dass so viele Männer nicht in der Lage waren, ihre Briefe zu lesen. Es ärgerte ihn, und zwar nicht nur, weil er sich deshalb den Mund fusselig las. Seufzend griff er nach dem nächsten Brief. Er trennte sorgsam den Umschlag auf und erstarrte.

Größenwahnsinn

Tichon starrte die Karikatur seines Vaters an. Sie hatte eine übertrieben große Nase, doch der verkniffene Gesichtsausdruck kam hin. Die Figur hatte wütend die Faust geballt und drohte einem großen Schatten. "Größenwahn" hatte Jemand darunter gedruckt.

Was folgte, war ein langer Artikel darüber, wie der Adel das Volk ausbeutete. Berichte über unerhört hohe Ausgaben und schillernde Feste. Selbst die katastrophalen Krönungsfeierlichkeiten ihrer Majestät griff der Beitrag auf. Tichon seufzte. Das war ganz und gar nicht gut.

"Ist alles in Ordnung, Sir?", fragte einer der Männer ihn.

Eilig klappte Tichon das Flugblatt zusammen. "Ja", behauptete er. "Bringen Sie den Empfänger her."

Rauschmittel

Er hatte die Männer weggeschickt und sich ein Glas voll Wodka eingeschenkt. Er brauchte den Alkohol jetzt. Nahrungsmittelknappheit, Analphabetismus, sein verschwundener Bruder und nun auch noch das ...

Ein Staatsfeind in seiner Truppe.

Nachdenklich fuhr er mit den Fingern über das Flugblatt. Er musste zugeben, dass sie den Ausdruck seines Vaters gut getroffen hatten. Unter anderen Umständen hätte er das Bild sicher witzig gefunden. Aber Männer die solche Sachen schrieben, waren gefährlich. Er konnte sie nicht einfach ignorieren. Das war falsch und genau das, wovor sein Vater ihn immer gewarnt hatte. Andererseits hatte der auch seinen Bruder an die Front geschickt.

Rechte und Pflichten

Tichon haderte mit seinen Pflichten. Er wusste, er musste den Kommunisten loswerden und das schnell. Ansonsten würde er anfangen die Männer aufzuwiegeln. Von der Gefahr, die von den anderen Offizieren ausging, einmal ganz abgesehen. Wenn sie den Kommunisten ebenfalls identifizierten, hatten sie ein Druckmittel gegen Tichon in der Hand. Dieser eine Soldat konnte zu einem bösen Fallstrick werden, selbst wenn er den Mund hielt.

Tichon seufzte. Er wusste, was von ihm erwartet wurde, aber er wusste auch, dass er nicht einfach Jemanden erschießen lassen würde. Nicht wegen eines Flugblattes voller dummer Geschichten, von denen die Hälfte nicht einmal erlogen war.

Wer war das?

Als sich die Tür zu seiner Stube öffnete, hob Tichon den Blick. Er kannte Kommunisten bislang nur aus den Geschichten seines Vaters. Halb erwartete er ein geiferndes Monster, doch der Mann, der über seine Schwelle trat, sah überraschend normal aus. Seine Schulterklappen verrieten, er war ein Unteroffizier. Sein Blick ging einmal quer durch den Raum, bevor er an dem Brief in Tichons Hand hängen blieb.

Er schluckte. "Sie wollten mich sprechen, Sir?"

Seine Stimme war fest und verriet wenig von der Nervosität, die der Brief in ihm ausgelöst haben musste. Tichon atmete tief durch. Wer zum Teufel war dieser Kerl?

Du – Mich – Verstehen?!

Als er nicht reagierte, kroch doch ein wenig Nervosität in die Züge seines Gegenübers. Er befand sich im Zwiespalt, das konnte Tichon sehen. Einerseits verlangte das Protokoll, dass er ruhig stehen blieb und wartete, bis das Wort an ihn gerichtet wurde, andererseits schrie sein Innerstes vermutlich danach, ihn einfach noch einmal anzusprechen.

Tichon gab sich ausdruckslos und wartete. Es dauerte eine Minute, vielleicht zwei. Schließlich stieß sein Gegenüber ein leises Hüsteln aus.

"Verzeihung, Sir?", versuchte er es noch einmal. Dieses Mal klang in seiner Stimme ein Hauch von Küste mit. "Wenn Sie mich nicht brauchen, würde ich gerne wieder gehen."

Was wollte uns der Künstler damit sagen?

Der Kerl hatte Mumm, das musste Tichon ihm lassen und eigentlich war das eine Eigenschaft, die er durchaus schätzte. Langsam schob er den Brief über den Tisch.

"Erklären Sie mir das", forderte er.

Sein Gegenüber griff nach dem Flugblatt, überflog es und wurde zusehends blass dabei. Schließlich räusperte er sich. "Ich denke, was der Künstler damit sagen wollte ... ", begann er.

Tichon unterbrach ihn eilig. "Was er sagen wollte, hat er sehr deutlich gemacht. Ich erwarte, dass Sie mir das hier erklären!"

"Was genau?", fragte sein Gegenüber.

"Ich will wissen, wieso mein Vater auf dem Bild so einen großen Zinken hat!"

Wenn das dein Vater wüsste!

Einen Moment lang starrte ihn sein Gegenüber an, dann leckte er sich über die Lippen. "Das ist eine Karikatur", erklärte er schließlich, "dabei werden vorhandene Züge absichtlich übertrieben."

"Sie wollen sagen, Sie haben die große Nase meines Vaters noch größer gemacht?"

Sein Gegenüber rang mit sich selbst. Schließlich nickte er aber. "Ja, das könnte man wohl so sagen", räumte er ein.

Tichon schüttelte den Kopf. "Sie sollten wissen, dass mein Vater keinen sehr ausgeprägten Sinn für Humor besitzt", erklärte er. "Eigentlich besitzt er gar keinen Sinn dafür."

"Dann kann ich wohl froh sein, dass er das Bild noch nicht kennt."

Ja, aber …

"Ja, aber solche Schmähschriften bringen uns in Teufels Küche", platzte Tichon heraus.

Sein Gegenüber hob skeptisch die Augenbrauen. "Uns?"

Tichon nickte. "Uns" wiederholte er. "Wenn mein Vater herausfindet, dass in meiner Einheit solche Texte über ihn im Umlauf sind, stellt er Sie an die Wand und ich darf die nächsten zehn Jahre meines Lebens in Sibirien verbringen. Ich will nicht nach Sibirien."

"Niemand will nach Sibirien", stimmte ihm sein Gegenüber zu. "Aber manche Dinge sind es wert es zu riskieren."

Tichon legte den Kopf schief. "Welche Dinge?", rutschte es ihm heraus.

"Die Wahrheit", zählte sein Gegenüber auf, "Gerechtigkeit, Familie, Freundschaft ... "

Halt einfach die Klappe!

Tichon schüttelte den Kopf. "Vielleicht wäre ich ja bereit für Freundschaft, Wahrheit und Gerechtigkeit nach Sibirien zu gehen", räumte er ein, "Aber derzeit kann ich mir das wirklich nicht leisten. Ich muss meinen kleinen Bruder finden, bevor er von einem übereifrigen Deutschen erschossen wird."

"Ich hab gehört, im Siebten hat ein ganz und gar nicht übereifriger Soldat seinen eigenen Offizier erschossen", berichtete sein Gegenüber prompt.

Tichon sah ihn skeptisch an. "Warum denn das?", wollte er wissen.

"Schlechtes Essen, schlechte Behandlung, fehlende Waffen ..." Er zuckte mit den Schultern. "Wer weiß? Was ich damit sagen wollte, war: 'Die Gefahr lauert auch in den eigenen Reihen'."

"Auf die Information hätte ich gerne verzichtet", hielt Tichon dagegen.

Sein Gegenüber schüttelte den Kopf. "Nur weil du es nicht hören willst, heißt das nicht, dass die Gefahr nicht trotzdem besteht", erinnerte er ihn.

"Wer bist du? Kassandra?"

"Wenn's sein muss, ja. Aber die Meisten hier nennen mich schlicht Slava." Er atmete tief durch. "Hör zu, wenn du willst, kann ich meine Kontakte fragen, unter welchen Offizieren sie derzeit dienen. Also vorausgesetzt die Frage ist dir nicht zu unpatriotisch."

Tichon schnalzte mit der Zunge. "Wie wär's, du hältst die Klappe und fängst schon mal an zu schreiben?"

Ich brauche eine Pause

Stapelweise Briefe später, ließ sich Slava erschöpft auf dem Stuhl zurücksinken. "Ich brauche eine Pause", murmelte er.

Tichon blickte skeptisch von seinen eigenen Papieren auf. "Ich bin überrascht, dass du so viele Kontakte hast", stellte er fest, während er mit der Hand in der Schublade seines Schreibtischs verschwand.

"Es gibt halt viele, die ähnlich denken wie ich", entgegnete Slava, während Tichon eine halbvolle Packung Teegebäck hervorzog. Wortlos schob er Slava die Kekse entgegen. "Wenn ich dir einen guten Rat geben darf", begann er und warf einen misstrauischen Blick in Richtung Fenster, "Kau schnell, bevor Sascha das Knistern der Verpackung hört."

Immer auf die Kleinen

Noch bevor Slava fragen konnte, was genau daran das Problem war, erschien ein Schatten vor dem Fenster. Tichon stieß ein leises Seufzen aus. "Hallo Sascha", murmelte er.

Der Junge lehnte sich über den Fensterrahmen hinweg in das Zimmer hinein. "Ist schon Zeit für die Teepause?", fragte er neugierig. Seine Augen hefteten sich auf die Packung mit dem Teegebäck.

Slava guckte von seinem Keks zu Sascha und wieder zurück. Dann erhob er sich, um dem Jungen die Kekse zum Fenster zu bringen. Dieser begann zufrieden zu futtern. "Sir?", fragte er zwischen zwei Bissen, "Denken Sie man schickt Ihnen bald wieder neue?"

Es könnte so einfach sein

Tichon zuckte mit den Schultern. "Es könnte so einfach sein, könnte ich einfach in den nächsten Laden gehen und welche kaufen", erklärte er. "So werden wir warten müssen, bis Clifford seinen nächsten freien Tag hat und Zeit findet, die Besorgungen zu erledigen."

Sascha nickte eilig. "Ich hoffe das ist bald. Denken Sie, er kriegt auch wieder Teigkringel? Oder Quarkküchlein? Quarkküchlein wären auch ganz toll."

Slava hüstelte leise. "Quarkküchlein würde ich nicht empfehlen", erklärte er Sascha.

Der schenkte ihm einen neugierigen Blick. "Warum nicht? Magst du die nicht?"

"Was glaubst du, passiert mit dem Quark während seiner Zeit in der Post?"

Runter kommen sie immer

Der Gedanke an ranzigen Quark sorgte dafür, dass Sascha für einen Moment von seiner gebäckförmigen Wolke herunter kam. Stattdessen verzog er angewidert das Gesicht und versuchte krampfhaft, sich nicht zu schütteln.

"Du hast recht", stimmte er Slava schließlich zu, "Vielleicht besser doch kein Quark."

Slava erwiderte irgendetwas darauf, doch Tichon hörte den Beiden nicht weiter zu. Er dachte an Zuhause, an Clifford und – seltsamerweise – auch an Quarkgebäck. Und noch ein Gedanke machte sich in ihm breit. Wenn er sein Gebäck von Clifford bekam und Clifford nicht wusste, wie sein Bruder zu erreichen war, bekam der am Ende etwa gar nichts?

Wir schaffen das

Er musste besorgt ausgesehen haben, denn als Tichon wieder aus seinen Gedanken auftauchte, starrten die Anderen ihn an. "Ist ... alles in Ordnung?", fragte Slava ihn.

"Es geht schon", entgegnete er, "Ich habe mich nur gefragt, ob mein Bruder eigentlich gar keine Pakete von Zuhause erhält."

"Keine Pakete?", fragte Sascha und lehnte sich noch weiter ins Zimmer hinein. "Aber dann bekommt er ja gar kein Teegebäck!"

"Wir werden ihn schon finden", murmelte Slava, "Und bis dahin macht euch nicht zu viele Sorgen. Er hat doch bestimmt auch Freunde, die an ihn denken. Ich meine, die hat doch jeder, oder etwa nicht?"

Das hast du schön gesagt

Tichon musste zugeben, dass er keine Ahnung hatte, ob sein Bruder Freunde hatte. Der Altersunterschied zwischen ihnen hatte stets dafür gesorgt, dass sie sich nicht zu nahe gekommen waren. Als Nazar auf die Schule gekommen war, hatte Tichon längst seinen eigenen Freundeskreis gehabt und Tichons Interessen hatte sein Bruder ohnehin noch nie geteilt. Er war eben einfach anders als er. Trotz der düsteren Gedanken zwang er sich zu einem Nicken. "Das hast du schön gesagt", pflichtete er Slava bei, "Und wahrscheinlich hast du recht damit. Aber selbst wenn nicht, wir werden ihn finden und dann bringen wir ihn wieder heim."

Ich kam, sah und …

Als Erich das Lager das erste Mal betrat, war er nervös. Er hatte Herrn von Tufen versprochen, sich umgehend im Lazarett zu melden und genau da wollte er auch hin. In seiner Tasche hatte er ein dickes Empfehlungsschreiben. Herr von Tufen hatte es selbst aufgesetzt und es war voll mit blumigem Lob bezüglich seiner Arbeit. Es würde ihm erlauben sofort im Lazarett anzufangen. Doch je näher er dem weißgetünchten Zelt mit dem roten Kreuz darauf kam, desto schwerer fiel es ihm, noch weiter zu gehen. Was er sah, was er roch, all das erinnerte ihn an eine Zeit die er eigentlich schon fast vergessen hatte. Es erinnerte ihn an die letzten Tage im Leben seiner Mutter. An ihre endlosen Therapien und all das endlose Leid. Er spürte, wie ihm die Galle hoch kam und er blieb stehen.

Einen Moment lang kämpfte er mit sich selbst, dann machte er einen Schritt zurück. Er konnte es einfach nicht tun. Herr von Tufen würde nicht glücklich darüber sein, aber Arbeit mit Kranken ... mit Sterbenden ... Das konnte er einfach nicht. Und es waren nur ein paar Wochen. Ob er die jetzt im Lazarett oder an der Waffe ableistete, machte sicher keinen so großen Unterschied.

Das ist nicht mein Problem

Wie erwartet, war Herr von Tufen stinkesauer. Er schickte ihm einen bitterbösen Brief, der ihn noch einmal eindringlich aufforderte, es doch wenigstens zu versuchen. Doch insgeheim schien er zu ahnen, dass das Erich nicht umstimmen würde, denn im P.S. kündigte er an, den einen oder anderen Gefallen einfordern zu wollen.

Was das genau bedeutete, wusste Erich nicht. Es war auch nicht sein Problem. Wenn Herr von Tufen meinte, dass irgendein Gefallen die Situation verbessern würde, dann sollte er es halt probieren. Er war vielleicht alt, aber nicht dumm. Und Erich war nicht dumm genug, seine Hilfe noch einmal auszuschlagen.

Du Penner!

"Geh mir aus dem Weg, du Penner!", grunzte einer der Männer und schwenkte etwas, das mit viel gutem Willen vielleicht als Bier bezeichnet werden konnte. Erich runzelte die Stirn, aber er wich keinen Millimeter weit.

"Wie hast du mich gerade genannt?", erkundigte er sich stattdessen.

Der Soldat vor ihm grinste ihn breit an. "Ich hab nen Penner Penner genannt", lallte er dann.

Um sie herum begannen die ersten Soldaten sie unauffällig zu beäugen. Erich wusste was das bedeutete. Sie loteten gerade seine Grenzen aus.

Kurzentschlossen ballte er die Hand zur Faust. Den ersten Haken würde sein Gegenüber nicht kommen sehen.

Habe fertig

"Sie können froh sein, dass wir bereits fertig mit Ihnen sind!", schimpfte der Hauptmann und Erich musste sich voll und ganz auf seine Rangabzeichen konzentrieren, um ihm keine angemessene Antwort entgegenzuschleudern. Es war nicht seine Schuld, dass es zur Prügelei gekommen war. Sein Gegenüber hatte es provoziert. Und er stand jetzt nur nicht neben ihm, weil er noch nicht wieder in der Lage war, gerade zu stehen. Ein Umstand, den er zu neunzig Prozent dem Alkohol verdankte und vielleicht zu Zehnen Erichs Faust, die ihn im Gesicht getroffen hatte. Aber der Hauptmann hatte recht.

Mit diesem Lager war er fertig.

Du kannst nicht alles haben

Das neue Lager war etwas weitläufiger als das Alte und es wehte eine andere Standarte darüber im Wind. Der preußische Adler starrte von dort oben auf ihn herab. Er wirkte streng, starr und ein bisschen wie ein dickes, unförmiges, schwarzes Suppenhuhn.

Der Weg ins Meldebüro war gut ausgeschildert und demnach leicht zu finden. Dafür nahm das Lazarett in diesem Lager deutlich mehr Raum ein, als in seinem letzten. Erich seufzte, während er aus den Augenwinkeln eine Gruppe Krankenpfleger dabei beobachtete, wie sie für den Ernstfall probte. Wahrscheinlich hatten die Leute recht, wenn sie sagten: "Man kann eben nicht alles haben."

Ich bin ein Berliner

Im Meldebüro musterte ein müde aussehender Beamter Erich von oben bis unten. "Sie sind uns hier schon angekündigt worden", brabbelte er nervös in seine Akten hinein. Erst als er mit seinen Notizen fertig war, blickte er ihm wieder in die Augen. Einen Moment lang starrte er fast schon durch ihn hindurch, dann fand sein Blick den Weg zu seinen Schulterklappen.

"Und Sie sind ein Berliner?", fragte er dann.

Erich hatte keine Ahnung, wie sein Gegenüber auf den Trichter kam, doch statt ihn zu korrigieren, grinste er breit: "Mia könne alles außer Hochditsch", erwiderte er in seinem besten Badisch, "Sie au?"

Fängst du schon wieder damit an?

"Sie müssen zu Unterkunft Drei", erklärte der Beamte ihm extra langsam. Er zeigte in eine Richtung und fuchtelte gleichzeitig mit drei Fingern vor seiner Nase herum.

Vielleicht hätte er sich den Ausflug ins Badische doch sparen sollen, aber das Gesicht seines Gegenübers hatte so witzig ausgesehen, dass Erich die idiotische Behandlung stoisch ertrug.

"Dankscheen", schwätzte er einfach weiter und war für einen Moment versucht, absichtlich erst einmal in die falsche Richtung zu marschieren. Doch dann wurde ihm klar, dass der Mann ihn mit Pech persönlich zu seiner Unterkunft bringen würde und wer wollte schon einen Spießer am Arsch kleben haben?

Ich will mein Geld zurück

"Ich will mein Geld zurück", scherzte Erich als er durch die Tür seiner neuen Unterkunft trat. Die Stube war nicht sonderlich groß und mehr schlecht als recht auf zwei Bewohner ausgelegt. Aber wenigstens gab es einen Tisch an dem er arbeiten konnte. Zumindest theoretisch, denn im Augenblick war sein Arbeitsplatz besetzt. Sein Zimmergenosse musterte ihn neugierig über das Objekt seiner Begierde hinweg.

"Wenn Sie das jetzt schon wollen, bin ich gespannt, was Sie nach dem Essen sagen", entgegnete er ihm.

Erich schenkte ihm ein breites Grinsen. "Wenn du schon so anfängst, sag ich nach dem Essen vermutlich gar nichts mehr."

Du kannst mich mal

"Du kannst mich mal darüber aufklären, welches dein Bett ist", plapperte Erich weiter, "Sofern ich am Abendbrot nicht krepiere, würde ich nämlich gerne auf etwas liegen, während ich versuche, mich daran zu erinnern, wie ein guter Eintopf schmeckt."

Sein Gegenüber deutete auf eines der Betten. "Ich habe bislang immer da geschlafen."

Erich nickte. "Gut, dann gehört das Bett auf der anderen Seite mir. Und wo wir gerade bei Grundsatzfragen sind ... Gibt es irgendwelche Stubenregeln, die ich kennen müsste?"

"Sowas wie Strammstehen wenn sich ein ranghöherer Offizier herein verirrt?"

"Ich hatte mehr an sowas wie eine Socke an der Türklinke gedacht ..."

Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!

"Oh Gott, ich liebe dich!", verkündete Erich. "Du bist groß, wunderschön, blond und schlicht und einfach perfekt. Wo warst du nur mein ganzes Leben lang?"

"Erich!", unterbrach Leo brüsk seinen Liebesschwur, "Das ist peinlich."

Der Angesprochene unterdrückte mit Müh und Not ein breites Grinsen. "Aber Leo", erwiderte er, "Das wird man ja wohl noch sagen dürfen."

"Wenn du das zu einem der Küchenmädchen sagen willst, meinetwegen, aber die Männer da drüben gucken schon."

Erich zuckte mit den Schultern. "Sollen sie gucken. Sie empfinden halt nicht das Gleiche wie ich."

"Da hast du wahrscheinlich recht. Immerhin ist dein Augenstern ein Löwenzahn."

Hört, hört!

 

"Warum redet Franz eigentlich immer mit dir, als wärst du dumm?", fragte Leo ihn am Abend.

Erich, der gerade den Löwenzahn sezierte, setzte sein Messer ab.

"Ach, der hält mich für einen Berliner", entgegnete er im besten Plauderton.

"Berliner wie die Stadt Berlin?", fragte Leo noch einmal. Sie hatten bereits feststellen müssen, dass sie gelegentlich Probleme mit dem Vokabular des jeweils anderen hatten. Wenn Erich zu sehr schwätzte, verstand Leo ihn nicht mehr und wenn Leo ins Pommersche rutschte, ging es Erich ebenso.

Doch dieses Mal nickte er. "Berlin wie Berlin."

"Hört, hört. Weißt du, wie er darauf gekommen ist?"

 

So was fragt man nicht

"Ehrlich gesagt, dachte ich, nach sowas fragt man nicht", entgegnete Erich. "Es hätte bedeutet, Franz' Weltstadtträume zu zerstören und es wäre peinlich für ihn geworden. Immerhin ist der Unterschied zwischen Berlin und Baden schon erheblich."

"Zugegeben", stimmte Leo ihm zu. "Aber du weißt, dass dein Schweigen es nicht besser macht?"

Erich runzelte skeptisch die Stirn.

"Gestern hat er mich gefragt, wie es so sei, mit einem Großstädter zusammenzuwohnen."

"Und was hast du gesagt?"

"Das im Vergleich zu unseren Ländereien in Pommern fast jeder Ort wie eine Großstadt wirkt."

"Und was meinte er dazu?"

"Das ich ihm rote Grütze besorgen soll."

Alle anderen dürfen das

"Na wenn alle anderen sich jetzt schon was wünschen dürfen: Ich hätt wirklich gerne mal ein Fischbrötchen", erklärte Erich amüsiert.

"Wieso ausgerechnet ein Fischbrötchen?"

"Weil Josef immer erzählt hat, die wären toll."

"Wer ist Josef?"

"Josef war ein Schulfreund von mir. Er hat seine Ferien immer an der Küste verbracht. Und wenn er wieder kam, hat er uns lang und breit von all den leckeren Fischbrötchen auf seiner Reise erzählt."

Leo nickte langsam. "Verstehe", murmelte er. "Aber Erich, soll ich dir was verraten?"

"Hmm?", entgegnete er.

"Die Fischbrötchen sind wirklich gut, aber der gebackene Spickaal ist noch um einiges besser."

Wenn du so weitermachst, kriegst du nie jemanden ab

"Wenn du so weitermachst, kriegst du nie Jemanden ab", schimpfte eine ältere Dame. Erich warf dem angesprochen Mädchen einen mitfühlenden Blick zu, doch sie bemerkte es nicht. Stattdessen drückte sie den Rücken durch, bevor sie dem nächsten Soldaten ein Päckchen überreichte. "Einmal Schokolade, bitte schön", flötete sie mit einem falschen Lächeln, das ihre Mutter schon wieder zu verärgern schien.

"Nein, nein, nein Kind. Wie oft muss ich es dir noch sagen? Das Lächeln ist nur für Offiziere. Ein Leutnant sollte es mindestens sein ..."

Das war der Moment, in dem Erich aus der Reihe trat. Auf solche Begegnungen konnte er verzichten.

Stell dich nicht so an!

"Jetzt stell dich nicht so an!", keifte die Alte, als Erich sich zum Gehen wandte. Die Lust auf Schokolade war ihm vergangen.

"He Erich", rief Rudi, ein paar Reihen hinter ihm. "Hast du die Marschrichtung verwechselt?"

Erich schüttelte den Kopf. "Nee, mir ist nur wieder eingefallen, dass ich Schokolade nicht mag."

Rudi schenkte ihm ein dünnes Lächeln. "Weißt du, ich glaube die meisten Jungs sind nicht wegen der Schokolade hier, aber wenn du meinst, bleibt eben mehr für mich."

Erich rollte mit den Augen. "Dir ist aber schon klar, dass du die Praline nur im Doppel mit dem Drachen kriegst?"

Du bist mein Held

Als Erich seine Stube betrat, sah Leo verdächtig selbstzufrieden aus.

"Na, hast du eins der Päckchen bekommen?", wollte er wissen.

Erich schüttelte den Kopf. "Ehrlich gesagt war mir der Preis dafür zu hoch", murrte er, während er einen der Holzstühle zu Leos Bett hinüber schob. "Und? Hattest du Erfolg in der Poststation?"

Leo nickte, während Erich sich unzeremoniell auf den Stuhl plumpsen ließ. "Käthe hat mir einen Brief geschrieben", berichtete er stolz.

Erich legte den Kopf schief. Er konnte sich nicht erinnern, dass Leo mal eine Freundin namens Käthe erwähnt hatte. "Und was schreibt sie dir?"

"Ich bin ihr Held."

Kindermund tut Wahrheit kund

Leo reichte Erich einen kunterbunten Brief. Jemand hatte die ganze Seite mit Blumen vollgemalt. Sie sahen ein wenig unförmig aus, aber mit etwas Phantasie glaubte Erich darin Ringelblumen zu erkennen.

"Ihr Seitenschmuck hilft gut gegen Hautausschlag", murmelte er, während er die Zeilen überflog. Schnell wurden ihm dabei zwei Dinge klar. Käthe war sicher nicht Leos Freundin. Ihrem Schriftbild nach, war sie vielleicht sechs oder sieben Jahre alt und vermutlich eher seine Schwester oder eine Cousine. Und scheinbar war sie – trotz sehr seltsamer Vorstellungen von einem Krieg – verdammt stolz auf ihn. Erich schmunzelte, als er Leo den Brief zurückgab.

"Na dann, du großer Held", scherzte er und noch bevor Leo Einspruch erheben konnte, hängte er noch schnell ein "Du weißt, was man sagt", an seine Behauptung an. "Kindermund tut stets die Wahrheit kund. Und es wäre doch eine Schande, ausgerechnet jetzt mit dieser Theorie zu brechen. Ich finde, wir sollten ihr antworten und ihr ausführlich von deinen großen Taten berichten. Hast du nicht letzte Woche erst einem neuen Kameraden das Leben gerettet?"

"Also eigentlich hab ich ihm nur gesagt, dass er nie wieder vom Donnerbalken kommt, wenn er diesen Eintopf isst."

"Perfekt! Also es war in einer dunklen und gespenstischen Nacht ..."

Das kann doch jeder

"Ich verstehe echt nicht, wie du das so gut hinbekommst", lobte Rudi und begutachtete stolz den Tiegel, in dem eine maisgelbe Salbe schimmerte. "Ich war mit dem Ausschlag schon drei mal im Lazarett", berichtete er, "Aber zwei mal haben die mich einfach wieder weggeschickt und beim dritten Mal wurde mir gesagt, ich solle mich öfter waschen. Als ob ich nicht jede Chance nutzen würde, um mich wenigstens ein bisschen sauberer zu fühlen. Aber egal was du in diese Salbe mischst, das Zeug hilft einfach prima."

Erich winkte ab.

"Ach, nicht der Rede wert", entgegnete er bescheiden, "Das kann doch jeder."

Der tut nichts

"Wo ist er?!", donnerte der Arzt, doch Leo schüttelte stoisch den Kopf. "Wie ich Ihnen bereits mitgeteilt habe, ist er für Sie nicht zu sprechen", erklärte er dem aufgebrachten Mediziner.

"Und ich habe Ihnen bereits mitgeteilt, dass er nicht einfach herumlaufen und komische Tinkturen an meine Patienten verteilen kann!"

"Aber Erich tut ihnen nichts", versicherte Leo noch einmal, "Er gibt lediglich Salben an unsere Kameraden aus."

"Tinkturen, die ich nicht autorisiert habe!"

"Also wissen Sie, wenn Sie im Vorfeld eine entsprechende Behandlung der Leute autorisiert hätten, müsste er auch nichts Unautorisiertes an sie herausgeben."

Der Doktor schnappte nach Luft. "Unverschämtheit!"

Kult-Ikone (Oscar Wilde)

"Unabhängigkeit bedeutet alles", pflegte sein Vater manchmal zu sagen und Gabriel liebte diesen Satz von ganzem Herzen, denn er bedeutete, dass sein Vater in Redelaune war. Und wenn sein Vater in Redelaune war, erzählte er die schönsten Geschichten. Von Freibeutern und Piraten, die ihren Weg nach St. Malo gefunden hatten und von dort in alle Welt gefahren waren.

Er erzählte von Freiheitskämpfern, die für das eintraten, was sie liebten und nicht selten kläglich dabei scheiterten.

Gabriel liebte diese Geschichten und auch das Zitat, das sie einzuleiten pflegte. Doch es dauerte, bis er verstand, was sein Vater ihm damit sagen wollte.

Pronomen

Manchmal nahm sein Vater ihn auf seine Überfahrten mit, die zwar nicht immer legal, dafür aber um so profitabler waren. Die Leute, die sie dabei trafen, waren ein bisschen sonderbar. Sie schenkten Gabriel Steine mit seltsamen Formen darin, mochten Süßigkeiten mit Pfefferminz und sprachen eine ganz andere Sprache als er. Einer verwendete sogar "elle" für ihn.

Doch als er seinem Vater davon erzählte, lachte der nur und tätschelte ihm liebevoll den Kopf. Dann beugte er sich zu ihm hinab und flüsterte ihm ein neues Wort ins Ohr, das ihm dabei half, dem Fremden zu erklären, was er gerade wissen wollte.

Akzeptanz

Mit dreizehn küsste er Françoise hinter dem Laden seiner Eltern, Sekunden nur, bevor sein Vater um die Ecke bog. Dieser sagte nichts dazu. Nicht einmal als das Mädchen mit hochrotem Kopf davonstürmte. Erst als er sicher war, dass sie gegangen war, schenkte er seinem Sohn ein Lächeln. "Ich glaube, wir müssen über gewisse Dinge sprechen", erklärte er und fing auch sogleich damit an.

Als Gabriel vierzehn war, erwischte sein Vater ihn ein weiteres Mal. Nur war aus Françoise inzwischen Bernard geworden. Als der gegangen war, lächelte sein Vater abermals. "Ich hoffe, irgendwann kommt einer deiner Partner mal durch unsere Vordertür."

Blauhai

Gabriels Vater war kein Fischer. Trotzdem kannte er sich ziemlich gut mit dem Hochseeangeln aus. Gabriel erinnerte sich gut an den Tag, an dem er zusammen mit ein paar Freunden einen Blauhai aus dem Meer gezogen hatte. Seine kleine Schwester hatte mit großen Augen neben ihm gestanden und den riesigen Fisch bewundert. Gabriel, der selbst schon ein paar mal hatte helfen dürfen, grinste sie an.

"Wärst du ihm im Wasser begegnet, hätte er dich aufgefressen", neckte er sie. Seine Schwester blickte empört zurück. "Unsinn", entgegnete sie, "Wenn, dann hätte er dich gefressen. Wir wissen beide, an dir ist mehr dran."

Hinten im Schrank

An dem Tag, an dem er in den Krieg zog, hatte sein Vater für ihn seine alte Uniform angelegt. Normalerweise hing sie ganz weit hinten im Schrank, doch heute strahlte sie, wie an ihrem ersten Tag. Die Stiefel waren blank geputzt und seine Orden blinkten. Als er für ihn salutierte, hielt Gabriel automatisch den Atem an.

Wie oft hatte er davon geträumt, einmal diese Matrosenmütze zu tragen? Und wie oft hatte sein Vater ihm erklärt, dass der Dienst auf einem Kriegsschiff alles andere als erstrebenswert war? Und so hatte er keinen roten Pompon bekommen, sondern nur ein paar rote Hosen.

Fabulös (TW: Krieg)

Sein Leben als Soldat war nicht sehr fabulös. Im Gegenteil. Viel zu viele seiner Kameraden fanden in den ersten Tagen und Wochen des Krieges ein jähes Ende. Erschossen beim Erstürmen eines Hügels, irgendwo im Nirgendwo. Wer übrig blieb, der buddelte sich ein und hielt irgendwie die Stellung zwischen Schlamm, Dreck und Granattrichtern, entschlossen dem Feind so wenig Angriffsfläche wie möglich zu bieten.

Gabriel hatte Glück. Sein leitender Offizier verstand kein Wort Englisch und die benachbarten, britischen Truppen schienen kein Wort von seinem schnellen Pariser Französisch zu verstehen. Er brauchte einen Übersetzer. Ein Posten, den Gabriel nur all zu gerne übernahm.

Blau

Als er endlich versetzt wurde, fiel Gabriel ein zentnerschwerer Stein vom Herzen. Er wusste nicht, womit er das verdient hatte, aber er war mehr als glücklich darüber. Mit Freuden würde er beliebig vielen Amerikanern erklären, wie sie am besten eine Grabenkeule bauten. Hauptsache er musste seine eigene nicht verwenden.

Es würde bestimmt interessant werden. Ein neues Abenteuer. Immerhin hatte er noch nie einen Amerikaner getroffen. Er wusste nichts über ihre Sitten und Bräuche und genauso wenig über ihre Interessen.

Das Einzige was er wusste war: Er würde zwischen ihnen wohl wieder auffallen und das nicht nur dank seiner horizontblauen Uniform.

Du bist so Klischee

Gabriel sollte recht behalten. Im neuen Lager fiel er auf wie ein bunter Hund. Neben den grünen Uniformen der Briten und Amerikaner stach das Blau seiner Uniform besonders hervor. Seine blonden Haare waren inzwischen kinnlang und wehten an guten Tagen fröhlich im Wind. - An Schlechten wehten sie auch, während Gabriel vor dem Stabsfrisör floh.

Aber das wussten seine neuen Kameraden noch nicht. Was sie wussten war, dass er gut aussah und ein Freund von üppigen Komplimenten war.

Um so mehr ärgerte es Gabriel, als einer von ihnen ihn mit den Worten "Du bist so ein Klischee", einfach stehen ließ.

DAS ist meine Familie

"Hast du die Kleine von der Postausgabe gesehen?", fragte ihn Jérôme und grinste breit. "Die ist süß. Blond, blaue Augen, hübsches Lächeln. Hätte nichts dagegen, wenn die mir öfter meine Briefe bringt."

Gabriel reagierte mit einem Zähneknirschen darauf. Denn ja, er hatte "die Kleine" gesehen. Vor einer Stunde schon, als Marcel ihm etwas ganz ähnliches erzählt hatte.

In froher Erwartung hatte er durch die Tür der Poststelle gespäht, drauf und dran einen Flirt mit einem süßen Mädchen zu beginnen. Doch dann hatte sie sich umgedreht und ihm war es wie Schuppen von den Augen gefallen. Die "Kleine" war seine Schwester.

Fummel

"Was machst du hier? Und was soll dieser Fummel?", stellte er seine Schwester zur Rede.

Die lächelte nur. "Der Fummel, wie du ihn nennst, ist die offizielle Dienstbekleidung für weibliche Angestellte der Post. Ich trage ihn, weil ich bei der Post arbeite. Ich gebe Briefe aus."

Gabriel schnappte nach Luft. "Weiß unsere Mutter das du das tust?", wollte er wissen.

Marielle zuckte mit den Schultern. "Papa wollte es ihr erzählen", informierte sie ihn.

"Also weiß sie es nicht", schlussfolgerte Gabriel. "Dir ist klar, dass ihr das nicht gefallen wird, nicht wahr?"

Marielle grinste. "Sie kann sich ja per Post beschweren."

Kunterbunt

Gabriel traute seinen Augen nicht. Er wusste, was er gerade gesehen hatte, doch eigentlich konnte das überhaupt nicht sein. Es gab in diesem Lager grüne Uniformen, es gab blaue Uniformen und es gab ein paar vereinzelte Dunklere, die zu den höheren Offizieren gehörten.

Auf keinen Fall gab es Soldaten mit kunterbunter Uniform. Das hätte ja auch keinen Sinn ergeben. Immerhin hatte man die roten Hosen abgeschafft, weil sie zu auffällig waren. Da war doch keiner so blöde und führte eine Uniform in Regenbogenfarben ein. Nein, er konnte unmöglich so eine Uniform gesehen haben. Es war bestimmt eine optische Täuschung gewesen.

Knoblauchbrot

Es war kein sehr schöner Tag. Dicke Wolken hingen am Himmel und zum Mittag hatte es Knoblauchbrot gegeben. Nur ohne Knoblauch oder Kräuter dazu. Gabriel hatte es gehasst. Genauso wie er die dummen Sprüche gehasst hatte, die Julien über seine Schwester losgelassen hatte. Gut, vielleicht hätte er ihm deshalb nicht gleich das knoblauchlose Knoblauchbrot in den Mund stopfen müssen, aber Julien sollte ruhig wissen, was ihm blühte, wenn er weiter solche Sachen über seine kleine Schwester sagte.

Seufzend wandte Gabriel sich wieder dem Berg voll Kartoffeln zu. Wenn er noch ein paar Kilo schälte, hatte er seine Strafe endlich abgearbeitet.

Mann oh Mann

Er hörte die Eindringlinge lange bevor sie ihn bemerkten. Es waren Amerikaner, sie waren zu Zweit und sie hatten ein gerupftes Huhn dabei. Gabriel wusste nicht, wie sie da rangekommen waren, aber er wusste, was passieren würde, wenn die Köchin zurückkehrte und das fehlende Geflügel bemerkte. Also griff er nach seinem Bajonett und schob sich um den Berg aus Kartoffeln herum.

Es war nicht sonderlich schwer, sich an sie heranzuschleichen. Der Größere der Beiden war mit dem Huhn beschäftigt und der Kleinere starrte hochkonzentriert aus dem Fenster. Erst als Gabriel die Spitze seiner Waffe zwischen seine Schulterblätter drückte, zuckte letzterer zusammen.

"Was macht ihr da?", verlangte er auf Französisch zu erfahren und nun fuhr auch der Andere zu ihm herum.

"Es ist nicht so wie es aussieht", beteuerte er auf Englisch, doch er hätte wohl auch alles Andere sagen können. Sein kleiner Freund blubberte irgendeinen Unsinn, aber Gabriel hörte schon nicht mehr wirklich hin. Er sah nur dunkle Augen, schmale Lippen und ein ausnehmend hübsches, wenn auch besorgtes Gesicht. Er versuchte zu schlichten und Gabriel wurde klar, egal was die Zwei auch angestellt hatten, er würde sie nicht verpfeifen. Dafür fand er den Größeren der Beiden spontan viel zu süß.

Be gay, do crime

"Wenn ihr mir beim Kartoffelschälen helft, vergesse ich, dass ich euch in der Küche gesehen habe", schlug Gabriel den Amerikanern vor und der Kleinere von Beiden begann sofort freudig zu nicken.

"Das ist ein prima Deal! Keine Sorge, ich bin echt super im schälen!", behauptete er. Sein hübscher Freund guckte etwa genauso misstrauisch wie Gabriel sich fühlte. Vielleicht war es eine dumme Idee gewesen, die Beiden um Hilfe mit seinem Kartoffelberg zu bitten.

Der Größere – Percy, wie er inzwischen erfahren hatte – wirkte zwar, als hätte er das schon mal gemacht, sein kleiner Freund dagegen, benahm sich einfach nur merkwürdig. Er hüpfte um die Kartoffeln herum, plapperte irgendwas, was Gabriel so schnell unmöglich übersetzt bekam und schließlich zog er auch noch einen Stock hervor.

Einen Moment lang glaubte Gabriel, es wäre vielleicht ein seltsames Taschenmesser, doch nein, es war ein Stock. Eindeutig ein Stock. Und nun wackelte er auch noch damit und –

Gabriel sah, wie eine Kartoffel sich in Bewegung setzte. Dann eine Zweite und schließlich schwebten drei dicke Kartoffeln irgendwie in der Luft herum. Er hatte keine Ahnung was das war und wie es funktionierte und Percys Stöhnen nach zu urteilen, hätte er das eigentlich wohl auch nicht erfahren sollen.

Grün

Percy hatte nicht nur die schönsten Augen, die Gabriel je gesehen hatte, er hatte auch sehr spannende Talente. Eines von ihnen war der grüne Ein-Dollar-Schein, der schon seit fünf Minuten über seinen Fingerspitzen schwebte.

Als er damit begonnen hatte, hatte Gabriel neugierig seinen Finger in den Zwischenraum gesteckt, halb in der Hoffnung vielleicht doch einen versteckten Faden zu entdecken, doch egal was er auch machte, er fand einfach nichts und Percy machte ganz geduldig einfach weiter. Nur wenn einer ihrer anderen Kameraden näher kam, hob Percy eilig zwei Finger an und ließ es so aussehen, als balancierte er den Schein.

Sichtbar

Percys Nähe machte Gabriel spontan auch für andere Magier sichtbar. Es dauerte ein paar Tage, dann winkte ihn Percys Leutnant zu sich.

"Ich habe gehört, Sie sprechen gutes Englisch?", erkundigte er sich neugierig.

Gabriel nickte eifrig. "Ja, Sir", entgegnete er ihm.

"Wunderbar", erwiderte der Leutnant, "Dann sind Sie genau der Mann, den ich gerade brauche. Wären Sie so nett, meinem französischen Kollegen zu erklären, dass ich nicht ein Wort von dem verstehe, was er mir gerade zu erzählen versucht?"

Gabriel nickte erneut. "Natürlich Sir. Seit wann können Sie ihm denn schon nicht mehr folgen?"

"Seit er das Gespräch begonnen hat."

 

Der erste Stein

Auf die erste Übersetzung hin folgte schnell eine Zweite und schließlich auch eine Dritte. Und nachdem Gabriel einen besonders seltsamen Bericht über die aktuellen und zukünftigen Bestände an Handgranaten übersetzt hatte, bei dem sich der Verfasser offensichtlich nicht hatte entscheiden können, ob er nun auf Englisch oder Französisch berichtete, hatte er den amerikanischen Leutnant soweit. Er wollte ihn behalten.

Letztlich sollte Gabriel nie herausfinden, was Leutnant Harper seinem Vorgesetzten im Tausch für ihn anbot, aber es interessierte ihn auch nicht besonders. Wichtig war nur, dass er als offizieller Übersetzer übernommen wurde und das hieß, dass er bei Percy bleiben konnte.

Rot

Während er Percy einfach toll fand, fand Gabriel seinen Kumpel mit jedem neuen Tag merkwürdiger. An Michael D. Murphy war einfach nichts normal. Während die anderen Amerikaner sich im Schießen übten, das Maschinengewehr auf und wieder abbauten und wenigstens interessiert nickten, wenn es um Gasmasken und Grabenkeulen ging, verbrachte er seine Zeit am liebsten vor der Wäscherei.

Auf Gabriels Frage hin, warum er das tat, antwortete er verblüffend ungeniert: "Weil es da hübsche Mädchen gibt".

Dann grinste er und hüpfte von dannen, fest entschlossen, sich die Uniform rot zu färben, weil Rot ja bekanntermaßen die Farbe der immerwährenden Liebe war.

Verbündete

Er lernte David an einem Dienstag kennen. Seine Schwester hatte ihn stinkwütend von den Schießübungen weggezerrt und ihm berichtet, dass Murphy in der Poststation war und Briefe las. Auf seine Frage hin, was daran so schlimm sei, wies sie ihn barsch darauf hin, dass kein einziger der Briefe auch an ihn adressiert war. Und Gabriel verstand.

Ärgerlich betrat er die Poststation und genauso ärgerlich schnappte er sich Murphy am Kragen.

"Du kannst nicht einfach fremder Leute Post öffnen!", knurrte er ihn an und wollte ihn eigentlich an seiner Uniformjacke nach oben ziehen. Doch irgendwie rutschte Murphy aus seiner Jacke heraus und noch bevor Gabriel wirklich wusste, wie ihm geschah, war er ihm auch schon entwischt.

"Aber die Briefe sind für mich", behauptete Murphy standhaft und schnappte sich prompt einen weiteren Umschlag. "Da steht's!"

Gabriel griff nach dem Brief, doch Murphy war überraschend schnell und er bekam den Brief einfach nicht zu fassen.

"Zeig mal her", mischte sich da ein blonder Corporal ein und riss Murphy den Brief von hinten aus der Hand. "Der ist für einen Sean Darling", stellte er fest.

Murphy nickte einfach. "Sean ist mein vierter Vorname", behauptete er strahlend, "Und ich bin von Natur aus ein Darling."

Kein Lifestyle

"Er ist einfach so", erklärte ihm David einige Zeit später über einem Glas voll Wein. Sein Akzent klang geringfügig anders als Percys, doch es fiel Gabriel nicht sonderlich schwer, ihn dennoch zu verstehen.

"Manchmal glaube ich, es ist sein Lebensziel uns allen das Leben mit seinem "Lifestyle" schwer zu machen. Er ist nur glücklich, wenn er Dummheiten macht. Egal ob fremde Briefe lesen, lustige Sachen "mitnehmen" oder den Leuten auf die Nerven gehen. Er macht das alles schon seit Jahren.

Gabriel legte den Kopf schief, "Seit Jahren?", fragte er.

David nickte. "Manchmal glaube ich, er ist mein ganz persönlicher Fluch."

Bi-Cycle

David war kein Kind von Traurigkeit. Es dauerte keine Woche, dann hatte er Verehrerinnen in der Poststation, in der Wäscherei und bei den Hello Girls, einer Sondereinheit, bestehend aus Telefonistinnen. Gabriel fand das sehr charmant. Er flirtete gerne und es gefiel ihm, einen Kumpel zu haben, mit dem er seine Leidenschaft teilen konnte. Und manchmal überraschte David ihn sogar.

Dann flirtete er mit Kameraden aus anderen Einheiten, jungen Offizieren oder Pärchen, denen Gabriel eher aus dem Weg gegangen wäre. Doch David fing sich dafür höchst selten einen Rüffel ein. Die Meisten zeigten sich fasziniert von seiner Art und seinem Lächeln.

Gelb

"Percy? Schläfst du?", fragte Gabriel. Das Gemurmel der anderen Jungs war schon vor einer ganzen Weile verstummt.

Energisch stupste er seinen Freund. "Percy?", versuchte er es noch einmal. Endlich öffnete dieser seine Augen. "Hmm?", brummte er.

Gabriel strahlte ihn an. "Du, wenn du auch wach bist, könnten wir doch gemeinsam vor die Tür gehen."

Percy gähnte als Antwort. "Was willst du denn da draußen?", wollte er wissen, während er brav in seine Hosen stieg.

Gabriel strahlte weiter. "Um diese Zeit kann man Sternschnuppen sehen und ich dachte, bevor wir in die Gräben ziehen, könnten wir noch etwas goldgelbes Glück gebrauchen."

Das bist nicht du

Am Morgen ihres Aufbruchs erschien Marielle zu ihrer Verabschiedung. "Seid ja vorsichtig da draußen", ermahnte sie sie und ließ es sich nicht nehmen, sie alle der Reihe nach zu umarmen. Als sie schließlich bei ihm angekommen war, setzte Gabriel sein schönstes Grinsen auf.

"He", neckte er seine kleine Schwester, "Jetzt zieh nicht so ein Gesicht. Am Ende bleibt das noch so hässlich."

Zur Strafe stieß sie ihm den Ellenbogen in die Rippen. "Du bist so ein Arsch", echauffierte sie sich.

Insgeheim gab Gabriel ihr recht. Der Kommentar war nicht nett gewesen. Aber derart rührselige Abschiede waren einfach nicht sein Ding.

Schwule Pinguine

"Percy!", ertönte es hinter ihnen und Gabriel zuckte zusammen. Immer wenn Murphy so nach Percy schrie, bahnte sich eine Katastrophe an.

"Ja, bitte?", fragte dieser.

"Mein Pinguin ist kaputt", erklärte Murphy ihm.

Vor ihnen drehte sich David um. "Hat er gerade gesagt, sein Pinguin sei kaputt?"

Percy nickte. "Genau das hat er gesagt".

David runzelte die Stirn, Percy schaute skeptisch zurück und Gabriel, der musterte einen gigantischen Pinguin, der viel größer war, als die, die er manchmal in seiner Heimat zu sehen bekam. Das Tier schlug mit den Flügeln und versuchte nach Murphy zu schnappen, der es irgendwie schaffte, dem kräftigen Schnabel auszuweichen.

"Sie will einfach nicht brüten", klagte er.

"Kann ich verstehen", entgegnete David, "Würde ich an ihrer Stelle mit dir auch nicht tun."

Murphy zog einen Schmollmund. "Aber ich habe ihr schon ein Nest gebaut", klagte er und präsentierte seinen Rucksack. Dieser war bis auf etwas Stroh leer. Percy seufzte. "Erstens ist das ein Armeerucksack und kein Nest", erklärte er ihm und zweitens habe ich keine Ahnung, woher du wissen willst, dass das da ein Mädchen ist."

"Aber sie heißt doch René!", schoss Murphy zurück.

Gabriel hüstelte. "Du weißt aber schon, dass das in Frankreich ein Jungenname ist?"

Lila

Sie hatten Murphy aus den Augen verloren, doch Gabriel bedauerte es nicht. Seine Erfahrung sagte ihm, der kam schon zurecht. Typen wie er starben nicht im Graben. Die kamen wieder.

Neugierig blickte er zu David, der schon seit längerem die Gegend ausspähte.

"Siehst du eine Spur von ihm?", fragte er ohne großes Interesse.

David schüttelte den Kopf. "Ich sehe gar nichts", entgegnete er ihm. "Nur ein komisches, lilafarbenes Ding, drüben auf der anderen Seite."

"Ein Ding?", fragte Gabriel zurück und robbte automatisch ein bisschen näher an ihn ran.

"Lass mich auch mal gucken", forderte er und griff nach seinem Fernrohr.

Flagge zeigen

Gabriel sah ebenfalls etwas Lilafarbenes aus einem der Gräben schimmern. Er hatte keine Ahnung was das sein sollte und das gefiel ihm nicht. Doch gerade, als er das Fernrohr wieder absetzen wollte, entdeckte er doch noch etwas. Es war nur eine kleine Bewegung ganz am Rande seines Sichtfelds, doch als er zur Seite schwenkte, um es sich genauer anzusehen, wurde ihm schnell klar, was er da vor sich hatte.

"David", sagte er zu seinem Kumpel, "Du wirst mir das nicht glauben, aber da drüben schwenkt jemand eine weiße Flagge."

"Eine weiße Flagge?"

"Naja eigentlich ist es mehr eine graue Unterhose."

Er gehört zu mir

"Feuer einstellen", brüllte David, "Der gehört zu uns". Genau diesen Moment nutzte Percy um aus ihrer provisorischen Schlafstätte zu kriechen. "Was ist denn los?", fragte er Gabriel, der sich beeilte, ihm von der Flagge zu berichten. Gespannt starrten sie zu David, der erneut durch sein Fernrohr guckte.

"Bajonett auf hab acht", wies er an und Gabriel hob wie gefordert seine Waffe. Einen Moment lang geschah nichts, dann kullerte Jemand zu ihnen in den Graben.

Percy hielt ihm seine Klinge an den Hals. Der Mann starrte ihn an, er starrte zurück, dann öffnete er den Mund und sagte ein Wort: "Drache."

Ein Ass im Ärmel

Plötzlich ging alles ganz schnell. Percy wurde blass, David wurde gefühlt noch blasser und der Fremde rollte sich noch weiter ein. Ein lautes Brüllen erklang aus dem anderen Graben und plötzlich wurden Schreie laut. Ein Maschinengewehr begann zu feuern.

David setzte das Fernrohr ab. "Scheiße", fluchte er, "die haben echt nen Drachen!"

Der Mann zu seinen Füßen wimmerte. "Sie heißt Bertha, sie ist wütend, hungrig und feuerfest", informierte er ihn.

David schenkte ihm einen schiefen Blick. "Feuerfest?", wiederholte er die letzte Information. "Na schön, wenn das ihr Ass im Ärmel ist ... Dann sprengen wir es eben mitsamt dem Ärmel weg."

 

Orange (TW: Blut)

Der Stapel Granaten war schnell improvisiert, aber größer als Gabriel vermutet hätte. Er wusste nicht, ob das wirklich funktionieren würde. Himmel, er hatte bis eben ja nicht mal von der Existenz von Drachen gewusst, aber er sah ein, dass dieser Plan ihre beste Chance war.

Er wechselte einen unsicheren Blick mit seinen Freunden, dann griff er nach den Handgranaten, wartete auf das Zeichen ...

Und warf.

Der Knall war ohrenbetäubend laut, die Erde bebte, dann tropfte etwas auf ihn hinab und Gabriel runzelte die Stirn. Dicke, orangefarbene Tropfen aus Blut regneten auf sie hinunter und färbten alles um sie her orange.

 

Ich bin, was ich bin

Gabriel musterte ihren Gefangenen. Gerne hätte er seinen Haarschnitt und seine Uniform beurteilt, doch das konnte er nicht. Sein Gegenüber war von oben bis unten voll mit Drachenblut.

"Verstehen Sie mich?", fragte Gabriel in langsamem Französisch.

Der Andere nickte. "Ein wenig", murmelte er.

"Wollen Sie diese Unterhaltung lieber auf Englisch führen?"

Sein Gegenüber schüttelte den Kopf. "Ich würde es vorziehen, diese Unterhaltung gar nicht zu führen."

Gabriel konnte das nachvollziehen.

"Hören Sie", sagte er, "Je eher Sie uns erzählen, wer Sie sind, und was Sie da draußen gemacht haben, desto eher ist das hier vorbei und wir können höflich schweigen."

Die Naturgeschichte der Drachen

"Wo hatten Sie den Drachen eigentlich her?", fragte der Franzose. "Kann man die irgendwo kaufen? Gibt es die an der Waffenausgabe? Oder bringt man sich die irgendwie selber mit?"

Er runzelte die Stirn. Die korrekte Antwort musste "Weder noch" lauten.

"Hören Sie", beschloss er schließlich zumindest einen Teil seiner Neugierde zu stillen. "Drachen sind sehr seltene Geschöpfe. Die Meisten von ihnen leben sehr zurückgezogen. Selbst in Ländern mit einer hohen Drachenpopulation ist die Chance wirklich einem zu begegnen fast null. Und schlimmer noch, die Tiere stehen unter Naturschutz. Einen Drachen zu sprengen benötigt nicht nur Glück, sondern auch diverse Sondergenehmigungen."

Das Fundstück

"Hat dir unser Fundstück schon etwas erzählt?", fragte der Amerikaner, als er zu ihnen in den Unterschlupf trat. Das Gesicht des Franzosen hellte sich auf. "Percy!", rief er und für einen Moment hatte Nazar die Hoffnung die Beiden würden ihn prompt vergessen. Doch die Augen des Neuankömmlings ließen nicht von ihm ab.

"David informiert Leutnant Harper", erklärte er, "das heißt, ich leite dieses Verhör. Und ich will ehrlich mit Ihnen sein. Sie stecken ganz schön in Schwierigkeiten, auch wenn Sie uns vor Bertha gewarnt haben. Ich denke nicht, dass wir Ihnen da heraushelfen können. Außer natürlich ..."

"Ich erzähle Ihnen alles."

Eine kurze Geschichte von fast allem

"Meine Männer und ich sollten einen Hügel im Osten halten", erzählte er ihnen. "Schon ein paar Tage zuvor waren die Nachrichten aus der näheren Umgebung abgerissen. Wir wussten nicht warum, aber uns blieb auch keine Zeit, entsprechende Ermittlungen anzustellen.

Leutnant Weiss hatte uns eingekesselt und als mir klar wurde, dass wir keine Chance mehr hatten, beschloss ich zu kapitulieren. Nur um zu erfahren, dass Weiss ganz eigene Pläne mit uns hatte.

Er wollte uns an den Drachen verfüttern. Mit Müh und Not habe ich ihm klar gemacht, dass ein Drache professionelle Pflege benötigt und kein Blutbad. Leider hat er das gründlich missverstanden.

Er hat meine Männer gehen lassen, damit ich mich um den Drachen kümmere. Aber um ehrlich zu sein: Ich bin kein Tierpfleger und mein Wissen über Drachen ist begrenzt. Das zusammen mit den endlosen Tagen in irgendwelchen engen Güterwaggons hat Bertha zugesetzt. Sie wurde immer wütender und die Kette an ihrem Bein immer spröder.

Ich wusste, sie würde nicht mehr lange halten, aber Weiss wollte meine Warnungen ja nicht hören. Also dachte ich ..."

"Sie warnen uns?", redete der Franzose dazwischen.

Er nickte knapp. "Ich hatte gehofft, wenigstens nicht daneben zu stehen, wenn Bertha die Fesseln ihrer Unterdrückung sprengt."

Mehr als nur Atome

 

Während Percy eilig ein paar Fakten in ein Notizbuch kritzelte, musterte der Franzose ihn weiterhin voller Neugier. "Eine Frage hätte ich noch", eröffnete er schließlich. "Wenn Sie kein Tierpfleger sind, was sind Sie dann?"

Nazar schwieg. Das sorgte dafür, dass Percy von seinen Notizen aufsah, um ihn ebenfalls zu mustern. Er sagte es nicht, aber Nazar konnte spüren, dass er ebenso interessiert an der Antwort war, wie sein Freund.

"Ich bin Theoretiker", antwortete er schließlich um des lieben Friedens Willen, "Ich untersuche die kleinsten Teilchen der Magie. Ihren Aufbau und ihre Verbindungen und Zusammenhänge."

Der Franzose nickte eifrig. "Wenn das so ist", entgegnete er, "könnten Sie sich ja vielleicht mal Murphy ansehen. Ich glaube, bei dem sind auch die kleinsten Teilchen schon ein wenig durcheinander geraten."

Nazar öffnete den Mund um zu entgegnen, dass sowas eigentlich auch nicht in seine Jobbeschreibung gehörte, doch zu seiner Überraschung ließ Percy ein zustimmendes "Hmm" erklingen. "Ich würde den Versuch begrüßen", erklärte er ihm. "Ich habe selbst schon einige Untersuchungen vorgenommen, aber letztlich bin ich weder Arzt noch ein Experte für Fehlfunktionen der Magie. Ich weiß nur, irgendetwas ist mit ihm und vielleicht finden Sie ja einen Weg um es unter Kontrolle zu bekommen.

 

Handkantenschlag

"Leutnant Harper wird uns sicher wieder abziehen", eröffnete Percy. "Wir müssen die Spuren des Drachen beseitigen. Das ist einfacher auf dem Marsch ins Lager. Da können wir uns umhören und potentiellen Gerüchten entgegenwirken."

Sein Freund nickte eifrig. "Und was machen wir mit ihm?"

Nazar erlaubte sich ein Hüsteln. "Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich Sie gerne ins Lager begleiten. Vielleicht kann ich mich dort neu orientieren."

Der Amerikaner nickte zustimmend. "Ich denke, das lässt sich machen. Und bis dahin, nehmen Sie den", erklärte er und reichte ihm seinen Stab, "Der ist etwas vielseitiger als ein Schlag mit der Handkante."

Blut und Gold

Die Sonne hing tief, als sie schließlich in dem amerikanischen Lager ankamen. In ihrem Licht glänzte alles seltsam golden. Die Dächer der Baracken, die Stämme der nicht gefällten Bäume, die Uniformen der Männer, die das Glück gehabt hatten, nicht in die Nähe des Drachen zu kommen.

Unglücklich blickte Nazar an sich hinab. Das was einst eine makellose Offiziersuniform gewesen war, war von oben bis unten voll von verkrustetem Drachenblut. Vermutlich war sie nicht zu retten. Und das bedeutete ... Mit einem Seufzer wandte er sich an David.

"Ich frage ungern, aber meinst du, ich könnte mir eine Uniform von dir leihen?"

Extrem laut und unglaublich nah

"Gabriel!", ertönte es, noch bevor sie in der Schlange vor den Duschen standen. Diverse Männer hoben den Kopf, doch das Mädchen rauschte einfach an ihnen vorbei. "Ich habe es gerade gehört!", rief sie und sah einen erschreckend langen Moment so aus, als wollte sie seinem französischen Kameraden um den Hals fallen. Im letzten Moment überlegte sie es sich anders.

"Was ist passiert?", fragte sie ein paar Nuancen zu laut. Gabriel zuckte mit den Schultern, und sie wandte sich David zu. "Ihr seid voller Blut", stellte sie mit Entsetzen in der Stimme fest, "Und außerdem habt ihr einen Mann zu viel!"

Nadja

"Wir haben keinen Mann zu viel", entgegnete David ihr, "Wir haben Murphy auf dem Weg in die Gräben verloren."

Das Mädchen runzelte die Stirn. "Kann gar nicht sein", entgegnete sie. "Ich habe ihn erst vor einer Stunde hier gesehen."

"Hier?", fragte David.

"Hier", wiederholte sie noch einmal. "Du kennst doch Nadja aus der Küche."

Davids Augen begannen zu strahlen. "Natürlich kenne ich sie", entgegnete er.

"Vor einer halben Stunde hat er sich an ihren Rock geklammert und um was zum Vernaschen gebettelt."

"Und? Was hat er bekommen?", mischte sich Gabriel doch wieder ein.

"Einen besonders delikaten Schlag mit dem Besen."

Vielleicht

Einen Moment lang feixten die Jungs, dann wandte David seine Aufmerksamkeit wieder dem Mädchen zu. "Meinst du, du kannst mir einen Gefallen tun?", fragte er sie.

"Vielleicht."

"Mein neuer Freund hier hat nichts anzuziehen. Vielleicht könntest du zur Kleiderausgabe gehen und Mary sagen, ich bräuchte noch eine Ersatzuniform?"

Das Mädchen musterte ihn skeptisch. "Du willst ihn einkleiden?", fragte sie schließlich. David zuckte mit den Schultern. "Ich möchte ihn ungern nackt herumlaufen lassen. Am Ende schaut sich das noch Jemand ab."

"Meinst du Murphy oder meinen Bruder?", spottete sie. "Egal, ich würde es so oder so vorziehen euch bekleidet zu sehen."

Der Entenprinz

Kalt abgeduscht, ausgeschlafen und neu eingekleidet fühlte er sich fast wieder wie ein normaler Mensch. Seine braunen Haare klebten ihm nicht mehr am Kopf, seine Augen brannten nicht mehr und mit Hilfe des von Percy geliehenen Stabes hatte er es geschafft, den Bart loszuwerden, der ihm in den letzten Wochen gewachsen war. Er war kein völlig entstelltes Entlein mehr, aber immer noch meilenweit entfernt von einem Schwan.

Die Uniform war grob und etwas zu weit, aber wenigstens war sie sauber. Er war dankbar, dass David sie ihm geliehen hatte. So konnte er wenigstens ordentlich bekleidet damit beginnen, seine Nachforschungen anzustellen.

Der 35. Mai

Als er die Poststation betrat, war selbige gut besucht. Es dauerte eine Weile, bis ihn endlich ein Fräulein an ihren Schalter winkte und dann noch einen Moment, bis er in ihr Gabriels kleine Schwester erkannte.

"Ich wollte fragen, ob Sie vielleicht eine aktuelle Zeitung haben", erkundigte er sich.

Gabriels Schwester legte den Kopf schief. "Das hier ist eine Poststation, kein Zeitungsstand. Wir haben schon ein paar Exemplare, aber die Meisten sind gefühlt vom 35. Mai. Nach was für Informationen suchen Sie denn?"

"Alles was Sie über die Aufstände haben."

"Auf Englisch, Französisch oder Italienisch?"

"Mit der Frage befass ich mich später."

Der Geruch von Wut

Kurz darauf saß er in der Pausenecke und studierte eine Zeitung. Er musste zugeben, er hatte die Sprachbarriere maßlos unterschätzt. Dem italienischen Artikel konnte er nichts entnehmen und selbst bei den Französischen fiel es ihm schwer alles zu verstehen.

Gelegentlich sah das Mädchen nach ihm, räumte die durchgeblätterten Zeitungen zurück oder versuchte ihm die eine oder andere Vokabel zu erklären.

Doch das, was sie erklärte, bereitete ihm Sorgen. Mehr und mehr Soldaten desertierten und mehr und mehr Arbeiter demonstrierten. Petrograds Straßen waren nicht mehr sicher. Und immer wenn er die Augen schloss, hörte er seinen Vater über den Pöbel schimpfen.

Die Herrin des Winterpalasts

"Die sieht hübsch aus", eröffnete Marielle, als sie sich auf den freien Platz neben ihm fallen ließ. Nazar musterte das Zeitungsbild. "Das ist Alexandra Fjodorowna. Sie steht derzeit unter Hausarrest."

"Oh", entgegnete sie. "Schaut sie deshalb so traurig?"

Nachdenklich musterte er das Bild. "Vielleicht."

"Und was treibt dich dazu, all die alten Zeitungen durchzusehen?"

"Fehlender Selbstrespekt. Das und die Tatsache, dass mein Vater in Petrograd lebt."

"Oh", entgegnete sie erneut. "Nun, ich denke, du musst dir keine Sorgen machen. Die haben es doch nur auf die Reichen abgesehen. Wenn dein Vater nicht gerade Großfürst ist, wird ihm sicher nichts geschehen."

Das Gewicht der Worte

Marielle hatte es gut gemeint, doch ihre Worte machten es nur schlimmer. Die Reichen. Ab wie viel Gold war man denn reich? Musste man mit dem Zaren zu Mittag essen, oder reichte es, wenn man Jemanden kannte, der es tat?

"Mein Bruder ist auch dort", sagte er schließlich, als er merkte, dass Marielle auf eine Antwort wartete.

Sie tätschelte ihm die Schulter. "Sicher geht es ihnen gut. Vermisst du die Beiden?"

Nazar schloss die Augen. Er dachte an seinen Vater, der nie ein "Nein" akzeptierte und an seinen Bruder mit seinem bösen Blick. Schließlich schüttelte er den Kopf. "Nicht besonders."

Die Träume anderer Leute

Nach seinem Geständnis fühlte er sich ein wenig besser. Vielleicht zeugte es nicht von Charakter, dass er offen zugab, seine Familie nicht zu vermissen, doch es war die Wahrheit.

Egal ob an der Front oder in einem feindlichen Transportwaggon, wann immer er an seinen Vater gedacht hatte, hatte er sich nur noch unzulänglicher gefühlt.

Seine Leistung, das wusste er, würde ihm hinten und vorne nicht genügen. Er war nicht mutig, nicht mal sonderlich schlau und Ergebnisse hatte er auch nicht vorzuweisen. Er hatte ein paar Soldaten gerettet, aber keiner von ihnen war wichtig genug, dass es seinen Vater interessiert hätte.

Am Arsch vorbei geht auch ein Weg

"Ich denke, du solltest dich ein bisschen ablenken", eröffnete ihm Marielle, als sie ihm auch die letzte Zeitung abnahm. "Es bringt nichts, wenn du hier rumsitzt und drei Wochen alte Berichte liest. Los, komm mit, ich habe nicht mehr lange Pause und bevor der Nachmittagsansturm beginnt, will ich dir noch etwas zeigen."

Nazar musterte sie skeptisch, traute sich jedoch nicht "Nein" zu sagen. Sie hatte ihm all die Zeitungen herausgesucht, da war es wohl eine Selbstverständlichkeit ihrem Wunsch zu entsprechen. Außerdem hatte sie recht. Er konnte gerade nichts für seinen Vater tun, egal ob er es wollte oder auch nicht.

Der Herr der Ringe

Hinter den Küchengebäuden herrschte reges Treiben. Das ging aber nicht von irgendwelchen Soldaten aus, sondern von einem Rudel Katzen. Mehrere erwachsene Tiere warteten vor der Tür, die von hinten in die Küche führte, während eine Horde Kätzchen um sie herumtollte.

Ein kleiner weiß-roter Kater fand besonderen Gefallen an ihm. Ambitioniert stürzte er sich auf den Ring an seinem Finger, tatzte und maunzte und brachte mit diesem Verhalten Marielle zum Lachen.

"Er könnte einen Freund gebrauchen", erklärte sie ihm, nachdem der Kater ihm ein weiteres Mal die Krallen in die Haut geschlagen hatte. "Und ich glaube, damit ist er nicht allein."

 

Stubentiger wider Willen

Nazar war sich nicht sicher, ob es seine beste Idee gewesen war, sich dieses Kätzchen aufschwatzen zu lassen, doch Marielle hatte ganze Arbeit geleistet. Und nachdem sich auch noch eines der Küchenmädchen eingemischt hatte, war schnell klar, dass der kleine Kater mit ihm gehen würde.

Die Mädchen hatten den Kleinen Darcy getauft, nach dem Protagonisten ihres Lieblingsbuches und er hatte es ähnlich stoisch hingenommen, wie der Kater, der begeistert von der vielen Aufmerksamkeit schnell zu Schnurren begonnen hatte. Jetzt hatte er eine geliehene Uniform, ein geliehenes Bett, einen geliehenen Stab und ein Kätzchen, mit dem er das alles teilen konnte.

Das Buch, in dem die Welt verschwand

"Du bist aber niedlich", bemerkte Percy, als er Darcy das erste Mal auf seinem Bett erwischte. Der Kater reagierte mit einem selbstzufriedenen Blick darauf. Er guckte auch noch, als Percy durch seine Sachen zu wühlen begann, bis er schließlich zwei Bücher gefunden hatte.

"Was hast du da?", fragte Nazar ihn neugierig.

"Das eine ist mein Ausbildungshandbuch. Ich wollte es Gabriel leihen. Da sind ein paar allgemeine Erklärungen zum Thema Magie drin und das Andere wollte ich eigentlich auf der Überfahrt lesen. Aber ich wurde abgelenkt."

Mit leuchtenden Augen beugte sich Nazar zu ihm. "Nun, wenn du das Buch nicht brauchst ..."

Die Flut

"Futility, or the Wreck of the Titan" beschrieb, wie ein Schiff auf einen Eisberg traf. Ähnlich der Geschehnisse auf der Titanic, starben viele Passagiere, weil zu wenig Rettungsboote an Bord waren. Die eiskalten Fluten des Nordatlantiks taten das übrige. Nur der Protagonist hielt sich wacker. Nazar hatte keine Ahnung, wieso man so ein Buch auf einem Schiff lesen wollte, das mit Pech eine ganz ähnliche Route fuhr, doch er fragte nicht. Dem Lesezeichen nach, war Percy eh nie über Seite 20 hinaus gekommen.

Woran das lag? Nun, er hatte da einen Verdacht. Aber auch den wollte er lieber für sich behalten.

Der satanarchäolügenialkohöllische Wunschpunsch

"Percy!", schrie es, kaum das selbiger mitsamt seinem Buch gegangen war. Darcy verschwand eilig unter seinem Bett, während Nazar ärgerlich das Titan-Buch sinken ließ. "Du hast ihn knapp verpasst", informierte er Murphy.

Dieser zog einen Schmollmund. "Das ist doof", maulte er, "Aber dann teile ich meinen satanarchäolügenialkohöllischen Wunschpunsch halt mit dir. Wir sind schließlich auch Freunde."

Nazar hob die Augenbrauen. Er bezweifelte sehr, dass er mit Murphy befreundet war. Außerdem hatte er starke Zweifel was satanarchäolügenialkohöllische Wunschpünsche betraf. Aber Murphy schien das reichlich egal zu sein. Freudestrahlend griff er in seine Uniformjacke und holte einen giftgrünen Trank hervor. Er rauchte.

Der gelbe Nebel

Dicker gelber Dampf stieg aus dem Gefäß und hätte ihn nicht schon die giftgrüne Farbe davon überzeugt, dass er das nicht trinken würde, spätestens der Nebel hätte das erledigt.

"Ich fühle mich geehrt, aber ich muss bedauerlicherweise ablehnen", erklärte er.

Murphys Augen wurden größer. "Was? Warum denn?", wollte er wissen.

Nazar bemühte sich den starren Blick seines Bruders nachzuahmen. "Ich bin allergisch", log er ohne mit der Wimper zu zucken.

"Oh", entgegnete Murphy. "Na gut. Dann trinke ich ihn halt selbst."

"Ich glaube, du bist auch allergisch darauf", versuchte Nazar zu retten, was noch zu retten war, doch zu spät ...

Magie & Milchschaum

Murphy schüttete die giftgrüne Brühe in sich hinein. Danach leckte er sich den quietschgelben Schaum von den Lippen.

Nazar starrte ihn an. "Geht es dir gut?", fragte er.

Murphy nickte. "Klar. Hätte nur ein bisschen mehr nach Wunschpunsch schmecken können."

Nazar hob die Augenbrauen. "Sicher?"

Murphy nickte noch einmal, dann hielt er plötzlich inne. "Urgh", entfuhr es ihm. "Wenn ich so darüber nachdenke, hab ich ein bisschen Bauchweh. Bestimmt war das Frühstücksbrötchen schlecht."

Nazar sparte es sich, Murphy zu fragen, woher er ein Frühstücksbrötchen bekommen hatte. Stattdessen erhob er sich. "Vielleicht sollten wir damit ins Lazarett gehen", schlug er vor.

The Royal Art of Poison

Später standen sie zu viert um den Becher herum. "Hast du etwas herausgefunden?", erkundigte sich David .

"Zaubertränke sind nicht unbedingt mein Spezialgebiet", informierte Percy ihn. "Aber ich habe die Reste auf Gift analysiert. Und ich habe positive Ergebnisse bei Spinnengift, Stechapfel und Maiglöckchen. Und eines bei Elwetritsch-Ei."

"Soll ich schon mal wieder Handgranaten sammeln gehen?", fragte Gabriel, doch David schüttelte den Kopf. "Elwetritsch sind harmlos", erklärte er ihm. "Das sind Hühnerwesen. Vermutlich wollte man einfach nur das Gift mit dem Ei übertünchen."

"Der Trank war giftgrün", erinnerte Nazar ihn.

"Dann hat das mit dem Übertünchen wohl nicht so gut geklappt."

Die Elixiere des Teufels

Nazar glaubte nicht an die Theorie mit dem Fehler im Trank. Seiner Erfahrung nach waren alle Braumeister Pedanten, die großen Wert auf die korrekte Mischung ihrer Elixiere legten. Er glaubte, dass das Ei entweder ein aus der Not geborener Ersatz für eine andere Zutat war, oder dass das Rezept schon viele Jahre auf dem Buckel hatte. Doch was es auch war, es brachte sie in ihrer Recherche nicht weiter.

"Fakt ist, dass das ein hochpotentes Gift war", brachte Percy seine Gedanken zurück in die Spur, "Und Murphy hat davon einen ganzen Becher voll getrunken. Und bekommen hat er ..."

"Leichte Bauchschmerzen."

Die Büchse der Pandora

"Ich sage es ungern, aber der Einzige, der uns sagen kann, wo er das Gift her hat, ist Murphy."

David schüttelte den Kopf. "Davon bin ich nicht überzeugt, Percy."

"Wieso? Denkst du, er hat den Becher zufällig irgendwo gefunden?"

"Möglich, aber eigentlich denke ich, selbst wenn er weiß, wer ihn ihm gegeben hat. Er wird es dir nicht sagen."

"Ich könnte ihn verhören", schlug Percy vor.

David schüttelte abermals den Kopf. "Niemand kann Murphy verhören", klärte er seinen Kollegen auf. "Aber bitte, versuch es ruhig. Nur beschwer dich dann nicht bei mir, wenn du damit die Büchse der Pandora öffnest."

Bis(s) zum Morgengrauen

Das Verhör dauerte bis zum Morgengrauen.

"Wo warst du nach dem Frühstück?", fragte Percy gefühlt zum hundertsten Mal. Und mal um mal fiel Murphys Antwort darauf seltsamer aus. Nazar für seinen Teil hatte schon längst aufgegeben dem Gespräch zu folgen und ein Blick zu Gabriel verriet ihm, dass er da nicht der Einzige war. Schon seit geschlagenen zwei Stunden spielte der mit Darcy eine eigenwillige Mischung aus "Fang den Schnürsenkel und Hilfe die Fellkugel hat ja Krallen".

"Ich weiß es nicht", antwortete Murphy, ebenfalls zum wiederholten Mal.

"Dann denk dir halt was aus. Murphy von wem hattest du den Punsch?"

Der große Zeh

"Erhan hat ihn mir gegeben", sagte Murphy schließlich, "Als Dankeschön, weil ich ihm auf den Fuß getreten bin. Er hat gesagt, er wollte schon immer einen blauen großen Zeh."

Percy schüttelte den Kopf. "Wenn er das gesagt hat, hat er dich sicher angelogen", urteilte er.

"Nein!", rief Murphy. "Erhan lügt nicht. Erhan macht mir Punsch."

Percy seufzte schwer. "Jungs", fragte er, "kennt einer von euch einen Erhan?"

"Einen Erhan, der nicht lügt und blaue Zehen hat?", entgegnete Gabriel, "Nein, den kenne ich nicht. Einen Erwan könnte ich bieten. Zehenfarbe unbekannt. Aber für ein Päckchen Zigaretten, lässt er uns sicher nachgucken."

In all seinen Farben

Percy warf einen Blick zu David, doch dieser winkte lässig ab. "Ich hätte nicht gedacht, dass du so viel aus ihm rausgequetscht bekommst", gab er zu, "aber ich denke nicht, dass wir das weiter verfolgen sollten. Ich meine, willst du dir wirklich die Zehen von Erwan ansehen? In all ihren Farben?"

Percy holte tief Luft und für einen Moment glaubte Nazar, er würde jetzt zu einem Vortrag über Verantwortung und Kameradschaft ansetzen. Doch nach einem Augenblick atmete er unverrichteter Dinge wieder aus.

"Ich find's nicht gut", murrte er, "Aber du hast recht. Allein mit dieser Aussage finden wir Erhan nie."

Krieg und Frieden

David schenkte ihm ein Lächeln. "Wenn es dich tröstet, dein Verhör war wirklich gut. Ich hätte vermutlich schon beim zweiten "Weiß ich nicht", die Geduld verloren."

Gabriel legte von hinten den Arm um seinen Freund. "Ich auch", stimmte er zu. "Immer wenn Murphy mich anlügt, verspüre ich das Bedürfnis ihn dafür übers Knie zu legen."

Nazar beobachtete, wie Percy darüber den Kopf schüttelte. Wenn man sie so beobachtete, wirkten seine neuen Freunde komplexer als Tolstois Meisterwerk.

"Ich würde nie Jemanden übers Knie legen", murmelte er schließlich in die Seiten seines Buches hinein. "Ich würde den Butler anweisen, es zu tun."

Hinter dem Horizont

In einem anderen Lager weit hinter dem Horizont warf Erich einen besorgten Blick auf seinen Fuß. "Denkst du er ist gebrochen?", fragte er, während Leo fachmännisch seinen Zeh in Augenschein nahm.

"Jedenfalls ist er ganz schön blau", murmelte er. "Wie ist das noch mal passiert?"

"Ich habe gerade die entzündungshemmende Salbe angerührt, da stand plötzlich so ein Kerl auf unserem Tisch. Klein, braune Haare, amerikanische Uniform ... Ich dachte, ich seh nicht recht und als ich ihm sagte, er soll vom Tisch runterkommen, sagte er "Okay" und ist einfach runtergesprungen, direkt auf meinen Fuß."

"Und dann hast du geschrien und er ist weggerannt?"

"Ich hab geschrien, aber er ist nicht weggerannt. Und dann hab ich ihm einfach den nächstbesten Trank in die Hand gedrückt und behauptet das sei ein toller Punsch."

"Aber dann ist er weggerannt?"

"Weiß ich nicht. Ich war mit meinem Fuß beschäftigt. Also was ist nun damit?"

Leo warf einen weiteren Blick darauf. "Ich glaube, du hast Glück gehabt. Er ist nicht gebrochen, aber er wird wohl noch eine Weile blau bleiben. Vielleicht können wir was von der Schmerzsalbe drauf tun. Du hast ihm doch hoffentlich nicht gerade die gegeben, oder?"

"Nein, ich glaub er hat mein Resteglas."

Längst abgerissene Häuser

Es war schwieriges Gelände. Die Ruinen irgendeines französischen Dorfes stemmten sich nach Kräften gegen die Bomben- und Granattrichter, die den ganzen Boden in Schweizer Käse verwandelten.

Das Gewirr aus Gräben machte es nicht besser. Erich biss die Zähne zusammen und robbte weiter. Sein Fuß tat immer noch weh und sorgte dafür, dass er um einiges langsamer war als sonst. Das hatte scheinbar auch Leo bemerkt, denn vor der nächsten Kurve drehte er sich zu ihm um.

"Bleib du hier. Ich bin gleich zurück."

Erich verzog das Gesicht, doch er verstand. Für ihr übliches Vorgehen war er einfach nicht schnell genug.

Ruine im Mondlicht

Erich wartete. Er wartete als die Sonne über den zerbombten Ruinen aufging und die übliche Kampfpause ankündigte. Er wartete, während seine Kameraden die Gräben Zentimeter für Zentimeter weiter in den unbekannten Boden trieben und neues Stacheldraht auslegten und er wartete auch noch, als die Dämmerung sich schließlich über das Schlachtfeld legte.

Als der Mond aufging, begann er sich langsam Sorgen zu machen und als er schließlich fahl und blass über ihrem Graben hing, bereit jede falsche Bewegung dem Feind zu verraten, wurde ihm klar, dass seine Sorge vielleicht sogar mehr als berechtigt war.

Denn Leo war noch immer nicht zurück.

Alles mit Filter

Die nächsten Stunden nahm er wie durch Watte wahr. Er duckte sich, wenn die Schüsse lauter wurden, verband mit gerümpfter Nase einen Arm, aber er wusste nicht, zu wem er überhaupt gehörte. Es war, als wäre er direkt in einen dieser neuen Schwarz-Weiß-Filme gestürzt. Alles zog an ihm vorbei, während er zu begreifen begann, dass Leo nicht zurückkommen würde.

Vielleicht war er irgendwo gestrandet, vielleicht hatten die Engländer ihn erwischt. Doch Erich weigerte sich, an die Schlimmste aller Möglichkeiten zu denken. Leo war noch am leben und wenn er das war, wusste Erich auch, was er nun zu tun hatte.

Großer Käse

Nachträglich betrachtet war sein Plan ziemlicher Käse gewesen und er hatte Glück gehabt, dass die Briten ihn nicht erschossen hatten. Doch das was jetzt vor ihm lag, schien der größte Käse von allen werden zu wollen.

Das Kriegsgefangenenlager war riesig und nur eines von vielen.

Wenn er Leo hier finden wollte, konnte er sich nicht einfach an die Essensausgabe stellen und warten.

Er brauchte Einblick in die Gefangenenlisten und den würden ihm seine Bewacher sicher nicht gewähren. Das bedeutete, er musste da irgendwie heimlich ran, aber um das hinzubekommen, musste er erst einmal eine Schwachstelle in den feindlichen Reihen finden ...

Mundart/Dialekt

Es kostete Erich ein paar Tage, dann hatte er eine geeignete "Schwachstelle" gefunden. Es war ein Krankenträger. Groß, jung, gut aussehend und Gewohnheitstier genug, dass Erich schon nach zwei Tagen wusste, wann er rauchend auf dem Gang zu finden war.

Sein Akzent war relativ hilfreich dabei. Im Gegensatz zu seinem Kollegen neigte er dazu, aus jedem "the" ein "t'" zu machen, was Erichs ohnehin schon schlechtes Englisch strapazierte, aber immerhin ziemlich unverwechselbar war.

Es blieb nur eine Frage offen. Wie bekam er ihn davon überzeugt, für ihn in den Unterlagen nach Leo zu suchen? Und was würde es ihn kosten?

Szene aus einem Theaterstück

Seine große Chance mutete an wie eine Szene aus einem Theaterstück. In der Hauptrolle fand sich Dietrich, ein schmieriger Leutnant mit genauso schmierigem Schnurbart.

Erich hatte keine Ahnung was der mit den Krankenträgern zu schaffen hatte, aber er ahnte, dass es brannte, als Dietrich zu poltern begann.

"Du Dreckskerl!", bellte er gerade, als Erich hinter ihm zum Stehen kam.

Dietrich guckte den Krankenträger an und der guckte verunsichert zurück, dann tippte Erich Dietrich auf die Schulter. "Was?", knurrte er in seine Richtung, doch Erich lächelte nur.

"Ich will ja nicht stören, aber ich glaube nicht, dass dein Gegenüber dich versteht."

Ponies im Pullover

Dietrich glotzte ihn an, als wäre er ein Pony im Pullover.

"Hä?", entfuhr es ihm.

Er spricht kein Deutsch", erklärte Erich ihm besonders langsam und deutlich.

Jetzt verschränkte Dietrich die Arme vor der Brust. "Klar, klar", grummelte er. "Kannst du ihm übersetzen, dass er eine widerliche Assel ist?"

Erich nickte. "Natürlich", tönte er, "Ich kann's auf Russisch, Badisch und in allerschönstem Platt."

"Und auf Englisch?"

"Bedaure."

Dietrich blickte zu dem Krankenträger und dann wieder zu ihm. Schließlich fuhr er mit einem Ruck herum. "Das ist noch nicht vorbei!", knurrte er. "Ich werde wieder kommen! Sobald ich einen Übersetzer gefunden habe!"

Weinbergschnecke

"Thanks", murmelte der Brite, kaum das Dietrich um die nächste Kurve verschwunden war.

Erich kratzte seine fünf Brocken Englisch zusammen. "Kein Problem", entgegnete er. "Aber warum ist er so wütend?"

Sein Gegenüber nahm einen Zug von seiner Zigarette. "Könnte an den Weinbergschnecken liegen, die er heute früh in seinen Stiefeln hatte."

Erich schenkte ihm einen skeptischen Blick. "Du hast ihm Schnecken in die Stiefel gefüllt?"

"Vielleicht sind sie auch von selber reingekrochen."

Erich hielt den Blick.

"Okay, okay", gab der Andere schließlich zu, "Ich hab nachgeholfen. Aber zu meiner Verteidigung sei gesagt, dass ich annahm, die würden sich hervorragend verstehen."

Der Star des Zoos

"Der Typ glaubt, er sei der Star des Zoos", mischte sich eine weitere Stimme ein und Erich erkannte, dass ein weiterer Krankenträger zu ihnen auf den Gang getreten war.

"Gestern war er bei uns, um seinen Husten untersuchen zu lassen", erzählte er, während er sich an die Wand lehnte. "Er hat uns nur herumgescheucht und wollte sogar, dass wir ihm die aktuelle Zeitung bügeln. Ehrlich, ich hab keine Ahnung wie du an seine Stiefel gekommen bist, Thomas, aber das hast du gut gemacht."

"Danke", erwiderte der Angesprochene. "Es wäre nur schöner gewesen, hätte er nicht gemerkt, dass ich es war."

Gasthaus/Taverne

"Keine Sorge, das gibt schon keine Kneipenschlägerei", entgegnete Erich amüsiert. "Er wird jetzt eine Weile herumlaufen und irgendwann bemerken, dass ihm keiner helfen wird, wenn er nicht erzählen will, was er in seinen Schuhen gefunden hat. Und dann wird er es aufgeben. Besonders, wenn du weiter so tust, als würdest du seine Anschuldigungen nicht verstehen."

"Ich habe ihn nicht verstanden", entgegnete Thomas.

Erich grinste. "Perfekt! Wenn du es so sagst, bin ich fast gewillt, es dir zu glauben."

"Wichtiger wäre eigentlich, dass auch unser Chef es glaubt."

"Erzählt ihm doch, ihr wolltet seine Ernährung verbessern."

"Durch Schnecken in seinen Schuhen?"

 

Seerosen

"Sorry, aber unsere Pause ist leider schon wieder vorbei", erklärten die Beiden ihm, als sie die Zigaretten ausgedrückt hatten. "Wir müssen wieder rein."

"Du kannst aber mitkommen, wenn du magst. Die Patienten freuen sich immer über etwas Gesellschaft."

Erich schüttelte den Kopf. "Ich fürchte, ich passe", erwiderte er eilig, ließ es sich aber nicht nehmen, einen neugierigen Blick durch die offene Tür zu werfen. Das Krankenzimmer wirkte groß, hell und Jemand hatte im hinteren Bereich ein nicht ganz kleines Stück mit Laken abgetrennt.

Darauf prangte eine, mit schwarzer Tusche gezeichnete, leuchtend weiße Seerose. Ein altes Mittel gegen die gängigsten Durchfallerkrankungen.

Dame am Klavier

Am späteren Abend entdeckte Erich seine neuen Freunde im Aufenthaltsraum. Eine der Damen aus der Küche hatte das Klavier in der Ecke erobert und spielte gängige Gassenhauer. Gerade war es ein Stück aus den "Piraten von Penzance."

Sie war nicht sonderlich begabt, doch sie wurde von den anwesenden Offizieren gefeiert, als wäre sie eine Grand Diva. Auch seine neuen Freunde applaudierten höflich, als sie einen weiteren bekannten, englischen Hit anspielte.

"Magst du Musik?", fragte Thomas ihn, während er standhaft versuchte, ob einer falschen Note nicht das Gesicht zu verziehen.

"Ich liebe Musik", entgegnete Erich. "Wenn ich meine Geige hätte, würde ich den ganzen Raum unterhalten."

"Wenn du eine Geige hättest, könntest du unsere Patienten damit unterhalten", entgegnete er ihm.

Erich nickte. Er wusste nicht, ob er wirklich für die Kranken spielen wollte, doch er hatte ja auch keine Geige, die er dafür hätte nutzen können.

"Vielleicht solltest du die Bitte Captain Johnson vortragen", mischte sich nun auch Billy ein. "Der Herr Doktor fände die Idee sicher gut und ihr wisst ja was man sagt: "Musik ist Heilung für die Seele." Das müsstest du nur irgendwie dem Walross erklären."

Erich grinste. "Willst du mir vorschlagen, ich soll ihm einen Fisch mitbringen?"

Märchenfiguren

Wäre Captain Johnson eine Märchenfigur gewesen, er wäre eindeutig ein Troll. Einer von der kinderfressenden, sabbernden Variante, von der sie Zuhause in Lenzkirch den kleinen Jungen erzählten, damit sie nicht zu tief in den Wald gingen.

Wenn er den Mund aufmachte, wackelte sein Schnauzer, als wäre er eine Raupe. "Sie wollen mir also einen Vorschlag unterbreiten?", stellte er fest, bevor er herzhaft in einen Krapfen biss.

Erich bemühte sich, den Geruch nach Zucker und Fett zu ignorieren. "Ich könnte im Krankenzimmer nützlich sein", erklärte er.

Der Captain rülpste laut.

"Prima", grunzte er. "Können Sie auch was Nützliches in der Küche?"

Flaggen

"Man sagte mir, ich mache einen exquisiten Punsch", entgegnete Erich und ignorierte sowohl die roten Flaggen vor seinem inneren Auge, als auch die Fettspur, die von Johnsons Kinn tropfte. "Wollen Sie einen?"

"Nee!", grollte Johnson. "Ich will keinen Punsch. Ich will nen gottverdammten Kuchen. Und zwar ohne Pfefferminz!"

"Kann Ihnen die Köchin keinen machen?"

Johnson biss ein weiteres mal von seinem Krapfen ab. "Natürlich kann sie", murrte er, "Aber sie weigert sich. Jedes Mal, wenn ich mit einem kleinen Wunsch komme, erzählt sie mir, dafür reiche das Budget nicht. Lächerlich! Als könnten die Faulpelze nicht auch mal nen Tag hungern."

Marktplatz

"Können Sie nicht einfach in die nächste Stadt fahren und die Zutaten dort auf dem Marktplatz kaufen?", fragte Erich weiter. "Ich meine ... Sie werden doch bezahlt, oder etwa nicht?"

Der Captain kaute. "Natürlich werd ich bezahlt", entgegnete er und spuckte Krapfenstückchen quer über seinen Schreibtisch hinweg. "Aber ich geb doch mein Geld nicht für so nen Blödsinn aus. Und vor allem hab ich keinen Bock ne Stunde mit dem Auto durch die Gegend zu fahren. Dieser Trottel von einem Fahrer nimmt doch immer jedes Schlagloch mit. Also um wieder aufs Thema zurückzukommen, können Sie mir jetzt so 'nen Kuchen backen?"

 

Portrait

Nachträglich betrachtet, hätte er einfach "Nein" sagen sollen. Er hätte den Kopf schütteln und gehen sollen, hoffend, dass seine neuen Freunde bereit waren, trotzdem in den Akten nach Leo zu suchen. Er hätte auch die Köchin fragen können, ob er Johnson eine eklige Überraschung in den nächsten Krapfen einbacken durfte, aber irgendwie erschien ihm das falsch.

Stattdessen starrte er den Captain an, der mit fragendem Blick zurück starrte. Doch, je länger er sein Gesicht ansah, desto mehr schienen sich seine Gesichtszüge zu verändern und als Erich das nächste Mal blinzeln musste, war schon nicht mehr sehr viel Mensch an ihm.

Ein Schaf, zwei Schafe

"Billy, Thomas!", rief Erich als ihm endlich eine Krankenschwester die Tür zur Station öffnete. Sie schenkte ihm einen verärgerten Blick, doch Erich ignorierte das königlich. "Ihr nehmt jetzt eure Mittagspause", erklärte er den verdutzten Männern.

Kaum auf dem Gang angekommen, begann er sie zu Johnsons Büro zu führen. "Das ist mir wirklich peinlich", erklärte er, während er einen Fuß vor den Anderen setzte. "Normalerweise passiert mir sowas nicht ..."

Seine Begleiter tauschten einen fragenden Blick. Schließlich erbarmte sich Billy. "Was ist denn genau passiert?", wollte er von ihm wissen.

Erich ließ den Kopf hängen. "Ich fürchte, Captain Johnson ist ein Schaf."

Trachten

"Wow", murmelte Thomas, als er Captain Johnson in seiner Wolltracht sah. "Wisst ihr, ich komme aus Yorkshire, aber ich hab noch nie so ein hässliches Schaf gesehen. Es ist ..."

"Fett", brachte Billy den Gedanken zu Ende.

"Und seine Proportionen stimmen nicht. Und ehrlich gesagt, sieht seine Wolle auch ein bisschen ..."

"Ja, ja, ja", unterbrach Erich ihn, "Diese Art von Zauber liegt mir nicht. Ich hab ihn nur angeguckt und festgestellt, dass er mich im Profil ein bisschen an eine Mischung aus Schaf und Brückentroll erinnert und bevor ich richtig darüber nachgedacht hatte ..."

"War er eine Mischung aus Bulldogge und Widder?"

Der höchste Berg

"Kommt, ihr müsst mir helfen. Wir müssen dieses Schaf verschwinden lassen."

Thomas legte den Kopf schief. "Und wie?"

Erich zuckte mit den Schultern. "Du bist hier der selbsternannte Schafexperte. Kannst du es nicht, ich weiß nicht, auf den nächsten Berg locken, oder so?"

Billy schüttelte den Kopf. "Ich glaube nicht, dass er dieses Schaf überhaupt durch die Tür bekommt", urteilte er. "Und selbst wenn, wird es das ganze Lager sehen. Die Leute werden Fragen stellen. Eine ganze Menge Fragen. So wird das nichts werden."

"Kannst du es nicht einfach wegzaubern?", fragte Thomas.

"Dafür ist es zu groß. Ich könnte es höchstens ein Stück schweben lassen, aber so dick wie es ist, passt es auch nicht durch das Fenster."

"Und wenn du es zurück verwandelst?", fragte Thomas weiter.

"Wenn ich es zurück verwandeln könnte, hätte ich euch gar nicht erst geholt. Ich könnte höchstens weiter daran herumhexen, aber wie bereits gesagt, solche Zauber liegen mir nicht und mit Pech macht das alles noch schlimmer."

Die Jungs tauschten einen vielsagenden Blick.

"Vielleicht sollten wir den Doktor holen", schlug Billy schließlich vor. "Wenn wir Glück haben, kriegt er das wieder hin."

"Und wenn nicht?"

"Dann kann er uns hoffentlich bei der Bergbesteigung helfen."

Sonnenuntergang

Die Sonne begann schon unterzugehen, als es der Herr Doktor endlich schaffte, sich von seinen Patienten loszueisen. Er wirkte müde, kraftlos und gehetzt. Trotzdem nahm er sich die Zeit, Captain Johnson sorgfältig zu untersuchen. Zwei mal nahm er seine Brille ab und polierte ihre Gläser mit dem Ärmel seiner Uniformjacke.

"Ungewöhnlich", murmelte er schließlich. "Sehr, sehr ungewöhnlich. Wissen Sie, ich habe Kamele gesehen, Dromedare und mehr britische Schafe als mir lieb ist, aber das da ... Das sehe ich heut zum ersten Mal."

"Ja, ja, ja", wiegelte Erich ab, "Ich weiß, ich weiß. Also, helfen Sie mir jetzt dabei es loszuwerden?"

Jede Menge Kirchen

Erich musste feststellen, dass der Doktor Prinzipien hatte. Sie verlangten fünf Gebete am Tag und verboten es ausdrücklich, Trollschafe einfach irgendwie loszuwerden. Auch wenn das bestimmt nicht wörtlich im Koran geschrieben stand.

Also wählten sie einen Mittelweg. Da der Doktor nicht in der Lage war, das Schaf ohne längere Forschungsarbeit zurückzuverwandeln, erklärte er sich bereit, das Fenster zu vergrößern. So konnte Erich das Schaf nach draußen schweben lassen. Dort würde es auf der Wiese stehen und darauf warten, dass sich ein Arzt mit mehr Zeit fand, oder die Köchin spontan Lust auf Widderbraten verspürte. Was Erich wirklich nicht hoffen wollte.

Garten/Parkanlage

Nachdem Johnson auf den Grünstreifen vor dem Lager gezogen war und das Fenster wieder sein ursprüngliches Aussehen zurück hatte, musterte Erich den Doktor. "Wie lange wird es dauern, bis Jemandem sein Ausflug in den Park auffällt?"

Der Doktor zuckte mit den Schultern. "Ich schätze, die Meisten werden ihn nicht vermissen. Allerdings ..."

"Allerdings?"

"Alle Anträge des Lagers laufen über sein Büro. Wenn weder Geld noch Material ankommt, werden sie Fragen stellen."

"Das heißt, Jemand muss Johnsons Verwaltungsarbeit machen?"

"Normalerweise wäre das die Aufgabe des nächst höchsten Leutnants", mischte sich Thomas ein.

Der Doktor funkelte ihn finster an. "Nur über meine Leiche."

Burgen und Schlösser

"Das Luftschloss könnt ihr ganz alleine bauen", erklärte der Doktor. "Ich habe genug damit zu tun, mich um meine Patienten zu kümmern."

"Aber ..."

"Kein Aber Thomas. Ich habe keine Zeit auch noch Johnsons Papierkram zu erledigen. Ich habe meinen eigenen. Ich kann nicht auch noch hinter seinen Anträgen herrennen."

"Aber ..."

Der Doktor schüttelte den Kopf. "Ich habe Nein gesagt", wiederholte er milder. "Ich weiß, du willst deinem neuen Freund helfen, aber das können wir nicht stemmen. Wir brauchen Jemanden, der Johnsons Arbeit macht."

Ein Hüsteln von hinten ließ sie alle vier zusammenfahren.

"Vielleicht könnte ich Ihnen ja dabei behilflich sein."

Strandkorb

"Ich gebe zu, ich hätte lieber einen Strandkorb an der Côte d'Azur", erklärte die Dame, als sie zu Ihnen in den Raum trat, "Aber Captain Johnson war auch mein Vorgesetzter."

Der Doktor musterte sie skeptisch und da war er nicht der Einzige. "Wie viel haben Sie gesehen?", fragte er schließlich.

Sie winkte ab. "Genug. Wenn Sie das nächste Mal ein Schaf aus einem Fenster schweben lassen, sollten Sie vorher nachsehen, ob nicht gerade Jemand vor einem der angrenzenden Fenster steht. Wie dem auch sei, ich bin diejenige, die für die fernmündliche Kommunikation des Captains zuständig ist. Niemand wird Fragen stellen, wenn ich bei nächstbester Gelegenheit verkünde, der Captain habe sich bedauerlicherweise den Magen verdorben. Sie schreiben ihn krank und verordnen Heimatluft und ich fordere beim Hauptquartier eine geeignete Vertretung an."

"Und wenn ich Nein sage?"

"Gehe ich zurück an meinen Arbeitsplatz und erzähle allen Hello Girls von hier bis Minnesota, dass ich heute ein fliegendes Schaf gesehen hab."

"Ich hab nur ne grobe Vorstellung davon, wo wohl Minnesota liegt", mischte sich Erich wieder ein, "Aber ich glaube, das würden wir gern vermeiden."

Die Frau klimperte mit den Wimpern. "Glauben Sie?"

Der Doktor seufzte schwer. "Ja, ich fürchte, das glauben wir."

Ritterrüstung

"Ich gehe uns dann mal einen Ritter in glänzender Rüstung organisieren", erklärte die Dame lächelnd. "Drücken Sie mir die Daumen, dass ich keinen Don Quijote an Land ziehe."

"Falls doch, sagen Sie ihm einfach, dass der Grünstreifen schon belegt ist. Neben Johnson passt unmöglich noch eine Rosinante."

Erich stöhnte. "Wenn das der vielgerühmte britische Humor ist, muss ich leider sagen, dass ich ihn nicht lustig finde. Ich weiß ja, dass er mir etwas zu breit geraten ist."

"Und seine Schnauze sah auch irgendwie seltsam aus."

Erich warf Thomas einen bösen Blick zu. "Fein", knurrte er, "Das nächste Walross verwandelst du."

Tierbabys

"Bist du mir noch böse?", fragte Thomas auf halbem Weg zurück zum Krankenzimmer. Einen Moment lang war Erich versucht, einfach so zu tun, als habe er ihn nicht verstanden, dann gab er doch mit einem Seufzer nach.

"Wenn du mich weiter anstarrst wie ein Hundewelpe, der auf den Teppich gepinkelt hat, lautet meine Antwort ja."

"Aber Hundewelpen sind niedlich", entgegnete sein Gegenüber.

"Ich kann gerne einen aus dir machen."

Thomas machte eilig einen Schritt zur Seite "Ich glaube, ich verzichte."

Erich atmete tief durch. "Das ist definitiv eine kluge Entscheidung. Aber wenn du den Fauxpas wirklich wieder gut machen willst, könntest du mir vielleicht einen kleinen Gefallen tun?"

Sein Gegenüber hob die Augenbrauen. "Einen Gefallen?", fragte er.

"Ich muss wissen, ob ihr in euren Krankenakten einen Leo von Brunner habt. Du könntest für mich nachsehen."

"Du könntest auch einfach selber nachsehen", entgegnete sein Gegenüber. "Es ist nur ein Krankenzimmer, nicht Windsor Castle. Keiner wird dich aufhalten, wenn du dich einfach mit den Akten in eine Ecke setzt."

"Du meinst außer Pocken, Gicht und Gonorrhoe?"

"Wir haben keine Patienten mit Pocken, Gicht und meines Wissens nach auch nicht mit Gonorrhoe."

"Nur weil du's nicht sicher weißt, heißt das noch lange nichts."

Ausflugsziel

Erich war speiübel. Das Ganze hatte in dem Moment eingesetzt, in dem er hinter dem Herrn Doktor über die Schwelle des Krankenzimmers getreten und ihm die widerliche Mischung aus Desinfektionsmitteln in die Nase gestiegen war. Das Atmen fiel ihm trotz des offenen Fensters schwer und er hatte große Mühe sich zu konzentrieren.

Und das war schlecht, immerhin erklärte Thomas ihm schon seit einer ganzen Weile, nach welchem Prinzip sie die Krankenakten in den heillos überfüllten Aktenschrank stopften. Unwillkürlich begann er sich die Schläfen zu massieren.

"Es wird besser wenn du an Orte denkst, an denen du gerade lieber wärst", riet ihm Billy im Vorbeigehen. Er hatte einen Nachttopf in der Hand.

Thomas nickte. "Stimmt, das solltest du mal ausprobieren."

Erich legte den Kopf schief. "Orte an denen ich gerne lieber wäre?"

"Meinetwegen auch Orte, die du gerne besuchen würdest. Sowas wie einen guten britischen Pub – Davon habe ich schon sehr lange keinen mehr gesehen. Was ist mit dir? Wo wärst du gerade gerne?"

Erich überlegte. "Am allerliebsten wäre ich jetzt bei Leo", entgegnete er, "Aber wenn es auch mein zweitliebster Ort sein kann ... Dann wäre ich jetzt gerne irgendwo im Wald."

"Im Wald?"

"Ja, damit ich neue Kräuter sammeln kann."

Nixe auf Felsen

"Ich für meinen Teil wäre gern Zuhause", meldete sich der Soldat im Bett unweit des Schrankes zu Wort. Seine Stimme rasselte, als er langsam weiter sprach. "Braubach liegt am schönsten Fluss der Welt, unterhalb der Marksburg. Sie haben den Umbau gerade erst beendet. Und ich würde das wirklich gerne sehen. Und wisst ihr, was ich auch gerne sehen würde?

Die Loreley mit ihren langen, blonden Haaren."

"Denkst du sie hätte eine Hand voll Perlen für dich?", rutschte es Erich heraus.

Der Soldat lachte heiser. "Vielleicht", entgegnete er ihm, "Vielleicht hätte sie auch nur Tränen und ein trauriges Lied im Gepäck."

Einöde

Irgendwo in einem Lager mitten in der Einöde, schlug Tichon mit der Hand auf den Tisch.

"Sie müssen doch wissen, ob Sie meinen Bruder gesehen haben!", fauchte er einen britischen Leutnant an, der ihm einen konsternierten Blick schenkte. Vermutlich war er es nicht gewohnt, angeschrien zu werden.

Hinter sich hörte er Slawa seufzen. "Komm Tischa, das bringt so nichts", murmelte er.

Gerade wollte er ihm zustimmen, da ging zu seiner Überraschung die Bürotür auf und ein Fräulein aus der Verwaltung marschierte herein.

"Verzeihen Sie die Störung meine Herren", säuselte sie in ihrem besten King's English, "Aber ich habe hier ein dringendes Telegram für den ranghöchsten Offizier unseres Lagers."

Der britische Leutnant streckte die Hand nach dem Schreiben aus, doch Tichon war schneller. "Verzeihung", sagte er, während er Beiden den Zettel aus den Fingern riss, "aber der ranghöchste Offizier hier, bin ja wohl ich."

Hinter ihm stieß Slawa ein weiteres Seufzen aus. "Kannst du britische Probleme nicht einfach britische Probleme sein lassen?", fragte er weiter.

Tichon schüttelte den Kopf. "Nein, kann ich nicht", entgegnete er, während er das Telegram las. "Wir brauchen ein neues Ziel und glaub es oder nicht, aber ich glaube, ich habe gerade ein wirklich vielversprechendes Ziel gefunden."

Eine alte Dampflok

"Das ist ein Witz oder?", fragte Tichon, als endlich ein Zug in den Bahnhof rollte. Es war nicht wirklich ein Bahnhof, mehr ein einzelnes Gleis und mit Blick darauf, was gerade einfuhr, wunderte es Tichon nicht einmal.

Die wahrscheinlich älteste Dampflok der Welt schnaufte an ihm vorbei und blieb schließlich fürchterlich quietschend stehen. "Zweite Klasse!", rief ein Schaffner von weiter hinten und die wenigen versammelten Menschen stürmten auf die entsprechenden Wagen zu.

Slawa legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter. "Mach dir keine Sorgen", murmelte er, "Sie fährt schon seit hundert Jahren, da wird sie nicht gerade heute auseinanderfallen."

Lustige Sprüche

Das Polster im Abteil war kaum bequemer als Tichon mit Blick auf die uralte Lok angenommen hatte, aber wenigstens gab es überhaupt eines. Während ihrer Wartezeit am Bahnhof hatte Slawa ihm Gruselgeschichten aus der dritten Klasse erzählt. Dort bekam man auf seiner Fahrt mit Pech nicht mal einen Drink gereicht und reiste mal mit einem Huhn, mal mit einem Schwein und mal mit sonst was für einem anderen Wesen.

Unwillkürlich rümpfte er die Nase. Er wollte nicht mit einem Schwein zusammen reisen. Er brauchte nicht unbedingt einen ganzen Waggon für sich, aber ein gewisses Maß an Luxus, das musste schon –

"Verzeihung, ist hier noch frei?", fragte Jemand und noch bevor ihm das "Nein" über die Lippen kam, drängelte sich ein junger Mann zu ihnen ins Abteil. Seine Uniform sah irgendwie amerikanisch aus, aber immerhin war er allein.

"Ich bin David", flötete er, während er sich neben ihm auf das Polster sinken ließ. "Ich bin unterwegs um einer guten Freundin mit ihrem Schaf zu helfen. Und Sie? Was führt Sie in diesen Zug?"

Tichon wechselte einen Blick mit Slawa.

"Die weiße Armee", antwortete der schließlich auf schlechtem Englisch.

"Die rote Armee", schloss sich Tichon seiner Aussage an.

"Die Kohlkopfarmee", witzelte Sascha.

The Captain's Daughter

"Meine Frau ist immer noch wütend, dass meine Tochter eine Stelle bei der Post angenommen hat", erzählte Gabriels Vater nicht ganz ohne Stolz.

Mael schenkte ihm ein amüsiertes Lächeln. "Ich wüsste nur zu gerne, von wem die Kleine ihren Dickkopf hat", stichelte er.

Stéphane Morneau zuckte mit den Schultern. "Meine Frau sagt, ihrer sei es sicher nicht und deshalb müsse es wohl meiner sein".

Mael grinste jetzt.

"Und", fragte er, "Ist es deiner?"

"Manchmal glaube ich schon, aber dann sehe ich, wie sie Gabriel wegen solchem Kleinkram grollt und ich bin mir sicher, von mir haben die Kinder das nicht."

„I hereby commit my body into the deep“

"Und? Gibt es Neuigkeiten von deinem Sohn?", fragte Mael weiter.

Der Gesichtsausdruck seines Freundes verdunkelte sich. "Leider nein. Es ist schon wieder ewig her, seit ich einen Brief von ihm bekommen habe."

"Du weißt wie das ist. Man kann seine Post nicht überall aufgeben. Manchmal dauert es einfach. Das war schon zu unserer Zeit so."

"Bei uns war es so, weil wir auf einem Schiff gedient haben und die Post nun mal erst an Land gebracht werden muss."

"Ich weiß. Aber du weißt auch, wie lange unsere Eltern damals auf unsere Briefe gewartet haben."

"Einige von ihnen warten noch immer."

Leviathan

"Weißt du noch, wie die von der Leviathan auf uns geschossen haben? Das ganze Boot hat gebebt."

Stéphane nickte. "Es hat gebrannt", erinnerte er sich.

"Wie Zunder. Ich dachte wirklich, dieses Mal bleiben wir auf See."

"Du und ich? Als Fischfutter?" Stéphane schüttelte den Kopf. "Eher unwahrscheinlich", urteilte er.

"Warum ist es unwahrscheinlich, dass wir abgeschossen werden und als Fischfutter enden? Ich fand das damals sehr wahrscheinlich."

"Du hattest damals auch keine Verlobte Zuhause, die selbst den größten Hai in die Flucht geschlagen hätte, wenn er zwischen ihr und der Hochzeit gestanden hätte."

"Glaub mir, darüber war ich nicht unfroh."

Seemannsgarn

"He, Capitaine! Hör auf mit dem Seemannsgarn und wirf lieber mal einen Blick durch dein Fernrohr. Ich glaube, da ist ein Schiff am Horizont."

"Du glaubst?", rief Stéphane zurück. "Hast du immer noch keine neue Brille?"

"Doch!", rief Mattis aus der Takelage hinab. "Aber Francoise hat sich gestern draufgesetzt! Ich muss sie richten lassen und das dauert ein paar Tage!"

Mael legte den Kopf schief. "Heißt das, wir haben einen Mann im Ausguck, der nicht mehr als drei Wellen sehen kann?"

Stéphane nickte. "Das heißt es. Aber keine Panik, mehr als die drei Wellen sieht er auch mit Brille nicht."

Hanse

"Mattis hat recht", murrte Per plötzlich und Stéphane wandte ihm sofort seine ganze Aufmerksamkeit zu. Per mochte nicht der beliebteste seiner Matrosen sein, aber er scherzte nicht. Er war einfach immer bierernst und nahm jeden Witz für bare Münze.

"Siehst du die Beflaggung?", fragte Stéphane skeptisch. "Sind das die Briten?"

"Negativ", entgegnete Per.

"Was für ein Schiff ist es dann?", fragte Mael prompt dazwischen. "Ist es irgendein anderer Händler?"

"Negativ", entgegnete Per noch einmal. "Handelsschiffe brauchen in diesem Jahrhundert keine Kanonen. Und dieses Schiff sieht gut gerüstet aus."

"Also ist es keine Kogge?"

"Sieht eher wie ein deutsches Kriegsschiff aus."

 

„Nennt mich Ishmael“

"Kannst du den Namen lesen?", rief Mael in die Takelage hinauf, doch Mattis antwortete nicht sofort. Das gab Stéphane ein paar Sekunden um durchzuatmen. Ein feindliches Kriegsschiff an ihrer Küste. Das bedeutete Ärger.

"Da steht Ishmael", vernahm er schließlich Mattis Antwort. Doch die klang irgendwie falsch. Er hätte die Wilhelm erwartet, die Bismarck oder die Karl-Otto. Aber die Ishmael?

"Bist du dir sicher, dass das da steht? Wenn ich einen Funkspruch an die Ishmael rausschicke und das da ist eigentlich die Liselotte, könnte es sein, dass die uns beschießen."

"Wenn die rauskriegen, dass unsere Hermelinflagge französisch ist, schießen die sowieso."

Chicken on a raft

"Ich seh dich schon auf einem Floß rumgackern", grollte Mael, doch falls Mattis ihn hörte, antwortete er nicht. Es war Stéphane, der an seiner Stelle den Kopf schüttelte. "Erstens haben wir kein Floß an Bord, gerade mal drei Rettungsboote und zweitens muss ich dich nicht daran erinnern, dass wir uns nicht von den Deutschen versenken lassen."

"Aber das ist ein Kriegsschiff", quatschte Per dazwischen.

Stéphane schnaubte wütend. "Na und? Die haben vielleicht mehr Männer als wir und das schnellere Schiff und größere Kanonen ..."

"Ich sag es ungern Stéphane, aber eigentlich sind sie die Einzigen hier, die überhaupt eine Kanone haben."

Moby Duck

"Moby Dick hat auch gegen den Walfänger gewonnen", entgegnete Stéphane ihm.

Mael hob die Augenbrauen. "Du weißt, dass das nicht die Moral des Buches ist, oder?", fragte er.

Per schob sich zwischen die Beiden. "Für den Buchclub habt ihr später immer noch Zeit", erklärte er unwirsch, "Muss ich euch daran erinnern, dass ein Kriegsschiff auf uns zuhält? Die wollen uns zu den Fischen schicken."

Stéphane schüttelte den Kopf. "Wollen sie nicht", korrigierte er ihn. "Wir sind nicht auf einem Kriegsschiff. Wir sind ein ziviles Ziel."

"Was besser ist, weil?"

"Sie uns nicht versenken wollen. Was sie wollen, ist unsere Fracht."

Arrrrrrrrrr!

"Wundervoll", murrte Per. "Dann wollen sie uns entern. Ich hatte immer geglaubt, die Zeit der Piraterie sei mit meinem Großvater gestorben. Das ist doch ..."

"Eine Frechheit", half Stéphane ihm aus. "Unsere Groß- und Urgroßeltern sind zur See gefahren. Sie waren Kosaren. Wir kommen aus einer Kosarenstadt. Wir sollten uns nicht von einer Landratte entern lassen."

"Richtig!", stimmte Per ihm zu.

"Muss ich euch an die Kanonen erinnern?", entgegnete Mael. "Wenn ihr jetzt die Jolly Roger hisst, enden wir auf dem Meeresgrund."

"Da hast du recht", musste Stéphane zugeben, "Und abhauen können wir auch nicht. Also bleibt uns nur ... Ein Trick."

Sauerkraut

"Bist du sicher, dass ich die Krauts anfunken soll?", fragte ihr Funker, als Stéphane ihm die Anweisung dazu gab. "Noch könnten wir versuchen, einfach abzudrehen."

"Sie sind schneller als wir", erklärte Stéphane. "Ich bin mir also sicher. Mors ihnen, dass ich ihren Kapitän sprechen möchte."

"Ich halte das für keine gute Idee", murmelte Mael. "Was wenn sie dich als Geisel nehmen?"

Stéphane grinste. "Glaub mir, dafür bin ich einerseits nicht reich genug und andererseits viel zu anstrengend. Wenn die mich länger als ein paar Stunden behalten wollen, werden sie schon sehen, was sie davon haben."

"Planst du schon ne Meuterei?"

Captain Smith

Kapitän Schmitt war ein großer, schlaksiger Kerl mit einem altmodischen Backenbart und Augen, die verrieten, dass er bei weitem nicht so erfahren war, wie der Bart die Matrosen glauben lassen sollte. Er beäugte Stéphane skeptisch, als er aus dem Beiboot stieg und noch skeptischer, als sein erster Maat ihn auf Waffen durchsuchte. Erst als er sicher war, dass er nichts bei sich trug, entspannte sich seine Haltung ein bisschen.

"Sie wollen verhandeln?", fragte er in einem Singsang, den Stéphane nur mit Mühe verstand.

Er nickte dennoch. "Ja, das will ich."

"Sie werden uns ihre Ladung übergeben", forderte Kapitän Schmitt. "Wenn Sie das getan haben, lassen wir Sie ziehen."

Stéphane seufzte. "Das hatte ich befürchtet", murmelte er. "Und wie stellen Sie sich die Übergabe vor?"

"Wir werden die Schiffe vertauen und Sie werden die Ladung rüberschaffen."

Stéphane nickte. "Das klingt vernünftig, aber ... Bei dieser Strömung haben meine Männer Mühe das Schiff ruhig zu halten. Unser Segler ist viel anfälliger als Ihr Schiff, aber das wissen Sie als erfahrener Kapitän natürlich ganz genau. Wenn Sie es uns gestatten, würde ich unser Schiff gerne in ruhigeres Gewässer bewegen. Es ist nicht weit und es würde die Warenübergabe für uns alle deutlich sicherer machen."

"… und 'ne Buddel voll Rum"

"Haben sie den Köder geschluckt?", fragte Mael, kaum das er ein Bein über die Reling geschwungen hatte.

Stéphane grinste. "Als wär's ne Buddel voll Rum. Wir sollen vorfahren. Sie werden uns mit kurzem Abstand folgen. Wenn wir fliehen, werden Sie das Feuer auf uns eröffnen. Das hat mir Capitaine Schmitt versprochen." Stéphane zog das zweite Bein nach und warf dann einen Blick nach unten, wo sein Beiboot hübsch vertäut darauf wartete, wieder aus dem Wasser gezogen zu werden.

"Ahnt er was?", fragte Mael, während die Matrosen mit dem Einholen begannen. Stéphane schüttelte den Kopf. "Der glaubt, er habe bereits gewonnen."

Ein Shanty

"Wenn dein Plan wirklich aufgeht, schreiben die Jungs als Dank ein Shanty auf dich", versicherte Mael, während er Stéphane zum Steuerrad folgte.

Dieser verzog das Gesicht. "Ehrlich gesagt, habe ich mich immer noch nicht so ganz vom letzten erholt", gestand er. "Sie singen nicht halb so gut, wie sie zu singen glauben."

"Ich glaube, sie wissen ganz genau wie gut oder schlecht sie singen", gab Mael zu bedenken. "Sie genießen es einfach nur, dein entsetztes Gesicht zu sehen."

"Aber es muss doch auch in ihren Ohren wehtun."

"Tut es, tut es. Zumindest, solange sie noch beim ersten Glas Apfelschnaps sind."

Galionsfigur

"Mattis, du und Per behaltet das deutsche Kriegsschiff im Auge Wenn da auch nur die Galionsfigur wackelt, will ich es sofort erfahren", befahl er, während der Segler langsam wieder Fahrt aufnahm.

Er traute sich nicht, zu schnell zu segeln, aber er wusste, er durfte auch nicht zu langsam an die Sache herangehen. Je mehr Zeit Capitaine Schmitt hatte, seinen Vorschlag zu überdenken, desto größer war die Wahrscheinlichkeit, dass er ihnen auf die Schliche kam. Sie mussten zügig vorgehen, durften dabei aber auf keinen Fall den Eindruck vermitteln, fliehen zu wollen. Hier war Fingerspitzengefühl gefragt. Fingerspitzengefühl und eine verdammt gute Ortskenntnis.

Nordwest-Passage

"Fahren wir die Passage von Nordwesten an?", fragte Mael. "Das haben wir seit Jahren nicht gemacht."

Stéphane nickte. "Ich weiß, aber wenn wir es von der anderen Seite aus versuchen, könnte Capitaine Schmitt uns in der Zwischenzeit auf die Schliche kommen. Wir sollten es schnell zu Ende bringen."

"Hauptsache du lässt uns vor lauter Eile nicht auf Grund laufen", murmelte Mael.

"Damit wir doch noch gemeinsam bei den Fischen schlafen können?", fragte Stéphane. "Keine Chance. Zu Hause wartet bestimmt schon Post auf mich. Außerdem wäre meine Frau ernsthaft verstimmt, würde ich hier einfach untergehen. Ich habe ein paar Hausarbeiten aufgeschoben."

Eisberg voraus!

"Eisberg voraus!", meldete Mattis, begann aber noch im gleichen Atemzug zu kichern. "Sorry, sorry", rief er zu ihnen hinab. "Ich wollte das nur schon immer mal schreien."

Das ist nicht lustig", murrte Per, "Stell dir vor, der Capitaine hätte das ernst genommen. Dann würde er jetzt ein Ausweichmanöver in die Wege leiten, das die Deutschen mit Pech vollkommen missverstehen würden. Du gefährdest unseren Plan."

Weit über ihnen, im Krähennest, schob Mattis seinen Kopf hervor. "Gott, Per", maulte er, "Das kann doch wohl nicht dein Ernst sein! Wie sollte Stéphane das mit dem Eisberg ernst nehmen? Wir haben fast 30°C hier."

Meervolk

"Du bist dämlicher als dieses Märchen von der liebeskranken Meerjungfrau", maulte Per, doch Stéphane ignorierte die Streitereien seiner Männer. Er wusste, das war ihre Art, mit ihrer Nervosität umzugehen. Und für Nervosität hatten sie jeden Grund.

Ihr Kurs war gefährlich. Während der Ebbe ragten hier große Felsen aus dem Meer. Felsen, die man im Moment nur nicht sah, weil die Flut sie versteckte. Sie alle kannten wenigstens eine Geschichte von einem unglücklichen Seemann, der hier sein Ende fand. Und sie alle hofften, morgen eine Weitere in ihr Repertoire aufnehmen zu können. Eine, in der sie nicht die tragische Hauptrolle spielten.

Auf Grund laufen

Es geschah viel früher als sie gehofft hatten. Plötzlich gab es ein lautes, schabendes Geräusch, das ihnen durch alle Glieder fuhr und jeder, der nicht gerade damit beschäftigt war den Kurs zu halten, fuhr automatisch zu ihrem Verfolger herum.

"Oh ja!", schrie Mattis aus dem Ausguck herunter. "Den haben sie voll mitgenommen!"

"Kannst du den Schaden sehen?!", brüllte Per zu ihm hinauf, doch Stéphane ließ sich davon nicht ablenken. Noch waren sie nicht außer Gefahr. Noch Bestand die Möglichkeit, dass Capitaine Schmitt ein Licht aufging. Und wenn er sich beeilte, leider auch die, dass er sich mit einem Schuss bedankte.

Legt euch in die Riemen

"Legt euch in die Riemen!", fauchte Stéphane die aufgeregten Matrosen an. "Wir müssen Abstand zu ihnen bekommen."

Die Männer zerrten an den Seilen und die Segel blähten sich, während das Schiff zwischen den Felsen hindurch glitt.

Neben ihm schüttelte Mael den Kopf. "Wir haben wirklich mehr Glück als Verstand", murmelte er, während er dabei zusah, wie das Kriegsschiff kleiner wurde.

"Eigentlich hat das nicht viel mit Glück zu tun", verbesserte Stéphane. "Ein so großes Boot ist eben ziemlich schwer. Da ist zwangsläufig ein großer Teil des Rumpfes unter Wasser gelegen. Besonders wenn es voller Waffen und Menschen ist. Unser Boot dagegen ist eher leicht gebaut. Unser Rumpf liegt höher, selbst wenn wir Ladung im Frachtraum haben. Ich wusste, wir würden Strecken befahren können, die dieses Schiff nicht schafft. Die Frage war nur, ob der deutsche Capitaine genug Erfahrung hat, um es auch zu wissen."

"Nun, die Antwort haben wir jetzt", stellte Mael trocken fest.

Stephane nickte. "Eigentlich tut der Junge mir ein bisschen leid. Er hat sich solche Mühe gegeben wie ein erfahrener Seemann auszusehen."

"Was meinst du, fischen wir ihn nachher raus?"

"Natürlich tun wir das. Aber vorher holen wir unsere Flinte aus dem Frachtraum und vielleicht ein Tau."

Schiffbruch

"Sie gottverdammter Mistkerl!", begrüßte ihn Capitaine Schmitt, als sie ihn schließlich hustend und prustend aus dem Wasser fischten. Doch Stéphane ignorierte sein Gezeter. In der letzten Stunde hatte er mehr Soldaten die Hände auf dem Rücken gefesselt, als in seiner ganzen, aktiven Zeit bei der Marine. Nicht wenige von ihnen hatten ihn wüst beschimpft.

"Zeigen Sie ein wenig Respekt", fuhr ihn Per in diesem Moment von der Seite an, "Der Mann ist schließlich unser Capitaine."

"Ja, genau", pflichtete Mael ihm bei. "Wenn Sie ihn schon beleidigen müssen, tun Sie es gefälligst korrekt. Das bedeutet, es heißt Capitaine Mistkerl für Sie."

Hausboot

So voll hatte er seinen Segler noch nie erlebt. Das ganze Deck war voller Menschen. Matrosen, die mit zusammengebundenen Händen beieinander standen und seine Männer beäugten, während die versuchten, ihren Aufgaben nachzugehen.

Es war ein seltsames Bild.

In seiner Jugend war er das eine oder andere Mal zu den großen Hafenfesten gefahren, die entlang der Küsten regelmäßig stattfanden. Doch mit einer Horde Kurgäste auf dem Schiff, war die Stimmung eine Andere. Er vermisste das fröhliche Geschnatter der Leute und ihre teils seltsamen Fragen. Er vermisste die Kinder, die immer wissen wollten, ob man auf dem Schiff auch dauerhaft wohnen konnte.

seekrank

Manche Kurgäste wurden beinahe sofort seekrank. Dazu mussten sie das Schiff nur betreten. Kaum standen sie auf den Planken, setzte die Übelkeit ein. Er musste dafür noch nicht mal ablegen.

Manchmal hatte er sich gefragt, ob diese Leute wirklich seekrank waren, oder ob es eine andere Art von Ursache für ihre Übelkeit gab, aber bis heute war er nicht dahinter gekommen.

Unwillkürlich ließ er den Blick über die gefangenen Matrosen gleiten. Die würden ihm bei der Erforschung auch nicht behilflich sein. Im Gegenteil, die Meisten von ihnen wirkten relativ gefasst. Es waren Seeleute mit deutlich mehr Erfahrung als ihr Capitaine.

 

Falscher Hafen

"Fahren wir St. Malo an?", fragte ihn Mael. Er hatte die Flinte geschultert und versuchte souverän auszusehen.

Stéphane schüttelte den Kopf. "Nein, tun wir nicht. Dafür haben wir zu viele Gefangene gemacht. Mit Pech kriegt Gustave die gar nicht alle in unser kleines Gefängnis. Ich dachte, wir fahren sie nach Westen. Nach Brest."

"Haben sich da nicht die Amerikaner breit gemacht?"

"Ganz genau. Wir laufen in den Hafen ein, suchen uns einen amerikanischen Offizier und übergeben ihm unsere Gefangenen. Quasi als Willkommensgeschenk."

"Verstehe. Du meinst, dann kann der sich überlegen, wie er die alle in zwei winzige Zellen kriegt."

"Genau."

Haie

"Das machen wir nicht mit!", fauchte Capitaine Schmitt, als er erfuhr, dass ihr nächstes Ziel ausgerechnet der Hafen von Brest war. Seine Männer musterten ihn skeptisch, während sich Stéphane betont gelassen gab.

"Nun Capitaine, auch wenn es vielleicht anders aussieht, sind Sie kein Gefangener auf meinem Schiff. Wenn Sie es wünschen, werden meine Männer Ihnen sofort die Fesseln durchschneiden und Sie können gehen."

"Ausgezeichnet!", grollte der Deutsche.

"Ich empfehle einen Kopfsprung vom Bug aus und dann schnelles Kraulen bis zur Küste. Aber ich sollte Sie warnen: Es gibt Haie hier und einige von denen haben Sie sicher zum fressen gern."

Walfänger

"Das ist ein schlechter Scherz!", echauffierte sich Kapitän Schmitt. "Was glauben Sie eigentlich wer Sie sind? Wenn wir erst gewonnen haben, stellt man Sie dafür vor ein Kriegsgericht!"

Stéphane legte den Kopf schief. "Wofür denn? Weil ich Sie vor den Haien gewarnt habe, oder weil ich Sie aus dem Wasser habe ziehen lassen?"

"Sie wissen ganz genau wofür!", schnappte der Kapitän zurück. "Ihr Walfänger hat mein Boot versenkt!"

"Also eigentlich haben Sie das ganz alleine hinbekommen und das werden meine Männer gern bezeugen. Junge, ernsthaft: Normalerweise hat ein Capitaine Berufserfahrung, aber du kannst ein Segelschiff nicht von einem Walfänger unterscheiden."

Drachenboote

"Walfänger, Segelschiff oder Drachenboot! Ist mir doch scheiß egal! Fakt ist, für die Aktion wird man Sie erschießen!", grollte der Capitaine weiter.

Stéphane zuckte mit den Schultern. "Nur wenn Sie den Krieg gewinnen", erinnerte er ihn.

"Wir werden gewinnen!", keifte Capitaine Schmitt zurück. "Es ist nur noch eine Frage von Tagen oder Wochen!"

"Oder Monaten", entgegnete Stéphane trocken. "Und vielleicht erreichen Sie ihre Ziele nie. Wie auch immer die Sache am Ende ausgeht, letztlich wird keiner der Beteiligten gewinnen. Dafür werden zu viele Männer in den Gräben bleiben. Und viele von denen die zurückkommen, werden nie mehr die Alten sein."

Schotten dicht

"Was ist denn hier los?", fragte ihn Mael neugierig.

Stéphane zuckte ein weiteres Mal mit den Schultern. "Nicht viel", entgegnete er. "Ich glaube Capitaine Schmitt macht gerade seine Schotten dicht."

Mael lachte. "Schätze, du hast ihm ordentlich die Meinung gegeigt, oder?"

Stéphane winkte ab. "War gar nicht nötig. Ehrlich gesagt, ist es mir ziemlich gleich, ob er glaubt, den Krieg gewinnen zu können, oder ob er versucht, mir die Schuld an seinem Unvermögen zu geben. Das Einzige, was mir nicht egal ist, ist das er jetzt nicht mehr in der Lage ist, vor unserer Küste noch ein weiteres Schiff auszunehmen."

Sextanten?!

"Ich habe unsere Gäste beobachtet", berichtete Mael. "Ein paar von ihnen scheinen durchaus erfahrene Seeleute zu sein. Und die Meisten teilen die Einstellung ihres Capitaines nicht. Sie wollen zwar nicht nach Brest, in die Kriegsgefangenschaft, aber ich glaube, sie sind zum Teil nicht unglücklich darüber, dass sie von dem Kriegsschiff runter sind. Und ein paar von ihnen wirken ganz sympathisch. Ich habe Per gerade da hinten ganz stolz seinen neuen Sextanten vorführen sehen. Der Navigator der Deutschen war begeistert."

"Ich bin auch begeistert von dem Teil", kommentierte Stéphane amüsiert. "Jedenfalls, wenn Per uns damit auf schnellstem Wege nach Brest bringt."

Der fliegende Holländer

"Sind wir etwa schon da?", staunte David, als schließlich ein kleiner Bahnhof vor ihrem Abteilfenster erschien. "Die alte Dame war ja richtig flott."

Tichon hüstelte. "Ja, sie war fast so flott wie der fliegende Holländer."

"Nun, immerhin sind wir heil angekommen. Da war ich mir nicht ganz sicher, als ich die Lok gesehen habe."

"Diese Sorge hatte ich zugegebenermaßen auch", erwiderte Tichon und folgte David zur Tür. "Wie ist es, werden Sie am Bahnhof abgeholt?"

"Ich fürchte, dafür ist meine Angelegenheit nicht dringend genug."

"Ich dachte, Sie sollten unbedingt sofort kommen?"

"Ja, es ist dringend, aber eben nicht dringend genug."

 

Auf Viking

"Was wollen Sie eigentlich in dem Gefangenenlager?", fragte David weiter. "Ich schätze nicht, dass Sie es erobern wollen?"

"Mit zwei Soldaten und ohne eine Leiter?", Tichon lachte. "Keine Chance. Wir sind schließlich keine Wikinger, dass wir einfach vor der Tür auftauchen und darauf hoffen können, dass unser Ruf dafür sorgt, dass sie aufgeben. Nein, ernsthaft. Wir haben ein Telegramm abgefangen, in dem stand, dass hier dringend Hilfe benötigt wird. Und weil ich gerne einen Blick in die Akten werfen und vielleicht das eine oder andere Gespräch mit den Gefangenen führen wollte, dachte ich, das würde sich vielleicht ganz gut ergänzen."

staubig

"Herr Doktor?", fragte einer der Soldaten und lenkte Erich damit von seiner Lektüre ab. Er war jung, dünn und sah in seiner staubgrauen Armeejacke ein bisschen verloren aus. Erich glaubte nicht, ihn schon einmal im Lazarett gesehen zu haben und wenn er Thomas' Blick richtig interpretierte, war er da nicht der einzige.

"Ja?", antwortete der Arzt.

"Als ranghöchster Offizier möchten Sie vielleicht erfahren, dass die Russen vor der Tür stehen."

"Russen?"

Der Soldat nickte. "Johnny wollte fragen was sie wollen, aber dann ist ihm eingefallen, dass er kein Russisch kann."

"Also stehen die jetzt vor der Tür, weil keiner sich zu fragen traut, was sie hier wollen?", fragte der Arzt.

"So schaut's aus. Ich dachte, das wollen sie erfahren."

Der Arzt stöhnte. "Ja, ich fürchte, das wollte ich auch. Thomas, sei so nett und hol Miss Ivy, Ich muss erfahren, ob sie ihren Funkspruch neben Englisch auch noch auf Russisch abgegeben hat. Wir treffen uns vor dem Tor."

"Und was haben Sie vor?", wagte Thomas zu fragen.

"Was schon? Ich werde unsere Gäste begrüßen."

"Nehmen Sie mich mit", rief Erich dazwischen. "Ich kann für Sie übersetzen."

"Das ist nett", erwiderte der Arzt, "Aber so schlecht ist mein Russisch gar nicht."

Fremdenfeindlichkeit

Der Doktor nahm ihn trotzdem mit und so folgte Erich ihm schon kurz darauf durch die Gänge.

"Bleiben Sie am Tor hinter mir. Wir wollen nicht riskieren, dass die Herren denken, Sie wollten fliehen. Und sperren Sie Ihre Ohren auf. Wir werden ihnen nicht sagen, dass Sie sie verstehen, dann haben Sie vielleicht die Chance, nebenbei ein paar Details in Erfahrung zu bringen."

Erich nickte, wenn auch verwirrt. "Denken Sie, sie werden Ihnen nicht alles sagen?", fragte er.

Der Arzt schnaubte. "Natürlich nicht", antwortete er. "Die wenigsten Briten nehmen einen persischen Militärarzt ernst. Warum sollten es also irgendwelche Russen tun?"

Kapitalismus

"Wenn die Briten Sie so schlecht behandeln, wieso arbeiten Sie dann für sie?", fragte Erich weiter.

Der Doktor schob sich die Brille auf der Nase zurecht. "Ganz ehrlich?", erwiderte er dann. "Wegen des Geldes. Der Schah ist pleite. Er kann seine Männer nur bezahlen, wenn er ein weiteres Darlehen bekommt. Ich kann es mir aber nicht leisten, einzig und allein für die Dankbarkeit meiner Patienten zu arbeiten. Ich habe meine alten Eltern und zwei Schwestern Zuhause. Von irgendetwas müssen sie leben. Und letztlich bin ich eben Arzt. Ich will Menschen helfen, egal auf welcher Seite dieses Krieges sie auch stehen."

Fußpilz

"Was machen wir, wenn die Russen hier wirklich einmarschieren wollen?", wollte Erich wissen.

Der Doktor lächelte. "Ich dachte, wenn es soweit kommt, fangen Sie einfach mal ganz unverfänglich zu husten an."

"Zu husten?"

Der Doktor nickte. "Ich erzähle Ihnen, hier gäbe es Fälle der Grippe und wir wären mehr als froh, dass sie gekommen sind, um uns bei der Versorgung zu helfen."

Erich begann unwillkürlich zu schaudern. "Bei mir funktioniert es schon", stellte er fest.

Der Doktor lachte. "Bei Ihnen reicht die Erwähnung eines Fußpilzfalles aus, um Sie für Tage von der Krankenstation zu vertreiben."

"Der ist ja auch eklig."

Matsch an den Schuhen

Etwas angewidert folgte Erich dem Doktor zum Tor. Dort wurden sie bereits von Johnny erwartet.

"Sie sind zu viert", erklärte dieser, "Bewaffnet."

Der Doktor nickte verständnisvoll. "In Ordnung. Das kriegen wir schon hin."

Johnny sah eher nicht so aus, als würde er ihm das glauben. Trotzdem begann er kommentarlos das Tor zu öffnen.

Das Erste, was Erich sah, war der Matsch an ihren Stiefeln, dann folgten die unregelmäßigen, grünbraunen Hosen, die Gymnastiorka und ...

Ein Offiziersmantel flatterte vor seine Augen und plötzlich sah Erich gar nichts mehr. Weicher Stoff schmiegte sich an ihn, während ihm ein Russe dezent die Luft abdrückte.

Ja, es tut weh!

"Sie tun ihm weh!", kam ihm der Doktor zu Hilfe und tatsächlich löste sich der Klammergriff. "Wirklich?", fragte Jemand. Erich schnappte nach Luft. "Wirklich", japste er.

Wie auf Befehl löste sich die Umarmung. "Entschuldige."

Erich stockte. Diese Stimme. Das war doch ... "TISCHA!", entfuhr es ihm. Dann warf er sich seinem Gegenüber um den Hals.

Dieser lachte. "Hallo Erich!"

Der Doktor starrte sie schief an, die anderen Russen starrten, aber Erich war es egal. Er hatte Tichon gefunden!

Dieser warf dem Arzt einen langen Blick zu. "Ich weiß nicht, was mein Freund hier macht", erklärte er, "Aber ich werde ihn mitnehmen."

Diktatur

"Sie können ihn nicht mitnehmen", wagte der Arzt den Widerspruch. "Er ist ein Kriegsgefangener."

Tichon schenkte ihm einen arroganten Blick. "Wer sollte etwas dagegen haben?"

Der Doktor schluckte. "King Georg?", schlug er vor.

Tichon winkte ab. "Wenn er vorbeikommt um sich zu beschweren, sagen Sie ihm, meine Sprechzeiten beschränken sich auf Dienstagnachmittag. Und bis dahin, komm Erich, wir haben viel zu tun."

Erich warf dem Doktor einen entschuldigenden Blick zu, dann zuckte er mit den Schultern. "Ich will deinen Enthusiasmus wirklich nicht trüben", murmelte er, "Aber der Doktor hat recht, ich kann nicht einfach gehen. Ich verfolge eigene Ziele hier."

Dreckige Scheiben

"Eigene Ziele?", fragte Tichon überrascht.

Erich nickte. "Mein Freund Leo ist verschollen", erklärte er ihm. "Ich muss ihn wiederfinden und dafür suche ich gerade die Krankenakten dieses Lagers durch. Der Doktor war so nett, es mir zu erlauben."

Dieser musterte höchst interessiert die dreckigen Fensterscheiben. "Eigentlich habe ich es Ihnen nur nicht verboten", entgegnete er.

Tichon nickte. "Nun, das trifft sich gut. Ich bin hier um die Gefangenenakten nach meinem Bruder durchzusehen."

Erich runzelte die Stirn. "Er ist hier?"

Tichon zuckte mit den Schultern. "Vielleicht, vielleicht auch nicht. Ich fürchte, es ist ihm wie deinem Freund ergangen. Er ist verschollen."

fanatisch

"Bist du sicher, dass die sozialistischen Fanatiker ihn nicht erwischt haben?", fragte Erich.

"Relativ", entgegnete Tichon. "Die letzten Informationen, die ich über ihn habe sind, dass er gegen einen Lieutenant Weiß gezogen ist. Kennst du den?"

Erich überlegte. "Weiß ist ein recht häufiger Nachname", informierte er Tichon, "Ich kenne einen. Aber ob das deiner ist ..."

Dieser seufzte. "Es ist wirklich verdammt schwierig", murrte er. "Aber notfalls werde ich jeden Einzelnen zwischen hier und München in der Sache verhören."

Erich nickte. "Verstehe ich und ich werde dir gerne dabei helfen, wenn du mir im Gegenzug in der Sache mit Leo hilfst."

Krankheiten allgemein

"Kein Problem", versicherte Tichon und drehte sich prompt zum Doktor um. "Sie", befahl er, "Beschaffen Sie Leo."

Dieser legte den Kopf schief. "Bedaure, Sir, aber mein Arbeitsvertrag sagt ganz klar, dass ich als Arzt hier angestellt bin. Das heißt, ich kümmere mich um Leo, wenn er halbtot aus einem Graben kriecht. Ich kümmere mich auch um Krankheiten aller Art, die ihn befallen, aber ich bin nicht dafür zuständig, den Patienten überhaupt erst zu finden."

"Das ist keine sehr gute Arbeitsmoral", bemerkte Tichon.

"Wahrscheinlich haben Sie recht", stimmte der Doktor zu, "Aber es ist meine und ich gedenke, sie zu behalten."

Einhorn aus der Dose

Tichon schenkte dem Doktor einen bedauernden Blick, dann wandte er sich wieder Erich zu. "Einen Versuch war es wert", erklärte er leichthin. "Aber es spricht ja nichts dagegen, dass wir gemeinsam die Unterlagen durchsuchen. Zu Viert geht es schneller. Apropos. Das hier sind meine Freunde: Slava und Sascha."

Erich nickte Beiden zu. "Freut mich", sagte er, "Und wer ist der Amerikaner da?"

Tichon öffnete den Mund, doch der Amerikaner war schneller. Mit einem breiten Grinsen kam er auf sie zu und wirkte dabei etwa so fehl am Platze, wie ein Einhorn in ner Dose.

"Hi", sagte er, "Ich bin ..."

"David!"

Verspätet

"David!", rief Ivy und stürzte an Erich und Tichon vorbei. "Es tut mir leid, ich komme zu spät. Ich hatte einen Admiral in der Leitung, den konnte ich nicht einfach auflegen."

"Einen Admiral?", fragte David, "Seit wann hast du denn Kontakte zur Marine?"

"Hab ich nicht. Aber scheinbar haben sie in Brest eine größere Menge deutscher Kriegsgefangener und keiner weiß wohin mit ihnen."

"Und da konntest du helfen?"

"Natürlich. Ich habe ihm erklärt, ich nehme seine Deutschen gerne. Allerdings nur, wenn er mir im Gegenzug dabei hilft, den Antrag auf einen neuen Lagerleiter durchzudrücken. Vorzugsweise den für unseren präferierten Kandidaten."

Lauch

"Und wo ist dein Captain?", fragte David weiter. Ivy machte eine unbestimmte Geste in Richtung Tor. "Als ich das letzte Mal nach ihm geschaut habe, stand er auf der Weide und hat eine Stange Lauch gefressen. Wo der her kam, keine Ahnung. Ob er das verträgt? Was weiß ich? Ehrlich gesagt, bin ich mir nicht mal sicher, ob er wirklich ein Schaf ist."

Erich seufzte schwer. "Ist ja gut", murrte er, "Ich habe die Kritik vernommen. Und ich habe bereits mehrfach gesagt, dass es ein Unfall war."

"Ein Unfall?", fragte Tichon von der Seite. "Erich, wie viele Köpfe hat er?"

Bist du dumm oder was?

"Einen. Er hat nur einen", knurrte Erich. "Ich saß in seinem Büro und er hat Mist geredet und ich war damit beschäftigt, ihn nicht direkt zu fragen, ob er wirklich so dumm ist, wie er gerade tut. Und bevor ich mich versehen habe, war er ein Schaf."

"Ich vermute, er ist ein Stück weit Esel", ergänzte der Doktor von der Seite, "Aber ich kenne mich mit der heimischen Tierwelt nicht ganz so gut aus. Fakt ist, ich sehe mich nicht im Stande, ihn ohne längere Forschungsphase zurück zu verwandeln. Ich kann ihn nur an ein magisches Hospital Ihrer Wahl überstellen."

Unordnung

"Dann überstellen Sie ihn nach New York und Erich und ich gehen jetzt und schauen uns die Akten an", erklärte Tichon mit großem Selbstverständnis. "Es bringt ja nichts, wenn er hier ewig auf der Weide steht."

David nickte. "Da ist was dran", stimmte er zu. "Ich werde einen entsprechenden Bericht verfassen."

"Wunderbar", entgegnete Tichon, "Dann muss ich es nicht tun. Also, gehen wir."

Das war der Moment, indem die junge Frau leise hüstelte. "Ich will sie wirklich nicht aufhalten", erklärte sie, "Aber bevor Sie gehen, sollten Sie eine Kleinigkeit wissen: Captain Johnson ist nicht das ordentlichste Schaf auf der Weide."

Ich hab's dir doch gesagt

"Nicht das ordentlichste Schaf auf der Weide", murmelte Tichon, als er vor dem Archiv stand. Er war sichtbar verärgert, denn die Tür ging einfach nicht auf.

Erich linste durch das Schlüsselloch, doch alles, was er erkennen konnte, war ein weißes Etwas, das vielleicht ein Stück Papier sein mochte.

Neben ihm zuckte Ivy mit den Schultern. "Ich hab's Ihnen gesagt", erinnerte sie die Beiden. "Seit ich hier arbeite, war die Tür noch nicht einmal auf."

"Und die Akten sind alle da drin?"

Sie nickte.

Die Türangeln ächzten plötzlich. Es knallte gewaltig und ein Schwall von Akten ergoss sich in den Flur.

Na, neidisch?

"Tut's dir wenigstens leid?", fragte Erich, als er sich so weit aus den Akten herausgebuddelt hatte, dass er Tichon tadelnd ansehen konnte.

Dieser schüttelte den Kopf. "Nicht wirklich", gab er zu.

Irgendwo hinter ihnen trat David eine Flamme aus. "Und da sagen sie immer meine Problemlösungen seien explosiv", murrte er dabei.

"Nun die Tür ist offen, oder nicht?", fragte Tichon spitz zurück.

Ivy sammelte ein paar Papierstücke aus ihrem Haar. "Streng genommen, gibt es jetzt keine Tür mehr", verbesserte sie ihn.

Doch Tichon zuckte nur mit den Schultern. "Neidisch?", fragte er sie.

Sie winkte eilig ab. "Eher ein bisschen sprachlos."

Saure Milch

"Und nun?", fragte Erich und blickte auf das Meer aus losen Seiten hinab.

Tichon folgte seinem Blick. "Ist doch einfach", erklärte er und wandte sich Ivy zu. "Seien Sie so nett, und suchen Sie mir die Akten raus", forderte er.

Ivy guckte ihn an, als hätte sie einen Schluck saure Milch genommen. "Auf gar keinen Fall", entgegnete sie. "Ich bin Telefonistin, keine Sekretärin und schon gar keine Putzkraft. Wenn Sie möchten, telefoniere ich gerne für Sie, aber das da sortiere ich nicht."

Tichon öffnete den Mund, doch Erich würgte ihn ab. "Würden Sie dann ein paar Telefonate für uns führen?"

Zahnlücke

"Schreiben Sie mir die vollen Namen, die Armeenummern und am besten auch ein paar Auffälligkeiten auf", forderte sie und reichte Erich ein Blatt Papier. Dieser begann sofort die entsprechenden Informationen aufzuschreiben. Erst bei den Auffälligkeiten zögerte er.

"Ich habe deinen Bruder seit Jahren nicht gesehen", raunte er Tichon zu, "Wie sieht er denn momentan aus?"

Dieser überlegte einen Moment. "Er hat braune Haare, ist kleiner als ich und ich meine, er hat eine Zahnlücke."

Erich hob die Augenbrauen. "Wie alt ist diese Beschreibung, Tischa?", wollte er wissen. Doch der zuckte nur hilflos mit den Schultern.

"Naja, schon ein paar Jahre."

Alexa/Siri

Kaum das Ivy mit Erichs wirrem Zettel verschwunden war, um die wenigen echten Informationen mit Alexa, Siri und Catrina am anderen Ende ihrer Leitung zu teilen, trat David näher an sie heran. "Wenn Sie wollen, kann ich sie auch auf die Fahndungslisten setzen lassen", schlug er vor. "Die meisten meiner Kollegen sind inkognito unter den Soldaten unterwegs, aber vielleicht hat einer von ihnen ja einen der Beiden gesehen. Sie müssten mir nur noch mal die Informationen geben, weil mit Ivy um den Zettel streiten, möchte ich nicht."

Erich nickte und selbst Tichon schien das einzusehen.

"Also ...", begann er zu berichten.

Verpasste Chancen

"Das ist ein schlechter Scherz oder?", fragte David, als Tichon ihm den Namen seines Bruders nannte. "Nazar? Wirklich? Das hättest du mir schon im Zug erzählen sollen."

"Hätte ich?", fragte Tichon misstrauisch.

"Oh ja", wiederholte David. "Es hätte die Tür gerettet und diverse Akten und jede Menge Nerven. Ich kenne Nazar. Ganz gut sogar und ich denke, ich kann ihn hierher schaffen. Zumindest, wenn du mir ein paar Tage Zeit dafür lässt."

"Und was ist mit Leo?", wollte Erich wissen.

David schüttelte den Kopf. "Ich fürchte, den kenne ich nicht, aber wenn wir ihn finden, kann das sicher noch werden."

 

Grünkohl

Es war dieser Moment, den Sascha nutzte, um Tichon einen unglücklichen Blick zuzuwerfen. "Ich habe Hunger", klagte er.

Tichon stieß einen Seufzer aus. "Ist ja kein Problem", murmelte er dann. "Das hier ist ein Gefangenenlager. Die haben hier mit Sicherheit eine eigene Küche. Du kannst hingehen und dir was holen."

Erich hüstelte leise. "Das würde ich euch nicht empfehlen", murmelte er. "Weißt du, der Captain war nicht nur nicht das ordentlichste Schaf auf der Weide."

Tichon musterte seinen Freund. "Weißt du, ich fange an, diesen Satz wirklich zu hassen", murrte er.

"Und das mit recht. Das Schaf war nämlich auch ganz groß darin, die Nahrungsmittelkosten unten zu halten. Zumindest solange es nicht um seine Nahrung ging."

"Und das heißt?"

"Dienstags gibt's hier immer Grünkohl."

Sascha verzog wie auf Befehl das Gesicht. "So großen Hunger habe ich dann doch nicht", murmelte er. "Was gibt es morgen?"

Erich hüstelte noch einmal. "Den Grünkohl, den du gerade eben noch angewidert abgelehnt hast", entgegnete er.

"Du kannst mir nicht erzählen, dass es hier jeden Tag Grünkohl gibt", mischte sich Tichon wieder ein.

"Nun, der Lagerleiter bekommt einen Kuchen, Tischa. Aber zu dem würde ich dir auch nicht raten. Höchstwahrscheinlich spuckt da die Köchin rein."

Religion

"Und ich soll wirklich glauben, dass du keine Alternative zu Grünkohl und Spuckekuchen gefunden hast?", fragte Tichon misstrauisch.

Erich stieß einen Seufzer aus. "Naja ... Nein. Ein paar Kilometer von hier ist ein kleiner Ort. Die haben ein Gasthaus. Die Jungs aus dem Lazarett wechseln sich damit ab, da Essen zu holen. Auch weil der Doktor ja nichts isst, was nicht halal ist. Meistens bringen sie mir was mit."

"Na wunderbar", entgegnete Tichon, "Dann sollten wir im Lazarett eine Bestellung aufgeben."

"Ich glaube nicht, dass die Essensbestellungen annehmen", widersprach Erich. "Ich fürchte, wenn du Essen willst, musst du selber Jemand schicken."

Emotionen

"Ich werde gehen", erklärte Slava überraschend. "Wenn wir Sascha schicken, kommt das Essen hier nicht an. Außerdem glaube ich nicht, dass der Wirt ihn versteht."

Tichon nickte. "Klingt sinnvoll", stimmte er zu. "Vielleicht kannst du ja im Lazarett vorbeigehen und deren Boten mitnehmen."

Slava grinste. "Das hatte ich vor. Außerdem ist es eine tolle Gelegenheit, um mit ihm ein Gespräch über die unzumutbaren Arbeitsbedingungen in Großbritannien zu führen."

"Bevor ihr loszieht, um King Georgs Kopf auf eine Pike zu stecken, sagst du mir aber Bescheid, oder?"

"Sicher. Aber, wer braucht denn heutzutage noch eine Pike? Dafür gibt's Gewehre mit Bajonettaufsatz."

Massentierhaltung

"Bring mir bitte was zu essen mit", bat David als Slava sich auf den Weg machte. "Ich muss mir derweil überlegen, wie ich dieses Schaf nach New York transportieren lassen kann."

"Erfahrungstechnisch kann ich versichern, es passt nicht durch handelsübliche Fenster", erklärte Erich.

David rollte mit den Augen. "Was du nicht sagst?", entgegnete er. "Da wäre ich bei diesem Schaf wirklich nicht drauf gekommen. Was haltet ihr vom Transport in einer Holzkiste?"

"Ohne Futter und Wasser? Ohne Toilette und ohne die Möglichkeit sich mal umzudrehen?", fragte Tichon.

"Das klingt qualvoll", ergänzte Erich.

David nickte. "Tut es. Aber ich würde es eigentlich gerne vermeiden, ihm ein Ticket für einen Ozeanriesen zu kaufen."

"In deren Standardkabinen kann es sich auch nicht umdrehen."

"Eben drum. Und ich kauf ihm ganz sicher keinen Platz in der ersten Klasse. Mal ganz davon abgesehen, dass die anderen Passagiere das sicher befremdlich fänden. Spätestens beim Dinner am Tisch des Kapitäns."

Tichon schüttelte den Kopf. "Aus Erfahrung kann ich sagen, ich habe auf See schon mit seltsameren Gestalten gespeist. Und schlechtere Manieren hatten die auch."

"Und ich sag es dir noch einmal. Eine Seemöwe zählt nicht als offiziell geladener Dinnergast. Auch dann nicht, wenn du sie Ludmila taufst."

Schafhaarfärbemittel

"Wir könnten das Schaf färben", schlug Erich vor. "Ich kenne da ein paar Rezepturen für entsprechende Haarfärbemittel. Vielleicht fällt es weniger auf, wenn es schwarz ist. Die Farbe macht schlank."

"Oder rosa."

"Rosa?", fragte David.

Tichon nickte. "Unterschätze nie die Macht der Haute Couture. Wem fällt schon eine schiefe Schnauze auf, wenn er noch das Drumherum bestaunt?"

"Schlägst du uns wirklich gerade ein Haute Couture-Schaf vor?"

"Mit Nagellack und allem drum und dran."

"Ich denke nicht, dass Ivy ihm freiwillig die Nägel macht. Ich glaube, das hätte sie schon vor seiner Verwandlung entschieden abgelehnt."

"Die Hufe würden ja auch reichen."

nervige Schwiegermütter

"Ich sehe dieses Schaf schon wie die typische, reiche, amerikanische Schwiegermutter über das Deck stolzieren und hier und da einen wenig hilfreichen Kommentar blöken", murmelte David. "Und das auf meine Kosten."

"Ich kenne wenige nervige, amerikanische Schwiegermütter, aber ist das nicht schon mal eine tolle Übung für den Ernstfall?", witzelte Erich.

David warf ihm einen bitterbösen Blick zu. "Du sei lieber vorsichtig, sonst wird aus meiner nervigen, blökenden Schwiegermutter gleich deine nervige, blökende Schwiegermutter", warnte er ihn.

Erich zuckte mit den Schultern. "Soll mir recht sein. Mit nervigen Gestalten komme ich gut zurecht. Irgendwann mische ich denen immer einen Punsch."

Gartenzwerge

"Da ist dieser Gartenzwerg, der immer wieder plötzlich hinter mir steht. Dem habe ich schon alles mögliche in den Rachen gekippt. Hat ihn leider nie davon abgehalten wiederzukommen."

"Wenn du den nicht magst, solltest du ihn nicht füttern", riet Tichon.

"Tue ich auch nicht", widersprach Erich, "Meistens gebe ich ihm einfach die Reste. Du weißt schon, das was kein normaler Mensch in seine Tinkturen mischt, weil es einfach nur Abfall ist."

"Und das trinkt der?"

"Wenn es der Gartenzwerg ist, von dem ich denke, dass er es ist", mischte sich David ein, "habe ich den schon viel Schlimmeres trinken sehen."

Lügen

"Was kennst du eigentlich für merkwürdige Leute?", fragte Tichon David.

Dieser lächelte unschuldig. "Ich könnte jetzt lügen und behaupten, ich würde Murphy gar nicht wirklich kennen, aber leider würdet ihr mir das ohnehin nicht glauben.

Vielleicht nur so viel: Unsere Freundschaft ist ganz klar einseitig. Er glaubt wir würden uns gut verstehen. Er glaubt auch, ich wär sein Kumpel und egal was ich sage, er will mein "Nein", einfach nicht verstehen."

"Vielleicht musst du es ein bisschen unterstreichen", murmelte Tichon.

"Vielleicht mit einem Abführmittel?", empfahl Erich.

Tichon schenkte ihm einen langen Blick. "Ich hatte eigentlich an eine kleine Explosion gedacht."

Duftkerzen

"Hab ich durch", erwiderte David. "Genau wie lange Gespräche, offensichtliches Desinteresse und vieles Andere. Er will es einfach nicht verstehen."

"Hast du es schon auf die feine, englische Art probiert?", erkundigte sich Erich.

"Wie sieht die aus?", fragte David zurück.

"Nun, ich habe ja viel Zeit mit Billy und Thomas aus dem Lazarett verbracht und ich habe gelernt, wenn ihnen etwas missfällt, dann teilen sie es subtil mit. Sie würden das hier als Sturmfront an der amerikanischen Küste bezeichnen."

"Und das hilft mir mit Murphy wie?"

"Nun, die Beiden würden dir vermutlich zu einem Geschenk raten. Ich rate mal: Lavendelduftkerzen."

Kitsch

"Uh, du Monster!", rief David, offensichtlich amüsiert.

"Das Geschenk finde sogar ich kitschig", stimmte Tichon zu.

"Ich finde es eigentlich weniger kitschig als stinkig."

"Läuft aufs Gleiche hinaus. Du solltest ihm eine Großpackung kaufen."

"Und dann hoffen, dass er wie eine Motte reagiert?"

Erich nickte. "Was hast du zu verlieren?", fragte er. "Also außer deinem Geruchssinn und deinem guten Geschmack?"

"Das ist wahr", stimmte David zu. "Und es wäre schon schön, endlich mal Ruhe vor ihm zu haben."

Tichon nickte. "Und wenn es nicht klappt, kannst du sie immer noch als Einschlafhilfe verwenden."

"Du meinst, bis er mich wieder aufweckt?"

Ich hör dir zu

"Und Sie wissen wirklich nicht, warum wir verlegt werden, Monsieur le Capitaine?", fragte Gabriel. Er schob sich dabei ein wenig nach vorne, so dass sein Knie gegen Nazars stieß. Dieser spähte über den Rand seines Buches hinweg, bewegte sein Bein aber keinen Millimeter zur Seite. Stattdessen musterte er den frisch beförderten Captain Harper.

Der sah einen Moment lang so aus, als würde er über Gabriels Frage nachdenken. "Ich fürchte nein", erklärte er dann. "Ich weiß nur, dass irgendein Admiral sich glühend für uns eingesetzt hat."

"Ein Admiral?", fragte Gabriel verblüfft. "Heißt das, wir arbeiten dann ab morgen auf nem Boot?"

Geschenke

"Ich denke nicht", entgegnete Captain Harper. "Aber ich erkenne ein Geschenk, wenn man mir eins macht und egal was für einen Auftrag wir jetzt haben, es kann nur besser sein, als weiter in den Gräben zu hocken."

Percy, der bislang interessiert aus dem Fenster gesehen hatte, nickte langsam. "Ich denke, es bringt nichts, die Sache analysieren zu wollen. Dafür fehlen uns noch zu viele Informationen", erklärte er.

Gabriel warf den Beiden einen unzufriedenen Blick zu. "Na schön", murrte er schließlich, "aber wenn die uns auf ein Kriegsschiff verfrachten, erwarte ich umgehend eine Beförderung."

"Zu was?"

"Admiral fände ich ganz nett."

Lachen

Nazar verschwand hinter seinem Buch und versuchte nicht zu lachen. Natürlich bemerkte Gabriel es trotzdem. "Das ist nicht komisch", maulte er, was Nazar endgültig dazu brachte, erstickt zu glucksen. "Ich habe von allen hier die wahrscheinlich größte, nautische Erfahrung."

Nazar schaffte es irgendwie, sich soweit wieder einzubekommen, dass er das Buch wieder sinken lassen konnte. "Das mein Lieber, ist das Problem", erklärte er ihm dann. "Die Ministerien dieser Welt wollen keinen fähigen Admiral. Sie wollen einen, der in seiner Uniform gut aussieht."

"Aber ich sehe in Uniform gut aus", beharrte Gabriel.

"Schon, aber leider tut ihr Großneffe Louis das auch."

Grüne Gummibärchen

Gabriel zog einen Schmollmund und Nazar schob ihm wortlos die Tüte mit den Gummidrops über den Tisch. "Tut mir leid", murmelte er dabei.

Gabriel nahm sich eine Handvoll grüner Gummidrops und schob sie sich in den Mund. "Fair finde ich das nicht", erklärte er kauend.

Nazar musterte ihn einen Augenblick. "Da hast du recht", stimmte er ihm zu. "Aber sieh es positiv. Du wirst vielleicht nicht Admiral, aber du hockst nicht mehr im Schlamm, hast was Süßes zu naschen und du musstest dir dafür nichts wegschießen lassen, was du vielleicht noch brauchst."

"Stimmt. Und ich habe meine Freunde bei mir."

Gute Freunde

"Apropos Freunde", warf Percy ein, "Ich habe Murphy heute noch nicht gesehen. Habt ihr ihm gesagt, dass wir versetzt werden?"

"Klar habe ich ihm das gesagt", antwortete Gabriel vielleicht ein Spur zu schnell um glaubhaft zu sein. "Das letzte Mal heute Morgen."

Percys Augenbrauen hoben sich. "Heute Morgen?", fragte er. "Was hast du ihm genau erzählt?"

"Ich sagte ihm, dass wir versetzt werden und jetzt aufbrechen."

"Und weiter?"

"Das er besser packen soll."

"Und weiter?"

"Das es vielleicht eine etwas längere Reise wird."

"Inwiefern länger?", mischte sich Nazar in die Unterhaltung ein.

"Möglicherweise sagte ich ihm, der Orientexpress fährt durch."

Du

"Du hast ihn in den falschen Zug gesetzt", schlussfolgerte Percy. Der Unterton in seiner Stimme war recht eindeutig. Er mochte den Gedanken nicht. Nazar dagegen fand ihn gar nicht schlecht. Sollte er doch mit dem Orientexpress fahren. Oder mit dem Balkanexpress, oder wie auch immer die Deutschen den Zug gerade nannten. Entweder er kam damit irgendwann irgendwo an, oder er würde schon einen Weg finden, zurück zu kommen. Das tat er ja immer.

Percy schien einen ähnlichen Gedanken zu verfolgen, denn sein Blick wurde ungleich milder. "Du sollst ihn nicht immer ärgern", tadelte er Gabriel.

"Aber er hatte es verdient."

Livemusik

"Er hat den neuen französischen Offizieren Livemusik versprochen, wenn sie ihm noch ein oder zwei Gläser Rotwein beschaffen. Und sie haben ihm den Unsinn irgendwie geglaubt."

Percy hatte sich inzwischen vom Fenster abgewandt. "Mir gefällt nicht, welche Richtung das Gespräch einschlägt."

"Mir gefällt nicht, dass ich sein vorgesetzter Offizier bin", murrte Captain Harper.

"Und mir hat nicht gefallen, dass er die Marseillaise gesungen hat."

Nazar blickte misstrauisch über den Rand seines Buches hinweg. "Die Marseillaise?", fragte er. "Ich dachte Murphy kann kein Französisch?"

"Kann er auch nicht und bevor ihr fragt, den Text der Nationalhymne kann er genauso wenig wie ihre Melodie."

Percy seufzte. "Ehrlich gesagt, bin ich mir nicht mal sicher, ob er The Star-Spangled Banner singen kann", gab er zu bedenken.

"Keine Ahnung", murrte Gabriel. "Die Offiziere haben ihm keine Zeit gelassen, das Lied auch noch zu verschandeln. Ehrlich gesagt, hatte ich kurz die Sorge, die tauchen ihn für seine Aufführung kopfüber ins Weinfass. Jedenfalls bin ich dazwischen, dem Wein zu Liebe, und hab den Männern erzählt, dass sei alles nur ein dummer Witz gewesen. Amerikanischer Humor."

"Und das haben sie dir geglaubt?"

Gabriel seufzte. "Nachdem ich nach der Marseillaise auch noch The Star-Spangled Banner gesungen hatte, schon."

Keks(e)

Percy fragte nicht weiter. Stattdessen schob er seine Packung Kekse über den Tisch. Gabriels Augen leuchteten auf, bevor er sich auf das Gebäck stürzte.

Einen Moment lang war Nazar versucht, einfach wieder sein Buch zu heben, doch letztlich entschied er sich dagegen. Geräuschlos klappte er es zusammen. "Denkt ihr, der Vorsprung wird reichen, damit wir ausnahmsweise mal einen guten, ersten Eindruck hinterlassen können?", wollte er wissen.

Captain Harper schüttelte den Kopf. "Von irgendwo muss dieser Admiral uns ja schon kennen. Also nehme ich an, es ist bereits zu spät. Er bekommt geliefert, was er bestellt hat. So ist das eben."

Sommerregen

Als sie endlich am Ziel angekommen waren, war Nazar ein wenig enttäuscht. Nicht das er viel erwartet hatte, doch ein plötzlicher Regenschauer hatte den Weg in Morast verwandelt. Am Wegrand hatte irgendwann irgendwer Koppeln abgesteckt, doch die Tiere waren nicht zu sehen. Entweder sie versteckten sich vor dem Regen, oder sie waren im Kochtopf gelandet.

Und das Gebäude selbst? Es war grau, farblos und der Stacheldraht ließ es sehr unfreundlich aussehen. Es war ein hässlicher Kasten. Nazar warf einen Blick zu Captain Harper, doch der zeigte sich unbeeindruckt.

"Prima", stellte er fest, "Es hat ein Dach. Das ist eine Verbesserung!"

bedingungslose Liebe

Nazar wollte ihm wirklich gerne glauben, doch als die Tore knarrend hinter ihnen zuschlugen, hatte er ganz eindeutig ein flaues Gefühl im Magen. Vielleicht lag es am Regen, doch die Innenräume kamen Nazar genauso trostlos vor wie die Außenwelt.

Das Büro des Lagerleiters lag in der obersten Etage, hinter dicken Holztüren, die Nazar spontan ebenso missfielen. Alles in ihm sträubte sich dagegen dort hineinzugehen. Und die Tür war noch nicht ganz offen, da wurde ihm auch klar warum.

Hinter dem Schreibtisch saß die perfekte Kopie seines Vaters und funkelte ihm finster entgegen. "Nazar", schnarrte sein Bruder, "Du kommst zu spät."

Eine Umarmung

Nazar machte einen Schritt zurück und hätten seine Freunde nicht hinter ihm gestanden, er wäre einfach rückwärts davon gerannt. So blieb ihm keine Wahl. Er musste zusehen, wie sein Bruder sich erhob und um den Schreibtisch herum stolzierte. Er breitete sogar die Arme aus.

Erst als er merkte, dass Nazar sich nicht rührte, ließ er sie wieder sinken.

"Ich habe Monate lang nach dir gesucht! Du hast nicht einmal Clifford geschrieben. Und jetzt finde ich dich zwischen lauter Amerikanern. Was denkst du, was du hier tust?!"

Nazar schluckte. "Nun streng genommen, tue ich genau das, was Vater von mir wollte."

Fantastische Geschichten

Einen Moment lang sah Tichon ihn fassungslos an. "Du tust was?!", fauchte er dann. Nazar zuckte zusammen, doch er wich nicht zurück.

"Vater wollte, dass ich an der Front bleibe, bis ich etwas erreicht habe, wovon er seinen Freunden erzählen kann."

"Und DAS hast du mitgemacht?!"

"Was hätte ich denn tun sollen?"

"NEIN sagen! Das ist doch Wahnsinn! Er kann dich nicht zwingen!"

Nazar schüttelte den Kopf. "Mit Verlaub, das kann er wohl."

"Nein, das kann er nicht!", fauchte Tichon ihm entgegen, "Du hättest mir umgehend von seinen Plänen berichten sollen!"

"Warum? Damit ihr Zwei euch gegen mich verbünden könnt?"

Akzeptiert

"Ich hätte mich sicher nicht mit ihm verbündet", fauchte Tichon verärgert. "Die Idee war dumm. Mehr als dumm. Du kannst nicht reiten, du hast noch nie Männer angeführt und schießen kannst du auch nicht!"

"Also eigentlich ist Nazar ein sehr guter Schütze", mischte sich Percy von hinten ein. Nazar schenkte ihm einen dankbaren Blick.

"Und er ist gut darin, Abläufe innerhalb der Gruppe zu koordinieren", ergänzte Gabriel.

Tichon funkelte sie finster an. "Das war nicht der Punkt!", grollte er. "Du hast dich Monate lang nirgendwo gemeldet. Wir haben uns Sorgen um dich gemacht!"

"Wir?" fragte Nazar skeptisch.

"Na gut, ich."

Kaffee, Tee, Kakao?

"Wir haben dünnen Kaffee und undefinierbar schlechten Tee", erklärte Tichon, als die Anderen sich auf den Stühlen vor dem Schreibtisch niederließen. "Was darf es sein?"

"Kakao", murmelte Gabriel ein wenig zynisch, doch die Anderen übergingen seinen Einwurf.

Nazar starrte seinen Bruder an, als fürchtete er, er wollte ihn vergiften. Und Tichon starrte genauso unfreundlich zurück.

Neben ihm räusperte sich Percy. "Wie wäre es, wenn Sie uns zunächst einmal erklären, was in diesem Lager vor sich geht?", schlug er vor.

Tichon schien den Vorschlag abzuwägen, doch schließlich nickte er. "Meinetwegen. Was Sie wissen müssen ist, dass der letzte Lagerleiter aus gesundheitlichen Gründen in die Staaten zurückgekehrt ist."

"Oh, was hat er denn?", versuchte Gabriel Percy mit dem Gespräch zu helfen. Tichon schenkte ihm einen undefinierbaren Blick.

"Es ist eine Allergie", erklärte er schließlich. "Furchtbar heftig."

"Auf Schimmel, Kaffee, Tee oder Papierkram?", fragte Gabriel prompt weiter.

Tichon zögerte einen Augenblick, dann zuckte er betont beiläufig mit den Schultern. "Nun, ich selbst habe ihn nie getroffen und vielleicht haben Sie mit all Ihren Punkten recht, aber wenn ich den Herrn Doktor richtig verstanden habe, lautet die offizielle Diagnose: Wolle."

"Wolle?", fragte Percy.

Tichon nickte. "Wolle. Die hat ihn wohl ziemlich zum blöken gebracht."

 

 

Suppe

"Wir haben außerdem ein kleines Versorgungsproblem", erklärte Tichon. "Offensichtlich hat der Lagerleiter vor seiner Erkrankung große Mengen Kohl geordert, so dass die Köchin in ihren Möglichkeiten ein wenig eingeschränkt ist. Aber keine Sorge, ich habe mich darum gekümmert, dass es zur Feier unserer Wiedervereinigung etwas ganz besonderes gibt."

Nazar hob skeptisch die Augenbrauen. "Und das wäre?"

Sein Bruder setzte ein Lächeln auf. "Es gibt dein Lieblingsgericht! Kartoffelsuppe!"

"Kartoffelsuppe ist nicht mein Lieblingsgericht", stellte Nazar klar.

"Doch, das ist es", widersprach sein Bruder.

"Ich denke, ich weiß, was mein Lieblingsgericht ist", schoss Nazar zurück, "Und Kartoffelsuppe ist es ziemlich sicher nicht."

Pflanzen

"Wusstest du, dass sein Lieblingsessen nicht Kartoffelsuppe ist?", fragte Tichon, während er Erich dabei zusah, wie er eine Pflanze köpfte.

"Ich hätte es angenommen", gab der zu, während er die Pflanze noch kleiner schnitt. "Sein wir ehrlich, wir reden von Kartoffelsuppe. Wer mag die schon?"

"Mein Bruder", murrte Tischa deprimiert. "Jedenfalls dachte ich das immer."

Der Doktor klopfte ihm im Vorbeigehen auf die Schulter. "Ich teile Ihr Leid", ließ er ihn wissen. "Ich habe zwei Schwestern."

"Haben Sie ihnen zu Ehren schon mal das Falsche serviert?"

"Sicher, aber sie lieben mich zu sehr um es mir ins Gesicht zu sagen."

 

Eis

Tichon seufzte, Erich stöhnte und der Doktor tätschelte seine Schulter noch einmal. "Jetzt hören Sie schon auf", forderte er dabei. "Das ist kein Weltuntergang. Familie ist Familie, weil sie solche Ausrutscher verzeiht. Glauben Sie mir. Als ich klein war, habe ich mal das ganze Safraneis gegessen. Meine Mutter hat geschimpft, mein Vater war verärgert und meine Schwestern haben geschworen, mir das nie zu verzeihen. Und was soll ich sagen ... Die Wolken sind weitergezogen.

Vielleicht wird Ihr Bruder Ihnen ein Weilchen grollen, aber letztlich wird er Ihnen vergeben. Immerhin haben Sie Kartoffeln für ihn aufgetrieben."

"Kartoffeln, die er nicht haben wollte."

Frieden

"Sie könnten auch versuchen, mit ihm über etwas anderem Frieden zu schließen", empfahl der Doktor, während er sich aus den herumstehenden Tiegeln bediente.

"Aber dann sollte es etwas sein, was er auch wirklich mag", fügte Erich hinzu.

"Und was soll das sein?", fragte Tichon skeptisch.

Der Doktor zuckte mit den Schultern, während Erich im Schneiden seiner Kräuter innehielt. Einen Moment lang überlegte er angestrengt, dann schlich sich ein Grinsen auf sein Gesicht.

"Möglicherweise habe ich eine Idee", erklärte er. "Aber die Sache hat einen Haken."

Tichon seufzte. "Erich, deine Pläne haben immer einen Haken."

"Dieses Mal ist es ein Staubwedelförmiger."

Bücher, Bücher und noch mehr Bücher

Der Raum, den Erich ihm zwanzig Minuten später zeigte (Er hatte darauf bestanden, zunächst seine Tinktur fertig anzurühren), war ein einziges Desaster. Er war vollkommen vollgestopft mit Regalen, auf denen alte, ältere und steinalte Bücher standen.

"Ich glaube, das hier war mal die Bibliothek", erklärte Erich, während er mit einem Finger über einen der Buchrücken strich.

"Sie haben sie aufgegeben, als sie den Kampf gegen den Hausstaub verloren haben, oder?", fragte Tichon zurück.

"Wahrscheinlich", stimmte ihm Erich zu. "Aber wenn wir ein bisschen putzen, wird es ein wunderbarer Raum. Er wird ihm gut gefallen."

"Ihm oder den ganzen Büchern?"

"Allen."

 

Kuscheldecke(n)

Nazar hatte sich in seinem neuen Bett verkrochen und nutzte die Decke als Abgrenzung zur Außenwelt. Sie kratzte ein bisschen und war ziemlich warm, aber er beschwerte sich nicht.

Ein Stückchen weiter schob Gabriel seine Fotosammlung in einem Regal zurecht. Gelegentlich warf er ihm einen skeptischen Blick zu.

"Dir ist klar, dass das keine Sauna ist", fragte er schließlich ins Blaue hinein.

Nazar schnaubte. "Ich glaube nicht, dass du viel Erfahrung mit Saunen hast", erinnerte er ihn.

Gabriel ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen. "Hab ich nicht", stimmte er ihm zu, "aber ich kenne mich gut mit Leuten aus, die sich unter viel zu dicken Bettdecken verkriechen und ich weiß, wie sowas endet."

"Wie endet es denn?", fragte Nazar erwartungsgemäß.

"Nun", erwiderte Gabriel und trat langsam auf sein Bett zu, "Entweder sie bekommen unter dem Ding irgendwann einen Hitzeschlag, oder ..."

"Oder?", fragte Nazar, nun doch milde interessiert.

"Oder", wiederholte Gabriel und legte sanft die Hände auf der Decke ab, "Sie haben einen guten Freund, der sie rettet." Mit diesen Worten zog er an der Decke und sprang eilig ein Stück zurück. Wie eine Katze präsentierte er seine Beute, während sich Nazar langsam aufsetzte.

"Ist meine Decke jetzt beschlagnahmt?"

Zeit für mich

"Ich weiß, du hättest gerne Zeit für dich", erklärte Gabriel, während er die Decke zusammenlegte. "Aber du kannst dich nicht in deinem Bett verstecken."

"In der Vergangenheit hat diese Taktik gut funktioniert", gab Nazar trotzig zurück.

Gabriel schüttelte den Kopf. "Hat sie das? Oder hat sie letztlich alles nur noch schlimmer gemacht? Pass auf, auch ich habe eine Schwester und wenn ich eins gelernt habe, dann das man sich nicht die Kartoffel aus der Suppe klauen lassen darf."

"Ich glaub nicht, dass Marielle dir je eine Kartoffel gestohlen hat."

"Nein, aber dafür den Apfelkuchen, Erdbeerkuchen, Windbeutel und unglaublich viele Crêpes."

Sorgenfreie Tage

"Ihr hattet doch sicher auch mal gute Tage", mutmaßte Gabriel.

"Mit Tichon gab es niemals gute Tage", behauptete Nazar.

Gabriel musterte ihn skeptisch.

"Na ja", hörte Nazar sich einlenken, "Vielleicht hat er mich ein oder zwei mal mitgenommen. Mit dem Schlitten."

"Mit dem Schlitten?", fragte Gabriel zurück. "Du meinst so richtig, mit Eis und Schnee?"

"Ja. Mit Pferden und warmen Decken. Einmal haben wir heißen Kakao getrunken."

Gabriels Blick wurde milder. "Kakao", murmelte er. Es dauerte einen Moment, dann hatte er sich wieder gefangen. "Weißt du, vielleicht solltest du dort ansetzen."

"Bei den Pferden oder beim Kakao?"

"Bei deinem Bruder."

Gute Idee!

"Glaubst du wirklich, dass das eine gute Idee ist?", fragte Nazar, als er einige Zeit später mit Bechern voll dampfendem Irgendwas auf dem Gang stand.

"Natürlich", antwortete Gabriel und nippte an seinem Becher. "Wenn man die Augen schließt, kann man fast den Kakao schmecken. Es wird ihm gefallen. Du wirst sehen. Du gehst damit in sein Zimmer und bietest ihm einen an."

"Und wenn er ihn nicht will?"

"Jeder will einen Kakao haben", klärte Gabriel ihn auf. "Selbst wenn er so jämmerlich ist wie dieser."

"Und wenn nicht?"

"Dann trinkst du erst den rechten und dann den linken Becher leer."

Lange Tage

Als er vor Tichons Tür stand, war es schon ziemlich spät. Am liebsten wäre er wieder umgedreht, doch er spürte Gabriels prüfenden Blick und wusste, er würde damit nicht davonkommen.

Selbst wenn er versprach, es morgen noch einmal zu versuchen, würde der Kakao bis dahin verdorben sein. Und die Köchin würde ihm garantiert nicht noch einen zusammenrühren. Hätte sie ja schon dieses Mal nicht, hätte Gabriel sie nicht von vorne bis hinten mit Komplimenten überschüttet.

Nein, Gabriel würde ihm nicht erlauben jetzt aufzugeben und wahrscheinlich sollte er das auch nicht. Unsicher sah er zu Gabriel. "Könntest du für mich klopfen?"

Freie Stunden

Tichon war gerade erst mit dem Putzprogramm fertig geworden, das Erich ihnen auferlegt hatte. Er war müde und wollte nur noch ins Bett. Als es klopfte, ahnte er jedoch, dass das noch würde warten müssen.

Mürrisch schleppte er sich bis zur Tür, öffnete sie ein Stück und hielt dann inne.

Er hatte mit Erich gerechnet, mit Slava oder Sascha, aber sicher nicht mit seinem Bruder. Der bemühte sich sehr, ihm nicht in die Augen zu sehen. "Ich hab dir einen Kakao mitgebracht", erklärte er und drückte ihm einen Becher in die Hand.

Tichon starrte ihn an. "Dein Kakao ist cremeweiß."

Wintersonne

Als Tichon von dem "Kakao" aufsah, der den gleichen milchig-weißen Ton hatte, wie die Wintersonne im Dezember, bemerkte er, dass sein Bruder ihn wütend anfunkelte.

"Fein, wenn er dir nicht passt, nehme ich ihn wieder mit!", schnappte er und versuchte tatsächlich nach dem Becher zu greifen.

Tichon zog ihn instinktiv näher an sich heran. "Bist du gekommen um mir Milch anzubieten und sie dann wieder mitzunehmen?"

"Du wolltest den Kakao nicht haben!"

"Ich bin mir nur nicht sicher, ob man es Kakao nennen kann, wenn es aussieht, als käme es direkt aus einer Kuh."

"Und das ist meine Schuld, weil?"

Denk mit!

"Es ist nicht deine Schuld", entgegnete Tichon und machte einen Schritt zurück. "Du kannst reinkommen, wenn du willst. Dann trinken wir dein Was-auch-immer."

"Es ist Kakao", versicherte Nazar, während er über die Schwelle trat. Einen Moment blickte er sich um, dann entdeckte er einen Stuhl und eilte zu ihm. "Die Köchin hat eine halbe Tafel hineingetan."

Tichon hätte erwidern können, dass ihr Koch deutlich mehr Schokolade in den Topf zu tun pflegte, doch scheinbar war es seinem Bruder irgendwie wichtig, die Milch Kakao zu nennen. Und wenn es das war, was er wollte, dann würde die Milch eben Schokolade heißen.

Respekt!

"Wirst du mir erzählen, was es mit deiner überraschenden Karriere in der US Army auf sich hat?", fragte Tichon und nippte an der Milch. Er hatte recht behalten. Das Zeug war definitiv kein Kakao. Es war Milch. Lauwarme Milch.

Sein Bruder musterte ihn skeptisch. "Willst du es wirklich wissen?", fragte er ihn.

"Sonst hätte ich nicht gefragt."

"Es wird dir nicht gefallen", versuchte sein Bruder es noch einmal. "Und egal was kommt, ich werde meine Einheit nicht verlassen. Die Jungs sind meine Freunde und es ist mir egal, was du darüber denkst."

"Gut", entgegnete Tichon. "Erzähl es mir einfach trotzdem."

Kompliment(e)

"Ich bring den Kerl um", wetterte Tichon, nachdem sein Bruder geendet hatte. "Ich werde ihn suchen, in die Luft jagen und dann kann Erich ihn zusammenflicken und ich mach's noch mal. Was bildet dieser Leutnant sich ein?!"

"Dass das hier ein Krieg ist, den man gewinnen kann, wenn man die Regeln ein bisschen biegt", erklärte Nazar.

"Ein Drache ist kein bisschen", hielt Tichon dagegen. "Das sind mehrere Tonnen."

"Es waren mehrere Tonnen", berichtigte sein Bruder ihn. "Meine Freunde haben ihn gesprengt."

"Nun", entgegnete Tichon, nachdem er tief durchgeatmet hatte, "Die Leistung ist wirklich bemerkenswert."

"Meine Freunde sind ja auch bemerkenswert."



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Kommentare zu dieser Fanfic (4)

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Von:  AnneDream
2023-10-13T08:28:10+00:00 13.10.2023 10:28
Oh oh Schokokekse im Bett zu essen,ist keine gute Idee! O.O
Antwort von:  _Delacroix_
13.10.2023 13:56
Da haste recht. Das gibt mit Pech Flecken.
Von:  AnneDream
2023-10-13T08:19:05+00:00 13.10.2023 10:19
Jetzt habe ich durch die Überschrift einen Ohrwurm bekommen !
Ich bin mal gespannt, wie es weiter geht :)
Antwort von:  _Delacroix_
13.10.2023 13:56
Danke.^^
Von: Lupus-in-Fabula
2023-06-05T16:25:53+00:00 05.06.2023 18:25
Ich war erst gestern auf einem Mittelaltermarkt und da gab es auch einige Kräuterfrauen und Salbenmeister. Daran musste ich jetzt denken beim Lesen.

Mag es, wie es den Anschein hat, dass Erich ein gemeiner Mörder ist. Und ich kann ihn verstehen. Langsam kommt wieder die Zeit, in der die Sonne einem brutzeln will.
Und ja, echtes Johanniskraut ist super!

Antwort von:  _Delacroix_
06.06.2023 01:44
Ich hab Samstag davon auch ein Exemplar gesehen, in der Mittelalterecke unseres Stadtfests.^^

Danke für die schöne Aktion. So ein spontaner Drabble war doch mal ganz witzig
Antwort von: Lupus-in-Fabula
08.06.2023 11:28
Noch kurz:
Vielen Dank, dass die Aktion gefällt. Das motiviert mich, ab und zu was zu machen.
Antwort von:  _Delacroix_
08.06.2023 16:34
@Lupus-in-Fabula: Solltest du unbedingt weiter machen. Mir fällt zwar nicht immer was ein und manchmal hab ich auch einfach keine Zeit für noch ein Projekt, aber eigentlich liebe ich solche Aktionen sehr und freu mich immer, wenn ich über eine falle.^^


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