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Ter´nak Band 1: Wind

von

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Der mächtigste aller Magier?

Meine lieben Leserinnen und Leser,

heute möchte ich euch mein neuestes Projekt vorstellen. Bitte sagt mir, was ihr davon haltet.

Uploadzyklus: Jeden Sonntag ein Kapitel

Kapitelanzahl: 20

Betaleser/innen: gesucht

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Wie gebannt sah ich in das aufgerissene Maul des grauen Wolfes, meinem Gegner. Animalische gelbe Augen starrten mir mit mörderischem Ausdruck entgegen. In ihnen stand eine wilde Gier geschrieben. Der Wolf hatte Hunger, und ich war seine Beute. Unaufhörlich rann der Geifer an den gelben, spitzen Zähnen herunter, während ich einen guten Ausblick auf den Schlund des Ungetüms hatte.

Unfähig wegzusehen schlug mir sein fauliger Atem ins Gesicht. Ich konnte nichts mehr tun. Weder fliehen noch mich verteidigen. Gefangen in einer Schockstarre konnte ich nur über mein Schicksal nachdenken.

Wie hatte es nur soweit kommen können? Sollte das mein Ende sein? Schon wieder sterben. So viel zu meinem Wunsch der Mächtigste aller Magier zu werden. Dieser verdammte Götterdrache hatte mich betrogen!

*-*

Einige Stunden zuvor.

Erschöpft ließ ich mich auf einen freien Sitzplatz sinken. Besonders bequem war die rote Polsterung nicht gerade, aber wenigstens musste ich nicht mehr stehen. In der 2. Klasse konnte ich kaum mehr erwarten. Leider gab mein Job als selbständiger Spieletester, in letzter Zeit nicht viel her, daher musste ich solche Abstriche in Kauf nehmen.

Kurz schloss ich die Augen und versuchte den Lärm der Leute auszublenden. Der Zug war brechend voll mit Passagieren und sauste mit knapp 200 Sachen über das Land. Vermutlich wollten sie alle, wie auch ich, in den Urlaub fahren. Das erste Ziel meiner Europareise war Paris. Das nächste Mal würde ich die paar Euro investieren und mir einen Sitzplatz reservieren.

Ein Schweißtropfen rann mir die Stirn herunter. Es war fast unerträglich heiß hier drin. Entweder war die Klimaanlage zu schwach eingestellt oder mit der Mittagshitze des brütend heißen Sommertages überfordert.

Jedes Jahr aufs Neue wurden die Bahnbetreiber davon überrascht, dass es im Sommer warm wird. So ein Saftladen. Frustriert seufzte ich und schmeckte die leicht stickige Luft im Abteil.

Mit halb geöffneten Augen ließ ich den Blick schweifen. Um mich herum herrschte hektisches Treiben. Es gab nicht genügend Sitzplätze für alle. Alles drängelte, schubste und schimpfte.

Mir gegenüber saß ein kahlköpfiger Typ im Anzug. Sein weißes Hemd klebte ihm auf der dicken Brust. Kein besonders schöner Anblick. Die Blondine zu seiner rechten wedelte sich mit der Hand Luft zu, während der kleine Junge neben mir aufgedreht zappelte.

Ich vermutete, dass die drei eine Familie waren und freute mich schon auf einige Stunden Gequengel, seitens des Kindes. Meine Laune war am Boden. Warum nur musste ich ausgerechnet am ersten Ferientag meine Reise beginnen? Ich hätte es besser wissen müssen.

Neben mir kam eine ältere Dame zum Stehen. Sie zitterte leicht und seufzte schwer. Innerlich schüttelte ich den Kopf. Na großartig. Gerade erst hatte ich diesen Platz erobert.

Ich winkte der älteren Dame zu und stand auf. “Bitte, nehmen Sie meinen -”

Bevor ich meinen Satz beenden konnte, drang mir ein grauenhaftes, metallisches Quietschen in die Ohren. Im nächsten Augenblick schwebte ich durch das Abteil, begleitet von diversen Taschen, Koffern, wie auch Personen. Aus meiner Perspektive sah es so aus, als ob die Welt sich um mich herum drehte.

Wie in Zeitlupe flog die Trennwand zum nächsten Abteil auf mich zu. Entgegen meiner Einschätzung, hatte ich nicht mehr die Zeit meine Hände vors Gesicht zu reißen. Mit unvorstellbarer Geschwindigkeit kollidierte mein Kopf mit der Wand und mein letzter Gedanke, bevor alles Schwarz wurde, war: Immerhin muss ich nicht mehr stehen!

*

Ich schnappte nach Luft, während meine Arme unkontrolliert um sich schlugen. Langsam öffnete ich die Augen und was ich zu sehen bekam, ließ mir den Atem stocken. Ich hielt in der Bewegung inne und konnte es nicht fassen. Vor mir erstreckte sich das Universum. Auf schwarzem Firmament funkelten mir abertausende Sterne entgegen. Ich breitete meine Arme aus. So müssen sich Astronauten fühlen, wenn sie frei im Weltall schweben.

Wo auch immer ich war, ich konnte atmen und hatte keine Schmerzen. Sicher war ich bei dem Aufprall ohnmächtig geworden und träumte das alles nur. Doch für einen Traum war das hier alles zu real. War ich tot? Ich blinzelte und ließ die Hände sinken. »Das Jenseits habe ich mir anders vorgestellt.«

»Das hier ist nicht das Jenseits«, dröhnte eine bass geschwängerte Stimme über mich hinweg.

Suchend drehte ich den Kopf dorthin, wo ich den Ursprung der Stimme vermutete.

Hinter mir, inmitten der Leere, schwebte ein riesiger

weißgeschuppter Drache. Seine weit aufgespannten Flügel, die hinter seinen mächtigen Armen hervorragten, ließen ein Erfassen seiner gesamten Ausmaße nicht zu. Einen Anhaltspunkt allein, gaben zwei leuchtende Körper, die um seine Hörner kreisten. Beim Betrachten wurde mir klar, dass es sich dabei um Sonnen handelte.

Zwei blaue Augen, so groß wie Planeten, starrten mir entgegen. In ihnen lag eine Weisheit, wie ich sie in meinem Leben noch nicht gesehen hatte.

Seltsamerweise verspürte ich keine Angst vor dem Drachen. Wovor denn auch? Ich war doch bereits tot. Oder nicht? Von Ehrfurcht ergriffen stammelte ich: »Wer, beziehungsweise, was bist du?«

»Ich bin ein Gott.«

»Du bist Gott?« Nachdenklich kratzte ich mich am Hals. Vor meinem inneren Auge sah ich einen alten Mann mit weißem Bart. »Ich habe mir Gott immer anders vorgestellt.«

Der Drache schnaubte. Verlegen biss ich mir auf die Unterlippe. Hatte ich ihn beleidigt?

»Ich bin ein Götterdrache, ein Gott unter vielen. Der Gott, an den du denkst, wacht über eine andere Dimension.«

Offenbar konnte der Drache meine Gedanken lesen. Sogleich spürte ich, wie ich rot wurde. Das war mir schon etwas peinlich. Dennoch konnte ich nicht anders als nachzufragen: »Eine andere Dimension?«

»Das Multiversum ist größer als du es dir vorstellen kannst.«

Mein rechtes Auge zuckte. So einige Ausschnitte aus verschiedenen Filmen des 21. Jahrhunderts schossen mir in den Sinn. Das Konzept des Multiversums war real? Das musste ich erstmal verarbeiten.

Ob es eine Art Fantasiewelt gab? Eine andere Erde, mit Elfen, Zwergen und anderen Fabelwesen. Ich blinzelte. Vor mir schwebte noch immer der Götterdrache. Die Wahrscheinlichkeit für eine derartige Welt erschien mir daher sehr hoch.

Schnell sammelte ich meine Gedanken. Es gab Wichtigeres zu klären. Offenbar war ich tot und stand nun dem Allmächtigen gegenüber. Die Frage war nur was wollte Gott von mir?

Plötzlich breitete der Drache seine Arme aus. »Herzlichen Glückwunsch. Deine Seele ist bereit aufzusteigen.«

Verdattert starrte ich den Drachen an. »Was soll das heißen, meine Seele ist nun bereit aufzusteigen? Was passiert jetzt mit mir?«

»Jede Seele befindet sich so lange im ewigen Kreis der Wiedergeburt, bis sie alle Ziele ihrer Reise erreicht hat.« Bildete ich es mir nur ein, oder sprach der Drache wirklich so, als ob er einen auswendig gelernten Text herunterleierte?

Die Planetenaugen fixierten mich. »Ich muss gestehen, bei dir war es sehr knapp. Im allerletzten Augenblick hast du eine selbstlose Tat vollbracht und damit den letzten Punkt deiner Seelenreise abgearbeitet.«

Direkt vor mir erschien ein steinerner Torbogen. Im ersten Moment konnte ich hindurchsehen, auf den Götterdrachen dahinter. Dann strahlte ein grelles Licht hervor, so hell wie eine Sonne. Erschrocken riss ich die Arme hoch und presste die Augen zusammen um mich zu schützen.

Schlagartig nahm die Lichtstärke ab. Zwischen meinen Armen hindurch spähend, sah ich, wie durch ein Fenster, eine grüne Wiese. Sanft wiegten sich die Bäume im Hintergrund unter einem strahlend blauen Himmel. Ich konnte das Gras fast schon riechen, während sich eine undefinierbare innere Ruhe in mir ausbreitete. War das, das Paradies?

Hinter dem Torbogen nickte der Götterdrache. »So ist es. Durchschreite die Pforte und lebe bis in alle Ewigkeit im Paradies. Keine Sorgen, keine Verpflichtungen. Von nun an, bis ans Ende aller Tage, sollst du glücklich und zufrieden sein.«

Abermals hatte ich das undefinierbare Gefühl, dass es sich hierbei um eine Art Standard-Text handelte. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, wie oft dieser Gott diese Sätze schon rezitiert hatte.

Auch wenn das Angebot sehr verlockend war, so gab es doch einen gewaltigen Haken an der Sache. Ewiges Glück und Frieden, hieß ebenfalls ewige Langeweile. Ich sah mich schon im weißen Nachthemd über die grüne Wiese hüpfen. Tag um Tag, Jahrhundert für Jahrhundert. Was für eine schreckliche Vorstellung. Zögerlich fragte ich: »Ist das meine einzige Option?«

»Normalerweise wählt jeder das Paradies.« Fasziniert sah ich Gott blinzeln. Meine Frage und Gedanken hatten ihn offenbar aus dem Konzept gebracht. Weniger mechanisch als zuvor, meinte er: »Für den Abschluss deiner Seelenreise steht dir eine Belohnung zu. Was wünschst du dir?«

Ohne weiter nachzudenken sagte ich trocken: »Schick mich zurück in mein altes Leben.«

Mit der gewaltigen Kraft eines Kometen schüttelte Gott den Kopf. »Diesen Wunsch kann ich dir nicht erfüllen. Dein altes Leben ist beendet. Dich zurückzuschicken würde die Grundfesten des Multiversums zertrümmern.«

Bisher hatte ich noch keine Zeit nachzudenken. Nun aber schossen mir Bilder von meinen Eltern und Freunden in den Sinn. Ich wollte zurück zu ihnen.

Abermals antwortete Gott auf meine Gedanken: »Die Sorgen und Probleme der Lebenden, sind nicht länger die deinen. Deine Eltern und Freunde müssen ihren Weg ohne dich gehen. Wählst du aber das Paradies, so stehen die Chancen gut, dass du eines Tages auf die Seelen deiner Liebsten triffst.«

Misstrauisch hob ich eine Augenbraue. »Würden sie denn wissen wer ich bin? Ich meine, ich erinnere mich nur an mein letztes Leben, nicht an all die davor.«

»Du hast einen scharfen Verstand.« Gutmütig nickte der Drache. »Sobald du die Pforte ins Paradies durchschreitet, wirst du dich an alle deine Reinkarnationen erinnern.«

Mein rechtes Auge begann zu zucken. In meinen Ohren klang das nicht sehr erstrebenswert. Sollte ich mich an alle Lebenszyklen erinnern, so würde ich, Adrian Förster, nicht mehr derselbe sein. Meine Persönlichkeit wäre dann die Summe all meiner Wiedergeburten.

Ich konnte nicht wissen, wer ich einst war und was ich getan hatte. Vielleicht war ich mal ein gütiger König. Ebenso könnte ich aber ein böser Diktator gewesen sein oder ein Massenmörder. Auf solche Erinnerungen konnte ich gut und gerne verzichten.

»Ein schwieriger Kunde«, brummte der Götterdrache. »Ich kann dich zwar nicht in dein altes Leben zurückschicken, aber, wie wäre es mit einer Reinkarnation auf einer anderen Welt?«

Neben der Pforte ins Paradies erschien ein kleiner blauer Planet. Auf den ersten Blick sah er aus, wie die Erde, aufgenommen aus dem Weltall. Der Planet drehte sich und ich entdeckte einige Unterschiede. Die Landmasse bestand aus einem ringförmigen Kontinent, der sich wie ein Gürtel um den Äquator zog.

Die Kugel drehte sich weiter und ich musste meine Einschätzung abändern. An einer Stelle wurde der Ring durchbrochen, von einem deutlich kleinerem Kontinent, der lediglich ein zehntel der Landmasse ausmachte.

Hinzu kamen noch eine Handvoll kleinere Inseln, sowie eine Eismasse am Nordpol, des Planeten. Der Südpol bestand gänzlich aus Wasser. Auch schien mir dieser Planet kleiner als die Erde zu sein.

»Das ist Ter´nak. Ich vermute diese Welt würde dir gefallen. Flora und Fauna unterscheiden sich kaum von der auf der Erde. Allerdings, gibt es hier Magie, wie auch Elfen und Zwerge. So wie du es dir gewünscht hast.«

Der Götterdrache war zum Staubsaugervertreter mutiert. Es schien so, als ob er mir diese Welt schmackhaft machen wollte. Leider hatte er damit bei mir voll ins Schwarze getroffen.

Fasziniert betrachtete ich den Planeten vor meinen Augen. Eine Fantasiewelt mit allem drum und dran. Ein wahr gewordener Traum für jeden Nerd.

Vor meinem geistigen Auge sah ich schon meine Abenteuerreise. Ich musste unbedingt einen Elf in meinem Team haben. Gemeinsam würden wir Wälder durchforsten, Höhlen erforschen und Feinde niederstrecken. Vielleicht würde ich sogar mein eigenes Königreich gründen. Warum auch nicht?

Nebenbei hörte ich die Stimme des Götterdrachen: »Bist du sicher, dass du nicht doch ins Paradies möchtest?«

»Das kannste knicken. Da will ich nicht hin«, schnaubte ich abwesend. Innerlich hatte ich mich entschlossen: In einer Welt der Magie, würde ich der Mächtigste aller Magier werden.

»Dein Wunsch sei dir gewährt. Lebe wohl, Adrian Förster, Mächtigster aller Magier auf Ter´nak.«

Die Augen des Drachen glühten auf.

»Warte mal -«, weiter kam ich nicht. Bevor ich auch nur einen Wort hinzufügen konnte, raste ich auf den blauen Planeten zu. Die kleine Kugel wuchs um ein vielfaches und überspannte mein gesamtes Sichtfeld.

Ich stieß einen spitzen Schrei aus, während ich wild mit den Armen ruderte. Ein schwacher Versuch meinen Fall abzubremsen. Aber was sollte ich sonst machen? Mit bahnbrechender Geschwindigkeit stürzte ich auf den Planeten herab.

Die Landmasse wurde immer größer, bis eine Wolke sich vor mich schob. Im nächsten Augenblick war alles weiß. Ich fühlte mich wie in Watte eingepackt. Bestimmt hätte das ein schönes Erlebnis sein können, wenn ich nicht immer noch fallen würde.

Weniger als eine Sekunde nach meinem Eintauchen in diese flauschige Wattewelt, schoss ich auf der anderen Seite wieder heraus. Vor meinen Augen erstreckte sich ein ebenes Grasland. Von hier oben aus sah ich eine grünliche, große Stadt, mit einem seltsamen Turm in der Mitte.

Viel Zeit zum Umsehen hatte ich nicht, da ich direkt auf einen kleinen Wald am Rande der Ebene zusteuerte. So klein wie ich dachte, war er gar nicht. Je näher ich der grünen Masse kam, umso größer erschien mir der Wald.

Mit aller Kraft strampelte ich mit den Gliedern, während ich mir die Seele aus dem Leib schrie. Was sollte der Mist? Wollte der Götterdrache mich umbringen? In nur wenigen Augenblicken würde ich mit dem Boden kollidieren.

Ungebremst, trotz meiner verzweifelten Anstrengungen, stürzte ich durch die Baumkronen. Mehr als die Hände vors Gesicht zu reißen blieb mir nicht.

Da war er auch schon, der Boden. Unaufhaltsam kam er näher. Am ganzen Körper zitternd schrie ich so laut, wie noch nie in meinem Leben. Dann, etwa einen Meter über der Erde endete mein Fall abrupt. Ich war zum Stillstand gekommen. Schwebte einfach mitten in der Luft.

Wie von Zauberhand drehte ich mich in eine aufrechte Position. Bevor ich verstand was los war stand ich auf meinen Füßen, genau an der Stelle, an der ich hätte aufschlagen sollen.

Meine Beine zitterten wie Espenlaub, während ich krampfhaft versuchte, dieses Erlebnis zu verarbeiten. Gab es keinen anderen Weg mich in diese Welt zu bringen? Sollte ich jemals wieder auf den Götterdrachen treffen, dann würde ich ihm gehörig die Meinung geigen. Was dachte sich dieser Gott nur bei so einer Aktion?

*

Mit geschlossenen Augen griff ich mir an die Brust. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Auf diesen Schock benötigte ich erstmal einen Moment der Ruhe. Hätte ich vielleicht doch besser das Paradies wählen sollen?

Ich zuckte mit den Schultern. Die Entscheidung war gefallen, und das im wahrsten Sinne des Wortes. Eine Wiedergeburt hatte ich mir anders vorgestellt. Aber immerhin war ich am Leben und unverletzt. Zumindest spürte ich keinen Schmerz.

Schnell schlug ich die Augen auf und sah an mir herab. Einen solchen Sturz konnte ich nicht unversehrt überstanden haben. Das war unmöglich. Zumindest müsste ich durch die Äste einige Schrammen abbekommen haben.

Als erstes bemerkte ich meine neue Kleidung. Diese dunkelgrüne Robe hatte ich zuvor ganz sicher nicht angehabt. Um meine Taille schlang sich eine goldenen Schnur. Offenbar ein Gürtelersatz. Ob es in dieser Welt Gürtel gab? Ich wusste rein gar nichts über den hiesigen Entwicklungsstand.

Ich streckte den rechten Fuß aus, so dass er unter der langen Robe zu sehen war. Altertümliche Sandalen? Wer war ich? Jesus?

Ich zog die Robe an Armen und Beinen hoch. Offensichtlich war ich vollkommen unverletzt. Ein erleichtertes Seufzen entrann meiner Kehle. Bei der Untersuchung meines Körpers bemerkte ich eine Kordel, die sich von meiner rechten Schulter diagonal über Brust und Bauch spannte.

Ich zog daran und bemerkte etwas auf meinem Rücken. Neugierig zog ich die Schnüre über den Kopf. Zum Vorschein kam ein lädierter, gelblicher Seesack, an dessen Seite ein Stock angebunden war.

So leicht wie der Sack sich anfühlte war er leer. Na großartig. Aber immerhin schon mal ein Anfang. Jeder Abenteurer benötigte einen Rucksack. Wenn nur dieser hier nicht so abgenutzt und uralt aussehen würde.

Ob dieses Ding überhaupt in der Lage war mehr als ein paar Federn zu transportieren? Ich schwor mir, dieses Teil bei nächster Gelegenheit zu ersetzen. Mit so einem Lumpen machte ich mich sicher zum Gespött der Leute.

Mein Blick wanderte auf den kleinen Stock. Besonders aufregend sah auch dieser Gegenstand nicht aus. Einfaches, glattes Holz. Keine Verzierungen oder sonst etwas. Dann fiel mir seine Spitze auf. Dort war ein grüner Stein angebracht.

Nachdenklich kratzte ich mich am Kopf. Sollte das hier eine Art Zauberstab sein? Wenn ja, dann sah er nicht besonders prächtig aus. So etwas würde selbst ich herstellen können. Ein Stock, ein Stein und etwas Kleber, fertig.

Alles in allem war ich maßlos enttäuscht. Hätte Gott mir nicht ein wenig bessere Ausrüstung mitgeben können?

Andererseits …, ich betrachte den grünen Stein näher. Es schien mir so, als ob er von innen heraus pulsieren würde. Vielleicht war das Ding doch nützlich. Das würde ich austesten müssen.

Ich löste den etwa einen Meter langen Stab von meinem Seesack. Bewaffnet und zu allen Schandtaten bereit sah ich mich um. Ein Ziel musste her.

Durch die Kronen der Bäume fielen vereinzelte Lichtstrahlen. Es war also Tag. Gut das wusste ich auch so, immerhin konnte ich etwas sehen. Im Schatten war es angenehm kühl, während eine sanfte Brise die Blätter wiegte.

Braun, grün, grüner, am Grünsten. Bäume, Gräser, Farne, und Moos soweit das Auge reichte. Es roch nach Wald und ich konnte nichts auffälliges erkennen. Alles stinknormal, wie man es sich vorstellte.

Hätte ich in Bio besser aufgepasst, wäre ich vielleicht in der Lage zu sagen, was für Pflanzen das hier waren. Europäische Laubbäume. Weiter hinten im Wald erblickte ich einen Nadelbaum. Mehr gab mein Wissensschatz nicht her.

Solange es einen Supermarkt um die Ecke und einen Kühlschrank gab, hatte ich mich nie für so etwas Banales begeistern können.

Ein echtes Manko in meiner gegenwärtigen Lage. Noch hatte ich zwar keinen Hunger, aber zu wissen, was essbar war und was nicht wäre sicher nützlich für mich.

Ein Punkt nach dem anderen. Zunächst wollte ich meinen Zauberstab testen. Erwartungsvoll hob ich den Arm und zielte auf einen nahen Baumstamm.

Genau in diesem Augenblick hörte ich eine leise Stimme: »Weg mit euch. Verschwindet!«

Es war eindeutig ein Mann der gesprochen hatte. Der gehetzte Unterton gefiel mir aber gar nicht. Erschrocken wandte ich den Kopf und sah eine Hecke, die mir die Sicht nach rechts versperrte.

Langsam schlich ich um das Gestrüpp, kampfbereit meinen Zauberstab erhoben. Hinter der Blätterwand befand sich eine Straße, die hatte ich zuvor nicht bemerkt. Innerlich korrigierte ich mich selbst. Eine Straße war betoniert oder gepflastert, das hier war nicht mehr als ein plattgetretener breiter Waldweg.

Ich sah nach rechts den Weg entlang. Dort, etwa zwanzig Meter entfernt, stand ein Ochsenkarren. Eine zerrissene leicht gelbliche Plane flatterte über der mit Kisten vollgestopften Ladefläche.

An dem mir zugewandten Hinterrad lag eine zappelnde Gestalt am Boden. Mehr konnte ich von meiner aktuellen Position aus nicht erkennen.

Der Ochse brüllte laut auf und scharrte unruhig mit den Hufen. Fliehen konnte er aber nicht, da er noch immer an den Wagen gespannt war.

Während ich noch überlegte ob ich mich den Gespann nähern sollte trat ein dicklicher Mann rückwärts hinter dem Wagen hervor. Wild mit einem Stock um sich schlagend versuchte er einen grauen Wolf auf Abstand zu halten.

Das war meine Chance. Der Beginn meines grandiosen Abenteuers in dieser Fantasiewelt. Schade nur, dass es sich bei meinem ersten Gegner um einen mickrigen Wolf handelte. Als der mächtigste aller Magier hätte es ruhig ein Drache sein können. Aber ok. Kleinvieh macht auch Mist. Als Zielscheibe für meinen allerersten Zauber kam die Töle wie gerufen.

Mit einem fetten Grinsen im Gesicht rannte ich auf mein Opfer zu. »Aus dem Weg, den Wolf mach ich platt«, rief ich dem Mann überschwänglich zu.

Überrascht weiteten sich die Augen des Dicken als er meinen gezückten Zauberstab sah. Ja, ganz recht. Der Held ist eingetroffen.

Schlitternd kam ich etwa drei Meter von dem Wolf entfernt zum Stehen. Während ich den grünen Stein auf meinen Feind richtete, sprang der Mann hastig zur Seite. Ich holte tief Luft, dann intonierte ich mit fester Stimme: »Feuerball!«

Irritiert blinzelte ich. Da war kein Feuerball. Nicht einmal ein Flämmchen. Nichts. Es passierte gar nichts!

Vielleicht hatte mein Zauberstab Ladehemmungen? Erneut befall ich: »Feuerball!«

Abermals kein Anzeichen für irgendeine Magie. Ob ich in der richtigen Welt gelandet war? Wenn es hier keine Magie gab, dann machte ich mich gerade zum Affen.

Von links drang mir ein Knurren in die Ohren. Entsetzt riss ich den Kopf herum. Da war ein zweiter Wolf. Verdammt. Ich richtete meinen Zauberstab auf ihn und schrie so laut ich konnte: »Feuerball, Flammentornado, Feuerwand. Komm schon funktioniere endlich.«

Das einzig gute an meiner Situation war, dass der Wolf nicht näher kam. Er konnte nicht, da ich wild mit diesem nutzlosen Stück Holz vor seiner Nase herumfuchtelte.

Aus den Augenwinkeln nahm ich war, dass der andere Wolf und der Mann erneut kämpften. Somit hatte jeder von uns einen eigenen Gegner am Arsch.

Mir lief es kalt den Rücken hinunter. Wo zwei Wölfe waren, da waren sicher noch mehr. Wie groß waren Wolfsrudel? Ich hatte keinen blassen Schimmer. Anstatt eines heroischen Auftritts als Held, sah ich mich nun einem Kampf auf Leben und Tod gegenüber.

Ich hatte keine Zeit nach dem anderen Mann zu sehen, der würde schon klar kommen. Der Wolf vor mir verlangte knurrend nach meiner vollen Aufmerksamkeit.

»Schlag ihm auf den Kopf«, rief mir eine Stimme von rechts zu.

»Gute Idee«, stammelte ich und versuchte mein Glück. Ich wünschte mir, dieser Stab wäre länger. Knapp verfehlte ich den Wolf. Das Biest machte einen Satz rückwärts und fletschte die Zähne. Gar nicht gut.

Im nächsten Moment sprang der Wolf mich an. Panisch riss ich die Arme hoch, dabei traf ich aus Versehen meinen Gegner von unten an der Schnauze. Gerade noch so konnte ich dem Vieh ausweichen. Der Wolf stürzte zu Boden, rappelte sich auf und taumelte winselnd weg von mir.

»Steh da nicht rum und starr Löcher in die Luft. Komm her und befrei mich.«

»Komm ja schon«, brummte ich verstimmt und wandte mich der Stimme zu. Gegen das hintere Wagenrad gelehnt saß ein schmächtiger Junge. Irritiert blinzelte ich ihn an. Der Kleine hatte Katzenohren, die ihm seitlich aus den schwarzen Haaren heraus standen.

Erst dachte ich, das es sich hierbei um eine Art Kopfschmuck handeln würde. Dann aber sah ich, wie die spitz aufragenden Ohrmuscheln sich bewegen. Auch konnte ich eindeutig einen schwarzen Katzenschweif sehen, der unruhig hin und her zuckte.

Außer diesen beiden sonderbaren Merkmalen, war er ein normaler Junge, mit schwarzen Haar und kindlichem Gesicht. Er trug eine Art Ledermontur, die ihm das Aussehen eines Jägers gaben.

Wie in Trance starrte ich den Jungen an. Ob es noch mehr von seiner Art gab? Ein paar Jahre älter, dann wäre er genau mein Typ.

»Was treibst du denn da? Mach mich los. Da sind noch mehr Wölfe«, fuhr mich der Katzenjunge an. Erwartungsvoll hob er seine gefesselten, stoffumwickelten Hände.

»Ja, doch«, murmelte ich in meinen nicht vorhandenen Bart hinein. Mit einem Satz sprang ich zu ihm. Achtlos ließ ich meinen Stab fallen und betrachtete die Seile. »Du hast nicht zufällig ein Messer dabei?«

»Hätte ich eines, dann würde ich dich nicht brauchen. Ich würde ja sagen, benutz deine Magie, aber das kannst du offenbar nicht.« Der Junge schüttelte den Kopf. »Echt mal, so einen nutzlosen Magier habe ich noch nie gesehen.«

Wütend fuhr ich ihn an: »Du bist ganz schön frech, Kleiner.« Meine Hände zitterten, dennoch tat ich mein Bestes, den Knoten zu lösen. Nach endlosen Sekunden hatte ich es geschafft. Das Seil löste sich und der Stoff fiel herab. Zum Vorschein kamen die befreiten Hände des Jungen.

Augenblicklich fielen mir seine eigenartigen Fingernägel auf. Spitz zulaufend sahen sie aus wie kleine Krallen. Ob die Dinger scharf waren?

Befreit von den Fesseln machte sich der Junge über die Seile um seine Fußgelenke her. Anstelle aber den Knoten zu lösen kratzte er mit seinen Krallen darüber.

Gebannt sah ich ihm dabei zu, wie er sich selbst befreite, im Bruchteil der Zeit, die ich für seine Hände benötigt hatte. Diese Krallen benötigten eindeutig einen Waffenschein.

Geschickt sprang der Katzenjunge auf. Mit einem Satz war er auf dem Wagen und geschmeidig unter die Plane gekrabbelt.

»Hey, warte mal«, rief ich ihm nach.

Hinter mir erklang ein bösartiges Knurren. Meine Nackenhaare stellten sich auf, während ich herumfuhr. Ein grauer Wolf stand vor mir. Ob es derselbe war, dem ich mit meinem Stab eine verpasst hatte oder ein anderer, konnte ich nicht sagen. Die sahen doch alle gleich aus.

Panisch strauchelte ich rückwärts. Zu allem Überfluss verlor ich das Gleichgewicht und landete schmerzhaft auf meinem Hintern. Hastig sah ich mich nach meinem Zauberstab um, konnte ihn aber nirgends sehen. Er musste aber hier irgendwo sein. Ich hatte ihn nur weggelegt, um dem Jungen die Fesseln zu lösen.

Ein dunkles Knurren lenkte meine Aufmerksamkeit auf den Wolf vor mir.

Kopflos riss ich die Hände hoch und schrie: »Feuerball.«

Die gelben Augen des Wolfes schienen mich zu verspotten, denn es passierte rein gar nichts.

Das wars. Aus der Nummer würde ich nicht mehr raus kommen. Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich meinem Tod entgegen.

Wie hatte es nur soweit kommen können? Sollte das mein Ende sein? Schon wieder sterben. So viel zu meinem Wunsch der mächtigste aller Magier zu werden. Dieser verdammte Götterdrache hatte mich betrogen!

Ich sah, wie sich der Wolf duckte. Dann sprang er auf mich zu. Wie schon bei meinem letzten Tod, verlangsamte sich die Zeit. Eine grauenhafte Ironie des Schicksals. Der Schlund des Untiers kam immer näher.

Plötzlich zuckte der Kopf des Wolfes nach unten. Anstelle meinen Hals oder meine Arme zu treffen, sackte das Vieh in meinem Schoß zusammen, nur Zentimeter von meinem besten Stück entfernt.

Ich blinzelte und konnte nicht verstehen was los war.

»Damit sind wir quitt«, sagte der Katzenjunge, während er leichtfüßig vor mir auf dem Boden landete.

Vom Kopf des Wolfes blitzte mir etwas im Licht der Sonne entgegen. Ich sah genauer hin. Genau zwischen den beiden gelben Augen steckte ein kleines Wurfmesser. Warmes Blut sickerte aus der Wunde und tränkte meine dunkelgrüne Robe.

Offenbar hatte der Katzenjunge mich gerettet. Fassungslos hob ich den Blick.

Kopfschüttelnd sah er über seine Schulter zu mir herunter. »Übrigens, Feuerzauber funktionieren hier nicht. Wir befinden uns innerhalb der Domäne des Windturms, du Spinner.«

Nach dieser Aussage rannte der Katzenjunge davon, einen dicken Sack auf den Schultern schleppend, während er in der rechten einen mir sehr bekannten Stock hielt.

»Du Arschloch, komm sofort zurück!« Der Kerl hatte mir meinen Zauberstab gestohlen. Immer noch benommen sah ich ihm dabei zu, wie er zwischen den Bäumen verschwand.

Aus den Augenwinkeln bemerkte ich eine Bewegung. Ein weiterer Wolf hatte mich als Opfer auserkoren und schlich auf mich zu.

Was hatte der Katzenjunge gesagt? Feuermagie funktionierte hier nicht. Konnte man innerhalb der Domäne des Windturms nur Windmagie anwenden? Einen Versuch war’s wert. Was blieb mir sonst übrig? Ohne meinen Zauberstab hatte ich keine Waffe.

Windmagie. Ich benötigte einen Windzauber. Ohne wirklich darüber nachzudenken streckte ich Zeige- und Mittelfinger meiner rechten Hand aus. Die beiden aneinandergelegt machte ich eine schneidende Bewegung in Richtung des Wolfes. Tonlos sagte ich dabei: »Windschnitt.«

Meine Fingerspitzen begannen leicht zu vibrieren. Etwas schoss davon. Im nächsten Augenblick zuckte der Wolf und jaulte laut auf. Ein blutiger Schnitt zog sich einmal quer über seine Schnauze. Nur knapp hatte ich sein rechtes Auge verfehlt.

Mit offenem Mund starrte ich zwischen dem Wolf und meinen beiden Fingern hin und her. Ich hatte bereits alle Hoffnung aufgegeben. Nun aber fasste ich neuen Mut.

Wütend verengte ich die Augen. Jetzt war ich dran. Während der Wolf den Kopf schüttelte, stieß ich die Leiche seines Kameraden von mir. So ein Wolf wog schon so einiges, aber in meinem aktuellen adrenalinaufgepunschtem Zustand bemerkte ich das gar nicht.

So schnell ich konnte, stand ich auf, bereit für die zweite Runde. Ich war echt angepisst, und dieser Wolf würde nun all meinen Zorn zu spüren bekommen.

Wie ein Wahnsinniger fuchtelte ich mit aneinandergelegten Zeige- und Ringfinger umher, während ich ein ums andere mal schrie: »Windschnitt, Windschnitt, Windschnitt …«

Eine Wunde nach der nächsten fügte ich dem Wolf zu. Die Schnitte waren nicht sonderlich tief, dafür aber zahlreich. Allgemein zielte ich auf den Kopf, traf aber auch Hals, Vorderpfoten und Bauch.

Bei jeden Treffer zuckte der Wolf zusammen und stolperte benommen rückwärts. Nach der elften Wunde hatte er dann endgültig genug. Das Biest zog den Schwanz ein und machte sich eilig vom Acker.

Großzügigerweise ließ ich ihn entkommen. Ich hatte zwar jetzt einen Zauber mit dem ich mich zur Wehr setzen konnte, aber meinen Gegner damit zu töten, wäre eine sehr zeitraubende Angelegenheit geworden.

Einen Augenblick genoss ich meinen Sieg, dann hörte ich einen verzweifelten Hilferuf. Mit wehender Robe stürmte ich um den Wagen herum. Der dicke Mann lag ungefähr fünf Meter entfernt auf dem Boden und schlug wild um sich. Gleich drei Wölfe hatten ihn umzingelt. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis der Mann den den Kürzeren ziehen würde.

Verdammt. Ich war zu weit weg. Bei meinem Angriffen auf den anderen Wolf, hatte ich festgestellt, dass der Windschnitt auf einen kleinen Radius begrenzt war.

Dieser Zauber würde mir hier nicht helfen. Ich benötigte einen anderen. Wie schon zuvor, handelte ich intuitiv. Alle Finger meiner rechten Hand ausgestreckt und zum Himmel zeigend, vollzog ich eine Stoßbewegung. Dabei intonierte ich: »Windstoß.«

Meine Handfläche vibrierte sanft. Als mein Arm ganz ausgestreckt war schoss ein Windstoß aus meiner Hand. Ich sah die Verwirbelung in der Luft und hielt den Atmen an. Würde mein Zauber rechtzeitig ankommen? War meine Magie stark genug, oder würde dieser Angriff den Wölfen nur das Fell zerzausen?

Mein Zauber erreichte die Wölfe und riss sie von den Pfoten. Gegeneinander stoßend überschlugen sie sich, zu einem wirren Fellball werdend. Gut drei Meter kullerten sie über den Boden, bis der Fellhaufen zum Stillstand kam.

Innerlich klopfte ich mir auf die Schulter. Diesen Zauber habe ich gut hinbekommen.

Während die Wölfe um sich bissen und sich entwirrten, rannte ich auf den Mann zu. »Alles in Ordnung bei, Ihnen?«

»Ich glaube schon«, stammelte er. Dann schrie er: »Achtung!«

Seine Warnung war unnötig. Ich war mir der Gefahr durchaus bewusst und hatte die Wölfe keine Sekunde aus den Augen gelassen. Wieder auf ihren Beinen stehend, machten sie sich als Gruppe bereit uns anzufallen. Nicht mit mir.

»Windstoß.« Zum zweiten Mal setzte ich diesen Zauber ein. Die Distanz zwischen mir und meinen Gegnern betrug nur noch gut zwei Meter. Somit war ich näher dran als zuvor.

Mein Zauber traf die Wölfe frontal und schleuderte sie davon. Zwei von ihnen flogen durch die Baumreihe, wodurch ich sie aus den Augen verlor. Der dritte prallte mit einem dumpfen Klonk gegen einen dicken Baumstamm.

Taumelnd kämpfte er sich auf die Pfoten. Er warf mir noch einen letzten Blick zu, dann rannte er mit eingezogenem Schweif davon.

Ich hatte meinen ersten Kampf in dieser neuen Welt voller Magie überlebt. Nun da ich wusste, wie das mit der Magie funktionierte, würde ich nie wieder derart erbärmlich abloosen.

Der erste Auftrag

»Ich danke Ihnen, werter Magier«, sprach mich der dicke Mann erschöpft an.

»Kein Problem«, erwiderte ich möglichst selbstsicher, wobei ich ein leichtes Zittern in meiner Stimme nicht unterdrücken konnte. Dieser Kampf hatte mir mehr abverlangt als ich bereit war zuzugeben.

Schnell beugte ich mich vor und bot ihm meine Hand an. Sichtlich dankbar ließ er sich von mir auf die Beine ziehen.

Ich schätzte den Mann auf Mitte fünfzig. Seine ergrauten, kurzen Haare standen ihm wirr vom Kopf ab. Dieses Mal handelte es sich um einen Menschen.

Der Mann trug ein durchgeschwitztes, vergilbtes Leinenhemd, dazu eine schlichte, braune Stoffhose und Ledersandalen. Er war hellhäutig, soweit ich das unter dem ganzen Staub erkennen konnte und hatte schon einen kleinen Bauchansatz. Schade eigentlich. Ein netter durchtrainierter Wolfsmensch mit flauschigen Wolfsohren wäre mir lieber gewesen.

Doch im Gegensatz zu dem Katzenjungen war dieser Mann nicht geflohen. Daher nahm ich an, dass er ein Händler war und ihm die Waren auf dem Wagen gehörten.

Wie zur Bestätigung meiner These, verbeugte sich der Mann vor mir und sagte: »Ich bin Garret, der fahrende Händler. Dürfte ich nach Ihrem Namen fragen, werter Magier?«

Aufgrund der höflichen Anrede kratzte ich mich verlegen am Hinterkopf. »Nenn mich Adrian. Und wir können gerne zum Du übergehen.«

Im Nachhinein fiel mir auf, dass dies der Zeitpunkt gewesen wäre, mir einen neuen Namen zuzulegen, würdig für den Mächtigsten aller Magier. Innerlich seufzte ich, der Zug war leider abgefahren. Auf die Schnelle wäre mir sicher auch nichts Brauchbares eingefallen.

»Oh, welch große Ehre.« Ehe ich mich versah hatte er meine rechte Hand ergriffen und schüttelte sie eifrig. »Ein hochrangiger Magier, der mir das Leben rettet und auch noch das Du anbietet. Ich kann es kaum glauben.«

Nach dieser Aussage zu schließen, standen Magier wohl recht weit oben in der Hackordnung und ich war etwas über das Ziel hinausgeschossen. Ich musste so schnell wie möglich mehr über diese Welt erfahren. Nicht, dass ich mich zum Gespött der Leute machte, indem ich mich nicht so verhielt, wie ich es sollte.

Nachdem ich meine Hand seinem Klammergriff entwunden hatte, fragte ich frei heraus: »Kannst du mir sagen, wo wir sind?«

Nur zu gerne schien Garret bereit mir diese Information zu geben. »Wir befinden uns am Rande des Wolfswaldes. Etwa eine halbe Tagesreise vom Handelsposten Meerblick entfernt.«

Natürlich sagte mir das gar nichts, ich war kein Einheimischer. Besser aber ich fragte nicht weiter nach, um kein Aufsehen zu erregen.

Garret rieb sich verlegen drein sehend die Hände, während er von einem Bein aufs andere trat. »Du bist nicht zufällig ein Abenteurer, oder?«

Ein Abenteurer? Ob das in dieser Welt eine Art Berufsbezeichnung war. Langsam nickte ich. »Ich glaube, das bin ich.«

»Du glaubst?« Ich sah, wie sich die Pupillen seiner braunen Augen misstrauisch verengten.

Na großartig, so viel zu meinem Vorsatz nicht aufzufallen. Fieberhaft dachte ich nach, wie ich mich aus dieser Lage befreien konnte. Da kam mir eine Idee. Warum nicht die Wahrheit ein wenig verdrehen?

Gespielt verlegen kratzte ich mich am Hinterkopf und grinste Garret an. »Es ist mir zwar peinlich das zu sagen, aber ich weiß es nicht. Kurz bevor ich dich fand, bin ich dort drüben im Wald aufgewacht. Ich erinnere mich an kaum mehr als meinen Namen.«

Dass ich ein Wiedergeborener aus einer anderen Welt war, ließ ich besser aus. Wer wusste schon, wie die Leute hier auf so etwas reagierten. Am Ende würden sie mich noch als Hexer oder Dämon auf dem Scheiterhaufen verbrennen. Nein, darauf konnte ich gut und gerne verzichten.

Gespannt wartete ich auf seine Reaktion. Wenn er mir meine Geschichte abkaufen würde, dann könnte ich ihn alles fragen, was ich wollte, ohne weiteres Misstrauen zu erregen.

»Das erklärt so einiges. Allem voran dein Versuch Feuermagie einzusetzen.« Garret seufzte schwer, dann nickte er verständnisvoll. »Ich vermute, einer deiner Zauber ist nach hinten losgegangen. Eine Amnesie nach einem Unfall mit Magie ist nichts Ungewöhnliches. Bestimmt wird dein Gedächtnis bald zurückkehren.«

Sollte ich mir nun Gedanken machen? Magier lebten offenbar recht gefährlich. Nicht nur Monster wollten ihnen ans Leder, nein, selbst ihre eigene Magie war eine Bedrohung. Inständig hoffte ich, dass mir das Schicksal ein sabbernder Idiot zu werden, erspart bleiben würde.

Sicherlich hatte Garret meine bestürzte Miene gesehen, da er mir mitfühlend auf die Schulter klopfte. »Das ist einer der Gründe, warum ich die Finger von der Magie lasse. Man weiß nie was alles passieren kann.«

Das Thema magische Fehlschläge verschob ich auf später. Mein Plan war ein voller Erfolg gewesen. Erleichterung durchflutete meine Adern. Damit stand meinen unzähligen Fragen nichts mehr im Wege.

Aufgeregt rieb Garret sich die Hände, während er auf mich einredet: »Wie wäre es, wenn du mich begleitest. Ich muss eh meine Waren abliefern, bevor sie verderben. In Meerblick gibt es eine Außenposten der Abenteurergilde. Wenn du wirklich ein Abenteurer bist, wird man dir dort sicher helfen können.«

Im Grunde war das kein schlechtes Angebot. Wenn ich aber an den Kampf mit den Wölfen zurück dachte, so kam ich zu dem Schluss, dass da noch mehr dahinter steckte. Dieses Schlitzohr wollte meine Lage ausnutzen und mich als kostenlose Eskorte missbrauchen. Aus diesem Grund hatte er mich gefragt, ob ich ein Abenteurer war.

Ich grinste ihn an und fragte frech: »Was bietest du mir für meinen Schutz?«

Wie aus der Pistole geschossen erwiderte Garret: »Zehn Drachmen, wenn du mich sicher zum Handelsposten bringst.«

War das viel oder wenig? Ohne einen Vergleich wusste ich nicht, was ich sagen sollte. In diesem Augenblick bemerkte ich ein diebisches Funkeln in seinen Augen. Es war eindeutig, der wollte mich über den Tisch ziehen.

»Aber, aber, dankt man so seinem Lebensretter?« Gespielt beleidigt zog ich einen Schmollmund.

Garrets Gesichtszüge entgleisten. Dann lachte er laut auf. »Bitte verzeih mir diese Finte. Bei der Aussicht auf einen guten Handel konnte ich nicht widerstehen.«

Schlagartig beruhigte er sich und hielt mir die Hand entgegen. »Hundert Drachmen, mehr kann ich selbst meinem Retter in der Not nicht bieten.«

Dieses Mal schien er es ehrlich zu meinen. Ich konnte jedenfalls keinerlei verräterische Anzeichen entdecken.

»Einverstanden.« Wir besiegelten unsere Abmachung mit einem Handschlag. Somit nahm ich meinen ersten Auftrag an.

*

Keine halbe Stunde später saß ich neben Garret auf dem Wagen. Auch wenn der Ochse ein sehr gemächliches Tempo an den Tag legte, tat mir jetzt schon der Hintern weh. Es gab weder ein Kissen noch hatte der Karren eine Federung. Jede noch so winzige Unebenheit bekam ich hautnah zu spüren.

Wehleidig dachte ich an die roten Sitze im Zug nach Paris. Im Gegensatz zu meiner aktuellen Lage waren diese als sehr bequem einzustufen. Das Schlimmste jedoch war der langsam trocknende Blutfleck auf meiner Robe. Farblich war er zwar kaum zu sehen, fühlen konnte ich ihn dafür um so mehr.

Laut Garret gab es keinen Bach oder Fluss in der näheren Umgebung. Meine Frage danach, schien ihn Glauben zu lassen, dass ich Durst hätte. Aus diesem Grund bot er mir etwas zu Trinken aus seinem Wasserschlauch an. Allerdings konnte ich schlecht unser Trinkwasser für meine Robe missbrauchen, das würde bestimmt nicht gut ankommen bei ihm.

In meiner Verzweiflung hatte ich es erfolglos mit einem Wasserzauber probiert. Meine Vermutung bestätigte sich weiter, in der Domäne des Windturms konnte ich nur Windmagie einsetzen. Ohne Wechselklamotten musste ich wohl oder übel mit dem ekligen Gefühl des nassen Blutes zwischen den Beinen leben.

Garret neben mir hatte schlechte Laune und schimpfte leise vor sich hin. »Diese verdammte Kanalratte. Ich hätte dem Bengel die Kehle durchschneiden sollen.«

»Meinst du den Katzenjungen?«

»Ja, ich hoffe, die Wölfe fressen diesen elenden Tiermenschen.«

Oh ha, die Tiermenschen, ich nahm an, so nannte man diese Halbmenschen, waren offenbar nicht sehr beliebt. »Was hat der Junge denn angestellt?«

Miesepetrig erzählte mir Garret die Geschichte: »Bei meinem letzten Halt in dem Dorf am Rande des Wolfswaldes, hatte er gefragt, ob ich ihn ein Stück mitnehmen könnte. Gegen einen kleinen Obolus von zehn Drachmen hatte ich mich breitschlagen lassen.

Denn allein durch den Wald zu fahren, ist seit Kurzem nicht mehr sicher und ich hatte auch keine Eskorte ordern können. Doch der Bengel hat versucht mich zu bestehlen. Ich konnte ihn gerade so überwältigen und fesseln. Bevor ich mich entscheiden konnte, was ich mit dem Bengel anstelle, griffen die Wölfe an. Den Rest kennst du ja.«

Wütend schlug Garret mit der Faust in die Luft. »Ich habe ihn wohl nicht richtig festgebunden. Der Bengel konnte seine Fessel lösen. Zu allem Überdruss hat er sich auch noch an meinen Waren bedient.«

Garret schien nicht mitbekommen zu haben, dass ich es gewesen war, der den Katzenjungen befreit hatte. Am besten ich hielt die Klappe und ließ diese Version der Geschichte unkommentiert im Raum stehen.

Im Zusammenhang mit dem Jungen dachte ich wehleidig an meinen Zauberstab. Da kam mir eine Idee, für was hatte ich einen Händler neben mir sitzen. »Ich habe da mal eine Frage«, begann ich nachdenklich.

»Was, nur Eine?« Mit einem breiten Grinsen im Gesicht nickte er mir auffordernd zu.

»Kannst du mir ein wenig über den Wert verschiedener Dinge erzählen?«

Die schlechte Laune meines Mitreisenden war wie weggeblasen. Ganz in seinem Element begann er sein Wissen mit mir zu teilen.

Dabei erfuhr ich unter anderem, dass ein einfaches Abendessen in einer billigen Schenke gerade mal vier bis fünf Drachmen kostete. Für ein Einzelzimmer in einem Gasthaus zahlte man im Schnitt pro Tag zehn bis zwanzig Drachmen, je nach Qualität der Ausstattung. Mit den versprochenen hundert Drachmen hatte ich somit genug, um einige Tage zu überleben.

Wissbegierig lenkte ich das Thema auf andere Waren. »Was würde mich ein einfacher Zauberstab kosten?«

»Magische Gegenstände sind extrem teuer. Einen einfachen Zauberstab, wie deinen, würde ich auf rund zehntausend Drachmen schätzen.«

Entsetzt klappte mir der Mund auf. Auch wenn der Stab optisch nicht viel hergemacht hatte, war das Ding ein Vermögen wert. Mit seinem Verkauf hätte ich ein gutes Leben führen können.

Dieser verdammte Katzenbengel. Sollte ich den in den Finger bekommen, würde ich ihm so lange den Hintern versohlen, dass er eine Woche nicht sitzen könnte.

Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, wie Garret mich stirnrunzelnd von oben bis unten musterte. »Sag mal, wo hast du deinen Zauberstab denn versteckt? Unter der Robe?«

Musste der Kerl Salz in die Wunde streuen? Ruhig Blut. Es war meine, nicht Garrets Schuld.

Betreten ließ ich den Kopf hängen und gestand: »Der Katzenjunge hat ihn mir gestohlen.«

Lachend tätschelte er mein linkes Bein. »Geteiltes Leid ist halbes Leid. Ich hoffe der Bengel wird geschnappt und hingerichtet.«

Für meinen Geschmack wäre ein Todesurteil deutlich übertrieben. Aber so lief es in dieser Welt wohl. Drakonische Strafen zur Abschreckung, fast wie bei uns im Mittelalter. Ein Grund mehr für mich, ein braver, gesetzestreuer Bürger zu sein.

*

Gut drei Stunden und unzählige Fragen später erreichten wir den Waldrand. Die Sonne hatte längst ihren Zenit überschritten.

Wie ich es schon bei meinem Sturz aus dem Himmel beobachtet hatte, breitete sich vor meinen Augen ein ebenes Areal aus. Vereinzelt konnte ich Laubbäume und hochgewachsene grüne Sträucher erkennen. Überwiegend gab es außer Gras nichts zu sehen.

In der Ferne sah ich auf einer kleinen Anhöhe eine undefinierbare braune Silhouette. Der Weg, auf dem wir fuhren, führte direkt darauf zu.

»Das ist der Handelsposten Meerblick«, erklärte mir Garret, während er nach vorne deutete. »Nur noch ein kurzes Stück, dann sind wir da.«

In seiner Stimme schwang Erleichterung mit. Ich vermutete, er war froh den Wald hinter sich gelassen zu haben. Auch wenn uns keine Wölfe oder anderes Getier angegriffen hatte, war ich ebenfalls glücklich darüber dem Zwielicht der Baumkronen entkommen zu sein.

Über meine Schulter spähend warf ich einen Blick zurück. Ein kalter Schauer jagte mir über den Rücken. Dieser Wald hatte etwas Bedrohliches und tief in meinem Inneren spürte ich eine undefinierbare Gefahr. Etwas, was mir die Haar zu Berge stehen ließ. Ein sehr eigenartiges Gefühl.

Ich schüttelte den Kopf und sah wieder nach vorne. Bestimmt bildete ich mir das nur ein. Genau in diesem Augenblick hob sich der Ochsenschweif. Angewidert hielt ich mir die Nase zu und den Atem an, während das Mistvieh ungeniert seinen Darm entleerte.

Ewig konnte ich dir Luft nicht anhalten. Wie es zu erwarten gewesen war stank es jetzt auch noch. So langsam begann ich dieses Furzmaschine, wie auch den harten Karren zu hassen. Mein Hintern würde nie wieder derselbe sein. Nun, den ganzen Weg laufen zu müssen wäre unangenehmer gewesen.

*

Kurz vor Sonnenuntergang erreichten wir den Handelsposten Meerblick. Die braune Silhouette stellte sich als eine altertümlich aussehende Holzpalisade heraus. Angespitzte Holzstämme waren im Halbkreis um den Hügel in den Boden gerammt worden.

In den letzten Stunden hatte der Wind aufgefrischt. Je näher wir Meerblick kamen, desto stärker wurde der Geruch nach Salz in der Luft. Auch konnte ich das sanfte Rauschen der Wellen hören. Das Meer, dem dieser Ort wohl seinen Namen verdankte, konnte nicht fern sein.

Garret grüßte die beiden Wachen am Tor freundlich, während ich ihnen lediglich zunickte. Was hätte ich auch sagen sollen? Guten Abend die Herrn. Schönes Wetter heute, oder? Am besten, ich hielt die Klappe.

Die Soldaten, beides Männer mittleren Alters, trugen eine Art lederne Uniform mit einem Wappen auf der Brust. Ein weißer Pegasus auf grünem Grund.

Durch Garrets Erzählungen hatte ich erfahren, dass dies das Wappen des Königreichs Lusira war, in dem wir uns befanden. Lusira, die gleichnamige Hauptstadt des Königreichs, war um den magischen Windturm herum errichtet worden, dem Herzstück des Landes.

Ich erinnerte mich einen kurzen Blick auf den Turm, wie auch die Stadt drumherum, erhascht zu haben, nachdem ich bei meinem Fall die Wolkenwand durchbrochen hatte.

Im Vorbeifahren wechselte Garret ein paar Worte mit den Wachen, die sich gelangweilt auf ihren langen Piken abstützen.

»Wie geht es deiner Frau, Balthasar? Ich habe frische Wurzelsalbe mitgebracht.«

Der eine Wachmann schüttelte mit einem schiefen Grinsen im Gesicht den Kopf. »Die du mir liebend gerne für einen Wucherpreis verkaufen wirst, du alter Halsabschneider. Tu mir bitte den Gefallen und sag Ingrid, du hättest keine bekommen.«

Garret lachte laut auf. »Aber, aber, das kann ich einer treuen Kundin doch nicht antun. Vor meiner Reise hat sie drei Tiegel bestellt.«

»Drei?« Unter der Lederkapuze wurde Balthasar deutlich weiß um die Nase. Der zweite Soldat boxte ihm gegen den Arm, während er ausgelassen spottete: »Du solltest beim Hauptmann um Sonderschichten betteln. Dein Eheweib treibt dich noch in den Ruin.«

Da waren wir auch schon an den beiden vorbeigefahren. Hinter uns konnte ich Balthasars leises Wehklagen vernehmen. Mein Interesse galt aber der Stadt vor mir. Einen Blick später korrigierte ich mich gedanklich. Das hier war keine Stadt, sondern eher ein Dorf, aus einer handvoll Holzgebäude.

Auf dem Schild eines der Häuser zu meiner Linken stand Frische Brise. Darunter war ein Bierkrug, sowie ein Bett abgebildet, offenbar Taverne und Gasthaus in einem. Laute Stimmen, sowie der Geruch nach würzigem Essen drangen durch die einladend offene Tür.

Garret deutete auf dieses Gebäude und sagte: »Dort bekommst du etwas zu Essen und kannst übernachten. Das hier …«, er zeigte auf ein kleines Haus rechts von mir, »… ist der Außenposten der Abenteurergilde.«

Auf dem Wappen über dem Eingang waren ein Schwert gekreuzt mit einem Zauberstab, auf blauem Grund abgebildet.

Neben mir seufzte Garret erleichtert. »Was für ein Glück, der Gleiter hat noch nicht abgelegt.«

Ich folgte seinem Blick und blinzelte. Vor mir, in der Mitte des Dorfes stand ein seltsames Bauwerk. Die Basis schien ein großes, zweistöckiges Lagerhaus zu sein. Allerdings ragte mitten aus dem Gebäude ein hölzerner, runder Turm, locker weitere fünf Stockwerke hoch. An der Spitze befanden sich rechts und links eine kleine Plattform.

Angedockt an der Rechten lag eine Art Flugschiff vertäut. Seine Grundstruktur bestand aus einem normalen Schiffsrumpf. Anstelle von Mast und Segeln ragten rechts und links hölzerne Flügel aus dem Rumpf.

Leicht wippte der Gleiter, wie Garret dieses Ding nannte, auf und ab, so als würde es auf unsichtbaren Wellen schwimmen. Wie hielt sich das Flugschiff in der Luft? Meines Erachtens nach war das physikalisch unmöglich. Die einzige sinnvolle Erklärung war: Magie.

Bisher hatte ich angenommen, diese Welt würde sich auf einem mittelalterlichen Niveau befinden. Jedoch war es den Einwohnern gelungen, mittels Magie so einen Gleiter zu konstruieren. Insgeheim fragte ich mich, was für Wunder mich noch alles erwarteten. In einer Welt der Magie, würde mir sicher nicht langweilig werden.

Eine laute Glocke erklang. Garret neben mir straffte sich und sagte hastig: »Verdammt, ich muss mich beeilen. Wenn du willst, kannst du absteigen. Oder du kommst mit. Ich muss meine Waren im Kontor abliefern bevor der Gleiter ablegt.«

Spontan entschied ich: »Ich komme mit. Die Gilde rennt ja nicht weg.«

Kaum waren meine Worte verklungen, trieb Garret den Ochsen an. Wir fuhren direkt auf die offene Doppeltür des Kontors zu. Der Wagen schien wie dafür gemacht zu sein, genau durch diese große Tür zu passen.

Mittels großer Öffnungen in der Decke fiel das letzte Licht des Tages in den Raum hinein. Zusätzlich spendeten unzählige kristalline Gebilde an Wänden und Säulen helles weißes Licht. Offenbar eine auf Magie basierende Beleuchtung.

Im Inneren des Gebäudes herrschte hektisches Treiben. Wohingegen ich draußen keine Menschenseele gesehen hatte, außer den beiden Wachen am Tor, wuselten hier locker dreißig Personen umher. Männer, Frauen und Kinder. Hier und da sah ich sogar Tierohren in der Menge. Leider hatte ich keine Zeit mir die Tiermenschen genauer anzusehen.

Lautes Stimmengewirr drang an meine Ohren und gab mir das Gefühl mitten in einem Bienenstock gelandet zu sein. In der Luft lagen unterschiedliche Gerüche. Von Gewürzen, Ölen, über Hölzer, bis hin zu frischem Brot.

Fasziniert beobachtete ich, wie die Arbeiter Kisten, Fässer und andere Behältnisse hin und her schleppten. Aus einem Fass ragten Bögen und Pfeile, aus dem daneben Angelruten. Eine Kiste weiter war befüllt mit Fischernetzen.

Die Leute verteilten die Waren von einem Gebinde in ein anderes. Fertige Kisten und Fässer wurden zugenagelt und anschließend durch eine der unzähligen Türen rechts und links getragen.

»Garret«, rief eine Frauenstimme laut über das Stimmengewirr hinweg. Ich hob den Blick. Auf einer kleinen Empore im ersten Stockwerk stand eine blonde Dame mitte dreißig. Sie hatte ein schönes Gesicht, doch ihre Miene war streng. Ihr langes rotes Kleid wollte nicht so recht in das vorherrschende Bild passen. Bestimmt war sie hier der Chef, ihr ganzes Gebaren strahlte das jedenfalls aus. In der Rechten hielt sie ein primitives Megafon, aus Holz. »Du kommst spät.«

Garret formte mit den Händen einen Trichter und rief ihr zu: »Ich wurde von Wölfen angegriffen.«

Die Frau nickte und rief in die Menge: »Isaak, Lars, Klaus, los gehts. Garrets Waren müssen noch auf den Gleiter. Beeilung die Herren, die Zeit drängt.«

Drei Männer kamen auf uns zugerannt. Während der eine die Zügel übernahm, scheuchte der andere die Leute aus dem Weg.

»Füll bitte die Lieferscheine aus.« Ein dritter, braunhaariger Mann übergab Garret einen Stapel Papiere. »Du solltest dich besser beeilen, bevor Sonja einen Anfall bekommt.«

»Danke, Lars«, erwiderte Garret. Er zückte Feder und Tintenfass. Sogleich begann er die Formulare auszufüllen. Nebenbei fragte er: »Ist irgendetwas vorgefallen?«

Lars schürzte die Lippen. Bei seinen nächsten Worten musste ich mich zu den beiden beugen, um ihn zu verstehen. »Kann man so sagen. Vier deiner Kollegen haben uns ebenfalls von Wolfsangriffen berichtet. Außerdem werden drei Händler, samt Gespann seit Tagen vermisst. Die Stimmung ist derzeit ein wenig angespannt, könnte man sagen.«

»Verstehe«, brummte Garret.

Eine Bewegung in meinem linken Augenwinkel zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich wandte mich der Ladefläche zu und sah einen metallenen Transportkorb herab schweben. Dieser hing an einem schweren Haken, befestigt an einer dicken Eisenkette.

Den Kopf in den Nacken legend sah ich staunend nach oben. Der Turm, den ich von außen gesehen hatte, war innen hohl. Umringt von einer schmalen Treppe, die sich spiralförmig nach oben zog, konnte ich durch eine viereckige Öffnung auf der obersten Etage bis zur flachen Spitze des Turms sehen.

Ich folgte dem Verlauf der Kette über mehrere Umlenkrollen, angebracht an schweren Balken unter der Decke, zur Wand, zurück zum Boden. Dort befand sich eine etwa drei Meter hohe Winde aus Holz.

Angetrieben wurde dieser einfache Flaschenzug von vier Eseln, die im Kreis um eine Stange liefen. Die Drehbewegung der Tiere wurde mittels mehrerer massiver Holzzahnräder auf die Winde übertragen.

Wenn man keinen Strom für einen modernen Kran hatte, so war das wohl die einfachste Lösung. Ehrfürchtig sah ich der primitiven Maschine bei der Arbeit zu. Hier konnte ich Geschichte hautnah miterleben.

Überraschend zügig wurden Garrets Kisten verladen. Die Fahrt nach oben dauerte nur ein paar Minuten. Etwas mulmig war mir schon. Der Metallkorb allein hatte bestimmt schon einiges an Gewicht, von den vielen Kisten ganz zu schweigen. Ohne eine Absicherung unter einer schwebenden Last zu sein, schien mir nicht ungefährlich. Jedoch störte das hier keinen.

Der Karren unter mir ruckte vorwärts. Schnell warf ich einen letzten Blick nach oben. Mit schweren Holzplanken wurde das Loch in der oberen Etage abgedeckt. Im nächsten Augenblick verschwand der hohle Turm aus meinem Sichtfeld.

Durch eine zweite Doppeltür auf der anderen Seite des Kontors gelangten wir wieder nach draußen. Hinter dem Gebäude befanden sich einige Ställe, sowie Abstellflächen für die Karren. In diesem Areal standen nur wenige kleinere Holzhäuser.

Ein breiter Weg führte auf eine Klippe etwas abseits der Behausungen zu. Von dort aus hörte ich die Brandung der Wellen. Bestimmt hatte man dort eine gute Aussicht auf das Meer.

Allerdings war die Sonne dabei unterzugehen. Mit jedem verstrichenen Augenblick wurde es dunkler. Ich nahm mir fest vor, morgen einen Blick über die Klippe zu werfen.

Abermals erklang die Glocke.

Bei dem Versuch dem Gleiter bei seinem Abflug zuzusehen, verrenkte ich mir fast den Hals. Aber das war es wert gewesen. Wie ein Schiff auf dem Meer, legte der Gleiter ab. Schneller als ich es erwartet hatte, rauschte er in den rötlichen Abendhimmel davon.

Die Abenteurergilde

Garret übergab Karren und Ochse an einen jungen Stallburschen. Einen niedlich aussehenden Fuchsmenschen, mit langen, spitz zulaufenden Ohren. Erst ein Katzenjunge und nun dieser andere Tiermensch. Ob es wohl noch mehr Arten gab?

Tief in Gedanken folgte ich Garret um das Kontor herum. Ehe ich mich versah, schob er mich durch eine Tür. Der kleine Raum wurde von einer kristallinen Lampe erhellt. Viel zu sehen gab es hier nicht. An der Wand rechts von mir befand sich ein schwarzes Brett, mit diversen angepinnten Zetteln.

Mich weiter neugierig umsehend, fragte ich Garret: »Wo sind wir hier?« Doch dieser deutete nur weiter in den Raum hinein.

Hinter einem winzigen Holztresen stand eine junge Frau. Der Schnitt ihres blauen Kleides gab einen guten Ausblick auf ihre üppige Oberweite.

Sie nickte Garret zu, dann fiel ihr Blick auf mich. Begleitet von einer höflichen Verbeugung stellte sie sich vor: »Herzlich Willkommen im Außenposten der Abenteurergilde, werter Magier. Ich bin Fiona.«

Sie klimperte mit ihren langen Wimpern, während sie aufreizend eine Strähne ihrer welligen, braunen Haaren um den Finger wickelte. »Was verschafft mir die Ehre Ihres Besuchs?«

Unbeeindruckt trat ich vor. »Guten Abend, Fiona. Mein Name ist Adrian. Ich würde mich gerne als Abenteurer registrieren.«

Pikiert darüber, dass mich ihr Flirtversuch kalt ließ, musterte sie mich streng. Dabei fiel ihr Blick auf meine dreckige, blutverkrustete Robe. Einen kurzen Augenblick runzelte sie die Stirn, dann fing sie sich wieder und legte eine höflich distanzierte Art an den Tag.

»Verzeihung, werter Magier. Wie ich sehe, tragen Sie die Kleidung eines Gelehrten. Sind Sie sicher, dass Sie noch nicht registriert sind?«

In diesem Augenblick trat Garret vor. »Hallo, Fiona. Adrian hat sein Gedächtnis verloren.«

Ungläubig sah ich, wie sie nickte. »Ich verstehe.«

Meine kleine Notlüge wurde auch diesmal ohne jegliches Misstrauen geschluckt. Ein leichtes Unbehagen breitete sich in mir aus. Standen Unfälle beim Anwenden von Magie auf der Tagesordnung? Entweder waren die hiesigen Magier vollkommen unfähig oder aber die Magie selbst war unberechenbar. So oder so, ich nahm mir vor auf der Hut zu sein.

Kurz verschwand Fiona hinter dem Tresen. Einen Moment später legte sie einen kleinen Kristall und mehrere Zettel auf die Arbeitsfläche.

»Als erstes testen wir Ihr magisches Potenzial. Es ist schon vorgekommen, dass Magier nach einem Unfall, neben ihrem Gedächtnis auch ihre Kräfte verloren haben.«

Wie bitte? So langsam fragte ich mich, ob ich als Schwertkämpfer nicht besser dran gewesen wäre. Daran ließ sich jetzt aber nichts mehr ändern. Oder doch?

Abermals mischte sich Garret ein: »Ich bürge für Adrian. Mit eigenen Augen habe ich ihn Magie anwenden sehen.«

»In Ordnung«, meinte Fiona und schob den Kristall zur Seite. »Dann gehen wir direkt zur Bestimmung Ihrer Skills über.«

Meiner was? Skills? So etwas kannte ich bisher nur aus diversen Spielen. Konnte es sein, dass ich in einer Welt gelandet war, die einem Computerspiel glich? Mein Zockerherz schlug schneller. Innerlich vollkommen aus dem Häuschen, versuchte ich meine Aufregung nicht allzu deutlich zur Schau zu stellen.

»Bitte legen Sie Ihre Hand auf dieses magische Pergament.«

Aber sicher doch. Ich wollte unbedingt wissen, was ich drauf hatte. Inständig hoffte ich, dass meine wahre Identität nicht aufgedeckt werden würde, doch dieses Risiko musste ich eingehen.

Ich streckte meine zitternde rechte Hand aus und legte sie, Fionas Anweisung folgend, auf das Papier. Der Zettel glühte kurz auf, dann erschienen zahlreiche rote Schriftzeichen. Schnell zog ich meine Hand weg und beugte mich über das Pergament.

Erstaunt weiteten sich meine Augen. Vor mir lag ein kurzer Charakterbogen, wie ich ihn aus einem Pen and Paper Rollenspiel kannte:
 

Name: Adrian

Geschlecht: männlich

Spezies: Mensch

Alter: 21

Klasse: Magier

Rang: Novize

Spezies Skills: Entdecker / Wissbegierde

Klassen Skills: Windschnitt / Windstoß

Extra Skills: ??? / ??? / Analyse

Abwehr Skills: keine
 

Ich überflog meine Angaben. Viel sagte mir das nicht, dafür wusste ich zu wenig über diese Welt. Grob konnte ich zwar einen Sinn aus den Bezeichnungen ableiten, aber was sich genau dahinter versteckte war mir schleierhaft. Allem voran auch die Frage: Wie konnte ich meine anderen Skills einsetzen?

Über meinen Rang als Novize ärgerte ich mich aber. So viel zu meinem Wunsch, der mächtigste aller Magier zu sein. Der Götterdrache hatte mich abermals verarscht. Na großartig.

Interessant war aber, das meine beiden Zauber vermerkt waren. Wobei ich mich insgeheim fragte, was es mit den Fragezeichen bei meinen Extra Skills auf sich hatte.

Was es nicht gab waren Stufenangabe. In Spielen hatte normalerweise jeder Charakter ein Level. Durch den Abschluss von Quests oder das Erlegen von Gegnern bekam man in der Regel Erfahrung und stieg auf. Das war dann wohl der Unterschied zwischen Spiel und Realität.

Beim Blick auf die Angabe meines Alters riss ich erschrocken die Augen auf. Gerade noch so konnte ich einen Aufschrei unterdrücken. Dort stand, dass ich einundzwanzig Jahre alt sein sollte. Das konnte doch nicht stimmen, denn ich war sechsunddreißig. War das ein Fehler oder hatte der Götterdrache mir eine Jungkur spendiert? Ich musste so schnell wie möglich einen Spiegel finden, um das nachzuprüfen.

»Wie ich sehe, besitzen Sie zwei undefinierte Skills«, meinte Fiona, die sich ebenfalls über das Blatt gebeugt hatte, so dass ihre Brüste fast aus dem Kleid hüpften. »Aufgrund Ihrer Amnesie erfüllen Sie wohl nicht mehr die nötigen Voraussetzungen. Der Rest sieht soweit gut aus.«

Sie deutete auf meinen Extra Skill Analyse. »Sie sind wahrlich vom Licht gesegnet. Dieser Skill ist eine echte Rarität und wird Ihnen gute Dienste leisten. Damit wird zum Beispiel jeder Sammelauftrag ein Kinderspiel für Sie sein.«

Ich hob den Blick und sah gerade noch, wie Fiona mit den Schultern zuckte. »Da Sie lediglich ein Novize sind, kann ich Sie leider nicht allzu hoch einstufen. Mehr als den Silberrang kann ich Ihnen nicht anbieten.«

Silber? Das klang nach einem recht hohen Rang. Damit konnte ich mich abfinden.

Ungefragt reichte Fiona mir eine Tabelle auf der die Abenteurerränge notiert waren. Vom Schwächsten, Rang eins Selenit, bis zum Stärksten, Rang zwölf Diamant. Natürlich begann ich im unteren Bereich mit der Suche meiner Einstufung. Enttäuscht entwich mir ein leiser Seufzer. Silber war Rang zwei. So viel dazu.

Ich überflog die anderen Namen und erkannte das es sich hierbei um eine Liste von Mineralien handelte, angeordnet nach der Mohs Härteskala. Damit war die Frage geklärt, warum Silber als sehr weiches Edelmetall so weit unten stand. Rang drei war demnach Gold.

Arbeitseifrig zückte Fiona einen Holzstempel und schmetterte diesen, schneller als ich eingreifen konnte, auf meinen Charakterbogen. Silber. Damit stand es fest. Andere Länder, andere Sitten. Da konnte ich wohl nichts machen.

Anschließend zog sie eine kleine Karte hinter dem Tresen hervor. Von der Größe her erinnerte mich das Ding an meinen Personalausweis oder eine Bankkarte aus meinem vorherigen Leben. Erstaunlicherweise war diese Karte jedoch vollkommen transparent. Ob sie aus Glas bestand?

Fiona legte die Karte auf meinen Charakterbogen und tippe sie an. »Registrierung.«

Das kleine Rechteck änderte seine Farbe von transparent auf silbrig glänzend. Zusätzlich erschien das Wappen der Abenteurergilde, Schwert gekreuzt mit Zauberstab, auf blauem Grund.

»Bitte sehr. Ihr neuer Abenteurer-Ausweis.« Sie hielt mir die Karte entgegen. »Ihr alter Ausweis, falls Sie einen besessen hatten, ist durch diese Registrierung ungültig und zu Staub zerfallen. Denken Sie bitte daran, Ihren Status, sowie neu erlernte Skills, regelmäßig in einer Zweigstelle der Abenteurergilde zu aktualisieren.«

Blinzelnd nahm ich meine silberne Karte entgegen. Sie war sehr leicht und gänzlich glatt poliert - offenbar eine Art magischer Kristall.

Nebenbei bemerkte ich, wie Fiona einige Dokumente sortierte. »Auf diesen Zetteln finden Sie die wichtigsten Informationen für Abenteurer. Alles zusammen macht das neunzig Drachmen.«

»Bitte was?«, fragte ich und starrte auf ihre ausgestreckte Handfläche.

An den Fingern zählte sie auf: »Ein magisches Pergament, zehn Drachmen. Einmal Statuserfassung, fünf Drachmen. Rang-Zuweisung Silber, zwanzig Drachmen. Ein neuer Ausweis, fünfzig Drachmen. Beratung und Servicegebühren, fünf Drachmen. Das macht insgesamt neunzig Drachmen.«

Ich schluckte. Garret schuldete mir hundert Drachmen. Abzüglich aller Kosten, blieben mir am Ende nur noch zehn Münzen für eine Unterkunft und etwas zu Essen. Morgen schon wäre ich Pleite.

Begleitet von einem dumpfen Klonk ließ Garret einen kleinen Lederbeutel auf den Tresen fallen. »Hundert Drachmen, wie abgemacht.«

Bevor ich in der Lage war meinen Lohn entgegen zu nehmen, hatte Fiona sich den Beutel gekrallt. Sie zog die Kordel auf und schüttete einen enormen Berg Goldmünzen auf den Tresen.

Während ich verdattert auf das schlaffe Leder starrte, zählte sie die Münzen ab. Tonlos fragte ich: »Sag mal, was hat es mit diesem Beutel auf sich. Ich meine so viele Münzen sollten da gar nicht hineinpassen.«

»Ich verstehe nicht, was du meinst.« Aus den Augenwinkeln sah ich Garret die Stirn runzeln, dann schlug er sich in die Hände. »Entschuldige bitte, ich hab deine Amnesie ganz vergessen. Das ist ein magischer Geldbeutel. Mittels Magie wird der Innenraum stark ausgedehnt. Eine praktische Erfindung der Magier.«

Anschließend erklärte er mir einige Dinge. Je stärker die magische Ausdehnung war, desto mehr kostete so ein Behältnis. Einen kleinen Geldbeutel wie diesen, konnte sich aber nahezu jeder leisten.

Durch das erhöhte Fassungsvermögen, wurden magische Behältnisse überwiegend für den Transport von Waren eingesetzt. Leider gab es dabei ein kleines Problem: Das Gewicht aller Gegenstände im Inneren bleibt erhalten. Steckte man einen einhundert Kilo schweren Steinhaufen in eine Kiste, so wog die Kiste im Anschluss ebenfalls einhundert Kilo, zuzüglich ihres Eigengewichts.

Aufgrund der Magie im Inneren dieser Gegenstände war es unmöglich lebende Wesen damit zu transportieren, da sie dabei verstarben. Tote Dinge, wie ausgeweidete Fische oder erlegte Tiere, sowie Pflanzen, stellten kein Problem dar, solange sie durch die Eingangsöffnung passten.

Verrückt. Was es nicht alles gab auf dieser Welt. Meine Gedanken wanderten zu meinem alten Seesack. Womöglich war er doch nicht so nutzlos, wie ich erst dachte. Das olle Ding zu untersuchen, stand eh noch auf meiner Liste.

Ich fragte Garret, wo ich einen Geldbeutel erwerben könnte, da ich noch keinen hatte. Freundschaftlich schlug er mir auf den Rücken.

»Ich schenke dir diesen alten Beutel, dann hab ich endlich einen Grund, mir von meiner Tochter einen neuen geben zu lassen. Sie führt in diesen Dingen ein strenges Regiment, musst du wissen.«

Fiona zählte zehn Drachmen ab, verstaute diese im Geldbeutel und gab ihn mir. Mit einem betont freundlichem Lächeln sagte sie: »Hier ist Ihr Wechselgeld. Bitte beehren Sie uns bald wieder.«

Bestimmt nicht. Diese Frau war ja noch schlimmer als Garret. Ich musste dringend meine Finanzen in Ordnung bringen, bevor ich noch in der Gosse endete.

*

Die weniger freundliche Wirtin hatte anfangs, nachdem sie mich von oben bis unten kritisch gemustert hatte, zwanzig Drachmen für eine Nacht gefordert. Aufgrund ihrer Dreistigkeit war ich sehr versucht meine Magie gegen dieses Weib einzusetzen. Zum Glück war Garret eingesprungen, bevor ich explodierte.

Einige flüsternde Worte später kostete mein Zimmer für die Nacht nur noch fünf Drachmen, ein Sonderpreis, um mich zu besänftigen. Mit dem Abendessen, zwei Drachmen, dem Waschen meiner Robe, inklusive Wechselklamotten, ebenfalls zwei Drachmen, war nur noch eine Münze übrig geblieben.

Während ich auf mein Essen wartete, sah ich mich im halb gefüllten Wirtsraum um. Keine Tierohren. Damit war meine Laune am Boden. Lustlos schlang ich mein Abendessen hinunter. Wie hieß es so schön, der Hunger treibts rein. Lecker fand ich die wässrige Gemüsesuppe nicht gerade. Wenigstens war das Brot genießbar und das kleine Fleischstück mager. Mehr konnte ich für zwei Drachmen wohl nicht erwarten.

Etwa eine Stunde später saß ich niedergeschlagen im Schneidersitz auf meinem Bett. Ich hatte mir eine schlichte graue Boxershorts, oder etwas was zumindest danach aussah, geben lassen. Mehr als diese benötigte ich nicht zum Schlafen.

In den Fingern drehte ich geistesabwesend meine letzte Goldmünze. Auf beiden Seiten befand sich ein Drachenkopf mit geöffnetem Maul, wobei ihre Randfläche geriffelt war. Als ich genauer hinsah bemerkte ich, dass es sich um Buchstaben und Ziffern handelte, offenbar eine Methode um Fälschungen vorzubeugen.

Ich hob den Blick. Außer einem alten Bett, einem Waschzuber, einem Fenster und einem Kleiderschrank ohne Türen, gab es in dem winzigen Zimmer nichts zu sehen. Nicht mal einen Spiegel hatten sie hier. Es roch muffig und das Laken unter mir kratze leicht. Dennoch war es besser als im Freien zu schlafen.

Ich seufzte schwer und schloss die Augen. Mein Magen rumorte. Satt war ich nicht geworden. Morgen würde ich mir einen Auftrag suchen müssen. Wenn nicht, blieb mir nur, hungrig im Pferdestall zu schlafen, vorausgesetzt das kostete nichts.

Für einen Tag hatte ich viel erlebt und war dementsprechend müde. Ich war sogar zu träge, mir die Kristalllampe genauer anzusehen. Eines wollte ich aber noch ausprobieren: Meinen extra Skill Analyse. Die Frage war nur wie?

Erschöpft hielt ich die Münze hoch und sagte: »Analyse.«

Vor meinem geistigen Auge erschien etwas, was ich in Ermangelung eines besseren Wortes als Infofenster einstufen würde.

[Drachme]

»Ach ne, das wusste ich auch so schon«, schnaubte ich enttäuscht. Das Infofenster klappte auf und gab mehr Informationen preis. Ich las die wenigen Zeilen und wurde doch nicht schlauer. Weder die genaue metallische Zusammensetzung noch das Gewicht interessierte mich. Und das es ein Zahlungsmittel war, wusste ich auch so schon.

Ich legte die Münze zur Seite und drückte meinen rechten Zeigefinger in das Laken unter mir.

»Analyse.«

[Bettlaken]

»Was du nicht sagst.« Auch das aufgeklappte Analysefenster gab nicht viel her:

[Leinen, mittlere Verschmutzung.]

Die letzte Info ließ meine Laune auf einen neuen Tiefpunkt zusteuern. Deprimiert startete ich den nächsten Test. Ich wollte herausfinden, ob ich einen Gegenstand berühren musste, oder es genügte, darauf zu zeigen.

Mit einem Finger auf meinen alten Seesack neben dem Bett deutend sagte ich zum dritten Mal: »Analyse«

[Nimmervoller Beutel]

Ich blinzelte, das klang interessant. Nachdem ich das Infofenster erweiterte, klappte mir der Mund auf.
 

Gegenstand: Nimmervoller Beutel

Kategorie: göttlich

Verzauberungen: Unendlichkeit / Schwerelos / Zeitlos

Inhalt: 5 einfache Verbände / 2 geringe Heiltränke / 500 Drachmen / 2 Mahlzeiten / 1 Wasserschlauch (920ml Wasser) / ???
 

Mit einem Satz war ich auf den Beinen. Ich ging in die Hocke und zog den Seesack zu mir. Einen Handgriff später hatte ich die Kordel geöffnet und lugte mit einem Auge in den Sack.

Unendliche Schwärze empfing mich. Geräuschvoll ließ ich die Luft entweichen. Ich hatte gar nicht mitbekommen, den Atem angehalten zu haben.

Da ich nichts sehen konnte, versuchte ich es mit tasten. Bis zur Schulter verschwand mein Arm in dem Sack. Egal wie sehr ich mich streckte, ich konnte rein gar nichts berühren, weder die Gegenstände im Inneren noch die Wände.

Dann eben anders. Ich zog meinen Arm heraus und schüttelte den Beutel über dem Bett aus. Im Gegensatz zum Geldbeutel fiel sein Inhalt nicht heraus. Vielleicht lag das an der Verzauberung Schwerelos. Ohne eine Masse konnte selbst die Schwerkraft nichts ausrichten.

Nachdenklich setzte ich mich im Schneidersitz auf mein Bett. Bestimmt gab es da einen Trick. Andernfalls war das Ding vollkommen nutzlos, außer ich wollte Leichen verschwinden lassen. Bei diesem Gedanken schlich sich ein schiefes Grinsen in mein Gesicht.

Abermals steckte ich eine Hand durch die Öffnung. Ein erfolgloses Unterfangen, ich bekam nichts zu fassen. Aber wie kam ich an die Gegenstände im Inneren heran. Am dringendsten benötigte ich die Drachmen.

In dem Augenblick als ich an die Goldmünzen dachte, spürte ich etwas. Es klimperte leise als ich die Finger bewegte. Glatte, kalte Oberflächen konnte ich ertasten.

Ich griff zu und zog die Hand aus dem Sack. Zwischen meinen Fingern steckten einige Drachmen.

»Ne jetzt. Einfach daran denken und schon kommt das Gewünschte zu mir.« Ich schüttelte den Kopf.

Anschließend wiederholte ich den Vorgang bis ich aller Münzen habhaft geworden war. Die Drachmen wanderten in meinen neuen, magischen Geldbeutel.

Nachdenklich wog ich den Beutel mit einer Hand. Fünfhundert und eine Münze wogen locker ein ganzes Kilo. Ich hob den Seesack. Vielleicht einhundert Gramm? Auf jeden Fall deutlich weniger als das Gold.

Bei meinem nächsten Experiment verstaute ich den Geldbeutel im Seesack und wog ihn abermals. Tatsächlich. Das Gewicht des Goldes war verschwunden. Innerlich dankte ich der Verzauberung Schwerelos. Damit hatte ich einen Beutel, würdig für den mächtigsten aller Magier.

Ich tippte mir nebenbei gegen die Schläfe. Nach allem was ich wusste, war dieser läppische Seesack ein Vermögen wert, weit mehr als mein Zauberstab. Am besten ich hielt das fürs Erste geheim. Sicher war sicher.

Mithilfe von Analyse erfuhr ich außerdem, dass es einen neuen Eintrag unter der Rubrik Inventar des Nimmervollen Beutels gab:

[1 magischer Geldbeutel (501 Drachmen)]

Mein Analyse-Skill war ja doch nützlich. Damit konnte ich arbeiten. Meine Gedanken wanderten zu dem Gegenstand der mit drei Fragezeichen angezeigt wurde.

Ich streckte meine Hand durch die Öffnung. Kaum hatte ich daran gedacht, schon lag etwas auf meiner Handfläche. Zum Vorschein kam ein silberner Ring. Ich konnte weder eine Verzierung noch einen Edelstein entdecken.

Eines hatte ich aber gelernt. Ich sollte Dinge nicht nach ihrem Äußeren beurteilen. Die Frage war nur, was ich mit dem Schmuckstück anstellen sollte. Egal wie sehr ich mich anstrengte, mein Skill wollte mir nichts über den Ring verraten.

Aus einer kindischen Laune heraus machte ich einen Katzenbuckel, während ich den Ring zwischen beiden Händen drehten. Mit krächzender Stimme sagte ich: »Er ist zu mir gekommen. Mein Schatz!«

Selbstverständlich brachte mich das kein Stück weiter. Ich zuckte mit den Schultern. Ein Ring war zum Tragen da, also steckte ich ihn mir an den linken Mittelfinger.

Plötzlich glühte das Metall auf und etwas landete vor mir auf dem Bett. Mit pochenden Herzen hob ich den Blick. Vor mir saß ein silberfarbender Fuchswelpe, mitten auf meinem Nimmervollen Beutel.

Der oder die Kleine öffnete träge die Augen. Sie waren blau und von einer deutlichen Intelligenz geprägt. Stocksteif starrte ich den Fuchs an, und der Fuchs starrte zurück.

Nach einigen Sekunden erhob sich der Kleine und kam langsam auf mich zu. Bevor ich wusste wie mir geschah, lag er auch schon auf meinem Schoss. Zu einer Kugel zusammengerollt kuschelte er sich an mich.

Was zum Henker ging denn hier ab? Geistesabwesend streckte ich eine Hand aus und begann es zu streicheln.

Der kleine Welpe hob seinen Kopf und leckte mir über die Hand. Au Backe, war der niedlich. Das Fell des Fuchses war so schön warm und weich. Mein Herz schmolz dahin. Nur zu gerne ließ sich der Kleine von mir kraulen. Ich wünschte mir schon lange ein Haustier. Bisher war nur immer etwas dazwischen gekommen.

Ein leises Brummen ging von dem silbernen Fellhaufen aus. Konnten Füchse schnurren wie Katzen? Kurz hielt ich inne und betastete seinen Brustkorb. Tatsächlich der Kleine schnurrte mich an.

Langsam ließ ich die Finger über mein kleines Kuscheltier gleiten, während meine Augen immer träger wurden. Die Anstrengungen des Tages forderten ihren Tribut. Ich war hundemüde.

Genug Experimente für heute. Morgen war auch noch ein Tag. Mit der Hand wischte ich achtlos den Seesack vom Bett. Gleichzeitig ging das Licht aus. Die Frage, warum das so war, hob ich mir für ein andermal auf.

Ich hob den Fuchs von meinem Schoß und setzte den Kleinen neben meinem Kopfkissen ab. Mit großen Augen sah er zu mir auf. Sollte das etwa ein tadelnder Blick werden?

»Bin müde«, murmelte ich und bettete den Kopf neben meinem neuen Freund. »Wehe du beißt mich.«

Empört schüttelte der Kleine den Kopf und gab ein entsetztes Fiepen von sich. Es war eindeutig, ich musste schlafen. Mein Verstand interpretierte das Verhalten eines Tieres als wäre es ein Mensch.

Mir fielen die Augen zu. Das letzte was ich noch wahrnahm war, wie der Fuchs es sich zwischen meinem Hals und der rechten Schulter bequem machte. Erneut erklang sein brummendes Schnurren. Da schlief ich auch schon ein.

Der silberne Fuchs

Ein fieser Sonnenstrahl ärgerte mich im Gesicht. Warum zum Teufel hatte ich den Rolladen nicht runtergelassen. Ich wollte noch nicht aufstehen, dafür war mein Traum viel zu schön.

Etwas Schweres landete auf meiner Brust und ließ mich nach Luft japsen. Erschrocken riss ich die Augen auf und fand einen silbernen Fuchs auf meiner Brust sitzend vor.

Der Kleine wedelte leicht mit dem buschigen Schweif, während er mich neugierig musterte. Ich blinzelte ihn an. Das alles war kein Traum!

Einen Augenblick lang war ich in meinem alten Leben gewesen. Meine Gedanken schweiften ab. Ob es meinen Eltern und Freunden gut ging? Ob sie um mich trauerten?

Eine unbekannte Leere erfasste mein Herz. Ich war allein. Allein in einer mir völlig unbekannten Welt. Die Menschen, die ich liebte, würde ich nie wieder sehen. Erst jetzt, nach all dem, was am gestrigen Tag passiert war, erfasste mich meine Situation mit Trauer.

Plötzlich bellte der silberne Fuchs mit heller Stimme auf als wollte er mich aus meinen Gedanken holen. Rasch wischte ich mir die unbewussten Tränen weg. Es brachte nichts in der Vergangenheit zu verweilen. Kopf hoch und nach vorne sehen. Ich hatte eh noch mehr als genug zu tun.

Gespielt fröhlich grinste ich mein neues Haustier an. »Guten Morgen, mein Kleiner.«

Der Fuchs schnaubte und sah demonstrativ woanders hin. Was war denn jetzt los? War der Kleine etwa beleidigt? Sah ganz danach aus. Aber warum? Vielleicht sollte ich meinen Analyse-Skill zur Rate ziehen.

Noch ehe ich etwas sagen konnte, erschien vor meinem geistigen Auge das Infofenster. Es genügte also daran zu denken, um meinen Skill einzusetzen. Das war echt praktisch. Rasch las ich mir die Infos durch.
 

Name: (Namenlos)

Geschlecht: weiblich

Spezies: Fuchsgeist

Beschwörer: Adrian

Alter: 1 Tag

Spezies Skills: Listig

Extra Skills: Lockvogel

Abwehr Skills: keine
 

Jetzt verstand ich. »Oh, entschuldige bitte, junge Dame. Natürlich muss es meine Kleine heißen.«

Die Füchsin sah wieder zu mir und nickte zustimmend. Offenbar verstand sie jedes meiner Worte. Ob das in dieser Welt normal war?

Ich hob die rechte Hand und begann sie zu kraulen. Während sie sich schnurrend gegen meine Hand schmiegte, sah ich mir das Infofenster genauer an.

Unter dem Begriff Lockvogel konnte ich mir noch etwas vorstellen, aber Listig? Was das wohl für ein Skill war? Schade, dass meine Analyse mir hier nicht weiterhelfen konnten.

Erstaunt riss ich die Augen auf. Vor dem Infofenster öffnete sich ein Zweites, dort stand geschrieben:
 

Listig

passiver Skill

Verbesserte Fähigkeit im Umgang mit Täuschungsmanövern. Egal ob mit einer Lüge, Finte, Falle oder Hinterhalt.
 

Irgendwie passte das wie die Faust aufs Auge. Füchse waren schlau und listig. Das wusste doch jeder. Aufgeregt öffnete ich das Infofenster von Lockvogel. Dieses Mal handelte es sich um einen aktiven Skill. Er wirke also nur, wenn man ihn einsetzte. Der Effekt war, dass der Anwender in der Lage war die Aufmerksamkeit eines oder mehrerer Gegner auf sich zu ziehen.

Bei einem Kampf würde dieser Skill sicherlich nützlich sein. Ich sah durch das transparente Fenster zu der Fuchsdame. Auch wenn ich sie erst seit kurzem kannte, würde ich es nicht zulassen, dass sie ihr Leben in einem Kampf riskieren würde. Dafür war sie viel zu klein und unschuldig.

Ich musste ihr unbedingt noch einen Namen geben. Aber welchen? Nachdem ich das Interesse an den beiden Infofenstern verloren hatte, schlossen sie sich von selbst. Es war wohl eine Frage des Willens und der Übung.

Angestrengt dachte ich nach. Silver. Belustigt kniff ich die Augen zu und streckte mir selbst die Zunge raus. Ne besser nicht, damit würde ich mich lächerlich machen. Viel zu einfallslos.

Da kam mir eine Idee. Mit beiden Armen griff ich nach der Fuchsdame und hielt sie hoch. »Was hältst du von dem Namen Lucky?«

Sie nickte mir begeistert zu. Damit stand es fest, von nun an würde sie Lucky heißen. Ein kurzer Blick in ihr Infofenster offenbarte, dass der Name bereits eingetragen war. Damit war es offiziell.

Ich setzte Lucky wieder auf meine Brust, während ich nachdachte. Ob ich auch meinen eigenen Charakterbogen sehen konnte?

Kaum hatte ich daran gedacht, erschien das gewünschte Infofenster. Soweit ich wusste, testeten Abenteurer in der Regel bei jedem Besuch der Gilde, ob sie neue Skills erhalten hatten.

Dank meiner Analysefähigkeit konnte ich mir diesen umständlichen Weg sparen. Gleichsam schonte das meinen Geldbeutel. Fiona hatte wirklich Recht behalten. Dieser Skill war sehr nützlich.

Ich warf einen kurzen Blick auf meine Informationen, während ich nebenbei Lucky streichelte. Schnurrend hatte sie sich auf den Rücken gedreht und ließ sich von mir den flauschigen Bauch kraulen.

Sogleich fiel mein Blick auf meine Extra Skills. Wo zuvor zwei Fähigkeiten mit je drei Fragezeichen angegeben waren stand nun: Wiedergeborener und Magiefulminanz.

Ich grinste die Decke an. Meine Analyse war demnach besser als das magische Pergament. Anschließend machte ich mich daran alles genauer zu untersuchen.

Im Zusatzfenster meiner Klasse Magier, stand geschrieben, dass es sechs Elemente gab: Wind, Erde, Wasser, Feuer, Licht und Schatten. Das brachte mich nicht wirklich weiter, war aber gut zu wissen.

Geknickt las ich den Infotext meines Ranges Novize. Wie nicht anders zu erwarten, war dies die unterste Stufe.

Durch den Spezies Skill Entdecker hatte ich eine höhere Wahrscheinlichkeit Dinge aufzuspüren. Das galt zum Beispiel für Fallen und Geheimtüren, sowie Pflanzen oder Mineralien, ebenso wie für Feinde und Höhlen.

Mein zweiter Spezies Skill Wissbegierde schien mir auch recht praktisch zu sein. Er erhöhte die Aufnahme von Wissen.

Bei Wiedergeborener musste ich erstmal schlucken. Dieser Skill übersetzte automatisch alles, was ich hörte und las, in eine für mich verständliche Sprache. Zusätzlich wurde alles, was ich sagte oder schrieb in der Gemeinsprache wiedergegeben.

Über eine etwaige Sprachbarriere hatte ich mir bisher keine Gedanken gemacht. Ich befand mich auf einem fremden Planeten. Natürlich sprachen die Einwohner eine andere Sprache. Dank diesem Skill war das schon mal kein Problem.

Ich zuckte mit den Schultern und ging zum nächsten Extra Skill über, Magiefulminanz. Dieses Mal gab es viel mehr zu lesen.

Ratlos kratzte ich mich mit der freien Hand an der Nase. Wenn ich das richtig verstand, dann erlaubte mir dieser Skill intuitiv jegliche Magie anzuwenden, vorausgesetzt ich verstand die Zusammenhänge dahinter.

Mit dem letzten Satz der Erklärung konnte ich absolut nichts anfangen:

[Der Konvergenz magischer Fähigkeiten steht allein die eigene Imagination im Wege.]

Ich zermarterte mir das Hirn, und doch kam ich nicht weiter. Soviel zur automatischen Übersetzung von Wiedergeborener. Das Problem an der Sache war wohl, dass die Worte zwar in meiner Sprache geschrieben wurden, ich aber keinen Sinn ableiten konnte.

Angestrengt versuchte ich mit Analyse diesen Passus zu übersetzen. Fehlanzeige. Dieses Mal öffnete sich kein weiteres Fenster.

Deprimiert ließ ich die eingeblendeten Infos verschwinden und starrte die Decke an. Ganz so einfach war es dann wohl doch wieder nicht. Ein Spiel ohne Schwierigkeiten wäre auch langweilig. Aber das hier war kein Spiel. Es war meine neue Realität. Tot hieß Tot. Es gab keinen zweiten Versuch. Diese Tatsache sollte ich dringend im Hinterkopf behalten.

Ein lautes Rumoren schreckte mich auf. Mein Magen hing mir in den Kniekehlen. Bei all dem neuen Wissen hatte ich das Frühstück vollkommen vergessen.

Ich hob leicht den Kopf und sah zu Lucky, die es sich auf meinem Bauch gut gehen ließ. »Wollen wir einen Happen essen gehen?«

Träge öffnete die Fuchsdame ein Auge und blinzelte mich an. Das sollte wohl soviel heißen wie: »Wenn es sein muss.« Bei diesem Satz stellte ich mir eine gelangweilte Stimme vor. Ja, das würde zu ihrem Blick passen.

Ich nahm meine Hand von ihrem weichen Bauchfell. »Komm schon, hoch mit dir.«

Um ihr Missfallen auszudrücken, ließ sich Lucky verboten viel Zeit beim Aufstehen. Erst als ich verärgert eine Augenbraue hob, beeilte sie sich.

Leichtfüßig sprang Lucky auf den Boden. Dort angekommen streckte sie sich ausgiebig, wobei sie einen Katzenbuckel machte. Mit einem Gähnen entblößte sie ihre weißen, spitzen Zähne. Ich hoffte sehr, dass ich diese Mordwerkzeuge nie zu spüren bekommen würde.

Beim Aufsetzen bemerkte ich etwas Glänzendes an meiner linken Hand. Es war der kleine Silberring. Ich runzelte die Stirn und setzte Analyse ein.
 

Gegenstand: Ring des Fuchsgeistes

Kategorie: ungewöhnlich

Skills: Beschwörung / Rückzug
 

Ich hob den Blick und sah zu Lucky. Anscheinend war sie an diesen Ring gebunden. Was wohl geschehen würde, wenn ich ihn abnahm? Gedacht getan.

Lucky, die vor mir saß und mir aufmerksam zusah, begann zu glühen und löste sich in kleine Lichtpunkte auf. Eine Sekunde später war von ihr nichts mehr übrig.

Soweit so gut. Ich legte den Ring wieder an. Nichts geschah. Mein Herz setzte einen Schlag aus, nur um dann doppelt so schnell zu pochen. Hatte ich mein Haustier umgebracht? Dann erinnerte ich mich an die beiden Skills, die der Ring mit sich brachte.

Mit der Handfläche vor mich in die Luft deutend sagte ich laut: »Beschwörung.«

Kleine Lichtpunkte erschienen und vereinten sich zu einer Masse. Ein Wimpernschlag später landete Lucky leichtfüßig auf den Holzdielen. Unbedachter Weise hatte ich sie gut einen halben Meter in der Luft materialisiert.

Ihre kleine blauen Augen sahen mich tadelnd an. Das hatte ich wohl verdient.

»Sorry«, meinte ich und grinste entschuldigend.

Für meine Dummheit bekam ich sprichwörtlich die kalte Schulter gezeigt. Ich seufzte. Dann richtete ich meine Handfläche auf Lucky. Am Besten ich teste alle Skills.

»Rückzug.«

Ihr Kopf schnellte genau in dem Augenblick zu mir herum, in dem sie begann sich in Luft aufzulösen. Plötzlich stockte die Dematerialisierung. Die Lichtpartikel vereinten sich wieder. Zum Vorschein kam eine unglaublich verärgerte Fuchsdame.

Mit gesträubtem Fell knurrte Lucky mich böse an. Sie hielt wohl nicht viel davon, so einfach weggeschickt zu werden. Das konnte ich ihr doch nicht übel nehmen.

Mit einem Seufzen ging ich vor ihr in die Hocke und ergab mich meinem Schicksal. Ich streckte ihr meine Hand entgegen. »Entschuldigung. Wenn du mir verzeihst, dann verspreche ich dir, diesen Skill nur in Notfällen anzuwenden. Zum Beispiel, wenn dein Leben in Gefahr ist. Einverstanden?«

Das Knurren erstarb, wobei sie mir misstrauisch in die Augen starrte. Mit einem Schnauben gab sie nach und kam auf mich zu. Während ich ihr mit der einen Hand über den Kopf streichelte, leckte sie schnurrend an meiner anderen. Damit war unser Deal besiegelt.

Schnell säuberte ich mich notdürftig mit dem Wasser aus der Waschschüssel. Dabei erhaschte ich einen Blick auf mein Spiegelbild. Kurze, schwarze Haare umrandeten ein jugendliches Gesicht. Wie sechsunddreißig sah ich nicht mehr aus. Da hatte der Götterdrache doch tatsächlich die Uhr zurückgedreht und mich um gut fünfzehn Jahre verjüngt.

Meine eigenen braunen Augen sahen mich musternd an. Für einen jungen Erwachsenen war ich ein wenig schlaksig, sah aber echt gut aus. Kein Wunder, dass Fiona versucht hatte mit mir zu flirten.

Zufrieden mit meinem Antlitz, und ein wenig sauberer, sah ich mich suchend in meinem Zimmer um. Was sollte ich anziehen? Ob meine Robe schon trocken war? Wohl kaum, sonst hätte doch sicher jemand an meine Tür geklopft.

Es half nichts. Ich musste wohl in Boxershorts gehen, mehr hatte ich nicht bei mir. Nebenbei packte ich noch die Zettel von der Gilde in meinen Seesack. Damit befand sich all mein weltlicher Besitz im Nimmervollen Beutel.

Auf der Gangseite meiner Zimmertür fand ich - welch ein Glück - meine frisch gewaschene Robe, die ich sogleich überzog. Am besten ich achtete nicht so genau auf den leicht abgestandenen Geruch, der von dem Stoff ausging. Seife kostete offenbar extra - wenigstens waren die ekligen Blutflecken raus.

Bewaffnet mit meinem Seesack und Lucky im Schlepptau, ging ich nach unten.

*

Wenig später saß ich im Schankraum, vor mir mein Frühstück in Form einer Schüssel Haferbrei. Für Lucky hatte ich kleine Fleischstücke geordert.

Das Mobiliar hatte auch schon mal bessere Tage gesehen. Mein Stuhl wippte leicht und einige der Tische standen schief und krum.

Die Sonne war vor einigen Stunden aufgegangen, es war fast schon zu spät für ein Frühstück, aber deutlich zu früh für das Mittagessen. Dementsprechend leer war der Schankraum. Fünf Tische mit rund zwanzig Stühlen, mehr gab es hier nicht.

Hinter dem kleinen Tresen, dem Eingang gegenüber, stand Gisela. Ihren Namen kannte ich dank eines Blickes auf ihren Charakterbogen. Hin und wieder, wenn sie dachte ich würde es nicht mitbekommen, warf sie uns einen finsteren Blick zu.

Bei der hatte ich wohl verschissen. Großartig. Wohl oder übel musste ich einen Weg finden mit Gisela auszukommen. Immerhin war dies das einzige Gasthaus in Meerblick und ich hatte vor noch eine Weile hier zu bleiben. Bevor ich weiter ziehen konnte, sollte ich mich mit meinen Skills, dieser Welt und ihren Regeln vertraut machen.

Vielleicht genügte eine Goldmünze als Trinkgeld, um mir ihrer Gunst sicher zu sein. Leider beschlich mich das ungute Gefühl, dass das bei Weitem nicht reichen würde.

Während ich aß ließ ich den Blick schweifen. Nebenbei setzte ich meine Skill Analyse ein. Es ging mir nicht darum in Erfahrung zu bringen wie alt oder sauber mein Besteck war, ich hatte andere Beweggründe. Ich spielte eine Weile lang herum und kam zu einigen Erkenntnissen.

Um etwas zu analysieren, musste ich es sehen können. Wurde ein Objekt mit geöffnetem Infofenster von einem anderen verdeckt, verschwanden die Informationen. Als universellen Radar konnte ich diesen Skill schon mal nicht einsetzen.

Nachdem ich den gedanklichen Befehl gab, analysiere alles was ich sehen kann, wurde mein Blickfeld von unzähligen Infofenstern überlagert. Es waren so viele, dass ich kaum in der Lage war auch nur ein Wort zu lesen. Das war aber ok. Das Ziel dieses Testes war etwas anderes.

Im Anschluss gab ich einen weiteren stummen Befehl, blende alles aus, was mehr als einmal vorhanden ist. Schwub, und schon konnte ich mich wieder an der schäbigen Holzwand gegenüber ergötzen. Es war mir demnach möglich zu entscheiden, welche Fenster und Zeilen mir angezeigt wurden. Dieses Wissen war bare Münze wert, wenn es mal schnell gehen musste.

In diesem Zusammenhang machte ich sogar noch eine weitere Entdeckung. Nahe am Tresen gab es eine lockere Holzdiele am Boden. Im allgemeinen nichts auffälliges, jedoch war das die einzige Diele im ganzen Raum, die den Zusatz [locker] besaß. Demnach war es nur logisch, dass dort etwas versteckt wurde. Das Was, interessierte mich dabei nicht sonderlich- bestimmt hatte sie dort ihre Drachmen versteckt. Ich freute mich lediglich darüber einen Weg gefunden zu haben, Verstecke aufzuspüren.

Nach einigen weiteren Experimenten musste ich mir auf die Unterlippe beißen, um nicht laut zu lachen. Es war mir gelungen die angezeigten Infos mit einem Farbcode zu versehen. Wenn ich zu meinem Seesack sah, wurde mir der Name [Nimmervoller Beutel] von nun an in großen, goldenen Lettern angezeigt. Während hingegen so etwa wie ein Holzlöffel wesentlich kleiner und in grau dargestellt wurde.

Wie in einem Spiel hatte ich mir eine Art persönliches Gegenstands-Bewertungssystem gebastelt. Mit nur einem Blick war ich nun in der Lage wertvolle Dinge zu erkennen. In Zukunft musste ich das noch weiter ausarbeiten und verfeinern. Für den Anfang war ich jedoch vollauf zufrieden.

Das Wiedersehen

Gut gelaunt trat ich aus dem Gasthaus. Die Sonne strahlte mir von einem wolkenfreien, blauen Himmel entgegen, während eine leichte Brise mir die salzige Meeresluft entgegentrug. Ein herrlicher Start in meinen zweiten Tag auf dieser Welt.

Wie schon am Abend zuvor, sah ich keine Menschenseele. Mein Blick wanderte zum Kontor. Dort hatte ein Gleiter angedockt. Bestimmt waren alle mit dem Verladen der Waren beschäftigt. Wie zur Bestätigung meiner These, fuhr gerade ein Karren aus dem Kontor. Der Mann auf dem Bock nickte mir kurz zu, dann trieb er seinen Ochsen auf den Ausgang zu.

Durch Garret wusste ich, dass jeder Bewohner des Handelspostens Meerblick in irgendeiner Art und Weise mit dem Warenhandel zu tun hatte. Mit Ausnahme von Fiona, die eine Angestellte der Gilde war. Hin und wieder kamen Abenteurer und ganz selten mal einfache Reisende vorbei.

Meerblick war kein aufregender Ort. Die fahrenden Händler belieferten die umliegenden Dörfer mit allem, was diese benötigten. Im Austausch kauften sie deren Erzeugnisse, die sie zurück zum Kontor transportierten. Die fahrenden Händler stellten damit das Äquivalent zu LKWs aus meiner alten Welt dar.

Leise vor mich hin summend, entschied ich mich, der Klippe hinter dem Kontor einen Besuch abzustatten. Ich hatte es nicht eilig. Zurzeit, so wusste ich, war ich der einzige Abenteurer in Meerblick. Deshalb gab es niemanden, der mir einen guten Auftrag wegschnappen konnte. Außerdem besaß ich genügend Drachmen, um es gemächlich anzugehen.

Bevor ich das Kontor erreichte, drangen laute Stimmen an meine Ohren. Ich sah ins Innere des Gebäudes und bemerkte eine kleine Menschenmenge, die sich lautstark um etwas stritt. Neugierig geworden trat ich näher und spitzte die Ohren.

»Diese Kanalratte hat versucht an Bord des Gleiters zu schleichen. Schaut euch mal an, was er dabeihatte.«

Aufgebracht schrie die Menge auf. »Dieb.« - »Ungeziefer.« - »Hängen soll er.«

Langsam schob ich mich durch die tobende Meute. Mich beschlich ein ungutes Gefühl. Konnte es sein? Nein, das wäre zu abwegig.

»Ruhe«, schrie Sonja mit ihrem Megafon. »Als Vorsteherin dieses Handelspostens entscheide ich über sein Schickal.«

Eine mir bekannte Stimme beteuerte flehentlich: »Lass mich los. Ich bin unschuldig. Ich habe noch nie etwas gestohlen. Ich bin kein Dieb.«

Das durfte doch wohl nicht wahr sein. Ich musste mir Gewissheit verschaffen.

»So so«, höhnte Lars, den ich an seiner Stimme erkannte. »Dann gehört das hier dir?«

Endlich hatte ich es geschafft, mir einen Weg durch den Mob zu schlagen. Ich hob den Blick und sah zu den drei Personen im Zentrum.

Ein grobschlächtiger Muskelberg drückte mit nur einer Hand den Katzenjungen vom Vortag zu Boden. Um sich schlagend, versuchte der Kleine zu entkommen, kam aber nicht gegen die Kraft seines Wärters an. Neben den beiden stand Lars. Er hielt einen Beutel, sowie meinen Zauberstab in die Höhe.

Abermals jammerte der Junge: »Das sind Erbstücke meiner Familie. Ich habe nichts gestohlen.«

Bei dieser dreisten Lüge stieg absolute Empörung in mir auf. Ehe ich mich bremsen konnte, trat ich einen Schritt vor und schrie: »Lügner. Das ist mein Zauberstab und den Beutel hast du von Garrets Wagen gestohlen.«

Plötzlich war es komplett still um mich herum. Erschrocken starrte mich der Dieb an. Offenbar hatte er nicht damit gerechnet, hier auf eines seiner Opfer zu treffen.

Dann begann der Mob wieder zu toben. Vereinzelt konnte ich Worte heraushören wie: »Dieb.« - »Hängt ihn.« - »Werft ihn über die Klippe.«

»Ruhe!«, befahl Sonja von ihrer Empore aus. Mit Hilfe des Megafons übertönte sie ohne Probleme alle anderen Stimmen. »Werter Magier, könnt Ihr Beweise für diese schwerwiegende Anschuldigung vorlegen?«

Beweise? Wie sollte ich beweisen, bestohlen worden zu sein? Es war ja nicht so, als ob ich meine Initialen in meinen Zauberstab geritzt hätte. Eine Idee, die ich mir für später merken sollte.

Nachdenklich hob ich den Blick und erwiderte: »Außer meinem Wort kann ich leider keine Beweise vorlegen.« Ich sah mich in der Menge um. »Wo ist Garret, er kann bezeugen, dass ich die Wahrheit sage.«

»Garret ist noch vor Sonnenaufgang mit seinem Karren losgezogen. Aktuell herrscht akuter Personalmangel in diesem Segment«, erklärte Sonja

Spielte sie damit auf die verschwundenen fahrenden Händler an, von denen Lars am Abend zuvor erzählt hatte? Ohne weitere Informationen waren meine Spekulationen sinnlos. Außerdem war das nicht wichtig. Garret war nicht hier, weshalb ich keinen Zeugen zur Hand hatte.

»Lars, bring die beiden in mein Büro. Ihr anderen, zurück an die Arbeit. Ich bezahle euch nicht fürs Herumstehen!«, brüllte Sonja die Menge an. Augenblicklich zerstreuten sich die Schaulustigen als wäre nie etwas gewesen.

In der einen Hand das vermeintliche Diebesgut packte Lars mit der anderen die hinter dem Rücken verschränkten Arme des Katzenjungen.

Lautstark wehrte der Kleine sich gegen den Griff, zog aber den Kürzeren. »Der da ist der Lügner, nicht ich. Das sind meine Sachen. Er ist ein Betrüger. Der kann nicht mal zaubern.«

Über das Geschrei des Jungen hinweg nickte mir Lars zu. »Wenn Sie mir bitte folgen würden, werter Magier.«

Am liebsten hätte ich dem Bengel die Meinung gegeigt. Von wegen ich kann nicht zaubern. Wenn der wüsste. Allerdings hatte ich keine Ahnung vom hiesigen Rechtssystem. Besser ich hielt die Klappe und sparte meinen Atem für Sonja auf.

Während Lars mich in den ersten Stock führte, schob er den sich sträubenden Jungen grob vor sich her. Gegenüber der Empore, auf der Sonja ihre Anweisungen gab, befand sich eine Tür. Dahinter kam ein kleines Büro zum Vorschein.

Der Raum wirkte kleiner als er in Wahrheit war. Allem voran lag das an den brechend vollen, deckenhohen Regalen, die rechts und links die gesamte Wandfläche einnahmen. Gebundene Blätterstapel, unzählige, einzelne Zettel, zusammengerollte Pergamente, Bücher, sprich die Regale quollen vor lauter Papierkram über.

Gegenüber des Einganges, vor einem großen Fenster, stand Sonja gegen ihren überladenen kleinen Schreibtisch gelehnt. Ihrer Miene nach zu schließen, war sie nicht sonderlich angetan von dieser Situation.

Kaum war die Tür hinter uns ins Schloss gefallen, begann sie mit strenger Stimme: »Kommen wir gleich zur Sache.«

»Ich bin unschuldig«, schrie der Junge dazwischen.

Allein mit einem strengen Blick brachte sie ihn zum Schweigen. Sonja gehörte wohl zu der Sorte Mensch, die mühelos ein Klassenzimmer voller Rabauken zu zahmen Lämmern mutieren ließ. Und das allein durch ihr Auftreten. Zum Glück war ich längst kein Schulkind mehr.

Nebenbei untersuchte ich ihren Charakterbogen. Bei ihrem Alter sah ich nicht so genau hin. Frauen reagierten zumeist allergisch auf so etwas. Ich blinzelte und musste mir ein Grinsen verkneifen. Sie besaß drei Extra Skills: Feilschen, Aufseher und Einschüchterung. Das erklärte alles.

Sonja warf mir einen scharfen Blick zu. Hatte ich mich verraten? Ich hoffte nicht. Mit ihr wollte ich mich ganz sicher nicht anlegen.

»Verzeiht, werter Magier -«

Ich verbeugte mich knapp. »Mein Name ist Adrian. Wir können gerne zum Du übergehen.«

»Einverstanden«, grüßte sie knapp. »Also dann, Adrian, bist du dir wirklich sicher mit deiner Anschuldigung?«

Ohne nachzudenken, deutete ich auf meinen Zauberstab in Lars linker Hand. »Das ist mein Zauberstab. Daran besteht kein Zweifel.« Mein anklagender Finger wanderte zu dem Jungen. »Er hat ihn mir gestohlen.«

Sonja schüttelte seufzend den Kopf. »Denk bitte gut nach, Adrian. Könnte es sein, dass du deinen Zauberstab verloren hattest? Der Junge hat ihn lediglich gefunden und kam hierher, um dir deinen Stab zurückzubringen.«

Verwirrt blinzelte ich sie an. Was sollte das? Sie verdrehte die Wahrheit. Aber warum? Nachdenklich warf ich dem Katzenjungen einen Blick zu. Seine tränennassen Augen sahen flehentlich zu mir auf.

Der Bengel war ein Dieb, daran gab es nichts zu rütteln. Er hatte eine Strafe verdient. Die Frage war nur, welche? Ein ungutes Gefühl beschlich mich. Was würde aus dem Bengel werden, wenn ich nicht mitspielte?

Langsam begann ich meine Gedanken in Worte zu formulieren: »Rein hypothetisch, welche Strafe hätte der Junge zu erwarten, wenn ich auf meiner Version bestehen würde?«

Sonjas scharfer Blick jagte mir einen Schauder über den Rücken. »Wer einen Magier bestiehlt, ist des Todes.«

Ich konnte spüren, wie mir sämtliche Farbe aus dem Gesicht wich. Mit einer Tracht Prügel wäre ich einverstanden, aber der Tod? Stotternd fragte ich: »Ist das nicht ein klein wenig übertrieben?«

Mit verschränkten Armen schüttelte Sonja abermals den Kopf. »Der Kleine hier hat es faustdick hinter den Ohren. Das ist nicht sein erster Diebstahl. Womöglich aber sein letzter.«

Sie seufzte schwer und offenbarte: »Ich für meinen Teil würde gerne auf solch drastische Methoden verzichten. Auch hege ich keinen Groll gegen Tiermenschen im Allgemeinen, ganz im Gegenteil. Vor allem die Bärenmenschen sind exzellente und gern gesehene Arbeitskräfte.«

Ich konnte mir bildlich vorstellen warum. Ihr Blick wurde ein wenig weicher. »Garret hat mir berichtet, dass du dein Gedächtnis verloren hast. Daher bist du dir der möglichen Konsequenzen deiner Anschuldigung wohl nicht bewusst. Aus diesem Grund wollte ich mit dir reden.«

Schnell sammelte ich meine Gedanken und fragte: »Gesetz dem Fall ich stimme deiner Version zu, was dann?«

Streng musterte Fiona den jungen Dieb. »In diesem Fall würde ich Milde walten lassen. Für seine Verbrechen, wird er eine Hand verlieren.«

»Was? Nein«, rief ich und war mir sogleich der Aufmerksamkeit aller im Raum sicher. »Das kann doch wohl nicht dein Ernst sein. Könnten wir es nicht bei einer gehörigen Tracht Prügel belassen?«

Während der Katzenjunge mich verständnislos anstarrte, blieb Sonjas Blick eisern. »Es tut mir Leid. Ich muss ein Exempel statuieren. Bei seinem Strafregister bleibt mir keine andere Wahl.«

In diesem Augenblick erklang ein helles Bellen vom Fußboden her. Verdammt, bei all der Aufregung hatte ich Lucky total vergessen.

Sonja deutete zu der Fuchsdame und schrie: »Was hat dieses Tier hier zu suchen? Verunreinigungen unserer Handelswaren kann ich nicht tolerieren. Raus mit dem Vieh!«

Unbeeindruckt hob ich mein Haustier auf die Arme. »Keine Sorge, Lucky ist viel zu intelligent, um deine Waren zu beschädigen.« Hoffte ich zumindest. »Nicht wahr, meine Kleine?«

Während ich sie hinter den Ohren kraulte, plusterte sich Sonja auf. »Wildtiere haben hier nichts -«

Frech fiel ich ihr ins Wort: »Lucky ist kein Wildtier. Ich habe sie beschworen. Sie gehört zu mir.«

»Beschworen?«, hauchte Sonja fassungslos. »Das ist natürlich eine andere Angelegenheit. Sie kann bleiben.«

In diesem Augenblick hob Lucky den Kopf und streckte ihr rotzfrech die Zunge entgegen. Erleichtert seufzte ich auf. Ich war mir nicht sicher gewesen, ob Tiere und beschworene Wesen unterschiedlich gehandhabt wurden. Glück gehabt.

Es dauerte einen Augenblick, bis sich Sonja wieder gefasst hatte. »Sie gehört zu dir, sagst du? Da kommt mir eine Idee.«

Ich hob den Blick und sah, wie sie sich an den Katzenjungen wandte. »Hör gut zu, Bengel. Du wirst einen Sklave - Meister - Vertrag mit Adrian eingehen.«

»Was? Niemals!«, schrie der Junge.

Rasch warf ich ein: »Einen Moment mal. Da habe ich doch auch noch ein Wörtchen mitzureden, oder?«

Sonja hob einen Finger und erklärte mir streng: »Adrian, du hast vor versammelter Mannschaft den Jungen des Diebstahls an dir beschuldigt. Entweder wird er dein Sklave oder er stirbt.«

Wütend biss ich mir auf die Unterlippe. Was sollte der Mist? Diese verschlagene Frau hatte mir die Pistole auf die Brust gesetzt. Was hatte ich denn für eine Wahl? Widerwillig nickte ich ihr zu.

Sogleich wandte sich Sonja an den Jungen: »Mit deinem Diebstahl an einem Magier hast du dein Leben verwirkt. Halsband oder der Tod. Du hast die Wahl.«

Stumm liefen ihm die Tränen aus den Augen. Er warf mir rasch einen hasserfüllten Blick zu, dann wimmerte er: »Halsband.«

»Ausgezeichnet«, meinte Sonja und schlug die Hände zusammen. »Lars, geh und hol alles Nötige.«

»Aber«, begann Lars und sah zu seinem Gefangenen herab.

»Sollte der Bengel versuchen zu fliehen, dann werfe ich ihn höchstpersönlich über die Klippe. Hopp, hopp. Das hier dauert schon zu lange. Ich muss zurück zu den Waren.«

So ganz konnte ich ihre gute Lauen nicht verstehen. Immerhin ging es hierbei um das Schicksal eines fühlenden Wesens. Ein Leben als Sklave. Etwas Unvorstellbares für mich. Ich wüsste nicht, wie ich in einer solchen Situation entschieden hätte.

Aber, was sollte ich mit dem Bengel anstellen? Bestimmt gab es da einige Regeln zu beachten. Dreimal am Tag füttern oder so etwas in der Art. Ich wollte nicht für ihn verantwortlich sein. Was wenn er Mist baute? Fiel das dann auf mich zurück? Würde ich ihn in so einem Fall bestrafen müssen?

So geknickt wie ich und der Junge dastanden, war es schwer auszumachen, wer von uns beiden schlimmer dran war. Er wollte wohl ebensowenig mein Sklave werden, wie ich danach strebte, sein Meister zu sein.

Benommen von der Last dieser Entscheidung, hatte ich das Gefühl, dass die Zeit sich beschleunigte. Im Nachhinein hatte ich nur noch bruchstückhafte Erinnerungen an das Geschehen.

Lars kehrte mit mehreren Zetteln und einem ledernem Halsband zurück. Der Junge legte seine Hand auf die Zettel und zog unter Tränen das Halsband an. Anschließend musste ich meine Hand auf die Papiere legen und fertig. Von nun an hatte ich einen Sklaven an der Backe.

Sonja übergab mir den Originalvertrag, während eine Kopie auf einem Stapel ihres Schreibtisches landete. »Noch Fragen?«

Ich hob den Blick. Selbstverständlich hatte ich noch Fragen. Unzählige sogar. »Was bedeutet es für mich, sein Meister zu sein?«

»Das fragst du jetzt, nachdem der Vertrag besiegelt wurde? Hast du dir die Klauseln etwa nicht durchgelesen?« Sie schüttelte den Kopf. »Einfach ausgedrückt, der Bengel ist von nun an dein Eigentum. Laut Gesetz, ist er keine eigenständige Person mehr. Sollte er etwas anstellen, geht das auf deine Kappe.«

Mein Magen rumorte laut. So etwas hatte ich schon befürchtet. Ab sofort war ich für den Bengel verantwortlich. Ich musste einen Weg finden, ihn unter Kontrolle zu halten, nicht dass es am Ende noch mir an den Kragen ging, weil er jemanden bestahl.

»Was du mit ihm machst oder wie du ihn bestrafst, ist deine Sache. Als dein Sklave muss er jedem deiner Befehle Folge leisten. Zur Not zwingt der magische Vertrag ihn zum Gehorsam. Eines noch. Solltest du sterben, so stirbt auch er. Damit ist sichergestellt, dass er dir keinen Schaden zufügt.«

»Das ist barbarisch«, murmelte ich vor mich hin. Worauf hatte ich mich da nur eingelassen.

»Wie bitte?«, fragte mich Sonja.

»Nichts«, seufzte ich schweren Herzens. »Gibt es noch etwas, was ich beachten sollte?«

Sie schüttelte verneinend den Kopf. Mit einem diabolischen Grinsen fügte sie hinzu: »Ich denke, ihr beide werdet gut miteinander auskommen.«

Tonlos brummte ich: »Danke.« Ungefragt händigte mir Lars meinen Zauberstab sowie zwei kleine Dolche aus, weshalb ich Lucky absetzen musste. Bestimmt gehörten diese Waffen dem Jungen, ich würde ihn später darauf ansprechen.

»Komm mit«, befahl ich meinem Sklaven und griff nach der Türklinke.

»Einen Moment noch«, hielt Sonja mich auf. »Das macht dann 375 Drachmen.«

Entsetzt fuhr ich herum. »Das soll ein Scherz sein, oder?«

Wie es schon Fiona getan hatte, zählte Sonja an ihren Finger auf: »Ein magischer Sklavenvertrag, in doppelter Ausführung, fünfzig Drachmen. Ein Sklavenhalsband, hundert Drachmen. Finderlohn für deinen Zauberstab, zweihundert Drachmen. Hinzu kommt noch eine Bearbeitungsgebühr von fünfundzwanzig Drachmen. Summa Summarum: 375 Drachmen.«

Nicht schon wieder. Hier in Meerblick hätte ich nichts anderes erwarten sollen. Dennoch konnte ich es nicht lassen, einen Rettungsversuch zu unternehmen. »Aber -«

Streng hob sie einen Finger und unterbrach mich. »Spar dir die Frage nach einem Rabatt. Du hast Garret das Leben gerettet, deshalb ist das bereits der Freundschaftspreis. Tiefer kann ich beim besten Willen nicht gehen.«

Wie gewonnen so zerronnen. Niedergeschlagen griff ich nach meinem Seesack. Um die Hände frei zu haben, ließ ich gedankenlos den Sklavenvertrag, die Dolche, sowie meinen Zauberstab darin verschwinden und zog meinen Geldbeutel hervor. Die seltsamen Blicke der anderen fielen mir bei dieser Aktion nicht auf.

Während ich die Münzen abzählte, sah ich, wie Sonjas Augen verzückt funkelten. Am Arsch mit dem Freundschaftspreis. Die Leute hier waren alles schlitzohrige Händler. Das sollte ich mir besser gut merken. Aber wie heißt es so schön: Man sieht sich immer zweimal im Leben.

Der Dieb

Geknickt verließ ich das Kontor. Der Geldbeutel in meiner Hand war deutlich leichter geworden. Ein Blick genügte, um mir zu zeigen, dass ich noch 123 Drachmen besaß. Unbewusst malträtierte ich meine Unterlippe. Da ich nun drei Mäuler zu stopfen hatte, blickte ich abermals meinem Bankrott entgegen. Ich musste mir dringend eine Arbeit suchen.

Ohne auf meine Umgebung zu achten, lief ich ziellos umher, bis ich die Klippe erreichte. Selbst die schöne Aussicht auf das Meer konnte meine Stimmung nicht heben. Ich betrachtete die Wellen und dachte angestrengt nach.

Dies war nicht meine Welt. Hier liefen die Dinge anders. Sklaverei, etwas was in meiner Heimat undenkbar war, wurde hier als normal angesehen. Objektiv betrachtet, war es sogar sinnvoller einen Verbrecher zu versklaven, anstatt ihn auf Kosten der Gesellschaft einzusperren oder gar zum Tode zu verurteilen. Dennoch konnte ich das nicht so recht mit meinem Gewissen vereinbaren.

Ein helles Bellen riss mich aus den Gedanken. Ich wandte mich um und sah zu Lucky. Sie sah zu mir auf und nickte dann zu dem Katzenjungen.

Wie ein Häufchen Elend stand der Junge mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern da. Durch die Brandung der Wellen hindurch konnte ich ihn leise schluchzen hören.

Verdammt nochmal. Dem Kleinen ging es ganz offensichtlich gar nicht gut, während ich einfach nur dastand und an mich dachte. Großartig, damit erfüllte ich einwandfrei das Klischee eines selbstsüchtigen Meisters. Zeit, etwas dagegen zu unternehmen.

Es gab einiges zu bereden, aber wie sollte ich beginnen? Mit einem möglichst freundlichen Lächeln auf den Lippen sprach ich den Jungen an: »Ich heiße Adrian und die kleine Fuchsdame hier ist Lucky. Verrätst du mir deinen Namen?«

Trotzig schüttelte der Kleine den Kopf. Dann eben anders. Mithilfe von Analyse ließ ich mir seinen Charakterbogen anzeigen.
 

Name: Rogue

Geschlecht: männlich

Spezies: Katzenmensch

Alter: 14

Klasse: Dieb

Rang: Anfänger

Spezies Skills: Samtpfote / Dunkelsicht

Klassen Skills: Beidhändigkeit / Schleichen

Extra Skills: keine

Abwehr Skills: keine
 

Rogue also. Kein netter Name. Au Backe. Der Kleine war erst vierzehn Jahre alt. Ich fragte mich, was ihn dazu gebracht hatte, auf die schiefe Bahn zu geraten. Leider konnte mir mein Skill darauf keine Antwort geben. Diese Information würde ich wohl nur von ihm bekommen. Dafür musste ich ihn aber erstmal dazu bringen, mir zu vertrauen.

Meines Wissen nach, Garret sei Dank, stellte Dieb eine für diese Welt legitime Klasse dar. Demnach gab es einen Unterschied zwischen dem Beruf Dieb, der Leute bestahl und der Klasse Dieb, die durchaus nützliche Kampfskills hatte.

Der Kleine musste sich wohl entschieden haben, seine Klasse zum Beruf zu machen. Eine sehr dumme Idee, wenn ich an die drakonischen Strafen zurückdachte.

So frech, wie dieser Bengel war, sollte ich ihm gleich mal zeigen, wer hier das Sagen hatte. Streng hob ich einen Finger und tadelte ihn: »Wenn ich dir eine Frage stelle, dann erwarte ich eine ordentliche Antwort. Hast du das verstanden, Rogue?«

Ich sah genau, wie er mit entsetztem Blick den Kopf hob. »Wie? Woher?«

Meine Hände in die Seiten gestemmt, erklärte ich stolz: »Deinen Namen herauszufinden, kostet mich nur einen Blick in deinen Charakterbogen.«

Verständnislos sah er drein. »Charakter… was?«

»Nicht so wichtig«, winkte ich rasch ab. Ich sollte besser aufpassen, welche Begriffe ich von mir gab. Offenbar wurde das, was ich einen Charakterbogen nannte, in dieser Welt anders bezeichnet. Ich hatte noch so viel zu lernen. Ein Schritt nach dem anderen.

Mit freundlicher Stimme begann ich: »Du brauchst keine Angst vor mir zu haben. Ich -«

»Ich habe keine Angst vor dir«, fiel der Bengel mir rotzfrech ins Wort. Stirnrunzelnd musterte ich ihn. Seine spitzen Katzenohren waren angelegt, während sich sein Schweif um sein rechtes Bein geschlungen hatte. Die Körpersprache des Kleinen strafte seine Worte Lügen.

Ihn zurechtzuweisen, würde mir nicht viel bringen. Aus diesem Grund entschied ich mich für einen anderen Weg. Gespielt erstaunt fragte ich: »Nicht? Warum heulst du dann?«

»Ich, ich«, stammelte Rogue sichtlich um Worte ringend, »Das hat rein gar nichts mit dir zu tun. Ich weine meinem entgangenen Profit nach. Das ist alles.«

»So, so«, murmelte ich, weiter meine Rolle spielend.

Als er die Hände in die Hüften stemmte, ein schwacher Versuch, Selbstsicherheit auszustrahlen, konnte ich mir ein Grinsen nicht verkneifen.

»Natürlich. Vom Verkauf des Stabes hätte ich in Saus und Braus leben können. Ich habe doch keine Angst vor einem Möchtegernmagier, wie dir.«

Durch unser kleines Gespräch hatte sich sein Schweif gelöst und hing nun schlapp umher. Auch seine Ohren lagen nicht mehr ganz so dicht an. Meine Mission, ihm die Angst zu nehmen, war demnach ein voller Erfolg.

Erheitert tippte ich ihm gegen die Nase und sagte lachend: »Lügner.«

Erschrocken weiteten sich seine Augen. Damit hatte Rogue wohl nicht gerechnet. Schnell sah ich mich um und deutete auf ein paar nahe Steine. »Komm, lass uns im Sitzen weiterreden. Das ist doch viel entspannter, als die ganze Zeit zu stehen.«

Zögerlich ließ er sich mir gegenüber auf einem flachen Stein nieder. Seine Körpersprache zeigte unterschiedliche Emotionen. Einerseits hatte er noch immer Angst vor mir, das zeigten mir seine Ohren, auf der anderen Seite war er verwirrt, seinem Blick nach zu schließen. So ganz konnte er sich wohl keinen Reim auf mein Verhalten machen.

Gut so. Das Eis schien gebrochen zu sein. »Zunächst möchte ich ein paar Regeln festlegen.«

Misstrauisch verengten sich seine Augen, während sein Schweif unruhig zuckte.

»Solange du brav bist, werde ich dich zu nichts zwingen, was du nicht willst. Wir können auch gerne beim Du bleiben. Ich lege keinen Wert darauf, Meister oder so ähnlich genannt zu werden.«

Ich sah genau, wie er den Mund öffnete, um etwas zu sagen. Schnell hob ich einen Finger und gebot ihm zu schweigen. »Allerdings erwarte ich, dass du mir ein Mindestmaß an Respekt entgegenbringst. Fall mir nicht ins Wort und artikuliere deine Sätze ordentlich.«

Er schloss den Mund wieder. In seinem Kopf ratterte es, das konnte ich an seinen Augen erkennen. Offenbar suchte er nach einem Schlupfloch oder aber nach einer netten Beschimpfung.

Bevor er in der Lage war, seine höchstwahrscheinlich destruktiven Gedanken in Worte zu fassen, fragte ich: »Warum bist du zum Dieb geworden?«

Ohne nachzudenken, sagte er: »Ich hatte Hunger.« Nachdem ihm dieser kleine Satz rausgerutscht war, schlug er sich die Hände auf den Mund. Peinlich berührt, mir die Wahrheit gesagt zu haben, wandte er den Blick ab.

Innerlich seufzte ich auf. So etwas in der Art hatte ich schon befürchtet. Bestimmt hatte er, trotz seines Alters, schon so einiges erlebt. Schlechte Erfahrungen prägten einen Menschen mehr als Gute. In seinem Fall musste ich sehr behutsam an die Sache rangehen. Mir sein Vertrauen zu verdienen, würde nicht einfach werden.

Nachdenklich nickte ich. »Verstehe. Wenn du mir versprichst, niemanden mehr zu bestehlen, sorge ich im Gegenzug dafür, dass du nie wieder Hunger leiden musst. Deal?«

Seine Augen huschten zwischen meiner ausgestreckten Hand und meinem Gesicht hin und her. Gespannt wartete ich auf seine Reaktion.

Leicht zitternd schlug ein. »Deal.« Augenblicklich wurde sein Blick verschlagen. Während er rotzfrech die Arme vor der Brust verschränkte, bluffte er mich an: »Ich habe Hunger.«

Entgegen seinen offensichtlichen Erwartungen, dass ich wütend werde, grinste ich ihn an. Wenn der Herr was zu essen willollte, dann sollte er es bekommen. Ich wollte eh nachsehen, was es mit diesen ominösen [2 Mahlzeiten] im Nimmervollen Beutel auf sich hatte.

Geschwind zog ich meinen Seesack vor mich und griff hinein. Meine Hand schloss sich um eine Art rauen Griff. Zum Vorschein kam ein kleiner Weidenkorb. Ach wie nett. Da hatte mir der Götterdrache tatsächlich einen Picknickkorb zugesteckt, beladen mit locker zehn belegten Brotscheiben.

Mir meine Überraschung nicht anmerken lassend, stellte ich den Korb vor Rogue auf den Boden. »Bitte schön. Bedien dich.«

Damit hatte der Kleine nicht gerechnet. Es dauerte einige Sekunden, bis er sich nach diesem Schock wieder gefangen hatte, dann griff er rasch zu und versuchte, sich ein ganzes Sandwich in den Mund zu stopfen.

Einem solchen Verhalten sollte ich den Riegel vorschieben. Streng tadelte ich ihn: »Iss langsam oder ich stecke den Korb sofort wieder in meinen Beutel.«

Entsetzt hob Rogue den Blick. Mit freundlichem Tonfall fügte ich hinzu: »Essen sollte man genießen. Wir haben Zeit und es ist genug da. Es gibt keinen Grund, so zu schlingen.«

Ich war mir nicht ganz sicher, ob er verstand, was ich ihm sagen wollte, aber er aß deutlich langsamer.

Während Rogue ein Sandwich nach den nächsten verputzte, sprang mir Lucky auf den Schoss. Mit tadelnden Blick bellte sie mich an. Meine kleine Diva hatte wohl etwas dagegen, nicht im Mittelpunkt meiner Aufmerksamkeit zu stehen. Um sie zu beruhigen, begann ich; sie zu kraulen. Nebenbei sah ich mir Rogues Skills genauer an.

Bei den meisten war der Name das Programm. Durch Dunkelsicht war er in der Lage, selbst bei schwachen Lichtverhältnissen etwas zu sehen, während Beidhändigkeit seinen Umgang mit zwei kleine Einhandwaffen, bei gleichzeitiger Benutzung, stark verbesserte.

Allgemein hatte ich angenommen, dass seine beiden anderen Fähigkeiten einen ähnlichen Effekt besaßen, dem war aber nicht so.

Samtpfote war ein passiver Skill, der Rogue erlaubte, sich nahezu lautlos zu bewegen und auf den Füßen zu landen. Bei Schleichen handelte es sich um einen aktiven Skill. Wendete Rogue diesen an, war er in der Lage, seine Präsenz zu verbergen. Einfach ausgedrückt, man übersah ihn, er wurde quasi unsichtbar.

Kombinierte man beide Effekte, war es sehr schwer, den Jungen aufzuspüren. Insgeheim fragte ich mich, wie die Arbeiter des Kontor es geschafft hatten, Rogue in die Finger zu bekommen. Entweder es gab einen oder mehrere Skills, die dem Effekt von Schleichen entgegenwirken konnten, oder es war reines Pech gewesen.

Auch wenn sich Rogue quasi unsichtbar machen konnte, so war er dennoch aus Fleisch und Blut. Stieß er mit jemanden zusammen, so endete der Effekt von Schleichen auf der Stelle.

Nachdenklich griff ich in meinen Seesack und zog die beiden Dolche hervor. Ein Blick genügte, um zu erkennen, dass sie keinerlei magische Effekte besaßen.

Ohne auf das protestierende Bellen von Lucky zu achten, setzte ich sie auf dem Boden ab und stand auf. Mit je einer Waffe in den Händen, stach ich ein paarmal in die Luft.

Irritiert starrte ich die Klingen an. Obwohl ich nicht den Skill Beidhändigkeit besaß, konnte ich diese Waffen benutzen. Was steckte also hinter dieser Fähigkeit?

»Du machst das komplett falsch, Alter.«

Wütend fuhr ich herum und schrie: »Das Alter lässt du schön bleiben, du Rotzlöffel.« Zu spät bemerkte ich meinen Fehler. Rogue riss die Augen auf und begann zu zittern. So wie ich dastand, mit gezückten Klingen, vor meinem wehrlosen Sklaven, war seine Angst nur verständlich.

Dennoch ließ seine Reaktion mein Blut nur noch mehr kochen. Was glaubte der Bengel eigentlich, wer ich war? Ein Massenmörder? Ein Kinderschänder? Nur mühsam unterdrückte ich meinen Zorn und zwang mich zu einem Lächeln.

Die Spitzen der Dolch gegen den Boden gerichtet, sagte ich: »Entschuldige bitte. Auf das Wort Alter reagiere ich allergisch. Erinnere dich bitte an unsere Abmachung. Sprich ordentlich oder ich wasche dir den Mund mit Seife aus.«

Ich atmete einmal tief durch, um mich endgültig zu beruhigen. »Wenn du so gut bist, dann zeig mir doch, wie man diese Waffen richtig einsetzt.«

Zögerlich stand Rogue auf und nahm die Dolche entgegen. Rasch trat ich ein paar Schritte zurück, während ich ihn genau im Blick behielt.

Das erste, das mir auffiel, war, dass er die Klingen andersherum hielt. Ich hatte mit ihnen zugestochen. Er hingegen nutzte sie zum Schneiden. Unsicher warf er mir einen Blick zu. Ich nickte und die Show begann.

Wie ein Wirbelwind tänzelte Rogue umher. Schneller, als ich es für möglich gehalten hätte, blitzten die Klingen im Sonnenlicht durch die Luft. Schnitt, Schnitt, Drehung, Konter, Schnitt, Abblocken. Jede Bewegung saß perfekt. Mit einer gedrehten Schraube sprang Rogue vor und stieß mit der rechten Hand zu.

Verdattert starrte ich auf den Jungen. Nun verstand ich den Effekt von Beidhändigkeit. Nie im Leben wäre ich zu so etwas in der Lage, egal wie lange ich trainieren würde.

»Unglaublich«, lobte ich ihn. Verlegen trat Rogue von einem Bein aufs andere. Plötzlich ließ er die Schultern hängen. Mit einem geschickten Wurf fasste er die Dolche an den Klingen und hielt mir die Griffe entgegen.

Irritiert runzelte ich die Stirn. Ganz offensichtlich wollte er mir seine Waffen nicht geben, tat es aber dennoch. Warum? Hing das mit seinem Sklavendasein zusammen? Ich musste mich vergewissern, bevor ich eine Entscheidung treffen konnte.

»Eine Frage. Darf ein Skla …«, ich stockte und brach ab. Nein, ich würde den Kleinen nicht erniedrigen und ihn einen Sklaven nennen. Ich räusperte mich und begann von neuem: »Darf ein Diener keine Waffen tragen?«

Rogue tippte nervös mit dem Fuß auf den Boden. »Ohne eine direkte Erlaubnis seines Meisters, hat ein Sklave -« Vehement unterbrach ich ihn und warf ein: »Ich würde das Wort Diener bevorzugen.«

Mit einem Schniefen fuhr er fort: »Diener haben keine Waffen bei sich zu tragen.«

Langsam ging ich auf ihn zu und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Zu sehen und zu spüren, wie er zusammenzuckte, brach mir fast das Herz. »Was, wenn ich es dir erlauben würde?«

Mit einem Ruck riss er den Kopf hoch und starrte mich mit seinen Tränen verquollenen Augen an. »Das würdest du tun?«

Ich grinste ihn an und tätschelte seinen Kopf. »Wenn du mir versprichst, diese Klingen niemals gegen einen Menschen oder Tiermenschen zu erheben, dann gestatte ich dir, die Dolche zu tragen.«

Blinzelt fragte mich Rogue: »Was wenn ich angegriffen werde?«

Kurz dachte ich nach. »In diesem Fall darfst du dich verteidigen. Jedoch verbiete ich den Einsatz von tödlicher Gewalt. Deal?«

Schneller, als ich es sehen konnte, ließ Rogue seine Dolche verschwinden und griff nach meiner ausgestreckten Hand. Überschwänglich schüttelte er diese, während er schwor: »Ich verspreche es. Deal.«

Ich hatte drei Gründe, dem Kleinen seine Waffen nicht wegzunehmen. Zum einen bestand die Möglichkeit eines Überfalls. Rogue war zwar mein Diener, sollte aber in der Lage sein, sich selbst wie auch mich zu verteidigen.

Zum anderen hatte ich gesehen, wie sehr er an seinen Waffen hing. Vielleicht hatte das etwas mit seiner Vergangenheit zu tun, oder mit der Tatsache, dass er sich bisher allein durch Leben schlagen musste und es daher gewohnt war, bewaffnet zu sein.

Mein letzter Grund war eigennütziger Natur. Rogue hatte mir eindrucksvoll bewiesen, dass er kämpfen konnte. Anstatt ihn hier im Außenposten zurückzulassen, wie ich es erst geplant hatte, wollte ich ihn bei meinen Abenteuern mitnehmen. In diesem Punkt würde ich ihn wohl erst noch nach seiner Meinung fragen müssen, denn befehlen würde ich es ihm nicht.

Die Höhle

Etwa eine Stunde später betrat ich den Außenposten der Abenteurergilde. In meinen Armen trug ich Lucky, während Rogue mir langsam hinterhertrottete.

»Ich will sterben«, jammerte er leise vor sich hin.

Sein Verhalten ging mir so langsam auf den Zeiger. »Ich hatte dich gewarnt. Iss nur so viel, wie du verträgst. Das hast du jetzt davon, du neunköpfige Raupe.«

Der Bengel hatte tatsächlich die Nerven besessen, alle zehn Sandwichs wegspachteln. War ja klar, dass er anschließend kaum noch japsen konnte.

Leicht grün um die Nase hielt er sich den Mund zu.

»Wehe du übergibst dich hier drin. Warte draußen, ich werde nicht lange brauchen.«

»Mir gehts gut«, nuschelte er zwischen seinen Fingern hindurch.

»Kann ich den Herren behilflich sein?«, fragte Fiona, die gerade durch die Tür hinter dem Tresen erschien.

»Alles in Ordnung. Ich wollte mal einen Blick auf die offenen Aufträge werfen.«

»Wenn sie wünschen, kann ich ihnen gerne einen passenden Auftrag aussuchen.« Sie trat einen Schritt auf mich zu.

Schnell winkte ich ab. »Passt schon.« Ich musste meine Drachmen im Auge behalten. Nochmal wollte ich mich nicht über den Tisch ziehen lassen. Bestimmt würde sie mir ihre Hilfe in Rechnung stellen. Darauf konnte ich gut und gerne verzichten.

Vor dem schwarzen Anschlagbrett stehend, holte ich Fionas Zettel vom Vortag aus meinem Seesack. Bisher hatte ich noch keine Zeit gehabt, mir diese anzusehen.

Schnell überflog ich die Papiere. Das Einmaleins der Abenteurer. Umfangreich war es nicht gerade. Wie man eine Gruppe fand, so ein Schwachsinn. Oder hier: Wie man sich in einer Gruppe verhält. Wollten die mich verarschen?

Dann fand ich, was ich gesucht hatte. Aufträge, alles was sie wissen müssen. Aufmerksam las ich mir diesen Abschnitt durch.

Die Aufträge wurden in dieselben Ränge, wie die Abenteurer eingestuft. Ok das hätte ich mir auch selbst zusammenreimen können. Das Interessante dabei war aber, dass ein Abenteurer nur Aufträge seines Ranges oder denen darunter annehmen durfte.

Abgesehen vom Rang gab es noch eine weitere Angabe zu beachten. Aufträge mit einem Stern waren Gruppen vorbehalten, die aus mindestens zwei vollwertigen Personen bestehen mussten. Bei zwei Sternen benötigte man bereits vier Mitglieder. Hinzu kam noch, alle Gruppenmitglieder mussten mindestens dem Rang des Auftrags entsprechen.

Soweit so gut. Ich hob den Blick und sah mir die Aufträge an. Die meisten waren entweder zu hochrangig oder hatten einen Stern. Demnach gab es nur vier, die für mich in Frage kamen.

Drei waren Sammelaufträge vom Rang Selenit. Ich sah mir die Belohnungen genauer an. Einmal zwanzig Drachmen und zweimal dreißig Drachmen. Das klang doch nicht schlecht. Der Haken an der Sache war nur, sie alle würden mich tief in den Wolfswald führen.

Meinen letzten Besuch dieses Ortes noch schmerzlich vor Augen, sah ich auf den letzten Auftrag Rang Silber: Goblinhöhle säubern. Belohnung vierzig Drachmen, plus fünf Drachmen pro erlegtem Goblin. Laut dem Zettel war die Höhle gar nicht weit weg, nur ein paar Stunden zu Fuß.

»Den nehm ich«, sagte ich laut und deutete auf den Auftrag mit der Goblinhöhle.

»Oh, dieser.« Ich drehte mich zu Fiona um und sah gerade noch, wie sie sich auf die Unterlippe biss. »Verzeihen Sie, aber ich muss Ihnen dringend davon abraten.«

Fragend hob ich eine Augenbraue. »Ich verstehe nicht, was das Problem ist. Ich bin Rang Silber, so wie gefordert.«

»Nun ja, dieser Auftrag stellt für einen Anfänger ein zu hohes Risiko dar. Normalerweise müsste ich ihn mit einem Stern versehen oder hochstufen. Das kann sich die Auftraggeberin nur leider nicht leisten.«

In Gedanken ermahnte ich mich, Ruhe zu bewahren. »Was wenn ich nicht allein wäre?«

Fiona lächelte mich an. »Dann hätte ich keine Bedenken mehr.«

Ich hielt Lucky in die Höhe. »Ein Glück, dass ich dich habe, meine Kleine.«

»Beschworene Tiere zählen nicht als vollwertige Gruppenmitglieder«, blaffte mich Fiona an.

Verdammt nochmal. Dann eben anders. Ich hob den Blick. »Hey, Rogue. Was ist mir dir? Lust, mich auf ein Abenteuer zu begleiten?«

»Was ich?«, erklang sogleich die Gegenfrage.

»Es ist unhöflich, eine Frage mit einer Gegenfrage zu beantworten.« Streng hob ich eine Augenbraue und sah, wie er verlegen den Blick abwandte.

»Wenn ich darf, gerne.« Na geht doch. Der Bengel würde es sicher noch lernen. Zwei Fliegen mit einer Klappe. Rogue hatte nichts dagegen, mich zu begleiten und ich hatte eine zweite Person für meine Gruppe.

Abermals mischte sich Fiona ein. »Nur registrierte Personen dürfen Mitglieder einer Abenteurergruppe werden.«

Diese Frau raubte mir noch den letzten Nerv. Abermals ermahnte ich mich zur Ruhe. »Wie viel würde mich das kosten?«

Wie aus der Pistole geschossen, sagte Fiona: »Das kommt auf die Stufe an. Bei Selenit wären es siebzig Drachmen, bei Silber neunzig. Jedoch …« Sie verstummte.

»Jedoch, was?«, fragte ich mit deutlicher Schärfe in der Stimme. Meine Geduld war aufgebraucht und ich wollte nur noch hier raus.

»Es gibt kein Problem an sich«, meinte Fiona und wedelte abwehrend mit den Armen. Ihrem Tonfall nach zu schließen, kam da noch mehr und ich wurde nicht enttäuscht. »Nur eine Frage, sind Sie sicher, dass sie ihrem Sklaven das erlauben wollen.«

»Wieso, ist das verboten?« Dieses Mal klang meine Stimme deutlich mehr, als nur ein wenig gereizt. Diese Weib trieb mich allmählich zur Weißglut.

»Nein, es ist nur ungewöhnlich.«

Mein rechtes Auge begann zu zucken. Einen tiefen Atemzug später sagte ich mit bemüht ruhiger Stimme: »Bitte registrieren Sie Rogue als Abenteurer. Anschließend nehme ich diesen Auftrag an. Ist das in Ordnung?«

»Selbstverständlich«, mit diesem Wort tauchte Fiona hinter ihrem Tresen ab.

Der Rest ging reibungslos über die Bühne. Rogue wurde dem Rang Selenit zugeordnet und ich zahlte siebzig Drachmen. Während der kleine Dieb sich mit großen Augen seinen neuen Abenteurer-Ausweis ansah, durfte ich endlich meine Quest annehmen.

Interessiert sah ich zu, wie Fiona unsere Abenteurer-Ausweise auf den Aushang legte und auf beide Karten tippte. Auf dem Zettel erschienen unsere Namen und Ränge, darunter das Wort: Angenommen.

Erstaunlicherweise kostete mich das nichts. Diesen Gedanken behielt ich aber besser für mich. Ich wollte keine schlafenden Hunde wecken.

Anschließend stattet ich dem Kontor einen Besuch ab. Ich kaufte zwei Tagesrationen, zwei Fackeln, einen Feuerstein, sowie eine Karte der Umgebung und drei Wasserschläuche. Das kostete mich zwar weitere vierzig Drachmen, aber sicher war sicher.

Von meinem Startkapital waren lediglich acht Drachmen übrig geblieben. Frohen Mutes blendete ich meine finanzielle Lage aus. Mit der Erfüllung meines ersten offiziellen Auftrags sollte es bergauf gehen.

Gegen Mittag, die Sonne hatte ihren Zenit bereits überschritten, waren wir endlich bereit. Mit Sack und Pack verließen wir zu dritt den Handelsposten Meerblick, dem Abenteuer auf der Spur.

*

Etwa zweihundert Meter nachdem wir Meerblick verlassen hatten, bogen wir nach rechts ab und folgten einem kleinen Trampelpfad zwischen den Klippen. Wenig später erreichten wir das Meer.

Ich gönnte mir einen tiefen Atemzug und genoss einen Moment lang die schöne Aussicht. Den Wellen zuzusehen, hatte einen sehr beruhigenden Effekt auf mich.

Anschließend folgten wir dem schmalen Strand vor den hohen Klippen, den Handelsposten im Rücken. Mehrere Stunden liefen wir, bis wir einen kleinen Höhleneingang fanden.

Im Sand davor waren etliche Spuren zu erkennen. Erst vor Kurzem mussten hier einige Wesen mit kleinen Füßen etwas in die Höhle geschleift haben. Offensichtlich hatten wir unser Ziel erreicht.

Ich warf einen Blick in die ewige Finsternis der Höhle. Mein Herzschlag schnellte nach oben. Ob aus Angst oder Vorfreude über mein erstes offizielles Abenteuer, das konnte ich nicht sagen.

Abrupt wandte ich mich um und ging vor Lucky in die Knie. »Wenn du lieber hier draußen auf mich warten willst, dann nehme ich dir das nicht übel, verstanden? Ich würde mich sogar besser fühlen, dich in Sicherheit zu wissen.«

Lucky gab ein helles Bellen von sich und schüttelte den Kopf. Die Botschaft war eindeutig, sie würde mich begleiten.

Ich hob den Blick und sah zu Rogue hoch. Augenblicklich bekam ich ein schlechtes Gewissen. Er war doch noch so jung. Was hatte ich mir nur dabei gedacht, ihn mitzuschleppen?

»Das gilt auch für dich, Rogue. Ich möchte nicht, dass du verletzt wirst.«

Verständnislos starrte er mich an. »Ich bin doch nicht den ganzen Weg hierhergelaufen, um vor der Höhle zu warten.«

»Wie ihr wollt«, seufze ich und stand auf. »Aber ihr bleibt in meiner Nähe. Keine Alleingänge. Ich meine es vollkommen ernst.«

Während Lucky mit den Augen rollte, grinste mich Rogue frech an. »Keine Sorge, ich beschütze dich armen, magielosen Magier vor den bösen Monstern. Goblins sind so doof wie ein Sack Steine und schreckliche Angsthasen. Das wird ein Kinderspiel.«

Empört schnaubte ich. In diesem Zusammenhang fiel mir noch etwas ein. Ich wollte eh noch meinen Zauberstab ausprobieren, am besten vor einem echten Kampf. Dem frechen Bengel würden gleich die Augen rausfallen.

Ich hob meine rechte Hand und befahl: »Windschnitt!« Als Ziel hatte ich die Felswand vor mir gewählt. Im Gestein bildete sich ein feiner Schnitt, während Steinstaub zu Boden rieselte.

»Du kannst ja doch zaubern!?«, warf Rogue überrascht ein.

Für die Frechheit, mich unterschätzt zu haben, strafte ich ihn mit Missachtung. Rasch zog ich meinen Zauberstab hervor und wiederholte den Zauber. Ein zweiter Schnitt entstand.

Mit gerunzelter Stirn untersuchte ich die beide Narben, die ich dem Felsen zugefügt hatte. Wenn mich nicht alles täuschte, dann war der Windschnitt mit Zauberstab schwächer als ohne.

Ich startete einen zweiten Test. Diesmal zielte ich aufs offene Meer hinaus. Den Stab in der Rechten haltend, setzte ich mit beiden Händen gleichzeitig Windstoss ein. Anschließend wechselte ich mit dem Zauberstab zur linken Hand und wiederholte den Test.

Maßlos enttäuscht, ließ ich den nutzlosen Stab in meinem Seesack verschwinden. Es war eindeutig: Ohne Zauberstab war meine Magie stärker als mit.

Rogues fragende Miene weiterhin missachtend, zog ich zwei Fackeln hervor. »Hier für dich«, sagte ich und hielt ihm eine entgegen.

Auf seine Augen deutend, belehrte er mich: »Ich kann im Dunkeln sehen, so etwas brauche ich nicht.«

Ich nickte ihm knapp zu und steckte eine der Fackel wieder weg. Bewaffnet mit dem Feuerstein, versuchte ich, eine Weile einen Funken zu erzeugen. Egal was ich tat, meine störrische Fackel wollte nicht brennen.

Am Ende giff Rogue schnaubend ein. »Her damit. Du kannst ja gar nichts. Ohne mich wärst du echt aufgeschmissen.«

Da er es mit einem Schlag schaffte, die Fackel zu entzünden, ließ ich ihm seine unverschämten Worte dieses Mal durchgehen.

Ich stand auf und sah mich um. »Alle bereit? Keiner hat Durst, Hunger oder muss auf die Toilette?«

Vom Eingang der Höhle her schüttelte Rogue den Kopf. »Komm schon, ich will nicht den ganzen Tag hier rumstehen.«

Offenbar musste ich ihm mal zeigen, wer von uns beiden das Sagen hat. Da fiel mein Blick auf Lucky. Gerade noch so sah ich, wie sie gemeinsam mit Rogue in die Höhle verschwand.

»Hey, wartet gefälligst auf mich«, rief ich ihnen nach und setzte mich rasch in Bewegung. So eine Frechheit. Ich machte mir Gedanken um deren Sicherheit und nun waren sie es, die mich zurückließen, wie einen blutigen Anfänger, der ich zugegebenermaßen auch war. Aber das tat hier nichts zur Sache. Ich war der Anführer dieser Gruppe!

*

Meine beiden Begleiter hielten sich kein Stück an meine Anweisungen. Außerhalb des spärlichen Lichts meiner Fackel, ging Rogue voraus. Leider gab es einen guten Grund dafür, weshalb ich ihn nicht maßregeln konnte. Im Gegensatz zu mir, konnte er im Dunkeln sehen.

Einige Meter nach der ersten Biegung nach rechts, sprang Lucky in die Dunkelheit davon und schloss zu Rogue auf. Entsetzt starrte ich ihr nach, bis ich bemerkte, dass die Fuchsdame einen neuen Extra Skill erworben hatte: Dunkelsicht. Großartig, damit war ich der Einzige mit Handicap.

Allerdings hatte auch ich einen Vorteil. Dank Analyse konnte ich die Umrisse der beiden trotz der Dunkelheit erkennen. Ein praktischer kleiner Nebeneffekt, wie ich fand. So konnte ich sie im Auge behalten, jedenfalls solang meine Sicht nicht verdeckt wurde.

Missmutig trabte ich, so leise ich konnte, den beiden hinterher. Soviel zu meiner Position als Anführer. Im Licht der Fackel glänzten unzählige spitze Stellen an den Wänden, während der Boden aus einer Sandschicht, über nacktem Fels bestand.

Plötzlich sprang Rogue auf mich zu, direkt in meinen Lichtkreis hinein. Sich die Augen zuhaltend, flüstere er: »Dort vorne im Gang, nächste Ecke links, stehen zwei Goblins. Bisher haben sie uns noch nicht bemerkt. Soll ich ihnen den Garaus machen?«

»Nein«, zischte ich wütend, »Keine Alleingänge. Lucky, kannst du mich hören?« In der Dunkelheit vor mir sah ich, wie sich ihr Schemen zu mir umdrehte.

»Wir machen das so: Lucky, du gehst vor und benutzt Lockvogel. Anschließend rennst du zu uns zurück. Rogue, du setzt deinen Skill Schleichen ein und wartest außerhalb meiner Fackel an der Wand. Der erste Gegner ist meiner. Du kümmerst dich um den zweiten.«

Rogues Schweif zuckte angriffslustig umher. Einen Augenblick lang war ich davon überzeugt, dass er mir Widerworte geben würde. Dann nickte er und seufzte leise: »Du bist der Boss.«

Sicherheit war die Mutter der Porzellankiste. Auch wenn er meine Vorgehensweise für übertrieben hielt, wollte ich kein Risiko eingehen. Ich stieß die Fackel vor mir in den Sand und wartete, bis Rogue mit gezückten Dolchen auf Position war. Dann nickte ich Lucky zu.

Augenblicklich verschwand ihr Umriss. Sie war nach links abgebogen. Innerlich betete ich zum weißen Götterdrachen, meinem kleinen Liebling durfte nichts geschehen.

Vollkommen geräuschlos erschien Luckys Umriss wieder. Wie der Wind rannte sie auf mich zu. In dem Augenblick, als sie schlitternd neben mir zum Stehen kam, bemerkte ich zwei Umrisse in der Dunkelheit. Beschriftet waren diese mit: [Goblin].

Rasch warf ich einen Blick auf das Infofenster. Erleichtert atmete ich aus. Außer den beiden Spezies Skills Dunkelsicht und Höhlenbewohner, besaßen sie keine weiteren Fähigkeiten.

Ich hob meine rechte Hand und machte mich bereit. Unsere Feinde gaben ein seltsam gackerndes Geräusch von sich. Ich interpretierte das als Lachen. Da sie nur mich und Lucky sehen konnten, waren sie sich ihres Sieges wohl sicher.

Angespannt wie eine Bogensehne, wartete ich ab. In genau dem Augenblick, da mein Feind in Sicht kam, rief ich: »Windschnitt.«

Gezielt hatte ich auf seinen Hals. Der grünhäutige Goblin, der entfernt wie ein kleines Kind mit spitzer Nase und Ohren aussah, hielt inne. Mit seiner Rechten hielt er eine schäbige, kleine Keule empor.

Überrascht sah ich, wie sich durch meine Magie ein Schnitt öffnete. Blut spritzte, einer Fontäne gleich, im hohen Bogen hervor. Ich hatte ihm beide Halsschlagadern durchtrennt.

Der Goblin ließ seine primitive Waffe fallen und griff sich mit beiden Händen an die Kehle. Zwecklos, sein Tod war gewiss. Ruhelos zuckten seine Augen umher.

Was hatte ich getan? Vollkommen erstarrt, sah ich zu, wie der Goblin zu Boden sackte. Sich am Boden windend, quoll sein Blut unaufhörlich zwischen seinen langen Fingern hervor. Gefangen im Todeskampf, streckte er hilfesuchend eine Hand nach mir aus.

Mit angehaltenem Atem sah ich, wie sein Lebenslicht erlosch. Seine Hand landete auf dem Boden, während noch immer Blut aus der Wunde am Hals aus seinen reglosen Körper floß.

Dunkelheit stürzte auf mich ein. Mein Körper zitterte wie Espenlaub. Ich war unfähig, mich zu bewegen. Ich hatte ein Leben genommen. Etwas, was ich schon unzählige Male in einem Computerspiel getan hatte. Jedoch war das hier kein Spiel. Die bittere Realität sah anders aus.

In meiner grenzenlosen Ignoranz hatte ich ein fühlendes Wesen ermordet. Es einfach so abgeschlachtet. Ich hatte nicht einmal den Versuch unternommen, die Angelegenheit auf friedlichem Weg zu lösen. Wie hatte ich nur so dumm sein können? Mit dieser Schuld würde ich nun leben müssen. Ich war ein Mörder, ein Monster!

Jemand rüttelte mich an der Schulter. »Hey, alles ok bei dir? Du bist ja ganz weiß im Gesicht. Geht es dir gut?«

Durch Rogues Eingreifen wurde meine Gedankenspirale durchbrochen. Ich musste mich dem stellen, was ich getan hatte. Die Dunkelheit vor meinen Augen lichtete sich. Bewusst nahm ich wieder meine Umgebung wahr. Ich hatte mich keinen Millimeter bewegt, noch immer starrte ich die Leiche des Goblins vor mir an.

Beim Anblick seiner starren, glanzlosen Augen, drehte sich mir der Magen um. Hastig stieß ich Rogue beiseite. Auf allen Vieren erbrach ich mich auf den sandigen Boden.

Bevor ich mich wieder gefangen hatte, rief Rogue: »Achtung, da kommen noch drei.«

Entsetzt riss ich den Kopf in die Höhe. In diesem Augenblick stürmten zwei Goblins mit erhoben Keulen auf Rogue zu, verwickelten ihn in einen Kampf. Der dritte hatte seine Augen auf mich gerichtet. Todbringend schwang er seine Keule über dem Kopf.

Panik erfasste mein Herz. Auf allen Vieren krabbelte ich weg. Weg von dem Monster, das mein Leben bedrohte. Meine linke Hand landete in der Blutlache des ersten Goblins und rutschte weg. Halb auf die Seite fallend, stieß ich mich mit den Füßen ab. Ich konnte nicht mehr. Das war alles zu viel für mich.

Mein Gegner kam lauernd näher. Unachtsam trat er dabei auf seinen verstorbenen Kumpel, ohne mich auch nur einen Wimpernschlag aus den Augen zu lassen.

Das war mein Ende. Ich hatte es verdient. Ich hatte gemordet. Ich war ein Monster. Dennoch wollte ich nicht sterben. So schnell ich konnte, drückte ich mich vom Boden ab und gelangte in eine sitzende Position. Rückwärts kriechend, hob ich meine rechte Hand.

Wenn ich nur die Wahl hatte, töten oder getötet werden, so wählte ich das Leben. Ich konzentrierte meine Magie und rief: »Wind -« Vor meinem inneren Auge sah ich abermals mein erstes Opfer sterben. Nein, ich wollte nie wieder töten. Mitten im Wort entschied ich mich anders. »- stoß.«

Durch die Wucht meiner Magie wurde mein Gegner aus dem Lichtkreis der Fackel katapultiert. Ich sah seine schemenhaften Umrisse auf dem Boden aufschlagen. Hatte ich es übertrieben. War ich nun ein zweifacher Mörder?

Als ich sah, wie der Schemen sich aufrappelte, fiel mir ein schwerer Stein vom Herzen. Aber wie sollte es weitergehen? Kaum auf den Beinen, stieß der Goblin einen markerschütternden Schrei aus. Dann rannte er abermals auf mich zu.

Ich durfte ihn nicht töten, konnte es nicht. Auch wenn ich nicht sterben wollte, so würde ich kein zweites Leben nehmen, nur um Meines zu retten.

Ich krabbelte rückwärts und stieß gegen eine Wand. Verdammt, es gab keinen Ausweg mehr. Mittlerweile stand der Goblin abermals mit erhobener Waffe vor mir. Eine seltsame Ruhe breitete sich in mir aus und ich schloss die Augen. Ich hatte mit meinem Leben abgeschlossen.

In diesem Augenblick hörte ich ein helles Bellen. Schlagartig wurde mir bewusst, ich war nicht allein. Lucky und Rogue. Verdammt, was tat ich da?

Ich riss die Augen auf und sah die Keule des Goblins nur Zentimeter vor meinem Gesicht heruntersausen. Wohin hatte das Monster denn gezielt? Mit den Augen folgte ich der Flugbahn des Totschlägers.

Die Erkenntnis traf mich, wie ein Schlag ins Gesicht. Lucky. Die Keule zielte auf Lucky. Um mich zu retten, musste sie ihren Skill Lockvogel eingesetzt haben.

Als ich mir dieser Tatsache bewusst wurde, war es bereits zu spät. Die Keule traf die Fuchsdame im Gesicht. Luckys Körper rollte gut zwei Meter über den Boden.

Mit zitternden Gliedern versuchte meine mutige Kleine, sich auf die Pfoten zu kämpfen. Dann brach sie zusammen. Tränen stiegen mir in die Augen, während Lucky sich in unzählige kleine Lichtpunkte auflöste.

Der Goblin vor mir gab ein ein gackerndes Lachen von sich. Ehe ich mich versah, hatte ich eine Hand erhoben und schrie: »Windschnitt.«

Aufgrund meiner verschwommenen Sicht traf ich nicht richtig. Mit einem blutigen Schnitt quer über die Brust, rannte mein Gegner in die Dunkelheit davon, seine Waffe zurücklassend.

Ich sah zu der Stelle, an der eine Sekunde zuvor noch meine kleine, treue Lucky gestanden hatte. Ich konnte es nicht glauben. Ich wollte es nicht wahrhaben. Sie war tot. Meinetwegen. Für die Dummheit, meinem Gegner Gnade zu erweisen, hatte sie ihr Leben gelassen.

Im nächsten Augenblick war ich auf den Beinen, den Blick starr auf die Umrisse meines fliehenden Feindes gerichtet. Rache. Ich würde bitter Rache nehmen. Für das, was dieses Drecksvieh Lucky angetan hatte, gab es kein Pardon.

Aus dem Schatten sprang Rogue auf mich zu. Seine Lederrüstung war blutverschmiert und seine Dolch glänzend schwarz im Schein der Fackel.

»Wir müssen hier raus!«, schrie er und riss an meinem Arm.

Vollkommen gelassen fragte ich: »Sind deine Gegner tod?«

»Ähm, ja. Aber da sind noch mehr. Ich kann ihr Gelächter hören. Das sind zu viele für uns.«

Ich nickte ihm zu und befahl: »Egal was du tust, bleib hinter mir.«

Vor meinen Augen senkte sich ein roter Schleier. Länger konnte ich meinen Zorn nicht mehr zügeln. Im Vorbeirennen schnappte ich mir die Fackel mit der linken Hand. Wutentbrannt stürmte ich dem fliehenden Goblin hinterher. Bevor ich in der Lage war, einen Zauber einzusetzen, bog mein Gegner nach links ab.

»Komm sofort zurück«, schrie ich ihm hinterher. Natürlich tat er mir nicht diesen Gefallen. Ohne auf meine Umgebung zu achten, folgte ich ihm in einen kleineren Tunnel nach links. Da war er wieder. Ich konnte ihn sehen.

»Windschnitt, Windschnitt«, brüllte ich meinen Zorn heraus.

Der Goblin schrie schmerzerfüllt auf, mindestens einer meiner Zauber hatte ihn getroffen. Jedoch nicht richtig. Laut vor sich hin gackernd, rannte mein Gegner weiter. Langsam kam ich näher, dann stürmte er nach rechts und verschwand abermals aus meinem Sichtfeld.

Ich bog um dieselbe Ecke und da war er, aber er war nicht allein. Vor mir öffnete sich der Gang zu einer geräumigen Höhle, locker fünf Meter im Durchmesser. In der Mitte des von Fackeln erhellten Raumes, stand mein Ziel, drum herum drei weitere Goblins.

Ich bremste und blieb im Eingang stehen. Das Monster vor Augen zu haben, das mir Lucky genommen hatte, ließ mein Blut kochen. Vor lauter Wut begann ich zu zittern.

Meine Gegner lachten ihr grässliches gackerndes Lachen. Offenbar glaubten sie, mich in eine Falle gelockt zu haben. Falsch gedacht. Ich war hier nicht die Beute. Sie waren es.

Ihr Gelächter ließ meinen Zorn überkochen. Ich wollte nur noch eines, sie zerreißen, sie zerfetzen. Ihrem wertlosen Leben ein Ende bereiten.

Ehe ich mich versah, ließ ich die Fackel fallen und überkreuzte beide Hände vor der Brust. Alle zehn Finger gespreizt, die Handflächen auf meine Opfer gerichtet, schrie ich: »Wirbelwind!«

Ein schwacher Windhauch wirbelte durch die Luft. Die Goblins keckerten, dann brach die Hölle los. Im Zentrum der nahezu runden Höhle erschien eine Art Miniatur-Tornado. Den Bruchteil einer Sekunde später dehnte er sich schlagartig aus.

Die überraschten Goblins hatten keine Chance. Sie wurden von den Füßen gerissen und flogen im Kreis umher. Ihr Gelächter wandelte sich in Entsetzensschreie, anschließend in Schmerzenslaute.

Von meinem Wirbelwind aufgenommener Sand, Steine, ja selbst die Keulen meiner Feinde, schossen wie Gewehrkugeln umher. Das Blut der Goblins, aus unzähligen Schnitt und Schürfwunden, färbte meinen Zauber mit schaurigen roten Schlieren.

Das war nicht genug. Noch lange nicht genug. Ich wusste es war vorbei, aber mein logisches Denken kam nicht gegen meinen überquellenden Zorn an.

Ich schrie auf und ließ alle meine Wut in meinen Zauber fließen. Der Wirbelwind explodierte. Meine mittlerweile stummen Gegner wurden in alle Richtungen davon katapultiert. Während sie gegen die Wände krachten, konnte ich ihre Knochen brechen hören.

Dann wurde es dunkel. Mein Zauber hatte alle Fackeln gelöscht, selbst die zu meinen Füßen. Begleitet von allem anderem, was mein Wirbelwind erfasst hatte, schlugen die zerfetzten Leichen meiner Gegner auf dem Boden auf.

Unendliche Finsternis und Stille hüllten mich ein.

Der goldene Ring

Tränen quollen mir unaufhörlich aus den Augen. Nun, da ich all meine Wut auf so spektakuläre Art und Weise rausgelassen hatte, kam die Trauer. Lucky war tot. Ich hatte sie gerächt, aber das würde meinen Liebling nicht wieder lebendig machen.

»Alter, Falter«, kommentierte Rogue meinen Auftritt. »Das mit dem magielosen Magier nehme ich zurück.« Er ging ein paar Schritte und entzündet eine der Fackeln, die auf dem Boden lag.

Mit den Fäusten auf den Boden trommelnd, hatte ich weder die Kraft, den Bengel wegen seiner Ausdrucksweise zu tadeln, noch mich über sein verstecktes Lob zu freuen. Rotz und Wasser heulend, ließ ich meinen Emotionen freien Lauf.

Meine arme liebe Lucky. Von ihr war nicht einmal ein Fellbüschel oder sonst etwas zurückgeblieben, dass ich beerdigen konnte.

»Hey, was ist los mit dir?«, fragte Rogue, während er mich an der Schulter schüttelte.

Verstand der Bengel denn gar nichts? Hatte er nicht gesehen, was passiert war? Was ich angestellt hatte?

Vehement entwand ich mich seinem Griff und schluchzte: »Lucky ist tot.«

Er tätschelte mir die Schulter und redete besänftigend auf mich ein: »Beruhig dich. So schlimm ist das nicht.«

Der hatte Nerven, mir das ins Gesicht zu sagen. Zwischen zwei Schluchzern schrie ich ihn an: »Arschloch.«

»Hey, jetzt komm mal wieder runter. Hör mir doch mal zu.«

»Verschwinde und lass mich in Ruhe, ich will dich nie wieder sehen.« Ich wusste, dass ich ihm Unrecht tat, aber ich konnte nicht anders. Der Schmerz saß zu tief.

Plötzlich riss Rogue meinen Kopf hoch und verpasste mir eine saftige Ohrfeige. In nächsten Augenblick schrie er sich die Seele aus dem Leib.

Entsetzt riss ich die Augen auf. Vor mir auf dem Boden zuckte und zappelte Rogue. Obwohl er offensichtlich Höllenqualen erlitt, konnte ich die Quelle seiner Pein nicht ausmachen.

Zu Stein erstarrt, sah ich ihm zu, wie er sich am Boden wand. Etwa eine Sekunde später erstarben seine Schreie. Kraftlos sackte er in sich zusammen, hin und wieder zuckend im Nachklang seiner Schmerzen.

»Was ist los? Was war das?«, stammelte ich neben mir stehend.

Träge öffnete er ein Auge und sah zu mir auf. »Das war meine Strafe, weil ich dich verletzt habe. Als dein, ähm, Diener darf ich das nämlich nicht.«

Fassungslos konnte ich nur den Kopf schütteln. »Du wusstest, was passieren wird und hast es dennoch getan?«

Frech grinste er mich an. »Ja.«

»Warum?«

Mit einem Schmollmund meinte er: »Damit du mir endlich zuhörst« Schlagartig wurde er ernst. »Lucky ist nicht tot. Beschworene Wesen können nicht sterben. Wenn sie besiegt werden, dann kehren sie lediglich dorthin zurück, wo sie hergekommen sind. Das weiß doch jeder.«

Ich setzte mich auf den Hintern und hielt meine linke Hand hoch. Luckys Ring. In seinem Infofenster gab es einen neuen Eintrag. Ein Countdown zählte von einer Stunde rückwärts.

Das konnte doch wohl nicht wahr sein. Das Ding hatte eine Abklingzeit. Lucky war gar nicht tot? Ich musste nur warten, bis die Zeit um war, dann konnte ich sie wiedersehen? Mir solchen Kummer bereitet zu haben, war unverzeihlich. Na warte, die konnte was erleben.

Erleichtert atmete ich aus. Die ganze Aufregung für nichts und wieder nichts. Jedoch eines hatte mir dieser Kampf demonstriert, mit solchen Kreaturen wie Goblins konnte man nicht reden. Zurecht wurde ein Kopfgeld auf sie angesetzt.

Ich blinzelte Rogue an, der alle viere von sich gestreckt am Boden lag und sich entspannte. »Ich danke dir.«

»Einer muss dir doch sagen, wie der Hase läuft. Da rastest du vollkommen aus und heulst anschließend wie ein Baby.« Er schüttelte den Kopf. »Erbärmlich. Dich kann ich keinen Augenblick alleinlassen.«

Anstelle mit ihm zu schimpfen, streckte ich eine Hand aus und zerzauste ihm seine Haare. Ein Glück, weder er noch ich waren verletzt. Die einzige, die etwas abbekommen hatte, war Lucky und in nicht mal 56 Minuten würde auch sie wieder putzmunter sein.

»Hey, lass das.« Ich dachte gar nicht daran, aufzuhören. Da musste er jetzt durch. Erst als er aufhörte, sich zu wehren, ließ ich von ihm ab.

Ich hob den Blick und sah mich in der ramponierten Höhle um. Da hatte ich ein schönes Durcheinander angerichtet. Mein Blick glitt auf eine der zerfetzten Leichen. »Bist du dir sicher, dass das alle waren?«

»Die Spuren führten alle zu diesem Raum. Ich bin sicher. Diese dämlichen Viecher haben nie gelernt, sich zu verstecken.«

Ich stand auf und sagte streng: »Genug gefaulenzt. Lass uns mal sehen, ob es etwas zum Looten gibt.« Vor meinem geistigen Auge sah ich schon eine Geheimtür voller Schätze.

Mit einem gedehnten Seufzen auf den Lippen sprang Rogue aus dem Liegen in die Knie, stand auf und streckte sich. Im Stillen war ich beeindruckt von dieser Aktion. Ob das an seiner Klasse Dieb lag?

»Manchmal gibst du echt seltsame Worte von dir, aber wenn du damit meinst, etwas abzugreifen, dann bin ich voll bei der Sache.« Diesen Kommentar überging ich einfach mal. Ohne großes Federlesen begann Rogue; die Leichen zu fleddern.

Allein ihm dabei zuzusehen, ließ mir die Galle hochsteigen. Dankend, das nicht selbst tun zu müssen, überließ ich ihm diesen Job. Ich beschränkte mich derweil darauf, versteckte Türen, Geheimgänge und dergleichen zu suchen.

Nach einer Weile fragte ich: »Sag mal, wie beweisen wir die Anzahl der besiegten Goblins?«

Rogue hielt kurz inne und sah mich an. »Woher soll ich das wissen?« Ein fieses Grinsen breitete sich in seinem Gesicht aus, während er einen seiner Dolche zückte. »Ich könnte ihnen die Köpfe abschneiden.«

Nachdenklich nickte ich. »Das sollte als Beweis genügen.«

Rogue blinzelte mich an. Offenbar war sein Vorschlag als Scherz gemeint gewesen. Er zuckte mit den Schultern und machte sich an die Arbeit. Umstandslos landete ein Kopf nach dem Nächsten in meinem Nimmervollen Beutel. Soviel zum Thema: Leichen entsorgen.

Nebenbei fragte ich mich, was wohl geschehen würde, wenn ich den Seesack ins Meer fallen ließe. Laut der Beschreibungen seiner Verzauberungen, müsste er in der Lage sein, das gesamte Meer in sich aufzunehmen. Ein lustiges kleines Gedankenspiel. Aber als Held tat man so etwas nicht. Jedenfalls nicht ohne einen triftigen Grund!

Ich besann mich wieder auf meine Aufgabe. Leider konnte ich keine Schätze aufspüren. Auch Rogue fand nichts Brauchbares. Unsere einzige Beute, neben drei weiteren Fackeln, bestand aus einem kleinen Goldring, den ich mittels Analyse in einer Nische gefunden hatte.

Laut dem Infofenster war er nichts Besonderes, trug aber eine Gravur: In ewiger Liebe Gisela. Erstaunlich, dass Analyse mir sogar das angezeigte. Im spärlichen Licht der Fackel hätte ich die Gravur nie und nimmer erkennen können.

Ich dachte an den Namen auf dem Ring. Gisela, so hieß doch die Wirtin, oder? Bestimmt handelte es sich um eine andere Gisela. Ich bezweifelte doch stark, dass jemand diese miesepetrige Schreckschraube heiraten würde.

*

Nach exakt 26 Minuten verließen wir die Höhle. Woher ich das wusste? Nun ja, ich konnte es einfach nicht lassen, alle paar Sekunden nach Luckys Timer zu sehen. In diesem Zusammenhang vermisste ich mein Handy. Ob es Uhren in dieser Welt gab? Wenn ja, dann sollte ich mir eine zulegen.

Wieder im Freien, leerte jeder von uns einen Wasserschlauch und wir aßen etwas von unserem Proviant. Die Notrationen schmeckten furchtbar, jedoch hatten wir nicht das Geld, wählerisch zu sein. Da die Sonne bereits kurz davor stand, unterzugehen, beeilten wir uns.

Exakt zehn Sekunden bevor Luckys Timer ablief, sagte ich laut: »Stopp.«

Rogues verständnislose Blick ignorierend, zählte ich stumm mit. Als der Timer bei Null ankam, verschwand er. Im selben Augenblick rief ich: »Beschwörung.«

Nervös trat ich von einem Bein aufs andere. Würde es meiner Kleinen gut gehen? Ob sie noch dieselbe war? Unzählige kleine Lichtpunkte vereinten sich zu einer einheitlichen Masse. Einen Augenblick später saß Lucky vor mir im Sand.

Sie schüttelte sich und hob den Blick. Ohne auf Rogue zu achten, der erschrocken einen Schritt seitwärts sprang, stürzte ich mich auf die Fuchsdame. Ich drückte sie an meine Brust, während ich nicht so recht wusste, ob ich wütend oder aufgelöst vor Freude war.

»Tu das nie wieder, hörst du? Ich habe dich so vermisst. Wehe du lässt dich nochmal einfach so besiegen. Lass dich knuddeln.«

Vorsichtshalber hielt Rogue sichtbar Abstand zu mir. Der Bengel war sich offenbar nicht sicher, ob ich den Verstand verloren hatte. Ich wusste ja selbst nicht, was mit mir los war.

Lucky ließ diese Prozedur widerstandslos über sich ergehen. Nach etwa zehn Sekunden hatte sie aber genug. Sie bellte hell auf und ich ließ sie runter. Dabei bemerkte ich zum ersten Mal, das sie sich verändert hatte.

Anstelle eines Schweifes hatte sie nun zwei. War das normal? Schnell warf ich einen Blick auf ihr Infofenster. Ihre Spezies hatte sich geändert dort stand nun: [zweischwänziger Fuchsgeist]. Auch einen neuen Extra Skill hatte sie vorzuweisen: Seelenverbindung I.

Sogleich las ich mir den Infotext zu dieser Fähigkeit durch. Aufgrund der Seelenverbindung zwischen mir und ihr, war Lucky nun in der Lage, alle meine Zauber einzusetzen. Der einzige Nachteil war nur, dass ihre Magie gerade mal zwanzig Prozent der meinen entsprach. Bei Gelegenheit mussten wir das unbedingt austesten.

Ich blinzelte sie an. »Du hast dich weiterentwickelt.« Augenblicklich schnappte ich sie mir abermals und wirbelte lachend mit ihr im Kreis. »Wer ist die Beste? Du bist es.« Anschließend vergrub ich mein Gesicht in ihrem weichen Bauchfell und pustete sie an.

Nebenbei bemerkte ich, wie Rogue seinen Sicherheitsabstand zu mir um weitere zwei Meter erhöhte. Der Kleine war als nächster dran, vorausgesetzt ich bekam ihn in die Finger.

*

Als wir Meerblick erreichten, war die Sonne längst untergegangen. Dabei stellt ich fest, dass diese Welt mehr als einen Mond besaß. Das war mir bisher gar nicht aufgefallen.

Rogue erklärte mir hierzu: »Es gibt sechs verschiedenfarbige Monde. Jeder ist einem anderen Element geweiht und trägt den Namen einer der sechs Drachengottheiten. Feuror der Rote. Erdonir der Gelbe. Lufinor die Grüne. Wasserna die Blaue. Lichtera die Weiße und Schattonir der Schwarze.«

Diese Welt verblüffte mich immer wieder. Auch wenn ich ein Schmunzeln bei diesen sehr einfallsreichen Namen unterdrücken musste.

Da Fiona sicher schon ins Bett gegangen war, steuerten wir direkt auf das Gasthaus Frische Brise zu. Deprimiert dachte ich an meine finanzielle Situation. Ich hatte nur noch acht Drachmen. Rogue und ich würden uns wohl ein Bett für diese Nacht teilen müssen. Das wäre meine Chance, den Bengel mal so richtig durchknuddeln.

Die Tür des Gasthauses war verschlossen. Also mussten wir klopfen. Dementsprechend gut gelaunt war Gisela, als sie uns die Tür öffnete.

»Was soll dieser Aufruhr, mitten in der Nacht?«

»Verzeihung. Unser Auftrag hat etwas länger gedauert, als geplant.« Rasch verbeugte ich mich. »Dürfte ich um ein Zimmer für die Nacht bitten?«

Wütend knirschte sie mit den Zähnen. »Ein Doppelzimmer kostet zwanzig Drachmen.«

Abermals verbeugte ich mich. »Wir nehmen ein Einzelzimmer für fünf Drachmen.«

Sie schüttelte den Kopf. »Zehn Drachmen.«

»Acht, mehr habe ich nicht.« Inständig hoffte ich auf ein Wunder.

Sie warf uns einen strengen Blick zu, dann knurrte sie: »Na schön, kommt rein und seid ja leise. Wehe euch, einer der anderen Gäste beschwert sich.«

Rasch übergab ich ihr mein letztes Geld. Dann wurde ich stutzig. Leise sein? Was glaubte sie denn, was wir vorhatten? Ich warf Rogue einen irritierten Blick zu. Sie meinte doch nicht etwa …?

»Keine Sorge wir wollen nur übernachten. Ich verspreche es.«

Sie rümpfte die Nase und schnaubte: »Das sagen sie alle.«

Auch wenn es mir nicht schmeckte, was sie sich zusammenreimte, würde es wohl nicht viel bringen, weiter auf sie einzureden. Schnell huschten wir in den Schankraum. Mit der Hand an der Tür zum oberen Stockwerk hielt ich inne. Da war doch noch etwas, aber was?

»Entschuldigen Sie die Frage, aber waren Sie mal verheiratet?«

»Wie kannst du es wagen«, schrie sie. Ihre Stimme klang irgendwie seltsam, daher fuhr ich herum. Tatsächlich im schwachen Schein ihrer Kerze sah ich Tränen in ihren Augen schimmern.

Rasch zog ich den goldenen Ring hervor. Ich musste die Situation richtig stellen, bevor sie uns noch rauswarf. »Wir sind Abenteurer und haben heute eine Höhle voller Goblins gesäubert, gar nicht weit weg vom Handelsposten.«

Ihr Blick wurde misstrauisch. Angespannt hielt ich den Ring in die Höhe. »Dort habe ich den hier gefunden. Darauf befindet sich eine Gravur: In ewiger Liebe Gisela.«

Langsam kam sie auf mich zu. Dann, schneller als ich schauen konnte, hatte sie mir den Ring aus den Fingern gerissen. Im schwachen Schein der Kerze begutachte sie ihn.

Plötzlich schluchzte sie auf: »Das ist der Ring meines Mannes. Ich wusst doch, dass diese dreckigen Goblins an seinem Verschwinden Schuld waren. Deshalb habe ich bei der Gilde den Auftrag erteilt, dieses Ungeziefer auszumerzen.«

Gisela hob den Blick, Tränen rannen über ihre Wangen. »Sagt mir, werter Magier, habt Ihr meinen Mann gerächt? Sind die Goblins tot?«

Mit einem dicken Kloß im Hals nickte ich ihr zu. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.

Grob wischte sie sich mit dem Handrücken übers Gesicht. »Wieviel verlangt Ihr für diesen Ring.«

Entsetzt wedelte ich mit den Armen vor der Brust. »Nichts. Er gehörte Ihrem Mann und somit Ihnen. Niemals würde ich dafür Geld von Ihnen verlangen.«

»Bitte, sagt Gisela zu mir. Das ist das Mindeste das ich tun kann.«

Ich grinste sie an und hob einen Finger. »Nur, wenn du mich ab sofort Adrian nennst.«

Sie umschlang mit ihren wulstigen Fingern meine rechte Hand. »Für deine Hilfe und Großzügigkeit bekommt ihr für diese Nacht das beste Zimmer, das ich habe.«

Bevor ich etwas einwerfen konnte, schob sie mich die Treppe hoch und brachte mich in ein großes Zimmer mit Doppelbett. Hinter ihr schlichen Rogue und Lucky herein.

In der Tür stehend, sagte sie mit einem Augenzwinkern: »Ihr könnt ruhig so laut sein, wie ihr wollt. Aktuell seid ihr meine einzigen Gäste.«

Na da schau an. So schnell konnte der Charakter einer Person vom einen ins andere Extrem schwenken. Dennoch gefiel mir ihre Anspielung nicht. »Wir sind kein Paar.«

»Natürlich nicht.« Mit diesen sarkastischen Worten fiel die Tür ins Schloss.

Ich warf die Hände in die Luft. Großartig. Von nun an würde ich als Kinderschänder angesehen werden. Dabei hatte ich doch gar nichts getan. Rogue war viel zu jung. Zugegebenermaßen ein recht putziges Kerlchen, aber dennoch zu jung.

Deprimiert ließ ich mich auf mein Bett sinken. Es war zu spät. Der Stein war bereits ins Rollen geraten. Leise vor mich hinschimpfend, zog ich mich aus und warf meine Sachen über einen Stuhl, der neben dem Bett stand.

»Komm, lass uns schlafen, der Tag war lang und ich bin müde.«

Erst jetzt bemerkte ich Rogues angespannte Haltung. Dachte er etwa auch so über mich? Das durfte doch wohl nicht wahr sein.

»Ich sage es jetzt nur ein Mal.« Mühsam hielt ich meine Stimme im Zaum. »Ich habe keinerlei Interesse daran, mit dir intim zu werden. Das Bett ist groß genug für uns beide. Entweder wir schlafen, jeder auf seiner Seite oder du kannst auf dem Boden übernachten. Mir egal.«

Nach dieser Ansage schmiss ich mich mit dem Rücken aufs Laken und klopfte mir auf die Brust. »Kommst du Lucky?«

Binnen eines Wimpernschlages hatte ich meine süße Kleine auf mir sitzen. »Wer ist ein braves Mädchen?«

Lucky verdrehte die Augen, bellte aber zustimmend. Dafür hatte sie eine Belohnung verdient. Sie hinter den Ohren kraulend, sah ich mich nach Rogue um.

Noch immer stand er in der Nähe der Tür, offensichtlich unentschlossen, ob er mir glauben konnte.

Ich seufzte und sagte mit freundlicher Stimme: »Hör mal zu. Ich bin dein Meister, wenn ich tatsächlich mit dir schlafen wollte, dann könnte ich es dir befehlen, oder? Tue ich aber nicht.«

Verunsichert biss er sich auf die Unterlippe.

»Wie wäre es mit dem Vorschlag, sollte ich versuchen, über dich herzufallen, dann darfst du mich gerne kastrieren. Bist du nun überzeugt?«

Langsam kam Rogue auf das Bett zu. Anscheinend wollte er sicherheitshalber mit voller Montur schlafen. Dem musste ich leider einen Riegel vorschieben: »Nichts da, runter mit den Klamotten. Du legst dich nicht mit dieser nach Goblin stinkenden und blutverkrusteten Kleidung in dieses saubere Bett.«

Ich sah genau, wie er zu zittern begann. Mit einem milden Lächeln schlug ich ihm vor: »Wenn es dich beruhigt, dann leg dir einen deiner Dolche unters Kopfkissen. Dagegen habe ich nichts. Vorausgesetzt, der Dolch ist sauber!«

Anschließend wandte ich mich Lucky zu. Noch mehr konnte der Bengel nicht von mir verlangen. Während ich mich ausgiebig um die Bedürfnisse meiner kleinen Fuchsdame kümmerte, sah ich aus den Augenwinkeln, wie sich Rogue aus seiner Ledermontur schälte.

Ich widerstand der Versuchung, zu ihm zu sehen. Der Kleine hatte schon genug Angst vor mir, da wollte ich seine Fantasie nicht noch anheizen.

Nachdem wir endlich alle im Bett lagen, gähnte ich laut auf. »Gute Nacht, Rogue. Gute Nacht, mein kleiner Liebling.«

Von Lucky bekam ich ein leises Bellen, bevor sie sich auf meiner Brust einrollte. Rogue hingegen blieb stumm. Für die erste Nacht würde ich mich damit zufriedengeben. Ich wollte nur noch schlafen.

Rasch hob ich die Hand und löschte mit einer Bewegung das Licht. Endlich konnte ich meine wohlverdiente Ruhe genießen.

Die große Reise

»Oh, wie ich sehe, störe ich. Ich werde später wiederkommen.« Am Rande des Traumlandes hörte ich diese Worte, konnte mir aber keinen Reim darauf machen. Bei was stören?

Noch immer müde, zog ich die Wärmequelle neben mir ein Stückchen näher an mich heran. Ich fühlte mich pudelwohl und wollte noch nicht aufwachen.

Plötzlich erklang ein helles Bellen. Ich riss die Augen auf. Auf meinem Bauch stand Lucky. Sie starrte wütend auf ein schwarzes, unförmiges Ding, das mich halb auf meiner Schulter, halb auf meiner Brust liegend, als Kissen missbrauchte.

Was ging denn hier ab? Ich blinzelte den Schlaf weg. Schlagartig erkannte ich eines von Rogues Katzenohren. Es zuckte unruhig direkt vor meiner Nase, im Schein der aufgehenden Sonne.

Der Bengel hatte sich frecherweise in der Nacht an mich gekuschelt. Damit hatte ich nicht gerechnet. Nach nur zwei Tagen in dieser neuen Welt, war sein Anblick noch immer fremdartig für mich.

Lucky hob den Blick und sah mich vorwurfsvoll an. Ich war unschuldig. Als hätte sie meine Gedanken gelesen, nickte sie zu meiner rechten Hand.

Diese hatte ich um Rogue geschlungen und ihn somit an mich gedrückt. Auch dafür konnte ich nichts. War es denn ein Verbrechen, gerne zu kuscheln? Ich für meinen Teil habe das immer schon leidenschaftlich gern getan. Außerdem sollte sich Lucky in diesem Punkt bloß nicht beschweren. Sie war es doch, die sich keine fünf Sekunden nach ihrer ersten Beschwörung, an mich gekuschelt hatte.

Beleidigt sah sie mich an und plusterte sich auf. Ehe ich sie aufhalten konnte, bellte sie mehrmals laut hintereinander. Abermals beschlich mich das ungute Gefühl, Lucky könnte meine Gedanken lesen.

Rogue, geweckt von diesem Lärm, hob den Kopf und wurde sich unserer Positionen bewusst. Im nächsten Augenblick schwebte ein Dolch an meiner Kehle. Das durfte doch alles nicht wahr sein. Innerlich konnte ich nur heulen. Womit hatte ich das verdient? Ich hatte doch nichts getan, ich war unschuldig!

*

Angefressen nahm ich an meinem Tisch im Schankraum Platz. Auf dem Stuhl mir gegenüber ließ Rogue betreten den Kopf hängen, während Lucky versuchte, auf meinen Schoß zu springen.

»Nein«, fuhr ich sie scharf an. »Heute bleibst du auf dem Boden. Das ist die Strafe für dein Verhalten.«

Demonstrativ hob ich den Blick. Nein, ich würde nicht einknicken. Um mich von ihrem wehleidigen Bellen abzulenken, knöpfte ich mir Rogue vor.

»Und nun zu dir.« Ich sah, wie er zusammenzuckte und seufzte auf. Im Grunde hatte er nichts falsch gemacht, dennoch sollte ich da etwas richtigstellen. Mit freundlicher Stimme redete ich weiter: »Hör mal, Rogue. Ich habe echt nichts dagegen, wenn du mit mir kuschelst, rein platonisch versteht sich.«

Er sah auf und ich hob streng einen Finger. »Allerdings habe ich keine Lust, mich jeden Morgen einem deiner Dolche gegenüberzusehen. Du warst es, der zu mir gekommen ist, nicht andersrum. Behalte diese Tatsache bitte im Hinterkopf.«

Ich sah genau, wie er rot anlief und beschämt den Blick senkte. Mit meiner kleinen Ansprache, sollten die Fronten geklärt sein.

In diesem Augenblick erschien Gisela, einige dampfende Schüsseln in den Armen tragend. »Guten Morgen, ihr drei. Ich hoffe, ihr habt gut geschlafen.«

Ihre Betonung, sowie das wissende Grinsen sagten alles. Damit war auch geklärt, wessen Stimme mich kurz zuvor geweckt hatte.

»Guten Morgen, Gisela«, erwiderte ich bemüht freundlich. Am liebsten würde ich die Situation richtig stellen, aber wie? Sie hatte mich und Rogue eng umschlungen im Bett erwischt, aus der Nummer kam ich wohl nicht mehr raus.

Während Gisela unseren Tisch belud, sagte ich schnell: »Entschuldige bitte, aber das kann ich mir nicht leisten. Ich besitze keine einzige Drachme mehr.«

»Das geht aufs Haus«, sagte sie freundlich und stellt eine Schüssel, gefüllt mit kleinen Fleischstücken, vor Lucky auf den Boden.

Sie sah mir in die Augen, ein seliges Lächeln im Gesicht. »Nach drei Monaten der Ungewissheit, konnte ich endlich Abschied von meinem Mann nehmen und die Nacht durchschlafen. Nehmt dieses Essen als meinen Dank an.«

Ehe ich etwas erwidern konnte, schritt sie leicht tänzelnd davon. Von der ehemaligen Schreckschraube war nichts mehr übrig geblieben.

Ich zuckte mit den Schultern. Wer war ich, ein Gratisessen auszuschlagen? Rasch sagte ich: »Guten Appetit«, dann machte ich mich über das Frühstück her. Zur Feier des Tages gab es Rührei mit Speck.

*

Nachdem wir uns die Bäuche vollgeschlagen hatten, statteten wir der Gilde einen Besuch ab.

»Guten Morgen, werte Abenteurer. Wie ich hörte, haben Sie Ihre erste offizielle Mission mit Bravour bestanden. Sie sind sicher gekommen, um ihren Lohn abzuholen.«

Direkt vor dem Tresen griff ich in meinen Seesack. »Guten Morgen, Fiona. Ganz recht. Wir haben acht Goblins ausgeschaltet. Hier sind die Beweise.« Mit diesen Worten stapelte ich die blutigen Köpfe unserer Gegner auf die Arbeitsplatte.

Obwohl sie mittlerweile schon knapp einen halben Tag im Nimmervollen Beutel verweilten, waren sie noch immer so frisch, als hätte Rogue sie erst vor wenigen Minuten abgetrennt. Demnach funktionierte die Verzauberung Zeitlos einwandfrei. Wieder ein erfolgreicher Test.

Während das Blut sich auf dem Tresen verteilte, machte Fiona große Augen. Mit krächzender Stimme merkte sie an: »Ich würde es vorziehen, wenn Sie das nächste Mal lediglich die Ohren mitbringen würden.«

Ich nickte ihr gut gelaunt zu und nahm unseren Lohn entgegen, satte achtzig Drachmen. Lange würden die zwar nicht reichen, aber es war ein Anfang. Fröhlich vor mich hin pfeifend, wandte ich mich dem schwarzen Anschlagbrett zu.

»Verzeihen Sie, werter Magier, heute Morgen kam ein neuer Auftrag für den Silberrang herein. Es wurde explizit nach Ihnen verlangt.«

Ich drehte mich zu Fiona um. »Um was geht es?«

»Der fahrende Händler Garret hat Sie als Eskorte angefordert. Ziel sind mehrere Dörfer im Wolfswald. Pro Tag stellt er Ihnen ein Honorar von einhundert Drachmen in Aussicht. Die voraussichtliche Reisedauer hin und zurück beträgt sechs Tage.«

Nachdenklich ließ ich mir diesen Auftrag durch den Kopf gehen. 600 Drachmen auf einen Schlag. Mit so viel Geld würden wir eine Weile über die Runden kommen. Allerdings wären wir sechs Tage unterwegs, und das auch nur dann, wenn nichts dazwischenkam.

Unser Budget betrug achtzig Drachmen. Davon würde einiges, wenn nicht sogar alles, für die Reisevorbereitung draufgehen.

Ich sah zu meinen beiden Begleitern. »Was meint ihr?«

Während Rogue mit glitzernden Augen zustimmte, sah mich Lucky niedergeschlagen an. Das von mir ausgesprochene Streichelverbot setzte ihr offenbar stark zu. Dieser verdammte Welpenblick gehörte verboten. Ich konnte nicht anders und knickte ein.

»Na komm schon her.« Ich breite die Arme aus. Einen Augenblick später klebte Lucky an meiner Brust. Leise flüstere ich ihr zu: »Ich hoffe, das war dir eine Lektion.« Ich räusperte mich und fragte: »Also, was ist nun mit dem Auftrag?« Glücklich mit den Schweifen wedelnd, nickte sie mir zu.

Damit war es beschlossene Sache. Zusätzlich nahm ich noch die drei Sammelaufträge Rang Selenit an. Wenn wir eh schon in den Wolfswald mussten, konnten wir diese nebenbei gleich mitnehmen.

Meine streichelbedürftige Fuchsdame kraulend, sah ich zu, wie Fiona alle Aufträge bestätigte.

*

Im Kontor belud ich meinen Seesack mit allem, was wir für unserer Mission benötigen würden: zwölf Notrationen, sicher war sicher, einen Beutel mit frischem Fleisch für Lucky, zwei Schlafsäcke und ein altes, aber noch brauchbares Zelt. Abzüglich der Kosten von 62 Drachmen, blieben mir noch 18 Goldstücke als eiserne Reserve.

Vor den Augen des überraschten Händlers stopfte ich alles in meinen Seesack. Angst vor einem Diebstahl hatte ich keine mehr, wusste ich doch, was den Täter erwartete.

Kaum war das Zelt im Inneren des Nimmervollen Beutels verschwunden, wurde ich angesprochen: »Da ist er ja, mein Retter in der Not.«

Garret eilte mit einem breiten Lächeln auf den Lippen auf mich zu. Ich hatte schon geahnt, dass er sich hier im Kontor aufhalten würde. Wo denn auch sonst?

»Schön dich zu sehen, alter Geizhals«, grüßte ich ihn.

Irritiert blinzelte er mich an. »Aber, aber. Womit habe ich mir denn diese Ansprache verdient?«

Das wusste er nicht? Dann sollte ich ihn besser schleunigst aufklären. Gespielt streng hob ich einen Finger und erklärte: »Ganz einfach. Bei deiner ersten Eskort-Mission hast du mir hundert Drachmen für einen halben Tag angeboten. Jetzt sind es hundert pro Tag. Hinzu kommt noch die Tatsache, dass wir zu dritt sind. Sprich, du zahlst mir lediglich ein Sechstel des ursprünglichen Preises.«

Wir starrten uns gegenseitig in die Augen, dann begann er zu lachen. »So gesehen hättest du vollkommen recht, jedoch muss ich dich leider auf einige Fehler in deiner Rechnung aufmerksam machen. Du und deine kleine, beschworene Füchsin gelten als eine Einheit. Was den Auftrag an sich betrifft, so habe ich lediglich eine bestimmte Person angefordert. Wie viele Abenteurer du zusätzlich mitnimmst, ist daher nicht meine Angelegenheit.«

Mein Ehrgeiz war geweckt, noch war ich nicht bereit, das Handtuch zu werfen. Rasch warf ich ein: »Damit sind wir immer noch beim halben Preis.«

Garret grinste mich verschlagen an und nickte. »Das stimmt. Jedoch hat mir Fiona bereits mitgeteilt, dass du den Auftrag angenommen hast. Damit hast du dich mit der Vergütung einverstanden erklärt.«

Väterlich klopfte er mir auf die Schulter. »Sieh es als eine gute Lektion für die Zukunft. Wärst du zuerst zu mir gekommen, hätten wir über eine Sonderabsprache feilschen können.«

So ein Mist aber auch. Ich zuckte mit den Schultern. Im Grunde hatte ich eh nicht daran geglaubt, einen besseren Deal aushandeln zu können. Jedoch war es gut zu wissen, dass die Möglichkeit bestand, eine Sonderabsprache mit dem Auftraggeber zu vereinbaren.

Ich musste dringend lernen, wie man richtig feilschte, bevor die Händler mich mit Haut und Haaren verschlangen.

Entwaffnet hob ich die Arme: »Gut, ich gebe mich geschlagen.« Dann legte ich ihm meinerseits eine Hand auf die Schulter. »Während unserer Reise könntest du mir alles beibringen, was ich zum Thema Handeln und Feilschen wissen muss. Bestimmt wirst du deinem Lebensretter diesen kleinen Wunsch erfüllen. Einverstanden?«

»So langsam verstehst du, wie der Hase läuft.« Abermals lachte Garret laut auf, dann schlug er ein. »Einverstanden.«

Nachdem diese Angelegenheit geklärt war, wurde ich wieder ernst. »Ich nehme an, dieser Auftrag hat etwas mit deiner verfrühten Rückkehr zu tun?«

Bestätigend nickte Garret. »Da liegst du goldrichtig. Unerklärlicherweise sind die Wölfe auf einmal sehr viel aggressiver als sie sein sollten. Ohne Geleitschutz habe ich es nicht einmal zu der Stelle geschafft, an der wir uns getroffen haben. Gerade noch so, konnte ich den Wölfen mit heiler Haut entkommen.«

Stolz reckte ich die Brust. »Mit uns an deiner Seite brauchst du dir um die Wölfe keine Sorgen mehr zu machen.«

»So, so.« Garrets Blick fiel auf Rogue, der mit gesenkem Kopf rechts neben mir stand.

Rasch warf ich ein: »Das ist Rogue. Er -«

Energisch unterbrach mich Garret, indem er eine Hand hob. »Sonja hat mir alles erzählt.« Garret fixierte den Jungen mit den Augen.

Ich stieß Rogue an und zischte ihm aus den Mundwinkeln zu: »Entschuldige dich bei ihm.«

Trotzig schüttelte der Bengel den Kopf. Unter meinem strengen Blick gab er dann aber doch nach.

Mit einer leichten Verbeugung murmelte Rogue: »Ich entschuldige mich dafür, dich bestohlen zu haben.« Er fuhr zu mir herum. »Bist du nun zufrieden?«

Bevor ich etwas sagen konnte, klatsche Garret in die Hände. »Das wollte ich hören. Entschuldigung angenommen. Von mir aus können wir aufbrechen.«

Was war denn jetzt los? Tonlos fragte ich: »Einfach so?«

Zum dritten Mal lachte Garret laut auf. »Solange der Kleine seine diebischen Finger bei sich behält, habe ich keine Probleme mit ihm. Leben und leben lassen, das ist mein Motto. Er hat gestohlen und wurde angemessen bestraft. Ich hege keinen weiteren Groll gegen ihn.«

Bei dieser Aussage fiel mir ein schwerer Stein vom Herzen. Ich hatte angenommen, dass es wesentlich schwerer werden würde, Garret zu besänftigen. Vor allem nach seiner Schimpftirade auf Rogue.

Nachdem die Fronten geklärt waren, begann unsere Reise in den Wolfswald.

*

Die erste Etappe der Reise verlief friedlich. Während ich neben Garret auf dem Bock saß, hörte ich ihm aufmerksam zu. Er hielt tatsächlich Wort und führte mich in die hohe Kunst seiner Zunft ein.

Auf halbem Weg zum Wald dröhnte mir bereits der Kopf. Egal, wie oft Garret es mir erklärte, ich bekam das Feilschen nicht in meinen Schädel.

Ich sprang vom fahrenden Wagen und sah mich nach Rogue um. Als ich in fand, winkte ich ihn zu mir. »Du bist dran mit Sitzen.« Mit dem Daumen deutete ich auf den leeren Platz neben Garret.

Verständnislos starrte er mich an. »Echt jetzt? Ich muss nicht den ganzen Weg laufen?«

Ich schüttelte den Kopf und wuschelte ihm über die Haare. »Hoch mit dir, bevor ich es mir anders überlege. Und schön brav sein, verstanden?«

»Ich bin immer brav.« Frech streckte er mir seine Zunge raus, dann sprang er auf den fahrenden Wagen.

Kopfschüttelnd sah ich ihm hinterher. Mit diesem Frechdachs würde ich noch meine liebe Not haben. Aber eines war sicher. Solange er an meiner Seite war, würde mir nie langweilig werden.

Während Rogue meinen Platz auf dem Bock einnahm, setzte ich mit Garret das Gespräch fort. Irgendwie würde ich es schon noch schaffen, hinter das Geheimnis des Handelns zu kommen.

*

Direkt am Waldrand wurden wir von vier Wölfen angegriffen. Mit meinem ersten Zauber tötete ich einen Feind, während Rogue vom Bock sprang und gleich zwei Wölfe mit nur einer gedrehten Schraube erledigte.

Zur Überraschung aller, war es Lucky, die dem Vierten den Garaus machte. Dabei verwendete sie wie ich den Windschnitt. Zwar war ihre Magie deutlich schwächer als meine, aber um einem Wolf die weiche Kehle aufzuschneiden, reichte ihre Kraft aus.

Spielend einfach hatten wir die erste Hürde gemeistert, dennoch blieb ich wachsam. Mit diesem Wald stimmte etwas nicht, dass konnte ich spüren.

Nachdem wir uns vom Kampf erholt und ich Lucky für ihre Leistung ordentlich gelobt hatte, setzten wir unsere Reise fort. Rogue und ich wechselten uns erneut auf dem Bock ab und augenblicklich sprang mir Lucky auf den Schoß. Eine Weile ließ sie sich kraulen, dann schlief sie ein.

*

Langsam rollte der Karren den schmalen Feldweg entlang. Seit einiger Zeit hatte keiner mehr etwas gesagt. Eine drückende Stimmung herrschte um uns her. Dieser Wald hatte eindeutig etwas Gruseliges. Ich erwartete hinter jedem Baum einen Axtmörder oder ähnliches vorzufinden.

Seufzend schüttelte ich den Kopf. So langsam ging meine Fantasie mit mir durch. Um etwas zu tun zu haben, hob ich den Blick. Angestrengt versuchte ich zu ermitteln, wie spät es war, indem ich zwischen den Blättern der Baumkronen hindurch nach der Sonne suchte. Ein erfolgloses Unterfangen.

Plötzlich zuckte Lucky auf meinem Schoß zusammen. Schnell sah ich zu ihr. »Alles ok bei dir? Hattest du einen schlechten Traum?«

Sie schüttelte den Kopf und bellte mich mehrmals laut an. Ich hob eine Augenbraue. Was war nur los mit ihr? Ging es meinem kleinen Liebling nicht gut? Sollte ich Garret um eine Pause bitten?

Im nächsten Moment rappelte Lucky sich auf. Während sie sich ruckartig umsah, begann sie böse zu knurren. Als ich ihr gesträubtes Fell sah, wurde mir klar, was sie die ganze Zeit versucht hatte, mir zu sagen. Etwas stimmte nicht.

»Rogue, Achtung. Lucky wittert eine Gefahr.«

Gerade noch rechtzeitig hob ich den Kopf und sah mich um. Da bemerkte ich eine Bewegung im Augenwinkel. Ein Wolf sprang von rechts aus einem dichten Busch heraus, genau auf mich zu.

Reflexartig hob ich meine rechte Hand und schrie: »Windstoß.«

Mitten im Sprung wurde der Wolf von meiner Magie erfasst. Mit einem lauten Jaulen krachte er gegen einen Baum. Neben dem dumpfen Aufschlag, hörte ich, wie seine Knochen brachen.

Nebenbei riss Garret an den Zügeln und brachte den Karren zum Stehen. Den Händler vollkommen ausblendend, konzentrierte ich mich auf den Kampf.

Einer war erledigt. Rasch sah ich mich weiter um. Einige Meter vor uns auf dem Weg schoss ein zweiter Wolf von links hinter einem Baum hervor.

Bevor ich in der Lage war, meine Hand zu heben, flog etwas Silbernes durch die Luft, auf den Wolf zu. Mitten in der Bewegung brach das Tier zusammen und schlitterte über den Weg. Zwischen seinen Augen ragte der Griff eines Dolches hervor.

»Meiner«, rief Rogue, hörbar erfreut. »Drei zu zwei, du lahme Schnecke.«

Was glaubte dieser Bengel, was er da trieb? Einfach so seine Waffe werfen. Dann noch seine Worte. Das hier war doch kein Spiel! Allerdings hatte ich gerade andere Sorgen, als mit ihm zu schimpfen.

Mittlerweile hatte Lucky aufgehört zu knurren. Ruhig saß sie auf meinem Schoß und suchte meinen Blick. Ihrem Gebaren nach zu urteilen, waren wir in Sicherheit.

Dennoch konnte ich nicht anders, als nachzufragen: »Lucky, bist du dir sicher, dass wir alle Wölfe erwischt haben?«

Überschwänglich nickte sie mir zu. Dann sah sie mich mit ihren großen, blauen Augen erwartungsvoll an. Offenbar hoffte sie auf eine Belohnung.

Während ich sie hinter den Ohren kraulte, sah ich mir ihren Charakterbogen an. Sie hatte einen neuen Extra Skill vorzuweisen: Spürsinn.

Mit dieser Fähigkeit war sie in der Lage, feindliche Absichten in der näheren Umgebung zu erahnen. Selbst Lügen oder Betrügereien konnte sie damit durchschauen.

Mein rechter Mundwinkel zuckte leicht. Lucky war zu so etwas wie einem Gegner-Radar mutiert. In Zukunft würde uns dieser Skill sicherlich sehr nützlich sein.

»Wir müssen den Wolf von der Straße holen oder wir kommen nicht durch«, seufzte Garret neben mir und machte Anstalten, aufzustehen.

»Bleib sitzen, das ist unsere Arbeit«, sagte ich zu ihm. Froh, dem harten Holz eine Weile zu entkommen, sprang ich, Lucky mir voran, vom Wagen.

Kurz streckte ich mich, dann eilte ich auf Rogue zu, der damit beschäftigt war, seinen Dolch aus dem Schädel des Wolfes zu ziehen.

Während wir zu zweit den Kadaver von der Straße zogen, hörte ich, wie sich Garret leise beschwerte: »Eine Schande ist das.«

Nebenbei fragte ich: »Was meinst du?«

»Ich rede von den Wolfsfellen. Die bringen gutes Geld, aber wir haben weder die Zeit, sie zu häuten noch können wir sie so mitnehmen. Der Karren ist bereits voll beladen.«

Rogue und ich sahen uns an.

»Denkst du, was ich denke?«, fragte ich ihn.

»Goblin-Köpfe sind das eine, aber so ein Wolf wiegt locker sechzig Kilo. Du wirst den Seesack nicht mehr heben können.«

Verschmitzt grinste ich ihn an und sagte: »Das Gewicht ist kein Problem. Ich frage mich nur, ob wir sie in den Beutel bekommen.«

Meine Bedenken erwiesen sich als unbegründet. Es war zwar ein wenig Arbeit, aber wir schafften es, beide Wölfe durch die sehr dehnbare Öffnung in meinen Seesack zu stopfen.

Schade nur, dass Garret das nicht schon früher gesagt hatte. Am Waldrand lagen noch vier potenzielle Goldesel - langsam verwesend am Wegesrand.

Ungläubig starrte der Händler mich an, als ich mich neben ihn setzte. »Wie, was?«, stammelte er und gestikulierte zu meinem Seesack.

Mit strenger Miene starrte ich ihn nieder. »Ich bin ein Magier!«

Geplant war diese Aussage zwar als Scherz, aber sie funktionierte so gut, dass ich es damit auf sich bewenden ließ.

Garret sah augenblicklich wieder nach vorne und trieb hastig den Ochsen an. Wahrscheinlich war es besser, die Leute im Unklaren zu lassen. Einen Magier zu bestehlen, bedeutet zwar den Tod, jedoch war mein Seesack derart besonders, dass es der eine oder andere dennoch versuchen würde, sollten sie erfahren, wie mächtig der Nimmervolle Beutel war.

*

Bis zum Abend mussten wir uns noch weitere zweimal gegen Wölfen behaupten. Da Lucky uns ihm voraus warnte, waren beide Kämpfe keine große Sache. Mittlerweile achteten wir sogar darauf, das Fell der Viecher möglichst heil zu lassen. Am Ende hatte ich satte neun Wölfe in meinem Seesack eingelagert. Ein netter kleiner Bonus, wie ich fand.

Kurz vor Einbruch der Nacht erreichten wir einen großen Findling, der direkt neben dem Weg stand. Garret steuerte den Karren neben den Stein. »Gerade noch so geschafft.«

Irritiert sah ich mich um. »Warum halten wir? Und was haben wir geschafft?«

Mit freundlicher Stimme erklärte er mir: »Hier werden wir die Nacht verbringen. Dieser Stein markiert den Rastplatz. Keine Sorge, hier sind wir absolut sicher. Kein Wolf oder sonst irgendwas Gefährliches kann sich dem Stein nähern. Er ist magisch, musst du wissen.«

Magisch, sagte er. Das würde ich überprüfen. Mit Analyse betrachtete ich den Findling. Der Fels selbst hatte keine besonderen Eigenschaften, wohl aber ein kleiner Kristall der an der Spitze angebracht war. Dieser war mit einer Verzauberung versehen worden: Angstaura.

Laut Infofenster war der Effekt folgender: Alle Feinde, die in den Wirkungsradius eindrangen, wurden in Angst und Schrecken versetzt, wodurch sie kopflos die Flucht ergriffen.

Das klang echt sehr praktisch. Jedoch warf es einige Fragen auf. Während wir vom Bock abstiegen, wandte ich mich an Garret: »Sag mal, warum platziert ihr nicht mehr von diesen Steinen auf dem Weg?«

Der Händler schüttelte betreten den Kopf. »Das ist eine Frage der Kosten. Die benötigten magischen Kristalle sind derart selten, dass es schlicht und ergreifend zu teuer wäre, auch nur einen weiteren dieser Steine im Wald zu platzieren.«

Garret hob den Blick und sah zu dem Findling. »Dieser Stein wurde von Felix dem Weisen gespendet, einem sehr mächtigen Magier. Wenn du Glück hast, könntest du den Weisen sogar treffen. Seine Residenz ist eines unserer Ziele.«

Ich machte große Augen. »Wirklich? Ich könnte mit einem echten Magier reden?«

Gutmütig grinste Garret mich an. »Ich dachte, du bist ein echter Magier.«

Schnell korrigierte ich mich: »Ja, aber ich bin erst Novize. Kannst du mich ihm vorstellen?«

Ein Weiser. Erstaunlich. Ich wusste zwar nicht, was das genau bedeutete, aber ich war mir sicher, dass dieser Mann sehr viel auf dem Kasten hatte. Bestimmt könnte er mir neue Zauber beibringen und mir so manche Dinge erklären.

»Tut mir leid, das kann ich nicht machen. Weder ich noch sonst wer, den ich kenne, hat den Weisen je zu Gesicht bekommen. Er ist sehr menschenscheu. Gerüchten zufolge, hat er seine Residenz seit Jahren nicht verlassen.«

Diese Worte verpassten mir einen Dämpfer. Ich seufzte schwer vor mich hin. Es wäre so schön gewesen, einen anderen Magier zu treffen. Da würde ich wohl warten müssen, bis ich genügend Geld für die Reise zur Hauptstadt angespart hatte, oder ich müsste auf mein Glück vertrauen.

Während Garret den Ochsen am Findling festband, damit dieser grasen konnte, holte ich mein Zelt hervor. Gemeinsam mit Rogue baute ich das klapprige Ding auf. Gerade so passten die beiden Schlafsäcke ins Innere.

Ohne Zeit mit dem Ausziehen zu verschwenden, krabbelte ich auf mein Lager für diese Nacht und legte mich auf den Rücken. Natürlich saß keine Sekunde später Lucky auf meiner Brust. Die anbrechende Nacht war angenehm kühl. Genau so, wie ich es bevorzugte.

Aber, da fehlte doch einer. Rasch warf ich einen Blick durch die offene Zeltplane. Rogue stand unsicher vor dem Eingang.

Ich verdrehte die Augen und sprach ihn an: »Komm rein, oder bleib draußen. Es ist deine Entscheidung.«

Mehr hatte ich nicht zu sagen. Das Spielchen der letzten Nacht würde ich kein zweites Mal mitmachen. Also machte ich es mir bequem und schloss die Augen.

Herzhaft gähnte ich auf. Anschließend sagte ich träge: »Gute Nacht, Lucky. Gute Nacht, Rogue. Gute Nacht, Garret.«

Ich hörte noch, wie mein Liebling mir mit einem hellen Bellen antwortet, dann schlief ich auch schon ein.

Das Monster

Als ich am nächsten Morgen die Augen öffnete, sah ich mich einem Deja Vu gegenüber. Abermals hatte Rogue sich in der Nacht an mich gekuschelt und missbrauchte mich als Kopfkissen.

Noch schliefen Lucky und er, allerdings fiel mir kein Ausweg aus dieser Situation ein. Ich hob meine linke Hand, die Rechte war unter Rogue begraben und begann, Lucky zu streicheln.

Gähnend öffnete sie ihre Augen. Sofort fiel ihr Blick auf den schwarzen Wuschelkopf, der wohl ihrer Meinung nach, dort nicht hingehörte.

Sie rappelte sich auf und wollte gerade anfangen zu bellen, als sie meinem mahnenden Blick begegnete. Verstimmt schnaubte Lucky und sprang, ohne einen Laut von sich zu geben, aus dem Zelt.

Erleichtert atmete ich auf. Der ersten Katastrophe entkommen, stupste ich Rogue an. »Aufstehen du Klammeraffe. Meine Arm ist schon ganz taub.«

Er riss den Kopf hoch und starrte mir ins Gesicht. Dann lief er knallrot an. So schnell er konnte, krabbelte er verlegen dreinsehend von mir weg.

Immerhin kein Dolch am Morgen, dachte ich mir und hob meinen eingeschlafenen rechten Arm. Mehrmals öffnete und schloß ich die Finger, um wieder Leben hineinzubekommen.

Um ihm zu zeigen, dass ich ihm nicht böse war, wuschelte ich Rogue über den Kopf. »Guten Morgen, Kleiner.«

So beschämt, wie er den Blick abwandte, erwartete ich keine Antwort. Ohne einen weiteren Kommentar krabbelte ich aus dem Zelt, dem Ruf der Natur folgend. Rogue würde sich schon noch daran gewöhnen. Das musste er, wenn er weiterhin derart anschmiegsam war.

*

Etwa eine halbe Stunde später waren wir bereit, unseren Weg fortzusetzen. Um Zeit zu sparen, würden wir unterwegs frühstücken.

Ich lief neben dem Karren und sah mich aufmerksam um. Lucky dagegen hatte es vorgezogen, auf der anderen Seite des Wagens zu laufen. Noch immer eingeschnappt, würdigte meine kleine Diva mich keines Blickes. Mal sehen, wie lange sie das durchhalten würde.

Nebelschwaden stiegen vom Boden her auf, die dem Wald eine noch gespenstischere Atmosphäre verpassten als er ohnehin schon besaß.

Wir hielten nur an, um den Ochsen zu tränken, oder wenn einer von uns sich erleichtern musste. Je weiter der Tag voranschritt, desto nervöser wurde Lucky, und somit wir alle.

Mittlerweile hatten Rogue und ich wieder getauscht. Ich saß neben Garret auf dem Bock, Lucky hingegen auf meinem Schoß. Innerlich grinste ich in mich hinein. Bei der Wahl: Kuscheln oder weiterhin beleidigte Leberwurst Spielen, hatte sie sich sehr schnell dafür entschieden, zu mir zu kommen.

In unregelmäßigen Abständen stand sie auf und schlug Alarm, nur um sich einen Augenblick später wieder zu setzen. Die ganze Zeit über zuckten ihre Schweife, sowie die spitzen Ohren unruhig umher.

Nach dem dritten Fehlalarm fragte mich Garret: »Was ist los mit ihr?«

Nachdenklich legte ich den Kopf in den Nacken. »So wie sie sich verhält, befinden sich ein, oder mehrere Wölfe knapp außerhalb ihrer Wahrnehmung. Ich befürchte, die Viecher testen unsere Verteidigung.«

Ich sah zu meinem Liebling hinab. »Jedes Mal, wenn sich ein Wolf nähert, schlägt Lucky an, worauf der Wolf sich wieder zurückzieht. Stimmt das so?«

Die Fuchsdame nickte mir kurz zu, dann zuckte ihr Kopf nach rechts. Ihr Alarm-Bellen erklang. Dieses Mal jedoch beruhigte sie sich nicht wieder. Knurrend, mit gesträubtem Fell, bewegte sie langsam den Kopf von rechts nach vorne.

Da war unser Feind. Etwa zehn Meter vor uns sprintete ein Wolf von rechts nach links über den Weg.

»Vergiss es«, knurrte ich und hob eine Hand. Dieses Vieh hatte uns lange genug geärgert. Ich ließ meiner Wut freien Lauf und zielte in den Wald hinein.

Genau in dem Augenblick, in dem der Wolf verschwand, schrie ich: »Wirbelwind.«

Versteckt hinter den Büschen und verborgen vom Nebel wütete meine Magie. Begleitet von einem lauten Jaulen hörte ich Holz splittern, sowie das Geräusch von mehreren aufeinandertreffenden Dingen, begleitet von einem lauten Tosen des Windes.

»Treffer«, frohlockte ich und beendete meinen Zauber.

Während Lucky sich beruhigte, fielen unzählige kleine und ein größeres Etwas auf den Waldboden, so hörte es sich jedenfalls an. Sehen konnte ich nichts.

Mit ratloser Stimme fragte mich Rogue: »Soll ich den Wolf einsammeln gehen?«

»Nein«, entschied ich, beim Gedanken daran, was dieser Zauber mit den Goblins angestellt hatte. »Das Fell wird ruiniert sein. Lass das Vieh liegen.«

»Ok, Boss.«

*

Kurze Zeit später bogen wir nach links vom Hauptweg ab. Schon von Weitem sahen wir einen kleinen Zaun, sowie das weit geöffnete Tor, auf das wir zusteuerten. Als wir unser erstes Ziel erreichten, fanden wir das kleine Fischerdorf verlassen vor. Gespenstische Stille antwortete auf unsere Rufe.

Die kleinen strohgedeckten Hütten, vor der Silhouette des Meeres, hätten einen wunderschönen Anblick darstellen können. Bei der aktuellen Lage fühlte ich mich aber eher in einen Horrorfilm versetzt. Die überwiegend offenstehenden Haustüren offenbarten, dass die Bewohner in Eile aufgebrochen waren. Etwas hatte sie vertrieben, aber was?

Rasch lenkte Garret den Wagen zurück zur Straße. Wir alle wollten hier so schnell wie möglich weg. Auch das zweite Dorf, das wir hätten beliefern sollen, fanden wir verlassen vor.

»Wo sind denn alle?«, fragte ich, als wir den einfachen Hütten den Rücken gekehrt hatten.

»Ich habe da so eine Vermutung«, meinte Garret geheimnisvoll.

Der Nebel hatte sich zwar vor einer ganzen Weile gelichtet, dennoch hatte der Wald nichts von seiner bedrohlichen Ausstrahlung eingebüßt. Ratternd fuhren wir weiter. Die nächsten zwei Abzweigungen ignorierend, folgten wir dem Hauptweg.

»Dort vorne ist das Dorf, in dem der Weise wohnt«, verkündete Garret nach einer Weile. »Dort sollten wir mehr erfahren.«

Ich nickte geistesabwesend, während mich ein ungutes Gefühl beschlich. Je näher wir dem Dorf kamen, desto unruhiger wurde Lucky auf meinem Schoß. Kurz darauf konnte ich Rogue beobachten, wie er sich mit zuckenden Ohren immer wieder ruckartig umsah. Am Ende spürte selbst ich die Bedrohung. Wie nasse Finger kroch mir ein kalter Schauder den Rücken hoch. Wir hätten den Wald nie betreten dürfen!

Ein Torbogen, größer als die der anderen Fischerdörfer, kam in Sicht. Darüber konnte ich etwas schweben sehen. Entgeistert deutete ich darauf und fragte laut: »Was ist das?«

Garret warf mir einen seltsamen Seitenblick zu. »Das ist ein beschworener Windgeist. Hoffe ich zumindest. Sollte es sich um einen wilden Windgeist handeln, dann haben wir ein echtes Problem.«

Wir behielten den Windgeist im Auge und fuhren langsam weiter. Von Nahem konnte ich das Wesen besser erkennen. Der Windgeist bestand aus rund einem Dutzend kleiner, grünlicher Kristalle, die kreisförmig um einen giftgrünen runden Kern schwebten. Stetig in Bewegung hatte das Wesen etwas sehr Faszinierendes an sich.

Am Liebsten hätte ich den Windgeist näher untersucht, aber er schwebte locker fünf Meter vom Boden entfernt in der Luft. Bestimmt würde er mir nicht den Gefallen erweisen, runterzukommen, nur um meine Neugierde zu befriedigen. Ob ich auch so etwas beschwören konnte? Vielleicht sollte ich das mal versuchen.

In dem Augenblick, als wir das Tor passierten, sprang Lucky von meinem Schoß, auf die abgedeckten Waren. Sie bellte hell auf und sträubte das Fell.

Ich folgte ihrem Blick und sah sechs Wölfe auf uns zurennen. Bevor ich auch nur einen Finger rühren konnte, zischten mehrere Zauber durch die Luft. Zwei Wölfen wurde der Kopf abgeschlagen. Ein Weiterer verlor ein Bein, stolperte und rutschte winselnd über den Boden.

In wilder Hast rannten die restlichen Wölfe davon, ihren Kameraden zurücklassend. Abermals flog ein Zauber durch die Luft. Das mitleiderregende Wimmern des verletzten Gegners erstarb augenblicklich.

Langsam hob ich den Blick. Direkt über dem Wagen schwebte der Windgeist. War er das gewesen? Die angewandte Magie war eindeutig der Zauber Windschnitt, nur um einiges stärker als der meine.

Fassungslos starrte ich den stummen Wächter an. Zum Glück war dieses Wesen auf unserer Seite. Nicht auszudenken, wenn der Windgeist uns mit dieser gewaltigen Kraft angegriffen hätte.

Ich hörte das Getrappel unzähliger Leute, weshalb ich meinen Blick wieder nach vorn richtete. Von überall her kamen Tiermenschen angerannt. Die meisten waren Katzenmenschen, doch konnte ich auch zwei Fuchsmenschen erkennen.

Während einige wenige Garret freundlich ansprachen, schrien die meisten wild durcheinander. Nur vereinzelt verstand ich einige Sätze bei all dem Lärm.

»Ein Glück, dass es dir gut geht Garret.« - »Seht die Abenteurer sind gekommen.« - »Unsere Retter sind hier.« - »Wir sind in Sicherheit!« - »Dank sei dem Licht.«

Rasch zügelte Garret den Ochsen, da wurden wir auch schon von der Meute eingeschlossen. Was zum Teufel wollten die alle von uns?

So schnell er konnte, sprang Rogue hinter mir auf den Wagen und brachte sich in Sicherheit. Lucky knurrte und biss nach allen Fingern, die es wagten, sich mir zu nähern.

Auf einmal übertönte eine laute Stimme das Geschnatter der Menge: »Seid ruhig!«

Alle Köpfe wandten sich um. Dort, sich einen Weg durch die Menge bahnend, kam ein Bärenmensch auf uns zu. »Macht Platz. Gebt ihnen Luft zum Atmen.«

Widerwillig ließ die Meute von uns ab und bildete einen Kreis um den Wagen herum.

Der männliche Bärenmensch trat von der Seite auf mich zu. »Seid herzlich willkommen, werte Abenteurer. Ich bin Gustav, der Dorfvorsteher. Bitte fühlt Euch wie zuhause.«

Gustav verbeugte sich knapp vor mir und Rogue. »Sicher wollt Ihr euch von der beschwerlichen Reise erholen, bevor Ihr an die Arbeit geht. Schnell, holt unseren Rettern Speis und Trank.«

Verständnislos starrte ich den braunhaarigen Muskelmann an. Ich hatte das Gefühl, im falschen Film gelandet zu sein. Natürlich wäre ich von dieser Begrüßen mehr als geschmeichelt gewesen, wenn ich nicht den deutlichen Verdacht hätte, dass hier eine Verwechslung vorlag.

»Entschuldigen Sie bitte«, begann ich, um Worte ringend.

Gustav hob den Kopf und kratzte sich verlegen am Hals. »Oh, ich verstehe. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Leider kann ich Ihnen nicht genau sagen, wo sich der Alphawolf zurzeit aufhält.«

»Alphawolf?«, echote ich blinzelnd.

Er überging meinen Einwurf und verbeugte sich abermals. »Bitte erlöst uns von diesem Monster.«

Bevor ich noch etwas sagen konnte, beugte sich Garret vor. »Gustav, ich glaube hier liegt ein Missverständnis vor. Ich habe diese beiden Abenteurer angeheuert. Ihre Aufgabe ist es, mich auf meiner Tour zu beschützen. Davon einen Alphawolf zu bezwingen, war nie die Rede.«

»Oh«, brummte der Dorfvorsteher. Betreten ließ er die Schultern sinken. So schnell wie wir umringt waren, zerstreute sich die Menge um uns herum. Viele schüttelten die Köpfe oder sahen zu Boden. Sie alle sahen maßlos enttäuscht aus.

Die Dorfbewohner taten mir leid. Aber was sollte ich machen? Die Regeln der Gilde besagten, ein aktiver Auftrag musste erst beendet werden, bevor ein neuer angenommen werden durfte. Sammelaufträge bildeten hierbei eine Ausnahme. Außerdem war das eine Angelegenheit der Ehre.

Dennoch konnte ich nicht anders. Ich wandte mich an Garret: »Können wir denn gar nichts für die Leute tun?«

Der Händler biss sich auf die Unterlippe. »Ich fürchte nicht. Aber wir können uns zumindest anhören, was er zu sagen hat.«

Gustav neben mir nickte. »Ich danke dir, Garret. Kommt mit. Lasst uns in meiner Hütte weiterreden.«

*

Kurze Zeit später saßen wir im Halbkreis auf dem Boden vor Gustav. Hier gab es weder einen Tisch noch Stühle. Nahe des Eingangs befand sich ein kleiner Steinofen. Kochstelle, sowie Heizung in einem, wie ich vermutete.

Außer einem geräumigen Holzbett und einem kleinen Kleiderschrank gab es nichts zu sehen, in dieser Einzimmerhütte.

Während ich nebenbei Lucky streichelte, erklärte Gustav uns die Lage.

Seit gut einem Monat nahmen die Angriffe der Wölfe stetig zu. Anfangs dachten sich die Bewohner der verschiedenen Dörfer nichts dabei. Sie verdoppelten die Wachen, mehr wurde nicht unternommen.

Dann vor zirka einer Woche wurden Gerüchte laut, dass ein gewaltiger Wolf sein Unwesen im Wald treiben würde. Abermals verdoppelten die Dörfer die Wachen und schickten einen Hilferuf an die Gilde.

Drei Tage später, genau der Tag, an dem ich diese Welt betreten hatte, änderte sich alles. Die Aggressivität der Wölfe erhöhte sich sprunghaft. Außerdem agierten sie viel intelligenter, als sie sein sollten.

Eines der umliegenden Dörfer wurde in der Nacht überrannt. Kein einziger Bewohner überlebte. Nachdem dieses Ereignis die Runde machte, verließen alle ihre Häuser und suchten hier im Dorf des Weisen Schutz.

»Gestern Morgen haben wir ein weiteres dringendes Hilfegesuch an die Abenteurergilde geschickt. Seitdem harren wir aus und warten auf unsere Rettung. Jeder Versuch, das Dorf zu verlassen, war ein Fehlschlag. Wir leben nur noch, dank des Schutzes der ehrenwerten Charlotte.«

Ich stieß Garret an und fragte flüsternd: »Wer ist das?«

Anstelle des Händlers antwortete Gustav: »Sie ist die Enkelin von Felix dem Weisen. Die ehrenwerte Charlotte lebt mit ihrem Großvater sehr zurückgezogen. Seit Jahren schon hat niemand einen der beiden gesehen.«

»Den Windgeist über dem Tor, den hat sie beschworen, richtig?«, sprach ich meine These laut aus.

Gustav nickte. »Ja, dieser Windgeist, sowie drei weitere sind vor drei Tagen über der Residenz des Weisen erschienen. Seitdem beschützen sie uns vor den Wölfen.«

Seltsam. Warum nahmen die Dorfbewohner an, dass die Windgeister von Charlotte beschworen wurden? So wie ich die Sache sah, hätte das auch der Weise tun können. Irgendetwas entging mir bei dieser Angelegenheit.

Zu meiner Schande musste ich mir eingestehen, dass ich versäumt hatte, den Windgeist zu analysieren. Ansonsten wüsste ich nun, wer ihn beschworen hatte.

Schnell schüttelte ich den Kopf. Das spielte keine Rolle. Viel wichtiger war die Frage, wie es weitergehen sollte.

Ich sah zu Garret. »Wärst du damit einverstanden, wenn wir uns um den Alphawolf kümmern würden?«

Nachdenklich schürzte der Händler die Lippen, dann hob er den Blick. »Gustav, korrigiere mich, wenn ich falsch liege, aber ein Alphawolf ist doch ein Gegner für eine Zweiergruppe des Silberranges, oder?«

Der Dorfvorsteher seufzte schwer auf. »Lass mich etwas weiter ausholen, um dir die Lage zu erklären. Wie du sicher weißt, wird der Wolfswald alle paar Jahre von einem Alphawolf heimgesucht.

Normalerweise ist das keine große Sache. Wir melden sein Auftauchen der Abenteurergilde und eine Zweiergruppe des Silberranges erlegt das Biest.

Aber, dieses Exemplar ist anders. Noch nie hat ein Alphawolf derartige Schäden angerichtet. Um ganz sicher zu gehen, haben wir nach einem Abenteurer auf dem Goldrang gerufen.«

Verdammt. Das war eine Nummer zu groß für uns. Mit erwartungsvollem Blick sah Gustav zwischen mir und Rogue hin und her.

Entschuldigend winkte ich ab: »Es tut mir sehr leid, aber wir sind noch Anfänger. Ich bin im Silberrang und Rogue ist im Rang Selenit.«

Maßlose Enttäuschung machte sich in Gustavs Gesicht breit. Er zuckte mit den Schultern. »Da kann man wohl nichts machen.«

In diesem Augenblick stürmte ein Katzenmensch zur Tür hinein. Atemlos rief er: »Gustav, das musst du dir ansehen. Eine Horde Wölfe blockiert die Straße.«

Hastig standen wir auf und liefen dem Mann hinterher zum Tor. Dort angekommen, riss ich die Augen auf. Die gesamte Straße bestand aus einer wogenden Masse an Wölfen. Da sie sich ständig bewegten, in den Wald sprangen und durch andere ersetzt wurden, schätzte ich, dass wir es mit locker vierzig Gegnern zu tun hatten.

Offenbar waren mehrere Rudel hierhergekommen, um uns anzugreifen. Noch hielten sie Abstand. Die Frage war nur, wie lange noch?

Aus dem Wald schälte sich ein gewaltiger Schatten, locker viermal so groß wie seine Kameraden. Es war ein blutroter Wolf. Majestätisch schritt er mitten auf die Straße, erst dann würdigte er uns eines Blickes.

So langsam verstand ich, warum dieser Alpha auf Rang Gold eingestuft wurde.

Nach Luft schnappend, stammelte Gustav: »Was ist das denn für ein Monster? Ein Alphawolf sieht anders aus.«

Irritiert sah ich in die erschrockenen Mienen um mich herum. Dann wandte ich mich wieder dem Monster zu. Wenn dieses Vieh kein Alphawolf war, was war es dann?

Ich ließ mir sein Infofenster anzeigen und las tonlos vor: »Das ist ein Schreckenswolf.«

Angelockt von dem Aufruhr, hatten sich einige Dorfbewohner um uns versammelt. Kaum waren meine Worte verklungen, brach Panik aus. Schreiend rannten sie davon: »Wir sind verloren.« - »Rennt um euer Leben.« - »Ein Schreckenswolf!«

Garret packte mich am Arm, sein Gesicht war kreideweiß. »Ich flehe dich an, sag mir, dass das ein Scherz war.«

Ich verstand nicht, was er auf einmal hatte. Zugegeben das rote Wölfchen sah echt gefährlich aus, aber dieses Verhalten fand ich dann doch übertrieben. »Das ist kein Scherz. Ich kann seinen Namen sehen. Aua, du tust mir weh. Lass los.«

Wie wild fuchtelte er zu dem Wolf hin. »Wenn du die Wahrheit sagst, dann sind wir alle des Todes. Für einen Schreckenswolf benötigen wir mindestens zwei Malachit-Abenteurer.«

Ich riss die Augen auf und sah zu dem roten Giganten. Das durfte doch wohl nicht wahr sein. Gegen so ein Monster hatten wir nicht den Hauch einer Chance.

Der Weise

»Verzeihung, dürfte ich Sie kurz stören?«, fragte eine mir unbekannte Stimme. Ich drehte mich um und sah mich einem adrett gekleideten, älteren Wolfsmenschen gegenüber.

Der Mann verbeugte sich vor mir und sagte: »Mein Herr, wünscht Sie umgehend zu sprechen, werter Magier.«

»Mich?«, rutschte es mir raus.

Er hob eine Augenbraue. So wie er mich ansah, kam ich mir echt dämlich vor, immerhin war ich der einzige Magier hier. Um meine Verlegenheit zu überspielen, fragte ich: »Wer bist du? Und wer ist dein Herr?«

»Verzeiht mir. In der Eile vergaß ich mich vorzustellen.« Abermals verbeugte er sich. »Ich bin Klaus. Der Butler von Felix dem Weisen.«

Felix der Weise wollte mich sehen? Ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt für ein Kaffeekränzen. Ratsamer wäre es, höflich abzulehnen, da ich es mir nicht mit dem Weisen verscherzen wollte. »Ich fühle mich sehr geehrt, aber wir haben gerade eine Ausnahmesituation. Vor den Toren des Dorfes steht ein Schreckenswolf.«

»Mein Herr ist sich der aktuellen Lage sehr wohl bewusst. Aus diesem Grund wurde ich beauftragt, Euch umgehend zu ihm zu geleiten.«

Klaus wandte sich an Gustav. »Leider muss ich ihnen mitteilen, dass Fräulein Charlottes Windgeister einem Schreckenswolf nicht allzu lange standhalten werden. Daher hat mein Herr befohlen, die Tore seiner Residenz zu öffnen. Alle Dorfbewohner sollen sich umgehend auf das Anwesen meines Herrn begeben.«

Mit einer weiteren Verbeugung sagte Klaus: »Wenn der werte Magier und sein Gefolge mir bitte folgen würden. Die Zeit drängt.«

Ich warf Rogue und Garret einen fragenden Blick zu. Beide zuckten ratlos mit den Schultern. Damit war es an mir, eine Entscheidung zu treffen. Leise seufzte ich auf, dann wandte ich mich dem Butler zu. »Geh voran Klaus, wir folgen dir.«

*

Auf der linken Seite des Dorfes führte ein steiler Weg eine Bergflanke hinauf. Verdeckt hinter einigen hohen Bäumen, thronte die Residenz des Weisen. Wie der Handelsposten Meerblick stand die Festung, wie ich dieses Bauwerk betitelte, auf einer Landzunge.

Rein strategisch gesehen, war das optimal. Von drei Seiten mit steilen Klippen umgeben, wurde es auf der Landseite von einer dicken Steinmauer effektiv geschützt.

Hinter dem Burgtor, anders konnte ich den Eingang nicht bezeichnen, befand sich ein schöner, gepflegter Schlossgarten. Ein breiter Schotterweg führte zu dem imposanten Hauptgebäude. Bestehend aus gehauenem Stein, drei Stockwerke hoch und mit fünf spitz zulaufenden Türmen versehen.

Am eindrucksvollsten war der Zentralturm, der seine Brüder in den Schatten stellte und hoch in den Himmel ragte. Von dort oben hatte man sicher einen wunderschönen Blick auf das Meer sowie auf das Fischerdorf und seine gesamte Umgebung.

Alles hier strahlte eine deutliche Erhabenheit aus. Es schrie einem quasi ins Gesicht, hier wohnt eine wichtige, mächtige und wohl auch reiche Person. Ich empfand diese Residenz dem Titel Weisen als sehr angemessen.

Schnurstracks schritt Klaus voran in die offenstehende Eingangshalle. Dort drehte er sich zu uns um. »Händler Garret, bitte wartet hier. Mein Herr empfängt nur die werten Abenteurer.«

Schnell warf ich Garret einen entschuldigenden Blick zu. Dieser zwinkerte und sagte: »Geh nur. Den Weisen solltet ihr nicht warten lassen, immerhin hat er noch nie jemanden zu sich gerufen.«

Langsam nickte ich. Anschließend folgten Rogue, Lucky und ich Klaus ins dritte Stockwerk. Dort angekommen, musste ich erstmal Luft holen. Ich hasste sportliche Betätigungen, das hatte sich durch meine Wiedergeburt nicht geändert, Treppensteigen zählte dazu.

Geduldig wartete Klaus, bis ich mich erholt hatte, dann führte er uns zu einer großen Doppeltür. Vor dieser verbeugte er sich und sagte, mit der Hand auf die Tür deutend: »Mein Herr erwartet euch bereits.«

Zeit, dem Weisen meine Aufwartung zu machen. Innerlich war ich gespannt wie ein Flitzebogen. Wie er wohl war? Ich würde es gleich erfahren.

*

Das Zimmer hinter der Doppeltür lag im Halbdunkeln. Die linke Seite wurde von einem gewaltigen Bücherregal eingenommen. Ihm gegenüber, etwa fünf Meter vor mir, befand sich ein Himmelbett. Aufgrund der zugezogenen Vorhänge konnte ich nur dunkel den Umriss einer Person ausmachen.

Neben mehreren kleinen Tischen, zwei gemütlichen Sesseln und einem Balkon, der zum Meer hin zeigte, war der große Raum recht spärlich eingerichtet. Dennoch strahlte er eine gewisse Geborgenheit aus.

Vielleicht lag das an den dicken roten Teppichen, verziert mit Goldfäden, die fast den gesamten Boden bedeckten. Oder aber an dem Kamin, neben dem Bett, in dem ein gemütliches Feuer brannte.

»Ich danke euch, dass ihr meine Einladung angenommen habt«, erklang eine altersschwache Stimme vom Bett her. »Seid willkommen, in meinem bescheidenen Zuhause, Adrian, Rogue und Lucky«

Ich verneigte mich leicht und erwiderte: »Seid gegrüßt, Weiser.« Rogue hingegen blieb stumm. In Anbetracht seines sonst üblichen Benehmens, entschied ich, ihn gewähren zu lassen.

»Bitte, bitte, nur keine Umstände. Sagte Felix zu mir. Des Titels Weiser bin ich schon lange nicht mehr würdig.«

Er war viel netter, als ich es erwartet hatte. Auch klang seine Stimme sehr freundlich. Eine Schande nur, dass ich keinen direkten Blickkontakt mit ihm hatte. Wenn seine Skills so gut waren wie sein Haus, dann mussten sie der Hammer sein.

»Darf ich erfahren, warum du uns zu dir gerufen hast, Felix.« Es fühlte sich seltsam an, einen offenbar älteren, vollkommen Fremden zu duzen. Vor allem wenn diese Person den Titel Weiser trug.

»Bevor ich dir das beantworte, muss ich dir eine Gegenfrage stellen. Weiß dein Sklave über dein altes Leben Bescheid?«

Felix wusste es. Mir stockte das Blut in den Adern, ganz sicher hatte ich sämtliche Farbe im Gesicht eingebüßt. Er wusste, wer beziehungsweise was ich war.

Hastig warf ich einen Seitenblick zu Rogue. Noch hatte ich die Chance, mein Geheimnis vor ihm zu bewahren. Allerdings waren wir so etwas wie Freunde, so sah ich es zumindest. Wir hatten gemeinsam gekämpft, unser Leben riskiert, das Essen und zweimal das Nachtlager geteilt.

Ich runzelte die Stirn. Das war meine Gelegenheit, reinen Tisch zu machen. Dennoch musste ich mich schützen und vorsichtig vorgehen.

Langsam sprach ich ihn an: »Rogue, es gibt da ein paar Dinge, die ich dir nicht erzählt habe. Wenn du bleibst, musst du mir versprechen, mein Geheimnis zu bewahren. Andernfalls bitte ich dich, zu Garret in die Eingangshalle zu gehen.«

Rogue warf mir einen seltsamen Blick zu. »Ich verspreche dir, niemandem etwas zu sagen.« Plötzlich grinste er mich an. »Erfahre ich jetzt, warum du manchmal so seltsam bist, komisches Zeug redest und, was es mit deinem Beutel auf sich hat?«

In der Annahme, dass das alles nun ans Licht kommen würde, sagte ich: »Solltest du nach diesem Gespräch noch weitere Fragen haben, beantworte ich sie dir gerne, sobald wir Zeit haben, Deal?«

»Deal.«

Augenblicklich wandte ich mich dem verhangenen Bett zu. Einfach so die Pistole auf die Brust gedrückt zu bekommen, behagte mir nicht. »Rogue ist nicht mein Sklave, sondern mein Freund. Außerdem wüsste ich gerne, was hier gespielt wird. Woher weißt du über mich Bescheid?«

Felix seufzte auf. »Das Temperament der Jugend. Eins von vielen Dingen, die ich vor langer Zeit verloren habe.«

Ein krächzendes Lachen erklang. »Nun zu deinen Fragen. Ich habe dich aufgrund deiner drei Extra Skills zu mir kommen lassen. Einen davon besitze ich ebenfalls. Dreimal darfst du raten, welcher es ist.«

Meine Pupillen weiteten sich. Ich wusste genau, welchen Skill er meinte: Analyse. Der alte Sack hatte mich vollkommen durchschaut, gleichsam aber verhindert, dass ich dasselbe mit ihm tun konnte. Ein verzwickte Angelegenheit.

Ich hatte es zwar schon geahnt, aber nun wusste ich es, Felix war kein Dummkopf. Ihn als Gegner zu haben, wäre äußerst lästig.

»Wie ich sehe, kennst du die Antwort.«

»Du siehst mich?«, fragte ich verwirrt.

»Selbstverständlich.«

Ein schemenhafter Umriss schwebte hinter dem Vorhang, auf eben diesen zu. Zum Vorschein kam ein mittelgroßer Spiegel, der durch die Luft schwebte. Sogleich warf ich einen Blick auf das Infofenster.

Der Spiegel war mit zwei Verzauberungen belegt: Levitation und Fernsicht. Erstere ließ ihn von selbst schweben, zweitere ermöglichte es dem Besitzer, alles im Umkreis von zwei Kilometern zu beobachten und sogar zu hören.

Lautlos glitt der Spiegel zurück zu Felix, während er sagte: »Bei dir kann ich mir eine Erklärung wohl sparen. Bestimmt weißt du bereits, was der Spiegel kann.«

»Ach ja? Ich aber nicht«, mischte sich Rogue von der Seite her ein. »Hört gefälligst auf, in Rätseln zu sprechen, das gilt für euch beide.«

Bevor ich etwas sagen konnte, meinte Felix. »Komm schon, erzähl uns deine Geschichte, Adrian. Sollte mir gefallen, was ich zu hören bekomme, dann akzeptiere ich dich als meinen Schüler. Mit meiner Hilfe wirst du den Schreckenswolf in die Knie zwingen. Wie hört sich das an?«

Was geschehen würde, wenn Felix nicht zufrieden wäre, ließ er aus. Die Situation gefiel mir nicht. Ich sollte einem, mir völlig Unbekannten vertrauen, ohne eine Absicherung. Verdammt noch mal. Das hatte Felix geschickt eingefädelt. Aber welche Wahl hatte ich denn?

Ohne seine Hilfe würde ich weder gegen die Horde an Wölfen, und schon gar nicht gegen den Schreckenswolf ankommen. Mir blieb keine andere Möglichkeit, als alle Karten auf den Tisch zu legen und auf das Beste zu hoffen.

Für einen kurzen Augenblick schloss ich die Augen und atmete einmal tief durch. Anschließend erzählte ich Rogue und Felix meine Geschichte.

Ich begann mit meiner Reise nach Paris, über meine Begegnung mit dem Götterdrachen und wie ich in dieser Welt gelandet war, bis hin zum heutigen Tag.

Hin und wieder warf ich Rogue einen Seitenblick zu. Erst sah er ungläubig drein, dann schottete er sich ab. Ich hatte weder eine Ahnung, was in ihm vorging, noch wie es zwischen uns weitergehen sollte.

Nachdem ich geendet hatte, herrschte einige Sekunden Schweigen. Dann sagte Felix: »Wirklich faszinierend. Deine Geschichte übertrifft meine Erwartungen bei weitem. Auch kann ich keine Lügen oder Halbwahrheiten erkennen. Wie unsere Vorfahren stammst auch du von der Erde.«

Einen Moment, was hatte der Alte da gerade gesagt? »Die Menschen auf diesem Planeten stammen von der Erde? Meiner Erde?«

Felix Stimme wurde nachdenklich. »Das könnte sein. Deine Erzählung ergänzt einige unserer bisherigen Thesen. Aufgrund der schier unendlichen Anzahl von Dimensionen innerhalb des Multiversums, gebietet die Wahrscheinlichkeit, dass unsere Vorfahren ebensogut von einer ähnlichen, aber dennoch anderen Erde stammen könnten als du. Soviel jedenfalls zur Multiversums-Hypothese.«

Plötzlich unterbrach die weinerliche Stimme eines Mädchens unser Gespräch: »Dieses rote Biest hat Funkelstern erwischt.«

Ich zuckte zusammen. Das musste dann wohl Charlotte sein. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie Rogue und Lucky sich überrascht umsahen. Keiner von uns Dreien hatte ihre Anwesenheit bemerkt. Rasch ließ ich meinen Blick schweifen, jedoch konnte ich sie selbst mit Analyse nicht aufspüren.

»Das war der Windgeist über dem Haupttor oder?«, fragte Felix.

Die Dorfbewohner waren in Gefahr. Wütend ballte ich die Hände zu Fäusten. Was sollte ich schon tun? Ich war viel zu schwach, um mich mit dem Schreckenswolf anzulegen. Angespannt hörte ich weiter zu.

»Ja.« Im Hintergrund hörte ich Charlotte schluchzen.

Hinter dem Vorhang des Bettes sah ich eine Bewegung. Dann sagte Felix: »Die Evakuierung ist noch nicht abgeschlossen. Wir benötigen mehr Zeit. Schick Glimmer, um die Leute zu beschützen.«

Charlotte gab ein Kichern von sich. »Du meinst wohl Schimmer. Glimmer kämpft bereits.«

Frustriert schnaubte Felix: »Dann eben Schimmer. Für mich sehen die alle gleich aus.«

»Hm«, brummte Charlotte. »Hältst du das für eine gute Idee? Ich traue den Dreien nicht. Was wenn sie versuchen, uns anzugreifen?«

Redete sie über uns? Ich konnte nur den Kopf schütteln. Als ob wir in der Lage wären, es mit einem Weisen oder Charlotte aufzunehmen. Ihre Windgeister konnten uns mit nur einem Windschnitt in kleine Stücke schneiden.

Streng tadelte Felix seine Enkelin: »Die Drei stellen keine Gefahr für uns da.« Ganz meine Rede. »Tu, was ich sage, Charlotte. Die Leben der Dorfbewohner stehen auf dem Spiel.«

Erleichtert stieß ich den Atem aus. Auf Felix war Verlass. Immerhin er verstand es, Prioritäten zu setzen, im Gegenzug zu seiner wohl recht jungen Enkelin.«

»Ja, doch. Ich mach ja schon, du alter Griesgram«, nörgelte Charlotte. War sie eingeschnappt? Wie alt war sie bitte schön?

Über mir nahm ich eine Bewegung wahr. Ich riss den Kopf hoch und sah einen Windgeist, der rasant auf den Balkon zuschoss. Wo kam der denn auf einmal her? Ich sah zurück zur Tür. Schimmer hatte wohl über der Tür im Halbdunkeln gelauert, bereit, uns Dreien jederzeit den Garaus zu machen.

Unglaublich. Ich war beeindruckt und beleidigt zugleich. Wie ich es bereits geahnt hatte, war Felix eine nicht zu unterschätzende Person. Charlotte hingegen konnte ich noch nicht einschätzen. Ihrer Verhaltensweise und Namenswahl ließ mich schließen, dass sie noch sehr jung war.

»Ah«, schrie sie plötzlich auf. »Lass Flimmer in Ruhe, du Scheusal. Nimm das, und das. Und das auch noch.«

Vom Bett her feuerte Felix sie an. »Pass auf, da kommen noch welche von rechts. Ja, genau so. Das ist meine Enkelin. Zeig den Wölfen, mit wem sie sich angelegt haben.«

Wo war ich denn hier gelandet? Meine Mundwinkel zuckten. Die ganze Situation war derart surreal, dass ich nicht an mich halten konnte. Halb belustigt, halb der Verzweiflung nahe, breitete sich ein Grinsen in meinen Gesicht aus. Wo sollte das nur enden?

»Die beiden haben sie doch nicht mehr alle«, kommentierte Rogue das Geschehen. Dabei machte er sich nicht die Mühe, seine Stimme zu senken. Innerlich konnte ich nur den Kopf schütteln, aber so war dieser rotzfreche Bengel nunmal.

»Rogue«, sprach ich ihn an, »Ich weiß, du hast so einiges zu hören bekommen, aber ist alles in Ordnung zwischen uns?«

Mit einem seltsamen Ausdruck in seinen Augen sah er mich an. »Du sagtest, ich sei dein Freund. War das ernst gemeint?«

Nach allem, was ich erzählt hatte, fragte er das? Sollte das ein Scherz sein? Erwartungsvoll sah er mich an. Kein Scherz. Offenbar interessierte ihn meine Antwort sehr. Vorsichtig sagte ich: »Ja, das war mein Ernst.«

Ein breites Grinsen breitete sich in seinem Gesicht aus. »Danke.«

»Wofür bedankst du dich?«, fragte ich ihn irritiert.

Er zuckte mit den Schultern und wechselte das Thema: »Hättest du etwas dagegen, wenn ich den Dorfbewohnern helfe? Hier dumm rumzustehen, gefällt mir nicht.«

Einen Augenblick dachte ich über seine Bitte nach. Felix und Charlotte waren in ihrer eigenen Welt. Auch für mich gab es hier nichts zu tun. Aus diesem Grund entschied ich: »Ich komme mit.«

»Wartet«, hielt uns Felix auf. Anschließend sprach er uns beide nacheinander an: »Adrian, ich bitte dich, hier zu bleiben. Wir haben noch einiges zu besprechen. Rogue, wenn du helfen willst, geh zu Klaus in die Eingangshalle. Bleib aber bitte im Inneren des Gebäudes.«

»Du hast mir gar nichts zu sagen, Opa«, fauchte Rogue den Weisen an.

Rasch mischte ich mich ein. »Lass es gut sein, ich komme später nach.«

Rogue nickte mir zu. »Wie du willst.« Dann stürmte er aus dem Raum.

Anschließend bot Felix mir einen Sessel an, bevor er sich wieder dem Kampf und seiner Enkelin widmete. Ich setzte mich vor den Kamin und warteten ab. Zur Untätigkeit verdammt, wippte ich nervös mit dem Fuß.

*

Etwa eine halbe Stunde später befanden sich die Dorfbewohner in Sicherheit. Dank Charlottes Windgeistern gab es nur drei Opfer zu beklagen.

»Das Tor ist geschlossen und meine Freunde patrouillieren um das Anwesen.« Stolz ergänzte sie: »Ich habe mehr als vierzig Wölfe erwischt.«

Felix räusperte sich. »Das hast du gut gemacht. Geh jetzt bitte zu Klaus und sag ihm, er soll sich um die Versorgung der Verletzten kümmern. Ich stelle den Dorfbewohnern das Erdgeschoss sowie den ersten Stock zur Verfügung.«

»Du kannst dich auf mich verlassen, Opa. Bis später«, kaum waren dies Wort verklungen, hörte ich, wie eine mir verborgene Tür ins Schloss fiel.

Ich seufzte in mich hinein, während ich geistesabwesend Lucky auf meinem Schoß streichelte. Zu mehr, als hier dumm rumzusitzen, war ich wohl nicht im Stande. Eine gewaltige Schande für den vermeintlich mächtigsten Magier.

»Entschuldige, dass du warten musstest«, richtete Felix seine Worte an mich. »Nun, da alle in Sicherheit sind, können wir fortfahren.«

Deprimiert schürzte ich die Lippen. Die Lust, mich mit ihm zu unterhalten, war mir vergangen. Bemüht ruhig fragte ich: »Gibt es einen bestimmten Grund, warum du mich hier festhältst?«

Mit freundlicher Stimme sagte Felix: »In der Tat, den gibt es. Zurzeit mögen wir sicher sein. Aber ohne dich, werden wir wohl nicht überleben. Aus diesem Grund wollte ich dich hier in Sicherheit wissen.«

Diese Aussage verblüffte mich. Dann verdrehte ich schnaubend die Augen. »Was soll ich schon tun? Du und Charlotte, ihr seid doch viel stärker, als ich es bin.«

»In diesem Punkt irrst du dich«, belehrte mich Felix. Er seufzte und begann zu erklären: »Wie so viele, lässt auch du dich von meinem Titel blenden. Die Wahrheit ist aber, seit einem magischen Unfall vor neun Jahren, kann ich keine Magie mehr einsetzen.«

Entsetzt schnappte ich nach Luft. Das hatte er also gemeint, als er sagte, er sei seines Titels nicht mehr würdig. Ich bekam ein ganz mulmiges Gefühl in der Magengegend. Wenn selbst ein Weiser einem magischen Unfall erliegen konnte, dann sollte ich wohl besser die Finger von der Magie lassen.

»Was meine Enkelin betrifft, so ist sie nicht so stark, wie du glaubst. Charlotte wurde mit einem mächtigen Extra Skill geboren. Diese Fähigkeit erlaubt es ihr, mehrere hochrangige Windgeister gleichzeitig zu beschwören. Im Gegenzug bleibt ihr allerdings der Zugang zu jedweder anderer Magie versagt.«

Mit offenem Mund starrte ich das verhangene Bett an. Weder Felix noch Charlotte konnten zaubern. Das hatte ich nicht erwartet. Ich schüttelt den Kopf. »Dennoch ist Charlotte mit ihren Windgeistern eindeutig stärker, als ich es bin.«

»Aktuell mag das stimmen, jedoch schlummert in dir ein gewaltiges Potenzial.«

Interessiert spitzte ich die Ohren. »Geht es dabei um meinen Skill Magiefulminanz?«

»Du hast einen wachen Geist. Deine Annahme ist korrekt. Mit diesem Skill und einigen Jahren Übung, könntest du zum Mächtigsten aller Magier werden. Ganz so, wie du es dir vom Götterdrachen gewünscht hast.«

Felix räuspert sich. »Bevor ich dich aber als meinen Schüler akzeptieren kann, muss ich dir eine Frage stellen: Was gedenkst du, mit all dieser Macht zu tun?«

Nachdenklich legte ich den Kopf in den Nacken. Darüber hatte ich bisher nicht nachgedacht. Bestimmt machte Felix sich Sorgen, dass ich meine Magie missbrauchen könnte. Würde ich das? Wohl eher nicht.

Ich zuckte mit den Schultern und antwortete ehrlich: »Ich wollte lediglich ein paar Abenteuer erleben, Monster verkloppen, mich als Held vom Volk feiern lassen und anschließend ein glückliches Leben in Frieden genießen.«

Ich grinste in mich hinein. »So ein Haus wie deines, inklusive Bediensteter, wäre auch nicht schlecht.«

Dann wurde ich wieder ernst. »Vor allem möchte ich aber Rogue und Lucky beschützen können. Jeder, der es wagt, sich an meinen Freunden zu vergreifen, wird meinen Zorn zu spüren bekommen.«

Den letzten Satz hätte ich mir besser verkneifen sollen. Jedoch war es nichts als die reine Wahrheit. Ich konnte nur hoffen, dass Felix das nicht in den falschen Hals bekam.

Stille breitete sich im Raum aus. Gespannt wartete ich ab, während ich nebenbei Lucky kraulte. Weit weg, vom Balkon her, konnte ich Wolfsgeheul hören. Der Abend war angebrochen und färbte das Firmament blutrot.

Nach einer schieren Ewigkeit verkündete Felix: »Von heute an wirst du mein Schüler sein. Lerne fleißig, damit dein Traum eines Tages wahr werden wird.«

Die Macht der Magie

Um sich ein Bild über meinen aktuellen Entwicklungsstand zu machen, ließ mich Felix, auf dem Balkon, nacheinander meine Zauber anwenden. Anschließend kehrte ich zu meinem Sessel vor dem Kamin zurück, wo Lucky mich mit wachsamem Blick erwartete.

Einen Moment schwieg Felix, dann fragte er: »Sagtest du nicht, du wärst im Besitz eines Zauberstabes? Warum benutzt du diesen nicht?«

Ich zuckte mit den Schultern, während ich mich setzte und Lucky wieder auf meinen Schoß nahm. »Ich habe meinen Stab getestet, ohne ihn sind meine Zauber stärker.«

»Erstaunlich. Normalerweise ist es genau andersherum. Selbst hochrangige Magier verwenden einen Zauberstab, um die in der Umgebung befindliche Magie zu konzentrieren. Ein Talent wie das deine ist mir noch nie untergekommen.«

Verlegen kratzte ich mich an der Nase. »So stark wie Charlottes Windgeister bin ich trotzdem nicht. Ich wusste ja nicht einmal, das ich die Magie aus meiner Umgebung ziehe. Bisher hatte ich angenommen, sie kommt aus meinem Inneren.«

»Aus deinem Inneren?« Felix Stimme klang maßlos überrascht. Dann schlug seine Tonlage um, bei der ich das Gefühl hatte, einem Professor bei einer Vorlesung zuzuhören.

»Der Theorie nach befindet sich zwar in jedem Lebewesen eine gewisse Menge an magischer Energie. Um aber einen Zauber wirken zu können, reicht das bei weitem nicht aus. Die dafür nötige Kraft muss der Umgebung entzogen werden.

Aus diesem Grund ist es auch nicht möglich, Magie eines anderen Elementes als Wind, innerhalb der Domäne des Windturms einzusetzen. Ich habe noch nie gehört, dass ein Magier versucht hat, die für einen Zauber notwendige Kraft aus seinem Inneren zu ziehen.«

Nach diesem etwas längeren Vortrag verfiel Felix einige Sekunden in Schweigen. Mit fordernder Stimme befahl er: »Schließ deine Augen und konzentriere dich auf die Magie in deiner Umgebung.«

Verwirrt blinzelte ich das Bett an, tat dann aber wie mir geheißen. Ich schloss die Augen und konzentrierte mich. Die Frage war nur, auf was ich mich konzentrieren sollte? Ich konnte mir die Magie in meiner Umgebung nicht wirklich vorstellen.

Nach einer Weile fragte mich Felix: »Kannst du spüren, wie die Magie in der Luft dich umgibt, durch dich hindurchfließt und sich in deinem Körper anreichert?«

Wahrheitsgemäß erwiderte ich seufzend: »Nein.«

Mehr zu sich selbst als zu mir murmelte Felix: »Obwohl du Zauber anwenden kannst, bist du nicht in der Lage, die Energie um dich herum wahrzunehmen. Das hatte ich nicht erwartet. Wir haben keine Zeit, bei Null anzufangen.«

Ein lautes Klatschen, hallte durch die Stille des Raumes, die lediglich vom leisen Knistern des Feuers unterbrochen wurde und ließ mich zusammenzucken.

»Das wäre eine Idee, aber wo habe ich sie nur hingelegt? Charlotte, mein Schatz, hast du mein Oculi occulti gesehen?«

Ein genervtes Seufzen erklang. »Es liegt auf deinem Nachttisch, Opa. Genau da, wo du es hingelegt hast.«

Irritiert sah ich mich um. Von Charlottes Rückkehr hatte ich nichts mitbekommen. Egal wie sehr ich suchte, ich konnte sie nicht finden. Nicht nur, dass dieses Mädchen offensichtlich sehr scheu war, nein, sie verstand es ausgezeichnet, meinem Skill Analyse zu entkommen. Was aber auch kein Wunder war, immerhin besaß ihr Opa dieselbe Fähigkeit.

»Adrian, würdest du bitte zu mir kommen und das Oculi occulti aufsetzen?«

»Nein«, rief Charlotte in den Raum. Mit strenger Stimme gebot sie mir: »Bleib wo du bist, Magier. Wehe du kommst meinem Opa zu nahe.«

Fragend hob ich eine Augenbraue. Mit ihr wollte ich mich nicht anlegen. Wenn ich mich aber dem Bett nicht nähern durfte, wie sollte ich dann an das Oculi occulti rankommen?

»Charlotte, bitte. Es ist zwingend notwendig, dass Adrian es benutzt.«

Plötzlich erschienen unzählige Lichtpunkte in der Mitte des Raumes. Sie verschmolzen zu mehreren kristallähnlichen Gebilden, die um eine zentrale Kugel schwebten. Am Ende offenbarte sich ein grünlicher Windgeist. Drohend positionierte er sich zwischen mir und dem Bett.

»Funkelstern wird es ihm geben«, meinte Charlotte mit trotziger Stimme.

Leicht auf und ab wippend, schwebte der Windgeist auf den Nachttisch zu. Seine einzelnen Kristalle schabten über das Holz, während er einen Gegenstand aufhob. Anschließend kam er auf mich zu.

»Bitte sei vorsichtig, mein Liebling. Dieses magische Instrument ist sehr wertvoll.«

Zwischen zwei seiner Kristalle trug der Windgeist das Oculi occulti zu mir, das sich als einfache Brille herausstellte.

Schnell warf ich einen Blick auf das Infofenster. Die Brille besaß die Verzauberung: Enthüllung. Sah man durch die Gläser konnte man, wie es im Text stand, verborgene Dinge sehen.

Wie in Trance stand ich auf, wobei ich Lucky, ohne es wirklich mitzubekommen, von meinem Schoß warf. Vorsichtig streckte ich die Hand aus und nahm die Brille entgegen. Ohne auf eine Aufforderung zu warten, setzte ich sie auf. Ich hob den Blick. Vor Überraschung weiteten sich meine Pupillen.

Überall um mich her zogen grüne Schliere, wie dünne Nebelschwaden, durch den Raum. Als wäre das Zimmer mit unzähligen, halbdurchsichtigen Luftschlangen gefüllt.

Sie wirbelten umher, änderten die Richtung, wobei sie weder einen Anfang noch ein Ende zu haben schienen. Wo sie sich trafen, verbanden sie sich zu einer dickeren Schnur. An anderen Stellen fächerten sie sich wieder auf. Ein herrlicher Anblick, der meine Augen unaufhaltsam in seinen Bann zog.

Ehrfürchtig strecke ich den rechten Arm aus und versuchte, einen der dickeren Nebelfäden zu berühren. Meine Hand glitt einfach hindurch. Weder spürte ich einen Widerstand noch änderte sich etwas an dem grünen Strom.

Was immer das war, was ich da sah, es interagierte nicht mit der materiellen Ebene. Es war ungreifbar, wie der Wind selbst. War das eine visuelle Darstellung von Magie?

Aus einem Impuls heraus, drehte ich meine offene Handfläche zur Decke hin. Ich konzentrierte mich auf diese Nebelfäden und versuchte, sie zu mir zu ziehen.

Augenblicklich änderten die Nebelschleier ihre Richtung, glitten auf meine Hand zu. Als sie mich berührten, begann meine Haut zu vibrieren. Es war das gleiche Gefühl, wie jedes mal, wenn ich einen Zauber einsetzte. Nur, diesmal war es stärker, viel stärker.

»Das genügt. Bitte hör auf!«, wisperte Felix Stimme mir zu. Offenbar hatte er geschrien, doch hörte es sich für mich an, als ob er aus weiter Ferne mit mir sprach.

Aber was wollte er? Mit was sollte ich aufhören? Langsam hob ich den Blick, blinzelte irritiert. Im Schlafzimmer des Weisen tobte ein Sturm.

Bücher fielen aus den Regalen und wirbelten ziellos umher, tanzten im Wind. Die Vorhänge des Bettes, sowie des Balkons, flatterten nahezu waagerecht umher, während allerhand kleine Gegenstände um mich tanzten.

Erst jetzt nahm ich das Tosen des Windes war. Scheppernd stießen verschieden Gegenstände aneinander oder trafen Wände, Boden und die Decke. Ein Wunder, dass ich Felix überhaupt gehört hatte.

Gekrönt wurde diese Erscheinung von den grünen Nebelschlangen. Sie waren es, die diesen Sturm hergerufen hatten. In einem weiten Kreis um mich herum wanden sie sich und drängen meiner offenen Handfläche entgegen. Überrascht bemerkte ich zwei Dinge: Erstens ich stand im Auge des Sturms und zweitens ich war es, der diesen Orkan erzeugte.

Hastig schloss ich meine Hand zur Faust, gleichsam löste ich meine Konzentration. Mit einem Schlag endete der magische Sturm.

Alles fiel, seiner Flugbahn folgend, zu Boden, oder prallte gegen einen anderen festen Gegenstand. Das Feuer im Kamin war erloschen, während kleine Rußpartikel im ganzen Zimmer umherschwebten. Direkt vor mir zerschellte eine kleine Porzellanstatue, die zuvor auf Felix Nachttisch gestanden hatte.

Verdammt, was hatte ich getan? Schuldbewusst schluckte ich und stammelte: »Entschuldigung, das war keine Absicht.«

Von irgendwoher erklang Charlottes anklagende Stimme: »Was sollte das? Einfach einen Orkan im Schlafzimmer meines Opas loszulassen. Na warte, das wirst du mir büßen. Aus dir mach ich Hackfleisch.«

»Lass gut sein, mein Schatz«, keuchte Felix vom Bett her.

Durch meinen unbeabsichtigten Zauber hatte ich aus Versehen so gut wie alle Vorhänge in Mitleidenschaft gezogen. Teile von ihnen lagen im ganzen Raum verstreut, während zerfetzte Stoffbahnen von der Decke des Himmelbettes hingen und Felix vor meiner Sicht nicht mehr vollständig abschirmen konnten.

Leider konnte ich aber nur seine Umrisse unter einem weißen Bettlaken erkennen. Weder sein Gesicht noch eine andere Stelle seines Körpers lagen frei. Was ich aber sehen konnte, war, dass Felix zitterte. Mein Zauber musste ihn sehr aufgewühlt, wenn nicht sogar verängstigt haben.

Über seinem eingewickelten Körper schwebte sein magischer Spiegel. Ich konnte nur hoffen, dass dieser heil geblieben war, bei all der Zerstörung, die ich angerichtet hatte.

Ich riss mir die Brille von der Nase und legte sie vorsichtig auf einen kleinen Beistelltisch. »Ich schwöre, das war keine Absicht. Ich habe lediglich versucht, die Magie der Umgebung in meine Hand zu ziehen. Bitte, ihr müsst mir glauben, dass war ein Unfall.«

Entsetzt schnappte ich, meiner eigenen Worte wegen, nach Luft. Ein Unfall? Ja, das war es. Ein magischer Unfall. Zum ersten Mal wurde mir bewusst, wie mächtig Magie war. In einem kurzen unbedachten Augenblick, hatte ich eine derartige Verwüstung angerichtet.

Ich erschrak vor mir selbst und vor dieser gewaltigen, unbändigen Kraft. Mit diesem Wissen war es nur verständlich, warum mir jeder glaubte, dass ich mein Gedächtnis bei einen Unfall verloren hatte. Haltlos begann ich zu zittern. Das war falsch. Das war nicht richtig. Kein Mensch sollte über eine solche Macht gebieten.

»Beruhige dich, Adrian«, befahl mir Felix. Etwas freundlicher setzte er hinzu: »Alles ist in Ordnung.«

»Der Kerl hätte uns fast umgebracht«, schnaubte Charlotte aus ihrem Versteck.

Mit diesen Worten streute sie Salz in meine Wunde. Ich hätte besser aufpassen müssen, die Magie nicht auf die leichte Schulter nehmen dürfen.

Strenger als sonst fuhr Felix seine Enkelin an: »Sei still, Kind. Er sagt die Wahrheit. Das war kein verunglückter Zauber. Kümmer du dich besser, um die Verteidigung des Anwesens.«

»Aber Großvater -«

»Geh und lass uns allein. Ich muss mit Adrian unter vier Augen sprechen.«

Noch immer zitternd, stand ich vor meinem umgestürzten Sessel. Ich verbarg das Gesicht in den Händen. Magie war gefährlich. Mit einer solchen Kraft wollte ich nichts zu tun haben.

Nebenbei hörte ich, wie eine versteckte Tür ins Schloss geworfen wurde. Nun war ich mit Felix allein. Bestimmt würde er mich beschimpfen und davonjagen. Verdient hätte ich es.

»Adrian, bitte hör mir jetzt genau zu.«

Ich wusste es, gleich würde er mich anschreien. Warum nur hatte ich das getan? Warum hatte ich mir so eine Macht gewünscht?

»Dieser Vorfall war nicht deine Schuld, sondern meine. Ich hätte es besser wissen sollen.«

Meinte er das ernst? Aber ich war es doch gewesen, der diesen Orkan heraufbeschworen hatte. Wie also, konnte es nicht meine Schuld sein?

»Bitte verzeih mir, dass ich mich von meiner Neugierde habe leiten lassen.«

»Dich trifft keine Schuld«, stammelte ich undeutlich, durch meine Finger hindurch. »Ich hätte mich nie dem Irrglauben hingeben dürfen, etwas Besonderes zu sein. Ich bin nichts weiter als ein Scharlatan.«

Felix’ Lachen ließ mich einen Blick zum Bett werfen. Nebenbei senkte ich unbewusst die Hände.

»Adrian, du bist etwas Besonderes. Das habe ich bereits gewusst, als ich dich das erste Mal sah. Dein Potenzial ist schier grenzenlos. Ich wollte dich kennenlernen, mit dir sprechen, deine Kräfte testen.

Als ich dann sah und hörte, wie du bisher die Magie angewandt hast, ist mit mir mein Forscherdrang durchgegangen. Ich hätte es langsamer angehen sollen. Ich wollte dich nicht verängstigen. Bitte, verzeih mir mein ungestümes Vorgehen.«

Etwas streifte mein Bein. Es war Lucky, die sich trostspendend an mir rieb. Abermals sagte ich: »Es ist nicht deine Schuld.«

Felix seufzte schwer. Meine Weigerung, den Fehler auf ihn zu schieben, frustrierte ihn offenbar. Aber was sollte ich machen? Es war, wie es war. In meinen Augen hatte er keinen Fehler begangen.

»Am besten du setzt dich. Ich werde versuchen, dir alles zu erklären.«

Noch etwas benebelt von den Geschehnissen, richtete ich den Sessel auf und ließ mich darauf nieder. Augenblicklich war Lucky auf meinen Schoß. Ein Glück. Sie hielt noch immer zu mir, und das, nachdem sie gesehen hatte, wozu ich im Stande war.

»Unter gewöhnlichen Umständen ist es einem Magier nicht möglich, zu zaubern, ohne zuvor gelernt zu haben, die Magie in seiner Umgebung zu fokussieren. Nicht so bei dir.

Dein Skill Magiefulminanz gestattet es dir, diesen langjährigen Prozess zu überspringen. Intuitiv benutzt du Magie, ohne zu wissen, wie du das tust.«

Was er da sagte, entsprach der Wahrheit. Bisher hatte ich nie darüber nachgedacht, wie ich zaubere. Ich tat es einfach. Jedoch wusste ich es nun besser. Damit so ein Vorfall sich nie wieder ereignen könnte, gab es nur einen Weg. »Ich verstehe, was du meinst. Aus diesem Grund werde ich keine Magie mehr einsetzen.«

»Das ist genau das Gegenteil von dem, was ich versuche, dir zu erklären. Solange du deine Kräfte ignorierst und verleugnest, wird das unweigerlich in einer noch nie dagewesenen Katastrophe enden.

Setzt du dich jedoch mit deinen Fähigkeiten auseinander, so verspreche ich dir, wird die Magie sich nie wieder deiner Kontrolle entziehen. Jedenfalls, solange du es selbst nicht willst.«

Leicht legte ich den Kopf schief und sah ratlos zu Lucky. Meine Kleine starrte ebenso verwirrt zurück, wie ich mich fühlte. »Wie meinst du das, solange ich es selbst nicht will?«

»Du vergisst schon wieder den Effekt deines Skills. Lass es mich anders formulieren. Dank Magiefulminanz bist du in der Lage, die Magie nach deinem Willen zu formen. Solange du also nicht beabsichtigst, dass deine Zauber außer Kontrolle geraten, werden sie es auch nicht.«

»Ah«, entwich es meiner Kehle. Nun verstand ich, was Felix mir sagen wollte. Da gab es nur leider einen Haken bei der Sache. »Deine Theorie ist falsch. Ich hatte nicht beabsichtigt, dein Zimmer zu verwüsten und dennoch ist es geschehen. Demnach können meine Zauber auch ohne meinen Willen zu weiteren magischen Unfällen führen.«

Ich konnte Felix schnauben hören. »Als ich noch in der Akademie lehrte, hat es nie ein Schüler gewagt, mich in Frage zu stellen.«

Wie ein Schlag trafen mich seine Worte. Wie konnte ich es nur wagen, ihm meine ungefilterten Gedanken um die Ohren zu hauen? Klar, es war die Wahrheit, aber mir gegenüber lag ein Weiser. Einer solch wichtigen Person sollte man doch nicht widersprechen, oder?

Ein wehleidiges Seufzen erklang vom Bett her. »Das ist der Grund, warum aus den Meisten nichts geworden ist. Wer nicht selbst denken kann, hat auf der Akademie nichts zu suchen. Das ist jedenfalls meine Meinung. Leider wurde ich von den anderen Professoren überstimmt.«

Ich blinzelte das Bett an. Wie jetzt? Er war gar nicht böse auf mich?

»Verzeih ich schweife ab. Nun zu deiner fehlerhaften These. Der Orkan, den du heraufbeschworen hast, war, wie ich bereits sagte, kein verunglückter Zauber. Er entstand einzig und allein daher, weil du willentlich alle Magie in der Umgebung auf deine Handfläche fokussiert hast. Einzig dein Wille zählt.

Als ich deine Konzentration unterbrochen habe, verschwand die gesammelte Energie, ohne weiteren Schaden anzurichten, weil Du es so wolltest.

Hätte jemand anders als du so viel Magie angesammelt und die Kontrolle verloren, dann wäre von meinem Haus nur noch ein Schutthaufen übrig geblieben. Genau so ein Ereignis wird als ein magischer Unfall deklariert.«

Nachdenklich formulierte ich meine Gedanken: »Das heißt ich muss in Zukunft darauf achten, wie viel Magie ich der Umgebung entziehe.«

Mit Stolz in der Stimme bestätigte Felix mir: »Exakt.« Anschließend forderte er mich auf, erneut auf den Balkon zu gehen und meine Zauber einzusetzen.

Nun, da er mir die Angst genommen hatte, wollte ich unbedingt mein neues Wissen austesten. Rasch setze ich Lucky auf den Boden und stürmte ins Freie.

Felix rief mir hinterher: »Windschnitt und Windstoß sollten reichen. Nicht dass du aus Versehen mit Wirbelwind den Felsen unter dem Haus wegsprengt.«

Ich nahm mir seine Worte zu Herzen. Mit geschlossenen Augen konzentrierte ich mich, dann rief ich »Windschnitt.«

Leider konnte ich keine Verbesserung sehen, da ich kein Ziel hatte, auf das ich meine Zauber richten konnte.

Aus dem Zimmer hörte ich Felix sagen: »Versuch doch mal den alten Baumstamm am Ufer zu zerschneiden.«

Ein Blick in die Tiefe ließ mich aufstöhnen. »Das ist unmöglich, der ist viel zu weit weg.«

Streng tadelte Felix mich: »Mit der Einstellung wirst du es niemals schaffen. Befreie deinen Geist von allen Ketten. Denk immer daran: Wo ein Wille, da ein Weg.«

Einen Augenblick mahlte ich mit den Zähnen, dann schluckte ich meine Zweifel, wie einen Kloß im Hals, hinunter. Meinen Blick fest auf mein Ziel fokussiert, begann ich die Energie der Umgebung zu sammeln. Ich wollte den angeschwemmten Baumstamm zerschneiden. Wie ein Mantra setzte sich dieser Gedanke in meinem Kopf fest.

Ein seltsames Gefühl breitete sich in mir aus. Es fühlte sich so an, als ob ich meine Muskeln immer stärker anspannen würde, nur auf geistiger Ebene. Ohne zu wissen, was und wie ich es tat, ließ ich mich von diesem, nennen wir es neuen Sinn, leiten.

Als meine angestaute Magie einen bestimmten Punkt erreichte, reagierte mein Körper automatisch. Ich vollzog mit aneinandergelegtem Ring- und Zeigefinger eine schneidende Bewegung und rief: »Windschnitt.«

Eine gewaltige Kraft strömte aus mir heraus, formte sich zu einer kaum sichtbaren Linie und schoss davon. Mein Zauber traf den morschen Baumstamm und spaltete ihn mit einem sauberen diagonalen Schnitt in zwei Teile. Aufgrund der rauschenden Wellen konnte ich das Holz zwar nicht splittern hören, aber ich konnte mir dieses Geräusch sehr gut vorstellen.

Unglaublich. Ich hatte es geschafft. Ausgelassen ließ ich meiner Freude freien Lauf, indem ich mit erhobener Faust einen Luftsprung machte.

Nicht nur war mein Zauber wesentlich stärker als zuvor, nein, auch die Reichweite hatte sich deutlich erhöht. In einem Anflug von Übermut, dachte ich daran, es mit einem von Charlottes Windgeistern aufzunehmen.

Diesen Gedanken verwarf ich schnell wieder. Ich wollte das kleine Mädchen ja nicht zum Weinen bringen, indem ich ihre Spielsachen zerstörte.

Nur weil die Windgeister nach einer Abklingzeit erneut beschworen werden konnten, sollte ich sie nicht leichtfertig als Ziele missbrauchen. Allein bei dem Gedanken, jemand würde so etwas mit Lucky machen, sacke mir das Herz in die Hose.

Vom Bett her drangen Felix Worte in meine Ohren und beendeten meine sinnlosen Gedankengänge: »Herzlichen Glückwunsch. Du bist soeben im Rang aufgestiegen. Des Weiteren hast du dir einen neuen Extra Skill erarbeitet.« Mehr zu sich selbst murmelte er: »Und da sagen meine Kollegen ich wäre ein schlechter Lehrer. Ach wie gerne ich ihnen diese Leistung unter die Nase reiben würde.«

Ich achtete nicht weiter auf Felix’ Ausschweifungen und sah mir meinen Charakterbogen an. Tatsächlich war ich von Novize zum Schüler aufgestiegen. Mein neuer Skill war auch recht interessant.

Laut dem Infofenster ermöglichte es mir magische Wahrnehmung: Magie in meiner unmittelbaren Umgebung zu spüren. Das galt auch für die konzentrierte Energie im Inneren meines Körpers.

Dabei stellte sich mir nur eine Frage: Hatte ich diesen Skill erworben, weil ich die Magie zuvor wahrnehmen konnte oder war es genau andersherum? Eine Frage, auf die ich wohl nie eine Antwort finden würde, da auch Felix mir hierzu nichts sagen konnte, als ich dieses Thema ansprach.

Nach diesen Erfolgen endete meine erste Unterrichtsstunde bei Felix dem Weisen. Als ich mich von ihm verabschiedete, war es bereits mitten in der Nacht.

Während Klaus mich auf mein Zimmer geleitete, fragte ich mich, was wohl morgen auf dem Programm stand?

Der Angriff

Ich seufzte schwer und drehte mich auf die andere Seite. Mit einer Hand krümmte ich mein Kopfkissen und drückte es mir aufs Ohr. Diese verdammten Wölfe.

Allein in meinem Zimmer, in der Stille der Nacht, konnte ich die Biester jaulen hören. Immer mehrere zugleich, stimmten sie ihren schrecklichen Gesang an. Kaum war einer verklungen, stieg ein anderer ein. Es entstand ein stetig auf- und abschwellendes Hintergrundgeräusch, ähnlich einer Alarmsirene.

Seit gut einer Stunde versuchte ich schon zu schlafen und doch schaffte ich es nicht. Wütend hieb ich mit der Faust auf das Bettlaken und warf mich auf die andere Seite. Wenn nicht bald etwas geschah, würde ich keinen Schlaf finden können.

Ich öffnete die Augen und sah zu meinem kleinen Liebling. Anfangs hatte sich Lucky auf meiner Brust eingerollt, so wie jede Nacht, nun aber lag sie auf einem Stuhl neben dem Bett. Mein unruhiges Hin-und hergewälze hatte sie vertrieben, doch auch sie fand keinen Schlaf. Ich konnte genau sehen, wie ihre Schweifspitzen und Ohren zuckten.

Abermals stimmte ein Wolf in das Wehklagen mit ein. Was sollte das? Wollten die Wölfe uns mürbe machen? Frustriert seufzte ich auf. Konnten einfache Tiere eine derartige Intelligenz besitzen? Oder lag es an ihrem Anführer, dem Schreckenswolf. Unsere Augen hatten sich nur einen Wimpernschlag lang gekreuzt und doch reichte es, um mir zu sagen, dieses Biest war kein einfaches, dummes Tier.

Unvermittelt hörte ich, wie sich die Tür meines Zimmers öffnete. Durch die Dunkelheit spähend, einzig und allein vom schwachen Mondlicht durchbrochen, sah ich eine Gestalt in den Raum huschen. Auch ohne die Fähigkeit Dunkelsicht, wusste ich diese Umrisse zuzuordnen.

Leicht hob ich den Kopf und sprach mit freundlicher Stimme: »Du kannst wohl auch nicht schlafen, Rogue?«

Versteinert hielt er mitten in der Bewegung inne. »Du bist wach?«, fragte er mich überflüssigerweise.

»Ja«, stöhnte ich klagend, »Wenn die Viecher nicht gleich Ruhe geben, dann raste ich aus. Ich will doch nur eine Runde schlafen.«

»Ich …, ich bin hier, weil …«, stammelte Rogue nervös vor sich hin.

Ich sah genau, wie er verlegen von einem Bein auf andere trat. Es war sonnenklar, was er vorgehabt hatte: Er wollte zu mir ins Bett schleichen. Nun da ich wach war, verließ ihn sein Mut.

Ohne weiter auf sein Gebahren zu achten, rutsche ich zur Seite, um ihm Platz zu machen. Einladend hob ich meine Decke und sagte zu ihm: »Komm schon her, du Dussel. Aber sei gewarnt, selbst Lucky hat die Flucht ergriffen, weil ich mich andauernd hin- und herdrehe.«

Langsam, als wäre es der Weg zur Schlachtbank, kam Rogue auf mich zu. Ein leichter Windstoß aus dem offenen Fenster teilte den Vorhang. Im Licht des Mondes sah ich seine schmächtige Gestalt. Der Junge musste dringend mehr essen. Anders als ich, trug er eine dünne Stoffhose zum Schlafen. Mir genügte meine Boxershorts vollkommen. Frecherweise hatte ich diese Gisela nie zurückgegeben.

Im Schneckentempo stieg er zu mir ins Bett, dabei bekam ich allmählich das Gefühl, die Welt in Zeitlupe zu sehen. So weit weg von mir, wie irgend möglich, legte er sich auf den Rücken.

Nein, so hatten wir aber nicht gewettet. Beherzt ließ ich die Decke fallen und schnappte mir den frechen Bengel. Ich zog ihn zu mir, wobei ich ihn gleichzeitig mit dem Rücken zu mir auf die Seite drehte. Anschließend schmiegte ich mich an ihn.

Mit einem Arm über seine Taille gelegt, bemerkte ich sein leichtes zittern. »Ich weiß nicht, was du schon alles durchgemacht hast, aber vor mir brauchst du echt keine Angst zu haben. Entspann dich und schlaf. Gute Nacht, kleiner Bruder.«

Das letzte Wort war mir so rausgerutscht. Verlegen vergrub ich meine Gesicht in seinen Haaren. Gott war mir das peinlich. Wir kannten uns doch kaum und doch hatte ich die Wahrheit gesagt.

Natürlich konnte Rogue meine Aussage nicht einfach so im Raum stehen lassen. »Kleiner Bruder?«

»Entschuldige, ich wollte dich nicht so überfahren. Aber ja, so empfinde ich. Weißt du, ich bin ganz allein auf dieser Welt. Ich habe weder Eltern, Geschwister noch Freunde. Nach allem, was wir schon durchgemacht haben, bist du mir sehr ans Herz gewachsen.«

Mit einem Bellen machte meine kleine Diva auf sich aufmerksam.

»Du sei still. Bei dir war es Liebe auf den ersten Blick. Wenn du mir nicht glaubst, dann frag Rogue, wie ich drauf war, als ich dachte, du wärst tot. Du weißt ganz genau, wie wichtig du mir bist, meine Kleine.«

Lucky setzte sich auf und wedelte vor Freude mit ihren Schweifen. Ich nickte ihr zu, dann wandte ich mich wieder an Rogue. »In dieser, für mich fremden Welt, sehe ich euch beide als meine Familie an. Verzeih, wenn ich dir damit zu nahe getreten bin.«

»Bist du nicht«, murmelte Rogue undeutlich vor sich hin. »Gute Nacht.«

Erstaunt sah ich auf den schwarzen Haarschopf vor mir. Nicht nur, dass der Bengel mir das erste Mal eine gute Nacht gewünscht hatte, nein, er nahm meine Worte kommentarlos hin. Das Zittern erstarb, während sich Rogue leicht an mich kuschelte.

Glücklich grinste ich in mich hinein. Auch wenn der Bengel seine Gefühle nicht auf der Zunge trug, zeigte er mir mit seinem Verhalten, dass er mir langsam vertraute.

Ich drückte ihn kurz an mich, dann entspannte ich meine Muskel. Das Wolfsgeheul störte mich auf einmal gar nicht mehr. Während ich ein möglichst leises Gähnen von mir gab, sprang Lucky zu uns aufs Bett. Einen Augenblick sahen wir uns an. Wie nicht anders zu erwarten, war meine kleine Diva mit dieser Situation nicht ganz einverstanden, das konnte ich an ihren zuckenden Schweifen erkennen.

Zu meiner Überraschung kam sie langsam näher und tapste leichtfüßig über den Katzenjungen hinweg. Halb auf meinem, halb auf Rogues Oberkörper liegend, rollte sie sich zusammen.

»Gute Nacht Rouge. Gute Nacht, Lucky«, sagte ich, von einem zum anderen Ohr grinsend.

Kurz warf sie mir einen Blick zu, schnaubte, dann drapierte meine Kleine ihre Schweife so, dass ich ihr Gesicht nicht mehr sehen konnte.

Mein Grinsen wurde noch breiter. So langsam schien sich Lucky damit abzufinden, mich teilen zu müssen. Ich gähnte leise auf, dann kroch mir die Müdigkeit in die Augen. Vollkommen entspannt und eng an Rogue gekuschelt, schlief ich ein.

*

Schreie drängten sich in meine Ohren. Manche waren leise, andere lauter. Zwei davon kamen mir vage bekannt vor, aber woher? War das ein Traum? Wenn ja, wessen Stimmen waren es?

Ich hatte das eigenartige Gefühl, mich zu bewegen, jedoch konnte ich nichts sehen. Außer meinem Gehör, schienen all meine Sinne betäubt zu sein. Was war hier los?

Plötzlich änderte sich etwas. Als hätte jemand den Rolladen hochgezogen, nahm ich meine Umgebung wahr. Ich lief ziellos in meinem Zimmer umher. Rogue erschien in meinem Sichtfeld. Seine Augen waren weit aufgerissen. Während er sich die Hände auf die Ohren drückte, rannte er, wie ich, durch den Raum.

Als mein Blick auf seinen weit geöffneten Mund fiel, wurde mir eines klar. Eine der beiden schreienden Stimmen in meiner unmittelbaren Umgebung stammte von ihm. Im nächsten Augenblick erkannte ich auch die zweite Stimme. Es war meine!

Wie kopflose Hühner, rannten wir beide im Zimmer umher, während wir uns die Seelen aus dem Leib schrien. Seltsamerweise war mir dieser Umstand bewusst, aber ich konnte nichts daran ändern. Ich hatte weder die Kontrolle über meinen Körper noch über meine Stimme.

Mit einem Affenzahn sprang Lucky an mir vorbei. Selbst sie befand sich in diesem eigenartigen Zustand. Sie gab ein hohes Wehklagen von sich, das ich noch nie von ihr vernommen hatte. Was war hier los?

Etwa vier Sekunden später endete, was auch immer gerade passierte. Wir alle drei kamen zum Stehen. Verwirrt schlossen Rogue und ich synchron die Münder. Unsere Augen suchten den Blick des jeweils anderen.

Ich fand als erstes meine Sprache wieder. »Was war das?«

Vor mir erschauderte Rogue. »Das war der Schreckenswolf. Der Legende nach besitzt er die Fähigkeit, Leute in Angst und Schrecken zu versetzen, daher auch der Name.«

Das klang einleuchtend. Leider hatte ich versäumt, mir seine Skills anzusehen. Die Panik der Dorfbewohner und Klaus’ Auftauchen, hatten mich zu sehr abgelenkt.

Ich warf einen Blick zum Fenster. Es war noch immer mitten in der Nacht. Vom Gefühl her schätze ich, dass wir gerade mal ein paar Stunden geschlafen hatten.

»Aber warum macht dieses Monster das? Was bezweckt es damit? Und warum hat es diese Fähigkeit nicht schon vorher eingesetzt?«

Als Rogue antwortete, wurde mir bewusst, dass ich meine Gedanken laut ausgesprochen hatte: »Keine Ahnung. Vielleicht sollten wir Felix fragen.«

»Das ist eine gute Idee.« Mit einem schnellen Blick zu Lucky vergewisserte ich mich, dass es ihr gut ging, dann stürmte ich aus dem Raum und eilte durch den Gang. Nur in Boxershorts bekleidet, ohne Zeit mit Anklopfen zu verschwenden, riss ich Felix’ Schlafzimmertür auf.

»Ich habe euch bereits erwartet«, erklang die schwache Stimme des Weisen vom Bett her.

Rogue und Lucky waren mir gefolgt und flankierten mich. Bevor ich etwas sagen konnte, jammerte Charlotte aus ihrem Versteck heraus: »Das Mistvieh hat Glimmer und Flimmer erwischt. Ich weiß nicht, wie lange ich ihn noch aufhalten kann.«

Verdammt, die Situation war ernster, als ich dachte. Somit blieben uns nur noch drei Windgeister zur Verteidigung.

Felix’ Stimme wurde streng und eindringlich: »Hör zu Adrian, wir haben keine Zeit mehr. Sag mir, hast du den Schreckenswolf analysiert?«

Schuldbewusst ließ ich die Schultern hängen. Wahrheitsgemäß antwortete ich: »Nein.«

»Komm näher und sieh in meinen Spiegel«, wurde mir befohlen.

Rasch trat ich einige Schritte vor, während der magische Spiegel, der normalerweise immer über Felix’ eingewickeltem Körper schwebte, auf mich zu kam.

Angespannt starrte ich auf das blutrote Monster, das mir der Spiegel zeigt. Der Schreckenswolf griff gerade mit seiner gewaltigen Pranke die Mauern an. Steine splitterten und Staub rieselte zu Boden. Das Biest hatte einige breite Risse in die Außenmauer gehauen. Noch war er nicht durchgebrochen, jedoch war es wohl nur eine Frage der Zeit.

Ich schüttelte den Kopf. Konzentration! Meinen Blick starr auf den Feind gerichtet, verwendete ich meinen Skill Analyse.
 

Name: Schreckenswolf

Geschlecht: männlich

Spezies: magisches Tier

Alter: 13 Tage

Spezies Skills: Spürnase / Ultrainstinkt

Extra Skills: Alphatier / Schreckensgeheul / Angstfresser

Abwehr Skills: Windbarriere
 

Mit belehrender Stimme sagte Felix: »Du musst wissen, solange er Schreckensgeheul einsetzt, kann er sich weder bewegen noch angreifen. Allerdings wird er mit dem Effekt von Alphatier die anderen Wölfe auf euch hetzen. In Kombination sind diese beiden Fähigkeiten absolut tödlich.«

Kurz ging ich das Gehörte im Kopf durch. Das war wirklich eine erschreckend problematische Kombination seiner Skills. Jedoch gab es eine Lösung.

Laut schlussfolgerte ich: »Also muss ich ihn ausschalten, bevor er in der Lage ist, sein Geheul einzusetzen.«

»Das wird nicht möglich sein. Sein Skill Windbarriere beschützt ihn. Schwache Zauber, sowie einfache physische Angriffe werden durch diese Fähigkeit geblockt. Aus ebendiesem Grund ist Charlotte machtlos gegen dieses Biest.«

Nach allem, was mir Felix beigebracht hatte, sollte ich doch in der Lage sein, meinem Gegner trotz dessen Abwehr Schaden zuzufügen. »Dann muss ich eben stärkere Zauber einsetzen. Wenn ich genügend Magie aus der Umgebung ziehe, sollte das doch funktionieren, oder?«

»Der Schreckenswolf ist kein dummes Tier. Durch seinen passiven Spezies Skill Ultrainstinkt wird er die Bedrohung augenblicklich erkennen und dich mit seinem Schreckensgeheul aufhalten.«

Laut dachte ich nach: »Wenn der Schreckenswolf ein derart starker Gegner ist, warum hat er uns dann nicht direkt angegriffen? Warum hat er gewartet?«

Vom Bett her hörte ich ein nachdenkliches Brummen. Dann sagte Felix: »Ich vermute, das hat etwas mit seinen Skill Angstfresser zu tun. Da die Angst seiner Opfer ihn nährt, hatte er es nicht eilig. Aus diesem Grund, denke ich, hat er auch bisher davon abgesehen, von seinem Geheul Gebrauch zu machen. Denn Angst, die er selbst erzeugt, kann er nicht fressen.«

Das war zwar interessant, half uns aber nicht. Angestrengt zermarterte ich mir das Hirn. Wenn ich Garrets Worten Glauben schenken konnte, war der Schreckenswolf ein Gegner für zwei Abenteurer des Malachitranges. Das war gerade mal die vierte Stufe von insgesamt zwölf. Demnach musste es einen Weg geben. Da ich keine Lösung fand, fragte ich Felix: »Wie kämpfen andere Abenteurer gegen einen Schreckenswolf?«

»Es gibt Mittel und Wege, um gegen einen solchen Feind vorzugehen. Jedoch stehen diese uns nicht zur Verfügung. Wir haben weder einen Priester, der euch vor dem negativen Effekt von Schreckensgeheul schützt noch besitzen wir ein magisches Werkzeug mit der Verzauberung Furchtresistenz. Höherrangige Abenteurer besitzen zumeist einen eigenen Widerstand gegen geistige Beeinflussung. Aber, im Gegensatz zu mir, besitzt keiner von euch diesen Skill.«

Ratlos runzelte ich die Stirn, meinen Blick weiterhin auf den magischen Spiegel gerichtet. In diesem Augenblick tauchte einer von Charlottes Windgeistern über der Mauer auf und versuchte, den Schreckenswolf mit seinen Zaubern zurückzudrängen. Ich nutzte meine Chance und analysierte ihn, dabei fiel mir etwas Interessantes auf: »Die Windgeister sind immun gegen geistige Beeinflussung. Sie können uns beschützen, solange er Schreckensgeheul einsetzt.«

Felix seufzte schwer auf. »Im Grunde hast du recht. Allerdings, im Gegensatz zu deinem beschworenen Fuchsgeist, besitzen Charlottes Windgeister keine eigene Persönlichkeit. Sie sind nichts weiter als Puppen, die von ihr gesteuert werden.«

Verdammt und zugenäht. Mir gingen die Ideen aus. Die Situation schien aussichtslos zu sein. Sollten wir da nicht besser die Beine in die Hand nehmen und fliehen? Ich für meinen Teil, wollte nicht schon wieder sterben.

Anerkennend sagte Felix: »Offenbar hast du nun den Ernst der Lage erkannt. Im Grund haben wir keine Chance, aber da kommst du ins Spiel, Adrian. Dank deines Skill, besteht noch Hoffnung.«

Ein schweres Seufzen entrann meiner Kehle. Warum musste ich schon wieder alles regeln? Gut, Weglaufen war eh keine Option. Zum einen würde ich es nicht übers Herz bringen, Felix, Charlotte, Klaus, Garret und all die Dorfbewohner ihrem Schicksal zu überlassen, zum anderen stand der Schreckenswolf keine fünf Meter neben dem Eingangstor. Solange es keinen geheimen zweiten Ausgang gab, waren wir gefangen.

Ich hob den Blick und sah zum Bett. »Sag mir, was muss ich tun?«

»Ihr drei werdet euch dem Schreckenswolf im Hof stellen. Durch die beengten Verhältnisse sollte das dem Feind einen Großteil seines Bewegungsspielraumes nehmen.«

Ich konnte es nicht lassen und schnaubte sarkastisch: »Bleiben nur die anderen Wölfe. Die werden bestimmt seelenruhig zusehen, wie wir ihren Alpha umnieten. Außerdem hast du doch gesagt, dass ich keine Magie sammeln kann, weil der Schreckenswolf das nicht zulassen wird. Wie also sollen wir ihn bekämpfen?«

»Ich habe mir etwas ausgedacht. Hör mir gut zu …«

Gespannt lauschte ich seinen Worten, während mir langsam der Mund aufging. Felix’ Plan barg einige Risiken, jedoch war es der einzige, den wir hatten.

Der Schreckenswolf

Kurze Zeit später stand ich angezogen mitten auf dem Burghof. Die Sonne war gerade dabei aufzugehen. Ihre ersten Strahlen tauchten meine Umgebung in ein schauriges rötliches Licht. Die Luft war angereichert mit unterschiedlichen Blütenaromen. Schade nur, dass ich keine Zeit hatte, mich zu setzen und die Pracht des Vorgartens zu genießen.

Über mir schwebten drei Windgeister, wobei Lucky und Rogue vor mir Stellung bezogen hatten. Ihre Aufgabe war es, mich zu beschützen, während ich die Magie in der Umgebung sammelte.

Ich schluckte einen dicken Kloß im Hals hinunter. Hinter der Mauer konnte ich den Schreckenswolf toben hören. Der Plan gefiel mir jede verstrichene Sekunde weniger.

Aber, außer mir war niemand anderer in der Lage, das zu tun, was Felix sich ausgedacht hatte. Rasch warf ich meine Zweifel über Bord. Sie alle verließen sich auf mich. Bewaffnet mit meinem Zauberstab, hob ich meinen rechten Arm.

In dem Augenblick, da ich begann, Magie zu fokussieren, wurde es schlagartig still. Einen Augenblick später erklang das Schreckensgeheul.

Wie aufgescheuchte Ameisen stolperten Lucky, Rogue und ich schreiend im Hof umher. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass die Windgeister unruhig hin- und herzuckten. Selbstverständlich war auch Charlotte von der Panik ergriffen worden.

Ich war klar im Kopf, hatte aber keine Kontrolle über meinen Körper. Innerlich seufzte ich auf und zählte die Sekunden. Als ich bei sechs angekommen war, verebbte das Geheul.

Während Rogue und Lucky die Köpfe schüttelten, um wieder zu Sinnen zu kommen, warf ich einen Blick auf meinen Zauberstab. Zum Glück hatte ich ihn nicht fallen lassen.

Aufgrund von magischer Wahrnehmung konnte ich genau erkennen, wie viel Magie ich bereits gesammelt hatte. Ich grinste in mich hinein. Dieser Teil des Plans funktionierte einwandfrei. Meine Magie hatte sich nicht zerstreut, wie es normal gewesen wäre. Warum? Weil ich es so wollte!

So schnell wir konnten, nahmen wir wieder unsere Positionen ein. Abermals hob ich meinen Stab und begann von Neuem, die Magie aufzusaugen. Dieses Mal jedoch ging ich nicht langsam vor, nein, mit aller Macht, die mir zur Verfügung stand, sammelte ich die pure Energie des Windes.

Im Innern des Burghofes brach ein Sturm aus, mit mir als Zentrum. Insgeheim dachte ich mir, allein die Magie zu sammeln, war bereits eine Art Angriff.

»Hey«, beschwerte sich Rogue, der taumelnd einige Schritte machte, um nicht umgeworfen zu werden. »Kannst du nicht etwas mehr aufpassen?«

»Nein«, sagte ich rasch. Unser aller Leben hing davon ab, dass ich, so schnell wie es mir nun mal möglich war, eine gewaltige Menge Energie konzentrierte. Auch wenn es mir leid tat, was ich Rogue und vor allem Lucky damit zumutete.

Beherzt warf ich meinem kleinen Liebling einen entschuldigenden Blick zu. Sie hatte sich zwischen zwei großen Steinen in Sicherheit gebracht, ihre Krallen tief in den Boden gerammt und hielt sich mit aller Kraft fest, damit sie nicht abhob.

Andere Dinge, wie eine schwarze, metallene Gießkanne, kleinere Steine und unzählige Blumen, hatten nicht so ein Glück. Sie alle wirbelten im Hof umher.

Wenn das so weiterging, würde ich Lucky und Rogue Schaden zufügen. Ich benötigte eine andere Art, Magie zu sammeln. Während ich an eine Art Strudel dachte, so in etwa, wenn man den Stöpsel aus dem Waschbecken zog, änderte sich etwas.

Der Sturm um mich herum legte sich, wobei ich blinzelnd auf den Tornado sah, der sich über dem Kristall meines Zauberstabs gebildet hatte. Meinem Willen entsprechend, sammelte ich nun die Magie weit oben in der Höhe und saugte sie trichterförmig nach unten. Ich war mehr als überrascht von meinem Erfolg.

Rogue drehte sich zu mir um und machte große Augen. »Alter, was bist du denn für ein Vogel?«

Der Bengel hatte Glück, dass ich gerade zu beschäftigt war, um ihm den Hintern zu versohlen. Fest davon überzeugt, ihn mir später zur Brust zu nehmen, bemerkte ich noch etwas, was ich verändert hatte.

Aufgrund des Sturmes, der kurz zuvor den Innenhof verwüstet hatte, waren mir die Geräusche von der Mauer gar nicht aufgefallen. Mir sackte das Herz in die Hose. Wie eine Dampframme schlug etwas immer wieder gegen die Steine.

Der Schreckenswolf versuchte, sich den Weg zu mir freizukratzen. Staub rieselte von der Mauer. Begleitet von einem dumpfen Splittern öffnete sich ein kleiner Riss im Gestein.

Entsetzt sah ich in ein gewaltiges gelbes Auge. Getränkt von Bosheit und Mordlust starrte mich das Monster an. Noch ehe ich Rogue und Lucky auf den Riss aufmerksam machen konnte, verschwand das Auge.

Im nächsten Moment brach eine riesige Pranke durch das Gestein. Einen Wimpernschlag später verschwand die Vorderpfote und hinterließ ein Loch in der Mauer.

»Achtung sie kommen«, schrie ich meinen Beschützern entgegen. Eine Antwort bekam ich nicht. Zum dritten Mal an diesem Tag erklang das Schreckensgeheul.

Während wir abermals panisch im Hof umherrannten, sah ich aus den Augenwinkeln, wie sich ein grauer Wolf durch das Loch in der Mauer quetschte. Felix’ Theorie stellte sich als wahr heraus. Dieser verdammte Schreckenswolf setzte uns mit seinem Skill außer Gefecht und hetzte uns gleichzeitig seine Schergen auf den Leib.

Hinter dem ersten erschien schon ein weiterer Wolf in dem Loch. Verdammt nochmal, in diesem Zustand konnten wir uns nicht zur Wehr setzen.

Mein Kopf drehte sich woandershin und ich verlor die Wölfe aus dem Blick. Wenn ich doch wenigstens sehen könnte, was geschah.

Endlich, nach fünf endlosen Sekunden, ebbte die Panikattacke ab. Ruckartig sah ich mich um, während ich schrie: »Feinde im Hof!«

Dann fiel mein Blick auf Rogue. Das Blut stockte in meinen Adern. Hinter dem Jungen sprintete einer der Wölfe auf ihn zu. Rogue, der offenbar länger als ich benötigte, um sich von dem Geheul zu erholen, hatte den Feind noch nicht bemerkt. Ohne sich der Gefahr bewusst zu sein, schüttelte er den Kopf.

»Rogue, pass auf, hinter dir«, schrie ich ihn an, aber es war zu spät. Mit weit geöffnetem Maul sprang der Wolf ihn an. Die Welt verlangsamte sich. Zwischen Rogues Hals und den spitzen, gelben Zähnen, von denen der Geifer rann, lagen nur noch wenige Zentimeter.

Die Zeit nahm wieder ihre normale Geschwindigkeit an. Der Wolf landete unverrichteter Dinge auf dem Boden. Verwirrt hob das Biest den Kopf und sah sich um.

Sprachlos starrte ich auf Rogue, der direkt neben dem Wolf stand. Ich hatte nicht den Hauch einer Ahnung, was gerade geschehen war. Zur Salzsäule erstarrt, sah ich zu, wie er in einer fließenden Bewegung seinen Arm hob. Stahl blitzte auf und der Wolf brach lautlos in sich zusammen. Rogue hatte ihm einen Dolch in den Nacken gestoßen.

»Wie, was?«, stammelte ich, vollkommen neben mir stehend. Ich hatte schon mit dem Schlimmsten gerechnet, aber da stand er, als ob nichts gewesen wäre.

Rogue hob den Kopf und sah mich mit erhobener Augenbraue an. »Hast du nicht eine Aufgabe zu erfüllen?«

Stimmte ja. Aktuell hatten wir keine Zeit zu verschwenden, im Hintergrund konnte ich den Schreckenswolf toben hören. Mit aller Gewalt weitete er das Loch in der Mauer.

Rasch wandte ich mich von Rogue ab und suchte nach meinem Zauberstab. Dieses Mal hatte ich ihn, während der Panikattacke verloren, ihn weggeworfen wie Abfall. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie die Windgeister drei weiteren Wölfen den Garaus machten.

Gut zwei wertvolle Sekunden später fand ich den Stab. Ich hechtete auf ihn zu und überprüfte die konzentrierte Magie. Ein wenig war verloren gegangen, aber der überwiegende Teil befand sich gespeichert im Kristall.

Rasch hob ich meinen Zauberstab und begann von Neuem, Magie zu sammeln. Nebenbei beobachtete ich, wie das Loch in der Mauer rasant größer wurde.

Ich schloss meine Augen und konzentrierte mich einzig und allein darauf, Magie zu sammeln. Noch ein Schreckensgeheul würden wir nicht überstehen.

Ein lautes Krachen ließ mich zusammenfahren. Ich blinzelte zur Mauer. Dort, wo zuvor das Loch gewesen war, befand sich eine Staubwolke. Das Mauerwerk hatte der Belastung nicht mehr standgehalten und war in sich zusammengestürzt.

Im nächsten Moment traf etwas mit der Kraft einer Abrissbirne den Schutthaufen. Steine schossen wie Gewehrkugeln durch den Innenhof, während meine Sicht von einer Staubwolke verdeckt wurde.

Das durfte doch wohl nicht wahr sein. Ich änderte den Strom meiner Magie und saugte die Staubpartikel aus dem Hof.

Zum Vorschein kam der Schreckenswolf. Erhobenen Hauptes stolzierte er, mit Siegesgewissheit in den Augen, durch den großen Spalt in der Mauer. Hinter ihm sah ich ein Meer aus Wölfen. Viel mehr, als wir erwartet hatten. Felix’ Plan würde scheitern!

Nachdem ich genug Magie gesammelt hätte, sollte ich unsere Gegner mit einem mächtigen Wirbelwind ausdünnen. Das Ziel dabei war, den Schreckenswolf zu isolieren. Ein Blick auf die durch den Spalt hineindrängende Meute sagte mir, dass ich nicht genügend Zeit hatte, Magie für diese Menge an Gegnern zu sammeln.

Fieberhaft suchte ich nach einem Ausweg. Sollte ich es vielleicht mit einem anderen Zauber versuchen? Wenn ja, mit welchem? Weder Windschnitt noch Windstoß schienen mir für dieses Vorhaben geeignet.

Die Windgeister schossen einen Zauber nach dem nächsten auf den Schreckenswolf, doch konnten sie ihm keinen Schaden zufügen. Ihre Magie wurde durch den Skill Windbarriere komplett neutralisiert.

Der Schreckenswolf grinste uns an, oder zumindest kam es mir so vor. Wohl wissend, dass es gewonnen hatte, baute sich das Ungetüm vor uns auf. Langsam öffnete es sein Maul.

Nein, so durfte es nicht enden. Ich musste etwas unternehmen, aber was? Die gesammelte Energie, würde nicht reichen, um meine schwachen Zauber derart zu verstärken, dass sie uns in dieser Lage hätten helfen können.

Der gewaltige Brustkorb dehnte sich aus, als das Monster rasselnd Luft in seine Lungen sog. Locker zehn Wölfe hatten sich hinter ihm versammelt, außer Reichweite der Windgeister und bereit zuzuschlagen, sobald das Signal erklang. Wie eine Flutwelle breiteten sie sich aus, während unaufhörlich weitere Gegner durch die Mauer drängten.

Ein neuer Zauber musste her und zwar jetzt. Mit aller Macht wollte ich nur noch eines: alle Wölfe vernichten. Eine seltsame innere Ruhe legte sich über meinen Geist. Ohne zu verstehen, woher, wusste ich, was zu tun war. Die gesammelte Magie war mehr als genug. Ich hatte nur in zu kleinem Maßstab gedacht.

Augenblicklich streckte ich beide Hände zum Himmel empor. Mit einem Schlag entließ ich die gesamte Energie, während ich nur ein Wort brüllte: »Orkan.«

Ein grüner Blitz schoss senkrecht aus meinem Zauberstab. Er bestand nicht aus Elektrizität, sondern aus reiner Magie, so stark konzentriert, dass jeder ihn sehen konnte. Alle hoben den Blick, selbst der Schreckenswolf konnte der Versuchung nicht widerstehen.

In einer Höhe von über einem Kilometer fächerte sich der grüne Blitz in alle Richtungen auf. Augenblicklich entstand ein gewaltiger Wirbel, so groß wie Felix gesamtes Anwesen.

Im nächsten Moment fuhr eine Sturmwand gen Boden und umhüllte das Grundstück mit einem grauweiß gestreiften Schleier.

Das jaulende Wehklagen unzähliger Wölfe drang in meine Ohren, gemischt mit dem Geräusch von Bäumen, die aus der Erde gerissen wurden. Ein sanftes, erschreckend beruhigendes Tosen überlagerte und umspielte alle anderen Klänge.

Die Farbe der Sturmwand änderte sich, braune Erde, grüne Blätter, dreckig graue Wolfsfelle mischten sich mit hinein. Ob es an den Strahlen der Sonne oder am Blut meiner Feinde lag, allmählich wurde die Windmauer in ein schwaches Rot verfärbt.

Vollkommen gelassen, sah ich mir dieses Spektakel an. Ich hatte diesen Orkan erschaffen, er wurde durch meinen Willen gelenkt. Ohne es sehen zu können, wusste ich eines: Außerhalb dieser Mauern war kein einziger Wolf mehr am Leben. Warum? Weil ich es so wollte!

Langsam senkte ich meine Hände bis auf Brusthöhe, dann riss ich sie so weit auseinander, wie ich nur konnte. Der Sturm reagierte sofort. Die Windmauer dehnte sich schlagartig aus und stob in alle Richtungen davon. Weit weg von hier würde alles, was meine Magie erwischt hatte, zu Boden fallen, dessen war ich mir bewusst.

Ein wirres Lachen zwängte sich aus meinem Hals. Ich war trunken von Macht und jeder sollte es wissen: Dieser Zauber ging auf mein Konto.

Frech grinste ich dem Schreckenswolf ins Gesicht. In der Bewegung erstarrt, blickten mich seine vor Schreck geweiteten, gelben Augen an. Die paar kleinen Wölfe, die noch im Innenhof standen, zogen ihren Schweif ein und rannten davon, als ob der Teufel höchstpersönlich hinter ihnen her wäre.

»Bleiben nur noch wir beide, du Untier«, sagte ich überheblich zu den Schreckenswolf.

Bösartig verengten sich seine Pupillen.

»Oh, habe ich das Monster wütend gemacht, das tut mir aber leid«, höhnte ich. Dieses unglaubliche Gefühl der Macht strömte noch immer durch meine Adern. Nichts und niemand konnte mich aufhalten.

Wie sehr ich mich irrte …

Der Schreckenswolf hob den Kopf und ließ sein Geheul erklingen. Wie die Male zuvor, rannte und stolperte ich über den Burghof. Dabei sah ich Rogue an mir vorbeikommen.

Mit einem Mal hatte ich schreckliche Gewissensbisse. Was hatte ich getan? Ja, ich wollte die Wölfe loswerden, aber doch nicht so? Oder war es genau das, was ich wollte? Ich fühlte mich nicht mehr wie der Held des Tages, sondern eher wie ein angehender Superschurke.

Warum nur war ich dem Schreckenswolf derart auf den Schweif getreten? War doch klar gewesen, dass dieser sich rächen würde. Ganze acht Sekunden ließ er uns kopflos im Kreis laufen, bis ihm die Puste ausging.

Ich riss den Kopf herum, um zu sehen, was das Monster vorhatte. Solange er Schreckensgeheul einsetzte, waren wir zwar außer Gefecht, er aber auch. Im Grunde eine Pattsituation.

Entsetzt sah ich, wie das Monster zum Sprung ansetzte. Bevor ich auch nur einen Ton rausbrachte, machte das Biest einen Satz in die Luft. Sein Maul schnappte nach einem der Windgeister, während seine rechte Pranke einen Zweiten zu Boden riss.

Der Schreckenswolf sah zu mir, suchte meinen Blick. Dann schloss er demonstrativ sein Maul. Es knackte laut, als die Kristalle zerbrachen. Der Windgeist löste sich in Lichtpunkte auf und verschwand ins Nichts. Damit blieb nur noch ein Elementar übrig, den Zweiten hatte er bei der Landung zertrampelt.

Warum hatte er das getan? Die Windgeister konnten ihm eh nichts anhaben. Oder war das reines Kalkül? Nach dem Motto: Du hast mir meine Freunde genommen, nun nehm ich dir deine.

Hatte er sich absichtlich die Windgeister zuerst vorgenommen, damit wir anderen sehen konnten, was auf uns zukam? In diesem Augenblick traute ich dem Schreckenswolf so einiges zu.

Eines hatte ich nun verstanden. Sein Geheul war zwar ein Patt, aber er war im Anschluss wesentlich schneller angriffsbereit als wir. Am liebsten hätte ich mich verdrückt. Ich wollte nicht gegen so ein Monster kämpfen.

Ich schüttelte den Kopf. Nein. So leicht würde ich mich nicht ins Bockshorn jagen lassen. In meinem letzten Leben hatte ich mir viel zu oft die Entscheidung von anderen abnehmen lassen, hatte immer wieder nachgegeben. Am Ende war ich immer Durchschnitt. Doch jetzt hatte ich eine zweite Chance bekommen und die wollte ich nutzen. Mein Wunsch musste sich erfüllen. In nicht allzu ferner Zukunft würde jeder meinen Namen kennen: Adrian, der Mächtigste aller Magier!

Nebenbei bemerkte ich, wie sich der letzte Windgeist zurückzog. Er stieg hoch in die Luft. Entweder wollte Charlotte ihren letzten Wächter nicht verlieren oder sie hatte einen Plan. So oder so, auf den Windgeist konnte ich nicht bauen. Seine Angriffe waren zu schwach, um etwas gegen dieses Monster auszurichten.

Aufgewühlt hob ich eine Hand und feuerte einen Windschnitt auf den Schreckenswolf ab, wobei ich alles um mich herum im Blick behielt. Meine Basis-Zauberkraft, ohne Magie aus der Umgebung zu sammeln, war nun mit der Stärke von Charlottes Windgeistern gleichzusetzen. Das musste wohl auch mein Gegner gespürt haben, da er sich nicht einmal die Mühe machte, auszuweichen.

Mein Zauber raste direkt auf die schwarze Nase zu und verschwand. Nein, nicht direkt. Mittels magischer Wahrnehmung achtete ich genau auf die Geschehnisse.

Eine unsichtbare Mauer aus Wind umgab den Schreckenswolf. Hauchdünn und doch sehr widerstandsfähig. Die Windbarriere löste meinen Zauber nicht auf, sondern lenkte ihn ab und nahm ihm gleichzeitig sämtliche kinetische Energie.

Ich benötigte mehr Zeit. »Windstoß.« Absichtlich zielte ich auf den Boden, um Staub, Erde, Blumen und, was sonst noch so herumlag, aufzuwirbeln. Ungerührt war der Schreckenswolf stehen geblieben und hatte zu spät bemerkt, was ich vorhatte. Zwar drang der Dreck nicht durch sein Schild, aber ich konnte ihm erfolgreich die Sicht nehmen.

Rasch sammelte ich mich und ging die Fakten durch. Meine Zauber konnten die Windbarriere nicht durchdringen. Um meinem Feind Schaden zuzufügen, würde ich mehr Energie fokussieren müssen. Solange ich Magie sammelte, war ich leicht Beute. Demnach würde dieser Weg wohl nicht zum Ziel führen.

Aus dem Augenwinkel bemerkte ich eine Bewegung. Rogue schoss an mir vorbei und stürzte sich, ohne dabei ein Geräusch zu verursachen, auf den roten Wolf.

Ich biss mir auf die Unterlippe. Wenn ich jetzt etwas sagte, würde ich ihn verraten. Diese eigenmächtige Aktion war von mir keineswegs eingeplant gewesen.

Die silbrigen Klingen blitzten durch die Luft. Offenbar zielte Rogue auf das Gelenk der linken Vorderpfote. Sein Vorhaben war simpel, er wollte den Wolf in seinen Bewegungen einschränken.

Dann trafen beide Dolche auf die Windbarriere und prallten daran ab, ohne dem Biest einen Kratzer zu verpassen. Enttäuscht stöhnte ich auf.

»Zieh dich zurück«, rief ich Rogue zu.

Bevor er aber in der Lage war, meine Anweisung umzusetzen, hob der Schreckenswolf die linke Pranke und schlug zu. Ich riss die Augen auf. Zum zweiten Mal war Rogue wie durch ein Wunder dem Tod von der Schippe gesprungen. Ein Schritt neben ihm donnerte die Pranke des Wolfs auf den Boden.

Geschickt machte Rogue einen Rückwärtssalto und dreht sich zu mir um. In diesem Augenblick senkte das Biest den Kopf und biss zu. Dieses Mal konnte der Junge nicht rechtzeitig ausweichen.

Entsetzt sah ich zu, wie die Zähne Rogue an der rechten Schulter trafen. Der Wolf hob den Kopf und warf mir Rogue vor die Füße.

Blut spritzte mir auf die Robe, während ich wie gebannt auf die Wunde sah. Dieses verdammte Monster hatte Rogue ein Stück Fleisch herausgebissen.

Schmerzerfüllt schrie der Katzenjunge auf, sich mit einer Hand die Wunde haltend. Das zu sehen und seine Stimme zu hören, löste meine Starre. Ich ging vor ihm in die Hocke. Verbandszeug! Ich benötigte etwas, um die Wunde zu versorgen. Aber ich hatte nichts bei mir. Der Seesack lag in meinem Zimmer.

Ohne groß darüber nachzudenken, nutzte ich eine abgeschwächte Version von Windschnitt, um einen Ärmel meiner Robe abzutrennen. Damit verband ich Rogues Schulter provisorisch. Mühsam rappelte er sich wieder auf die Beine.

»Dieses Drecksvieh spielt mit uns«, meinte er mit Tränen in den Augen, »Wenn es gewollt hätte, dann wäre ich jetzt tot.«

Ich erhob mich ebenfalls und sah zu dem Monster. Der Schreckenswolf hatte sich auf die Hinterläufe gesetzt und sah uns seelenruhig zu. Ganz offensichtlich genoss das Biest die Show. Es ergötzte sich an unserer Verzweiflung.

»Du hast Recht«, pflichtete ich Rogue bei. »Aber was machen wir jetzt?«

Ehe Rogue antworten konnte, hob der Wolf den Kopf. Zum vierten Mal erklang das Schreckensgeheul.

Als ich mich wieder bewegen konnte, riss mich etwas von den Füßen. Ich wurde umgedreht und starrte dem Schreckenswolf in die Augen. Mit der rechten Pranke drückte er mich in die feuchte Erde eines Blumenbeetes, in das ich aus Panik gelaufen war.

Schwach konnte ich einige Blumen riechen, doch der Gestank des Monsters war wesentlich stärker. Der Wolf roch nach Tod und Verwesung. Ich wollte gar nicht wissen, wie viele Menschen dieses Vieh auf dem Gewissen hatte.

Während sich der Druck auf meinen Brustkorb verstärkte, fuhr das Biest langsam und genüsslich die Krallen aus. Sie bohrten sich durch meine Robe direkt in mein Fleisch.

In Qualen schrie ich auf und versuchte, mit allen Gliedern um mich schlagend, zu entkommen. Vergeblich das Monster ließ mich nicht los, es sah mir einfach nur dabei zu, wie ich litt.

»Geh weg von ihm.«

Ich konnte sehen, wie Rogue auf mich zueilte und auf das Vorderbein des Monsters einstach. Jedoch konnte er weder dem Schreckenswolf Schaden zufügen, noch beachtete das Biest ihn.

Plötzlich kam etwas Silbernes in mein Sichtfeld. Erst dachte ich, es wäre Lucky, aber das konnte nicht sein, das Wesen war so groß wie ein Pferd. Es rammte den Wolf, wodurch dieser zur Seite taumelte. Endlich war ich wieder frei.

Zitternd hob ich den Kopf. Ich wollte sehen, was mich gerettet hatte. Mir klappte der Mund auf. Das pferdegroße Geschöpf hatte silbernes Fell und drei flauschige Schweife.

»Lucky?«, stammelte ich.

Meine nicht mehr so kleine Diva knurrte den Wolf bösartig an. Ihr Fell war gesträubt. Aber das Monster nahm überhaupt keine Notiz mehr von uns. Sein Kopf war zu der Spalte im Mauerwerk gerichtet.

Dort stand ein Wolfsmensch. Kurze, silbrig graue Haare wirbelten leicht in der Meeresbrise, während seine spitz aufragenden Wolfsohren auf den Feind gerichtet waren. Hinter ihm konnte ich leicht seinen buschigen Schweif wedeln sehen.

Seine feine Ledermontur war mit silbernen Ornamenten verziert, die wohl neben ästhetischen Gründen, der Abwehr dienten. In seinen Händen hielt er eine solide wirkende Zweihanddoppelaxt mit filigran gearbeiteten, halbrunden Schneiden, von denen Blut tropfte.

»Ich weiß zwar nicht, wer ihr seid, aber dieser Alphawolf ist meine Beute. Haltet euch da raus und verschwindet.«

Sprachlos starrte ich den Neuankömmling an. Der hatte wohl nicht alle Tassen im Schrank. Nebenbei bemerkte ich, wie sich Rogue vor mir aufbaute und mir eine Hand hinhielt - den Wolfsmenschen vollkommen missachtend. Rasch schüttelte ich den Kopf. Zum Bauklötze Staunen hatte ich gerade keine Zeit, wir waren mitten in einem Kampf auf Leben und Tod.

Begleitet von einem leisen: »Danke«, ließ ich mich hochziehen. Es erklang ein schmatzendes Geräusch, als Rogue mir auf die Beine half. Dabei hinterließ ich einen mannsgroßen Abdruck im Blumenbeet. Der Schreckenswolf hatte mich so tief in die feuchte Erde gedrückt, dass es mir ohne fremde Hilfe wohl kaum möglich gewesen wäre, mich zu befreien.

Erst dann hob ich wieder den Blick und sah zu dem Wolfsmenschen, der sich mit dem Schreckenswolf ein Blickduell lieferte. Salopp sagte ich: »Bitte gerne. Wir schenken ihn dir.«

»Mir schenken?« Der Fremde runzelte die Stirn. Dann schüttelte er den Kopf. »Ich nehme keine Almosen an. Wer den Alphawolf tötet, der erhält die Belohnung.«

Ich konnte nur den Kopf schütteln. Wirklich helle schien der Kerl nicht zu sein.

Gedeckt von Lucky, stützten Rogue und ich uns gegenseitig und zogen uns erstmal zurück. Bei jeder kleinen Bewegung brannte meine Brust wie Feuer, dennoch gab ich keinen Mucks von mir. Rogue war ebenfalls verletzt und vor ihm musste ich Stärke zeigen. Er musste sehen, dass sein großer Bruder keine Memme war und dass er auf mich bauen konnte. Und ehrlicherweise wollte ich auch nicht vor dem Wolfsmenschen als Looser dastehen.

Ich biss mir auf die Zunge, während ich mich auf eine der herumstehenden Steinbänke sinken ließ. Kurz sah ich mich um. Den Innenhof hatte ich ganz schön zugerichtet. Gespannt wartete ich darauf, was nun geschehen würde.

Der Fremde war in der Zwischenzeit nähergekommen. Das Seltsame an dem Bild, was sich mir darbot, war, das Verhalten des Schreckenswolfes. Seitdem der Axttyp aufgetaucht war, hatte das Monster ihn keine Sekunde aus den Augen gelassen. Fühlte er sich bedroht oder sah er in dem Kerl ein neues Spielzeug?

Der Wolfsmensch hob seine Axt und schlug zu. Bei der Geschwindigkeit und Wucht seines Angriffes verschlug es mir die Sprache. Am erstaunlichsten jedoch war, dass der Schreckenswolf auswich, indem er zurücksprang. Aus dieser Beobachtung schloss ich, dieser Angriff hätte dem Wolf Schaden zufügen können.

Augenblicklich erfolgte der Konter des Biests. Mit der rechten Pranke schlug er nach dem Fremden. Breitbeinig stehend, parierte der Wolfsmensch erfolgreich den Schlag mit dem Schaft seiner Axt, die er mit beiden Händen führte.

Ich konnte es nicht glauben. Vor meinen Augen entwickelte sich ein Kampf auf Augenhöhe, wenn nicht der Kerl sogar der Stärkere war. Wohingegen das Biest ein ums andere Mal auswich, blockte der Wolfsmensch jeden Gegenangriff ab. Ein Eingreifen meinerseits war wohl weder erwünscht, noch nötig.

Rogue ließ sich neben mir nieder, während sich Lucky auf meiner anderen Seite auf den Boden setzte. So groß, wie mein Liebling nun war, würde sie auch nicht mehr auf meinen Schoß passen.

Als hätte sie meine Gedanken gelesen, sah sie zu mir herunter und gab ein helles Bellen von sich, das nicht wirklich zu ihrer Größe passte, während sie mit ihren drei plüchigen Schweifen leicht wedelte. Während ich ungläubig blinzelte, wurde sie immer kleiner, bis sie ihre normale Größe angenommen hatte.

Der Kampflärm lenkte meine Aufmerksamkeit rasch wieder auf die beiden Kontrahenten. Verstohlen warf ich dabei einen Blick auf den Charakterbogen des Wolfsmenschen, später würde ich auch Luckys sowie den von Rogue untersuchen. Doch dafür wollte ich mir ausreichend Zeit nehmen. Dieses seltsame Ausweichen war ganz eindeutig ein neuer Skill. Da war ich mir zu neunundneunzig Prozent sicher.

Ich schüttelte den Kopf und konzentrierte mich auf den Text vor mir:
 

Name: Aaron

Geschlecht: männlich

Spezies: Wolfsmensch

Alter: 16

Klasse: Krieger

Rang: Experte

Abenteurerrang: Opal

Spezies Skills: Spürnase / Ultrainstinkt

Klassen Skills: Nahkampfwaffen / Kreuzschnitt / Klingenwirbel / Mächtiger Hieb

Extra Skills: Fährtenleser

Abwehr Skills: Eisenhaut / Körperresistenz I
 

Entsetzt riss ich die Augen auf. Aaron war erst sechzehn? Er sah eindeutig älter aus. Ich hätte ihn auf locker zwanzig geschätzt, in etwa so alt, wie ich es war.

Rein vom Äußerlichen wäre er genau mein Typ: Breite Schultern, wohl definierte Muskeln. Ein wenig einfältig. Was sollte ich mir mehr wünschen? Nur leider sagte mir meine Intention, Aaron war hetero. Da konnte ich wohl nichts machen.

Seine Klasse Krieger hätte ich mir auch so zusammenreimen können. Überraschend fand ich seinen Abenteurerrang Opal. Aaron war stärker, als er aussah. Bisher hatte ich gar nicht gewusst, dass Analyse mir das anzeigen konnte.

Rasch überflog ich seine Fähigkeiten. Da war nichts weiter von Interesse dabei. Bei allen war der Name das Programm. Irritiert sah ich mir aber den Text seiner beiden Abwehrskills genauer an, für mich waren diese ein- und dasselbe.

Ich lehnte mich leicht zurück und zuckte sogleich vor Schmerz zusammen. Verdammter Dreckswolf. Ich atmete gegen das Brennen meiner Brust an und ging im Kopf durch, was ich soeben gelernt hatte.

Während hinter dem Begriff Eisenhaut genau das steckte, was ich vermutet hatte, nämlich eine erhöhte Abwehr gegenüber physischer Angriffe, ging es bei der Körperresistenz I, um den Widerstand für Dinge, wie Paralyse, Rückschlag und Blutungen, sprich um Effekte, die auf den Körper abzielten.

Ich schloss alle Fenster und konzentrierte mich wieder auf den Kampf. Auf einmal reckte der Schreckenswolf den Kopf.

Nicht schon wieder. Gab es denn keine Möglichkeit, sich dem Schreckensgeheul zu entziehen? Im Grunde war das ein Schallangriff. Was wusste ich über Schall? Mir die Ohren zuzuhalten, würde nichts bringen. Ich konnte immer noch etwas hören. Dann besann ich mich auf meine Schulkenntnisse. Schallwellen benötigen ein Medium wie Luft oder Wasser, um übertragen zu werden. Was wenn ich einen luftleeren Raum um meine Ohren erzeugen würde? Ob meine Magie dazu im Stande war?

Als ich sah, wie sich der Brustkorb des Wolfes ausdehnte, versuchte ich mein Glück. Leise murmelte ich: »Vakuumsphäre.«

Augenblicklich verlor ich mein Gehör - einzig das Rauschen meine eigenen Blutes konnte ich noch wahrnehmen. Das Heulen des Biestes ließ meinen ganzen Körper zwar leicht vibrieren, aber ich konnte es nicht hören.

Blinzelnd sah ich zu, wie Rogue, Lucky und auch Aaron kopflos über den Hof irrten. Schlagartig kam mir eine Idee. Was, wenn ich den Kopf des Schreckenswolfes mit einer Vakuumsphäre umschloß?

Nahezu jedes Lebewesen benötigte Sauerstoff. Auf die eine oder andere Art und Weise. Im Vakuum konnte nichts überleben, mit Ausnahme einiger Bakterien und Einzeller, soweit ich jedenfalls wusste.

Überrascht stellte ich fest, dass ich für einen solchen Zauber nicht einmal Magie sammeln musste, solange ich die Sphäre klein genug hielt. Um nur Maul und Nase zu umhüllen, würde es alle Male reichen.

Einen Versuch wäre es wert. Geduldig sah ich den anderen bei ihrem unfreiwilligen Spaziergang zu und wartete ab. Vielleicht hätte ihnen helfen können, aber ich konzentrierte mich besser auf den Kampf.

In dem Augenblick, da der Schreckenswolf den Kopf senkte, hob ich meine Hand und schrie, wobei ich das Brennen meiner Brust ausblendete: »Vakuumsphäre.« Dabei richtete ich meine Magie auf das Maul des Untiers.

Seltsamerweise konnte ich meine eigene Stimme hören. Das musste wohl an der Übertragung mittels Vibration im Inneren meines Kopfes liegen.

Der Wolf versuchte, Luft zu holen, jedoch war da keine mehr. Rasch riss er den Kopf herum und versuchte es an einer anderen Stelle. Verdammt, mein Zauber hielt nicht, der Wolf konnte sich befreien.

Bis zu diesem Zeitpunkt war ich mir nicht sicher, ob mein Zauber überhaupt einen Effekt auf den Wolf haben würde. Da es sich aber um keinen direkten Angriff handelte, war die Windbarriere machtlos gegen meine Magie, wie mir das Monster mit seinem Verhalten deutlich zeigte.

Ich löste schnell die beiden Zauber um meine Ohren. Nicht zu hören, war echt unangenehm, da fühlte man sich so abgeschottet von allem.

Dann konzentrierte ich mich wieder und rief abermals: »Vakuumsphäre.«

Mit einem Sprung rückwärts brachte sich das Monster in Sicherheit und holte Luft. In seinen gelben Augen stand ein mörderischer Ausdruck, als er zu mir sah.

Mir lief ein kalter Schauder den Rücken hinunter. Ich wusste, er würde mich ohne Gnade töten, sollte er mich erreichen.

In diesem Augenblick warf sich Aaron erneut in den Kampf und bewahrte mich vor dem Schicksal, als Wolfsfutter zu enden.

»Hör auf, auszuweichen, du Mistvieh«, schrie Aaron den Wolf an. Doch dieser dachte gar nicht daran, dieser Aufforderung nachzukommen.

Wann immer der Wolfsmensch mit seiner Waffe zuschlug, sprang das Monster geschickt zur Seite und versuchte es mit einem Gegenangriff, der wiederum von Aaron abgeblockt wurde. Eine Patt-Situation, keiner der beiden schaffte es, seinen Gegner zu verletzen.

So konnte das aber nicht weitergehen. Ich wollte nicht warten und herausfinden, wem zuerst die Puste ausgehen würde, daher entschied ich mich, aktiv mitzumischen.

Genau in dem Augenblick, da der Schreckenswolf Luft holen wollte, rief ich: »Vakuumsphäre.«

Aufgrund des Luftmagels riss das Monster instinktiv den Kopf herum, um meinem Zauber zu entkommen. Aarons Axt sauste nieder und verfehlte den Kopf des Untiers um Haaresbreite.

Allein konnte ich gegen den Wolf nichts ausrichten, aber mit Aaron gemeinsam sah die Angelegenheit schon anders aus.

Mit einem gewaltigen Sprung rückwärts, brachte sich das Monster in Sicherheit. Ruckartig sah es zwischen mir und Aaron hin und her. Offensichtlich versuchte es, zu entscheiden, wer von uns beiden die größere Bedrohung darstellte. Dann aber sah ich, wie der Wolf einen Blick in Richtung Mauer riskierte.

»Er will abhauen«, rief ich Aaron warnend zu.

Augenblicklich versperrte der Wolfsmensch dem Biest den Fluchtweg. Erbost knurrte er dabei: »Ich lasse meine Beute niemals entkommen.«

Abermals passte ich den rechten Augenblick ab, da der Wolf Luft holen wollte und rief: »Vakuumsphäre.«

Als wäre das so abgesprochen gewesen, hob Aaron gleichzeitig seine Waffe über den Kopf und schrie: »Mächtiger Hieb.«

Beide Axtschneiden begannen leicht zu glühen, pulsierten immer stärker, als ob sie sich aufladen würden. Abgelenkt von meinem Zauber, reagierte das rote Ungetüm zu spät. Der Stahl sauste mit unglaublicher Geschwindigkeit nieder und bohrte sich, begleitet von einem lauten Krachen, vor dem Wolf in den Boden. Gleichsam schoss eine Art Schockwelle, der Bewegung der Axt folgend davon. Sie passierte den Hals des Monster und raste unbeirrt weiter, bis sie donnernd in der Außenmauer einschlug. Dort hinterließ der Angriff einen tiefen Einschnitt im Gestein.

Einen Augenblick lang sah es so aus, als wäre der Mächtige Hieb wirkungslos an der Windbarriere des Wolfes abgeprallt. Dann, kaum einen Wimpernschlag später, rutsche der Kopf des Untiers von dessen Hals und landete vor dem zuckenden Körper auf dem Boden. Aaron hatte das Vieh mit nur einem Schlag, sauber geköpft - eine beachtliche Leistung, wie ich fand.

Der Krieger

Blut, einer Fontäne gleich, schoss aus dem Torso des Monsters. Während ich angewidert den Mund verzog, sackte der Leichnam in sich zusammen.

Begleitet von einem dumpfen Scheppern, zog Aaron seine Axt aus dem Boden und sah zu mir herüber. In seinen Augen lag ein seltsamer Ausdruck, den ich nicht zu deuten wusste.

Ich beschloss, den Kerl erstmal zu ignorieren. Aktuell gab es Wichtigeres. Nun da der Schreckenswolf tot war, sollte ich mich um unsere Verletzungen kümmern.

Ich hob den Blick. Dort, über uns, schwebte der letzte Windgeist. »Charlotte, kannst du mich hören? Wir sind verletzt, ich benötige meinen Seesack. Wärst du so nett und würdest ihn zu mir bringen?«

Das Windelementar drehte sich ins Profil und neigte sich leicht nach oben. Die Geste war eindeutig: hochnäsiges Kopfheben. Ich konnte nicht anders, als über diese kindische Aktion zu schmunzeln. Da schoss der Windgeist auch schon davon.

Im nächsten Augenblick hörte ich, wie die doppelflügelige Eingangstür geöffnet wurde. Ich wandte meinen Blick dorthin und sah die Dorfbewohner langsam heraustreten. Vorsichtig schauten sie sich um. Einige zeigten auf den toten Schreckenswolf, dann brachen sie in Jubel aus.

Bei diesem Anblick zuckte ich zusammen. »Aua«, stieß ich unwillkürlich hervor, da meine Brust wie Feuer brannte.

Leichtfüßig sprang Lucky um mich und stellte sich dem lärmenden Mob in den Weg. Sie bleckte die Zähne und stellte das Fell auf. Irgendwie fand ich, dass sie eher süß als bedrohlich aussah. Offenbar betrachteten die Dorfbewohner sie ebenfalls als nicht gefährlich, da sie weiternin auf uns zustürmten.

Explosionsartig dehnte sich Luckys Körper aus. Vom einen zum anderen Augenblick stand dort eine gut zwei Meter große, aufgebrachte Fuchsdame. Nun sah sie keineswegs mehr süß aus, sondern wie ein Monster, ähnlich dem Schreckenswolf, wenn auch etwas kleiner.

Ängstlich wichen die Dorfbewohner bei ihrem dröhnenden Knurren zurück.

»Lucky, aus«, befahl ich streng. »Sie wollen mir nichts tun. Mach brav Sitz.«

Das Knurren erstarb, während sie mich blinzelnd ansah. Ich hob eine Augenbraue und starrte sie nieder. Zur Überraschung aller, auch der meinen, tat Lucky, was ich wollte. Sie ließ alle Drohgebärden fallen und setzte sich auf ihre Hinterläufe. Ihre drei Schweife zuckten unruhig umher, während sie die Dorfbewohner scharf im Blick behielt.

Ich wandte mich an die Leute: »Entschuldigt bitte. Mein kleiner Liebling will mich nur beschützen. Rogue und ich wurden bei dem Kampf verletzt, aus diesem Grund ist Lucky gerade etwas überfürsorglich.«

Gustav drängte sich an die Spitze seiner Leute. »Wir müssen uns entschuldigen, Sie so bedrängt zu haben, werter Magier. Sie haben uns alle gerettet. Wir stehen tief in Ihrer Schuld.«

Er, sowie alle anderen, verbeugten sich vor mir. Der Ehre zuviel, kratzte ich mich verlegen am Hinterkopf, den Schmerz kurzerhand ausblendend. »Aaron hat den Wolf getötet. Ich habe ihn lediglich unterstützt und das Monster abgelenkt.«

Das war nichts als die reine Wahrheit. Von der Seite mischte sich Aaron schnaubend ein: »Ich danke dir für deine Hilfe, Magier.«

»Kein Problem.« In diesem Augenblick kehrte Charlottes Windgeist zurück und übergab mir meinen Seesack. Abermals beschloss ich das Gespräch mit Aaron auf später zu verschieben. Zurzeit hatte ich andere Sorgen.

Rasch griff ich in meinen Beutel und zog die beiden Heiltränke hervor. Ich wusste zwar nicht wie effektiv die waren, aber Schaden würden sie sicher nicht.

»Hier trink das.« Mit diesen Worten übergab ich Rogue eine der Phiolen, die mit einer dunkelblauen Flüssigkeit gefüllt war.

Mein Kamerad riss die Augen auf und fragte: »Echt jetzt. Beim heiligen Licht, was hast du da alles reingestopft?«

Ohne auf seine Worte einzugehen, entkorkte ich meinen Trank und schluckte die leicht bittere Substanz hinunter. Augenblicklich spürte ich eine Veränderung. Der Schmerz ließ nach. Erleichtert stöhnte ich auf. Allein dafür war ich dem Götterdrachen sehr dankbar, da er mir diese Heiltränke zugesteckt hatte.

Rogue folgte meinem Beispiel. Anschließend steckte ich die leeren Phiolen zurück in meinen Beutel. Eines hatte ich von Garrets langatmigen Vorträgen behalten, verschwende nichts, was noch hilfreich sein könnte.

Aaron sah uns stirnrunzelnd zu. Offenbar lag ihm etwas auf dem Herzen, jedoch sagte er nichts. Das war mir nur recht.

Während Lucky weiterhin die Dorfbewohner in Schach hielt, griff ich nach Rogues Arm. Vorsichtig zog ich den Jungen zu mir, um mir seine Wunde genauer anzusehen. Ob die hier Desinfektionsmittel hatten? Wenn nicht, würde ich nach hochprozentigem Alkohol fragen.

Rogue warf mir einen fragenden Blick zu, ließ mich aber gewähren. Behutsam zupfte ich an den blutverkrusteten Stoffresten über seiner rechten Schulter. Darunter kam nackte Haut zum Vorschein. Irritiert blinzle ich diese Stelle an. »Wo ist denn die Wunde hin?«

Leise flüsterte Rogue mir zu: »Man ey, du weißt echt gar nichts über diese Welt, oder? Der Heiltrank hat die Wunde geschlossen, dafür sind die Dinger doch da.«

»Oh«, entwich es mir. Streng hob ich einen Finger. »Nicht so frech, du Bengel.«

Unverschämt grinste er mich an. Ehe ich etwas erwidern konnte, räusperte sich Aaron. »Ich stehe in deiner Schuld. Bis ich diese Schuld beglichen habe, werde ich mich deiner Gruppe anschließen.«

Ich ließ von Rogue ab und sah auf. Etwas neben mir stehend stammelte ich: »Wie bitte?«

Begleitet von einem Räuspern machte Gustav auf sich aufmerksam und lenkte mich erfolgreich von Aaron ab: »Verzeiht, werter Magier. Wenn Ihr erlaubt, würden wir gerne in unser Dorf zurückkehren. Nur wenn es keine Umstände bereitet.«

»Natürlich, ich habe nichts dagegen. Außerdem, wer bin ich, darüber entscheiden zu wollen, wo ihr euch aufhaltet?«

Ohne darüber nachzudenken, erhob ich mich. Da ich keinerlei Schmerz spürte, nahm ich an, dass auch meine Wunden sich geschlossen hatten. Bei dem Gedanken an die kleinen Strohhütten biss ich mir auf die Unterlippe. »Hoffentlich hat mein Zauber euer Dorf heil gelassen. Es tut mir Leid, ich hatte keine andere Wahl. Ich musste -«

Mit den Armen wedelnd, unterbrach Gustav mich. »Bitte, bitte. Nur keine Umstände. Ihr habt uns alle gerettet. Selbst, wenn das Dorf durch Ihre großartige Magie zerstört wurde, dann ist das eben so. Unsere Häuser haben wir im Nu wieder aufgebaut.«

Nach dieser Bekundung, verbeugen sich alle abermals vor mir und zogen langsam davon, wobei sie einen weiten Bogen um Lucky machten.

Während ich ihnen nachsah, spürte ich wie eine schwere Müdigkeit sich über mich legte. Die Nacht war viel zu kurz gewesen und nun, da die Aufregung des Kampfes sich gelegt hatte, wurde mir bewusst, wie erledigt ich war.

Hinter den Leuten kam Klaus auf uns zugeeilt. »Mein Herr wünscht Euch zu sprechen, werter Magier.«

Musste das jetzt sein? Ich wollte mich gerade nur noch aufs Ohr hauen und ausspannen. Das hatte ich mir doch verdient, oder?

Ich seufzte und nickte Klaus zu. Erschöpft stiefelte ich los. Hoffentlich würde das nicht allzu lange dauern.

*

Als Rogue hinter uns die Tür von Felix’ Schlafzimmer schließen wollte, schlüpfte Aaron ebenfalls herein. Für einen muskelbepackten Krieger konnte er sich recht flink bewegen.

»Alter, was willst du denn hier? Hör auf, uns zu verfolgen und verpiss dich, du Streuner.«

Für diese Worte verpasste ich Rogue eine saftige Kopfnuss. Was war nur in ihn gefahren? Dieses Verhalten ging weit über seine sonst so unverschämte Art hinaus. Ich fragte mich, was Rogue für ein Problem mit Aaron hatte. Darauf würde ich ihn wohl später noch ansprechen müssen. »Du sollst doch nicht so frech sein. Und lass dieses Unwort endlich bleiben.«

Sich den Kopf reibend, murmelte Rogue irgendwas vor sich hin. Bestimmt waren es Beschimpfungen oder so etwas in der Art. Streng fragte ich: »Wie bitte?«

»Nichts«, stieß er ertappt hervor und brachte sich rasch in Sicherheit.

Ich hob den Blick und sah zu Aaron. »Würdest du mir bitte erklären, warum du uns hinterherläufst?«

Irritiert blinzelte er mich an. Dann sagte er voller Inbrunst: »Ich folge dir überall hin. Wir sind doch jetzt eine Gruppe.«

Mein rechtes Auge begann zu zucken. Schnell wandte ich mich von ihm ab und entschied: »Darüber reden wir noch, Aaron, aber nicht jetzt.«

Ich sah zum Bett und fragte: »Du hast nach uns gerufen?«

»Wie ich sehe, hast du einen neuen Gefährten an deiner Seite«, sagte Felix. Anhand seiner Stimmlage, stellte ich mir vor, wie ein freches Grinsen seine Lippen umspielte. Zumindest einer fand diese absurde Situation erheiternd. »Ihr müsst erschöpft sein, bitte setzt euch doch.«

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Müde und ausgepowert war ich schon vor den endlosen Treppenstufen in den dritten Stock gewesen. Nun da das Adrenalin in meinen Adern endgültig nachließ, wünschte ich mir nichts sehnlicher, als in mein Bett zu steigen. Ich konnte nur hoffen, dass Felix uns nicht allzu lange aufhalten würde.

Nachdem sich jeder von uns einen Sessel ausgesucht hatte, begann der Weise mit ernster Stimme: »Ich habe euren Kampf genau verfolgt. Du hast meine Erwartungen deutlich übertroffen. Mir fehlen die Worte, um dir zu sagen, wie sehr du mich überrascht hast.«

Verlegen grinste ich meine Füße an. »Ich habe doch gar nichts Besonderes getan.«

»Nichts Besonderes?« Ich konnte es mir bildlich vorstellen, wie Felix gerade den Kopf schüttelte. »Du hast nicht nur maßgeblich geholfen den Schreckenswolf zu besiegen, sondern zwei weitere Zauber gelernt. Von den sechs großen Windzaubern beherrschst du nun fünf. Das ist eine beachtliche Leistung für dein Alter, die meine Anerkennung verdient. Jedoch frage ich mich, wie du das geschafft hast.«

Abermals ließ ich den Kopf hängen, diesmal aus Frustration. Mir blieb wohl keine andere Wahl, als ihm alles haargenau zu erklären. Ich konnte nur hoffen, nicht während meines Vortrages einzuschlafen.

Etwa zehn Minuten später schloss ich meine Erklärung ab. Mit müden Augen betrachtete ich Rogue. Der freche Bengel war auf seinem Sessel eingeschlafen und schnarchte leicht vor sich hin. Der hatte es gut. Auch Lucky döste friedlich auf meinem Schoß.

Einzig und allein Aaron schien wach zu sein, wobei ich anhand seines glasigen Blickes darauf schloss, dass er nicht wirklich zugehört hatte. Es hätte mich nicht gewundert, wenn er mit offenen Augen schlafen würde.

»Erstaunlich«, meinte Felix, wobei sich seine Stimme fast überschlug. »Du besitzt Wissen, das selbst mir nicht bekannt ist. Im Vakuum kann man also nicht sprechen? Das ist hochinteressant. Das schreit geradezu danach, erforscht zu werden.«

Etwas an Felix’ Geschwafel riss mich aus meinem Dämmerzustand. Ich blinzelte und ging seine Wort nochmals im Kopf durch. Mein Wissen soll besonders sein? So gut hatte ich in der Schule gar nicht aufgepasst. Allerdings kam mir da ein Verdacht.

»Felix, du sagtest, die Vorfahren der Menschen stammen von der Erde. Kannst du mir sagen, wann genau die ersten Menschen hier ankamen?«

Ich hatte angenommen, dass er etwas brauchen würde, um zu antworten, jedoch sagte er sofort: »Das war vor 303 Jahren, 2 Monaten und 21 Tagen.«

Erstaunt riss ich die Augen auf. Diese Angabe übertraf meine Erwartungen. Nun wusste ich, wie sich Felix fühlen musste, bei den Dingen, die ich tat. Stammelnd sagte ich: »Das, das ist eine sehr präzise Angabe.«

Vom Bett her konnte ich ihn lachen hören. »Ich vergesse immer wieder, dass du nicht von dieser Welt stammst. Heute ist der 21 Tag, des 2.Monats, im Jahre 303.«

Anschließend erklärte er mir, wie die Zeitrechnung auf Ter´nak vonstattenging:

Im Prinzip hatten die Menschen ihre Zeitrechnung aus dem alten Leben übernommen und an die Bedingungen dieses Planeten angepasst.

Der Tag ihrer Ankunft wurde als Startpunkt der Zeitrechnung bestimmt: 1. Tag des 1. Monats, im Jahre 0.

Kurz dachte ich über die soeben enthaltenen Informationen nach. Wenn die Erde der ersten Menschen auf Ter´nak in etwa der meinen entsprach, so stammten diese aus dem frühen 18. Jahrhundert.

Seit ihrer Ankunft auf Ter´nak musste einiges an Wissen verloren gegangen sein. Hinzu kam die Tatsache, dass sie die Zivilisation von Grund auf neu aufbauen mussten und es Magie gab. Vor allem der letzte Punkt dürfte ihre Entwicklung maßgeblich beeinflusst haben. Außerdem hatte ich nicht den Eindruck, dass sich die Wissenschaft auf dieser Welt erheblich weiterentwickelt hatte.

Das Ergebnis meiner Überlegungen war: Mein, wenn auch lückenhaftes Wissen im Bereich der Naturwissenschaften, übertraf alles, was die Menschen hier kannten. Diese These galt es, nun zu überprüfen.

Ich räusperte mich und sah zum Bett. »Felix, aus was bestehen Wolken?«

»Eine recht eigenartige Frage. Aus Luft natürlich.«

Nachdenklich runzelte ich die Stirn. Wolken bestanden aus kondensiertem Wasserdampf, nicht aus Luft. Andererseits war dieser Wasserdampf Teil der Luft.

Leider war Felix’ Aussage nicht eindeutig, daher fragte ich weiter: »Weißt du, aus was die Luft besteht?«

»Luft ist Luft, sie besteht aus nichts. Oder reden wir hier von Magie? In diesem Fall -«

Um ganz sicherzugehen, fiel ich ihm ins Wort und offenbarte: »Luft ist ein Gemisch aus verschiedenen Gasen. Sie besteht zu 78 Prozent aus Stickstoff, in etwa 21 Prozent aus Sauerstoff. Der Rest sind Kohlenstoffdioxid und Edelgase. Jedenfalls war das so auf der Erde, von der ich komme.«

Vom Bett her kam ein dumpfes Brummen. »Hm …, diese Worte sagen mir nichts. Wärst du so freundlich, mir das genauer zu erklären?«

Ich hatte Recht. Die Naturwissenschaft war in dieser Welt vollkommen unterentwickelt. Bevor ich mein Wissen mit ihm teilen konnte, musste ich gut nachdenken. Ich hatte genügend Filme und Serien gesehen oder Bücher gelesen, bei denen die Weitergabe von Technologie an unterentwickelte Spezies zu mannigfaltigen Problemen geführt hatte, teilweise zu deren Auslöschung.

Mit Lucky in den Armen stand ich auf. »Es tut mir Leid, Felix, aber das müssen wir verschieben. Ich bin von oben bis unten verschwitzt und blutbespritzt. Mit deiner Erlaubnis würde ich mich gerne etwas frisch machen und anschließend eine Runde schlafen. Wir können später weiterreden, wenn du willst.«

»Bitte, verzeih mir, dass ich keine Rücksicht auf dein körperliches Befinden genommen habe. Geh nur. Wenn du möchtest, kannst du gerne im Keller ein heißes Bad nehmen. Du musst wissen, dieses Haus wurde auf einer natürlichen heißen Quelle errichtet.«

Ein Bad, ein richtiges Bad, in einer Badewanne? Ich war mir sicher, dass meine Augen gerade funkelten. Seitdem ich auf diese Welt gekommen war, hatte ich mich lediglich mit einer Waschschüssel voller kaltem Wasser oder einem Bach abfinden müssen. Ich hätte mir nie träumen lassen, wie sehr ich solch einfach Dinge wie fließend warmes Wasser vermissen würde. Für ein Bad nahm ich sogar die vielen Treppen in kauf.

*

Kurze Zeit später saß ich, gemeinsam mit den anderen, in einer riesigen Badewanne im Keller. Das nahezu runde Ding besaß einen Durchmesser von schätzungsweise drei Metern und etwa einen Meter tiefe. Da die Wanne mitten im Raum in den Boden eingelassen worden war, erinnerte sie mich ein wenig an eine japanische heiße Quelle.

Befüllt wurde der kleine Pool von einem stetig fließenden, dampfendem Wasserfall, der aus einem über einen Meter hohen Stein quoll. Damit das Becken nicht überlief, gab es eine Art Abfluss. Dem Zulauf gegenüber war im grob gehauenen, grauen Steinboden eine Vertiefung eingelassen, über diese floss das heiße Wasser zur rechten Wand.

Diese Seite des Raumes musste direkt an der Klippe zum Meer liegen, da ich das Rauschen der Wellen durch die Öffnung, in der das Wasser verschwand, hören konnte. Mehrere weitere Löcher regulierten die Luftzufuhr und sorgten dafür, dass es trotz des vom heißen Wasser aufsteigenden Dampfes, angenehm frisch blieb.

Diese Badewanne war absolut überdimensioniert für eine Person. Ich zuckte mit den Schultern. Reiche Leute konnten sich immer Dinge leisten, von denen andere nur träumen konnten. Das war wohl in jeder Welt so.

Der Raum wurde von unzählige kleinen Kristallen erhellt. Wenn ich die Intensität des Lichtes durch eine Handbewegung herunterregulierte, dann funkelte die Decke wie der Sternenhimmel. Fehlte nur noch ein sanftes Harfenspiel und ich wäre in einem Spa gelandet.

Ich lehnte mich entspannt auf der am Rand eigens dafür vorgesehen Sitzfläche zurück und seufzte wohlig auf.

»Ah, tut das gut«, meinte Rogue neben mir. Während er keine Scheu vor dem Wasser hatte, wie ich erst vermutete, hielt sich Lucky fern von der Wanne. Nahe der Tür hatte sie Stellung bezogen und wachte mit Argusaugen über die Geschehnisse.

»Ja. Es ist recht angenehm«, stimmte Aaron zu. So ganz verstand ich immer noch nicht, was der Kerl hier zu suchen hatte. Er war uns einfach gefolgt und zu uns ins Wasser gekommen, bevor ich ihn aufhalten konnte.

Ich zuckte mit den Schultern. Sollte Aaron doch machen, was er wollte. Ungeniert warf ich ihm einen Blick zu. Wo käme ich denn hin, diese Aussicht nicht zu genießen. Der Wolfsmensch war echt nicht schlecht gebaut.

Schnell rief ich mir sein Alter in Erinnerung, bevor meine Gedanken in nicht jugendfreie Bereiche abdriften konnten. Aaron war erst sechzehn, ein halbes Kind, dennoch ein wahrhaft stattlicher Krieger.

»Sag mal Aaron, wundert es dich nicht, dass ich deinen Namen kenne?«, fragte ich aus einer Laune heraus.

»Nein, du bist doch ein Magier.«

Gespannt wartete ich, aber da kam nichts mehr. Dieser Krieger schien nicht gerade von der gesprächigen Sorte zu sein. »Du sagtest, dass du deine Schuld begleichen willst, was genau meinst du damit?«

Aaron hob den Kopf und sah mich an. »Du hast mir geholfen das Monster zu besiegen. Allein war ich dazu nicht im Stande.«

Dreist mischte sich Rogue ein: »Du bist uns nichts schuldig und kannst gerne verschwinden. Husch, husch ab in den Wald mit dir.«

Abermals reagiert der Bengel derart aggressiv, wobei ich mir noch immer keinen Reim auf sein Verhalten machen konnte.

Aaron sah verlegen zu Seite und ließ sich offenbar nicht im geringsten von Rogues Verhalten beeinflussen. »Ich gebe es zwar nicht gerne zu, aber ich hatte Angst und bin vor dem Alphawolf weggelaufen. Ohne Adrians Hilfe wäre ich wohl gestorben.«

Bevor Rogue ihn weiter ärgern konnte, hob ich eine Hand, um ihm Einhalt zu gebieten. Mit freundlicher Stimme erklärte ich: »Aaron, deine Angst wurde von dem Skill Schreckensgeheul erzeugt. Dafür musst du dich nicht schämen. Keiner von uns konnte dem Effekt dieser Fähigkeit widerstehen.«

Mit einem eigenartigen Blick sah Aaron mich an. »Du bist nicht weggelaufen. Ich habe es genau gesehen. Du hast uns beobachtet und dann den Wolf mit deiner Magie abgelenkt.«

Ich überging seinen Einwand. »Ich habe dich nicht gerettet. Ich bin sogar der Meinung, dass du dieses Biest auch ohne meine Hilfe erledigt hättest. Es tut mir leid, dass ich mich ungefragt eingemischt habe. Du bist mir nichts schuldig und musst uns nicht begleiten.«

Deprimiert senkte Aaron den Blick. »Ich wusste es, du willst mich nicht in deiner Gruppe haben. Ich verstehe schon. Menschen mögen eben keine Tiermenschen.«

Nachdenklich musterte ich ihn. So langsam bekam ich das Gefühl, dass Aaron nicht so einfältig war, wie ich gerade noch dachte. Wenn ich das richtig verstand, hatte er das mit der Schuld nur als Vorwand benutzt, um sich uns anzuschließen. Wie aber sollte ich nun mit ihm verfahren?

Im Grunde hatte ich nichts gegen ihn in meiner Gruppe einzuwenden. Ganz im Gegenteil. Er würde uns prima ergänzen. Als Magier war es meine Aufgabe im Hintergrund zu bleiben und dem Gegner mit Fernangriffen zuzusetzen, während Rogue, aufgrund seiner Klasse Dieb, bestens dafür geeignet war, einem Feind von hinten in den Rücken zu fallen.

Nur zu zweit konnten wir demnach unsere Stärken noch nicht optimal ausspielen. Mit Aaron als Krieger im Team, könnte sich dieser dem Feind frontal stellen und ihn ablenken, damit wir unser Ding durchziehen konnten. Alles im allen eine perfekte Gruppenaufteilung, wie ich sie in vielen RPG Spielen schon gesehen hatte. Fehlte nur noch ein Heiler der uns unterstützend zur Seite stand.

Unschlüssig malträtierte ich meine Unterlippe. »Ich habe nichts gegen Tiermenschen. Aaron, sag mir die Wahrheit, dieses ganze Gefasel über deine Schuld, das war doch nur eine vorgeschobene Ausrede oder?«

Betreten zuckte Aaron zusammen. »Teilweise«, gab er zu, »Den Effekt von Schreckensgeheul kannte ich nicht. Ich war wirklich der Meinung, dass du mich gerettet hast.«

Mit eiserner Miene knöpfte ich mir den Kerl vor: »Wie sieht es jetzt aus, wo du weißt, woher deine Angst rührte? Willst du noch immer in meine Gruppe?«

»Ja«, sagte er kurz und knapp.

»Warum?«

»Weil ich nicht mehr allein sein will.«

Echt mal diesem Kerl musste man alles aus der Nase ziehen. Ich verdrehte die Augen. »Weiter.«

Aaron seufzte schwer, dann erklärte er: »Menschen mögen unsereins nicht sonderlich. Seit Jahren suche ich nach einer Gruppe, aber keiner will mir eine Chance geben. Bitte, ich verspreche, dir zu gehorchen. Ich mach alles, was du sagst, nur lass mich Teil deiner Gruppe sein.«

So ganz konnte ich ihn nicht verstehen. Es war bestimmt schwer, immer allein zu sein, dennoch war das besser, als sich einem Wildfremden anzubiedern. Was war nur los mit diesem Kerl?

Rogue rutsche ein Stück zu mir und flüsterte: »Nur zur Info, Wolfsmenschen sind in der Regel Rudeltiere. Sie vertragen es nicht, isoliert zu werden.«

»Oh.« Bisher hatte ich mir über die Natur der Tiermenschen keine Gedanken gemacht. Für mich waren sie wie jeder andere Mensch, nur halt mit gewissen Extras, Schweif und Tierohren. Dass sie auch Charakteristika ihrer tierischen Equivalente besaßen, hatte ich nicht gewusst.

Bei dieser Überlegung ging mir ein Licht auf und ich wandte mich an Rogue. Leise flüsterte ich ihm zu: »Ist das der Grund, warum du ihn nicht leiden kannst? Weil er ein Wolfsmensch ist und du ein Katzenmensch?«

Betreten zuckte der Bengel zurück und wandte den Blick ab. Kaum vernehmlich murmelte er vor sich hin: »Ich mag eben keine Streuner. Was wollen wir auch mit so einem Muskelpaket.«

»So so.« Frech grinste ich ihn an. Damit hatte ich meine Erklärung, für sein Verhalten. Eine klassische Hund und Katze Beziehung. Bestimmt spielte auch eine gewisse Eifersucht mit hinein. Welcher Kerl verglich sich nicht mit anderen und wollte mit seinem Körper protzen. Eine typisch menschliche Reaktion.

Ich behielt meine Gedanken für mich und wechselte rasch das Thema: »Sind die Menschen wirklich so schlecht auf euch zu sprechen?«

Rogue nickte mir bestätigend zu. »In der Regel schon. Hier auf dem Land ist es nicht so schlimm. Auch Felix scheint eine Ausnahme zu sein, aber in den Städten müssen wir echt aufpassen. Wenn zum Beispiel etwas gestohlen wurde und ein Tiermensch in der Nähe war, dann wird dieser als erstes verdächtigt.«

Betreten schüttelte er den Kopf. »Deswegen bin ich auch zum Dieb geworden.«

Natürlich. Wenn man tagein tagaus zu Unrecht beschuldigt wurde, dann machte es wohl keinen Unterschied mehr. Man wurde genau das, was die Leute in einem sahen. In gewisser Weise konnte ich mit ihm fühlen.

»Ich bin nicht so«, sagte ich mit Nachdruck. »Für mich macht es keinen Unterschied, ob Tiermensch oder nicht.«

Wenn ich ehrlich zu mir selbst war, dann musste ich sogar zugeben, dass ich einen Narren an den Tiermenschen gefressen hatte. Bei der Wahl einen Menschen oder Aaron in meiner Gruppe aufzunehmen, würde ich wohl sehr zu dem Wolfsmenschen tendieren. Aber diese Gedanken behielt ich besser für mich.

Noch immer unentschlossen, hob ich den Blick und sah Aaron direkt an. »Nur dass du es weißt, wir beide sind noch Anfänger. Mit deinem Rang können wir nicht mithalten. Du wirst dich sicher bei uns langweilen.«

Kurz sah er zwischen mir und Rogue hin und her. »Das ist mir egal. Selbst wenn wir nur Goblins jagen gehen, bitte, nimm mich auf.«

»Was sagst du dazu, Lucky?«, fragte ich in den Raum, während ich mich zurücklehnte und einen Blick zu ihr warf. Ich für meinen Teil hatte meine Entscheidung bereits gefällt, aber ich war nicht allein.

Halb den Kopf schüttelnd, halb nickend bellte sie hell auf. Also eine Enthaltung, wenn ich das recht interpretierte.

»Rogue?«

Frech schnaubte der Bengel: »Als ob ich etwas zu sagen hätte.«

Ich seufzte schwer. »Natürlich zählt deine Meinung. Wenn du gegen Aaron bist, dann wird er uns nicht begleiten. Komm schon, sag mir, wie du dazu stehst.«

Unruhig begann Rogue neben mir zu zappeln. »Ich mag ihn nicht.«

Kurz schloss ich die Augen, dann setzte ich mich auf. Damit war die Angelegenheit vom Tisch. »Es tut mir Leid, Aaron, aber -«

»Ich war noch nicht fertig«, unterbrach mich Rogue.

Rasch warf ich ihm einen Seitenblick zu. War das ein Test? Wollte er sehen, ob ich meine Worte ernst meinte?

Verlegen sah er woandershin, während er vor sich hin murmelte: »Ich bin dafür, ihm eine Chance zu geben.«

Ich streckte meine Hand aus und wuschelte Rogue über den Kopf. Selbstverständlich, ich hatte nichts anderes erwartet, beschwerte er sich augenblicklich: »Hey, Finger weg.«

»Herzlich willkommen in unserer Gruppe«, sagte ich grinsend zu Aaron. Dann wandte ich mich wieder an Rogue. »Da fällt mir ein, ich muss dich noch bestrafen, weil du immer so frech bist.«

Bevor der Bengel sich einen Reim darauf machen konnte, tunkte ich seinen Kopf unter Wasser. Einen Augenblick ließ ich ihn zappeln, dann gab ich ihn frei.

Mit einem Ruck riss Rogue den Kopf in die Höhe. Prustend funkelte er mich böse an, während ich ihn verschlagen angrinste. »Willst du noch mehr?«

»Das bekommst du zurück«, fauchte er.

Das war der Startschuss einer epischen Wasserschlacht.

Der Abschied

Freudestrahlend betrat ich die Eingangshalle. Es gab doch nichts besseres, als ein wenig mit seinen Freunden herumzualbern, um seine Lebensgeister neu zu entfachen.

Die einfache, dunkelgrüne Robe, die mir Klaus hingelegt hatte, saß auch perfekt. Bewusst atmete ich die Luft durch die Nase ein. Ja, endlich mal wieder richtig sauber zu sein, war ein berauschendes Gefühl.

Ich schielte leicht über meine Schulter zu meinen Gefährten, die hinter mir liefen. Weder Aaron noch Rogue hatten sich optisch großartig verändert. Der einzige Unterschied war, dass sie unter ihren Ledermonturen frische Leinenhemden und Unterwäsche trugen.

Dennoch war es wohl an der Zeit, uns neue Ausrüstung zuzulegen. Während Aarons Lederrüstung mit der Verzauberung Härte und seine Doppelaxt mit Schärfe versehen war, trugen Rogue und ich gewöhnliche Sachen, ohne magische Effekte.

Diesen Umstand sollte ich baldmöglichst ändern. Vielleicht wäre ich auch in der Lage, selbst Gegenstände zu verzaubern. Wieder ein Punkt für meine unendlich lange To-Do-Liste.

Jemand sprach mich an und riss mich aus meinen Gedanken: »Da bist du ja, Adrian. Ich habe schon nach dir gesucht.«

Ich sah wieder nach vorne und nickte Garret zu. »Guten Tag. Um was geht es?«

Verlegen mit den Händen ringend, begann er: »Bestimmt werdet ihr noch etwas Ruhe benötigen, um wieder zu Kräften zu kommen. Aus diesem Grund wollte ich euch mitteilen, dass ich ohne euch abreisen werde. Nun da ihr den Schreckenswolf erledigt habt, dürfte der Wald wieder sicher sein.«

Verwirrt runzelte ich die Stirn. »Gibt es einen bestimmten Grund für deine Eile?«

Garret straffte die Schultern und grinste mich vielsagend an. »Die Dorfbewohner haben mir eine Liste geschrieben, mit Dingen, die sie dringend benötigen. Sie in ihrer Notlage warten zu lassen wäre doch unhöflich.«

»Verstehe«, meinte ich und nickte. »Außerdem wäre es sehr profitabel, wenn du dich um diese Bestellung kümmern könntest, bevor dir ein anderer Händler zuvorkommt, nicht wahr?«

Garret lacht laut auf. »Da hast du mich wohl ertappt.«

Ich wusste nicht so recht, was ich davon halten sollte. Er wollte sich am Leid anderer bereichern, das gefiel mir nicht. Streng sah ich ihn an, während ich bewusst eine Augenbraue hob.

Als er meinen Blick bemerkte, blieb ihm das Lachen im Hals stecken. Rasch fügte er hinzu: »Selbstredend erhalten die Leute einen Sonderrabatt. Je schneller die Dörfer wieder aufgebaut sind, desto eher wird der Warenhandel sich normalisieren. Den entgangenen Gewinn holen wir uns über eine Preissteigerung bei den Exportgüter wieder rein.«

Mit dieser Aussage konnte ich leben. Sollten doch die Kunden zur Kasse gebeten werden. Ich fand das ein sehr vernünftiges Vorgehen.

Über meine Schulter spähend, fragte ich: »Seit ihr fit?«

Rogue verzog die Lippen und ließ den Kopf hängen. Undeutlich konnte ich ihn murmeln hören: »So ein Sklaventreiber.«

Wenn der Bengel die Kraft hatte, sich zu beschweren, dann ging es ihm gut. Blieben noch zwei. Lucky bellte kurz auf und nickte überschwänglich, während Aaron etwas ratlos aus der Wäsche schaute. »Mir geht es gut. Danke der Nachfrage.«

Au Backe, auf Aaron würde ich gut aufpassen müssen. Ich nickte mir selbst zu und wandte mich abermals an Garret: »Wir müssen uns noch angemessen von Felix und Charlotte verabschieden. Ich würde sagen, wir treffen uns in einer halben Stunde am Haupttor.«

Verunsichert ließ Garret den Blick zwischen uns schweifen. »Seid ihr sicher, dass ihr keine Pause benötigt? Sollte es um den Escort Auftrag gehen, so werde ich natürlich bezahlen, auch wenn ihr erst später nachkommt. Dank euch dreien ist der Wald wieder sicher. Das werde ich nicht vergessen.«

»Keine Sorge, wir werden mit dir gehen.« Mit diesen Worten beendete ich die Diskussion.

Für meine Entscheidung gab es mehrere Gründe. Nach reiflicher Überlegung während des Badens, war ich zu dem Ergebnis gelangt, dass ich weder Felix noch sonst einer Person, das Wissen aus meinem früheren Leben anvertrauen konnte. Bevor ich das auch nur in Erwägung ziehen würde, musste ich mehr über Ter´nak und die Technologie hier wissen.

Ich wäre nur zu gerne noch ein paar Tage geblieben und hätte Felix ausgefragt. Jedoch würde er das Gleiche mit mir machen. Besser ich ging an dieser Stelle kein Risiko ein. Je schneller wir aufbrachen, desto besser.

Der zweite Grund war wesentlich einfacher. Ich hatte diese Quest angenommen. Sie abzubrechen oder nicht Ordnungsgemäß zu beenden, würde stark an meinem Ehrgeiz als Zocker kratzen. Auch könnte mir das Probleme mit der Gilde einhandeln. Das konnte und wollte ich mir zurzeit nicht erlauben.

Mit einem Nicken verabschiedete ich mich von Garret und eilte die Treppe hinauf. Am besten ich brachte den Abschied schnell hinter mich.

*

Kaum hatte ich einen Fuß in Felix Schlafzimmer gesetzt, als ich vom Hausherren angesprochen wurde: »Hier, auf meinem Nachttisch liegen zwei Briefe, die ich dir mit auf den Weg geben werde.«

Betreten ließ ich den Kopf hängen. Natürlich wusste er bereits Bescheid. Ob er uns wohl auch beim Baden beobachtet hatte? So oder so konnte ich nichts gegen die Macht seines Spiegels unternehmen, also brachte es nichts weiter, darüber nachzudenken.

Neugierig geworden, ging ich auf das Bett zu, während Felix erklärte: »Der Erste ist für die Abenteurergilde. Ich war so frei zu bestätigen, dass du mein Schüler bist und, dass du maßgeblich mitgeholfen hast den Schreckenswolf zu erledigen.

Der zweite Brief ist für Jonathan den Weisen, Direktor der Windakademie in Lusira. Ich bitte ihn, dir freien Zugang zu Bibliothek zu gewähren. Jedoch ist Jonathan äußerst stur und unflexibel. Er wird dich und deine Magie sicherlich auf die Probe stellen, bevor er meine Bitte auch nur in Betracht ziehen wird.«

Ich nahm die beiden Umschläge an mich. »Ich muss wohl nichts weiter erklären, da du schon alles weißt.«

Verborgen hinter neuen Gardinen lachte Felix. »Die jungen Leute haben es immer eilig. Nie halten sie inne, um das Hier und Jetzt zu genießen. Wenn ich dir noch ein paar Ratschläge geben dürfte: Pass gut auf deine Freunde auf, nimm nichts als gegeben hin und sei vorsichtig gegenüber den Elfen. Diese religiösen Fanatiker verstehen keinen Spass.«

Elfen, die hatte ich ganz vergessen. Laut dem weißen Götterdrachen sollte es auf Ter´nak Elfen sowie Zwerge geben. Bisher hatte ich keine Person dieser Spezies gesehen. Bestimmt würde sich das noch ändern.

Rasch verbeugte ich mich vor dem Bett. »Ich danke dir für alles Felix. Du hast mir sehr geholfen. Ohne dich, hätten wir wohl nicht überlebt.«

»Genug der Worte. Geh mit meinem Segen. Sicherlich werde ich bald von deinen Heldentaten hören. Solltest du mal wieder in der Gegend sein, dann würde ich mich über einen Besuch freuen. Das Licht möge deinen Weg stets erhellen.«

Unbeholfen sagte ich: »Das Licht möge mit dir sein.« Diesen Spruch hatte ich schon einige Male gehört. Ich verstand zwar nicht warum, aber alle Bewohner brabbelten andauert etwas vom Licht. Vielleicht war das auf Ter´nak das Equivalent zu einem Gott. Das würde passen, war aber auch seltsam. Es gab sechs Elemente, warum also gerade Licht?

Für mich war das aber keine richtige Verabschiedung, deshalb fügte ich hinzu: »Auf Wiedersehen Charlotte, Felix. Ich hoffe wir sehen uns bald wieder.«

Bald war so ein schönes Wort. Vor allem sehr dehnbar.

*

Kurze Zeit später trafen wir Garret nahe des Haupttores. Er stand an seinem Wagen und packte einen Sack. Ich sah mich um und runzelte die Stirn. »Sag mal, wo ist denn dein Ochse abgeblieben.«

Kurz hielt Garret inne und sah mit einem traurigen Gesichtsausdruck zu mir auf. »Die Wölfe haben ihn gefressen.«

Natürlich. Das hätte ich mir auch denken können. Schuldbewusst ließ ich den Kopf hängen. Das arme Tier, wir hatten es einfach zum Sterben zurückgelassen.

Um mich abzulenken, sah ich mich um. Das ganze Dorf, wie auch weite Teile der Umgebung waren leicht rötlich gefärbt. Ich musste schwer schlucken.

Die Dorfbewohner waren gezwungen, meine Sauerei wegzuräumen. In Fässern, Eimern, Kisten und, was sie sonst noch in die Finger bekamen, sammelten sie Fleisch, Fell und sonstige Brocken, die ich mit meinem Orkan überall verteilt hatte. Wie ich mir dachte, war von den Wölfen nichts mehr übrig geblieben, das ich noch verwerten konnte.

In diesem Moment bemerkte ich ein großes, blutiges Bündel, das neben Garret lag. »Was ist das?«

Der Händler folgte meinem Blick, dann grinste er mich an: »Die Dorfbewohner wollten sich ihrem Retter erkenntlich zeigen und haben den Schreckenswolf gehäutet. Sein Fell soll dir gehören.«

Dankend nahm ich dieses Geschenk an. Gemeinsam mit Aaron, den ich zur Hilfe rief, verstauten wir das rote Fell in meinem magischen Beutel. Seltsamerweise verzog Aaron dabei keinen Muskel, als ob das etwas ganz normales wäre. Der Bursche war eindeutig nicht in der Lage über den Tellerrand hinauszusehen und zu verstehen, wie besonders mein Seesack war. Ich zuckte mit den Schultern und nahm das so hin, immerhin ersparte mir das eine Menge an Erklärungen.

Mit gemischten Gefühlen stand ich auf, wobei ich mich an Garret wandte: »Ist es wirklich in Ordnung, einfach zu gehen, nach dem Chaos, das ich angerichtet habe?«

»Ich muss zugeben, du hast ganz schön gewütet, dennoch sind sie dir alle überaus dankbar. Am meisten ist ihnen aber geholfen, wenn ich bald mit den Waren zurückkehre. So, ich bin fertig. Wir können.«

Mit einem Ächzen schulterte Garret einen übervollen, grauen Rucksack. So wie er dabei schwankte, musste der Sack einiges an Gewicht haben.

»Soll ich dir helfen?«, fragte ich leichthin, als ich sah, wie sein Gesicht langsam rot anlief.

»Geht schon. Eure Aufgabe ist es, mich zu beschützen, nicht mein Gepäck zu tragen.«

Gut, wenn er das so wollte, dann würde ich ihm seinen Willen lassen, vorerst jedenfalls. Ich war mir sicher, dass er diesen gewaltigen Rucksack nicht lange würde tragen können.

Gemeinsam wandten wir uns vom Fischerdorf ab und gingen auf das Haupttor zu. Hinter uns stimmten die Dorfbewohner zu einer lautstarken Verabschiedung an. Ich winkte ihnen zu, dann starteten wir den Rückweg.

*

Nach gut einer Stunde war Garret vollkommen am Ende mit seinen Kräften. Schwer schnaufend, lehnte er an einem Laubbaum und rang um Atem.

Genug war genug. Ich nahm meinen Seesack von der Schulter und reichte ihn Aaron. »Steck bitte Garrets Rucksack hier rein. Wenn das so weitergeht, werden wir eine Woche für den Rückweg benötigen.«

Aaron nickte gehorsam und stiefelte los. Schnell war diese Aufgabe erledigt und ich warf mir meinen weiterhin federleichten Seesack über. Das einzige Gewicht, das ich spürte, war das Eigengewicht des Stoffes. Der Verzauberung Schwerelos sei dank, hatte alles in seinem Inneren keine Masse mehr.

»Du erstaunst mich immer wieder Adrian. Du musst Muskeln wie ein Ochse haben. Das sieht man dir gar nicht an.«

Ich ließ den Händler besser in dem Glauben. Jedem auf die Nase zu binden, wie mächtig mein Nimmervoller Beutel war, barg einige Gefahren.

Aus dem Nichts heraus sprach Rogue ihn plötzlich an: »Keine Sorge Garret. Wir machen dir einen Freundschaftspreis für den Transport deiner Sachen.«

Irritiert starrte ich den Bengel an. Erst dachte ich, er hätte einfach nur mal wieder einen frechen Spruch vom Stapel gelassen, aber dann begannen die beiden zu feilschen.

Garret wischte sich den Schweiß von der Stirn und sagte: »Ich geb euch fünf Drachmen pro Tag.«

»Vierzig Drachmen«, hielt Rogue dagegen.

»Zehn.«

»Dreißig.« Rogue grinste verschlagen und argumentierte: »Du solltest daran denken, wie viel schneller wir vorankommen werden, solange wir deine Last tragen. Zeit ist Geld, Garret. Außerdem schont es deinen Rücken. Du wirst auch nicht mehr jünger, mein Freund.«

»Na gut, letztes Angebot, zwanzig Drachmen«, meinte der Händler und hielt Rogue die Hand hin.

Frech grinsend, schlug der Katzenjunge ein. »Immer eine Freude, mit dir Geschäfte zu machen.«

Ich starrte von einem zum anderen. Was ging denn hier vor? Woher konnte Rogue das auf einmal? Er war in der Lage, ganze zwanzig Drachmen pro Tag rauszuschlagen. Da ging doch etwas nicht mit rechten Dingen zu!

Schnell sah ich mir seinen Charakterbogen an. Rogue hatte sich weiterentwickelt. Sein Diebesrang war nicht länger Anfänger, sondern Fortgeschrittener. Stumm sah ich mir seinen neuen Klassen-Skill an: Ausweichen. Das erklärte seine neue Fähigkeit, plötzlich den Ort zu wechseln, wenn er angegriffen wurde. Allerdings gab es da einen Haken, nämlich eine zwanzig sekündige Abklingzeit.

Des Weiteren hatte Rogue einen Extra-Skill erworben: Feilschen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich angenommen, dass er Garret bei seinem Gerede nicht zugehört hatte. In Wahrheit jedoch, hatte Rogue sehr genau aufgepasst, wie sein neuer Skill verriet.

Es war eine Schande, ich hatte kein Talent dafür. Allerdings konnte ich ab sofort alle Verhandlungen auf Rogue abwälzen. Das war dann ein doppelter Gewinn für mich und der Bengel konnte sich nützlich machen.

Etwas irritiert, starrte ich auf Geistresistenz I. Wie um alles in der Welt hatte Rogue denn diesen Skill erworben? Ratlos wanderte mein Blick weiter zu Aaron. Bei ihm hatte sich nichts verändert. Soweit so gut.

Als Nächstes sah ich mir meinen Charakterbogen an. Wie schon erwartet, hatte ich zwei neue Klassen Skills vorzuweisen: Orkan und Vakuumspähre. Dann sah ich mir meine Abwehr Skills an. Auch ich hatte Geistresistenz I erlernt. Ob das am Schreckensgeheul lag? So nach dem Motto, schwaches Gift trinken, um eine Immunität dagegen aufzubauen. Das wäre immerhin eine mögliche Erklärung.

Rasch warf ich Lucky einen Blick zu, die neben mir stand. Wie Rogue und ich hatte sie ebenfalls Geistresistenz I erworben. Dieser Umstand stützte meine These. Zusätzlich hatte Lucky einen weiteren Extra Skill vorzuweisen: Vergrößerung. Nachdenklich beobachtete ich ihre drei wedelnden Schweife. Ob sie mit jedem zusätzlichen Schweif wohl eine neue Fähigkeit hinzubekam? Wenn das so weiterging, dann würde sie bald nur noch aus Schweifen bestehen. Eine lustige, wie auch beängstigende Vorstellung.

Ich seufzte schwer. Vieles in dieser Welt war mir noch immer ein Rätsel. Andererseits konnte ich mich glücklich schätzen, dass wir uns in nur ein paar Tagen derart gut entwickelt hatten. Die Kluft zwischen uns dreien und Aaron war nun nicht mehr ganz so groß.

Bestimmt würden Rogue und ich einige Abenteurerränge aufsteigen können. Soweit ich wusste, sprach nichts dagegen. Wir waren eindeutig stärker geworden und würden, zu diesem Zeitpunkt, unseren Auftrag erfüllt haben.

Siedendheiß fiel mir in diesem Zusammenhang ein, dass ich ja noch drei Sammelaufträge angenommen hatte. Verdammt noch mal. Wegen dem Schreckenswolf hatte ich diese vollkommen vergessen. Ich schätzte, dass wir übermorgen in Meerblick ankommen würden, demnach hatte ich kaum noch Zeit. Wie aber sollte ich nebenher die Pflanzen sammeln?

Mein Blick immer noch auf meinem Liebling ruhend, kam mir eine Idee. Ich ging vor ihr in die Hocke und streichelte sie. »Lucky, sag mal könntest du mir einen Gefallen erweisen?«

Ruckartig sah sie zu mir auf. Ihre leuchtenden blauen Augen strahlten mir entgegen. Aufgeregt nickte sie, ohne zu wissen, worauf ich hinauswollte.

Ich lächelte sie lieb an und erklärte: »Bevor du zustimmst, solltest du dir erstmal anhören, was ich von dir möchte. Also, es geht um die Sammelaufträge. Die kann ich nicht nebenher erledigen, ohne ein Reittier, mit dem ich die anderen einholen kann.«

Sie blinzelte mich an. Im nächsten Augenblick sprang sie von mir weg. Einen Sekundenbruchteil später stand sie in ihrer großen Form vor mir. Glücklich mit allen drei Schweifen wedelnd legte sie sich auf den Boden und bellte mich erwartungsvoll an.

»Darf ich wirklich?«, fragte ich, während ich aufstand. Langsam näherte ich mich ihr. Abermals bellte sie hell auf. Unter den misstrauischen Blicken der anderen kletterte ich Lucky auf den Rücken.

Als sie sich erhob, klammerte ich mich rasch fest. Meine bisherigen Erfahrungen im Reiten, waren sehr spärlich. Einmal hatte ich im Urlaub auf einem Esel, ein anderes Mal auf einem Kamel gesessen. Die dressierten Tiere wurden immer geführt und ich musste nicht wirklich etwas wissen oder tun. Nun aber sah die Angelegenheit anders aus.

»Sei bitte vorsichtig mit mir«, bat ich meinen Liebling, während ich sie sanft an der Seite streichelte. Wenn ich ehrlich zu mir selbst war, sollte das nicht ihre, sondern meine Nerven beruhigen. »Lass es uns langsam angehen.«

Lucky sah über ihre Schulter und zwinkerte mir zu. Ich schluckte nervös. »Lucky und ich gehen in den Wald, Kräuter sammeln. Geht ruhig schon mal vor. Wir werden euch dann einholen«

Im nächsten Augenblick machte die Fuchsdame einen Satz und raste zwischen den Bäumen dahin. Leicht in Panik geratend, klammerte ich mich mit aller Gewalt an ihrem Fell fest. Gegen den Wind schrie ich ihr zu: »Nicht so schnell. Ich kann nicht reiten!«

Der Rangaufstieg

Sorry wegen letzter Woche, ich war im Urlaub und hatte leider keine Zeit ein neues Kapitel hochzuladen. Als Ausgleich gibt es diese Sonntag gleich zwei neue Kapitel. Es würde mich sehr freuen von meinen Leserinnen und Lesern zu erfahren, wie und ob euch meine Geschichte gefällt.

So dann will ich mal nicht länger stören, weiter geht´s in der Geschichte:

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Zwei Tage später, gegen Abend, erreichten wir Meerblick. Mittlerweile hatte ich mich an das Reiten auf Lucky gewöhnt. Dank ihrer Rücksichtnahme, war ich bisher einem Sturz von ihrem Rücken entkommen. Die Pflanzen sicher in meinem Seesack verstaut, steuerten wir als Gruppe die Außenstelle der Gilde an.

Lucky lag über meiner rechten Schulter. Das war ihr neuer Lieblingsplatz geworden. Ich fand das nur fair. Sie ließ mich auf ihrem Rücken reiten und ich sie auf meiner Schulter.

Mit einem Schmunzeln erinnerte ich mich an unsere Rückkehr zu den anderen, nach dem ersten Reitausflug im Wald.

Kaum war ich von Lucky abgestiegen, kam Rogue grinsend angerannt. »Ich bin mit Reiten dran.«

Einen Wimpernschlag später sah er sich Luckys gebleckten Zähnen gegenüber. Während Rogue langsam zurückwich, sprang Aaron auf ihren Rücken. »Ein wenig zu viel Fell, wenn ihr mich fragt.«

Mit angehaltenem Atem sah ich mir damals das Schauspiel an. Luckys Kopf ruckte herum. Entsetzt starrte sie Aaron an. Im nächsten Augenblick lag der Wolfsmensch mit dem Gesicht voran auf dem Boden. Lucky hatte sich einfach frech zurückverwandelt. Demonstrativ trampelte sie mit hoch aufragenden Schweifen über Aarons Körper, auf dem Weg zu mir. Die Botschaft war eindeutig, sie würde es niemandem außer mir gestatten, auf ihr zu reiten.

Wieder im Hier und Jetzt angekommen, betrat ich den anderen voran die Gilde. Fiona stand wie immer hinter ihrem kleinen Tresen und hob den Blick.

»Oh, ihr seit früher als erwartet zurück. Gab es Probleme?« Freundlich lächelte sie uns an.

Ich zog eine Grimasse und antwortete: »Kann man so sagen. Wir haben einiges erlebt. Aber ein Punkt nach dem andern.«

Umstandslos griff ich in meinen Seesack und zog mehrere Pflanzen hervor. Dabei zählte ich auf: »Vier handvoll Giersch, acht Bündel Beinwell und ein Sack voll mit Blut-Ampfer. Das sollte alles sein.«

Fiona nahm die Kräuter entgegen. Dabei murmelte sie überrascht: »Was für eine Qualität. Als ob sie gerade erst gepflückt worden wären.«

Ich tat so, als ob ich sie nicht gehört hätte. Verhalten räusperte ich mich. »Stimmt etwas nicht?«

Sie hob den Blick und sagte rasch: »Nein, alles in Ordnung.« Rasch verstaute sie die angeforderten Pflanzen hinter dem Tresen und zog die Aufträge hervor. Sie stempelte alle vier ab. Mit roter Tinte stand quer über der vorherigen Aufschrift Angenommen nun Erledigt.

Anschließend breitete sie die Zettel auf der Arbeitsplatte aus. Laut zählte sie die Goldmünzen ab, die sie aus einem schweren Sack hinter dem Tresen entnahm. »Jeweils dreißig Drachmen für diese Aufträge und einmal zwanzig für diesen. Hinzu kommen nochmal vierhundert Drachmen für die Escort-Mission.«

Ich runzelte die Stirn und warf ein: »Warum nur vierhundert?«

Fiona hob den Blick und lächelte mich freundlich an. »Hundert Drachmen pro Tag. Sie waren vier Tage unterwegs, das macht dann vierhundert Drachmen.«

Ungefragt mischte sich Rogue ein: »Garret hat uns die volle Summe versprochen, als Bonus, weil wir ihn und das Fischerdorf gerettet haben.«

»Ähm«, brummte Garret. »Daran kann ich mich nicht erinnern.«

Rogue wandte sich ihm zu und hob einen Finger: »Du sagtest: Natürlich werde ich bezahlen. Dank euch dreien ist der Wald wieder sicher. Das werde ich nicht vergessen.«

Sprachlos starrte Garret den Katzenjungen an. Dann brach er in Gelächter aus. »Bei dir muss man echt aufpassen, du kleines Schlitzohr.«

Er beruhigte sich wieder und nickte Fiona zu. »Der Kleine hier hat Recht, genau das habe ich gesagt. Ich hatte da zwar etwas anderes im Sinne, aber ich stehe zu meinem Wort. Gib ihnen die volle Summe.«

Fiona schürzte die Lippen. »Na gut, ich verbuche das als Sonderabsprache. Hier sind nochmal zweihundert Drachmen.«

Während ich unseren Lohn entgegennahm, trat Aaron vor. »Es tut mir leid, aber ich konnte keinen Alphawolf töten.«

Innerlich schlug ich mir die Hand ins Gesicht. Wie konnte man sich nur derart unglücklich ausdrücken?

Verhalten schürzte Fiona die Lippen und zog einen weiteren Zettel hervor. »Das ist wirklich sehr schade. Der Auftrag gilt damit als gescheitert.«

Ohne ein Kommentar nickte Aaron betreten. Hinter dem Tresen zückte Fiona einen anderen Stempel. Bevor sie dazu kam, diesen zu benutzen, legte ich eine Hand auf den Auftrag. »Einen Augenblick bitte. Was Aaron meinte war, dass wir gemeinsam anstatt eines Alphawolfes, einen Schreckenswolf erledigt haben.«

Entsetzt schnappt Fiona nach Luft. »Verzeiht, werter Magier, aber Sie unterliegen sicherlich einem Irrtum. Aarons Auftrag war es, einen Alphawolf zu bezwingen, keinen Schreckenswolf.«

Ungläubig hob sie eine Augenbraue. »Außerdem wage ich es zu bezweifeln, dass Sie, ein Abenteurer des Silberranges, in der Lage sind, es mit so einem Untier aufzunehmen.«

Da ich keine große Lust hatte, mit ihr zu diskutieren, hielt ich ihr Felix’ Brief hin.

»Was ist das?«, fragte sie und warf dem Umschlag einen irritierten Blick zu. Als sie das Siegel auf der Rückseite zu Gesicht bekam, weiteten sich ihre Augen.

Auch wenn es unnötig war, konnte ich mich nicht zurückhalten und erklärte: »Dieser Brief stammt von meinem Lehrmeister, Felix dem Weisen.«

»Lehrmeister?«, entwich es Fiona mit hoher Stimme. Sie schüttelte den Kopf und nahm den Umschlag an sich. Während sie die Zeilen überflog, wurde ihr Gesicht langsam weiß. »Sie sprechen die Wahrheit. Der Weise bestätigt Ihre Worte.«

Sie hob den Blick und starrte von einem zum anderen. »Das ist unglaublich. So etwas gab es noch nie.«

Rasch räusperte sie sich, offensichtlich bemüht, ihre Fassung zu bewahren. »Wie dem auch sei. Aaron hat diesen Auftrag angenommen und es nicht mit der geforderten Hilfe geschafft, ihr Rang ist zu niedrig. Hinzu kommt die Tatsache, dass er einen Alphawolf töten sollte, keinen Schreckenswolf. Daher muss ich den Auftrag als gescheitert einstufen.«

Misstrauisch hakte ich nach: »Und was wird aus der Belohnung?«

Fiona versuchte es mit einem freundlichen Lächeln, was ihr nicht sehr überzeugend gelang. »Für einen gescheiterten Auftrag gibt es keine Belohnung.«

Das durfte nicht wahr sein. Sie wollte uns mit dieser miesen Haarspaltereien über den Tisch ziehen. Bei Aaron, der noch kein Wort gesagt hatte und nur betreten auf den Boden starrte, hätte sie vielleicht Erfolg gehabt. Aber nicht bei mir. Leicht drehte ich den Kopf und flüsterte Rogue zu: »Klär das bitte.«

»Warum sollte ich?«, zischte er mich an und verschränkte die Arme vor der Brust.

Ich seufzte schwer. »Denk doch mal nach. Wir sind jetzt eine Gruppe. Je mehr Geld wir verdienen, desto mehr Essen können wir uns leisten.«

Zwar hätte ich das auch selbst lösen können, allerdings hatte ich so ein Gefühl, dass Rogue mit seinem Skill Feilschen, einen besseren Deal aushandeln konnte. In seinen Augen begann es zu funkeln. Damit hatte ich Rogue am Wickel.

Wie von der wilden Tarantel gestochen, sprang er an den Tresen. »Jetzt hör mir mal gut zu, meine Süße. Wir haben alle Bewohner des Waldes gerettet. Felix der Weise hat uns persönlich unterrichtet und anerkannt, damit ist unser Rang nicht von Relevanz. Da hast du die Bestätigung.« Er deutete auf den Brief in ihren Händen.

»Ohne uns wären alle gestorben, auch der Weise und seine Enkelin. Das solltest du nicht vergessen, Fiona."

»Aber -«, begann Fiona, wurde jedoch augenblicklich von Rogue übertönt.

»Aaron hat sich unserer Gruppe angeschlossen, obwohl das gar nicht notwendig war. Aarons Opalrang ist viermal soviel Wert, wie ein Goldrang, er brauchte für diesen Auftrag gar keine Helfer. Trotzdem hat er den Schreckenswolf und seine Meute mit uns gemeinsam bekämpft. Aus diesem Grund ist der Auftrag nicht gescheitert.

Im Übrigen ist ein Schreckenswolf auch ein Alphawolf, immerhin besitzt er genau diesen Skill. Die Gilde sollte uns auf Knien danken, dass wir den Schreckenswolf erledigt haben und uns einen Bonus zahlen, wegen unserer guten Arbeit.«

Ein leichtes Schmunzeln konnte ich nicht unterdrücken. Es war einfach köstlich, mitanzusehen, wie Rogue die arme Fiona in Grund und Boden redete.

Ich sah es in ihren Augen, wir hatten gewonnen. Fiona seufzte und nickte uns zu. »Einverstanden. In diesem speziellen Fall mache ich eine Ausnahme. Der Auftrag wird als Erledigt eingestuft. Eine Sonderzahlung wird es aber nicht geben und wie ihr die Drachmen unter euch aufgeteilt, ist eure Angelegenheit.«

Aus ihrem Geldbeutel zog sie einen weiteren Beutel. »Achthundert Drachmen.« Demonstrativ gab sie mir das Geld.

Ganz offensichtlich wollte sie einen Keil zwischen uns treiben. Das würde allerdings nicht funktionieren. Rogue war immer noch mein Diener. Wir wirtschafteten ohnehin in eine Tasche. Blieb nur Aaron, der bei mir momentan den Eindruck erweckte, kein Wort verstanden zu haben.

»Die Firma dankt«, meinte ich salopp und nahm das Geld an mich. Die Kohle verschwand in meinem Seesack. Über die Aufteilung würde ich mir später Gedanken machen. Zuerst stand aber noch eine andere Angelegenheit ins Haus.

»Wenn wir schon mal beim Thema Rang sind, Rogue und ich würden gerne im Rang aufsteigen.«

Fiona nickte mir zu und bereitete zwei magische Pergamente auf den Tresen aus. »Wie sie wünschen.«

Ich runzelte die Stirn. »Das Pergament benötigen wir nicht. Ich kann unserer Skills auch so sehen.«

»Sie ja, ich nicht. Außerdem ist das Vorschrift«, sagte sie bemüht freundlich. So langsam hatten wir wohl ihre Geduld aufgebraucht.

Nachdem jeder von uns eine Hand auf eines der Blätter gelegt hatte, sah sich Fiona die Auswertung unserer Fähigkeiten genau an. Dabei fiel mir auf, dass meine beiden Skills Magiefulminanz, sowie Linguist abermals als drei Fragezeichen angezeigt wurden. Stumm nahm ich diesen Umstand zur Kenntnis. Es war wohl besser so.

»Werter Magier, Ihnen kann ich den Malachitrang gewähren. Ihrem Diener den Goldrang.«

»Warum denn das?«, fragte ich nach.

Sie sah auf. »Das hat mehrere Gründe …«

Anschließend erklärte sie mir wie die Einstufung der Abenteurerränge vonstattenging.

Es gab drei Kriterien, an denen ein Abenteurer gemessen wurde: Der Klassenrang, seine Skills und die Anzahl der erledigten Aufträge, wobei diese je nach Schwierigkeit unterschiedlich gewichtet wurden.

Insgesamt war es demnach recht einfach, den Gildenrang einer Person zu ermitteln. Jede Klasse besaß fünf Ränge. In meinem Fall, Magier: Novize, Schüler, Gelehrter, Erzmagier, Weiser. Ausgehend von den fünf Klassenrängen wurden die Abenteurer in die zehn Gildenränge eingeteilt, Stufe elf und zwölf waren Sonderränge, die nur unter sehr spezifischen Anforderungen gewährt wurden.

Ein Magier vom Klassenrang Novize konnte in Selenit oder Silber eingestuft werden. In meinem Fall war es Silber gewesen, aufgrund meines Extra-Skills Analyse. Da ich nun aber Schüler war, standen mir die Stufen Gold und Malachit offen.

»Sie haben maßgeblich geholfen einen Schreckenswolf zu tötet, einen Gegner vom Rang Malachit. Ihre Qualifikation steht daher außer Frage. Aus diesem Grund gewähre ich Ihnen den Malachitrang. Ihr Begleiter hat sich weder im Kampf bewiesen noch rechtfertigen seine Skills eine höhere Stufe als Gold.«

An den Vorschriften ließ sich wohl abermals nicht rütteln, aus diesem Grund stimmte ich zu. Insgesamt zahlte ich 340 Drachmen, 120 für Rogue und 220 für meinen Rangaufstieg.

Nachdem wir das Gebäude verlassen hatten, übergab ich Garret seinen Rucksack und er mir die versprochenen vierzig Drachmen. Insgesamt hatte ich nun 1198 Drachmen. Das sollte uns eine Weile über Wasser halten.

*

Kurze Zeit später saßen wir zu viert an einem Tisch im Gasthaus Frische Brise. Fröhlich vor sich hin pfeifend, brachte uns Gisela eine extragroße Portion Eintopf sowie einen reich gefüllten Teller mit Fleischstücken für Lucky.

Hungrig widmeten wir uns dem Essen, während ich meine Gedanken schweifen ließ. Mit Felix’ Empfehlungsschreiben in der Tasche wäre es wohl am sinnvollsten nach Lusira, der Hauptstadt des gleichnamigen Königreichs, zu reisen. Mit genügend Drachmen im Seesack sollte das kein Problem sein.

Bei diesem Gedanken kam mir noch etwas anderes in den Sinn: »Aaron, wir müssen darüber reden, wie wir die Belohnung deiner Mission aufteilen.«

Der Wolfsmensch hob den Kopf und sah mich irritiert an. »Ohne deine Hilfe hätte ich das nicht geschafft, also steht dir die Belohnung zu.«

Ganz wohl war mir bei der Sache zwar nicht, dennoch nickte ich zustimmend. Rasch dachte ich über unsere Situation nach und schlug vor: »Wie wäre es damit: Solange wir eine Gruppe sind, verwalte ich das Gruppengeld.«

Ich sah genau, wie Rogue den Mund öffnete und hob eine Hand. »Lass mich ausreden. Ich stecke das Geld nicht für mich ein, sondern ich passe nur darauf auf und entscheide, was sinnvoll ist und was nicht. Sieh mich wie einen Schatzmeister. Sollte zum Beispiel Aaron zu mir kommen und sagen, er braucht eine neue Axt -«

»Meine Doppelaxt ist noch einwandfrei. Nein, danke.«

Ohne mich von seinem Zwischenruf irritieren zu lassen, fuhr ich fort: »Dann entscheide ich, ob er von mir das Geld bekommt, um eine zu kaufen oder nicht. Ich verspreche, fair zu sein und gerecht zu urteilen. Meine Intention dahinter ist, dass wir als Gruppe stärker werden.«

Rogue dachte einen Augenblick nach und fragte dann: »Und was, wenn du nein sagst, ich aber der Meinung bin, dass du dich irrst?«

Ich lächelte ihn an und offenbarte: »Wenn du gute Argumente hast, dann werde ich nochmals darüber nachdenken. Sollte ich aber weiterhin nein sagen, dann musst du dir das, was du willst, mit deinem Taschengeld bezahlen.«

»Taschengeld? Was soll das denn sein?« Verschwörerisch senkte Rogue die Stimme. »Ist das wieder etwas aus deinem alten Leben?«

Ich nickte ihm zu und dachte darüber nach, wie ich das am Besten erklären sollte. »Taschengeld sind Drachmen, die jeder von uns aus der Gruppenkasse bekommt. Keiner von uns muss einem der anderen darüber Rechenschaft ablegen, was er mit diesen Goldmünzen macht.«

Nachdenklich griff ich in den Seesack und zog meinen Geldbeutel hervor. Bei über tausend Goldstücken wog der schon so einiges. Ich zählte dreimal zwanzig Drachmen ab.

»Das hier ist euer Taschengeld.«

Ich schob je einen Stoß zu Aaron und Rogue. Meine Münzen steckte ich in den zweiten Beutel und verstaute diesen im Seesack, damit ich sie nicht verwechselte. Bei Gelegenheit sollte ich mir noch einen Geldbeutel in einer anderen Farbe kaufen.

Mit hochgezogener Augenbraue starrte Rogue seinen Haufen an, dann fuhr er mich wütend an: »Das soll doch wohl ein Scherz sein. Das reicht ja gerade mal für ein paar Tage.«

Ich ließ den Kopf hängen. Offenbar verstand er immer noch nicht, was ich mit dieser Aufteilung bezweckte. Wie aber sollte ich das erklären? »Essen, Unterkunft, Waffen Rüstungen und alles andere, was wir als Gruppe benötigen, wird aus der Gruppenkasse bezahlt.

Das Taschengeld ist ein kleiner Bonus, mit dem du dir Dinge gönnen kannst, die ich nicht bezahle. Darunter fällt alles, was ich als Luxusartikel einstufe, Süßigkeiten zum Beispiel. Oder, wenn du dir unbedingt eine Schlafanzughose aus Seide kaufen willst. Eine aus Leinenstoff würde ich bezahlen, den Restbetrag musst du dann mit deinem Taschengeld aufwiegen.«

Ich konnte genau sehen, wie sich langsam die Erkenntnis in seine Augen schlich. Zumindest hatte er es verstanden. Nachdenklich musterte ich Aaron. Was wohl in seinem Kopf vorging?

Aaron seufzte, dann nickte er und zog seinen Geldbeutel hervor. »Ich bin damit einverstanden, dass du alle Ausgaben überwachst. Hier ist mein Geld.«

Verständnislos starrte ich den Beutel an. »Aaron, so war das nicht gemeint. Behalte du dein Geld.«

Er zuckte mit den Schultern. »Ich kann damit nicht umgehen. So, wie du es erklärt hast, finde ich es gut. Du kümmerst dich um alles und ich kann mit diesem Geld da -«, er deutete auf die zwanzig Drachmen, »- machen, was ich will. Du bist der Anführer und ich vertraue dir.«

Ich biss die Zähne zusammen und dachte nach. Aarons Drachmen zu verwalten, gefiel mir gar nicht. Das war kein Gruppengeld, sondern sein eigenes. Andererseits hatte ich eh vor, alles Notwendige von nun an aus der Gemeinschaftskasse zu zahlen.

Einem Wildfremden all sein Geld zu geben, war doch hirnrissig. Ich schluckte und entschied mich dennoch, das Gold anzunehmen. Aaron war zu leichtgläubig, da war es besser, wenn ich sein Gold verwaltete.

Nahm ich seine 187 Drachmen, Analyse hatte mir den genauen Betrag verraten, und addierte 267 Drachmen, seinen Anteil am Alphawolf-Auftrag, hinzu, ergab das in etwa die Hälfte der Münzen, die Rogue und ich angesammelt hatten. Ich verbuchte sein Geld als Einzahlung zur Gemeinschaftskasse.

Sollte Aaron irgendwann die Gruppe verlassen, dann würde ich ihm ein Drittel von dem auszahlen, was wir zu diesem Zeitpunkt besaßen.

Diese Überlegungen beruhigten mein Gewissen. Aarons Drachmen wanderten in den Gruppen-Geldbeutel, dann gab ich ihm seinen leeren Beutel zurück.

Brav steckten Aaron und Rogue ihr Taschengeld ein. Rasch wischte ich mir über die Stirn. Dieses schwierige Thema war abgeschlossen.

Fürs Abendessen zahlte ich zehn Drachmen, weitere fünfundzwanzig für ein Doppelbettzimmer und ein Einzelzimmer. Summa Summarum blieben in der Kasse noch 1295 Drachmen.

Angekommen in unserem Doppelbett, kuschelten sich Lucky und Rogue an mich. Ich wünschte ihnen eine gute Nacht und bekam von beiden eine Antwort. So ließ es sich doch leben.

Die Hauptstadt

Am nächsten Morgen wachte ich auf. Das Erste, was mir auffiel war, mir war warm, aber so richtig warm. Ich sah mich blinzelnd um und riss die Augen auf.

Wie immer lag Lucky auf meiner Brust, links daneben ruhte Rogues schwarzer Wuschelkopf. Das Seltsame war nur, dass sich da noch eine weitere Person an mich schmiegte. Rechts von mir lag Aaron, den silbrig grauen Haarschopf auf meine Schulter gebettet, mit einem Arm um meine Tailie gelegt.

»Was zum?«, fragte ich in den Raum hinein.

Mein Ausruf weckte die Bande. Während Lucky und Rogue ungläubig zu Aaron starrten, hob dieser den Kopf und brummte: »Guten Morgen.«

Komplett neben der Spur beobachtete ich ihn dabei, wie er aus dem Bett stieg und sich streckte, nackt wohlgemerkt. Leider konnte ich es mir nicht verkneifen, die schöne Aussicht zu genießen.

Energisch schüttelte ich den Kopf und fuhr Aaron an: »Was machst du hier?«

»Schlafen, natürlich«, meinte er. Dann warf er mir einen Blick zu, als ob das klar gewesen wäre.

»Das meine ich nicht«, begann ich zu toben. Schnell sprang Lucky von meiner Brust. Sie positionierte sich zwischen mir und Aaron und knurrte ihn an. »Was hast du in unserem Bett zu suchen?«

Aaron runzelte die Stirn. Sich keiner Schuld bewusst, zuckte er mit den Schultern und erklärte: »Wir sind doch eine Gruppe, da schläft man eben zusammen.«

Ratlos wandte ich mich an Rogue. »Ticken alle Wolfsmenschen so?«

»Keine Ahnung, ist wohl auch so’n Rudelding«, antwortete er mir zögerlich.

»Wenn wir schon mal bei dem Thema sind«, begann Aaron, während er vor unseren Augen anfing, Kniebeugen zu machen. »Wir brauchen ein größeres Zelt. In das kleine Ding, das ihr in der Nacht im Wald hattet, passe ich nicht mit rein.«

Sprachlos glotzten wir ihn an, selbst Lucky vergaß, weiter zu knurren. Ich fragte mich, ob es einen Sinn machen würde, weiter mit ihm über dieses Thema zu reden. Vorsichtig fragte ich: »Aaron, willst du von nun an immer bei uns schlafen?«

Voller Inbrunst nickte er mir zu, während er in aller Seelenruhe zu Liegestützen überging. Aus einem mir unerfindlichen Grund stellte sich Lucky so vor mich, dass mir die aufreizende Aussicht versperrt wurde.

Unsere Augen trafen sich. Tadelnd starrte sie mich nieder. Ich seufzte und wandte mich ab. »Hey, Aaron würde es dir etwas ausmachen, dir etwas anzuziehen?«

»Ich finde es so besser. Kleidung schränkt mich in meiner Bewegungsfreiheit immer so ein.«

Neben mir stöhnte Rogue auf. Sarkastisch sagte er: »Da haben wir uns aber einen Prachtkerl in die Gruppe geholt.«

Vom Boden her erklang: »Danke. Wenn du fleißig an dir arbeitest, dann kann aus dir auch mal ein echter Mann werden.«

Ich verbarg das Gesicht mit den Händen. Womit hatte ich das nur verdient? Fest nahm ich mir vor, Aaron nochmal auf das Thema gemeinsam schlafen anzusprechen. Jedoch hatte ich keine Hoffnung, dass es etwas bringen würde. Damit würden wir uns wohl alle abfinden müssen. Allen voran Lucky und Rogue. Ich hatte nichts gegen seine Gesellschaft in meinem Bett. Wenn Aaron doch nur schwul oder wenigstens bi wäre, seufz …

*

Ausreichend gestärkt, wanderten wir nach dem Frühstück zum Kontor. Direkt hinter dem Eingang trafen wir auf Garret, der gerade dabei war, das Beladen seines Wagens zu beaufsichtigen.

»Guten Morgen«, sagte ich zu ihm.

»Nicht so langsam, Bewegung! In einer Stunde will ich abreisebereit sein. Zeit ist Geld.« Garret wandte sich mir zu. »Guten Morgen Jungs.«

Vernachlässigt bellte Lucky, die auf meiner Schulter lag, hell auf.

»Und Madame«, fügte er rasch hinzu. »Gibt es einen besonderen Grund für euer Erscheinen?«

»Ja«, sagte ich und sah mich in dem großen Raum um. »Wir suchen jemanden, der mir die Wölfe abkauft und mir sagen kann, wie viel ein Flug zur Hauptstadt kostet.«

Irritiert runzelte Garret die Stirn, dann breitete sich ein Lächeln in seinem Gesicht aus. Er hob den Kopf und rief: »Hey Sonja, komm mal her, ich habe einen Kunden für dich.«

Aufgebrezelt, in einem grünen Seidenkleid, rauschte Sonja auf uns zu. »Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du mich nicht einfach so rufen sollst. Ich leite dieses Kontor.«

Garret grinste und schlang einen Arm um sie. »Ach jetzt, hab dich mal nicht so. Alle hier wissen, dass du der Boss bist. Schau doch mal, wer hier ist. Adrian möchte mit dir reden.«

Augenblicklich sah sie zu mir. Mit einem aufgesetzten Lächeln fragte Sonja: »Wie darf ich dem großen Retter des Waldes behilflich sein?«

Schnell riss ich mich zusammen und sagte: »Ich wollte fragen, wieviel ein Flug nach Lusira kostet.«

»Dreihundert Drachmen pro Person.«

»Uff«, entwich es mir, »und wie lange dauert die Reise zu Fuß?«

Sonja runzelte die Stirn. »In etwa zwanzig Tage, würde ich schätzen.« So lange? Ne, darauf konnte ich gut und gerne verzichten.

»Mit Pferden wären es in etwa sechs Tage. Am schnellsten geht es natürlich mit dem Gleiter, der benötigt gerade mal zwei Stunden für die Strecke. «

Nachdenklich sah ich Rogue an: »Was meinst du?«

»Ich bin fürs Fliegen«, grinste er mich an.

»Aaron?«

»Ich auch.«

Ich wandte mich wieder an Sonja. Das würde unsere Kasse zwar sehr in Mitleidenschaft ziehen, aber es ging wohl nicht anders. Wobei …, ich schielte zu Rogue hinüber.

Als hätte Sonja meine Gedanken gelesen, sagte sie zuckersüß: »Der Preis ist nicht verhandelbar.«

Geschlagen ließ ich den Kopf hängen. »Gut, dann bitte drei Tickets.«

»Ich brauche keines«, meinte Aaron auf einmal.

Ich sah zu ihm und hob eine Augenbraue. »Warum nicht?«

»Ich habe noch einen Auftrag in Lusira.«

Erwartungsvoll starrte ich ihn an. Aber es kam nichts mehr. Innerlich ermahnte ich mich zur Ruhe. »Soll das heißen, wenn ein Abenteurer einen Auftrag hat, dann fliegt dieser gratis?«

Aaron sah mir in die Augen und nickte. »Ja, solange der Flug direkt zum Ziel des Auftrags führt schon.«

»Warum sagst du das nicht gleich?«

»Du hast nicht gefragt. Außerdem kümmerst du dich um die Reisekosten. Das geht mich also nichts mehr an.«

Ich hätte auf der Stelle in Tränen ausbrechen können. Wie konnte dieser Wolfsmensch nur so einfältig sein. Fast hätte ich unsere hart verdiente Kohle zum Fenster rausgeworfen.

Strafend warf ich Rogue einen Blick zu. Schnell hob dieser abwehrend die Hände. »Das wusste ich nicht. Ich bin ebenso lange Abenteurer wie du, hast du das schon vergessen?«

Meine Augen suchten ihr nächstes Opfer, jedoch zuckte Garret nicht einmal mit den Wimpern. »Sorry, mein Junge«, lachte er. »Aber Familie geht vor Freundschaft.«

»Familie?« Fassungslos starrte ich zwischen ihm und Sonja hin und her. Ich fand, sie war ein wenig zu jung für den alten Geizkragen. Oder …

Verschlagen grinste Garret mich an, während er sie an sich drückte: »Oh, habe ich das gar nicht erwähnt. Sonja ist meine Tochter.«

Ich hatte es geahnt. Das erklärte so einiges. Vor allem warum sie so gut über uns Bescheid wusste.

Beherzt entwand sich Sonja dem Zugriff ihres Vaters. »Lass das, du alter Zausel.« Sie warf mir einen strengen Blick zu. »Ich nehme an, damit sind die Tickets vom Tisch. Gibt es sonst noch etwas? Ich muss zurück an die Arbeit.«

Schnell warf Garret ein: »Adrian wollte noch ein paar exquisite Felle verkaufen.«

Das konnte er vergessen. Nach dieser Show vertraute ich hier keinem mehr. Ich war beleidigt ob dieser Finte, versuchte aber dennoch, Haltung zu bewahren. So ruhig ich konnte, erwiderte ich: »Ich habe mich dazu entschieden, die Wölfe in der Stadt zu verkaufen und mir den Zwischenhändler zu sparen.«

Abermals lachte Garret auf. »So langsam lernst du, wie der Hase läuft. Vielleicht wird doch noch ein Geschäftsmann aus dir.«

Sonja schüttelte den Kopf und stampfte klackernd mit ihren hochhackigen Schuhen davon. Eines musste ich ihr lassen, dieser Abgang hatte etwas. So wie ihr Kleid sie dabei umwehte, konnte man annehmen, dass sie mit Windmagie nachgeholfen oder sehr viel Übung im Davonstürmen hatte.

Damit war dann wohl alles gesagt. Während Garret sich weiterhin grinsend um seinen Karren kümmerte, machten wir uns aus dem Staub.

*

Etwa zwei Stunden später bestiegen wir den Gleiter. Im Gepäck einen neuen Auftrag. Irgendwas von wegen Riesenratten in der Kanalisation töten. Aaron meinte, das wäre eine Kleinigkeit. Da der Auftrag für eine Person des Goldranges war, stimmte das wohl auch. Zu dritt sollten wir damit keine Probleme bekommen.

»Du sag mal, Aaron. Was ist denn dein Auftrag, den du noch hast?«

»Riesenkakerlaken töten.«

Ich musste dringend lernen, meine Fragen anders zu formulieren. Also begannen wir ein lustiges Frage-Antwort-Spielchen.

Ich begann mit: »In der Kanalisation?«

»Ja.«

Ich runzelte die Stirn. »Zwei Aufträge für denselben Ort?«

»Ja.«

»Warum?«

»Es stinkt dort.«

»Weiter.«

»Die Menschen mögen das nicht.«

Schlaumeier. Wer wollt schon freiwillig im Abwassersystem rumrennen. »Gibt es viele unerledigte Aufträge für die Kanalisation?«

»Ja.«

Entnervt riss ich die Hände in die Luft. Ich gab es auf. Auf diesem Weg würde es ewig dauern, dem Kerl Informationen zu entlocken.

Die Schiffsglocke erklang und der Mann am Ruder verkündete: »Abflug in einer Minute.«

Wir standen ganz vorn auf dem Oberdeck, direkt an der Reling. Wie schon von unten zu sehen war, glich der Gleiter einem Schiff, nur ohne Mast und Segel. Das Oberdeck war für Passagiere und Crew reserviert, das Unterdeck für den Warentransport. Irgendwo dort unten musste auch der Antrieb dieses Himmelsschiffes sein. Zu gerne hätte ich mir diesen genauer angesehen. Aber leider war der Zutritt für Unbefugte nicht gestattet.

Tröstend war allerdings die Aussicht von hier oben. Hinter uns das weite Meer, mit seinen schäumenden, weißen Wellenkronen. Unter uns der Handelsposten Meerblick und vor uns eine ewig weite Graslandschaft, nur von wenigen Bäumen, Sträuchern und vereinzelten Wegen durchbrochen.

Ich schaute der Besatzung zu, wie sie die Seile losmachten. Dabei fiel mir auf, dass, bis auf meine zwei Begleiter, keine Tiermenschen an Bord waren. Die Mannschaft bestand rein aus muskelbepackten Männern.

Dann erklang abermals die Schiffsglocke. »Festhalten, wir starten jetzt. Nächster Halt: Lusira.«

Es gab einen unerwartet starken Ruck, der mich ins Straucheln brachte. Gerade noch rechtzeitig schaffte ich es, mich an der Reling festzuklammern.

Im nächsten Moment schossen wir auch schon durch den Himmel. Der Fahrtwind schlug uns allen ins Gesicht. Während Aaron unbeeindruckt und, ohne sich festzuhalten, den Kopf in den Wind streckte, duckte sich Rogue auf den Boden, um nicht davongeweht zu werden.

Mit aller Kraft hielt ich mich an der Reling fest. Zu sehen, wie die Landschaft immer schneller an uns vorbeizog, wollte ich keinesfalls verpassen.

Wenn nur dieser Wind nicht wäre. Ich blinzelte. Für was, wenn nicht dafür, war ich ein Magier? Während ich meine Magie mobilisierte, stellte ich mir einen schützenden Kokon vor, der mich umgeben sollte.

Schlagartig verschwand der Wind, was mich aus dem Gleichgewicht brachte. Fast wäre ich kopfüber vom Schiff gefallen, wenn Aaron mich nicht reflexartig festgehalten hätte.

Mein Gesicht brannte vor Scham. »Danke, dir.«

»Was?«, schrie er mir entgegen.

Natürlich. Meine Magie schützte nur mich. Ob ich das Schild ausdehnen könnte? Einen Versuch war’s wert. Ich konzentrierte mich und stellte mir vor, dass auch meine Freunde mit in diesen schützenden Kokon eingehüllt wurden.

Einen Moment später blinzelte mich Aaron irritiert an. »Wo ist denn der Wind auf einmal hin? Sehr seltsam.«

Rogue hob den Kopf und seufzte laut auf. »Das ist schon viel besser.«

Ungehalten verpasste ich beiden eine Kopfnuss. »Das heißt: Dankeschön.«

Während sich die beiden den Kopf rieben, warf ich einen Blick über die Landschaft. Von hier oben sah alles so winzig aus, fast als wäre die Welt ein Puppenhaus. Insgeheim fragte ich mich, ob ich mithilfe meiner Magie fliegen könnte. So schnell, wie der Gedanke gekommen war, verschwand er wieder. So ein Unsinn. Das wäre doch unmöglich.

Mit rasantem Tempo schoss der Gleiter durch die Luft, wobei seine Flügel sich sanft im Wind auf- und abbewegten. Auch wenn es nicht viel zu sehen gab, fesselte mich die Aussicht von hier oben. Ich konnte mich gar nicht sattsehen.

Lediglich Lucky gefiel die Reise nicht so sehr. Zitternd hatte sie sich, um meinen rechten Fuß zusammengerollt. Ich bot ihr an, Rückzug einzusetzen, aber das lehnte sie vehement ab. Kopfschüttelnd hob ich wieder den Blick. Wer nicht hören will, der muss fühlen.

*

Nach gut eineinhalb Stunden kam langsam Lusira in Sicht. Als Erstes sah ich den Windturm, der wie eine spitze Nadel in den Himmel ragte. Schon bei meinem Sturz aus dem Himmel hatte ich kurz dieses Bauwerk bewundern können, nun jedoch war Zeit, genauer hinzusehen.

Er bestand aus einem grünlichen Kristall, der sich spiralförmig in die Luft schraubte wie ein Wirbelwind. Obwohl die Sonnenstrahlen von seiner glatten Oberfläche reflektiert wurden, schien er von innen heraus zu leuchten.

Drumherum ragten kleine dunkle Umrisse aus dem Boden, die sich wenige Minuten später als eine gewaltige Stadtmauer aus grün bemaltem Stein und etlichen Gebäuden entpuppten. Offenbar hatten die Einwohner von Lusira versucht, ihre Architektur an den Windturm anzupassen.

Nahezu alle Gebäude besaßen spitze, spiralförmige Dächer in unterschiedlichen Grünfarben. Nur vereinzelt sah ich Häuser, die ein Flachdach oder ein Satteldach vorzuweisen hatten. Je näher wir dem Zentrum, in dem der Windturm stand, kamen, desto imposanter wurden die Gebäude. Am eindrucksvollsten waren drei riesige Gebäude in unmittelbare Nähe zum Windturm.

Das Erste war eine Art Palast. Dieses Bauwerk hatte die zweithöchsten Türme, wobei die spiralförmigen Spitzen nicht aus Ziegeln, sondern aus grünem Kristall zu bestehen schienen.

Umgeben von einem großen, fein säuberlich angelegten Palastgarten, konnte dies nur der Sitz des Königs sein oder der Königin. Abermals musste ich einsehen, wie lückenhaft mein Wissen doch war.

Das zweite Gebäude war eine große Kathedrale, anders konnte ich dieses gotisch anmutende Bauwerk nicht klassifizieren. Das gesamte Gebäude bestand aus weißem Stein, der kunstvoll zu etlichen Säulen, Türmen und anderen Verzierungen ausgearbeitet worden war. Im Gegensatz zu allen anderen Bauwerken, besaß die Kathedrale weiße Spitzen.

Auf dem Hauptturm prangte ein gewaltiger, stahlendweißer Kristall, umgeben von vier kleineren Kristallen. Je einer in der Farbe Gelb, Grün, Rot und Blau. Dieser Turm überragte alle anderen Bauwerke bei Weitem. Ein goldenes Band zog sich um seine Mitte und ließ ihn dadurch noch majestätischer aussehen.

Mein Blick wanderte zum dritten Gebäude. Gegenüber den anderen beiden war es eher schlicht gehalten. Ein großes viereckiges Gebäude mit hohen grünen Spiraltürmen. Dieses fünfstöckige Bauwerk wurde von einer Reihe kleinerer Häuser im selben Stil umgeben. Das Ganze kam mir vor, wie eine Art Unigelände. Das große Wappen über dem Haupteingang zeigte eine Miniaturversion des Windturms in grün, auf schwarzen Hintergrund. Bestimmt war das die Akademie der Magier.

Der Gleiter bog leicht nach rechts ein und steuerte einen hohen Holzturm an, der etwas abseits der Stadtmitte aufgebaut worden war. Selbst dieser hatte ein grünes Spiraldach vorzuweisen.

Staunend warf ich einen Blick nach unten. Auf den Straßen schlenderten unzählige Leute umher. Es gab Plätze mit Marktständen, aber auch Geschäfte, die ihre Waren direkt vor der Tür ausstellten. Das musste der Handelsbezirk sein.

Ich konnte es kaum erwarten, den Gleiter zu verlassen und mir die Waren anzusehen. Ich war ehrlich gespannt darauf, was ich alles zu sehen bekommen würde.

Sanft dockte das Flugschiff am Turm an. Während die Besatzung bereits dabei war, die Waren auszuladen, begaben wir uns auf den Weg in die Stadt.

Kurze Zeit später bestaunte ich die Geschäfte nahe des Kontors. Es gab von allem etwas. Diverse Schwerter, Äxte, Hellebarden, Bögen, Armbrüste, ja sogar einfache Schusswaffen. Jedes Geschäft hatte sich offenbar auf eine bestimmte Warenart spezialisiert.

Weit über ein mit rotem Samt ausgelegten Podest gebeugt, begutachtete ich ein mit Gold und Juwelen gespicktes Bastardschwert - ein Eineinhalbhänder. Mein Blick fiel auf das Preisschild: 500.000 Drachmen. Ich schüttelte den Kopf und ging weiter.

Bisher wusste ich noch recht wenig über Waffen, aber dieses Schwert war bestimmt nicht für den Kampf, sondern allein zum Protzen gefertigt. Demnach für uns absolut uninteressant, da für mich der Nutzen im Vordergrund stand. Außerdem hatten wir bei Weitem nicht genügend Kohle für so einen Unsinn.

Ein Stand weiter rechts sah ich eine glänzende, silbrige Plattenrüstung mit goldenen Ornamenten. Wie in meinem alten Leben, sollten die ausgestellten Waren die Leute zum Staunen bringen.

Ich wandte mich ab und schlenderte mit den anderen im Schlepptau die Straße entlang. Mal hier, mal da warf ich einen Blick auf die ausgestellten Waren, hielt aber nicht an.

»Ich könnte ein paar neue Dolche gebrauchen«, meinte Rogue, während er an mir vorbeisprang und an einem Geschäft für ebendiese stehenblieb.

»Bevor wir etwas kaufen, möchte ich mich umsehen. Ich gehe davon aus, dass hier auf der Hauptstraße alles wesentlich teurer ist, als wenn wir ein kleines Geschäft in einer Seitenstraße besuchen.«

Vor allem Nahe des Kontors würde meine Hypothese sicher zutreffen. Dort wo es viel Laufkundschaft gab, waren die Preise entsprechend hoch. Als Vergleich zog ich einen Flughafen oder einen Bahnhof aus meinem alten Leben in Betracht.

»Das stimmt«, war Aarons Kommentar zu meiner Überlegung.

Ich legte Rogue einen Arm über die Schuler und zog ihn vom Schaufenster weg. »Ich verspreche dir, du wirst neue Waffen bekommen, aber nicht hier und nicht jetzt. Als Nächstes steht ein Besuch in der Windakademie auf der Tagesordnung. Je nachdem was wir dort erfahren, sehen wir weiter.«

Innerlich hoffte ich, dass Felix’ Empfehlungsschreiben mir ein kostenloses Zimmer einbringen würde. Dann müsse ich mir darum schon mal keine Gedanken mehr machen.

Vor uns öffnete sich die gepflasterte Straße zu einem großen Marktplatz. Hier gab es allerlei Nahrungsmittel. Von Obst und Gemüse über verschiedenes Fleisch, Fisch oder andere Meeresfrüchte, bis hin zu Gewürzen. Ein ganz normaler Markt eben.

Neben einem Stand, der Milch und Eier anbot, konnte man fertiges Essen erstehen. Mein Magen rumorte laut auf, als mir der saftige Geruch von gegrilltem Fleisch in die Nase stieg. Auch meine Begleiter warfen dem Stand einen hungrigen Blick zu.

Rasch trat ich näher und fragte: »Wie viel kostet ein Fleischspieß?«

Der Verkäufer antwortet sofort: »Zehn Drachmen, werter Magier.«

Wucher! Im Stillen hatte ich mit doppelten, vielleicht dreifachen Preisen gerechnet. Ein solcher Spieß würde mich in Meerblick eine Drachme kosten, hier das zehnfache.

Rein aus logischer Sicht, sollte ich die Finger davon lassen. Ein Blick in die weit aufgerissenen Augen meiner Kameraden genügte mir, um zu wissen, dass nicht nur ich Hunger hatte. Was kein Wunder war, denn wir hatten das Mittagessen ausgelassen.

Beim Gedanken an die Notrationen in meinem Seesack siegte mein Magen über meinen Verstand. Leise murrte ich vor mir hin: »Ausnahmsweise.«

Dann bestellte ich drei gegrillte und einen rohen Fleischspieß. Um 38 Drachmen ärmer übergab ich meinen hungrigen Mitstreitern je eine Portion. Den seltsamen Blick, den mir der Verkäufer dabei zuwarf, ignorierte ich gekonnt. »Esst, solange es noch warm ist.«

Ich nahm einen Bissen und seufzte laut auf. Das zarte Fleisch war einwandfrei gewürzt und ließ nichts zu wünschen übrig. Während ich mir genüsslich diesen Leckerbissen auf der Zunge zergehen ließ, ging ich in die Hocke, um Lucky mit ihrem Anteil an der Beute zu füttern.

Ohne Gier nahm sie einen Brocken an, wobei sie mir anschließend die Finger sauber leckte. So ganz hygienisch war das zwar nicht gerade, aber es war Lucky, die durfte das.

»Ihr zwei da, stehen bleiben«, brüllte eine Stimme über den Markt. Von unten her hob ich den Blick und sah zwei Männer auf uns zukommen. Anhand ihrer Uniform, dem grünen Umhang und dem Pegasus-Wappen, musste es sich hierbei um Wachsoldaten handeln.

Die beiden Soldaten bahnten sich einen Weg auf uns zu. Der Rechte hob eine Hand und zeigte auf Rogue. »Du da, woher hast du das Geld, um dir so etwas zu leisten? Spucks schon aus, du diebische Kanalratte.«

Entsetzt über diesen Vorwurf, blieb ich, wo ich war. Ich konnte keinen Finger rühren. War es das, was die beiden gemeint hatten? Tiermenschen zu beschuldigen, gestohlen zu haben, nur weil sie sich einen Fleischspieß leisten konnten?

In diesem Augenblick fiel mir etwas auf: Um uns herum, sowie auf der Straße, hatte ich bisher nur Menschen gesehen. Demnach hatten die Wachen die einzigen beiden Tiermenschen weit und breit ins Visier gekommen. Ein klassischer Fall von ethnischer Diskiminierung. In meinem Inneren wetteiferten Wut und Empörung miteinander.

Ich sah genau, wie Rogue, der vor mir stand, zusammenzuckte und sich kleinmachte. »Das war ein Geschenk von meinem Meister.«

Meister? Bisher hatte er mich nie so betitelt. Derart unterwürfig hatte ich den Bengel ebenfalls noch nicht erlebt. Weder eine Beleidigung noch ein dummer Spruch. Rogue hatte Angst, das konnte ich gut an seinem Schweif sehen, der sich um sein rechtes Bein schlängelte.

»Du wagte es, mir ins Gesicht zu lügen? Na warte, dir prügel ich Manieren in die weiche Birne.«

Genug war genug, mit einem Ruck erhob ich mich und stellte mich vor Rogue den beiden Herren in den Weg. Erzürnt plusterte ich mich auf und sagte: »Fass ihn an und du bekommst es mit mir zu tun.«

Irritiert starren die Soldaten mich an. Der Rechte fragte: »Und du bist?«

Ein Kollege stieß ihn an und flüsterte: »Pass auf Walter, der is ein Magier.«

»Das sehe ich selbst, Bernd«, brummte Walter zurück.

Ob die beiden wussten, dass wir jedes Wort hörten? So ganz sauber schienen die mir nicht zu sein. Nur zur Vorsicht wagte ich einen Blick auf ihre Charakterbogen: Beide waren Krieger im Rang Anfänger. Anhand ihrer wenigen Skills entschied ich, dass sie keine Bedrohung darstellten, weder für mich, noch für Rogue oder Aaron.

Die beiden waren zwar rüpelhafte Aufschneider, dennoch war es keine gute Idee, wenn ich mich mit ihnen anlegte. Ich musste mir dringend mal die Gesetze zu Gemüte führen. Aber das half mir jetzt gerade wenig.

»Schau doch mal, der Katzenbengel hat ein Sklavenhalsband. Mit einem Magier aus gutem Hause sollten wir uns besser nicht anlegen. Das könnte Ärger geben«, flüsterte Bernd.

Nachdenklich schnalzte Walter mit der Zunge. »Der ist noch recht jung. Bestimmt erst ein Novize. Würde mich wundern, wenn er auch nur einen Zauber kennt.«

Normalerweise würde ich ihr Gerede ignorieren, aber ich konnte mich nicht zügeln. »Ich kann euch hören.«

Die beiden zuckten erschrocken zusammen. Meine Güte, wenn solche Flachpfeifen hier ihren Dienst taten, konnte es um das Königreich nicht so gut stehen.

Um mich selbst etwas zu zügeln, verschränkte ich die Arme vor der Brust. »Nur zu eurer Information. Ich bin ein Malachitabenteurer. Und Aaron hier, ist sogar im Opalrang.«

Sie folgten meinem Kopfnicken.

»Was? Der Wolfsmensch soll im Opalrang sein?«, fragte Bernd überrascht.

Walter hingegen warf Aaron einen bösen Blick zu, dann starrte er mich hochnäsig an. »Beweis es!«

»Walter, Bernd, was soll dieser Tumult hier?«, rief eine strenge, Achtung heischende Stimme.

Mit einem Schlag waren die beiden Wachen wie ausgewechselt. Strammstehend salutierten sie vor dem Neuankömmling und riefen im Chor. »Sir, wir erledigen unsere Arbeit, Sir.«

Ein Blick genügte mir, um zu wissen, mit diesem dritten Soldaten war nicht zu scherzen. Sein kantiges Kinn, gemischt mit seiner finsteren Miene würde ausreichen, um Milch sauer werden zu lassen. Perfekt poliert, glänzten einige silberne Ornamente auf seiner akkurat sitzenden Lederrüstung mir entgegen.

Allein sein Auftritt deutete schon darauf hin, dass dieser Mann kein Anfänger war und ich mich mit ihm besser nicht anlegen sollte. Ein Blick in seinen Charakterbogen enthüllte: Titus war ein Hauptmann der königlichen Armee, im Kriegerrang Experte. Demnach war seine Stärke mindestens vergleichbar mit Aarons.

Titus ging an seinen beiden Handlangern vorbei und baute sich vor mir auf. »Dürfte ich Sie bitten, mir Ihre Papiere zu zeigen?«

Immerhin war er einigermaßen freundlich. Rasch griff ich in meinem Seesack und zog meinen, sowie Rogues Abenteurerausweis hervor.

Er nickte mir zu und wandte sich an Aaron. »Gib mir deinen Ausweis, Tiermensch.«

In aller Seelenruhe griff Aaron in seine Hosentasche und übergab Titus das Geforderte.

Anders als bei mir, prüfte der Hauptmann diesen Ausweis genau. Er schürzte die Lippen und gab ihn Aaron zurück.

Titus’ Augen richteten sich wieder auf mich. »Bitte entschuldigen Sie die Störung, werter Magier. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.«

Der Kerl sprach nur mit mir, als ob Aaron und Rogue Luft wären. Bevor ich auch nur ein Wort sagte, ermahnte ich mich selbst, höflich zu bleiben. Ich deutete eine Verbeugung an und erwiderte: »Ich wünsche Ihnen ebenfalls einen schönen Tag.«

Nichts wie weg hier, bevor ich noch die Beherrschung verlieren würde. Ruckartig drehte ich mich um und ging einen Schritt.

Titus rief mir hinterher: »Achten Sie bitte darauf, Ihren Sklaven gut im Auge zu behalten. Sollte es etwas stehlen, dann werden wir Sie zur Rechenschaft ziehen.«

Wie angewurzelt blieb ich stehen und ballte die Fäuste. Genug war genug. In dem Augenblick, da ich umdrehen wollte, um dem Kerl meine Meinung zu geigen, griff Rogue nach meinem rechten Arm und sagte: »Meister, Ihr müsst Euch beeilen, sonst kommt Ihr zu spät zu Eurem Termin.«

Wutentbrannt warf ich ihm einen Blick zu. Mit weit aufgerissene Augen starrte Rogue zurück. Kaum merklich schüttelt er den Kopf, während er stumm die Lippen bewegte: »Tu es nicht.«

Es kostete mich einige Anstrengung, meine Wut hinunterzuschlucken, aber ich tat es. Wenn Rogue der Meinung war, wir sollten die Sache auf sich beruhen lassen, dann sollte ich ihm vertrauen. Zwischen meinen zusammengepressten Zähnen zischte ich: »Du hast Recht, lass uns gehen.«

Gut zwei Querstraßen später stoppte ich abrupt. Mit geschlossenen Augen atmete ich bewusst ein und aus. »Verhalten sich die Wachen immer so?«

Zwar hatte ich nicht direkt Rogue angesprochen, jedoch war er es, der antwortete: »Ja.«

»Verstehe«, brummte ich vor mich hin. Entschlossen hob ich den Blick. Wie ich es mir bereits auf meine imaginäre Liste geschrieben hatte, war es nun an der Zeit, mehr über diese Welt, ihre Gesetze und Sitten zu erfahren.

»Aaron, du kennst dich doch hier aus oder? Führe uns bitte auf direktem Weg zur Magierakademie.« Flüsternd fügte ich hinzu: »Wollen doch mal sehen, welche Türen sich uns öffnen.«

Die Magierakademie

Seit gut zwei Stunden saßen wir nun schon vor dem Büro des Direktors. Nervös wippte ich mit meinem Fuß. Wie lange wollte der Weise uns denn noch warten lassen?

Abermals sah ich mich um. Ein schwerer dunkelgrüner Teppich zog sich mitten durch den Flur. An der Wand, mir gegenüber, konnte ich gut die rötliche Holzvertäfelungen bestaunen, vermutlich Buche, wenn mich mein Gedächnis nicht täuschte. Langweilig! Das alles sah ich schon seit Stunden.

Genervt warf ich einen Blick zu meinen Gefährten. Rogue hatte den Kopf an die Wand gelehnt und schlief offenbar, während Aaron still und unbeweglich mit glasigem Blick neben ihm saß. Entweder der Kerl konnte echt mit offenen Augen pennen oder er war weit weg in Gedanken.

So oder so, sie zu betrachten, konnte mich nicht von der Warterei ablenken. Lucky die sich in meinem Schoß zusammengerollt hatte, war da ebenfalls keine große Hilfe. Ich war zu aufgekratzt, um nichts zu tun, aber zu gelangweilt, um mich zu konzentrieren. Ein schönes Dilemma.

Auf einmal öffnete sich die Bürotür und ein älterer Mann mit Spitzbart erschien. Kurz musterte der braunhaarige Kerl uns drei, bevor er mich ansprach: »Du musst Adrian sein. Komm bitte in mein Arbeitszimmer.«

Rasch setzte ich Lucky auf dem Boden ab und stand auf. Aaron und Rogue, den ich kurz an der Schulter rüttelte, um ihn zu wecken, folgten meinem Beispiel.

»Die Tiermenschen bleiben hier«, warf der Direktor streng ein.

Ich biss mir auf die Unterlippe, damit mir nicht aus Versehen etwas rausrutschte, was ich besser für mich behalten hätte. Nach einem kurzen Blick zu den beiden, die sich wortlos wieder setzten, trat ich mit Lucky im Schlepptau ins Büro ein.

Der Direktor schloss die Tür, ging an seinen vollgestopften Bücherregalen entlang und ließ sich auf einen dicken Ledersessel hinter seinem großen Schreibtisch fallen. Er deutete auf einen der beiden einfachen Holzstühle davor und sagte: »Setz dich.«

Nachdem ich mich auf dem mir zugewiesenen Platz niedergelassen hatte, begann er ohne Umschweife sich vorzustellen: »Ich bin Jonathan der Weise, Direktor der Windakademie. Aber das weißt du sicher bereits.«

Ich öffnete den Mund, kam aber nicht zu Wort.

»Machen wir's kurz. Ich kann mir beim besten Willen nicht erklären, was sich Felix dabei gedacht hat, mir so einen Brief zu schreiben. Hier steht, du wärst sein Schüler und hättest geholfen, einen Schreckenswolf zu töten.« Er deutete auf einen Zettel, der vor ihm auf der Arbeitsplatte lag. »Der alte Zausel wird wohl langsam senil. Kein Novize ist in der Lage, sich solch einer Bestie zu stellen.«

»Ich bin im Rang eines Schülers«, warf ich rasch ein.

Als hätte er mich nicht gehört, redete er einfach weiter: »Angeblich sollst du bereits fünf der sechs großen Windzauber beherrschen. Was für eine fadenscheinige Lüge.«

Wütend riss ich den Mund auf, wurde jedoch von einer erhobenen Hand zum Schweigen verdonnert. »Wie dem auch sei. Felix schreibt, ich soll dir uneingeschränkten Zugang zur Bibliothek gewähren. Lachhaft.«

Jonathan schlug mit der Faust auf den Tisch, weshalb ich erschrocken zusammenzuckte. »Solange ich Direktor dieser Akademie bin, wird es keine Sonderbehandlungen geben. Für niemanden!«

Drohend hob er seinen rechten Zeigefinger und funkelte mich zornig an: »Wenn du hier studieren willst, dann schreib dich ein! So wie jeder andere auch.«

»Ich will hier gar nicht studieren«, stammelte ich. Sein Wutausbruch hatte mich ein wenig aus der Fassung gebracht.

»Du hältst dich wohl für etwas Besseres. Ich weiß zwar nicht, welche Flausen dir Felix in den Kopf gesetzt hat, aber so geht das nicht. Wer das Studium der Magie nicht ernstnimmt, der hat hier nichts zu suchen. Es bedarf jahrelangen Trainings und intensiver Vorbereitungen, um einen einzigen Zauber zu erlernen.«

Er schloss die Augen und schüttelt den Kopf. Das zu sehen, lockerte mir die Zunge. Mit einem Mal stand ich vor dem Schreibtisch und schrie ihn an: »Das sind keine Lügen! Ich beherrsche wirklich fünf der sechs großen Windzauber.«

Ohne mich anzusehen, winkte er ab. »Du bleibst also bei diesem Ammenmärchen? Nun gut. Wie du willst.«

Jonathan öffnete die Augen und sah mich mit einem verschlagenen Blick an. »Komm wieder, wenn du alle sechs Zauber gemeistert hast. Sollte dir das gelingen, dann gewähre ich dir nicht nur uneingeschränkten Zugang zur Bibliothek, nein, ich werde auch mein Amt niederlegen und dich zum Direktor ernennen. Wie hört sich das an? Gut, nicht wahr? Und nun raus mit dir. Für derlei Nonsens habe ich keine Zeit.«

Ich war sprachlos. Am liebsten hätte ich meinen Zauberstab gezückt und ihm einen Orkan um die Ohren gehauen. Allerdings würde ich damit wohl im gleichen Atemzug die gesamte Akademie auslöschen. Unschuldige sollten nicht zu Schaden kommen, nur weil der Direktor ein inkompetenter Idiot war. Egal, wie sehr er es verdient hätte.

Wutentbrannt stürmte ich auf die Bürotür zu und riss sie schwungvoll auf. Dem würde ich es noch zeigen. Hinter mir hörte ich Jonathans Stimme: »Sollte es ein nächstes Mal geben, dann sieh bitte davon ab, deine Kumpels mitzubringen. Tiermenschen ist es weder gestattet, Magie zu erlernen noch die Gebäude zu betreten.«

»Kommt, wir gehen«, bluffte ich meine Kameraden an, während ich die Tür hinter mir ins Schloß warf, sodass es noch im Gang nachhallte. Ohne auf meine Umgebung oder aufgeschreckte Schaulustige zu achten, trampelte ich die Gänge entlang.

*

Draußen angekommen, musste ich erstmal tief durchatmen. Jonathans Art hatte mich derart aufgeregt, dass ich kaum klar denken konnte. Satz für Satz, ließ ich das Gespräch in meinen Gedanken noch einmal Revue passieren.

Wenn es wirklich stimmte, dass normale Magier Jahre benötigten, um nur einen Zauber zu meistern, dann war seine Reaktion in gewisser Weise verständlich.

Aus seiner Perspektive gesprochen, kam da ein junger Kerl und verlangte eine Sonderbehandlung. Felix’ Lobpreisung meiner Fähigkeiten musste ihm demnach als unmöglich vorgekommen sein.

Ich nahm stark an, dass Felix nichts über meinen Extra-Skill Magiefulminanz geschrieben hatte. Das würde ins Bild passen. Jonathan sah folglich nur einen Scharlatan in mir und hatte dementsprechend reagiert. Zu meiner Schande musste ich mir eingestehen, dass ich an seiner Stelle wohl ebenfalls erzürnt gewesen wäre.

Dennoch würde ich mich damit nicht zufrieden geben. Wie Felix es bereits angesprochen hatte, würde ich dem Direktor meine Fähigkeiten vorführen müssen. Ich würde beweisen, dass ich etwas Besonderes war, jemand, den Jonathan nicht in eine Schublade mit den anderen Studenten stecken konnte.

Nachdem ich diesen Entschluss gefasst und mich wieder etwas beruhigt hatte, warf ich einen Blick in den Himmel. Die Sonne war bereits dabei unterzugehen.

Ich atmete noch einmal tief durch und drehte mich dann zu meinen Kameraden um, die noch immer schweigsam neben mir stehen. »Aaron, kennst du ein Gasthaus, in dem wir übernachten können?«

Unbeschwert wie immer, antwortete er: »Ja.«

Da er von sich aus nicht mit mehr Informationen rausrückt, fragte ich genauer nach: »Kannst du uns zeigen, wo?«

»Ja. Kommt, ich zeige euch den Weg.«

*

Kurze Zeit später kamen wir an einem Imbissstand vorbei. Die kleinen Spieße waren längst verdaut, weshalb ich jedem von uns eine große Portion Nudeln mit Soße kaufte - Lucky bekam zum Abendbrot Trockenfleisch. Dreißig Drachmen für das Abendessen war zwar immer noch recht viel, aber schon um einiges besser als bei der Bude, nahe des Kontors.

Über eine Stunde wanderten wir anschließend durch die Straßen, wobei wir uns immer weiter vom Zentrum entfernten.

Hinter einer Ecke änderte sich schlagartig die Umgebung. Bis hierher waren wir auf gepflasterten Straßen gelaufen, doch hier bestand der Boden aus schmutziger, rotbrauner Erde. Die Häuser hatte allesamt schon mal bessere Tage gesehen. Die Außenwände waren vergilbt und schmutzig, manche wiesen sogar Risse oder Löcher auf. Bei diesem Anblick kam mir nur eines in den Sinn: Das hier musste das Armenviertel von Lusira sein.

Aaron führte uns durch mehrere enge Gasse. Je weiter wir gingen, desto schlimmer wurde es. Unrat zierte die gedrungenen Wege. Mal waren es Holzstücke, Erde oder Steinhaufen, ein andermal Pfützen, dessen Herkunft ich nicht so genau wissen wollte. Dazwischen huschen immer wieder Ratten und andere Ungeziefer herum.

Der Geruch nach Urin mischte sich mit dem von Erbrochenem, gewürzt mit alter Wäsche. Anders als auf dem Markt und in der Innenstadt, waren hier überwiegend Tiermenschen zu sehen. Mal mehr mal weniger verwahrlost. Neben mir entdeckte ich auf unserem Weg nur zwei andere Menschen. Beide lagen schlafend am Straßenrand und stanken stark nach Alkohol.

Die wenigen Tiermenschen, die an uns vorbeikamen, wandten ihre Blicke rasch ab und wichen mir aus, als ob ich eine ansteckende Krankheit hätte. Manche drückten sich sogar an eine Hauswand, starrten auf den Boden und zitterten stumm vor sich hin. Ich konnte ihre Angst fast schon riechen. Melancholie erfasste mein Herz.

Ich fragte mich, warum die Tiermenschen hier im Dreck leben mussten? Was hatten sie denn getan, um dieses Schicksal zu verdienen? Waren es rein ethnische Gründe oder steckte da noch mehr dahinter?

Während ich mir so meine Gedanken machte, führte uns Aaron zu einem schäbig aussehenden Gasthaus. Über der Tür hing ein schiefes Schild: Wolfshöhle.

Ohne zu zögern, traten wir ein. Zu meiner Rechten befand sich ein kleiner Tresen, hinter dem eine junge Wolfsfrau stand. Der verschlissene Holzboden war sauber und es lag kein Müll herum. Erhellt wurde das winzige Vorzimmer von einem kleinen Kristall an der Decke. Um sein spärliches Licht auszugleichen, waren auf einigen herumstehenden Kommoden zusätzlich brennende Kerzen aufgestellt worden.

Aaron lehnte sich an den Tresen und sprach die Wolfsfrau freundlich an: »Hi, Flocke. Wie geht’s dir?«

Ich hob den Blick und betrachtete die junge Dame. Schwarze wuschelige Haare umrahmten ihr hübsches Gesicht. Ihre niedlichen Wolfsohren zuckten leicht, während sie sich zu Aaron hinlehnte.

»Ich kann nicht klagen. Aber sag, was führt einen so stattlichen und gutaussehenden Kerl wie dich zu mir? Suchst du ein Zimmer für die Nacht, Aaron?« Eindeutig klimperte sie mit den dichten Wimpern und legte ihm eine Hand auf den Arm. »Ich hätte da ein flauschiges Plätzchen für dich.«

»Danke für das Angebot«, meinte Aaron, während er sie wie ein hungriger Wolf anstarrte. »Nur leider bin ich nicht allein unterwegs. Ich habe eine Gruppe gefunden.«

»Ach wirklich?«, pikiert darüber, einen Korb bekommen zu haben, zog Flocke schnell ihre Hand zurück. Dann musterte sie Rogue, der vor mir stand. Sie rümpfte die Nase und brummte verstimmt: »Du ziehst die Gesellschaft eines Katers der Meinen vor?«

»Nun ja«, begann Aaron. Bevor er sich um Kopf und Kragen redete, griff ich beherzt ein. Ich legte ihm eine Hand auf die Schulter und sagte: »Flocke hat vollkommen recht. Du musst auf uns keine Rücksicht nehmen. Verbring die Nacht doch bei ihr, wir kommen schon klar.«

Normalerweise hätte ich das nicht so direkt angegangen, aber ich wollte, dass er mich richtig verstand. Immerhin kannte ich seine einfältige Art bereits.

Wie aus der Pistole geschossen antwortete Aaron, während er zu mir über seine Schulte sah: »Aber wir sind doch eine Gruppe.«

Oh, dieser sture Esel. Da musste ich wohl härtere Geschütze auffahren. »Komm schon, gib dir einen Ruck. Was willst du denn bei uns Männern, wenn du stattdessen deine Nacht mit dieser reizenden Dame verbringen kannst?«

Nachdenklich runzelte Aaron die Stirn, es sah wie Schwerstarbeit für ihn aus. Langsam kam er zu dem Schluss: »Wenn das für Euch in Ordnung geht?« Freudestrahlend wandte er sich wieder an Flocke. »Ich würde sehr gerne die Nacht mit dir verbringen.«

Na endlich, da das nun geklärt war, konnte ich mich um ein Zimmer für Rogue, Lucky und mich kümmern. Ich zwängte mich nach vorn. In diesem Augenblick sah Flocke zu mir. Ihre Augen weiteten sich entsetzt. Vor sich hin stammelnd, wich sie vor mir zurück: »Ein, ein Mensch.«

Schlagartig war die bisher gemütliche Stimmung im Eimer. Fast schon panisch verbeugte sich Flocke vor mir und jammerte mit hoher Stimme: »Bitte, ich flehe Euch an, ich habe nichts getan. Ich bin unschuldig.«

Auf diese Reaktion war ich nicht vorbereitet. Sprachlos starrte ich sie an. Zum Glück griff Rogue ein. »Komm mal wieder runter. Adrian ist voll in Ordnung. Der tut dir nichts.«

Zitternd hob sie leicht den Blick und sah von Rogue zu Aaron, der ihr aufmunternd zunickte.

Ich leckte mir über die trockenen Lippen und sagte so freundlich, wie ich konnte: »Bitte, verzeih mir. Ich wollte dir keine Angst einjagen.«

Als hätte ich sie geschlagen, zuckte Flocke zusammen und senkte wieder den Blick. So hatte das ganze keinen Sinn. Die Arme war viel zu verängstigt, um vernünftig mit ihr reden zu können.

Rasch traf ich eine Entscheidung und wandte mich an Aaron: »Ich denke, es ist besser, wenn ich mir ein anderes Gasthaus suche. Rogue, willst du hierbleiben oder kommst du mit mir?«

»Als ob ich hier bleiben würde.« Frech grinste er Aaron an. »So wie ich unseren Muskelmann hier kenne, wird er die Wände zum Wackeln bringen. Nein danke, auf eine weitere schlaflose Nacht wegen zwei durchgedrehter Wölfe kann ich gut und gerne verzichten.«

Ich verpasste ihm eine Kopfnuss. »Du sollst doch nicht so vorlaut sein. Außerdem war das keine richtige Antwort auf meine Frage. Reiß dich mal zusammen, du frecher Lümmel.«

Während sich Rogue den Kopf rieb, streckte er mir die Zunge raus.

»Willst du noch eine?«, drohend hob ich die Faust.

»Du schlägst zu wie ein Mädchen, weißt du das?«

Nachdenklich runzelte ich die Stirn. Was bezweckte Rogue mit seinem Verhalten? Das ging weit über seine üblichen Frechheiten hinaus. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Flocke uns beide irritiert anstarrte. Darum ging es also. Er wollte ihr die Angst vor mir nehmen, indem er so mit mir umging.

Oh, dieses Spiel konnte man auch zu zweit spielen. Bemüht ernst sagte ich: »Na warte, dir bring ich noch Manieren bei.« Dann stürzte ich mich auf ihn und riss ihn zu Boden. Mit einer Hand fing ich seine beiden Arme ein, während ich mich auf sein Becken setzte.

Damit war mein Opfer fixiert. Als Nächstes begann ich, ihn ordentlich durchzukitzeln. Lauthals lachend, zuckte und zappelte Rogue unter mir, kam aber nicht frei.

Abgehackt rief er: »Lass das. Hör auf. Ich ergebe mich.«

Im Befehlston fuhr ich ihn an, wobei ich mir ein Grinsen nicht verkneifen konnte: »Das heißt: Gnade, Meister.«

Vehement biss er sich auf die Unterlippe und schüttelte, bebend vor unterdrücktem Lachen, den Kopf.

Mein Lächeln wurde noch breiter. »Sag es oder ich kitzel dich so lange, bis du blau anläufst.«

Ganze zehn Sekunden lang hielt er wacker durch, dann stieß er hervor: »Gnade, großer Bruder.«

Ich blinzelte ihn an, wobei ich nebenbei meinen Angriff einstellte. »Ok, das lasse ich gerade mal so durchgehen.«

Frech streckte er mir schwer atmend die Zunge raus.

In diesem Augenblick mischte sich Aaron ein. Verwirrt dreinschauend, fragte er uns: »Ihr seid Geschwister?«

Ich hob den Kopf und ließ Rogue erstmal zu Atem kommen. »Nicht direkt. Wir sind nicht blutsverwandt oder so. Aber nach allem, was wir beide schon erlebt haben, sehe ich ihn als meinen kleinen Bruder an.«

»Als ob ich einen dahergelaufenen Menschen als Bruder haben möchte. Bäh, das ist ja widerlich«, stichelte Rogue, der sich offenbar erholt hatte und sich gespielt angeekelt schüttelt.

Ich sah ihm in die Augen und fragte zuckersüß: »Willst du noch eine Runde?«

Augenblicklich streckte er die Arme über den Kopf. »Ich ergebe mich, großer Bruder.«

»Na bitte, geht doch.« Grinsend stand ich auf und bot Rogue eine Hand an. Umstandslos ließ er sich hochziehen. Brust an Brust, flüsterte ich ihm zu: »Danke, das wird Flocke sicher geholfen haben.«

Ebenso leise sagter er mit sarkastischem Tonfall: »Gerne doch, Meister.« Anschließend drehte er sich zu Flocke um und fragte sie: »Du hast nicht zufällig ein Zimmer mit Doppelbett für mich und meinen großen Bruder, oder?«

Verständnislos sah Flocke von ihm zu mir und wieder zurück. »Ihr wollt ein Zimmer für die Nacht?« Sie hob einen zittrigen Finger und deutete auf mich. »Aber er ist doch ein Mensch. Kein Mensch würde freiwillig im Tiermenschenviertel übernachten.«

Hinter vorgehaltener Hand sagte Rogue: »Keine Sorge, er ist stubenrein.« Verschwörerisch zwinkerte er Flocke zu.

Ich seufzte schwer. »Treibs nicht zu weit, sonst darfst du nicht in meinem Bett schlafen. Such dir doch zur Abwechslung mal ein eigenes Schlafquartier.«

»Als ob dich das stören würde«, hielt Rogue dagegen.

Ich überging sein Kommentar und wandte mich direkt an Flocke: »Wie viel kostet ein Zimmer mit Doppelbett für eine Nacht?«

Vollkommen neben der Spur sagte sie leise: »Zehn Drachmen.«

»Gut, das nehmen wir.« Nebenbei kramte ich bereits in meinem Seesack, auf der Suche nach der Gruppenkasse. Während ich die geforderte Anzahl Münzen auf dem Tresen legte, fragte ich: »Es kann sein, dass wir länger als eine Nacht bleiben. Wäre das für dich in Ordnung?«

Mechanisch nickte sie.

»Soll ich im Voraus zahlen oder jeden Abend?«

»Jeden Abend, bitte.«

Ich nickte ihr zu und nahm unseren Zimmerschlüssel entgegen. Am besten wir machten uns schnell vom Acker. Die Arme würde wohl noch etwas Zeit benötigen, um sich von dem Schreck, einen Menschen zu beherbergen, zu erholen.

Am Ende lagen wir dann doch zu viert im Doppelbett. Mit unserer Show hatten wir Flocke wohl die Lust geraubt, die Nacht mit Aaron zu verbringen. Pech für die beiden, Glück für mich. Ich hatte nichts gegen die schöne Aussicht einzuwenden - Aaron bevorzugte es nach wie vor, nackt zu schlafen.

Der 6. Windzauber

Am frühen Nachmittag des folgenden Tages standen wir vor einem der Eingänge in die Kanalisation. Wie nicht anders zu erwarten, stank es grauenhaft nach Urin, Fäkalien und Verwesung. Auf dem Weg hierher hatten wir in einem kleinen Geschäft Halt gemacht, in dem ich, in weiser Voraussicht, Nadel und Faden erstanden hatte. Ich wollte damit die Ohren unserer Beute zusammenbinden, damit ich sie nicht einzeln aus meinem Beutel ziehen musste.

Ich sah zu meinen Kampfgefährten. Wie ich hatten sie eine Hand über Mund und Nase gelegt, um sich vor den austretenden Gerüchen zu schützen. Eine nicht gerade erfolgreiche Maßnahme.

Rogue trat vor und meckerte: »Alter, das kann doch wohl nicht euer ernst sein. Da gehe ich nicht rein.«

In gewisser Weise musste ich ihm zustimmen. Wenn der Gestank bereits hier draußen derart penetrant war, wie roch es dann erst weiter drinnen?

Neben dem lieblichen Aroma dieses Ortes sah ich jedoch noch eine viel größere Gefahr: Giftgas. Nach allem, was ich bisher gesehen hatte, war die Technologie in dieser Welt weit zurück. Die Gefahr, auf eine Gasblase zu stoßen, war demnach recht hoch. Egal ob toxisch oder zu wenig Sauerstoff, das Ergebnis wäre dasselbe: Tod.

Das war einer der Gründe, warum die Aufträge für diesen Ort mit Goldrang eingestuft wurden, um mögliche Unglücke zu verhindern. Soviel hatte Aaron mir jedenfalls erklärt.

Es half alles nichts, wir mussten da rein, um unsere Quests zu erfüllen, aber wie sollten wir das machen? Bestimmt gab es keine Gasmasken in dieser Welt.

Gasmasken? Da kam mir eine Idee. Dank meiner Spielerei auf dem Flugschiff hatte ich den Extra-Skill Windbarriere erworben. Mal sehen, ob der nicht auch hier nützlich sein könnte. Ich schloss die Augen und konzentrierte mich. Mein Ziel war es, eine Blase um mich zu erschaffen, die nur reine Luft, also Stickstoff und Sauerstoff, hindurch ließ, und das in den richtigen Mengen.

Kaum hatte ich diesen Gedanken zu Ende gebracht, konnte ich nichts mehr riechen. Erschrocken riss ich die Augen auf, beruhigte mich jedoch schnell wieder. Klar, wenn mein Zauber wie vorgesehen funktionierte, dann würde alles, das schloss jedwede Geruchspartikel mit ein, aus der Luft herausgefiltert werden.

Vielleicht wäre ich sogar in der Lage, das noch weiter zu verfeinern, aber nicht jetzt. Ich hatte einen Weg gefunden, den Gestank loszuwerden, zum Preis des Geruchssinns. Einen Tod musste man eben sterben.

Schnell erklärte ich den anderen, was ich ausgeheckt hatte. Vor allem Aaron, der den Spezies-Skill Spürnase besaß, war ganz und gar nicht angetan von meiner Idee, willigte aber schlussendlich ein. Ausgestattet mit je einer modifizierten Windbarriere, konnte unser Abenteuer beginnen.

Als Magier war es normalerweise unklug vorwegzugehen, aber ich tat es dennoch. In den letzten Tagen hatte sich in mir eine Menge Frust angesammelt und ich benötigte dringend ein Ventil, um meine gesamte negative Energie rauszulassen.

Wie gerufen, traf ich im spärlichen Licht, einfallend durch große Rohre an der Decke, keine fünf Minuten später auf meine ersten Gegner.

Lucky, die sich vor dem Unrat am Boden auf meine Schulter geflüchtet hatte, bellte hell auf. Ich trat um die Ecke und da standen sie: drei Riesenratten. Der Name war, wie so oft, auch hier Programm. Wäre ich in meinem alten Leben Ratten, so groß wie Golden Retriever begegnet, hätte ich die Beine in die Hand genommen und den Kammerjäger gerufen. Oder die Armee, je nachdem, wen ich zuerst an die Strippe bekommen hätte.

Bevor ich handelte, warf ich einen Blick auf das Infofenster der Ratten. Ihre Spezies Skills waren: Allesfresser und dickes Fell. Gut ja, die erhöhte Abwehr gegen physische Angriffe würden Rogue und Aaron etwas beeinträchtigen, mich jedoch nicht.

Problematisch fand ich eher ihren Extra Skill Verseuchung. Solange ich sie allerdings auf Distanz hielt und mich von ihnen nicht beißen oder kratzen ließ, konnten sie mir damit nichts anhaben.

Ich verzog die Lippen zu einem dämonischen Grinsen. Hier, in dieser Welt und in genau diesem Augenblick, war ich der Kammerjäger. »Windschnitt.«

Mein Zauber teilte alle drei Ratten sauber, in mittlerer Höhe, in zwei Hälften. Das tat gut. Endlich konnte ich mal die Sau rauslassen.

»Rogue, sammelst du bitte die Ohren ein. Ich glaube, ich kann noch mehr von denen hören.« Rasch übergab ich Nadel und Faden, während Lucky ein helles Bellen von sich gab. Dank Spürsinn wusste sie immer, wenn sich in unserer näheren Umgebung ein Feind aufhielt. Ich für meinen Teil fand diesen Skill sehr praktisch. Schade nur, dass ich ihn nicht selbst besaß.

Vorsichtig stieg ich über die Kadaver und lugte um die nächste Biegung. Da waren ja auch schon meine nächsten Opfer. Perfekt. »Windschnitt.«

Dieses Mal hatte ich mit einem Schlag fünf Biester erwischt. Das war viel zu einfach, was meiner Euphorie einen starken Dämpfer verpasste. Ich sollte das Abschlachten wohl besser den anderen überlassen. Vor allem, wenn ich mir die tiefen Einschnitte in den Wänden ansah, die mein Zauber hinterlassen hatte. Nicht dass ich aus Versehen noch die Abwasserrohre zum Einsturz brachte.

23 Riesenratten später trafen wir zum ersten Mal auf eine Riesenkakerlake. Ein kalter Schauder lief mir den Rücken hinunter. Das Ding war sogar noch größer als die Riesenratten. Von der Decke hängend, klackerte es uns mit seinen langen Greifzangen an.

Ein Blick auf seine Skills sagte mir, dass die Jungs mit diesem Gegner Probleme bekommen könnten. Bevor ich allerdings etwas sagen konnte, stürmten die zwei los.

Die Riesenkakerlake benutzte ihren Extra Skill Fäulnisatem und spuckte uns eine gelbliche Wolke entgegen. Dank meiner modifizierten Windbarriere, konnte uns dieser Angriff zum Glück nichts anhaben. Ohne davon beeinträchtigt zu werden, rannten die beiden durch die Fäulniswolke und stürzten sich ins Gefecht.

Während Rogue das Vieh mit seinen Dolchen ärgerte, seine Waffen prallten nutzlos am Körperpanzer des Insektes ab, köpfte Aaron das Biest mit einem Schlag und das, ohne einen Skill einzusetzen. Aarons Muskelkraft war schon beeindruckend, wie ich fand.

Anerkennend nickte ich ihm zu. Einen Feind mit einer Axt zu töten, der über den Spezies Skill Chitinpanzer verfügte, war schon eine Leistung. Mit Aarons Stärke konnte Rogue nicht mithalten, was ihn sichtlich ärgerte.

An diesem Gegner konnte ich gut den Unterschied zwischen einem Gold- und einem Opalabenteurer sehen. Die Riesenkakerlake selbst war dem Malachitrang zugewiesen. Ich bezweifelte zwar, dass ich mit diesem Vieh Probleme haben würde, aber für den Katzenjungen war so ein Gegner noch eine Nummer zu groß.

Rogue warf mir einen Blick zu und riss mich aus meinen Gedanken. »Die Dinger haben keine Ohren.«

Na großartig. Leicht genervt antwortete ich: »Dann nehmen wir eben wieder die Köpfe mit.«

Plötzlich dröhnte ein lautes Knacken durchs Abwasserrohr. Entgeistert sah ich zu Aaron, der vor der Leiche kniete. In einer Hand hielt er etwas, das aussah, wie ein gut zwei Meter langes Schilfrohr.

Ich sah, wie er sich ruckartig bewegte. Ein zweites Knacken erklang. Mit reiner Muskelkraft hatte Aaron der Riesenkakerlake beide Fühler vom Kopf gerissen. Er sah auf und brummte: »Die Gilde mag es nicht, wenn wir die Köpfe mitbringen.«

Ich warf die Arme in die Luft. Dann eben so. Eine Bewegung ließ mich innehalten. Der kopflose Torso des Insekts richtete sich plötzlich auf und versuchte zu entkommen. Vielleicht hatte das etwas mit dem Spezies Skill Überlebenskünstler zu tun, war aber auch egal. Reflexartig hob ich eine Hand und rief: »Windschnitt.«

Senkrecht in zwei Teile gespalten, klappte der Torso auseinander. Angewidert sah ich auf die zuckenden Beine, die noch immer die Flucht ergreifen wollten. Ja, dieses Ding war ein Überlebenskünstler. Es war tot und doch versuchte es zu entkommen. Ein Schauder lief mir über den Rücken. Insekten waren so ekelhaft.

Nachdem Aaron seine Jagdtrophäe, die Fühler bewegten sich noch immer, im Seesack verstaut hatte, trottete ich den beiden langsam hinterher. Die Schande, der Riesenkakerlake keinen Schaden zufügen zu können, ließ Rogue nicht auf sich sitzen. Schneller als Aaron sich bewegen konnte, schnetzelte er sich durch die Riesenratten voran.

Erst eine zweite Riesenkakerlake stoppte seinen Vorstoß. Mich im Hintergrund haltend, beobachtete ich den Kampf. Dieses Mal zielte Rogue auf die Gelenke, die nicht vom Körperpanzer geschützt wurden.

Mit dieser Taktik hatte er sogar Erfolg. Während er geschickt den Beißzangen auswich, schlug er dem Gegner zwei seiner sechs Beine ab.

Das Biest klackerte wütend und biss nach ihm. Mit einer gedrehten Schraube sprang Rogue über dessen Kopf hinweg. Seine Dolche blitzten auf und weißlicher Schleim spritzte hervor. Er hatte der Riesenkakerlake in beide Facettenaugen gestochen.

»Sieg«, jubelte Rogue, als sein Gegner zu Boden ging. Lange blieb die Leiche allerdings nicht liegen. Keine Sekunden später versuchte der Kadaver, zu entkommen.

Ich beendete das Schauspiel mit einem Windschnitt. Diese Viecher waren ja so widerlich. Anschließend lobte ich Rogue aufgrund seiner Leistung. Nicht nur ich war offenbar bestrebt, besser und stärker zu werden.

*

Gut zwei Stunden nachdem wir die Kanalisation betreten hatten, kamen wir an einem weiteren Ausgang vorbei. »Genug für heute«, entschied ich und wir verließen das Abwassersystem. Wir hatten weitaus mehr als die angeforderte Menge an Gegnern erledigt.

Auf geradem Weg führte uns Aaron zur Abenteurergilde. Im Gegensatz zu dem kleinen Außenposten in Meerblick befand sich das Hauptquartier der Gilde in einem großen, dreistöckigen Gebäude, nahe des Zentrums.

Laut Aaron gab es in den Randgebieten von Lusira zwei weitere Außenposten der Gilde. Normalerweise hätte er eine dieser beiden angesteuert, jedoch hatte ich keine Lust auf einen Umweg.

Wir hatten die Kanalisation nahe der Innenstadt verlassen und ich wollte nicht quer durch Lusira rennen, nur um unsere Quests abzugeben. Dank meiner modifizierten Windbarriere, waren wir recht sauber geblieben und auch unser Geruch hielt sich in Grenzen. Ein Erfolg auf ganzer Linie.

Ich seufzte und versuchte, die abschätzigen Blicke der anderen Abenteurer, die sich im Inneren des Gebäudes aufhielten, zu ignorieren. Ihr Interesse galt nicht mir, sondern Aaron und Rogue, die die einzigen Tiermenschen hier waren.

Um mich davon abzuhalten, die Leute anzuschnauzen, dass sie sich gefälligst um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern sollen, sah ich mich um. Es gab noch einen zweiten Grund, warum ich das Hauptquartier als Ziel gewählt hatte. Ich suchte nach einem anderen Magier, beziehungsweise nach dessen Klassen-Skills.

Während Aaron und Rogue sich in der Kanalisation ausgetobt hatten, war ich damit beschäftigt gewesen, mir Gedanken zu machen. Aber egal, wie sehr ich mich anstrengte, ich konnte den sechsten Windzauber nicht erraten. Ohne zu wissen, wie sein Name war oder was er bewirken sollte, konnte mir selbst Magiefulminanz nicht helfen. Das war mit einer der Gründe, warum ich schlechte Laune hatte, was wiederum meine Geduld sehr strapazierte.

Wieder mit den Gedanken in der Gegenwart angekommen, sah ich mich um. Ein monotones Stimmengewirr herrschte hier. In einer langen Schlange standen gut zwanzig Abenteurer an, um zu einem der fünf Schalter vorgelassen zu werden. Einige wenige Menschen studierten das schwarze Brett, während andere als Grüppchen dastanden und sich unterhielten. Ich zuckte die Schultern, nichts besonders.

Neben mir entdeckte ich mithilfe von Analyse noch zwei andere Magier. Einer war Novize, der andere im Rang Gelehrter. Rasch warf ich einen Blick auf die Skills der schätzungsweise vierzigjährigen Frau.

Begleitet von einem deprimierten Seufzen, ließ ich den Kopf hängen. Die Magierin kannte gerade mal drei der sechs großen Windzauber. Natürlich war der Skill, den ich suchte, nicht dabei.

»Stellt euch schon mal an. Ich werfe noch schnell einen Blick aufs schwarze Brett und komme dann zu euch.« Ohne ein Antwort abzuwarten, stiefelte ich mit hängenden Schultern davon.

Mehrere gewaltige Pinntafeln säumten die Wände des großen Raumes. Die Zettel darauf waren nach Region und Schwierigkeit angeordnet. Auf einer der Tafeln, rechts vom Eingang, gab es einen Extrabereich nur mit Aufträgen für die Kanalisation in Lusira.

Rasch überflog ich die Quests und nahm vier davon ab. Anschließend trottete ich zu meinem Kameraden zurück.

Knapp zehn Minuten später waren wir an der Reihe. Gemeinsam mit den beiden aktiven Aufträgen, dem einen, den ich in Meerblick angenommen hatte, und dem von Aaron, breitete ich sechs Zettel auf dem Tresen aus.

Streng fuhr mich die Dame am Schalter an: »Werter Magier, Sie dürften nur einen Auftrag gleichzeitig annehmen.«

Unbeeindruckt deutete ich mit dem Daumen über meine Schulter. »Wir sind zu dritt, also darf jeder einen annehmen. Außerdem steht nirgends, dass ich einen Auftrag annehmen muss, um ihn abzuschließen.«

Ich griff in meinen Beutel und zog eine Kette, bestehend aus Riesenratten-Ohren, hervor.

Rasch zählte ich die Ohren ab und trennte mithilfe von Windschnitt die makabere Kette in mehrer Teile. Ich legte zehn Ohren auf den ersten Auftrag, je zwanzig auf den zweiten und dritten, zum Schluss vierzig auf den vierten Zettel. Die restlichen drei Ohrenpaare steckte ich wieder ein.

Anschließend zog ich ein Bündel aus zehn Fühlern und ein weiteres aus zwanzig Fühlern hervor, damit waren die letzten beiden Aufträge abgegolten.

Nachdem ich mit der Vorbereitung fertig war, hob ich den Blick. Mit offenem Mund starrte mich die Dame hinter dem Schalter an. Wann immer einer der zuckenden Fühler sie streifte, fuhr sie zusammen.

»Also, ich für meinen Teil würde das hier gerne schnell und unbürokratisch lösen. Wie Sie sehen, habe ich den Beweis für das Beseitigen der Monster mitgebracht. Entweder sie zahlen mir alles auf einmal aus oder wir nehmen jetzt einen Auftrag an, geben dann drei auf einmal ab, nur um gleich darauf die nächsten drei anzunehmen und auch diese abzugeben. Wie hätten Sie es denn gerne?«

Wie ein Fisch auf dem Trockenen öffnete und schloss sich ihr Mund, ohne das ein Laut daraus hervordrang. Na toll. Das konnte wohl noch eine Weile dauern. War ich der Erste, der auf so eine Idee gekommen war? Ich für meinen Teil hatte kein Interesse daran, für jede Quest einzeln in die Kanalisation zu steigen.

Etwa drei Sekunden starrte mich die Dame noch an, dann schüttelte sie den Kopf. Anschließend fertigte sie die Aufträge der Reihe nach ab. Verdammte Bürokratie. Es wäre viel schneller gegangen, alle auf einmal zu bearbeiten, aber was sollte ich machen? Vorschriften waren nun mal Vorschriften.

Während die Dame vor sich hinarbeitete, seufzte ich genervt auf. Von der Seite her sprach Rogue mich leise an: »Was ist denn los mit dir? Du wirkst so angespannt.«

Schulterzuckend antwortete ich, mit deprimierter Stimme: »Ach, ich komm einfach nicht drauf, was der sechste Windzauber ist. Ich habe schon alles Mögliche ausprobiert, ohne Erfolg.«

Aus den Augenwinkeln sah ich ihn nicken. Schneller als ich reagieren konnte, wandte sich Rogue an die Dame am Schalter: »Entschuldigen Sie bitte, kennen Sie vielleicht die sechs großen Windzauber?«

Entgeistert starrte ich ihn an. Woher zum Teufel sollte denn diese Frau das wissen? Sie war keine Magierin.

»Natürlich kenne ich alle Windzauber. Jedenfalls vom Namen her.« Sie hob den Blick und legte einen Finger an ihr Kinn. »Da haben wir, Windschnitt, Windstoß und Wirbelwind. Das sind die gebräuchlichsten Zauber, die jeder gute Magier kennen sollte. Weniger verbreitet unter den Abenteurern sind Vakuumsphäre und Orkan. Der letzte ist sehr selten. Nur ein Magier auf dem Rang eines Weisen ist dazu in der Lage. Der Zauber heißt: Windsense.«

Sprachlos starrte ich die Frau an. Nun war ich es, der den Mund nicht geschlossen halten konnte. Wie einfältig ich doch war. Natürlich kannte diese Dame alle Zauber. Sie sah diese immer auf den Charakterbögen der Magier, die ihre Skills prüfen ließen.

Windsense also. Blieb nur die Frage, ob damit eine Art verbesserte Version von Windschnitt gemeint war, oder aber die Manifestation einer Sense, bestehend aus Luft. Ich tippe auf Letzteres. Natürlich musste ich meine Theorie sofort prüfen.

Rasch trat ich einen Schritt zurück und hob beide Hände. Innerlich konzentrierte ich mich darauf, eine Sense aus Wind zu erschaffen. Dann sagte ich: »Windsense.«

Durfte man hier überhaupt Zauber wirken? Egal. Es war sowieso zu spät. Meine Hände vibrierten bereits, während ein stetiger Strom Magie aus mir herausfloss, sich ausdehnte und Form annahm. Im nächsten Augenblick hielt ich eine Sense in Händen, bestehend aus reinem Wind oder Magie, je nachdem, wie man es sehen wollte.

Obwohl Wind nicht greifbar war, konnte ich einen Widerstand spüren. Offenbar bestand die glatte Oberfläche aus einer gepressten Form einer Windbarriere. Ich grinste die Dame hinter dem Tresen an.

»Danke für die Info.«

Einen Moment starrte sie mich entgeistert an, nebenbei murmelte sie: »Aber Sie sind doch im Rang Schüler und auch noch so jung.«

Dann schüttelte sie den Kopf. Schlagartig änderte sich ihr Gesichtsausdruck. Wütend fuhr sie mich an: »Warum fragen Sie mich, wenn Sie ohnehin schon alles wissen?«

Rasch dachte ich mir eine Notlüge aus. Ich ließ die Windsense verschwinden und legte meinen besten Flirtblick auf. »Verzeihen Sie mir diesen kleinen Test. Ich wollte nur wissen, wie gut Sie in Ihrem Job sind.« Augenzwinkernd nickte ich ihr zu. »Sie haben meine Erwartungen weit übertroffen.«

Ein feines Lächeln umspielte die Lippen der Frau, deren Namen ich mir nicht gemerkt hatte. Um kein Misstrauen zu erwecken, flirtete ich noch ein wenig mit ihr, dann steckte ich unsere Belohnung, satte 750 Drachmen, ein und wir verließen rasch die Gilde.

*

Vor dem Gebäude sah ich in den Himmel. Es war noch früher Abend. Ich grinste in mich hinein und stürmte ohne Erklärung für meine Freunde los. Die beiden konnten es sich vermutlich eh schon denken. Mein Ziel war die Magierakademie. Diesem aufgeblasenen Direktor würde ich jetzt eine Lektion erteilen.

Im Sekretariat wurde mir mitgeteilt, dass Jonathan der Weise gerade auf seiner Runde über das Übungsgelände war. Grob zeigte der freundliche Herr hinter dem Tresen in eine Richtung.

Mit meinen Kameraden im Schlepptau setzte ich meine Suche fort. Das Übungsgelände entpuppte sich als eine Art Schießplatz, jedenfalls sah es für mich danach aus. In mehreren voneinander abgegrenzten Bereichen waren in unterschiedlicher Entfernung Zielscheiben angebracht.

Ungefähr zwanzig Schüler standen zusammen, jeweils mit einem Zauberstab bewaffnet, in je einem Areal, wobei lediglich drei von ihnen gleichzeitig zaubern durften. Der Rest sah zu und kommentierte die Leistung der anderen. Offenbar wurden die Schüler nach Können und ihren Fortschritten eingeteilt, nicht nach dem Alter, wie mir ein Blick in ihre Gesichter verriet.

Hinter den übenden Gruppen, mit je einer eigenen Lehrkraft, wanderte der Schulleiter umher. Mal hier, mal da sah er sich die Darbietungen seiner Schüler an. Hin und wieder nickte er oder runzelte die Stirn, sagte aber kein Wort.

Ohne auf die übenden Schüler zu achten, stürmte ich auf den Weisen zu und blieb vor ihm stehen.

Irritiert sah Jonathan mich an. Dann hob er eine Augenbraue. »Du schon wieder. Was immer du willst, ich habe keine Zeit für dich.«

Von seiner ruppigen Zurückweisung ließ ich mich nicht beeindrucken. Verschmitzt grinste ich ihn an und verkündete: »Entsprechend unserer Absprache, bin ich gekommen, um Ihnen alle sechs großen Windzauber vorzuführen.«

Einen Augenblick war Jonathan sprachlos. Seine Augen verengten sich, wobei er streng einen Finger hob. »Genug. Ich werde mir keinen Augenblick länger diese Lügenmärchen anhören. Großzügigerweise hatte ich dir die Chance gegeben, deine Fehler einzusehen und dich wie alle anderen an der Akademie einzuschreiben.«

Er verschränkte die Arme vor der Brust, während er mit bösem Blick an mir vorbeisah. »Entgegen meiner Anweisung hast du abermals diese Halbmenschen mitgebracht. Das kann und werde ich nicht dulden. Nimm deine Haustiere an die Leihe und geh. Von nun an ist dir der Zugang zum Akademiegelände untersagt.«

Geduldig wartete ich, bis er fertig gesprochen hatte. Dann hielt ich ihm die Fehler in seinen Argumenten vor: »Sie sagten, der Zugang zu den Gebäuden sei meinen Freunden untersagt, nicht das Betreten des Geländes. In Zukunft sollten Sie sich klarer ausdrücken.«

Ich sah genau, wie sich sein Blick verfinsterte. Aber das war mir vollkommen egal. Die Zeit nett zu sein, war vorbei. So oder so würde ich ihm zeigen, dass er sich mit dem Falschen angelegt hatte. In dem Augenblick, da er mich unterbrechen wollte, hob ich frech eine Hand und gebot ihm zu Schweigen.

»Ich bin weder ein Scharlatan noch möchte ich hier studieren. Sollte es mir gelingen, alle sechs großen Windzauber zu meistern, dann erhalte ich uneingeschränkten Zugang zur Bibliothek. Das waren Ihre Worte. Hiermit fordere ich Sie auf, sich an unsere Absprache zu halten.«

Da ich in keinster Weise die Stimme gesenkt hatte, war ich mir nun der Aufmerksamkeit aller Schüler, sowie der Lehrkörper sicher. Damit hatte ich den Weisen am Wickel. Einfach herausreden konnte er sich nicht, ohne sein Gesicht zu verlieren.

Ein Getuschel ging durch die Menge. Selbstverständlich entging das Jonathan nicht. Wütend sah er sich um, dann wandte er sich erneut an mich: »Du bleibst also bei deinen dreisten Behauptungen?«

Ich hatte ihn da, wo ich ihn haben wollte. Jetzt war die Zeit gekommen einzulenken. Ihn weiter zu reizen, würde nichts bringen.

»Ja. Alles, was Felix geschrieben hat, entspricht der Wahrheit. Ich bitte Sie, lassen Sie es mich beweisen. Sollte ich nicht in der Lage sein, Ihren Erwartungen gerecht zu werden, gestehe ich meine Niederlage ein. Dann gehe ich und werde nie wieder einen Fuß auf Ihr Gelände setzen.«

Zitternd vor unterdrückter Wut, zeigte er zu einem der Übungsplätze. »Bringen wir es hinter uns. Du hast genau einen Versuch für jeden Zauber.«

»Einverstanden«, sagte ich und grinste ihn an.

Die Schüler machten uns brav Platz, so dass ich an die Linie treten konnte. Alle Augen waren auf mich gerichtet, doch das kümmerte mich nicht. Aus der Ferne begutachtete ich die Zielscheiben. Die sahen nicht gerade stabil aus. Egal, das war nicht mein Problem.

Ich hob eine Hand und zielte auf die Hinterste, die an der Absperrwand angebracht war.

»So ein Stümper, benutzt nicht einmal einen Zauberstab«, murmelte jemand in meiner Nähe. Ohne auf den Kerl zu achten, sagte ich ruhig und gelassen: »Windschnitt.«

Mein Zauber flog davon und traf genau ins Schwarze. Allerdings hatte ich vergessen, meine Magie herunterzuregeln. Gemeinsam mit der Zielscheibe spaltete ich die hintere Mauer. Erschrocken starrte ich auf die Verwüstung, die ich angerichtet hatte.

Etwas verunsichert warf ich einen Blick zu Jonathan. Seine Augen waren kaum merklich geweitet. Mit verschränkten Armen schnaubte er und sagte: »Glaub ja nicht, nur weil du einen Zauber einigermaßen gut beherrschst, würde ich nachgeben. Das war der Erste, es fehlen noch fünf.«

Bitte, wie er wollte. Ich sah wieder nach vorne und sagte: »Windstoß.«

Meine Magie riss alle Zielscheiben in diesem Areal aus den Verankerungen. Begleitet von metallischen Scheppern, bohrten sie sich, Geschossen gleich, in die Schutzwand, die meiner Magie bebend standhielt. Absichtlich hatte ich meine Energie diesmal etwas gedämpft. Ich wollte nicht übertreiben.

Abermals sah ich zu Jonathan. Großspurig meinte er: »Gerade mal annehmbar. Mit diesem lauen Lüftchen kannst du mich nicht beeindrucken.«

Ich blinzelte ihn an. Er wollte, dass ich ihm zeigte, zu was ich im Stande war? Gut das konnte er haben. Den Blick auf mein Opfer, die Mauer, gerichtet, rief ich: »Wirbelwind.«

Im Gegensatz zu meinem vorherigen Zauber setzte ich nun meine volle Kraft ein, allerdings ohne zuvor Magie zu sammeln.

Ein schwacher Windhauch flog auf die Mauer zu. Einen Wimpernschlag geschah gar nichts, dann sprengte mein Zauber die gesamte gut zehn Meter lange Rückwand. Im Inneren des Wirbelwinds wurden die Steine, wie auch die Zielscheiben, zu Staub zermahlen.

Ein Raunen ging durch die Menge. Selbst Jonathan war gegen seinen Willen beeindruckt. Das konnte ich in seinen Augen, sowie der Körpersprache sehen. Seine zuvor verschränkten Hände hingen nun locker an den Seiten.

Unsere Blicke trafen sich. Nach einem raschen Räuspern, meinte er: »Passabel.«

»Windsense.«

Ratlos stand ich mit erhobener Waffe da. Aber worauf sollte ich einschlagen? Dieses Gelände war offenbar für Distanzangriffe vorgesehen, nicht für den Nahkampf. »Entschuldigen Sie bitte, haben Sie zufällig eine Strohpuppe oder so etwas in der Art?«

»Erstaunlich«, erklang es neben mir.

Erschrocken zuckte ich zusammen und sah zu Jonathan auf. Ich hatte nicht bemerkt, dass er zu mir gekommen war. Er streckte eine Hand aus und berührte den kaum sichtbaren Schaft meiner Windsense.

»Die Dichte der Magie ist außergewöhnlich stark. Selbst unsere widerstandsfähigsten Zielscheiben würden dieser Sense nicht standhalten.«

Er hob den Blick und sah mir in die Augen. »Eine Demonstration der Zerstörungskraft ist nicht erforderlich. Nächster Zauber.«

Während ich meine Magie löste, entschied ich mich, ihm eine Frage zu stellen: »Wie soll ich die Vakuumsphäre demonstrieren? Rein Optisch kann man die nicht sehen.«

Er nickte mir zu und sagte: »Ich besitze den seltenen Skill magische Wahrnehmung. Achte bitte darauf, keinen der Schüler zu treffen.«

Ich musste mir ein Grinsen verkneifen. Ob bewusst oder nicht, sein Unglaube meinen Fähigkeiten gegenüber war vollkommen verflogen.

»Vakuumsphäre.«

Jonathan warf einen Blick auf meinen unsichtbaren Zauber und nickte. »Excellent. Ein vollständiges Vakuum. Daran besteht kein Zweifel.«

Kurz warf der Direkter mir einen seltsamen Blick zu, dann wandte er sich an die sprachlosen Schüler. Mit strenger Stimme gebot er: »Alle Mann zurücktreten. Bei dem nächsten Zauber ist ein Sicherheitsabstand von mehr als zwanzig Metern zu wahren.«

Gemeinsam mit den schnatternden Schülern entfernten sich alle von mir. Irritiert runzelte ich die Stirn. Im Gedanken an das letzte Mal, als ich diesen Zauber einsetzte, fragte ich mich, ob der Sicherheitsabstand nicht zu gering sein würde. Ich biss mir auf die Unterlippe und entschied, sicherheitshalber meinen Zauber weit oben in der Luft zu entfalten.

Bewaffnet mit meinem Zauberstab, den ich aus dem Seesack gezogen hatte, hob ich die Hand. Kaum hatte ich den Beschluss gefasst, Magie zu sammeln, schlängelte sich auch schon ein gewaltiger Tornado vom Himmel herab.

Erschrocken riss ich die Augen auf. Ich fokussierte viel mehr Magie, als ich erwartet hatte. Im Hintergrund sah ich den Windturm. Selbstverständlich. Am liebsten hätte ich mir die Hand gegen die Stirn geschlagen.

Dieser Turm war das Zentrum der Windmagie. Die Konzentration an Energie in der Luft musste hier bedeutend höher sein, als im Wolfswald, der am Rand der Wind-Domäne lag. Da ich Zauber einsetzte, ohne zuvor Magie zu sammeln, war mir das bis zu diesem Augenblick nicht aufgefallen.

Etwa drei Sekunden fokussierte ich reine Windkraft in der Spitze meines Zauberstabes, bis der Kristall in einem satten Grasgrün pulsierte.

Was ich wohl mit dieser Menge an Kraft alles bewerkstelligen konnte? Ein einfacher Orkan war doch langweilig. Ich ließ meiner Fantasie freien Lauf und entschied, ein wenig vom Konzept abzuweichen. Mit beiden Händen zum Himmel gereckt, rief ich: »Orkan.«

Ein hoch konzentrierter, grüner Energieblitz schoss empor. In einer Höhe von etwa zwei Kilometern fächerte er sich auf. Seine zuckenden Verästelungen reichten, soweit meine Augen sehen konnten.

Begleitet von tosenden Winden, begann die Luft, sich zu drehen. Eine gewaltige Sturmfront bildete sich und verfinsterte den rötlichen Abendhimmel. Wie ich es mir vorgestellt hatte, lösten sich unzählige Wirbelwinde aus dem schwarzen Wolkenmeer. Es sah so aus, als ob ein Wesen mit etlichen Tentakeln versuchte, nach dem Erdboden zu greifen.

Staunend sah ich diesem beeindruckenden Schauspiel zu. Ganz so wie ich es beabsichtigt hatte, reichten die Tornados nicht auf den Boden, sie wanden und zuckten in einem Kilometer Höhe umher. Wahrscheinlich hätte ich sonst mit einem Schlag die ganze Stadt ausradiert.

Das sich mir bietende Bild erinnerte mich an verschiedene Filme, in denen ich schonmal so etwas gesehen hatte. Mit einem fetten Grinsen im Gesicht schaute ich zu Jonathan und den anderen.

Sie alle starrten, gefangen in einer Art Schockstarre, in den Himmel. Offenbar konnten sie nicht glauben, was sich da vor ihren Augen abspielte. Selbst der Direktor gaffte mit weit offenstehenden Mund nach oben.

Als ich bemerkte, dass einige der Schüler zitterten, verging mir die Freude an meinem Zauber. Ich hatte es eindeutig übertrieben.

Rasch konzentrierte ich mich und befahl dem Sturm mit meiner Willenskraft, sich aufzulösen.

Als hätte jemand den Stecker gezogen, verschwammen die Umrisse der Tornados und zuckten wild umher. Einen Wimpernschlag später zerstreuten sie sich, ohne Schaden anzurichten. Ebenso prompt verebbte die gesamte Sturmfront.

Der Beweis war erbracht. Ich hatte alle sechs großen Windzauber vorgeführt.

*

Noch am selben Tag wurde ich als Ehrenmitglied auf der Windakademie aufgenommen und bekam uneingeschränkten Zugang zur Bibliothek. Selbst Rogue und Aaron durften weiterhin das Gelände betreten, aber nicht die Gebäude, mit diesem Deal konnte ich gut leben.

Ab und an statteten wir als Gruppe der Kanalisation einen Besuch ab, wenn ich genug vom Lernen hatte, jedoch saß ich die meiste Zeit in der Bibliothek, mit Lucky auf meinem Schoß. Von Anfang an war sie an meiner Seite und so würde es auch bleiben.

Lange aber würde ich die Füße nicht stillhalten können. Es gab noch eine ganze Welt voller Magie und Wunder zu entdecken. Als Magier stand ich noch am Anfang, jedoch war es mir gelungen, mir einen gewissen Ruf aufzubauen. Hinter vorgehaltener Hand behaupteten so manche, dass ich bald zum jüngsten Weisen aller Zeiten werden würde.

Als ich davon hörte, konnte ich nur den Kopf schütteln. Ein Weiser zu werden, wäre zwar nett, aber noch lange nicht das Ende. Dieser Titel war lediglich ein Schritt von vielen auf meinem Weg, der Mächtigste aller Magier zu werden.
 

Ende Band 1
 

____________________________________________________________________________________________
 

An meine lieben Leserinnen und Leser,

ich hoffe euch hat meine Geschichte gefallen. Mir als Autor würde es sehr helfen eure Meinungen zu erfahren, denn nur dann kann ich mich verbessern.

Ob, bzw wann es eine Fortsetzung geben wird, ist aktuell nur unklar. Da die bisherige Resonanz weit unter den Erwartungen geblieben war, muss ich nun ein Fazit ziehen.
 

Wer bis hierher gelesen hat, danke für eure Zeit und man liest sich vielleicht nochmal ^^
 

MFG Drachenlords



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Kommentare zu dieser Fanfic (2)

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Von:  tears-girl
2022-08-07T13:17:10+00:00 07.08.2022 15:17
Halli Hallo :D
Hab gestern deine Geschichte gefunden und fand sie auf Anhieb so gut, dass ich sie beinahe pausenlos durchgelesen habe.
Ich mag deinen Schreibstil und die Handlung und Charaktere sowieso. Vor allem Rogue hat´s mir angetan *grins*. Der ist echt niedlich. Und dieser etwas dümmliche Aaron passt auch super in die Gruppe. Oh und Lucky ist natürlich an der Spitze der knuffigen kleinen Fuchs-Diven. Adrian hat somit alle Hände voll zu tun.
Bin schon gespannt wie es in der Hauptstadt (echt gemein, dass die Tiermenschen so diskriminiert werden, aber so ist es hald leider auch oft im echten Leben ...) und in der Akademie weitergeht. Ich werde auf alle Fälle fleißig weiterlesen ;) Ob dann auch jedesmal ein Kommi kommt, kann ich leider noch nicht versprechen.
Na dann, bis zum nächsten Kapitel.
lg tears-girl :D
Antwort von:  Drachenlords
07.08.2022 16:33
Hiho,

ich danke dir für dein Kommentar. Ich dachte echt schon, niemand ließt meine Geschichte, was meine Muse sehr in Mitleidenschaft gezogen hat. Nun aber kann ich frohen Mutes mich an Band 2 setzen, immerhin ist Band 1 schon fertig geschrieben. Um Genau zu sein fehlen nur noch 2 Kapitel, dann ist das erste von geplanten sechs Büchern abgeschlossen.

Die Diskriminierung der Tiermenschen wird auch weiterhin ein Thema sein, dass im 2.Band mehr in den Fokus gerückt wird.

Es freut mich zu hören, dass dir meine Charaktere so gut gefallen. Ich hatte viel Spaß dabei diese Geschichte zu entwerfen und die Charaktere zu erschaffen. Mal sehen was unser "Mächtigster aller Magier" noch so anstellt und ob er sein Ziel auch erreichen kann. Bisher läuft es ja super für ihn, das wird aber nicht so bleiben, im zweiten Band bekommt er mächtig einen Dämpfer verpasst, soweit habe ich die Story sogar schon geschrieben.

Aktuell suche ich immer noch Betaleser, die mir helfen Fehler zu finden und die Story zu überprüfen. Solltest du Interesse daran haben, kannst du dich gerne bei mir melden.

MFG
Drachenlords
Antwort von:  tears-girl
08.08.2022 18:43
Halli Hallo :)

ich verstehe es gut, wenn die Muse verschwindet, wenn man keine Rückinfo über seine eigenen Werke bekommt. Man will ja nur wissen, wie die Geschichte so ankommt. Um ehrlich zu sein, ich verstehe auch nicht, weshalb hier noch niemand kommentiert hat. Ich finde die Geschichte jedenfalls supi und hab sie auch zu meinen Favoriten hinzugefügt :)

Uhh .... :) Da freu ich mich schon drauf die nächsten Kapi und Bücher zu lesen. Wird anscheinend noch ziemlich spannend.

Zum Betaleser-Angebot: Ich würde mich freuen diese Aufgabe übernehmen zu dürfen :) Allerdings muss ich dich vorwarnen, dass ich momentan nicht ganz so aktiv in animexx unterwegs bin, weil ich selbst süchtig nach einer meiner Schreibprojekte bin. Aber ich würde mein Bestes geben :)

Übrigens, was ich noch loswerden wollte, ich hab die Vermutung, dass Lucky am Ende eine neunschwänzige Kitsune wird, richtig? ;) Das wäre echt mega-knuffig. Aber wird sie dann noch eingebildeter? Ach, Lucky darf das. Sie wäre auch dann noch süß.

Also dann,
lg tears-girl :D


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