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Zauberhafte Weihnachten

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Dieser OS basiert auf der echten Geschichte des sogenannten „Gävlebocken“, einem knapp 13 Meter hohen Julbock aus Stroh, der jeden Dezember in der schwedischen Stadt Gävle aufgebaut wird. Seit Ende der 60er Jahre ist es hier gewissermaßen eine ‚Tradition‘, dass der Gävlebocken irgendwann im Laufe des Monats den Flammen zum Opfer fällt. Mal sind es Touristen, die den Strohbock in Brand stecken und mal kann sich keiner erklären, was eigentlich passiert ist … wen die Geschichte interessiert, hier ist die offizielle Seite des Gävlebocken: https://www.visitgavle.se/en/gavlebocken Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Halbzeit bis Weihnachten! Daher gibt es heute ausnahmsweise den ersten Part eines Zweiteilers – die zweite Hälfte folgt am 24. Dezember. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Der Großteil von Cursed Child wird hier ignoriert, da Cursed Child für mich nicht Kanon ist. Sorry not Sorry :D Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Wem Elphinstone Urquart nichts sagt – das ist Minervas Ehemann und ehemaliger Vorgesetzter aus dem Zaubereiministerium, der auf Pottermore erwähnt wird. Und wer sich jetzt für die (oder besser – meine) Geschichte der beiden interessiert, dem empfehle ich ganz dreist meine FF dazu, Stichflamme. Darin gibt es die Anfänge dieses Paars und einen rätselhaften Vermisstenfall zu lesen! Wenn ihr vorbeischaut, macht ihr eine gewisse Autorin zu Weihnachten seeehr glücklich ;)

Aber genug der schamlosen Eigenwerbung, viel Spaß mit dem vorletzten Oneshot!] Komplett anzeigen

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Aurorenwinter [Frank & Alice Longbottom]


 

London, 1977

Frank Longbottom und Alice Fortescue

 

Kurz vor Weihnachten ist selbst das Aurorenleben ruhig, wie Frank und Alice auf einer besonders ereignislosen Mission feststellen. Einander finden sie jedoch alles andere als langweilig ...

 

***

 

Der Übergang vom Tag zur Nacht war kaum merklich. Zwischen den dicken Schneeflocken, die seit dem frühen Morgen aus dem Himmel fielen, war es gar nicht erst richtig hell geworden. Irgendwo hinter einer stahlgrauen Wolkendecke mochte sich die Sonne verborgen haben, doch nun senkte sich die Nacht bereits wieder über London und mit einem Flackern entzündeten sich die ersten Straßenlaternen, um der Dunkelheit die Stirn zu bieten.

Die wenigen Muggel, die dem Schneetreiben trotzten, liefen mit gesenkten Häuptern, unter Schirmen verborgen, in völliger Ignoranz der Umgebung ihrem Ziel entgegen. Sie alle hatten die Köpfe voll mit eigenen Sorgen, sodass keiner einen Blick für die zwei jungen Leute übrig hatte, die schon seit Stunden an einer Bushaltestelle warteten und doch nie in einen Bus stiegen.

Einerseits konnte Frank Longbottom es kaum erwarten, dass sich der Abend – und damit sein letzter Arbeitstag vor dem wohlverdienten Urlaub – dem Ende neigte. Nur noch wenige Stunden, dann würde er für das Weihnachtsfest nach Hause zurückkehren. Den Krieg, der seit Monaten sein ganzes Leben bestimmte, einmal vergessen. Wenn es denn überhaupt so etwas wie Vergessen gab.

Andererseits wünschte er, dass sich diese letzten Stunden noch länger ziehen würden. Alles nur wegen Alice. Zum hundertsten Mal an diesem Tag studierte diese die ausgehängten Abfahrtszeiten der Busse, während sie von den Hacken auf die Zehenspitzen vor und zurück wippte, ihre schmalen Arme eng um sich gewickelt. Und zum hundertsten Mal an diesem Tag fand sich Frank in die Betrachtung ihres runden Gesichts unter den kurzen Haaren, in denen sich der Schnee fing, verloren.

Die Observation der beiden angehenden Auroren war ebenso langweilig wie langwierig und gerade deshalb konnte Frank sich keine bessere Begleitung als Alice vorstellen. Selbst wenn er stundenlang Krötenhirne pökeln müsste, mit ihr an der Seite würde sogar das erträglich sein. Irgendwann zwischen ihrem letzten Schuljahr und heute war sie zu einer Person geworden, deren Anwesenheit ihm ganz natürlich erschien, beruhigend und vertraut.

Trotzdem konnte er nicht von der Hand weisen, dass sich die klirrende Kälte langsam in seinen Körper fraß und trotz aller wärmender Zauber fühlten seine Zehen sich eigenartig taub an. Das nächste Paar warmer Socken, dass seine Mutter ihm strickte, würde er nicht länger ganz unten in der Unterwäscheschublade verstecken.

Alice schien es ähnlich zu ergehen, denn kaum war sie mit ihrem Studium der Linienpläne fertig, begann sie erneut, von links nach rechts zu laufen, und ließ ihre Arme weite Kreise beschreiben. Zwischendurch warf sie immer wieder einen Blick auf die andere Straßenseite, zu dem Ziel ihrer vorweihnachtlichen Observation.

Die Fenster des schmalen Reihenhauses waren hell erleuchtet und die zarten weißen Spitzengardinen nützten kaum, um die Silhouetten seiner Anwohner zu verbergen. Der Parlamentssekretär, den sie beide beobachteten, war seit Stunden daheim und saß in einem breiten Sessel am Kamin, ein gewaltiges Buch in der Hand, völlig ahnungslos, was die Zauberbanne über seinem Haus oder die jungen Auroren an der Bushaltestelle anging.

Alles war, wie es sein sollte. Selbst die Todesser schienen am Vorabend von Weihnachten wenig Lust zu haben, ihren schrecklichen Machenschaften nachzugehen. Was Frank und Alice selbstverständlich nicht von ihrer Aufgabe entband, ganz gleich wie eintönig sie war.

Wie zur Bestätigung seiner Gedanken seufzte Alice laut auf und lehnte sich wieder neben ihm gegen das Plastik des Wartehäuschens. »Du hast nicht zufällig ein paar zischende Zauberdrops dabei?«, fragte sie hoffnungsvoll.

Bedauernd schüttelte er den Kopf. »Und wenn, dann wären sie schon längst Geschichte.«

»Verdammt, bei Merlins karierter, schlabbriger, löchriger Unterwäsche, das darf doch nicht wahr sein«, stöhnte Alice leidvoll auf und fing schon wieder an, auf und ab zu laufen. »Das war doch volle Absicht, dass man uns ausgerechnet diese öde Aufgabe gegeben hat. Da hab ich endlich mal gedacht, dass wir etwas Sinnvolles machen dürfen und jetzt hängen wir den ganzen Tag an einer Bushaltestelle fest!«

Frank konnte angesichts ihrer Ungeduld nur grinsen. »Mad-Eye würde sagen, dass wir einen wichtigen Beitrag zum größeren Ganzen leisten«, stellte er nüchtern fest.

Wie erwartet hielt Alice kurz inne, ehe sie ihm einen vorwurfsvollen Seitenblick zuwarf. »Ja, ganz großartig, wir stehen uns die Beine in den Bauch, während Mr. Muggelsekretär da drüben in seinem Sessel über Krieg und Frieden einschläft. Ich will eine Aurorin sein, nicht eine verdammte Eisstatue.« Sie fuhr sich entnervt durch das kurze Haar, in dem sich einige Schneeflocken niedergelassen hatten, und seufzte erneut. »Sorry – es ist nur ... ich komme mir so verdammt nutzlos vor.«

Dieses Gefühl war Frank nicht unbekannt, aber anders als Alice genoss er die ruhigen Momente insgeheim. Sie wäre vermutlich Feuer und Flamme, wenn in der Straße plötzlich ein Todesser auftauchen würde und würde keine Sekunde zögern, sich in ein Duell zu stürzen. Frank hingegen hatte schon eine ganze Flasche Feuerwhiskey und reichlich Bestärkung seiner Schulfreunde gebraucht, bis er sich überhaupt für den Aufnahmetest als Auror beworben hatte. Am Ende waren es allerdings Alice‘ aufmunternde Worte, die den Ausschlag gegeben hatten, dass er nun wirklich hier stand.

»Lass es uns zusammen wagen«, hatte sie gesagt.

Auch jetzt, zwei Jahre später und mitten in der Aurorenausbildung, war sein Mut dennoch bestenfalls wankelmütig im Vergleich zu dem von Alice. Nicht, dass er es je bereut hätte, gegen die Todesser zu kämpfen. Aber der Wert ruhiger Momente war ihm deutlicher als je zuvor.

»Lob den Abend nicht vor der letzten Eule. Vielleicht bekommen wir ja noch Besuch«, erwiderte er nun sanftmütig. »Auch wenn ich es nicht hoffe. Meine Mutter macht mich einen Kopf kürzer, wenn ich ausgerechnet an Weihnachten im St. Mungo lande.«

Das entlockte Alice ein Grinsen. »Hey, du vergisst, dass ich auch noch da bin. Wer sagt, dass ich dir nicht den Hintern retten würde?«

Franks Herz unternahm bei dieser Aussage einen gänzlich unpassenden Satz und er sah schnell von Alice wieder zu ihrem Observationsobjekt hinüber. Natürlich saß ihre Zielperson nach wie vor am Kamin und wenn ihn nicht alles täuschte, war der Mann inzwischen eingeschlafen.

»Andererseits«, fuhr Alice ungerührt fort und deutete auf den Zauberstab, dessen Ende aus der Hosentasche seiner Jeans lugte, »Wenn ich das so sehe, könnte dein Hintern bald ganz andere Probleme haben, wenn man Mad-Eye glaubt.«

Fragend zog Frank eine Augenbraue hoch.

»Glaub mir«, lachte Alice, »nachher hält Mad-Eye dir einen Vortrag über den Verlust von Gesäßteilen. Ich habe erst vor ein paar Tagen gehört, wie er Thomson deswegen zusammengefaltet hat.« Sie streckte die Brust heraus, stemmte die Hände in die Hüften, wie der ältere Auror es zu tun pflegte, und ließ ihre Stimme ein paar Oktaven tiefer wandern.

»Ein Zauberer von Verstand trägt seinen Zauberstab niemals in der Hosentasche wie einen beliebigen Dauerlutscher. Stellen Sie sich nur die Scham vor, wenn ein Todesser Sie überwältigt und wir Ihren Leichnam finden, mit dem Zauberstab noch in der Hosentasche! Das kann nur übertroffen werden von der Scham, sich die eigene Pobacke weggesprengt zu haben und damit ins St. Mungo gehen zu müssen.«

Frank spürte förmlich, wie sich sein Hintern erwärmte, und musste dem Drang widerstehen, den Zauberstab in seinen Ärmel zu schieben. Ungeachtet dessen ließ Alice‘ Imitation ihres strengen Lehrmeisters seine Mundwinkel zucken. »Kennst du jemanden, der tatsächlich mal unwiederbringlich seine Pobacke verloren hat?«

Alice‘ Augen funkelten ihn amüsiert an, als sie grinsend den Kopf schüttelte. »Hinter vorgehaltener Hand flüstert man sich zu, dass Mad-Eye sich die Geschichte nur ausgedacht hat, um Aurorenanwärter zu schockieren. Aber ich dachte, es wäre nur fair, dich zu warnen.« Sie zuckte mit den Schultern. »Dein Longbottom ist schon in Ordnung, so wie er ist, da wäre es doch schade, falls was passiert.«

Jetzt wurde Frank definitiv zartrosa um die Nase. So etwas konnte nur Alice sagen und dabei nicht einmal mit der Wimper zucken. »Dann ... danke für die Warnung, schätze ich.«

»Klar.« Alice kramte inzwischen unbekümmert in ihren Manteltaschen und förderte schließlich eine ramponierte Tüte von Pfefferminzkröten zutage, die sie ihm strahlend unter die Nase hielt. »Na wer sagt’s denn, ich wusste doch, dass irgendwo noch was zum Naschen sein muss!«, jubilierte sie.

Das war noch so eine Sache an Alice, die Frank gefiel. Wo immer sie hinging, was immer auch passierte – er konnte sich darauf verlassen, dass in ihren Taschen ein paar Leckereien zu finden waren. Die Vorliebe für Süßigkeiten musste wohl daher rühren, dass ihre Familie die Eisdiele in der Winkelgasse führte.

Genüsslich ließ er sich eine der kleinen Pralinen in Krötenform auf der Zunge zergehen. »Was hast du eigentlich so an deinen freien Tagen vor, Alice?«

»Och ... ich glaube, ich werde mir die Füße mal ordentlich am Kamin aufwärmen«, schmunzelte sie. »Ein bisschen Zeit mit meiner Familie verbringen, vielleicht ein neues Eisrezept kreieren. Weißt du, mein Vater hat letztes Jahr versucht, Feuerwhiskey-Eis herzustellen, aber das ist noch nicht ganz serienreif. Der Anti-Schmelzzauber war etwas zu stark. Und du?«

»Nichts Besonderes. Meine Mutter hat bestimmt wieder einige ihrer Freundinnen zum Weihnachtsessen eingeladen. Tja, ich denke, ich werde hoffen, dass alles ruhig bleibt und ein gutes Buch lesen, solche Sachen.«

Im gleichen Atemzug hätte er sich schon ohrfeigen mögen. Noch ein bisschen langweiliger konnte seine Aussage wohl kaum sein! Als ob Alice ihn je interessant finden würde, wenn er sowas erzählte? Hätte er nicht sagen können, dass er irgendwas Riskantes und Verrücktes vorhatte, vielleicht auf einem Besen nach Drachen jagen oder so? Aber andererseits wusste sie ja schon aus der Schulzeit, dass er nicht einmal zwei Meter über dem Boden fliegen konnte, ohne, dass ihm schlecht wurde.

»Das klingt schön«, riss Alice ihn aus seinen Gedanken. »Hast du irgendwelche Leseempfehlungen? Vielleicht lesen wir ja das gleiche, dann haben wir was zum Austauschen, wenn wir nächstes Jahr wieder auf einer langweiligen Mission festhängen. Dann könnte ich mich noch mehr darauf freuen.«

Überrascht sah er hoch zu ihr. »Meinst du das ernst?«

»Warum sollte ich Witze machen?«

»Ich ... ähm.« Betreten rieb er sich den Nacken. »Ich dachte nur, na ja, dass du das ziemlich langweilig finden würdest. Du hast dich ja früher schon immer beschwert, wenn wir für die Hausaufgaben zu viel lesen mussten.«

Kichernd rollte Alice mit den Augen. »Ja, weil die dicken Schinken über irgendwelche Verwandlungsgesetze echt langweilig sind. Aber du bist nicht langweilig, Frank und ich bezweifle, dass du was Langweiliges empfehlen würdest.«

Es war, als hätte er sein Weihnachtsgeschenk einen Tag zu früh erhalten. Alice fand ihn nicht langweilig! Er konnte sich zwar nicht erklären, weshalb, aber das war nebensächlich. Ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht.

»Es wäre mir eine Freude«, gestand er.

»Wunderbar, dann ist es also beschlossen!« Mit einem Strahlen sah Alice auf ihre Armbanduhr. »Perfekt pünktlich zum Feierabend!«

Sie warf einen letzten Blick über die Straße, doch alles blieb ruhig im Schein der Straßenlampen. Ihr Observationsziel schlief immer noch und mit einem Ploppen tauchte am Ende der Häuserreihe ihre Ablösung auf.

Zeit, zu gehen, wie Frank mit Wehmut feststellte. Obwohl er längst durchgefroren war, wünschte er sich jetzt erneut, dass der Tag nicht vorbeiging.

Gemeinsam liefen sie einige Schritte um die nächste Ecke, wo sie im Schutz der Dunkelheit disapparieren konnten. Doch anstatt ihm noch ein paar Worte zum Abschied entgegenzurufen und dann ins Nichts zu verschwinden, wie sonst, hielt Alice inne.

»Ich würde mich wirklich freuen, wenn wir noch ein paar langweilige Missionen zusammen bestreiten müssen, nächstes Jahr«, sagte sie unvermittelt. »Schon komisch, immerhin kennen wir uns schon so lange, aber ich habe das Gefühl, dich noch einmal komplett neu kennenzulernen.«

Die nächste Straßenlaterne war einige Schritte weit entfernt und der Lichtkegel auf dem glitzernden Schnee reichte nicht bis zu ihnen vor, sodass Frank nicht sicher war, ob Alice sah, wie er rot anlief. Verlegen schluckte er. Jetzt war es an der Zeit für den Mut, den er als Gryffindor so reichlich haben müsste.

»Das würde ich auch schön finden.« Gut, seine Worte waren mehr zu einem Murmeln geraten, aber es war ein Anfang! »Sehr sogar«, setzte er mutiger hinzu.

Selbst im Dunkel konnte er ausmachen, wie Alice lächelte. Auf einmal war ihm klar, dass sie ihm ziemlich nahe stand. So nahe, dass er ihren zarten Pfefferminzatem wahrnahm und die winzigen Tropfen schmelzenden Schnees in ihren dunklen Wimpern bemerkte.

Mut, hallte es durch seinen Kopf, sei mutig! Doch es kostete ihn mehr Überwindung, seine Hand zaghaft nach Alice auszustrecken, als einem – oder dutzenden – Todessern entgegenzutreten. Generell war es viel einfacher, Flüche durch die Gegend zu schießen, anstatt den ersten Schritt zu machen. Hierbei gab es deutlich mehr zu verlieren, unzählige Wege, wie alles schiefgehen konnte.

Eine Hand an ihrer Wange hielt Frank inne und fragte sich, ob das überhaupt war, was sie wollte. Was, wenn er sie ganz falsch verstanden hatte?

Alice jedoch kannte keinen dieser Zweifel. Ihre kalte Hand fand den Weg in seinen Nacken und während er noch zwischen Mut und Vorsicht rang, zog sie ihn näher an sich.

»Hast du was dagegen, wenn ich dich küsse?«, flüsterte sie mit einem kleinen Grinsen, das ihn aus seiner Starre auftauen ließ.

Überwältigt schüttelte er den Kopf und bevor er seine Sprache wiederfand, legten sich ihre Lippen auf seine. Kühl und frisch, wie der fallende Schnee um sie herum. Aber die Kälte war vergessen; schmolz unter dem Kuss dahin wie Eis in der Sonne.

Frank war sich in diesem Augenblick sicher, dass er es mit allem aufnehmen konnte, für sie – wegen ihr. Wenn sein Mut nicht reichte, teilte sie den ihren mit ihm und machte ihn stärker, als sie alleine waren.

»Fröhliche Weihnachten, Alice.«

Schneekönigin [Fleur Weasley]


 

Fuchsbau, 2002

Fleur und die Familie Weasley

 

Sie ist sich zu fein für das Chaos – oder etwa doch nicht? Eine Schneeballschlacht bringt Fleurs eiskalte Zauberkünste zum Vorschein.

 

***

 

Weihnachten im Hause Weasley folgte einer festen Tradition, die Fleur nicht immer verstand – was hatte eine Gurke am Weihnachtsbaum zu suchen? – und doch stets befolgte. Die Gewohnheit spendete Geborgenheit, die sie alle so dringen brauchten, selbst wenn das Atmen mit jedem weiteren Jahr seit der finalen Schlacht leichter fiel. Nur in den letzten Dezembertagen, eng beieinander, da wurden die Lücken, die der Krieg hinterlassen hatte, wieder offenbarer.

Kein Truthahn und keine kitschigen Weihnachtslieder konnten über dieses Fehlen hinwegtäuschen, doch sie halfen, sich an etwas festzuhalten; gemeinsam die Energie für das Fest aufzuwenden, das zunächst so simpel und unwichtig erscheinen mochte und sie dennoch zusammenhielt.

Fleur half ihrer Schwiegermutter beim Kochen, hörte sich das schreckliche Weihnachtskonzert von Celestina Warbeck an und trug den Strickpullover in dieser merkwürdigen Farbe, die Bill gerne ‚rostiges Weasleyrot‘ nannte – von der er beteuerte, sie stünde ihr hervorragend. Oft langweilte sie sich. Noch öfter tauschte sie mit ihrem Mann einen flehentlichen Blick, der so viel hieß wie ‚Bitte sag mir, dass wir bald nach Hause gehen können‘. Darauf antwortete er mit einem stummen ‚Keine Sorge, beim nächsten Lied schmeiße ich das Radio eigenhändig aus dem Fenster‘. Aber am häufigsten befand Fleur am Ende, dass es schon in Ordnung war.

All diese familiären Unbequemlichkeiten, das Chaos unter dem gnomgeschmückten Weihnachtsbaum, die kleinen Ärgernisse, das gehörte eben dazu. Es machte sie Teil von etwas Größerem und gab ihr das Gefühl, angekommen zu sein. Familie war nicht einfach, besonders nicht an den Festtagen, aber Fleur würde sie um nichts in der Welt tauschen mögen.

Nur eine Sache gab es da noch, zu der sie nie wirklich den Anschluss gefunden hatte. Die ausgelassenen Schneeballschlachten. Dass die Familie Weasley Chaos bedeutete, war ihr schon lange klar, spätestens seit sie Bill kennengelernt hatte. Wann immer sich die Gelegenheit bot, trieben die Geschwister Schabernack. Mit Ausnahme von Percy, der sich genau wie Fleur zurückhielt, allerdings aus anderen Gründen.

Die Schneeballschlachten war so ein typisches Weasley-Ding. Fleur mochte sich da nicht einmischen, selbst wenn ihr das bei ihrer angeheirateten Familie einen zuweilen spießigen und wenig schmeichelhaften Ruf eingebracht hatte. Sie hatte gelernt, darüber zu stehen.

Auch in diesem Jahr hatte sie nicht vor, etwas daran zu ändern. Am frühen Nachmittag des ersten Weihnachtstages saß sie mit der neusten Ausgabe der Hexenwoche im Wohnzimmer – möglichst weit von dem Baum mit dem grimmig dreinblickenden Gnomenschmuck entfernt – und gab vor, äußerst vertieft in die Lektüre selbiger zu sein. Victoire war bei ihrer Großmutter und sie hatte vor, diese freien Stunden gebührend zu genießen.

Ihr Plan erwies sich allerdings als lückenhaft, denn sie hatte ihre Rechnung nicht mit der schwangeren Ginny gemacht, die sich nun seufzend neben ihr niederließ. Sie beide hatten nicht immer die beste Beziehung gehabt – die wenig hübsche Bezeichnung ‚Schleim‘ hing Fleur durchaus noch nach –, aber sie bemühten sich.

»Hey, du hast nicht zufällig Lust, deinem Gatten eine kleine Abreibung zu verpassen?«

Überrascht sah Fleur von ihrem Magazin auf. »Wie meinen?«

»Ich könnte eine würdige Vertreterin in der kommenden Schlacht brauchen«, meinte Ginny mit einem listigen Grinsen. »Ich bin ja jetzt gehandicapt«, sie wies erklärend auf ihren rundlichen Bauch, »aber ich will den Jungs das Feld nicht einfach überlassen! Also – hast du vielleicht noch eine Rechnung mit Bill offen? Lässt er seine dreckigen Socken daheim rumliegen oder so? Das ist deine Chance, es ihm mit einem – oder auch zwanzig – Schneebällen heimzuzahlen.«

»Oh, non, non, da ‘alte ich ich mich lieber raus«, lehnte Fleur höflich ab.

Grummelnd sank Ginny neben ihr tiefer in die Sofakissen. »Verflucht, die beiden Jungs werden untergehen«, murmelte sie an sich selbst gerichtet. »Perc‘ brauche ich gar nicht fragen, der wird eh nur mit den Augen rollen. Tja, schaut so aus, als würde es dieses Jahr zum ersten Mal eine Niederlage für unser Team geben.«

Offenbar nahmen die Weasley-Geschwister ihren kleinen Schneekrieg ernster als Fleur je angenommen hätte. Sie hatte nicht einmal gewusst, dass sie in Teams gegeneinander antraten. Vielleicht hatte das Chaos doch System.

»Was ist mit Hermine?«

Ginny schüttelte beinahe augenblicklich den Kopf. »Nein, dasselbe Problem wie mit Percy. Du warst sowas wie meine letzte Hoffnung. Also, eigentlich George und Charlies letzte Hoffnung.«

Aus schmalen Augen musterte Fleur einen Moment ihre Schwägerin. »Nur so aus, ah, Interesse – meine Gegner wären Bill und ...?«

»Bill, Ron und Harry.«

Fleur warf ihr langes Silberhaar über die Schulter zurück. »Wie sind die Regeln?«

Passend zu ihrem feuerroten Haar leuchtete ein Feuer in Ginnys braunen Augen auf. »Oh, das ist eigentlich einfach ...«

 

Keine halbe Stunde später stand Fleur auf dem Feld hinter dem Haus der Weasleys und hinterfragte ihre Entscheidung bereits wieder. Vor ihr türmte sich ein stattlicher Haufen faustgroßer Schneebälle auf, den Charlie heraufbeschworen hatte. Auf der gegenüberliegenden Seite sah es ganz ähnlich aus. Sie konnte Bills feurige Mähne vor dem Weiß der Winterlandschaft ausmachen und sah, wie er noch weitere eisige Bälle mit einem Schlenker seines Zauberstabs aus dem frischgefallenen Schnee formte.

»Also, keine Gnade mit dem Feind, ja?«, rekapitulierte George ihre ‚Strategie‘, die diese Bezeichnung kaum verdiente, noch einmal. »Bill muss sich zuerst ergeben, er hat die fiesesten Zauber. Fleur ... äh, du kümmerst die am besten um Ron. Setz deinen Charme ein, dann ist er machtlos.«

Die schmalen Augenbrauen vorwurfsvoll erhoben, verschränkte Fleur die Arme vor der Brust. »Ich bevorzuge es, mit ehrlichen Waffen zu kämpfen.«

»Hauptsache, du gibst ihnen Saures.« Charlie grinste erwartungsvoll. »Ehrlich, wir sind dir nicht böse, wenn du als Erste die weiße Flagge hisst – es ist ja ehrenvoll, dass du unsere kleine Schwester überhaupt vertrittst.«

Diese Aussage kitzelte Fleurs inneren Drachen endgültig. Sie beschied sich auf ein distanziertes Lächeln und fasste ihren Zauberstab fester. Die Weasleys würden schon feststellen – sie war nicht umsonst eine Teilnehmerin des trimagischen Turniers gewesen.

»Seid ihr endlich fertig da drüben?«, rief Ron über das Feld herüber.

Charlie hob einen Daumen in die Luft. »Macht euch schon einmal bereit für euren Untergang«, verkündete er großspurig, was mit reichlich Gelächter beantwortet wurde.

Bill schickte einen Schauer roter Funken über dem Feld in die Luft. »Wenn sie den Schnee berühren, geht es los! Und erwartet ja keine Gnade!«

Den Zauberstab sicher im Griff, ging Fleur hinter dem Berg aus Schneebällen in Deckung. Ihr Mann würde sich noch wundern. Rächen brauchte sie sich nicht an ihm, immerhin liebte sie ihn aufrichtig – und er sie – aber hin und wieder konnte er wohl eine Erinnerung vertragen, dass sie keineswegs ein Unschuldslamm war. Und die restlichen Weasleys würden zu sehen bekommen, dass sie mehr war, als nur eine schöne Frau mit etwas Veelablut in den Adern.

Kaum, dass der letzte Funke den weißen Grund erreichte, schwenkte Fleur den Zauberstab und schickte der Gegenseite eine kanonengleiche Salve aus Schnee entgegen. Manchmal war Angriff die beste Verteidigung.

Der Fluch ihres Ehemanns, der sich eilig in Deckung brachte, schallte die gesamte Länge des Feldes zu ihr hinüber. Ein wenig veelahaftes Grinsen glitt über ihre Züge, als Charlie ihr ein anerkennendes Lächeln schenkte.

Erneut schleuderte Fleur Bill eine Reihe Schneebälle hinterher, die allerdings an einem eilig beschworenen Schneewall zerplatzten.

»À bas les ennemis!«, schrie sie und schon stürzte sie aus der Deckung hervor, einen Wirbel aus Schnee vor sich herschickend, der die erste gegnerische Angriffswelle pulverisierte.

Bevor die Gegenseite realisierte, wer da auf sie zugestürmt kam, hatte sie bereits die Hälfte des Ackers überquert und steckte bis zu den Knien im feinen Pulverschnee.

Harry schickte ihr einen gezielten Schneeball entgegen und hastig nutzte sie das glitzernde Weiß zu ihren Füßen, um eine Mauer vor sich zu errichten. Wie ein Klatscher sauste die Schneekugel haarscharf an ihrem Bollwerk vorbei, geradewegs auf sie zu.

»Incendio!«, rief Fleur und Harrys geschickte Verzauberung schmolz im wahrsten Sinne des Wortes dahin.

Sie kicherte, ihr Atem eine kleine Wolke in der klirrend kalten Luft. Vor lauter Adrenalin raste ihr Herz, aber es machte Spaß, unglaublich viel sogar. Mit einer Bewegung ihres Zauberstabs schuf sie neue Schneekugeln. Ginny sollte sich nicht in ihr getäuscht haben.

Neben ihr rettete sich auch Charlie in ihre Deckung. Sein Gesicht war bereits leuchtend rot und schmelzender Schnee hing in seinem Haar. »Wir sollten sie in die Zange nehmen«, keuchte er. »George attackiert derweil von vorne.«

»Klingt gut. Ich übernehme Bill – und danach, Ron.«

Sie zwinkerte Charlie zu und mit einer leise gemurmelten Beschwörung verhexte sie die Schneebälle vor sich. Einen jedoch nahm sie in die Hand. Eine besondere kleine Überraschung für ihre Gegner.

»Los geht’s!«

Mit Gebrüll brachen sie aus der Deckung hervor, er nach rechts und sie nach links. Für einen Moment waren die anderen verwirrt, dann machten sie sich an die Verfolgung von Charlie. Jetzt kam es Fleur gelegen, dass die Weasleys sie so oft unter- oder falsch einschätzten.

Schlitternd rutschte sie über das nasse Gras unter dem Schnee und schickte ihre verhexte Armee aus Schneebällen vor sich her auf die verräterische Spur von Bills rotem Haar hinter einem Wall zu.

Fluchend warf er ihrer Attacke einen Gegenzauber entgegen.

»Keine Gnade!«, erinnerte sie ihn lachend an seine eigenen Worte.

»Richtig!«

Schon raste eine Salve verzauberten Schnees wiederum auf sie zu. Mit einer Rolle brachte Fleur sich in Sicherheit, ihren verbliebenen Schneeball immer noch fest in der Hand. Den Zauberstab darauf gerichtet, murmelte sie einige Worte, ehe sie ihn zu Boden fallen ließ. Von einem übernatürlichen Schwung getragen, rollte er bis kurz vor Bills Deckung.

Er konnte ihn nicht sehen – und selbst wenn, hätte er ihm wohl kaum Bedeutung beigemessen. Wie eine Peitsche riss Fleur ihren Zauberstab nach oben und der Schnee vor ihr erhob sich in einer Welle, die schon eher seine Aufmerksamkeit erregte. Bill stolperte einige Schritte hinter dem Eiswall hervor, den er heraufbeschworen hatte – und wurde in eine pulvrige Schneeexplosion gehüllt.

»Aucune pitié!«, jublierte Fleur wieder angesichts ihres Ehemanns, der von oben bis unten von Pulverschnee bedeckt war. Ihr kleiner Schneeball war geradewegs zu seinen Füßen explodiert.

In einer zweiten Angriffswelle jagte sie ihm ihre Schlange aus Schnee hinterher. Er rannte, doch von der anderen Seite erwartete ihn bereits Charlie mit seinen pfeilschnellen Schneegeschossen.

Überwältigt hob Bill die Arme. »Ich ergebe mich«, rief er lachend, »Merlin, bitte lasst mich leben!«

Begeistert tauschte Fleur einen triumphierenden Blick mit Charlie. Grimmig nickte dieser ihr zu. Ohne weitere Zeit zu verlieren, setzten sie Ron nach, der sich zusammen mit Harry in eine Art Iglo zurückgezogen hatte. Der Verlust ihres Teamkameraden schien ihre Entschlossenheit nur noch befeuert zu haben.

Keuchend kam jetzt auch George angerannt, dessen Ohr genauso rot unter seiner Strickmütze hervorleuchtete wie die Farbe seiner Haare. »Solche Feiglinge«, stieß er kopfschüttelnd hervor. »Trauen sich wohl nicht, dir von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen!«

Fleur warf lachend den Kopf in den Nacken. »Tja, das wird ihnen nichts nützen.«

Ihre Augen funkelten mit den Schneekristallen um die Wette, während sie den Zauberstab über den Schnee schwenkte und sich unzählige Bälle zu ihren Füßen formten, die einem Schlenker von ihr folgend in die Höhe schossen.

»Auf sie mit Gebrüll«, kommentierte George grinsend und die drei Weasleys setzten ihren Gegnern nach.

Am Ende gaben Ron und Harry sich zähneknirschend ihrer Übermacht geschlagen, was Ginny zurück im Fuchsbau zu lautem Freudengeheul animierte. Lachend schloss sie Fleur in die Arme und hob ihr Glas Butterbier in die Höhe.

»Auf Fleur, die Schneekönigin!«

Mit einem wohlig warmen Gefühl lauschte Fleur den anderen, die in Ginnys Ruf einfielen und sie mit neugewonnenem Respekt anstrahlten. Ja, sie war ein Teil dieser Familie, eine echte Weasley – bis auf die roten Haare.

Brandgefährlich [Dean Thomas & Seamus Finnigan]


 

Schweden, 2005

Dean Thomas und Seamus Finnigan

 

Ein Urlaub in Schweden spornt Seamus Finnigan dazu an, einer Weihnachtstradition der anderen Art zu folgen – und Dean Thomas hängt natürlich mittendrin.

 

 

***

 

Dean hätte es besser wissen müssen. Wann immer etwas in Flammen aufging, war Seamus schließlich auch brennend interessiert. Und trotzdem hatte er ihm den Artikel aus dem magischen Reiseführer mit einem Grinsen auf den Lippen vorgelesen. Immerhin war die Geschichte herrlich absurd. Die Reue trat beinahe sofort ein, als er das wahrhaft pyromanische Funkeln in den Augen seines Freundes bemerkte.

»Die bauen hier in der Stadt also jedes Jahr eine riesige, mehrere Meter hohe Ziegenbockfigur aus Stroh auf? Und dann ist das Wettrennen eröffnet, wer sie als Erstes in Brand setzt?«

»Bei Merlins Bart, nein, Seamus!«, seufzte Dean ergeben. »Ich habe nur vorgelesen, dass die Strohfigur namens Gävlebocken beinahe jedes Jahr angezündet wird, seitdem sie in der Silvesternacht 1966 das erste Mal abgebrannt ist. Das ist sicher keine offizielle Weihnachtstradition hier, sondern vorsätzliche Brandstiftung!«

»Ach, Dean, du verstehst echt keinen Spaß.«

»Nur weil ich mir nicht bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Augenbrauen wegbrenne?«

Mit eben diesen wackelte Seamus nun grinsend. »Sie sind nachgewachsen, schon vor Wochen! Ich weiß wirklich nicht, was du hast.«

»Ich habe keine Lust, dass man uns wegen einer Verletzung des magischen Geheimhaltungsabkommens sucht, nur weil du in einer schwedischen Kleinstadt etwas in Brand stecken musst!«

Angesäuert dachte Dean an den letzten Vorfall dieser Art – Seamus schwor bis heute, dass er keine Ahnung hatte, wie dieser hässliche Wandteppich in dem Museum Feuer gefangen hatte. Manchmal beschlich Dean das Gefühl, dass Seamus etwas nur ansehen brauchte, damit es in Flammen aufging. Wenigstens beherrschte er inzwischen seinen Zauberstab besser als noch in der ersten Klasse. Jetzt war es Absicht, so viel stand fest.

»Hey, die Muggel würden es nicht einmal merken. Immerhin hast du auch vorgelesen, dass die meisten ‚Brandstifter‘ nie geschnappt wurden. Wenn sie also nicht mal normale Leute daran hindern können ...«

»Wir zünden keine riesige Strohziege an! Vergiss es! Wir machen hier Urlaub, weil wir einfach mal ein Weihnachten ohne deine oder meine Familie verbringen wollen, da werde ich sicher nicht riskieren, dass man uns noch einbuchtet!«

»Einbuchten?«, fragte Seamus irritiert.

»In den Knast stecken.«

»Ah ... Na schön. Ich rühre diesen Weihnachtsbock schon nicht an.«

Seamus wackelte wieder mit seinen Augenbrauen und Dean konnte nicht anders, er musste lachen. Allen brandgefährlichen Unternehmungen zum Trotz liebte er ihn eben doch. Er drückte seinem Freund einen Kuss auf und machte sich dann daran, ihr Frühstücksgeschirr in die Spüle hüpfen zu lassen.

»Also, wohin gehen wir heute?«

»Och«, murmelte Seamus, »wie wäre es mit einem kleinen Bummel durch die Zaubereigeschäfte?«

Dean hätte es besser wissen müssen, erneut.

 

Es war später Abend und ein leichter Schneefall trieb ihnen entgegen, als sie durch die verwaisten Straßen der schwedischen Hafenstadt Gävle schlenderten. Den ganzen Tag über waren sie durch die verschiedenen magischen Antiquariate, Buchläden und sonstigen Ladengeschäfte gestreunt, die in Deans Reiseführer für den abenteuerlustigen Zauberer verzeichnet waren.

In einem kleinen Hinterzimmer über einem Fischrestaurant schließlich war ein vollgestopftes Zaubereigeschäft verborgen gewesen, in dessen stickiger Wärme Seamus Stunde um Stunde voller Begeisterung irgendwelche magischen Rauchbomben und anderweitiges entzündliches Equipment bewundert hatte. Spätestens da hatten sich leise Befürchtungen wieder bei Dean gemeldet, die er allerdings rasch verdrängt hatte.

Die einstmals mit klimpernden Galleonen gefüllten Taschen waren nun erheblich erleichtert und dafür schleppte Seamus eine randvolle Papiertüte mit sich herum, der Dean lieber nicht zu nahe kam. Schon ironisch, dass ausgerechnet in dieser Stadt ein Zauberer sein Ladengeschäft betrieb, das einige experimentelle Pyrotechnik verkaufte. Obwohl ... wenn Dean intensiver darüber nachdachte, war es offensichtlich. Hatte Seamus am Ende gar recht mit der ‚Tradition‘ des Ziegenbockverbrennens? Das würde jedenfalls erklären, weshalb die Muggelpolizei nie die Brandstifter fand, überlegte Dean.

Seamus selber schien gar nicht weiter an die Unterhaltung vom Vormittag zu denken. Er grinste über beide Ohren und hörte nicht auf, davon zu schwärmen, wie sehr er sich darauf freute, seine Neuerwerbungen daheim ordentlich unter die Lupe zu nehmen. Seine Chefin wäre sicherlich begeistert angesichts der neuen Zauber, die hervorragend zu ihrer Produktlinie, die sie seit Kurzem an die magische Polizeibrigade vertrieben, passen würden. Das Ministerium hatte einen regen Bedarf an allem, das ihnen den ein oder anderen Kleinkriminellen vom Hals hielt und Seamus war ein wahres Talent darin, solche zu erfinden.

Jetzt, wo sämtliche Einkäufe erledigt waren, führten Dean und Seamus‘ Schritte sie in keine bestimmte Richtung, sondern sie ließen sich einfach treiben. Die Stille im Schnee, die unzähligen weihnachtlichen Lichter – das hatte seinen ganz eigenen Zauber. Daheim, ob nun bei Deans Familie in London oder bei Seamus Familie in Kenmare, war es nie so ruhig. Zu viele Personen um sie herum, mit all ihren Geschwistern, deren jeweiligen Partnern und Partnerinnen und dann auch noch dem ein oder anderen Haustier, das den Weihnachtsbaum umstürzte.

Mit der Ruhe war es bei Dean allerdings vorbei, als sie auf einen großen Marktplatz zusteuerten, in dessen Mitte sich schon von weithin sichtbar ein überlebensgroßer Ziegenbock erhob. Natürlich aus Stroh. Von mehreren gewaltigen Scheinwerfern wurde das Ding ebenso festlich angestrahlt wie ein Wahrzeichen. Der unsägliche Gävlebocken. Am Ende hatte er also sie gefunden – oder vielmehr Seamus. Ein leises Seufzen kam über Deans Lippen.

Sie blieben in sicherer Entfernung von den hölzernen Palisaden stehen, die ziemlich scharfkantig und unfreundlich aussahen. Auf eine lustige Art sah es so aus, als wäre der Gävlebocken ein großes Ungeheuer, dass die Muggel eingesperrten hatten. Sogar einen bewaffneten Polizisten konnte Dean auf der gegenüberliegenden Seite ausmachen. Offenbar hatte man in der Stadt eine regelrechte Paranoia entwickelt, dass jemand etwas der riesigen Strohziege antun könnte.

Neben ihm pfiff Seamus anerkennend durch die Zähne. »Nettes Ding. Ist tatsächlich ziemlich groß. Was sind das – Zehn, Zwölf Meter?« Ein kleines Kichern kam ihm über die Lippen. »Bei der Menge Stroh würde das bestimmt ein ordentliches Feuer abgeben ...«

Dean legte den Kopf in den Nacken, um sich die goldgelbe Strohfigur, die von breiten roten Bändern zusammengehalten wurde, zu besehen. Irgendwo musste er seinem Freund recht geben – das Ding würde weithin sichtbar brennen. Vernunft und die gryffindor’sche Abenteuerlust lieferten sich einen kleinen, aber intensiven Streit.

»Schon ...«, murmelte er vorsichtig.

»Ich meine – das wäre doch ne Geschichte, die sich lohnt, wenn wir nach Hause kommen ...«, setzte Seamus hinzu. »So viel Action haben die anderen an Weihnachten bestimmt nicht. Ich wette, Neville sitzt wieder daheim bei seiner Oma und muss mit ihren Freundinnen Kuchen essen, bis er platzt. Da kennt sie keine Gnade, habe ich gehört.«

Bei der Vorstellung musste auch Dean kichern. »Wo du recht hast ... ach komm, lass uns lieber gehen. Der Muggel da guckt schon so komisch.«

Etwas enttäuscht sackten Seamus Schultern nach unten, aber er widersprach nicht. Nur das Funkeln in seinen Augen verriet noch, was er sich insgeheim vorstellte.

Dean hätte es besser wissen müssen, schon wieder.

 

Den nächsten Tag verbrachten sie ganz nach Deans Vorstellung zuerst in einem Malereigeschäft, an dem sie zufällig vorbeikamen, wo er seinen Muggelgeldbeutel leerte, und anschließend auf einem Weihnachtsmarkt, wo er sich mit zuckrigen Köstlichkeiten den Bauch vollschlug.

Die Schweden kannten ein paar interessante Rezepte, die äußerst gut schmeckten. Sein Favorit war allerdings der wärmende Glühwein, den es an jeder Ecke des Marktes zu bekommen gab. Vermutlich war dieser es, der ihn schließlich dazu veranlasste, auf das große Kettenkarussell zuzuhalten. Entschlossen packte er Seamus bei der Hand, der plötzlich untypisch bleich wurde unter den letzten Sommersprossen, die dem Winter trotzten.

»Das wird lustig«, verkündete Dean ihm im Brustton der Überzeugung.

Laute Musik dröhnte aus den Boxen am Stand, der die kleinen Fahrtenchips verkaufte, – Madonna, wie Dean erkannte – und grelle Lichter erleuchteten die hereinbrechende Nacht. Es erinnerte ihn ein wenig an ihren letzten und einzigen Besuch in einer Muggeldisko, den Seamus deutlich unlustiger in Erinnerung hatte als er. Unter Umständen hatte es mit der Musikauswahl zu tun. Da war ‚Hung Up‘ in Endlosschleife noch harmlos gegen.

Seamus schien inzwischen ebenfalls daran zu denken, denn er musterte mit reichlich Skepsis die johlenden Kinder, die im Kreis geschleudert wurden.

»Dafür, dass du doch so auf Abenteuer stehst, siehst du jetzt ganz schön ängstlich aus«, murmelte Dean ihm neckend ins Ohr, während sie darauf warteten, dass das Karussell für die nächste Runde anhielt.

Sein Freund verschränkte die Arme vor der Brust. »Traust du dieser ... Todesmaschine etwa?«

Dean lachte so laut auf, dass eine Mutter mit ihren beiden Kindern nervös von ihnen abrückte. »Todesmaschine«, japste er, »klar, schau dir nur die armen Kinder an, wie sie gequält werden. Dagegen ist Quidditch ja wohl viel gefährlicher.«

»Ich hab mich informiert«, erklärte Seamus trotzig, »es sind beim Fußball auch schon Muggel gestorben.«

»Das Leben ist eines der Gefährlichsten.«

Dean zuckte mit den Schultern und zog Seamus an der Hand mit sich zum wartenden Kettenkarussell, damit sie noch einen der Doppelsitze ergatterten.

Spätestens nach der dritten Umdrehung der Todesmaschine fing er an, seine Entscheidung etwas zu bereuen – aber nur, weil er vielleicht ein paar Zimtschnecken zu viel gegessen hatte.

Seamus dagegen lehnte sich ziemlich vergnügt gegen ihn und schien mit jeder weiteren Runde sein Misstrauen in die muggelgemachte Konstruktion zu verlieren.

So oder so – am Ende waren sie beide etwas wackelig auf den Beinen. Noch mehr leckere Süßigkeiten konnte Dean jetzt nicht länger verdrücken und so entschieden sie sich, den Heimweg anzutreten.

Der führte, mal wieder, am zentralen Marktplatz der Stadt vorbei. Schon von weitem erkannte Dean den goldgelb leuchtenden Gävlebocken. Seamus, der sich bei ihm untergehakt hatte, grinste ihn von der Seite an.

»Denk nur mal dran, wie legendär diese Sache wäre ...«

»Jaaah, schon«, murmelte Dean, noch immer duselig von der Karussellfahrt. »Und trotzdem habe ich keine Lust aufs Kittchen.«

»Kittchen?« Schon wieder sah Seamus ihn verwirrt an.

»Knast.«

»Ah ... aber hey – wir sind Zauberer, schon vergessen?«

»Hm?«

»Ich mein ja nur ...« Seamus deutete einen Zauberstabschwung an. »Wir könnten es einfach ... ungeschehen machen. Doppelter Spaß!«

Manchmal war es verrückt, wie schnell Dean vergaß, dass das im Rahmen der Möglichkeiten war. Er hatte fast den Eindruck, dass der Gävlebocken ihn nun herausfordernd ansah, als wolle er ihm sagen ‚Hey, komm schon‘.

»Das wäre immer noch gefährlich, falls uns jemand beobachtet ...«

»Ja, falls!« Grinsend pikste Seamus ihn in die Seite. »Das ist doch das Aufregende dabei!«

»Willst du dich im Schutz der Dunkelheit anschleichen?«

»Mir gefällt, wie du denkst. Aber nein – siehst du den Uhrenturm? Das wäre doch viel besser ...«

»Hmh. Und dann? Incendio? Ich habe gehört, das Stroh ist inzwischen imprägniert, nachdem irgendein Muggel es mit brennenden Pfeilen versucht hat.«

»Tja, wie wäre es stattdessen, wenn ich ...« Seamus zog eine kleine Kugel aus seiner Jackentasche, kaum größer als ein Kirschkern. »Eine meiner Neuerwerbungen einem Feldtest unterziehe?«

Dean musterte das kleine rötliche glühende Ding skeptisch. »Hast du überhaupt eine Ahnung, was das anrichtet?«

»Klar. Keine Sorge, das ist nur ein Brandbeschleuniger, kein Erumpentsekret oder so, das explodieren könnte.«

An dieser Stelle musste Dean sich auf die Zunge beißen, um nicht zu sagen, dass Dinge, die nicht explodieren sollten, bei seinem Freund durchaus schon explodiert waren. Darunter immerhin ein Kelch Wasser, eine Spitzenleistung, die sogar Professor McGonagall seinerzeit ein verwundertes Schnauben entlockt hatte.

Seamus ließ das kleine Kügelchen über seine Handfläche rollen, einen versonnen Blick auf die meterhohe Strohfigur gerichtet. In seinen Augen brannte das Feuer längst.

Seufzend schob Dean die Hand in seine Jackentaschen und tastete nach dem Zauberstab. Vermutlich hatte das Kettenkarussell den Glühwein und die Zimtschnecken in seinem Inneren ordentlich durchgerüttelt, sodass er jetzt völlig leichtsinnig war.

»Du wirst mich nochmal in echte Schwierigkeiten bringen«, murmelte er, aber er streckte seine freie Hand nach Seamus aus. »Komm lieber schnell, bevor der Wachmann auf seiner Runde hier vorbeikommt.«

Sich in den Uhrenturm zu schleichen stellte sich als denkbar simpel heraus. Ein schlichtes Alohomora genügte, damit die hölzerne Tür aufschwang und den Blick auf eine einfache Stiege freigab.

Oben angekommen, fiel Dean zuerst die großartige Aussicht auf. Er konnte in der Ferne sogar den Weihnachtsmarkt mit dem grell erleuchteten Karussell erkennen und zur anderen Seite den Hafen mit seinem mitternachtsschwarzen Wasser. Von hier betrachtet wirkte die Stadt unter ihrer Schneehaube wie der Anblick einer Postkarte.

»Schön hier«, sagte er leise. Weit fern vom Rummel auf den Straßen hörte er hier oben nur das Pfeifen des Windes. Schon eigenartig, dass er ausgerechnet hier, bei ihrem nicht ganz legalen Abenteuer, die Ruhe fand, nach der er sich gesehnt hatte.

Seamus lehnte sich neben ihm an die knarzende Brüstung. »Tatsächlich.« Er hatte immer noch dieses Funkeln in den Augen, doch jetzt betrachtete er Dean damit. »Hey, weißt du ...«, er schob seine Hand in Deans, »ich bin froh, dass du mit hier bist. Nach allem, was wir schon zusammen erlebt haben. Gegen Voldemort zu kämpfen ist zwar schwer zu schlagen, was die Aufregung angeht, aber – das hier ist besser.«

»Finde ich auch. Außerdem ist es viel besser, nur gegen das magische Geheimhaltungsabkommen zu verstoßen, anstatt gleich einer Horde an Todessern gegenüberzustehen.«

Sie tauschten ein amüsiertes Lächeln und für einen Moment vergaß sogar Seamus seinen ehrgeizigen Plan, sondern lehnte sich nur für einen Kuss zu Dean.

»Also dann – bereit, der Tradition zu folgen?« Mit den Augenbrauen wackelnd hielt Seamus seine kleine brandgefährliche Neuerwerbung hoch.

»Immer doch.«

Dean wusste es besser – aber manchmal machte es einfach zu viel Spaß, etwas relativ Verbotenes zu tun. Und der Gävlebocken – das musste er sich eingestehen – brannte wunderbar. Er war dafür geschaffen.

Zurück in Großbritannien hätten sie definitiv etwas zu erzählen. Zum Beispiel vom schockierten Gesicht des Wachmannes, als hinter ihm plötzlich die ersten Flammen aufzüngelten, nachdem Seamus mit einem geschickten Schwebezauber seinen Brandbeschleuniger platziert hatte. Oder wie Seamus mal wieder eine halbe Augenbraue verlor, weil irgendwas in seiner Jackentasche auf einer etwas zu hastigen Flucht von alleine Feuer fing – Dean hatte einen von Fred und Georges neuen Miniknallern im Verdacht. Aber die Ruhe dazwischen, die gehörte nur ihm und Seamus.

 

Am nächsten Tag fanden die Angestellten der Stadt eine komplett unversehrte Strohfigur in ihrem Lager vor, obwohl der Gävlebocken doch erst am Vorabend abgebrannt war. Eine Erklärung hatte man dafür nicht, aber infolge dieser Vorkommnisse stand der neue Strohbock tatsächlich bis zum Ende des Jahres an seinem angestammten Platz auf dem Markt. Vielleicht half der verbesserte Imprägnierzauber, den Dean schuldbewusst gewirkt hatte, doch etwas besser als die Muggelmaßnahmen.

Wintermond [Remus Lupin]


 

Hogwarts, 1976

Remus Lupin und die Rumtreiber

 

Die Rumtreiber erleben ein Weihnachtsfest der besonderen Art, bei dem Vollmond und ein felliges kleines Problem die Hauptrolle spielen. Zum Glück haben sie ein einzigartiges Geschenk für ihren besten Freund ...

 

***

 

Ein ganz normales Weihnachtsfest erwies sich zugegeben als schwierig, wenn der Vollmond am Himmel stand und man ein felliges kleines Problem hatte. Aber Kummer kannte Remus zu Genüge und so tat es fast gar nicht weh, sich auf triste Ferien in der Schule einzustellen, während für alle anderen die schönste Zeit des Jahres (mit Ausnahme der Sommerferien) anstand. Das Weihnachtsessen würde er im Krankenflügel verpassen, ebenso wie die Bescherung. Letztlich konnte er dankbar sein, dass er in der heulenden Hütte wenigstens niemanden verletzen würde.

Die erste Überraschung in dieser Hinsicht war die Handlung seiner Freunde. James zögerte nicht lange, den Heimatbesuch abzusagen, und da Sirius ohnehin jede Ausrede nutzte, um nicht in das gar ehrwürdige Haus seiner Eltern zurückzukehren, schrieb sogar Peter seiner Mutter schweren Herzens, dass er Weihnachten dieses Jahr in Hogwarts verbringen würde.

Remus freute sich einerseits, dass er seine Freunde ganze zwei Wochen für sich alleine haben würde, andererseits schmerzte es, dass sie alle nur wegen ihm in der Schule sitzen würden. Am Ende konnten sie ja doch nur darauf warten, dass der Mond sich verzog und ihnen Remus zurückgab.

Bereits die ganzen letzten Tage vor den Ferien versuchte er sie davon zu überzeugen, dass sie lieber nach Hause fahren sollten, doch die Rumtreiber blieben eisern.

»Was wären wir denn sonst bitte für lausige Freunde?«, rief James recht angesäuert, als Remus ihm mal wieder die Vorzüge der Ferien daheim aufzählte. »Ich bitte dich, zuhause sein wäre doch einfach nur langweilig! Meine Mutter kocht jedes Jahr das Gleiche – mit mehr oder weniger Erfolg – und mein Vater schläft eh um neun am Kamin ein und schnarcht so laut, dass man seine eigenen Gedanken nicht mehr hört.«

Und so beließ Remus es schweren Herzens dabei. Schließlich kam der erste Ferientag und all seine Freunde waren immer noch da. Tagsüber ließen seine Sorgen sich gut bändigen – Schneeballschlachten, Schlittschuhfahren auf dem vereisten See und der ein oder anderen Rüstung ein paar unflätige Weihnachtslieder beibringen hielt sie ordentlich beschäftigt. Dazu kamen unzählige Runden Zauberschnippschnapp am Kamin und Unmengen an Keksen, die Peters Mutter ihm gleich mit zwei Eulen ins Schloss geschickt hatte, sobald sie hörte, dass er bleiben würde.

Doch wie immer, wenn der Vollmond sich unaufhaltsam näherte, waren die Nächte von Unruhe erfüllt. Mehr als einmal starrte Remus an den Baldachin seines Himmelbettes und lauschte dem Schnarchen seiner besten Freunde, während er selber sich wünschte, er wäre jemand anderes – ohne felliges Problem, das ihm die Klauen der Angst in die Brust schlug.

Der Vorabend von Weihnachten näherte sich viel zu schnell. Die Aufregung unter den verbliebenen Schülern im Schloss wuchs ins Unermessliche, spätestens seit die zwölf gewaltigen Weihnachtsbäume in der großen Halle fertig dekoriert waren. Selbst in den Augen seiner Freunde glitzerte die Vorfreude auf das Fest, auch wenn sie sich größte Mühe gaben, es Remus nicht spüren zu lassen. In ihm wuchs hingegen nur die Sorge.

Am vierundzwanzigsten Dezember senkte sich die Sonne viel zu schnell dem Horizont entgegen. Schon mussten sie Abschied nehmen.

»Wir sehen uns bald wieder, Moony«, verkündete Sirius grinsend. »Denk ja nicht, wir würden dein Weihnachtsgeschenk vergessen!«

»Wir haben nämlich das ganze Jahr daran gea-«

»Halt die Klappe, Peter.« James schlug Remus kräftig auf die Schulter. »Bis gleich, Moony.«

»Klar«, murmelte Remus, in Gedanken längst woanders. »Macht’s gut, Leute. Hebt mir was vom Festessen auf.«

Mit einem leisen Seufzen folgte er Madame Pomfrey, die ihn zur peitschenden Weide führte und von da in den modrigen Geheimgang, der ihn in die heulende Hütte brachte.

Resigniert legte er sich auf das einsame Bett in dem kargen Raum und wartete darauf, dass die Verwandlung einsetzte. Zu seinem Glück ging wenigstens das schnell, sobald der Vollmond erstmal in Gänze am Himmel stand. Wenn sich seine Finger zu Krallen bogen, wäre es zügig vorbei.

Doch bevor es überhaupt so weit war, ertönte ein leises Kratzen aus dem Flur, gefolgt von unterdrücktem Fluchen. Alarmiert schreckte Remus in die Höhe. Das durfte nicht wahrsein! Jemand – und er hatte eine gute Ahnung wer – kam gerade aus dem Geheimgang gekrochen.

Noch bevor er aufstehen und zur Tür gelangen konnte, wurde diese von außen aufgerissen und James rotes Gesicht, Schnee in den Haaren, tauchte auf. Direkt hinter ihm waren Sirius und Peter.

»Seid ihr denn von allen guten Geistern verlassen?« Fassungslos starrte Remus seine Freunde an. »Macht, dass ihr wegkommt!«

»Immer mit der Ruhe, Moony.« Sirius lachte laut auf und schmiss sich neben ihm auf das quietschende Bettgestell. »Du hast doch nicht wirklich gedacht, wir würden dich einfach alleine lassen?«

Remus sprang wie vom Billywig gestochen auf. »Natürlich hab ich das!«

»Nun, besondere Umstände erfordern besondere Maßnahmen«, verkündete James großspurig.

»Es ist zwar noch nicht ganz so weit-«, ergänzte Sirius mit einem Blick auf seine Armbanduhr.

»-aber hier kommt unser Weihnachtsgeschenk«, schloss Peter aufgeregt piepsend.

Beunruhigt sah Remus von einem zum anderen und drückte sich in eine Ecke des Raumes, möglichst weit von ihnen entfernt. Er wollte seinen Freunden nicht wehtun, aber den Wolf in ihm würde das herzlich wenig interessieren. »Haut ab!«, flehte er die Drei an.

Doch sie stellten sich nur nebeneinander, aufgereiht wie die Orgelpfeifen und verbeugten sich, als wäre das alles Teil einer aufregenden Show. Tatenlos musste Remus mitansehen, wie sich seine Freunde vor seinen Augen verwandelten. Sirius und Peters Gestalten sanken dem Boden entgegen, wohingegen James immer größer zu werden schien.

Dunkles Haar transformierte sich in seidiges Fell; aus Händen wurden Pfoten und Hufe. Ehe er sich versah, stand er drei Tieren gegenüber, wo eben noch seine besten Freunde gewesen waren. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er sie an. Ein Hirsch, ein gewaltiger Hund und ... er suchte den Boden ab, bis er eine kleine Ratte fand.

»Wie ...?«, hauchte er, obwohl er die Antwort nur zu gut kannte, immerhin war es eine seiner liebsten Beschäftigung, die Nase in Bücher zu stecken.

Der Hund bellte und beinahe klang es wie ein ... Lachen. Das vertraute Lachen eines dunkelhaarigen Jungen, der mit sich selbst zufrieden war. Auch der Hirsch schnaubte und die Ratte fiepte laut.

Remus rutschte an der Wand entlang zu Boden. »Merlin ... Ihr ... Das ...! Ihr fangt euch noch einen Schulverweis ein!«

Das war nicht, was er eigentlich sagen wollte – aber das Erste, das er in Worte fassen konnte.

In einer geschmeidigen Bewegung verwandelten seine Freunde sich zurück, ein jeder ein unerhört breites Grinsen im Gesicht. So zufrieden hatten sie nicht einmal nach ihrem bisher größten Streich dreingesehen.

»Mach dir nicht so viele Sorgen«, lachte James, »wer wird schon je denken, dass drei Schüler in Wahrheit Animagi sind? Immerhin ist das höhere Magie, die kein Fünftklässler beherrschen sollte, oder so.«

»Und es ist verboten!«, platzte es aus Remus heraus. »Ihr seid sicher nicht im Register ...«

»Blitzmerker.« Sirius grinste und das folgende Lachen hatte verdächtig viel von dem Bellen des Hundes eben gerade.

War das schon immer so gewesen? Remus konnte sich nicht erinnern.

»Natürlich sind wir nicht im Register, sonst wäre diese ganze Aktion ja witzlos.«

»Das ist unser Weihnachtsgeschenk an dich, Moony.« Peter strahlte von einem Ohr bis zum anderen. »Wir haben ein ganzes Jahr gebraucht alles vorzubereiten, aber jetzt klappt es endlich!«

»Mein ... mein Weihnachtsgeschenk?«

»Weißt du ...« Sirius zuckte lapidar mit den Schultern, »so eine Packung zischender Zauberdrops oder ne Schachtel Schokofrösche sind doch echt lahm. Da macht selbst der Hauself meiner Eltern bessere Geschenke! Also ...«

»... haben wir uns überlegt, was nur wir dir schenken können«, ergänzte James. »Und worüber du dich am meisten freuen würdest. Daher sind wir zum Schluss gekommen ...«

»... dass du bei Vollmond etwas Unterstützung gebrauchen kannst«, endete Peter.

»Ich ... ich könnte euch umbringen! Ach quatsch, das werde ich ganz sicher, wenn ihr nicht sofort verschwindet!«

»Na, mach mal halblang, Moony, traust du uns etwa so wenig zu?« James zog eine Augenbraue bis unter das strubbelige Haar. »Peter könntest du zwar in einem Happen schlucken, aber dafür ist er verdammt flink. Der lässt sich schon nicht so leicht fressen.«

Der Kleinste im Bunde lief rosa an, aber nickte bekräftigend. »Mich siehst du gar nicht, wenn ich erstmal durchs Unterholz laufe!«

Remus stöhnte leise und ließ den Kopf gegen die hölzerne Wand hinter ihm schlagen. »Ihr seid doch komplett durchgeknallt«, murmelte er. Dann hielt er inne – was hatte Peter da gesagt? Unterholz? »Ihr wollt doch nicht etwa ... raus?«

»Na, was denkst du denn?« Sirius musterte ihn mit großen Augen. »Natürlich wollen wir das Wölfchen mal ausführen!«

»Das ist Wahnsinn.«

»Nein, das ist das beste Geschenk aller Zeiten, vertrau uns.« James zwinkerte. »Na komm schon, glaubst du wirklich, du alleine kannst es mit einem Hirsch und einem riesigen Hund aufnehmen? Ich wette, Tatze hier ist genauso groß wie du.«

»Tatze?«

»Na, du weißt schon, Sirius halt.« Eine Hand erhoben, grinste James in die Runde. »Wegen der Riesenpranken.«

»Gefällt mir«, schmunzelte Sirius und besah sich seine gar nicht mal so prankenhaften Hände.

»Und wenn ich euch beiße? Mal daran gedacht?«, ließ Remus weiterhin seine Vernunft walten. »Das ist kein Spaß!«

»Das musst du erstmal schaffen.«

Die Jungs schienen wirklich keinerlei Widerspruch zu dulden. Was konnte Remus nur tun, um sie von ihrem selbstmörderischen Plan abzubringen? Sein Kopf stand kurz vorm Platzen angesichts all der Gedanken, die gehört werden wollten. Aber lange musste er sich nicht quälen, denn der Vollmond übernahm unerbittlich die Kontrolle.

Ein gequälter Aufschrei entwich ihm, als plötzlich eine fremde Macht seine Gliedmaßen kontrollierte und unnatürlich krümmte. Jetzt wankte doch die Selbstsicherheit in James‘ Augen und sogar Sirius wich einen Schritt zurück. Peter war längst hinter seinem Rücken verschwunden.

»Haut ab!«, befahl Remus ihnen – ein allerletztes Mal. »Bitte!«

»Oh, ich denk nicht dran, Moony«, sagte James leise.

Das Letzte, was Remus bewusst wahrnahm, war, wie sie sich erneut in ihre Tierformen verwandelten. Dann gewann der Wolf die Oberhand.

Und er rannte, rannte durch den frisch gefallenen Schnee, wie er noch nie in seinem Leben gerannt war. Die Flocken tanzten ihm um die Schnauze und irgendwo in der Ferne wurde sein glückliches Jaulen von einem kräftigen Bellen beantwortet.

 

Der Geruch von Wald und Kiefernnadeln hing Remus noch in der Nase, als er erwachte. Einen Augenblick verharrte er reglos und horchte in sich hinein, endlich wieder Herr über seinen Körper. Der Schmerz, sein alter Bekannter, grüßte ihn bereits, da hatte er die Augen noch gar nicht aufgeschlagen.

Plötzlich schoss ihm ein unheimlicher Gedanke durch den Kopf – die anderen Rumtreiber! Alarmiert schnellte er in die Höhe, was seine Glieder mit einem protestierenden Aufschrei quittierten. Er keuchte auf und sah sich im Krankenflügel um. Noch war die Sonne nicht ganz aufgegangen, sodass nur schwaches Licht durch die großen Fenster hineinfiel.

Aber es reichte aus, um die drei Rumtreiber zu erkennen, die am Fuße seines Bettes standen und reichlich zufrieden dreinsahen.

»Morgen Moony«, strahlte James, »und frohe Weihnachten!«

Remus hätte heulen können, so erleichtert war er, seine drei Freunde wohlbehalten wiederzusehen. Wobei – ganz so ungeschoren waren sie nicht davongekommen. Sirius hatte einen Schnitt an der Schläfe sowie ein blaues Auge und James‘ Arm hing in einer Schlinge. Nur Peter schien, abgesehen von dunklen Ringen unter den Augen, wohlauf zu sein.

»Oh Merlin, was habe ich getan?«, murmelte Remus angsterfüllt.

James zog eine Augenbraue hoch. »Nichts? Im Ernst Moony!« Er hielt seinen bandagierten Arm in die Höhe. »Das war nur ein kleiner Zusammenstoß mit einem ... Baum. Madame Pomfrey sagt, das ist bis zum Morgen längst verheilt.«

»Ich habe niemanden gebissen?«

»Negativ.« Sirius bleckte die Zähne und lachte wieder sein bellendes Hundelachen. »Und jetzt rück ein Stück, wir haben zu feiern!«

Remus wusste nicht, ob er lachen oder wütend werden sollte. Schlussendlich rutschte er zur Seite und ließ zu, dass sich seine Freunde neben ihm auf das Krankenbett quetschten.

Irgendwie war es den anderen gelungen, ein paar Sachen aus der Küche mitgehen zu lassen, und so improvisierten sie ihr eigenes kleines Festmahl, bevor der Rest von Hogwarts überhaupt erwacht war.

»Warum habt ihr das getan?«, fragte Remus schließlich leise, während die drei herzhaft in ihre kalten Gänsekeulen bissen. »Ich meine ... euch hätte so viel passieren können.«

»Moony, Moony, du bist echt schwer von Begriff.« Sirius lehnte sich schmatzend zurück. »Wir sind doch deine Freunde, nicht wahr? Und Freunde sind füreinander da.«

»Ja aber ... nicht für Werwölfe.«

»Gerade für Werwölfe!«, hielt James dagegen.

»Ihr seid wirklich-«

»Genial?«

Angesichts von James‘ stolzem Tonfall musste Remus lächeln. »Verrückt, wollte ich sagen.«

Aber er konnte nicht verhindern, dass sich sein Herz wärmte. Er erinnerte sich dunkel daran, wie er gelaufen war, durch den fallenden Schnee und dass er nicht alleine gewesen war, zum ersten Mal in seinem Leben. Es hatte sich berauschend angefühlt.

»Danke«, flüsterte er leise und rieb sich verstohlen die Wangen.

Tatsächlich war aus dem so gefürchteten Weihnachtsfest doch noch das Beste geworden. Dieses Geschenk war mehr wert als alles, was man in schillerndes Packpapier einschlagen konnte.

Sonnenflucht [Draco Malfoy & Astoria Greengrass]


 

Wo keine Sonne scheint, 1998

Draco Malfoy und Astoria Greengrass

 

Nach dem Krieg ist nichts mehr, wie es einst war – schon gar nicht das Weihnachtsfest. Gefangen zwischen alten Traditionen, ist es Astoria, die Draco zu einem Ausbruch anstiftet ...

 

***

 

Er hatte es satt, so endgültig satt. All die vorgeschützte Heiterkeit, die endlosen Versuche, ein Leben zu führen, das nie mehr sein würde wie vorher. Die Zeiten unbeschwerter Kindheit waren vorbei und als der erste Schnee fiel, wurde Draco klar, dass sie nie zurückkehren würden. Das Glück, welches ihn früher bei diesem Anblick erfüllt hätte, war nunmehr Resignation gewichen und einzig die Kälte schien seinen Gefühlen angemessen. Seine Eltern mussten das ebenfalls erkannt haben, doch wenn sie es wussten, ignorierten sie es meisterlich.

In der Abgeschiedenheit ihres Anwesens gelang es den beiden, in der eigenen gedanklichen Vergangenheit zu verweilen, sich dem Fortschritt ein weiteres Mal gekonnt zu verweigern und an alten Traditionen festzuhalten wie Schiffbrüchige im Sturm. Nichts hatte sich verändert, auch wenn die Welt da draußen nun eine ganz andere war. Nicht die Vitrinen voller wertvollem, schwarzmagischem Plunder und nicht die erdrückenden dunklen Wände des Salons mit seiner prächtigen Holztafel, an der vor nicht allzu langer Zeit noch Horden Todesser ihre Verbrechen geplant hatten.

Manchmal, wenn er durch diese realen Albträume wandelte, glaubte Draco, die vernarbte Stelle an seinem linken Unterarm brennen zu spüren, doch das, was wirklich brannte, war sein Selbsthass. Ein weiterer Grund, dass aus einem geliebten Zuhause für ihn ein Gefängnis geworden war, dessen Mauern zu zerstören ihm mehr Freude bereitet hätte als alle Weihnachtsfeste zusammen. Vielleicht könnten die dunklen Schatten der Vergangenheit dann mit ihm zugrunde gehen.

Doch das Anwesen der Malfoys bot Widerstand, ließ sich nicht einfach brechen, hinter sich lassen. Es hielt ihn fest, mit der steten Verlockung dieser Erinnerungen an glückliche Momente, mit den Blicken seiner Mutter, die ihn ‚nur noch einmal‘ in die Arme schließen wollte – ‚wie früher‘ und die doch nie loslassen würde. Und so ließ auch er niemals los, obwohl jeder Tag eine weitere, dünne Schicht seiner letzten Verteidigung abtrug und irgendwann, da war er sich sicher, würde er sich selbst verlieren.

Von alleine hätte er wohl nie die Stärke gefunden, sich zu befreien. Sie reichte ihm die helfende Hand, die es brauchte, auch wenn er es sich erst Jahre später eingestehen konnte, als sie bereits aneinander gewachsen waren. Die verlorene Fröhlichkeit ließ sich nicht zurückgewinnen, wohl aber fand er eine neue Zufriedenheit in all den Brüchen, zu denen Astoria ihn anstiftete.

 

Es war nur allzu passend, dass ihrer beider Verschwörung den Anfang im ersten Winter nach dem Krieg fand. Die Kälte war nicht länger nur in Dracos Innerem, sondern drängte sich von außen an die Fenster des Anwesens und reizte ihn mit all den Verlockungen aus seiner glücklichen Kindheit – Schlittschuh fahren, Schneekobolde bauen und dergleichen. Währenddessen unternahmen seine Eltern einen weiteren, zum Scheitern verurteilten, Versuch, die altbekannte Normalität aufrechtzuerhalten.

Wie jedes Jahr luden sie erst zu einem weihnachtlichen Teesalon Mitte Dezember und dann zum großen Weihnachtsdinner. Bei der erstgenannten Veranstaltung war wie üblich eine erquickliche Menge Zauberer aus den besten Kreisen geladen, während dem eigentlichen Dinner nur eine auserwählte Gruppe angehörte. Selbst wenn die Einladungen auf dasselbe dicke cremefarbene Papier geschrieben waren wie jedes Jahr, so hatte ihre Menge doch beträchtlich abgenommen und die Absagen wurden dafür umso mehr.

Nichts war wie vor dem Krieg, dachte Draco bitter, aber er hütete seine Zunge. Es kamen immer noch zu viele, die sich wie seine Eltern an die Vergangenheit klammerten. Keiner redete über die Kämpfe, schon gar nicht ihre Niederlage. Da wurden Geschäfte vorgeschoben, irgendwelche ach so bedeutsamen Unternehmungen und ehe sie sich versahen, wurde vergessen, was geschehen war. Die Lücken in ihrer Runde sprachen lauter als jede Prahlerei der Verbliebenen.

Es dauerte nicht lange, bis er es nicht mehr aushielt und sein Heil in der Flucht suchte. Außerhalb des stickigen Salons, im Eingangsbereich, klärte die kühle Luft seine Sinne etwas und erleichtert atmete er durch.

Als er die Augen wieder aufschlug, erkannte er Astoria Greengrass vor dem großen Kamin, in einem schillernden Festumhang, den Blick nachdenklich auf die knisternden Holzscheite gerichtet. War sie die ganze Zeit hier gewesen? Jedenfalls war es zu spät, sich unerkannt von dannen zu schleichen.

Schon hob sie den Kopf und betrachtete ihn mit vorsichtiger Neugier, ein verträumtes Lächeln im Gesicht. »Der Tee ist gut, die Gespräche weniger«, stellte sie sachlich fest.

»Sie sind grauenhaft«, gab er umgehend zu.

Astoria hatte ihn unerwartet erwischt und es gelang ihm nicht so schnell, seine Mauern wieder aufzubauen.

»Mhm.« Eine Weile schwieg auch sie. Dann trafen ihre grünen Augen direkt auf seine. »In Momenten wie diesen würde ich sehr gerne einfach wegfliegen können. Fort von all dem hier, frei wie ein Vogel.«

Ihre unerwartete Ehrlichkeit schockierte Draco. So etwas gehörte sich nicht, das hatte er schon als kleiner Junge gelernt. Zumal er sie ja kaum kannte. Er wusste gerade mal, dass sie in der Klasse unter ihm war, ebenfalls eine Slytherin. Man hatte sich gelegentlich im Gemeinschaftsraum gesehen, das war es. Und selbst wenn – ihre Schwester, Daphne, war so viel lauter, auffälliger. Vermutlich hatte er sich das anzulasten, dass er Astoria nie einen Blick geschenkt hatte.

Der Ausdruck auf seinem Gesicht musste merkwürdig sein, denn Astoria zuckte entschuldigend mit den Schultern. »Hast du keine solcher Träume, wenn die Alten wieder schwätzen von den guten Zeiten?«

Jetzt war es an ihm, ausweichen zu gestikulieren. »Viele«, entgegnete er unbestimmt.

Ganz ohne es zu wissen, traf sie einen Nerv bei ihm, immerhin kribbelte der Gedanke an einen Ausbruch ihm seit Monaten in den Fingerspitzen.

Anscheinend reichte ihre Antwort ihm, denn sie nickte nur und erlöste ihn aus den Fängen ihres smaragdenen Blicks. »Auch das schönste Gefängnis ist eben nur das – ein Gefängnis.«

Sie löste sich einige Schritte von dem Feuer und betrachtete den gewaltigen Kronleuchter über sich. »Ein ziemlich beeindruckendes Gefängnis, möchte ich hinzufügen.«

»Nur auf den ersten Blick.« Die Worte lösten sich ganz alleine von seinen Lippen. »Du wirst feststellen, dass vieles davon mehr Schein als Sein ist.«

»Trifft das auch auf dich zu?«

»Ich nehme mich nicht davon aus.«

»Um ehrlich zu sein, habe ich einiges über dich gehört.« Astoria drehte sich wieder zu ihm. »Aber noch nie von dir. Verzeih meine Neugierde, aber bisweilen habe ich das Gefühl, dich bereits kennen zu müssen, nach allem, was mir so erzählt wurde.«

»Kommt darauf an, was dir erzählt wurde. Die schlechten oder die schmeichelhaften Dinge. Von beidem ist so einiges im Umlauf.«

»Sowohl als auch, würde ich sagen.«

Sie neigte den Kopf leicht zur Seite. Unwillkürlich fiel Draco auf, dass sie recht hübsch war, in dem dunkelgrünen Umhang. Astorias dunkles Haar war sorgsam hochgesteckt, nur ein paar lose Strähnen umrahmten ihr schmales Gesicht und sorgten dafür, dass ihre ebenso grünen Augen besonders hervorstachen.

Und in diesen Augen brannte ein Feuer, das mit mehr Intensität loderte als jenes im großen Kamin. Da lag eine unausgesprochene Provokation in ihrem Blick, die ihn fragte, warum er hier stand, in diesem feinen Festumhang und sich an dieser Tradition beteiligte, die ihr ebenso zuwider schienen wie ihm.

»Hast du schon einmal etwas Verrücktes getan?«

Ihre unvermittelte Frage schwebte in der kalten Luft des großen Raumes.

»Zum Beispiel ...?«

»Irgendwas, das deine Eltern nicht gut finden. Etwas ... Ungeheuerliches. Und trotzdem Spaßiges.«

Erst bei dieser Frage fiel ihm ein, wie gerne er eine Antwort darauf haben würde. Nur eine Kleinigkeit, eine Rebellion, die ihn interessant gemacht hätte. Verwegen vielleicht. Aber am Ende war er vor allem eines – schrecklich brav. Nicht so wie Potter und seine Freunde, und doch eben brav, mit einem dunklen Mal am linken Unterarm als Beweis seiner ganz besonderen Form der Folgsamkeit.

»Nein«, beschied er sich schließlich, in der Hoffnung, es klänge nicht zu verdrießlich.

»Dann bin ich wenigstens nicht alleine.« Astoria seufzte und für den Tag war das ihre letzte Frage.

Draco hätte nicht erwartet, dass sie Tage später, anlässlich des Weihnachtsdinners, wieder darauf zu sprechen kommen würde.

 

Dieses Mal trug sie einen zartvioletten Umhang, aber ansonsten war alles beim Alten. Die brave Hochsteckfrisur, der teure Schmuck, dezent geschminkte Lippen. Nach außen präsentierte Astoria ebenso die perfekte Tochter, wie Draco in seinem mitternachtsblauen Festumhang den Vorzeigesohn spielte.

Ihre Blicke folgten ihm durch den gesamten Raum und dieses Mal war er derjenige, der auf sie zutrat, als sie an einem hohen Fenster des Salons stand und in die hereinbrechende Nacht hinaussah.

»Schnee, ich kann es nicht mehr sehen«, seufzte sie leise.

Astoria starrte mit verschränkten Armen auf den weißen Glitzer, der in Dracos Wahrnehmung so untrennbar mit Weihnachten verbunden war, wie Drachen und Feuer. Früher einmal hätte er ihre Worte nicht verstanden, doch jetzt hatte sein Herz die unschuldige Faszination verloren.

»Was wäre dir lieber?«

Ihre Stimme war leise, aber eindringlich. »Alles, nur Hauptsache weit weg. Keine Christbäume, keine steifen Feiern, kein Truthahn – nichts davon. Was hältst du vom größtmöglichen Gegenteil – Sommer und Sonnenschein?«

Darauf wusste Draco zuerst keine Antwort. Sicher, ihm war irgendwo bewusst, dass Weihnachten nicht überall auf der Welt Schnee und prasselnde Kaminfeuer verhieß, aber zumindest seine Welt war auf dieses Fundament gebaut. Er konnte sich nicht einmal vorstellen, was es bedeutete, wenn es nicht so wäre. Also zuckte er schlicht mit den Schultern.

»Du könntest mich überzeugen. Nur wo?«

Ein wissendes Lächeln stahl sich auf Astorias Züge. »Irgendwo scheint immer die Sonne, oder? Lass es uns rausfinden.«

Sie streckte ihre Hand aus, eine eigentlich so kleine Geste, doch ihm bedeutete sie mehr, als er selbst in diesem Moment erkannte.

Er dachte nicht einmal darüber nach, sondern ergriff sie und folgte ihr in die luftige Eingangshalle, an dem großen Weihnachtsbaum vorbei, zum Besucherkamin.

Astoria schnappte eine Hand Flohpulver, schleuderte es in die Flammen und grinste so gerissen, wie er es ihr nie zugetraut hätte. »Portschlüsselzentrale!«, verkündete sie laut.

 

Die Portschlüsselzentrale für internationale Reisen war nahezu ausgestorben. Nach zwanzig Uhr am Weihnachtsabend schien niemand mehr verreisen zu müssen – oder wollen.

Eine einsame Hexe saß hinter einem breiten Tresen und blätterte in einem Magazin, ansonsten war keiner außer ihnen und einer alten Dame mit einem dicken kleinen Crup anwesend.

Fast schon keck trat Astoria an die Auskunft, lehnte sich auf ihren Zehenspitzen vor und räusperte sich. »Entschuldigen Sie?«

Die Empfangshexe ließ ihre Zeitschrift nicht einmal sinken. »Die letzten Portschlüssel des Tages gehen in zwanzig Minuten – entweder nach Martinique oder Berlin.«

Draco hatte nie von dem ersten Ort gehört, aber das spielte keine Rolle. Berlin würde jedenfalls nicht den gesuchten Sonnenschein bieten, also war die Entscheidung klar. Wo immer Astoria an diesem Tag hinging, er würde ihr folgen, auf der Suche nach einem Abenteuer, wie er es noch nie erlebt hatte. Alleine die Vorstellung seines vor Wut schäumenden Vaters wäre es alles wert. Nur für seine Mutter tat es ihm leid – zumindest eine Weile.

Astoria zahlte fünf unverschämte Galleonen für ihre Tickets und unter dem blechernen Klang eines Weihnachtsliedes nahmen sie in der verwaisten Wartehalle Platz. Zwanzig Minuten konnten unglaublich lange sein, sobald man auf der Flucht war, selbst wenn es nur die eigenen Eltern und sozialen Zwänge waren, vor denen man davonlief.

»Und was, wenn wir die Sonne gefunden haben?«, gab Draco schließlich seinen Bedenken laut nach.

Seine Begleiterin lächelte. »Dann feiern wir Weihnachten, so wie es uns gefällt. Zeit, für neue Traditionen.«

Ganz so einfach blieb es freilich nicht. Es waren bereits fünfzehn Minuten Wartezeit vergangen, als im Reisekamin grüne Flammen aufloderten und jene Menschen preisgaben, die Draco überhaupt erst in sein Gefängnis gesperrt hatten. Seine Eltern – und ein Mann, der nur Astorias Vater sein konnte, so bleich wie ihr Gesicht wurde.

Fluchend ergriff er ihre Hand und zog sie mit sich in Richtung Tresen. Die Hexe dahinter sah noch immer nicht auf.

»Sie werden gleich zu Ihrem Portschlüssel geführt«, verkündete sie gelangweilt. »Keine Sorge.«

Derweil traten die Erwachsenen aus dem Kamin und Draco vernahm nur zu gut, wie seine Mutter vorwurfsvoll nach ihm rief, wohingegen sein Vater voller Zorn war.

»Ich geb Ihnen das doppelte an Galleonen, wenn sie uns jetzt schon wegbringen.«

Endlich senkte die Hexe doch ihre Zeitschrift. Misstrauisch warf sie einen Blick hinter Draco, wo der Crup der alten Dame gerade die Neuankömmlinge anknurrte. »Ich hab‘ ehrlich keine Lust auf Ärger.«

Astoria übernahm die Führung und zog den Zauberstab aus ihrem Umhang. »Miss, der Ärger steht geradewegs vor Ihnen«, behauptete sie, während sie Draco beschwichtigend zuzwinkerte.

Aber welchen tollkühnen Plan Astoria auch immer ausgeheckt hatte, sie brauchten ihn nicht mehr. Die verhutzelte alte Hexe, deren Crup sich doch tatsächlich in dem Hosenbein von Dracos Vater verbissen hatte, klopfte mit einer knorrigen Hand auf den Tresen und sah die Empfangshexe eindringlich an.

»Agatha, meine Liebe, lass die Kinder ziehen. Ich denke, sie haben es nötig. Du weißt doch, die Jugend.«

Mindestens ebenso überrascht wie die Hexe hinter dem Tresen, starrte Draco ihre ungewöhnliche Retterin in der Not an. Die zwinkerte nur und stellte sich dann mit wüsten Beschimpfungen seinem Vater in den Weg, dem der Crup noch immer im feinen Stoff hing.

»Na schön ...« Die Empfangshexe erhob sich. »Folgen Sie mir.«

 

Der Portschlüssel setzte sie am anderen Ende der Welt ab, zumindest kam es Draco so vor. Nach einer schwindelerregend langen und schnellen Reise standen sie in einer offenen Hütte, in der nur ein alter Zauberer saß, der wortlos ihre Ankunft abhakte. Salz lag in der Luft und schon von weitem hörte Draco die Wellen.

Die fremdartigen Eindrücke schlugen förmlich auf ihn ein wie ein Klatscher. Da war lautes Vogelgezwitscher, Meeresrauschen, helles Licht und eine Vielzahl an Gerüchen, die er nicht einzuordnen wusste.

Auf jeden Fall bekam Astoria ihren gewünschten Sommersonnenschein, denn anders als in Großbritannien war es warm, ja geradezu heiß. Weiße Schäfchenwolken trieben über einen unnatürlich blauen Himmel und nichts, außer einer völlig unpassenden Girlande aus falscher Tanne und Stechpalmenzweigen, erinnerte daran, dass Weihnachten sein sollte. Es war ein Befreiungsschlag.

Draco nahm einen tiefen Atemzug und besah sich die fremdartigen Pflanzen, die den kurzen Weg hinab zum Strand säumten. Alles erschien ihm vollkommen surreal, wie ein Traum, aus dem er gleich wieder erwachen würde. Er und Astoria passten kein Stück in diese Welt in ihren feinen Festumhängen, die noch im Halbdunkel des Salons so passend gewirkt hatten.

Astoria schien sich daran nicht zu stören. Sie lief ihm voran die einfachen Holzbohlen in Richtung Strand entlang, ihre Arme zu beiden Seiten ausgebreitet. Der Wind fuhr ihr durch die Haare und löste vereinzelte Strähnen aus ihrer anständigen Frisur.

Lachend schleuderte Astoria die Stiefeletten von ihren Füßen und warf die Socken gleich hinterher. Mit ihrem ausgelassenen Übermut konnte Draco nicht mithalten. Doch sie drehte sich zu ihm um, packte seine Hand und ließ ihm keine Wahl, denn sie zerrte ihn einfach mit sich, bis an die Brandung.

Eine warme Welle schwappte über Dracos teure Schuhe hinweg und von ganz alleine zuckten seine Mundwinkel ein Stück in die Höhe. Es war verrückt, vollkommen gedankenlos – ein Abenteuer.

Endlich brachen die Mauern seines Gefängnisses auf. So weit fort von den Grenzen des alten Lebens konnte er wieder anfangen, er selbst zu sein. Dieses Weihnachten, so viel erkannte er, war der Beginn von etwas Neuem.

Wunderschnee [Madame Puddifoot]


 

Hogsmeade, 1965

Madame Puddifoot

 

Unzählige Beziehungen haben in ihrer Teestube begonnen und geendet. Madame Puddifoot hat viele Geschichten über die Liebe zu erzählen – und manchmal sogar ihre eigene.

 

***

 

Madame Puddifoot erkannte auf den ersten Blick, welche Gefühle sich hinter den Besuchenden in ihrem Café verbargen. Das war zum einen die jahrelange Geschäftserfahrung, die sie für kleine Gesten sensibilisiert hatte. Immerhin betrieb sie diesen Hort der Romantik in dem Dorf Hogsmeade nun schon seit einigen Jahren. Zum anderen war es die unselige Gabe, Emotionen lesen zu können, wie Legilimens Gedanken lasen. Ein paar flüchtige Eindrücke reichten, damit die Dinge einfach offen vor ihren Augen lagen, während die Betroffenen selber noch gar nicht wussten, welcher Art ihre Gefühle waren.

Da gab es jene, die kaum ihre Hände – oder Lippen – voneinander lassen konnten, die sich die süßesten Versprechungen zuflüsterten, wenn sie dachten, dass es keiner mitbekam, und deren Empfindungen füreinander doch nur eine flüchtig schmelzende Schneeflocke waren. Andere hingegen schoben reichlich Gründe für einen Besuch in ihrem Café vor. Der gute Honigkuchen, das hörte Madame Puddifoot öfter. Aber dann bedachten sie einander mit sehnsüchtigen Blicken, die viel tiefer gingen als zuckersüße Nichtigkeiten.

Nicht alle trauten sich, zu ihren Gefühlen zu stehen, egal ob bewusst oder unbewusst. Manche kamen her, um eine Lüge zu leben, und andere brachen genau hier aus der Lüge aus. Nicht selten schmerzte Madame Puddifoot das Wissen um die komplizierten Empfindungen ihrer Kunden, erinnerte es doch viel zu sehr an ihre eigene Geschichte. Sie wünschte sich, dass sie allesamt ihr Glück finden würden, obschon sie wusste, dass nicht jedes Schicksal ein fröhliches war.

Doch in einer Sache, da konnte sie nachhelfen: Wer immer in das Café kam, sollte einen sicheren Rückzugsort finden. Natürlich konnte auch Madame Puddifoot nicht verhindern, dass die Besuchenden ihres Cafés einander sahen, aber die reichhaltige Deko sorgte oft genug dafür, dass die Aufmerksamkeit von den innig umschlungenen Pärchen abgelenkt wurde. Zwischen berüschten Sitzecken und allerhand Flitterkram fiel es oftmals gar nicht auf, dass zwei Spieler gegnerischer Quidditchmannschaften einander tief in die Augen sahen oder eine Lehrerin eine Flucht aus dem geregelten Schulalltag unternahm.

Madame Puddifoot hielt sich stets im Hintergrund. Ihre Gäste kannten sie als rundliche kleine Dame mit krausen Locken und fröhlichem Lächeln, die mit ihrem Zauberstab geschwind Teetassen und Silberbesteck durch die Luft dirigierte. Manche attestierten ihr hinter vorgehaltener Hand einen schlechten Geschmack, nur um dann doch wiederzukommen. Dennoch hatten sie alle einen Platz in ihrem Herzen. Auch jene, die in ihrem Laden nicht glücklich wurden.

Für die Festtage gab Madame Puddifoot sich besondere Mühe. Fingerdick türmte sich Galanthias Wunderschnee – der ewige Traumwinter seit 1874, jetzt mit verbessertem Minzduft! – auf den Girlanden aus Tannenzweigen und Misteln. Dazu schwebten reichlich bunte Christbaumkugeln mit kleinen Lichtern unterhalb der Decke, zwischen denen ein verzauberter Weihnachtsmann auf seinem Rentierschlitten umherflog, einen Wirbel aus Eiskristallen hinter sich herziehend. Je mehr, desto besser, befand die Caféinhaberin.

Weihnachten war immer Marys liebstes Fest gewesen, noch vor dem Valentinstag. Die Erinnerung an ihr strahlendes Gesicht angesichts des frischgeschmückten Weihnachtsbaumes lebte in dem vollgestopften kleinen Laden fort. Abgesehen davon lenkte der mannigfaltige Kitsch so manche Gäste von den tristen Sorgen des Alltags ab. Unter den funkelnden Eiskristallen des Wunderschnees, die im Gegensatz zu der weißen Pampe auf den Pflasterstraßen des Dorfes immer in perfekter Form blieben, war es schwer, sich nicht vom Weihnachtsrausch mitreißen zu lassen. Dazu das neuste Lied von Celestina Warbeck im Hintergrund und die Atmosphäre war optimal.

 

Heute saßen unter den künstlichen Schneeflocken nur wenige Gäste, was wohl auch dem Schneetreiben draußen zu Schulden war. In einer Ecke versteckten sich zwei von Madame Puddifoots liebsten Besuchenden und schoben mit regelrechten Bergen an Pergamenten vor, zu arbeiten – die Verwandlungslehrerin aus dem Schloss oben mit ihrem Verehrer aus dem Ministerium. Die Caféinhaberin zählte eigentlich nur die Minuten, bis der Mann der Professorin unweigerlich einen Heiratsantrag machen würde – den sie seit Jahren abzulehnen pflegte. Die beiden waren ein kompliziertes Gespann und vielleicht gerade deswegen Stammgäste.

Doch unter einem Klingeln der Türglocke betrat jemand Neues den Laden. Eine schmale junge Frau in einen dicken Wollumhang gehüllt. Ihr Blick wanderte suchend durch das Innere des Cafés und blieb schließlich an Madame Puddifoot hängen. Eine beschämte Röte, die nichts mit der Wärme hier drinnen zu tun hatte, kroch in ihre Wangen. Offenbar war die Person ihres Herzens noch nicht hier, wie Madame Puddifoot aus ihrer Verlegenheit las.

Die Inhaberin setzte ihr bestes großmütterliches Lächeln auf und geleitete das nervöse Mädchen – sie durfte kaum volljährig sein – zu einem der kleinen spitzenbedeckten Tischchen. Es war kein Zufall, dass der Laden fast nur Sitzecken für zwei hatte. Die meisten Gäste bevorzugten die Zweisamkeit. Und hin und wieder bestätigten Ausnahmen die Regel.

»Tee? Kaffee?«, fragte sie beschwingt, in der Hoffnung, dass das junge Ding ein wenig auftauen würde.

»O-oh ... einen Kräutertee, bitte.«

Die neue Besucherin gewann eine Gesichtsfarbe, die mit den pinken Tapeten konkurrieren konnte. Haltsuchend klammerte sie sich an die ebenso pinke Serviette, während Madame Puddifoot ihr das gewünschte Getränk servierte.

»Keine Sorge«, sagte die Inhaberin sanftmütig zu ihr, »früher oder später tauchen sie alle auf. Den guten Honigkuchen schlägt schließlich niemand aus.«

Natürlich wusste jeder, dass man ihr Café nicht allein deswegen besuchte, aber hin und wieder half es, sich unwissend zu stellen, damit die Gäste sich nicht so offenbart fühlten.

Das Mädchen jedoch klammerte sich wie eine Rettungssuchende an die dampfende Teetasse und nahm einen raschen Schluck, obwohl das Getränk noch viel zu heiß sein musste. »Ich hoffe es«, murmelte es ausweichend.

Madame Puddifoot registrierte, wie sich eine wehmütige Färbung in ihre Stimme einschlich. Hoffnung und der Verlust eben dieser kämpften in den drei knappen Worten miteinander. Sie erahnte, dass diese Besucherin ihr Café vielleicht mehr brauchen würde als andere.

»Ich bringe dir schon einmal ein Stück zum Probieren. Geht auf’s Haus.« Zwinkernd verschwand sie hinter ihren Tresen und suchte sich aus ein besonders saftiges Stück aus, das sie dem armen Kind bringen konnte.

Als der Kuchen von Zauberhand getragen vor ihr niedersank, sah das Mädchen kurz auf und ein zaghaftes Lächeln streifte dessen Lippen.

Draußen wurde es langsam dunkel. Ganz wie von Madame Puddifoot vorhergesehen, gab es an diesem Abend wieder einen Heiratsantrag, der unter reichlich Verlegenheit, vorgeschobenem Gelächter und vorwitzigen Worten abgelehnt wurde. Außer ihr bekam das wohl niemand mit, aber sie hatte Celestina Warbeck auch mit einem diskreten Schwung des Zauberstabs etwas lauter gestellt.

Ihre jüngste Besucherin indes saß immer noch alleine an ihrem Tisch. Die Schlucke, die sie aus der Teetasse nahm, wurden zusehends kleiner und die Aura der Sorge um sie herum wuchs mit jedem davon weiter an. Madame Puddifoot ahnte, dass sich hier vielleicht ein weniger glückliches Schicksal verbarg.

Da sie gerade kaum zu tun hatte, nahm sie sich die Teekanne und trat erneut an den Tisch des Mädchens heran. »Noch etwas Tee, meine Liebe?«

Fast schon erschrocken weiteten sich die Augen ihrer Besucherin. »Oh, nein, danke ... ich – ich warte nur noch kurz ...«

Ihre Verlegenheit war so umfassend, dass Madame Puddifoot selber sich fühlte, als würde sich ein Fesselzauber um ihr Herz legen. Sie war starke Gefühle gewöhnt – man könnte ihr wohl vorwerfen, dass sie geradezu ihre Nähe suchte mit diesem Café voller Liebesgeschichten –, aber die Intensität dessen, was sie ausstrahlte, war besonders.

»Es wartet sich besser mit etwas heißem Tee«, lächelte Madame Puddifoot ihr zu.

»Ah, ich ... habe nicht so viele Sickel dabei.«

»Dann lass das mal meine Sorge sein. Geld ist nicht alles. Wenn du möchtest, geht das auch auf’s Haus.«

Die Tasse in den Händen der jungen Frau klapperte gegen die Untertasse, als sie beschämt in die klägliche Pfütze Tee starrte. »Das kann ich unmöglich annehmen.«

»Nun, ich will es dir nicht aufdrängen, aber falls du es dir anders überlegst – ich stelle die Kanne hier hin.«

Mit diesen Worten entließ Madame Puddifoot ihre Besucherin aus ihrer Verlegenheit und kehrte wieder hinter den Tresen zurück. Jede Person, die ihr Café besuchte, war anders, sehnte sich nach unterschiedlichen Dingen. Dank ihrer Gabe und jahrelanger Erfahrung gelang es Madame Puddifoot zumeist, ihren Gästen den Raum zu geben, den sie sich wünschten.

Noch war ihr allerdings nicht klar, ob die einsame junge Dame aufmunternde Worte brauchte oder doch eher Abgeschiedenheit. Ihr selber sehnte es danach, der Armen gut zuzureden, aber sie hatte auch gelernt, dass sie sich nicht aufdrängen durfte. Eine Lektion, die Mary sie gelehrt hatte.

Der Abend schritt immer weiter voran und einer nach dem anderen verließen die übrigen Gäste das gemütliche Café. Selbst die Lehrerin und der Ministeriumsbeamte packten langsam ihre Pergamente zusammen. Offiziell würde Madame Puddifoots bald schließen. Doch an einem Tisch saß nach wie vor eine einsame junge Frau, die ihren Tee in viel zu kleinen Schlucken trank. Madame Puddifoot war das Herz schwer, als sie erneut zu ihr trat.

»Oh, ich sollte gehen, nicht wahr?« Sie grub in den Tiefen ihres Umhangs nach dem Geldbeutel.

Beschwichtigend legte Madame Puddifoot ihr eine Hand auf die Schulter. »Alles in Ordnung, meine Liebe. Macht es dir etwas aus, wenn ich mich zu dir setze? Wenn man nicht alleine ist, wartete es sich noch besser.«

Überrascht sah das Mädchen auf. »Glauben Sie denn, dass sie noch kommt?«

»Glaubst du es?«

»Ich weiß es nicht.« Sie schniefte leise. »Ich hoffe es.«

Sanft lächelnd setzte Madame Puddifoot sich neben ihr in den Sessel. »Dann wollen wir diese Hoffnung noch nicht aufgeben.«

»Sie würde kommen, das weiß ich«, murmelte ihr Gegenüber zögerlich. »Aber wenn ... wenn sie aufgehalten wird ...«

Die Worte versetzten Madame Puddifoot einen feinen Nadelstich ins Herz. Das war eine Angst, die sie viel zu gut verstand. Als Mary noch gelebt hatte, war das ein Gedanke, der sie selber oft genug verfolgt hatte. Ihre Eltern hatten diese Beziehung nie gutgeheißen.

»Wenn sie aufgehalten wird, dann sollten wir wohl noch etwas länger warten.«

»Meinen – meinen Sie das ernst?«

»Selbstverständlich. Weißt du, Liebes, meine Freundin hat mich früher auch oft warten lassen. Aber am Ende ist sie immer aufgetaucht. Manchmal eine Stunde zu spät, manchmal einen Tag. Was zählt, ist, dass sie immer den Weg zu mir gefunden hat. Also habe ich immer auf sie gewartet.«

Die Besucherin beschrieb mit ihrem Finger Kreise auf dem Rand der Teetasse. »Vielleicht wird sie aber nie auftauchen. Vielleicht ist dieses Mal alles anders.«

»Aber sie will zu dir zurückkehren, nicht wahr?«

Das Mädchen nickte. »Nur wenn ... ihre Familie sie jetzt einfach zwingt, diesen Reinblüter zu heiraten ... dann spielt das wohl keine Rolle mehr.«

Madame Puddifoot sah hinauf zu dem fliegenden Weihnachtsschlitten, der immer noch seine Spur aus Wunderschnee über ihnen verstreute. Das war Marys liebste Weihnachtsdekoration gewesen, erinnerte sie sich wehmütig.

»Solange sie zu dir zurückkehren will, wird es eine Rolle spielen.«

»Was macht sie da so sicher?«

Ein leichtes Lächeln umspielte Madame Puddifoots Züge und sie schenkte sich eine eigene Tasse Tee ein. »Ich weiß es, weil ich es selber erlebt habe.«

Sie erzählte nicht oft die Geschichte, wie sie sich in der Schulzeit in Mary verliebt hatte – und Mary in sie. Inzwischen tat es nicht mehr weh, an ihre verstorbene Frau zu denken, aber sie behielt die Erinnerung an das Mädchen, das Kitsch über alles geliebt hatte, doch gerne für sich. Hin und wieder verlangte das Leben jedoch von jeder Regel eine Ausnahme. So wie jetzt.

Ähnlich wie ihre Besucherin hatten auch sie und Mary immer um ihre Liebe kämpfen müssen. Gegen die Eltern, die sich längst einen Verlobten ausgesucht hatten, der ihren Erwartungen gerecht wurde, gegen die Gesellschaft, die nicht bereit für ihre Liebe war. Umso mehr erfüllte sie der Gedanke daran mit Hoffnung, dass sie immer gewonnen hatten. Dass sie ihren Frieden in den kleinen vier pinken Wänden des Cafés gefunden hatten.

Während Madame Puddifoot erzählte, brach endgültig die Nacht herein, doch es war noch Zeit, zu warten. Endlich taute auch die junge Frau langsam auf und traute sich, davon zu erzählen, wie sie sich in ihre Freundin verliebt hatte. Sie berichtete von verstohlenen Treffen bei Nacht im Eulenturm oder im Schutz der Bäume. Und von der Kluft zwischen Reinblütern und Muggelgeborenen, die ihren Gefühlen füreinander entgegenstand. Die dafür sorgte, dass ihre Liebste einen anderen heiraten sollte, um die Familie zufriedenzustellen.

Kein Wunderschnee dieser Welt konnte über den Schmerz dieser Erfahrungen hinwegtäuschen, aber zumindest wusste das Mädchen nun, dass sie nicht alleine war.

Der neue Tag brach gerade an, da öffnete sich unerwartet mit einem Klingeln die Tür. Madame Puddifoot brauchte keine hellseherischen Fähigkeiten, um an dem strahlenden Gesicht ihres Gastes zu erkennen, dass die späte Nacht noch ein Happy End brachte. Als die beiden jungen Frauen einander überglücklich in die Arme fielen, wärmte es auch ihr Herz wie ein Abend am heißen Kaminfeuer.

Mit einem Lächeln sah sie ihnen hinterher, sobald sie auf die verschneite Straße hinaustraten, die Reste des Honigkuchens bei sich, und mit einem leisen Knall in ein neues Leben hinein disapparierten. Sie dankte Mary ein weiteres Mal, dass sie sich für dieses Café entschieden hatte.

Adventsdesaster [Andromeda Black/Bellatrix Lestrange]


 

London, 1971

Andromeda Black und Bellatrix Lestrange

 

Triggerwarnung: Thematisierung von Zwangsheirat, negative Familienbeziehung

 

Nicht in jeder Familie ist Weihnachten auch das Fest der Liebe. Auf Andromeda warten nur Hindernisse – bis sie es nicht mehr aushält.

 

***

 

Schon bevor die Feier angefangen hatte, war Andromeda von schlechter Laune erfüllt. Solange sie noch Hogwarts besucht hatte, konnte sie immerhin die Weihnachtsferien dort verbringen, fernab des dunklen Herrenhauses, das ihre Eltern zuhause schimpften. Doch nun war ihr mit dem Schulabschluss der sichere Unterschlupf genommen worden und stattdessen erwartete man, dass sie dem Familiennamen alle Ehre erwies und sich endlich einen passenden Verlobten ‚aussuchte‘. Freilich wollte niemand wirklich, dass Andromeda sich irgendwas aussuchte. Sie sollte gehorchen, das stand an erster Stelle.

Für heute lautete die Erwartung, dass Andromeda sich manierlich kleidete – bloß nicht zu aufreizend, aber auch nicht zugeknöpft wie ihre hundertdreizehnjährige Großmama, und sich unter die wohlhabenden Gäste mischte. Natürlich hatte ihre Mutter ihr genau vorgegeben, welche Ziele sie heute Abend auf dem Adventsball haben würde. Es waren nicht viele Familien verblieben, deren Namen dem der Blacks ebenbürtig waren und noch weniger, mit denen sie nicht längst durch Heiraten verbunden waren.

Nicht eine Sekunde interessierte Andromeda sich für die kurze Liste an männlichen Nachfahren des Reinblutadels, die ihre Mutter ihr notiert hatte. Sie musste diese aufgedunsenen Schnösel nicht einmal ansehen, um zu wissen, dass keiner von denen ihr Herz erobern konnte. Das war längst vergeben, an einen Mann, den ihre Familie kaum unpassender finden konnte.

Geplant hatte sie es nicht, sich ausgerechnet in einen Muggelgeborenen zu verlieben. Früher einmal hätte es ihr sogar Angst bereitet. In einer Zeit lange vor dieser hatte sie es sich nicht vorstellen können, ihre Eltern zu enttäuschen. Jetzt war es beinahe so etwas wie eine Herausforderung, zu sehen, wie weit sie noch gehen konnte.

Angesichts der Liste möglicher Verlobter wusste Andromeda, dass sie ihre letzte große Mutprobe gefunden hatte. Ihre Ankündigung, die sie plante, heute Abend zu treffen, würde das Band zwischen sich und ihrer Familie endgültig kappen. Es tat ihr nicht leid, um keinen von ihnen. Höchstens für Narzissa, ihre jüngste Schwester, bedauerte sie es. Aber die war ohnehin noch in Hogwarts und genoss ein Weihnachten fernab der familiären Zwänge. Andromeda hoffte nur, dass auch sie erkennen würde, dass keine vermeintliche Familienehre der Welt es wert war, sich selber derart zu verkaufen, wie ihre Eltern es beabsichtigten.

Nicht einmal Bella mochte ihren Mann, aber da er ebenso ein Fanatiker wie sie war, hatte sie ihn trotzdem geheiratet. Fast freute Andromeda sich am meisten darauf, ihrer Schwester das Lachen vom Gesicht zu wischen, wenn sie sich heute endgültig lossagte. Sie würde da sein, mit ihrem brandneuen dunklen Mal auf dem linken Unterarm, aber sie würde nicht kommen sehen, dass ihre kleine Schwester wirklich die Sachen packte, um einen Muggelgeborenen zu heiraten.

Andromeda hatte Ted nicht erzählt, was sie vorhatte. Er hätte sie eine Närrin geschalten, versucht sie von ihrem Vorhaben abzuhalten. Er wusste genau, wie ihre Familie veranlagt war und äußerte regelmäßig die Befürchtung, dass ihre Sturheit Andromeda irgendwann in ernsthafte Schwierigkeiten bringen würde. Aber das lag eben in den black’schen Genen. Wenn sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatten, dann konnte sie keiner mehr aufhalten, höchstens der Tod.

Ganz die brave Tochter, gab sich Andromeda größte Mühe, sich zurechtzumachen. Sie zog ihren besten schillernden Umhang an, verwendete zwei Stunden darauf, ihre Haare mit diversen Tränken und Zaubern zu bearbeiten, bis die dunklen Locken zu einer vorbildlichen Hochsteckfrisur aufgetürmt waren, und gab sich größte Mühe, ein unschuldiges Make-up aufzulegen.

Den Kopf demütig gesenkt schritt sie die große Treppe hinab in den Salon und ließ sich von ihren Eltern vorführen wie ein aufregendes neues Besenmodell, das der geifernden Menge präsentiert wurde. Sonderpreis, nur heute 500 Galleonen, dachte sie bitter, während ihre Mutter ihre Hand an den erstbesten Interessenten weiterreichte, damit dieser mit ihr tanzen konnte.

Sie schenkte dem großgewachsenen Zauberer, der sicher mehr als zehn Jahre älter war, nur ein allzu süßes Lächeln, aber ihre Gedanken nahmen eine sehr viel düstere Färbung an. Ihr schmaler Absatz landete mit größter Berechnung auf seinem kleinen Zeh, ihr Ellenbogen in einer schwungvollen Drehung direkt auf dem Solarplexus. Unter schüchternem Kichern entschuldigte Andromeda sich für jede Gemeinheit, ohne es je zu meinen. Letztlich wollten all die aufgeblasenen Schaumschläger, die heute Abend Schlange standen, um mit ihr zu tanzen, ja schließlich etwas von ihr. Bis sie ihnen allen ihr nicht vorhandenes Herz brach, konnte sie die Kerle wenigstens noch quälen.

Man mochte ihr nachsagen, dass sie umgänglicher war als ihre älteste Schwester, doch die ein oder andere Gemeinheit vereinte sie dennoch. Wenn überhaupt war Narzissa die Liebenswürdige, was sie allerdings hinter einem eisigen Blick zu kaschieren wusste.

Fast machte es Spaß, diesen Abend kein bisschen ernstzunehmen. Andromeda war wohl bewusst, dass ihre Mutter sie mit Argusaugen beobachtete und mehr als einmal ihre Lippen fest zusammenkniff, ehe sie enttäuscht den Kopf schüttelte. Doch entgegen ihren sonstigen Erfahrungen hatte sie dieses Mal nicht das Gefühl, eine große Riesenhand würde ihr die Luft abschnüren. Sie würde bald frei sein und das ließ sie wie auf Wolken tanzen.

Bella musterte sie mit einem ganz anderen Blick, der schon eher von Misstrauen zeugte. Auch wenn die letzten Jahre sie zusehends entzweit hatten, sie waren einander zu gleich, als dass sie ihre Schwester hätte täuschen können. Die älteste Black-Tochter ahnte etwas, so viel stand fest.

Sobald die finalen Klänge des Klaviers verklungen waren, löste Andromeda die Hand von dem letzten heiratswilligen Kandidaten und entschuldigte sich mit einer kleinen Verbeugung. Niemand brauchte ihr zu sagen, was man nun von ihr erwartete – sie sollte zu ihren Eltern gehen und diskret den Namen desjenigen äußern, der ihr am besten gefallen hatte. Nach einigem Hin und Her sowie dem Austausch einer nicht unerheblichen Menge an Galleonen würde sich dann sicher ein Arrangement finden lassen, dem beide Familien zustimmen würden. Noch vor dem Weihnachtsfest würde man die Verlobung in trockenen Tüchern wissen.

Andromeda jedoch ballte ihre Hände zu Fäusten und trat festen Schrittes auf das kleine Grüppchen aus Mutter, Vater und Schwester nebst Ehemann zu. Dahinter drängelten sich noch weitere Onkel und Tanten, die alle viel zu viel Interesse an dem Fortbestand ihres gehegten Familienstammbaums hatten. Für Walburga hatte Andromeda ein besonders nettes Lächeln reserviert. Sie freute sich insgeheim schon darauf, von ihrem Stammbaum ausgelöscht zu werden. Die hässlichen Tapeten im Salon ihres Hauses am Grimmauldplatz waren ihr bereits als kleines Kind unheimlich erschienen.

Druella streckte eine Hand aus, als wollte sie ihre Tochter in eine Umarmung ziehen. Auch das wusste Andromeda besser. Eine echte Umarmung hatte es zuletzt gegeben, da war sie sieben Jahre alt. Nein, das alles diente nur rein symbolischer Nähe, völlig von Gefühlen befreit. Ein Tanz, den das Leben in diesem Haus ihr besser als jeden anderen gelehrt hatte.

»Andromeda, Schatz«, flötete ihre Mutter voll täuschend echter Anteilnahme, »ich hoffe, du hast dich amüsiert.«

Lügnerin.

»Prächtig.« Sie konnte den Sarkasmus nicht aus ihrer Stimme fernhalten. Darin war sie schon immer schlecht gewesen.

Verstimmt zeichnete sich eine Falte zwischen den Augenbrauen ihrer Mutter ab. »Nun, das freut mich. Es war sicher ein aufregender Abend.«

Heuchlerin.

»Vollkommen.«

Es kostete Andromeda größte Mühe, nicht ungeduldig mit der Fußspitze auf den Boden zu tappen. Sie wollte das endlich zu Ende bringen. Ein erwartungsvoller Blick aus blauen Augen richtete sich begierig auf sie, als wäre sie nicht länger eine geliebte Tochter, sondern bloß ein Experiment. Gleich würde sich entscheiden, ob der Trank im Kessel die passende Färbung annahm oder doch alles explodierte und jedem in Reichweite hässliche Furunkel verpasste.

»Welchen Mann würdest du denn gerne wiedersehen?«

Verräterin.

Andromeda straffte sich. Endlich war er da, der Moment auf den sie so lange gewartet hatte. Ein listiges Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. »Rate doch einmal.«

Bella hob eine Augenbraue und schoss ihrer Schwester einen Blick zu, der halb Amüsement, halb Provokation war.

Ihre Mutter indes bedachte ihre Tochter mit einem müden Seufzen. »Ich bin nicht hier, um zu raten, Kind.« Sie machte eine Handbewegung, die Andromeda eindeutig dazu aufforderte, zum Schluss zu kommen.

»Oh, dann will ich es versuchen«, kicherte Bella in einem Anfall von Vergnügen. »Es ist dieser Muggel, nicht wahr?« Das Lächeln umspielte zwar ihren Mund, doch ihre Augen bohrten sich scharf in Andromeda. »Diese traurige kleine Entschuldigung eines Mannes.«

Der Vorteil daran, in dieser Familie aufgewachsen zu sein, lag darin, dass das falsche Lächeln Andromeda genauso lag wie ihnen allen. Selbst im Angesicht dieses unverhohlenen Hasses lag es perfekt auf ihrem Gesicht und gab ihr den Anstrich einer liebreizenden jungen Dame, gerade einmal achtzehn Jahre.

»Es ist Edward Tonks. Dieser muggelgeborene Zauberer, wenn ich bitten darf. Auch wenn ich ihn lieber Ted nenne. So viel Zeit muss sein, findest du nicht, Bella?«

Was immer ihrer Schwester dazu einfiel, das laute Luftschnappen ihrer Mutter zog alle Aufmerksamkeit auf sich. »Andromeda Black!«, herrschte sie mit aufgeblähten Nasenflügeln. »Unterlass diese geschmacklosen Scherze!«

»Scherz?« Nun war es an Andromeda, zu schnauben wie ein wütender Drache. »Denkst du, das wäre ein ... Scherz?« Sie schüttelte den Kopf. »Ich werde Edward Tonks heiraten. Das ist meine Entscheidung.«

Die bleichen Gesichter der ach so ehrwürdigen Familie Black waren jedes bisschen Leid auf diesem Adventsball wert. Das kollektive Luftschnappen, die beringten Hände, die in Richtung Herzen wanderten, die anklagenden Blicke ... es war noch besser, als Andromeda es sich vorgestellt hatte. Und ihr war genau bewusst, dass ihr in diesem Moment sämtliche Aufmerksamkeit im Saal galt.

»Ja, ihr habt richtig gehört und ich werde es gerne noch lauter für alle auf den billigen Plätzen wiederholen«, verkündete sie selbstzufrieden, »ich werde den muggelgeborenen Edward Tonks heiraten! Eure Söhne in den feinen Festumhängen voll angeblich so reinem Blut sind so langweilig wie ein Eimer Flubberwürmer. Lieber wäre ich tot anstatt mit einem von ihnen verheiratet!«

»Wünsch dir das nicht, Schwesterchen«, säuselte Bella leise. Mit einem Mal hielt sie ihren Zauberstab zwischen den langen Fingern und strich liebkosend darüber. »Nachher erfüllt dir noch jemand deinen Wunsch.«

Andromeda drückte ihren Rücken durch und hob das Kinn so hoch es ihr der black’sche Hochmut erlaubte. »Keine Sorge, meine Sachen sind bereits gepackt. Ihr habt doch nicht geglaubt, ich würde weiter in diesem Haus leben? Das hier«, sie breitete die Arme grinsend aus, »ist mein Abschied.«

Urplötzlich schnellte die Hand ihrer Mutter vor und schloss sich eiskalt um ihr Handgelenk. »Das wirst du nicht! Du wirst nicht diese Schande über unsere Familie bringen!«

Mit einem Ruck wollte Andromeda ihre Hand abschütteln, doch der Griff ihrer Mutter blieb eisern. Sie funkelte sie an, aber in dieser Disziplin war Druella ihr überlegen. »Lass mich los«, zischte sie schließlich.

»Sicher nicht. Bella – bring sie hoch in ihr Zimmer. Und sieh zu, dass sie dort bleibt. Wir werden uns später überlegen, wie wir diese Frechheit bestrafen

Ihr Vater derweil musste nicht ein Wort sprechen, um seine Enttäuschung zu zeigen. Er wandte bloß den Blick von seiner einst so geliebten Tochter ab. Wenn da nicht die pochende Ader an seiner Schläfe gewesen wäre, es hätte fast den Anschein erweckt, dass es ihm gleichgültig war.

Bella lachte auf und bohrte Andromeda den Zauberstab in den Rücken. »Tja, das ist wohl nicht gelaufen, wie unser kleines Prinzesschen sich das erhofft hat«, sagte sie höhnisch, während sie Andromeda vor allen Augen unsanft die Treppe hinaufbugsierte.

Eine Reihe schockierter, bestürzter und erzürnter Blicke folgte ihnen. Mit ihrem kleinen Auftritt hatte Andromeda wirkungsvoll ihren Ruf in diesen Kreisen zerstört. Zumindest diese Gewissheit erfüllte sie mit Befriedigung.

»Als wenn du nicht ebenso gerne geflohen wärst, wenn sich die Chance geboten hätte, Rodolphus loszuwerden«, lachte Andromeda bitter. Ihr Kampfgeist war noch nicht erschöpft. Sie würde heute verschwinden, das stand fest. »Welchen hätte ich denn deiner Meinung nach aussuchen sollen? Den schleimigen Sohn von Malfoy? Den viel zu alten Sohn von Nott? Die Gesichtsgrätsche von Goyle?«

»Einen Reinblüter.«

Ihre Schwester stieß sie mit einem groben Stoß in den Rücken vorwärts in ihr Zimmer. Erneut lachte Andromeda freudlos auf. »Damit ich weitere Kinder zeugen darf, die aussehen wie ihre Großväter, dieselben Namen tragen und genauso unausstehlich werden? Nein danke.«

»Und deshalb suchst du dir einen minderwertigen Mann aus? Was findest du nur an ihm?«

»Eine Menge Dinge, die du offenbar nicht verstehst, Bella. Schon einmal etwas von Respekt, Zuneigung – Liebe – gehört?«

»Seine Magie ist höchsten zweitrangig. Was meinst du, was das für eure Kinder bedeuten wird? Falls sie nicht gleich als dreckige Squibs enden.«

»Rührend. Sorgst du dich jetzt etwa um meine Zukunft?«

»Eher um die dieser Familie. Du hättest dem dunklen Lord dienen können-«

Andromeda blieb ruckartig vor dem Bett stehen. »Warum? Warum sollte ich das tun? Im Gegensatz zu dir«, sie drehte sich um, damit sie ihre Schwester geradewegs ansehen konnte, »habe ich keinen Spaß daran, anderen wehzutun.«

Bellatrix bohrte den Zauberstab unter Andromedas Rippen. Da war kein Funke schwesterlicher Zuneigung mehr in ihren dunklen Augen. Doch Andromeda konnte ihre Zunge nicht aufhalten.

»Dir sind diese ganzen Reinblüter doch selber egal! Erzähl mir nicht, dass du Rodolphus liebst oder irgendwen anders, sonst muss ich lachen. Nein, du willst nur andere leiden sehen und die Muggel haben einfach nur das Pech, sich nicht wehren zu können. Merlin, wie ich dich verachte

Das hätte sie besser nicht ausgesprochen, aber nun hingen die Worte im Raum. Bellatrix war keine Person, die erbleichte oder gar vor Zorn rot anlief. Sie blieb vollkommen still in ihren Abgründigkeiten. Ihr Zauberstab, der sich empfindlich zwischen Andromedas Rippen bohrte, war die einzige Erinnerung daran, dass sie bereits gemordet hatte. Wozu sie fähig war, mit einem Lächeln auf den Lippen – das sich auch jetzt langsam ausbreitete.

»Oh Schätzchen, willst du etwa, dass ich deine Strafe aussuche?«

Einzig der Blick aus Bellatrix dunklen Augen kündete davon, was ihr durch den Kopf gehen mochte. Andromeda reckte ihr Kinn höher. Sie hatte keine Angst. Schließlich war sie immer noch eine Reinblüterin, ihre Schwester. Das würde nicht einmal Bellatrix wagen.

»Nur zu, Meda, geh, lauf davon zu deinem elenden Schlammblüter! Flüchte dich in seine Arme vor deiner ach so bösen Familie!«

Kichernd legte Bellatrix den Zauberstab an ihr Kinn, aber Andromeda rührte sich nicht vom Fleck. Sie traute dem Frieden nicht. Das war eine Falle, musste es sein. Ihre Schwester würde sie niemals einfach ziehen lassen.

»Was hast du vor?«

Amüsiert legte Bellatrix den Kopf in den Nacken. Sie genoss dieses Spiel sichtlich. »Ich werde euch schon früh genug finden, egal wie weit ihr rennt. Der dunkle Lord wäre bestimmt erfreut, wenn ich das Problem namens Ted Tonks beseitige, denkst du nicht? Und es macht nur halb so wenig Spaß, wenn du ihn nicht leiden siehst.«

»Das würdest du nicht tun«, wisperte Andromeda. Sie war sich nicht sicher, ob sie sich mit ihren Worten nicht selber belog. Bellatrix hatte sich das dunkle Mal verdient, das wusste sie nur zu gut.

»Willst du es herausfinden?«

»Du bist doch vollkommen irre!«

Andromeda wäre einen Schritt zurückgewichen, würde die Bettkante nicht bereits in ihre Kniekehlen drücken. Aber Bellatrix lachte immer noch und wandte sich von ihr ab. Lauernd wie eine Raubkatze wanderte sie durch das Zimmer und lehnte sich dann an den Schminktisch.

»Na los, kleine Meda, nimm deine Sachen und verschwinde. Glaubst du, du wirst noch eine weitere Chance bekommen, dich in die Arme deines geliebten Schlammblutes zu stürzen? Vater wird dich nicht damit davonkommen lassen. Das war dumm, sehr dumm von dir.«

In wenigen Schritten war sie bei der gepackten Tasche. Hastig griff Andromeda die wichtigsten Überreste ihres Lebens, verpackt in eine einzige Reisetasche.

»Spätestens wenn der dunkle Lord regiert, wirst du deine Wahl bereuen, kleine Schwester.« Bellatrix entzündete mit einem Zauberstabschlenker ein Feuer im Kamin. »Und dann werden wir uns wiedersehen.«

Wortlos starrte Andromeda ihre Schwester einen Moment lang an. Sie hatte ihr nichts mehr zu sagen, ganz sicher keinen Dank für ihre Flucht. Da war nur noch Abscheu. Also griff sie sich eine Hand voll Flohpulver, warf es in die Flammen ihres Kamins und ließ die Familie Black endgültig hinter sich.

 

Der Muggel auf der gegenüberliegenden Straßenseite, der mit seinem Hund spazieren ging, warf Andromeda einen misstrauischen Blick zu. Hastig eilte sie mit klappernden Absätzen weiter. Sie hörte noch, wie das Tier ein leises Knurren hören ließ, dann bog sie um die nächste Ecke.

Endlich näherte sie sich ihrem Ziel. Sie hatte kein Geld für ein Muggeltaxi gehabt und seit sie in den tropfenden Kessel gereist war, hatte sie sich in ihrem feinen Aufzug durch das London der Muggel geschlagen. Ihre Füße waren inzwischen zu Eisklötzen gefroren und Schneeflocken hatten den viel zu dünnen Umhang durchnässt. Aber all diese Blessuren rückten in den Hintergrund, als sie vor der richtigen Gartenpforte zu stehen kam.

Ein handgeschriebenes Schild verkündete, dass hier Familie Tonks lebte. Andromeda war bisher nie bei Ted daheim gewesen, aber sie hatte sich erinnert, dass die Adresse in einem seiner Briefe gestanden hatte und von da aus hatte sie sich durchgefragt. Mehr als einmal hatte man sie in die falsche Richtung geschickt, doch nun war sie endlich angekommen.

Im Vorgarten stand ein kleiner Busch, den eine Lichterkette zierte und vom Vordach hing eine Girlande aus Eiszapfen hinab. Ganz anders als das Herrenhaus ihrer Familie wirkte das schlichte Reihenhaus richtig einladend. Durch die hellerleuchteten Fenster erkannte sie die Umrisse eines Tannenbaums im Wohnzimmer. Seine Spitze war etwas schief, wie sie mit einem kleinen Lächeln registrierte. Bei ihren Eltern stand in jedem Zimmer ein großer Baum und allesamt waren sie gleich geschmückt, mit makellos glänzenden Kugeln, die die Hauselfen täglich polierten. Andromeda wusste schon jetzt, was ihr besser gefiel.

Ihre Tasche fest umschlungen, trat sie auf den verschneiten Pfad hinauf zum Eingang. Auf ihr Klingeln hin öffnete natürlich nicht Ted die Tür, sondern eine Frau, die seine Mutter sein musste. Sie betrachtete Andromeda mit einiger Verwunderung, ehe sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht ausbreitete.

»Ich habe mich schon gefragt, wann wir uns endlich kennenlernen. Komm doch rein!«

Weihnachtszauber [Tom Riddle]


 

Hogwarts, 1938

Tom Riddle

 

Wenn Leute vom Weihnachtszauber sprechen, kann Tom Riddle nur den Kopf schütteln. Schon mit elf Jahren macht er sich nicht viel aus diesem Fest, das alle anderen in seinen Bann zieht. Doch Weihnachten in Hogwarts ist besonders ...

 

***

 

Weihnachten war ein schreckliches Fest. Zu dieser Feststellung gelangte Tom früh in seinem jungen Leben und wie in so vielen Belangen war er der Überzeugung, dass diese Ansicht sich nie ändern würde. Die Fröhlichkeit, die so vielfach in Weihnachtsliedern besungen wurde, hatte sich ihm, bei aller rationaler Betrachtung, nie erschlossen. Viel mehr kam es ihm wie ein innerer Zwang der Menschen um ihn vor. Je stärker die selige Atmosphäre des Fests bekräftigt wurde, desto eher würde sie sich bewahrheiten, so schien der Glaube.

Von diesem angeblichen Zauber – welch herabwürdigende Nutzung des Wortes Zauber, wie er sich später ärgerte – des Weihnachtsfests spürte man im Waisenhaus nichts. Unter halbherzig aufgehängter Weihnachtsdekoration, von der sich die Farbe schälte wie die schimmelige Tapete in manch feuchtem Schlafsaal von der Wand, mussten die Kinder gezwungenermaßen fröhliche Lieder singen und Kekse backen, die schmeckten wie Zement und Kleister. Er war sieben, als er herausfand, dass sich die steinharten Dinger höchstens eigneten, um Ratten zu bestechen, die Sachen anderer Waisenkinder anzunagen.

Wenn überhaupt, dann erweckte Weihnachten die bittere Erinnerung daran, dass jedes einzelne Kind an diesem kargen Ort alleine und verlassen war. Die eisigen Winde, die durch undichte Fenster in das Gebäude zogen, schienen Tom stets gehässig zuzuflüstern, dass es hier keine Liebe für ihn gab. Anders als die meisten Waisen weinte er deswegen nicht des Nachts heimlich in sein Kissen. Seine Tränen wären verschwendet an diese Welt, das stand fest. Was bedeutete schon Liebe, wenn er viel mehr erreichen konnte. Verehrung und Furchtsamkeit – darin lag größerer Reiz. Besonders, seit er endlich Hogwarts besuchte.

Am ersten Dezembertag allerdings tauchten unvermittelt zwölf Weihnachtsbäume in der großen Halle des Schlosses auf. Bei dem Anblick der reichlich geschmückten Tannen verzog sich Toms Gesicht widerwillig zu einer Grimasse. Entgegen aller Hoffnung hatte er dieses elende Fest also doch nicht hinter sich gelassen. Er fürchtete jetzt schon, was ihn in den Ferien erwarten würde, die er sicherlich als Einziger aus seinem Jahrgang in der Schule verbringen würde.

So gerne manche seiner Mitschüler sich auch als seine ‚Freunde‘ bezeichneten, sie allesamt hatten Familie, zu der sie heimkehren würden, ohne ihn zu vermissen. Aus ihren kindlichen Mienen konnte er nichts als weihnachtliche Begeisterung lesen und doch drängten sich ihm unangenehme Parallelen zum Weihnachtsfest im Waisenhaus auf. Zumindest die Lehrerschaft schien genauso erpicht darauf, vorweihnachtliche Stimmung zu verbreiten, wie die Bediensteten des Kinderheims.

In einer sehr langwierigen Stunde Zauberkunst musste Tom sich zu seinem Missfallen damit beschäftigen, Schnee heraufzubeschwören, der schrecklich nutzlos auf die Klasse hinabrieselte, nur um sich kurze Zeit später wieder in magischen Wohlgefallen aufzulösen. Das hatte wenig mit den machtvollen Zaubereien zu tun, die zu lernen er hoffte – mal abgesehen davon, dass ein unfähiger Junge aus Ravenclaw es bereits in der ersten Woche des Schuljahres geschafft hatte, es unabsichtlich im Verwandlungsunterricht schneien zu lassen.

Gideon Rosier allerdings fand Gefallen an dem Zauber. Er ließ es in ihrem Gemeinschaftsraum so lange weiße Flocken herabrieseln, bis Tom ihn mit schneidender Stimme fragte, ob er fünf Jahre alt sei oder warum ihm diese Albernheiten derart viel Spaß bereiteten. Daraufhin senkte er endlich den Zauberstab und ersparte es ihnen, auszusehen als würden sie an besonders heftigem Schuppenbefall leiden.

Damit hatte Tom das Schlimmste freilich noch vor sich. Zunächst verschwor sich die Natur gegen ihn. London war zwar eine kalte Stadt, doch der Schnee hatte sich stets im Handumdrehen in unansehnlichen grauen Matsch verwandelt, der nur mit reichlich Fantasie als das weiße Winterwunderland durchging, das man in Liedern verkaufen wollte. Eines Morgens jedoch erschienen Eisblumen an den Fenstern des Slytherin-Gemeinschaftsraums und sobald Tom den Kerker verließ, stellte er fest, dass sich die Ländereien rund um Hogwarts in eben jenen unwirklichen Kitsch verwandelt hatten, an den er nicht glauben wollte.

Die Jungen aus seinem Schlafsaal vergaßen all ihre guten Manieren und stürzten sich hinaus in den frischen Schnee, wie eine Horde Bowtruckle auf saftige Blattläuse. Binnen Sekunden entfesselten die Slytherins eine Schneeballschlacht, die ihresgleichen suchte. Tom versuchte, seine Würde zu wahren, stand teilnahmslos am Rand und betrachte das Geschehen mit einigem Unverständnis – bis ihn ein Schneeball mitten ins Gesicht traf.

Die anderen gaben sich zumindest den Anschein, schuldbewusst dreinzusehen, als er sie zornig anfunkelte. Mal wieder war Gideon Rosier der Übeltäter. Offenbar hatte er seinen Zauberstab selten unter Kontrolle.

»’Tschuldigung, Tom«, rief er. Seine Stimmlage legte nahe, dass er es nicht wirklich meinte. »Warum machst du nicht einfach mit? Komm schon!«

Tom hatte nicht übel Lust, Gideon einen Schneeball auf den Hals zu hetzen, allerdings weniger aus Vergnügen an dieser Kinderei. Andererseits ... er lächelte listig.

»Na schön«, entgegnete er und zückte seinen Zauberstab.

Vielleicht konnte er seinem Ärger ja Luft verschaffen und die Slytherins würden es nicht einmal merken, weil sie dachten, er hätte Spaß. Und tatsächlich, stellte Tom fest, hatte es seinen ganz eigenen Reiz, das glitzernde Wunderweiß zu verhexen und jemand anderem mit Schmackes gegen den Hinterkopf sausen zu lassen.

Am Ende mussten die restlichen Slytherins sich seinem frisch erweckten Ehrgeiz geschlagen geben, aber sie taten es mit einem Lachen auf den geröteten Gesichtern. Ausnahmsweise befand Tom, dass der Winter vielleicht doch nicht ganz so übel war, wie er angenommen hatte.

Aber nachdem er mit dem Schneeparadies seinen vorübergehenden Frieden geschlossen hatte, verschwor sich als Nächstes das Schloss gegen ihn. Allerlei geschmacklose Weihnachtsdekorationen tauchten überall auf, wie ein Geschwür, das sich von alleine bis in den hintersten Winkel von Hogwarts ausbreitete. Zwar waren Girlanden, Mistelzweige und dererlei Tand bedeutend besserer Qualität als der Plunder im Waisenhaus, aber lästig war es trotzdem.

Ganz zu schweigen von den Ritterrüstungen, die plötzlich anfingen, schrecklich schiefe Weihnachtslieder zu trällern, und ihm damit gehörig auf den Geist gingen. An Tag drei dieser Scharade hielt Tom es nicht länger aus und legte sich einen Schlachtplan zurecht, der es vorsah, einen Zauber zu finden, der die Rüstungen verstummen ließ.

Er weihte seine Mitschüler nicht ein, denn aus ihren lachenden Gesichtern konnte er schließen, dass sie alle sich über diese Einlagen freuten. Spätestens jetzt war überdeutlich, dass seine sogenannten Freunde in einer anderen Welt lebten. Also saß Tom alleine in der Bibliothek auf der Suche nach einem Buch, das ihm den rechten Zauber anbieten würde.

Sein anfangs so kleiner Stapel wuchs und wuchs und zu seinem Unmut stellte er fest, dass es eine Menge ziemlich unnützer Zaubersprüche gab. Er fand gar ein ganzes Buch, das sich nur mit weihnachtlichen Zaubern beschäftigte. In einem verstohlenen Moment entführte er es aus der Bibliothek und fütterte den Kamin im Gemeinschaftsraum damit.

Aber auf einen Zauber, der seinem Plan angemessen war, konnte er sich nicht so recht festlegen. Nicht einmal ein nächtlicher Ausflug in die verbotene Abteilung verschaffte ihm die Befriedigung, die er sich erhofft hatte. Zumindest las er eine Menge interessanter anderer Sachen über mächtige Zauber, die er sich für später merkte. Schlussendlich kam er zu dem Schluss, dass ein simpler Schluckaufzauber für den Anfang reichen musste.

Mit einiger Genugtuung beobachtete Tom am nächsten Tag, wie Gideon Rosier auf dem Weg zur Zauberkunststunde recht enttäuscht die Rüstungen ansah, die alle nun mehr nur noch ein Hicksen von sich gaben.

Je unglücklicher sein Hauskamerad in den kommenden Tagen dreinsah, angesichts der welkenden Mistelzweige und schwarz angelaufenen Baumkugeln, desto zufriedener fühlte Tom sich. Auch wenn er das seinem angeblichen Freund gegenüber freilich nicht zugab.

Nachdem Tom mit seiner Rache an der Weihnachtsdeko vorerst befriedigt war, verschwor sich allerdings der Schlimmste von allen gegen ihn – Albus Dumbledore. Den meisten Lehrern war es herzlich egal, dass Tom die kleinen Weihnachtsspielchen nur zähneknirschend über sich ergehen ließ. Aber der Verwandlungslehrer richtete eines Morgens am Frühstückstisch seine Augen quer durch die große Halle hinweg auf Tom und schien persönlich beschlossen zu haben, ihm diese Verbrechen gegen die Weihnachtsstimmung nicht länger durchgehen zu lassen.

Tom mochte den Lehrer nicht, was insbesondere mit ihrem ersten Kennenlernen zusammenhing. Und wenn er sich nicht recht täuschte, dann waren all die vorgeschobenen Freundlichkeiten von Albus Dumbledore ebenso unecht. Trotzdem lächelte der Verwandlungslehrer mit einer Engelsgeduld zu seinem Schüler hinab, als dieser nach dem Unterricht seine Sachen zurück in die Tasche stopfte.

»Mr. Riddle?«

»Ja, Sir?«, entgegnete Tom unbekümmert.

»Ich habe gesehen, dass Sie über die Weihnachtsferien in der Schule bleiben werden. Da in diesem Jahr ein paar mehr Schüler die Ferien hier verbringen werden, möchte ich Sie darauf hinweisen, dass wir am 25. Dezember ein Festessen in der großen Halle abhalten werden – und ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie Ihre Abneigung gegenüber allem Weihnachtlichen nicht mehr ganz so destruktiv äußern, Mr. Riddle. Auch wenn Sie es nicht glauben mögen, einige Ihrer Mitschüler freuen sich auf dieses Fest. Ich möchte Sie nicht erneut daran erinnern müssen, dass wir anderen diese Freude nicht nehmen.«

Natürlich musste der verschrobene Alte mal wieder diese Leier spielen. Offenbar war ihm noch nicht aufgefallen, dass auch ein paar der übrigen Slytherinschüler ihren Spaß an dem ein oder anderen Fluch hatten. Aber Tom gab sich weiterhin unberührt.

»Natürlich, Sir. Allerdings würde ich es vorziehen, die freien Tage für ein wenig Recherche nutzen zu dürfen. Es gibt noch vieles, das ich über Verwandlungen beispielsweise nicht weiß – ich denke, ein Studium in der Bibliothek wäre mir nützlicher als ein Festessen.«

»Mein lieber Mr. Riddle, angesichts all Ihres bemerkenswerten Ehrgeizes sollten gerade Sie sich eine Pause gönnen. Die Bibliothek wird Ihnen schon nicht davonlaufen. Abgesehen davon wird sie geschlossen sein.« Dumbledores strahlend blaue Augen hefteten sich warnend auf Tom. »Ich erwarte, Sie beim Festessen zu sehen«, setzte er mit dieser vorgeblich so sanften Stimme hinzu, die doch genauso durchdringend war wie sein Blick.

Keine Fehltritte, schien er wirklich zu meinen. Tom beschied sich auf ein höfliches Nicken, ehe er das Weite suchte.

Die ganzen kommenden Tage ärgerte er sich darüber, dass alte Narr Dumbledore ihm die Aussicht auf zwei Wochen in der Abgeschiedenheit der Bibliothek raubte. Er hatte sich bereits vorgestellt, wie er sich endlich mal so richtig ungestört der verbotenen Abteilung widmen konnte, und nun sollte er schon wieder Teil von einem lächerlichen Weihnachtsfest werden.

Toms Laune erreichte ihren – vorübergehenden – Tiefpunkt, als eines Morgens Gideon Rosier einen langen Brief seiner Eltern erhielt, an dessen Ende angelangt der Junge mit einem Seufzen verkündete, dass er Weihnachten jetzt ebenfalls in der Schule verbringen müsse. Offenbar hatte seine Familie angesichts des Muggelkrieges ihr Stadthaus in London zeitweise verlassen und wähnten ihren Sohn in den Mauern von Hogwarts sicherer aufgehoben, als auf ihrem Landsitz.

Das nahm Gideon wiederum zum Anlass, Tom in jeder Einzelheit zu schildern, was er jetzt an dem heimischen Weihnachtsfest vermissen würde. Er erzählte von geschmückten Bäumen in allen Zimmern, von den Hauselfen, die reichlich Kekse backten und allerhand anderem Plunder, unter dem Tom sich zugegeben nicht viel vorstellen konnte. Außerdem ließ er es wieder schneien – als würde draußen nicht bereits genug Schnee fallen.

Die Aussicht darauf, ganze zwei Wochen alleine mit Gideon Rosier im Slytherin-Gemeinschaftsraum zu verbringen, stimmte Tom nicht besonders fröhlich. Daher hellte sich seine Stimmung tatsächlich ein kleines bisschen auf, kaum dass Alston Mulciber der Nächste war, dem seine Eltern rieten, die Weihnachtsferien im Schloss zu bleiben, während sie selber seine Tante in Amerika besuchten. Noch lieber wäre es Tom nur gewesen, wenn sie seine Mitschüler alle beide mitgenommen hätten.

Immerhin war Mulciber ein hellerer Kopf als Rosier – abgesehen von Verwandlungen. In dem Fach erweckten sowohl Rosier als auch Mulciber den Eindruck, dass sie bei Glatteis mit dem Schädel voran eine Begegnung mit einem Laternenpfosten gemacht hatten. Mit Mulciber könnte Tom sich vielleicht noch unterhalten, solange Rosier es nicht wieder schneien ließ.

Zumindest für die ersten Ferientage sollte er recht behalten. Rosier erging sich in leidvollen Schilderungen dessen, was er bei seinem heimischen Weihnachtsfest alles so vermisste und Tom stellte einmal mehr fest, dass der Junge schrecklich verwöhnt war. Unterdessen holte Mulciber einen dicken Wälzer mit dem Titel ‚Tiefverborgene Geheimnisse – die Kunst der Legilimentik‘ hervor.

Tom mühte sich, einen Sinn in den Symbolen auf dem Einband zu erkennen, doch er musste sich eingestehen, dass er keine Ahnung hatte, was Legilimentik war. Aber so wie Mulciber seine Nase in den Wälzer steckte, versprach es einige Spannung. Also ertappte er sich schließlich dabei, wie er das tat, was er am meisten hasste – er stellte eine Frage.

»Legilimentik?«, fragte er seinen Mitschüler über das wackelige Kartenhaus hinweg, das Gideon Rosier gerade zum hundertsten Mal versuchte, aufzubauen.

»Ich dachte, ich könnte es mal versuchen«, entgegnete Mulciber mit einem Achselzucken. »Klar, ist nichts für Erstklässler, aber mein Vater hat mir das Buch trotzdem geschenkt. Hier in der Bibliothek sperren sie so etwas ja weg. Wäre schon ziemlich nützlich, wenn ich wüsste, was die Lehrer so denken. Dann müsste ich mich in keiner Prüfung mehr anstrengen, wenn ich die Lösung einfach lesen kann.«

Offenbar handelte es sich bei der Legilimentik also um das Gedankenlesen, schlussfolgerte Tom. Das klang ganz nach etwas, womit er sich ursprünglich die Ferien hatte vertreiben wollen. Auch wenn Mulcibers Vorhaben, damit nur die Gedanken der Lehrer zu lesen, mal wieder bewies, dass es ihm an Weitsicht mangelte. Wen interessierten schon die Antworten auf Prüfungsfragen? Zumal Tom die ohnehin wusste, er war schließlich kein Stümper. Trotzdem täuschte er ein Grinsen vor.

»Das wäre in der Tat praktisch«, log er ohne Umschweife. »Schon Erfolg gehabt?«

»Nein«, entgegnete Mulciber zerknirscht – und erleichterte Tom damit zugegeben. Ihm wäre es gar nicht recht, wenn jemand in seinen Gedanken rumpfuschen würde. Nicht auszudenken!

Bis zum Weihnachtsmorgen widmete er sich gemeinsam mit Mulciber der Lektüre des verfrühten Weihnachtsgeschenkes. Und zugegeben schlich er sich in der Nacht, wenn seine beiden Schlafsaalkameraden selig schnarchten, wieder in den Gemeinschaftsraum, um auch ohne die störenden Anmerkungen seines Mitschülers noch etwas in den Seiten zu blättern.

Am Weihnachtsmorgen selber türmten sich Geschenke zu Fuße der Betten seiner selbsternannten Freunde, während bei Tom nur gähnende Leere herrschte. Der schockierte Blick Rosiers fiel ihm gar nicht groß auf – immerhin war es nicht so, dass er mit irgendetwas gerechnet hätte. Die winzigen Tütchen Nüsse und Mandarinen, die im Waisenhaus verteilt worden waren, vermisste er jedenfalls nicht sonderlich.

Vom Festessen selber erhoffte er sich genauso wenig, doch in dieser Hinsicht erwiesen seine Erwartungen sich ebenfalls falsch. Anstelle der vier Haustische gab es an jenem Abend nur eine lange Tafel, die reichlich besetzt war. Hufflepuffs, Gryffindors, Ravenclaws und die drei Slytherins drängten sich gemeinsam mit der Lehrerschaft um den Tisch, der sich unter allerlei Leckereien bog.

So gut hatte Tom in seinem ganzen Leben noch nicht gegessen. Von Weihnachtsbraten und Puddings hatte er höchstens in den Geschichten, die im Waisenhaus vorgelesen wurden, gehört. Und während Gideon Rosier alle mit den Vergleichen zu den Kochkünsten der Hauselfen seiner Familie langweilte, ertappte er sich bei dem Gedanken daran, dass Weihnachten in Hogwarts gar nicht so übel war, wie befürchtet.

Derart gesättigt, ertrug er sogar die lächerlichen Knallbonbons, die neben dem Nachtisch auftauchten, und die nichts als magische Effekthaschereien enthielten. Die weißen Mäuse, die daraus explodierten, erinnerten ihn höchstens an die Ratten im Waisenhaus.

Die beste – und wohl überraschendste – Wendung des Abends erwartete ihn allerdings zurück im Schlafsaal. Da lag es auf seinem Bett, einsam und alleine, das Buch über Legilimentik. Alston Mulciber bedachte ihn mit einem vorsichtigen Blick.

»Ich sag meinem Vater einfach, ich hab’s verloren, dann schickt er bestimmt ein Neues.« Mit diesen Worten wandte er sich ab und zog die smaragdgrünen Vorhänge seines Himmelbettes zu.

Nun, vielleicht hatte Weihnachten hin und wieder doch seinen ganz eigenen Zauber. Zumindest dieses Fest bewies, dass nicht jedes Weihnachten so trist war wie im Waisenhaus. Reichlich zufrieden vertiefte Tom sich in die Kunst des Gedankenlesens.

Glatteis [Lily & James Potter]


 

Godrics Hollow, 1980

Lily und James Potter

 

Triggerwarnung: Tod, Verbrennung

 

Der Krieg hört auch an Weihnachten nicht auf und so befinden Lily und James sich – wieder einmal – auf der Flucht.

 

***

 

Die rutschige Straße erwies sich als ihr Lebensretter. Kaum, dass der erste Todesser in die Gasse hinter ihnen stürzte, riss die dünne Eisschicht Lily von den Beinen und sein grün leuchtender Todesfluch schoss wirkungslos über sie hinweg.

James war wenige Schritte vor ihr, doch er drehte sich sofort um, einen Schildzauber auf den Lippen. Wertvolle Sekunden, die ihr beider Leben retten. Schon wieder. In letzter Zeit war es viel zu oft derart knapp.

Lily bekam keine Gelegenheit, erleichtert zu sein oder ihren Dank zu äußern, denn sofort rasten die nächsten Flüche auf sie zu. Noch vom Boden aus warf sie ihren Verfolgern einen Schockzauber entgegen, der einen von ihnen an der Schulter erwischte.

Betäubt sackte der Kerl zusammen, aber sie nahm sich keine Zeit, darauf zu warten, dass er auf dem Boden aufschlug, sondern sie ergriff James‘ ausgestreckte Hand und folgte ihm um die nächste Ecke.

Ihr Atem ging stoßweise und die kalte Winterluft stach wie Nadeln in ihre Lunge. Sie rannten durch eine dunkle Straße gesäumt von ganz normalen Muggelhäusern, vorbei an hellerleuchteten Fenster und bunten Lichterketten. Es war bald Weihnachten und Lily wollte nur eines – daheim sein bei ihrem Sohn. Aber natürlich hielt der Krieg auch so kurz vor dem Fest nicht seinen eisigen Atem an.

Wie zur Bestätigung ihrer Gedanken jagte ein weiterer todbringender Fluch knapp an ihnen vorbei. Scharfkantige Eissplitter regneten auf sie und James herab, als das grüne Licht mit voller Wucht auf eine Straßenlaterne traf.

James zog sie unerbittlich weiter, seine Hand fest mit ihrer verbunden. Über die Schulter hinweg schleuderte Lily einen neuerlichen Gegenfluch auf die zwei übrigen Todesser in ihren dunklen Kutten. Der Zauber verfehlte und schlug stattdessen in einen Busch mit bunt blinkender Lichterkette ein. Die Glühlämpchen flackerten, ehe sie den Geist aufgaben.

Schon kam sie auf dem glatten Pflaster wieder ins Rutschen, aber James fing sie ab, bevor sie endgültig den Halt verlor.

»Nicht mehr weit«, keuchte er atemlos, »gleich sind wir in Sicherheit.«

Sie nickte nur. Ihre Lungen gaben keine Luft für Worte her. Zum Glück konnte sie einen ungesagten Schildzauber heraufbeschwören, sonst sähe es schlecht aus für sie.

Schlitternd bogen sie um eine weitere Ecke. Endlich lag der Rand des kleinen Dorfes vor ihnen und damit ein Ausweg aus dem Schutzbann, der jegliches Disapparieren verhinderte. Der Auftrag war eine Falle gewesen. Eine verdammt Gute – und war es immer noch. Lily hoffte nur, dass dort unten nicht mehr Todesser warteten.

Sie rannte, wie nie zuvor in ihrem Leben. Vor ihrem inneren Auge sah sie ihren kleinen Sohn, der nicht einmal ein Jahr alt war, und beschwor ihre letzten Kraftreserven herauf. Sie musste nach Hause zurückkehren!

Hinter ihr wurden Flüche gebrüllt. Lichter, rot und grün, schlugen um sie herum auf die glatte Straße. Feine Eissplitter explodierten wie Glitzer im Schein der vereinzelten Straßenlampen zu ihren Füßen.

James war weiterhin vor ihr; zog sie mit sich. Ihre Finger waren taub von der Kälte, doch sie spürte seinen sanften Druck auf ihnen. Inzwischen rutschte sie mehr, als dass sie rannte. Aber sie konnte nicht darauf vertrauen, dass sie ein zweites Mal von einem Sturz auf dem Glatteis gerettet werden würde.

Und dann traten auf einmal zwei weitere Gestalten in schwarzen Umhängen vor ihnen auf die Straße. Ihre Masken schimmerten bedrohlich unter ihren Kapuzen. Todesser.

»Vorsicht, James!«, schrie sie, da riss dieser bereits seinen Zauberstab hoch.

Keine Sekunde später erlosch sein Schildzauber flackernd unter der Wucht der Einschläge. Fluchend warf er sich zu Boden, Lily mit sich reißend. Die nächsten Flüche trafen funkenschlagend über ihren Köpfen zusammen. Einer ihrer Verfolger allerdings sackte getroffen vornüber. Die Todesser kannten keine Gnade – nicht einmal voreinander.

Ein Schockzauber von James widmete sich ihrem letzten Jäger, während Lily die Angreifer von vorne in eine Wolke aus Wasserdampf hüllte. Zumindest hatte sie das vor, als sie den Incendio-Zauber auf eine Schneewehe neben den Männern richtete. Womit sie nicht gerechnet hatte, war das Glatteis. Nur, dass es diesmal nicht sie zu Boden riss, sondern den Todesser.

Er war mit erhobenem Zauberstab vorwärtsgestürmt, bereit ihnen einen weiteren tödlichen Fluch entgegenzuschleudern. Schon sah Lily ihn fallen, im gleichen Augenblick, da der kalte Winterwind ihr die letzte Silbe des Zaubers von den Lippen riss. Die magischen Flammen waren nicht aufzuhalten. Anstelle der Schneewehe traf der glühende Feuerball den Angreifer in die Brust. Ein Schrei gellte durch die Nacht, dass auch der letzte Muggel in diesem verdammten Dorf aufwachen musste.

Lily hatte das Gefühl, dass gleich mehrere Schockzauber sie mitten ins Herz getroffen hatten. Voller Entsetzen starrte sie auf den brennenden Todesser – den Mann, Mensch. War das ihr eigener Schrei, der von den Hauswänden widerhallte?

Jemand zerrte an ihrem Arm. Schrie sie an ... flehte sie an? Weitere Lichter schossen in verschiedene Richtungen davon. Inmitten all der Dinge, die viel zu schnell durch ihren Verstand rasten, klammerte Lily sich an die eine Sache, die ihr mehr bedeutete als alles andere auf der Welt. Harry. Sie musste zu ihrem Sohn zurück!

Stolpernd kam sie hinter James auf die Beine. Sie warf keinen zweiten Blick auf die zusammengesackten Schemen der Männer, die ihren Tod gewollt hatten, sondern rannte einfach weiter, den Zauberstab fest umklammert.

James erreichte als Erstes die Dorfgrenze, keine Sekunde später folgte sie. Das altbekannte Schwindelgefühl des Apparierens setzte ein und dann verschwamm ihre Umgebung, ebenso wie die Schreie des Todessers.

Nach Atem ringend nahmen Lily und James hunderte Meilen entfernt in Godrics Hollow wieder Gestalt an. Hier drückte nur Stille auf ihre Ohren. Den Zauberstab erhoben, sahen sie sich in alle Richtungen um, ob weitere böse Überraschungen lauerten. Lily murmelte einen leisen Geheimnisaufspürzauber, aber die Gegend blieb ruhig. Niemand außer ihnen war auf dem kleinen Dorfplatz. Nur in der Kirche brannte Licht.

Ihre Zauberstabhand sackte nach unten, mit einem Mal all ihrer Kraft beraubt. Das Adrenalin hämmerte noch immer durch ihre Adern, aber mit jeder weiteren Sekunde setzte sich die Wirklichkeit in ihren Gedanken zu einem erschreckenden Bild zusammen, das sie nicht länger ignorieren konnte.

Sacht zog James sie in seine Arme, bevor sie überhaupt ein Wort sagen konnte. Seine Brust hob und senkte sich immer noch hektisch, doch er strich ihr beruhigend über den Rücken. »Wir sind in Sicherheit«, keuchte er leise. »Wir sind in Sicherheit, Lil. Alles gut.«

Ein trockener Schluchzer entrang sich ihrer Kehle. »James ... oh Merlin ...«, wimmerte sie leise. »Ich hab ihn umgebracht! Ich hab jemandem umgebracht!«

»Shhh. Was redest du da? Lil, du hast niemandem umgebracht.« James‘ Worte klangen so rau, als hätte er einen besonders üblen Schnupfen. »Alles ist gut«, beschwor er und streichelte ihr über den Rücken. »Wir gehen jetzt nach Hause und alles ist gut

Sie hörte die Lüge in der Art, wie er seine Stimme senkte, damit sie sich fester anhörte. Wie seine Hände an ihrem Rücken sich langsam zu Fäusten ballten, weil er sonst womöglich ebenfalls in Tränen ausgebrochen wäre. Wenn sie diese Lüge doch nur hätte glauben können. Es gab nichts, was ihr das Geschehene erleichtern konnte.

»Er hat gebrannt, James«, stieß sie heiser hervor.

»Er war ein Todesser. Er hätte auch kein Mitleid mit uns gehabt.«

»Aber ... oh Gott, ich weiß nicht einmal, wer er war! Vielleicht hat er Familie, bestimmt vermisst ihn jemand ... oh nein ...«

»Lil.« James legte die Hände auf ihre Schultern und sah ihr fest in die Augen. »Es war ein Unfall! Hörst du mich? Ein Unfall! Bitte ...«

Dröhnend hallte das Schlagen der Kirchenglocke über den verschlafenen kleinen Marktplatz von Godrics Hollow und verschlang damit James‘ nächste Woche.

»Wir sollten gehen«, brachte Lily zitternd hervor und schob den Zauberstab in ihre Manteltasche, bevor ein argloser Muggel aus der Kirche kam und sie so sah.

Wortlos ergriff James wieder Lilys Hand und gemeinsam kehrten sie zu ihrem kleinen Haus zurück, das so friedlich dalag wie bei ihrem Aufbruch. Die Lichter brannten noch und im Flur begrüßte sie der Duft von Tannenzweigen, Keksen und dem Wunderschnee, den Lily tags zuvor gekauft hatte. Spuren eines vermeintlich normalen Lebens, das genauso sehr eine Lüge war wie James‘ beruhigende Worte wenige Minuten vorher.

Im Wohnzimmer fanden sie einen völlig erschöpften Sirius auf dem Sofa vor, in dessen langen Haaren sich eine beträchtliche Menge magischer Schneeflocken tummelte, genauso wie überall sonst. Das Zimmer sah aus, als wäre eine Schneebombe eingeschlagen. Ihr unfreiwilliger Babysitter murmelte irgendeine müde, halbherzige Entschuldigung, aber Lily hörte ihm gar nicht zu.

Sie hatte nur Augen für einen. Inmitten all des Chaos saß ein glücklich glucksender Harry und pflückte auch noch die letzten Reste verzauberten Wunderschnees mit seinen winzigen Babyhänden aus dem Paket, das beinahe so groß wie er selber war.

Unter anderen Umständen hätte Lily ihre Hände in die Hüften gestemmt, wie es auch Professor McGonagall nicht besser konnte, um Sirius eine Predigt zu halten, die bis zum Morgen andauern würde. Doch vor ihren Augen tanzten immer noch die Flammen; in ihren Ohren überschlugen sich die Schreie eines Fremden.

Ohne überhaupt die Schuhe auszuziehen, schlug sie eine Schneise in den Kunstschnee, sackte vor ihrem Sohn auf den Teppich und zog ihn in ihre Arme, als wolle sie ihn nie wieder loslassen. Und zumindest für die nächste Stunde würde nicht einmal Lord Voldemort höchstpersönlich sie davon überzeugen können.

James seinerseits kniete sich neben sie und zog sie beide zusammen in seine Arme. Er hielt noch seinen Zauberstab festumklammert, nach dem Harry nun lachend die Hände ausstreckte, sich der Angst seiner Eltern gar nicht bewusst.

»Nächstes Weihnachten nehmen wir keinen Auftrag vom Orden an, so viel ist sicher«, murmelte James leise, doch von dem Zittern in seiner Stimme konnte er nicht ablenken. »Das Wohnzimmer ist ja eine echte Katastrophe und dabei haben wir Tatze nur ein paar Stunden alleine gelassen.«

Lily versuchte es mit einem tapferen Lachen, aber stattdessen kamen die Tränen. Ihr Sohn sah mit kullerrunden Augen zu ihr hinauf. Schluchzend presste sie ihr Gesicht in sein wohlriechendes Babyhaar, das in Unordentlichkeit dem von James in nichts nachstand.

Sie wusste genauso gut wie James, dass sie beide jederzeit wieder losziehen würden, wenn der Phönixorden sie brauchte. Das waren sie Harry schuldig, damit er in einer Welt ohne Krieg groß werden konnte. Allein er war es wert, Flüche, Flammen und Schreie auf sich zu nehmen, in der Hoffnung, dass es ein besseres Morgen geben würde.

Winterstille [Neville Longbottom/Luna Lovegood]


 

Hogwarts, 1997

Neville Longbottom und Luna Lovegood

 

Die Todesser regieren Hogwarts. Für ein besinnliches Weihnachtsfest bleibt den Schülern aus Dumbledores Armee wenig Zeit, aber Neville und Luna finden einen ruhigen Moment.

 

***

 

Auf den Ländereien von Hogwarts türmte sich der Schnee zu fluffigen Bergen und sogar der schwarze See war von einer dicken Schicht aus Eis bedeckt. Die Winterwunderlandschaft wirkte perfekt, von den langen Eiszapfen an den Zinnen der Türme bis hin zu dem klaren Blau des Himmels über dem glitzernden Weiß. Doch anstelle einer fröhlichen Schülermenge war Neville der Einzige, der Spuren im frischen Schnee hinterließ. Niemand wagte eine Schneeballschlacht oder lief Schlittschuh, obwohl die Welt geradezu danach schrie. Das fehlende Gelächter der Schülerschaft ließ die Kälte nur umso deutlicher wirken.

Früher hätte Neville sich über den unberührten Schnee gefreut, aber nun beschäftigte ihn Dringlicheres. Der Widerstand, die Todesser, der Krieg. Nicht einmal ein Besuch in den Gewächshäusern konnte ihn allzu lange davon ablenken, selbst wenn er sich wünschte, dass es anders wäre. Aber er kam nur her, um einige Zutaten für Zaubertränke abzuzweigen, die Dumbledores Armee so dringend nötig hatte.

Heiltränke, für diejenigen, die unter der Folter der Carrows zu leiden hatten, gehörten inzwischen bei jedem von ihnen zu den Rezepten, die sie selbst mit verbundenen Augen anrühren konnten. Eine Leistung, die Neville nie für denkbar gehalten hatte, nicht nach Jahren der Schikane durch Professor Snape. Wenn dieses Schuljahr ihn eines gelehrt hatte, dann, dass sich alles ändern konnte, alles möglich war – und er nie die Hoffnung aufgeben durfte.

Wenigstens der Anblick seiner geliebten Pflanzen und Kräuter verschaffte ihm einen Moment der Zufriedenheit und spendete Trost. Zumindest hier trieben sich keine Todesser um. Hier konnte er sich noch einreden, dass die Welt in Ordnung war, wenn sie doch längst schief in den Angeln hing.

Liebevoll strich er über die Blätter eines zitternden Ginsterbusches, ehe er eine kleine Schere aus seinem Umhang zog und sich ans Werk machte. Die Taschen prall gefüllt, verließ er schließlich wieder das Gewächshaus.

Er war später mit Ginny im Raum der Wünsche verabredet, wo sie sich in der Ecke ein behelfsmäßiges Zaubertranklabor eingerichtet hatten. Das war auch gut so, denn seit geraumer Zeit beschäftigte sich der Unterricht auf Drängen der Carrows hin ausschließlich mit Giften – und Professor Slughorn hatte eindeutig zu viel Angst, um dagegen Widerstand zu leisten.

Allerdings war Neville draußen auf den Ländereien nicht länger alleine. Nervös ging er hinter einer großen Regentonne in Deckung, als er die dunkle Gestalt vor dem Schnee erspähte, die sich rasch den Gewächshäusern näherte. Schon befürchtete er, dass sein Diebstahl auffallen würde – erst dann fiel ihm auf, dass die Person sich offenbar hüpfend fortbewegte und auf den zweiten Blick wurde ihm klar, dass es sich nur um Luna handeln konnte.

Sie war die Einzige, die angesichts dieser Lage noch ein verträumtes Lächeln im Gesicht trug oder hin und wieder versonnen kleine Melodien summte. Woher sie die Energie dafür nahm, war ihm schleierhaft. Wenn er nicht gerade in die DA eingespannt war, versteckte er sich am liebsten in seinem Himmelbett und versuchte zu ignorieren, dass in dem Schlafsaal nur noch zwei Betten besetzt waren.

»Oh, hallo Neville«, grüßte Luna schon von Weitem, als sei es das Normalste auf der Welt, dass er gerade hinter der Regentonne kauerte. »Hast du etwas verloren?«

»Hey Luna.« Verlegen erhob er sich aus seinem Versteck. »Ich hab nur ... ich hatte Angst, dass es vielleicht einer von den Carrows ist, bevor ich dich erkannt hab.«

Verständnisvoll neigte sie den Kopf. »Ah, ja. Nun, das nächste Mal würde ich raten, dass du dich vielleicht lieber etwas besser versteckst. Dein roter Pullover«, sie deutete auf das warme Oberteil mit dem aufgestickten Gryffindorlöwen, »ist ziemlich auffällig hier draußen.«

Neville wusste genau, dass sein Kopf gerade genauso rot wie der scharlachfarbene Pullover wurde. »Haha, ja, ich werd‘ dran denken«, stammelte er verlegen. »Aber was machst du so früh hier draußen?«

»Oh, ich bin auf dem Weg in den Wald.«

»Wald? Doch nicht ... der verbotene Wald?«

»Oh, doch. Haben wir noch einen anderen Wald?« Luna sah ehrlich verwundert aus.

»Ah, nein, natürlich nicht. W-was willst du denn im Wald?«

Strahlend öffnete sie ihre senfgelbe Umhängetasche und zog doch glatt ein reichlich blutiges Steak hervor, das sie offenbar aus der Küche entwendet hatte. »Na, die Thestrale füttern. Jetzt im Winter freuen sie sich über etwas Aufmerksamkeit, hat Professor Hagrid gesagt.«

Ein Kloß bildete sich in Nevilles Hals. Die unheimlichen skelettartigen Pferdewesen waren ihm von Tag eins an nicht geheuer erschienen. Immerhin sah er sie nicht erst seit Kurzem, wie manche Klassenkameraden. Ein schwacher Trost.

»Willst du mitkommen?«, fragte Luna da auch schon.

»Och ...« Er mochte Luna, zweifellos, doch ihm waren weder Wald noch Thestrale lieb. Warum konnte sie ihn nicht fragen, ob sie in der großen Halle eine Runde Zauberschnippschnapp spielen wollten?

Lunas himmelblaue Augen musterten ihn wie ein besonders exotisches Tierwesen. »Du magst sie nicht sonderlich, was?«

Er hob verlegen die Schultern. »Ich meine ... sie sind ein Symbol des Todes oder nicht?«

»Hm, nein, das glaube ich nicht. Es hat sie nur schlecht getroffen, wie den Grimm. Aber das haben sie sich ja nicht ausgesucht.«

Unverblümt direkt, wie immer. Das war etwas, wofür Neville Luna bewunderte. Er selber fand sich viel zu oft beim Stammeln wieder, anstatt endlich auszusprechen, was er dachte. Die DA hatte in der Hinsicht schon ordentlich geholfen, aber alte Gewohnheiten starben nur langsam.

»Nein, vermutlich nicht. Aber die Erinnerung an den Tod gefällt mir trotzdem nicht.«

»Glaubst du denn, dass der Tod das Ende aller Dinge ist?« Ehrlich neugierig legte Luna den Kopf schief und musterte ihn, als hätte sie gerade nach seiner liebsten Jahreszeit gefragt oder was er zum Frühstück gegessen hatte.

Verblüfft öffnete Neville den Mund, aber außer einer kleinen Atemwolke brachte er nichts hervor. Der Tod musste doch das Ende von allem sein. Was sollte darauf schon folgen?

»N-nicht?«, fragte er schließlich unsicher.

»Oh, ich weiß es nicht«, sagte Luna leichthin, »doch ich kann mir vorstellen, dass das erst der Anfang einer Reise ist. Natürlich ist es eine traurige Angelegenheit, aber ich glaube, dass sie alle irgendwo weiter existieren, wie meine Ma. In dem Fall finde ich die Erinnerung an den Tod gar nicht so verkehrt.«

Neville sah nachdenklich hinaus auf die verschneiten Ländereien, ohne, dass ihm eine gescheite Erwiderung einfallen würde. Solche Gedanken hatte er bisher ziemlich tief verdrängt. Es imponierte ihm, wie mühelos Luna diese Dinge in Worte packen konnte.

Für sie schien das Thema damit beendet, denn sie richtete den Blick gen Himmel und schob das Steak zurück in ihre Umhängetasche. »Ich glaube, bald kommt Schnee«, erklärte sie sanft angesichts der dicken Wolken, die sich über die Berge auf das Schloss zuschoben. »Ich beeile mich lieber, bevor ich nicht mehr zurückkomme.«

Jetzt oder nie, sprach Neville sich seinen Gryffindormut zu. »Ich begleite dich.« Ginny würde an einem Samstag ohnehin nicht vor zwölf aus den Federn sein. Es eilte nicht, die Trankzutaten ins Schloss zu bringen.

Falls Luna sein Stimmungsumschwung verwunderte, so zeigte sie es nicht. Stattdessen hüpfte sie vermeintlich unbeschwert vor ihm drein und summte wieder eine ihrer kleinen Melodien.

Wenn er schon seinen Mut zusammennahm, sie in den verbotenen Wald zu den Thestralen zu begleiten, so redete Neville sich ein, dann konnte er gleich noch mutiger werden. »Welches Lied summst du da?«

Luna ließ einen Schritt in ihrem Hüpfen aus, ehe sie ihren Weg in einem veränderten Rhythmus fortsetzte. »Weiß ich nicht. Meine Mutter hat das früher immer gesummt, wenn sie an einem ihrer Experimente gearbeitet hat. Ich hab‘ ihr gerne dabei zugesehen, weißt du?«

Neville erinnerte sich, dass der Tod von Lunas Mutter der Grund war, weshalb sie die Thestrale überhaupt sah. Das hatte sie ebenfalls ziemlich unverblümt geäußert, als wäre es nur eine beiläufige Sache, dass sie bereits in so jungen Jahren mit dem Tod konfrontiert worden war.

»O-oh«, ertappte er sich beim Stammeln.

Aber Luna gab ihm keine Gelegenheit, verlegen irgendetwas von Beileid zu faseln, wie es seine Großmutter von ihm verlangt hätte. Sie zuckte einfach nur mit den Schultern und lächelte träumerisch in Richtung Wald. »Vielleicht sehe ich die Thestrale deshalb so gerne, weil sie mich an meine Ma erinnern. Sie hätten ihr sicher gefallen, denke ich.«

Auf diese Art hatte Neville es noch nie betrachtet. Er hatte nie weiter gesehen als bis zu den unheimlichen leeren Augen der Geschöpfe und den ledrigen Schwingen, bis er beschlossen hatte, dass die Thestrale ein schrecklicher Gruß aus der Welt der Toten waren, von denen er sich lieber fernhielt.

»Es ist eine schöne Melodie«, erklärte er leise.

Er wünschte, dass es irgendetwas gäbe, dass ihn an seine eigene Mutter erinnerte, wenn man von leeren Bonbonpapieren absah. Aber nicht einmal das hatte er, wo seine Eltern doch wie Tote unter den Lebenden waren.

»Finde ich auch«, entgegnete Luna bestimmt, ehe sie unerwartet ihre Hand nach ihm ausstreckte. »So fühle ich mich weniger alleine.«

Neville ergriff ihre Hand, die trotz der eisigen Kälte erstaunlich warm war. Wenigstens fühlte er sich so ebenfalls weniger alleine. Außerdem konnte er es gebrauchen, denn ihn befiel Beklemmung, sobald die ersten Bäume ihre Zweige nach ihnen reckten. Mit der freien Hand klammerte sich fester an den Riemen seiner Tasche voller Trankzutaten und heftete den Blick unverwandt auf Lunas blonde Mähne, die vor ihm auf und ab hüpfte.

Zielstrebig führte die Ravenclaw ihn zu einer kleinen Lichtung, auf der sich der Schnee fast kniehoch türmte und die Äste sämtlicher Bäume von der Schneelast gen Boden gezogen wurden. Obwohl der Wald sonst so dunkel erschien, ließ das glitzernde Weiß die Stelle beinahe freundlich wirken.

Luna zog das erste blutige Steak aus ihrer Tasche und es dauerte nicht lange, ehe sich ein dunkler Schemen zwischen den dichten Bäumen löste. Schnuppernd schob sich ein Kopf über Nevilles Schulter. Er unterdrückte einen ängstlichen Aufschrei, als sein Blick denen aus leeren Augenhöhlen begegnete. Es änderte nichts, dass er bereits auf dem Rücken eines Thestrals gereist war – ihm lief trotzdem ein kalter Schauer über das Rückgrat.

Doch Luna drückte ihm einfach ein Stück Fleisch in die Hände und schon fand Neville sich von Angesicht zu Angesicht mit dem Skelettpferd wieder, das ganz eindeutig hungrig war. Das Tier stupste ihn an der Schulter an und mit den letzten Resten Löwenmut hielt er ihm aus zitternden Händen das Steak hin. Innerhalb weniger Happen verschlang der Thestral sein Futter.

Unfreiwillig kicherte Neville leise, als das Geschöpf an seinen leeren Fingern schnupperte. Luna dagegen sprach kein Wort, sondern holte einfach weitere Stücke Fleisch aus ihrer Tasche. Gemeinsam verfütterten sie alles bis auf den letzten Fitzel, bis sie von einer ganzen Traube an Thestralen umringt waren, die sich bereitwillig von ihnen streicheln ließen.

Hagrid hatte in seiner Stunde Pflege magischer Geschöpfe nur gut von der Herde gesprochen, aber erst jetzt, zusammen mit Luna, fiel es Neville leichter, zu glauben, dass sie nur Tierwesen waren, die nicht mit dem Tod in Verbindung standen.

Die Thestrale machten außer leisem Schnauben keinerlei Geräusche. Selbst der Tritt ihrer Hufe wurde von dem reichlichen Schnee gedämpft. So wohl gefühlt in der Stille hatte Neville sich schon lange nicht mehr. Stille im Schloss bedeutete selten etwas Gutes, seit die Carrows Einzug gehalten hatten. Stille war Angst.

Luna lächelte ihm über die Pferdewesen hinweg zu, als hätte sie genau denselben Gedanken. Aber wer wusste schon, was in ihrem Kopf vorging? Vielleicht dachte sie auch gerade an den schrumpfhörnigen Schnarchkackler, das wollte Neville nicht ausschließen.

»Nicht so übel, oder?«

Er musste ebenfalls lächeln. »Besser als oben im Schloss.«

»Nun, das ist leider nicht schwer angesichts der Todesser, würde ich sagen. Vor denen lohnt es sich, Angst zu haben.«

Wenn Neville es so betrachtete, war es ironisch, dass er sich ausgerechnet vor den Thestralen gefürchtet hatte. Im Gegensatz zu den Carrows folterten diese schließlich keine Kinder mit dem Cruciatus-Fluch.

»Ich habe eine Menge Angst«, gestand er Luna. »Gerade vor den Todessern. Aber ...«, er klopfte auf seine prallgefüllte Tasche voller gemopster Trankzutaten, »das ist eine Angst, der ich mich stellen kann. Ich meine ... wir – die DA – haben ja einen Plan.«

Was immer in Luna vorgehen mochte – ihre blauen Augen hefteten sich unverwandt auf ihn, unergründlich wie der schwarze See. Doch das Lächeln auf ihren Lippen verbreiterte sich. »Das hast du sehr schön gesagt, Neville. Unsere Freunde zählen schließlich auf uns, nicht wahr?«

Er dachte an seinen leeren Schlafsaal und Seamus, dessen Blick immer wieder zu Deans verlassenem Bett hinüberglitt, wenn er annahm, Neville würde es nicht bemerken. Rasch nickte er. Die DA wurde gebraucht. Er wurde gebraucht. Luna wurde gebraucht.

»Hey, ähm ... willst du Ginny und mir heute Nachmittag mit den neuen Tränken helfen?«

Nun strahlte Luna endgültig. »Sehr gerne sogar.«

Punschdenken [Gwenog Jones]


 

Hogwarts, 1999

Gwenog Jones

 

Die Weihnachtsfeiern des Slugclubs sind berühmt-berüchtigt für zwei Dinge: das schreckliche Networking und den ausgezeichneten Punsch. Wenn man dabei auch noch von einem aufdringlichen Fan belagert wird, so wie Gwenog Jones, sture Kapitänin der Holyhead Harpies, dann wünscht man sich schnell eine Retterin herbei ...

 

***

 

Sie hasste diesen Firlefanz. Hatte sie schon immer und würde sie bis in alle bittere Ewigkeit. Es gab Dinge, in denen war Gwenog Jones gut: Auf einem Besen sitzen, das Treibholz in der Hand, und einen Klatscher mit ordentlich Schwung in Richtung eines ihrer Gegner schicken. Da war sie in ihrem Element. Hoch über dem Quidditchfeld kam keiner und hielt sie auf – solange sie nicht wieder ein regelwidriges Foul beging.

Über die Jahre in der britischen Quidditchliga hatte sie sich das wohl oder übel abgewöhnt. Immerhin ging es bei ihrem Team um mehr, als nur ein paar persönliche Befindlichkeiten. Auch in anderer Hinsicht hatte sie Abstriche gemacht – sie musste das liebe Kind mimen, lächeln und den richtigen Leuten die Hand schütteln. Und das war etwas, das konnte Gwenog Jones überhaupt nicht gut.

Alleine der Umstand, dass sie hier war, auf der Weihnachtsfeier des Slugclubs – noch dazu in einem festlich dunkelroten Umhang aus Satin – grenzte an ein Wunder. Sie erinnerte sich ausgezeichnet an das letzte Treffen dieser Sorte, zu dem ihre Teamkameradinnen sie überredet hatten, bevor der Krieg ihnen allen neue Sorgen beschert hatte.

Dem alten Sluggy zuliebe, wie sie ihr in den Ohren gelegen hatten. Der kannte schließlich immer die richtigen Leute, der würde bestimmt jemanden kennen, der die Position von Priscilla übernehmen könnte. Er war ja wieder Lehrer in Hogwarts, da wimmelte es doch nur so von angehenden Quidditchspielerinnen.

Womit niemand gerechnet hatte, war der aufgeblasene Wichtigtuer, der sich für den besten Hüter hielt – seine bescheidene punschgetränkte Aussage –, und Gwenog den ganzen Abend damit langweilte, dass er es nicht in die Hausmannschaft geschafft hatte, weil Potter seine Freunde bevorzugte. Ihr konnte das nicht egaler sein und das ließ sie den Jungen spüren, aber der redete weiter, als hätte er Quasselwasser getrunken.

Sie hatte jetzt schon Angst, dass sich ihr wieder so ein schrumpfhirniger Typ an die Backe labern könnte. Da würde sie lieber mit ihrem alten Professor in Zaubertränke reden. Der hatte zwar keine große Ahnung von Quidditch, aber das war auch egal, denn er fand Gwenog brillant in allem, was sie tat. Er wurde nicht müde, ihre besten Züge aus den letzten Spielen – die selten wirklich gut gewesen waren – hervorzuheben.

Damit konnte Gwenog leben, auch wenn es sie nach all den Jahren inzwischen langweilte. Die Zeit, als Slughorn abgetaucht war, die war ihr definitiv die liebste gewesen. Da hatte sie nur hin und wieder einen Brief voller wohlüberlegter Worte und, noch wichtiger – einer Karte für das nächste Spiel der Holyhead Harpies – geschrieben und damit war die Angelegenheit erledigt.

Jetzt aber stand sie hier, in diesem lächerlichen Aufzug, der längst nicht so bequem war wie ihre weit geschnittenen Quidditch-Umhänge und musste sich das neueste Lied von Celestina Warbeck in voller Dröhnung geben. Die Häppchen auf den Silbertabletts waren für ihren Geschmack reichlich klein und die Punschgläser hätten auch größer sein können.

Die anderen aus ihrer Mannschaft amüsierten sich bestimmt gerade prächtig bei ihrem letzten Training der Saison. Der Wetterbericht hatte einen ordentlichen Schneesturm angekündigt und Gwenog hatte wirklich große Lust, sich in fünfzehn Metern Höhe eisige Schneekristalle gegen die Schutzbrille prasseln zu lassen. Hauptsache, sie konnte auf Klatscher eindreschen.

Seufzend leerte sie ihren letzten Schluck Punsch, bevor sie sich zum dritten Mal an diesem jungen Abend in Richtung des Buffets schlich, auf dem der Nachschub wartete. Dabei machte sie einen umsichtigen Bogen um alle Mistelzweige, die ihren Weg säumten. Wer auch immer in Hogwarts für die Dekoration verantwortlich war, hatte es in Slughorns Büro eindeutig übertrieben. Wobei Büro ohnehin eine Untertreibung war. Der Raum erinnerte eher an den Ballsaal eines Herrenhauses.

An dem sprudelnden Punschbrunnen war Gwenog allerdings nicht alleine. Kaum hielt sie ihr Glas unter den Strahl aus roter Flüssigkeit, da tauchte er neben ihr auf. Dieser unerträgliche Junge, der sich selber für den größten Hüter aller Zeiten erklärt hatte.

»Gwenog!«, rief er freudig aus, als wären sie alte Schulfreunde.

Und selbst vor denen hätte Gwenog sich gerne versteckt, solange sie nicht ihr Treibholz in der Hand hatte und auf einem Besen flog. Sie war einfach keine besonders soziale Person. Das hielt sie nicht für ihr Problem, sondern eher für das der anderen. Aber angesichts der Tatsache, dass dieses selbsternannte Quidditchass sein Glas neben ihr unter den Punschbrunnen tauchte, musste sie wohl etwas sagen. Wie hieß er noch gleich? Das war so ein typisch schottischer Name gewesen, irgendein Mc ... ach, verflucht!

»Guten Abend«, grüßte sie steif und zog ihr Punschglas so ruckartig zurück, dass sie einen ordentlichen Teil des leckeren Getränks verschüttete. Welche Verschwendung. »Frohe Weihnachten und äh – man sieht sich.«

Noch während sie redete, hob sie ihr Glas zu einem, wie sie hoffte, höflichen Gruß und ging rückwärts einige Schritte in die Menge hinein, ehe sie sich fluchtartig umdrehte.

Weit kam sie nicht, bevor seine selbstgefällig-zufriedene Stimme sie einholte. »Gwenog, warte mal! Hab ich dir schon erzählt, dass ich jetzt ebenfalls in der Liga spiele?«

Offenbar hielt er sie wirklich für eine Art Freundin! Was ein hoffnungsloser Fall. Augenrollend beschleunigte sie ihre Schritte. Welcher Verein hatte diesen Trottel bloß verpflichtet? Soweit sie wusste, hatte er ein einziges Quidditchspiel für Gryffindor bestritten und war berühmt dafür geworden, Potter mit einem Treibholz vom Besen gehauen zu haben. Die Vorstellung amüsierte Gwenog zwar, aber gleichzeitig hatte sie ernsthafte Zweifel an der Teamfähigkeit ihres hartnäckigen Fans.

Zumindest war es ihm egal, dass sie nicht antwortete, denn er redete ohnehin wie ein Springbrunnen. »Seit letztem Jahr bin ich bei den Portsmouth Pixies als Hüter verpflichtet!«, lamentierte er hinter ihr, während sie sich weiter um zahlreiche Alumni des Slugclubs herum lavierte.

Bei der Erwähnung des Vereins verdrehte Gwenog erneut die Augen. Ausgerechnet die Portsmouth Pixies! Die waren was ... in der dritten Liga? Die hatten einen wie ihn in jedem Fall verdient. Mit ihm würden sie wahrscheinlich noch den Abstieg in die vierte Liga schaffen.

»Es kann also sein, dass wir uns bald mal auf dem Quidditchfeld gegenüberstehen! Immerhin haben wir dieses Jahr echt hart trainiert und ich will ja nicht sagen, dass die das mir zu verdanken haben, aber wir haben alle unsere Spiele in der Hinrunde gewonnen ...«

Gwenog wich einem weiteren Mistelzweig aus und nahm einen tiefen Schluck aus ihrem Punschglas. Egal, was ihre Teamkameradinnen auch behaupteten – sie würde hier niemals eine fähige Quidditchspielerin für ihr Team finden. Nicht mit diesem Totalausfall an ihren Hacken. Bei seinem lauten Gequassel konnte sie ja nicht einmal ihre eigenen Gedanken hören!

»Ich rechne fest damit, dass wir den Aufstieg schaffen«, ereiferte sich der ehemalige Gryffindor immer noch fleißig, »und ich freue mich schon darauf, einmal gegen die berühmten Holyhead Harpies zu spielen! Ich verspreche auch, dass ich keine Ausnahme machen werde, nur weil wir gute Bekannte sind – wir werden euch nicht verschonen.«

»Oh, da habe ich ja jetzt schon Angst«, seufzte sie gelangweilt. »Nicht, dass du mir auch noch einen Schläger über den Kopf ziehst.«

Wenn ihr dieser Wicht je auf dem Quidditchfeld begegnen würde – und daran hegte sie ernste Zweifel – dann wäre sie die Erste, die ihm einen Klatscher entgegenschicken würde, so viel stand fest.

Hilfesuchend glitt Gwenogs Blick über die Menge an heutigen und ehemaligen Hogwartsschülern. Doch auf die Schnelle konnte sie niemanden ausmachen, der sich als besserer Gesprächspartner anbot.

Ihr hartnäckiger Fan lachte unterdessen nur über ihren sarkastischen Kommentar. »Das war eine Ausnahme«, verkündete er großspurig, »leider hat Potter einfach nicht verstanden, warum ich mit seiner Führung unzufrieden war ...«

Kurzzeitig überlegte Gwenog, ob sie unbemerkt den Zauberstab ziehen und einen Silencio-Zauber wirken konnte. Es wäre sicherlich sehr unterhaltsam, sollte der kleine Schwätzer plötzlich die Stimme verlieren. Andererseits würde ihr das bestimmt Ärger mit ihrer Trainerin einbringen, wenn die davon Wind bekam, dass sie mal wieder ein Problem ‚gelöst‘ hatte. Sie stritten sich schon zu Genüge darüber, dass Gwenog nicht immer Auseinandersetzungen mit den Spielern anderer Quidditchmannschaften suchen sollte.

»... und dann haben sie mich aus der Mannschaft geworfen, das war eine grobe Fehlentscheidung, ich kann es nur noch betonen ...«, blubberte ihr Verfolger – sie beschloss kurzerhand, ihn McSabbel zu taufen – hinter ihr.

Gwenogs Punschglas indes war schon wieder verdächtig leer und nicht einmal Slughorn ließ sich blicken, um sie aus ihrer Misere zu befreien. Erneut wünschte sie, dass der Schneesturm sie auf ihrem Feuerblitz durch die Luft schleudern würde. Selbst wenn ein Blitz sie träfe, wäre das wahrscheinlich angenehmer als diese Veranstaltung.

Da tauchte auf einmal ein roter Haarschopf vor ihr auf. »Oh hey Gwenog, lange nicht mehr gesehen!«, rief ein breitgrinsendes Mädchen.

Hatte McSabbel etwa Verstärkung bekommen? Gequält stöhnte Gwenog auf.

Ihr Gegenüber zwinkerte ihr allerdings zu und ehe sich die berühmte Quidditchspielerin versah, hatte die völlig Fremde sich bei ihr untergehakt. »Du musst mir unbedingt erzählen, ob das wahr ist, was neulich in der Hexenwoche über dich stand – datest du jetzt wirklich diese brasilianische Spielerin? Oh, komm, da müssen wir uns unbedingt in Ruhe drüber unterhalten!«

Reichlich verwirrt ließ Gwenog sich am Arm mitziehen. Hexenwoche? Hatte das Schundblatt schon wieder irgendeinen Schwachsinn über sie geschrieben? Vielleicht war ihre letzte Drohung, dass sie Rita Kimmkorn einen Besuch abstatten würde, doch nicht so ernstgenommen worden, wie sie hoffte ... Immerhin zeigte ein Blick über die Schulter ihr, dass McSabbel mit offenem Mund und reichlich enttäuschtem Gesichtsausdruck in der Menge zurückblieb.

Kaum waren sie außerhalb seiner Sichtweise, löste sich die Unbekannte von Gwenog und warf ihr ein entschuldigendes Lächeln zu. »Sorry für den Überfall, aber ich konnte einfach nicht anders, ich musste dich vor McLaggen retten. Du sahst nicht gerade sehr glücklich aus über seinen Monolog.«

»Ach, so heißt McSabbel also«, rutschte es Gwenog heraus.

Grinsend biss sich das Mädchen vor ihr auf die Lippe. »Oh, der Name würde Ron auch gefallen. Er nennt ihn gerne König Nacktschnecke, weißt du?«

»Passend«, schmunzelte Gwenog mit erhobener Augenbraue. »Huldigt alle König Nacktschnecke dem Ersten – McSabbel.« Sie hob ihr fast leeres Punschglas zu einem ironischen Toast und genehmigte sich einen großen Schluck. »Danke im Übrigen für die Rettung. Noch ein bisschen länger und ich fürchte, ich hätte einen Zauber erfinden müssen, der mich auf der Stelle in den Boden versinken lässt oder so.«

»Für solche Fälle nutze ich ganz gerne den Flederwichtfluch«, kicherte ihre Retterin. »Danach lässt er dich garantiert für immer in Ruhe.«

»Das klingt großartig«, seufzte Gwenog sehnsüchtig. »Ehrlich, Typen wie dieser sind der Grund, warum ich Treiberin geworden bin.«

»Ich kann es dir nicht verübeln. Manchmal hätte ich auch Lust, ein bisschen das Treibholz zu schwingen. Ach ja, ich bin übrigens Ginny. Hat mich gefreut, dich einmal persönlich zu treffen, Gwenog. Ich will keinen auf McSabbel machen, aber tatsächlich war ich immer eine große Bewunderin der Holyhead Harpies.«

»Ach, schon gut«, wischte Gwenog mit einer unwirschen Handbewegung fort, »Hauptsache, du erzählst mir nicht gleich, dass du die beste Hüterin der Welt bist, so wie unser schleimiger Freund dahinten.«

»Oh nein, das Ringehüten überlasse ich meinem Bruder, das ist nix für mich. Wenn überhaupt, könnte ich dich mit meinen Eigenschaften als Jägerin langweilen.« Ginny zwinkerte. »Aber keine Sorge«, setzte sie schnell hinzu, »ich habe nicht vor, davon zu reden. Genauso wenig wie von der Hexenwoche im Übrigen. Den Artikel habe ich mir nur ausgedacht, weil ich genau weiß, dass McSabbel auf solche Unterhaltungen ganz sicher keine Lust hat. Da kann er schließlich nicht seine großartigen Quidditchfähigkeiten ins Gespräch einbringen.«

»Gesunde Einstellung«, brummte Gwenog. »Quidditchtalent zeigt sich schließlich nicht daran, wer seine Spielzüge in den blumigsten Worten beschreiben kann, sondern auf dem Feld. Und jetzt brauch‘ ich neuen Punsch.«

Misstrauisch suchte sie die Umgebung nach McSabbels blondem Haupt ab. Immerhin ein Vorteil an ihm – er überragte die Menge und ließ sich so einfach ausmachen.

»Sag Ginny – du hast nicht zufällig Lust, meine Rückendeckung zu sein? Ich könnte den Flederwichtfluch vielleicht noch gebrauchen, wenn McSabbel wieder ein Attentat auf mich verübt.«

»Mit Vergnügen!«

Ginny entpuppte sich als deutlich umgänglichere Gesprächspartnerin gegenüber McSabbel. Zum einen, weil sie und Gwenog denselben Humor teilten, zum anderen, weil sie durchaus eine gewitzte Hexe war. Der Flederwichtfluch, mit dem sie den nervigen Möchtegernhüter schließlich in einem Gang vor Slughorns Festsaal erwischte, ließ sich auf jeden Fall sehen.

Gwenog kam nicht umhin, beeindruckt zu sein. Am Ende der langen Feier saß sie immer noch mit Ginny an einem kleinen Tisch in der Ecke, ein weiteres Glas Punsch vor sich und ertappte sich dabei, Anekdoten über unausstehliche Quidditchgegner und unmögliche Konfrontationen abseits des Feldes auszutauschen. Sie erzählte ihr gar die Geschichte, wie sie das eine Mal diesen Klatscher verflucht hatte und der Fluch irgendwie außer Kontrolle geraten war, bis der magische Spielball schließlich sein Unwesen in der Schule getrieben hatte.

Nicht ein einziges Mal an diesem Abend redeten sie über das Spiel an sich oder ihre jeweiligen Leistungen auf dem Feld. Aber bei Ginnys Schilderung, wie sie nach einem denkwürdigen Match absichtlich mit der Bühne des Kommentators kollidiert war, um dessen beleidigende Litanei an Sprüchen zu rächen, brach Gwenog in begeistertes Lachen aus.

»Deine Einstellung gefällt mir«, erklärte sie breitgrinsend. »Ich hab‘ dich zwar nicht einmal spielen sehen, aber ich glaube, du könntest ganz hervorragend in unser Team passen. Also, was hältst du davon – Lust auf eine Proberunde nächste Woche? Wir brauchen dringend eine neue Jägerin. Und Langweilerinnen können wir nicht gebrauchen.«

»Meinst du das ernst?« Ginnys Augen wurden größer als die eines Hauselfen.

»Klar.« Gwenog zuckte mit den Schultern. »Du hast mich vor McSabbel gerettet, da kann ich dir doch wenigstens eine Chance geben.«

»Ich werde da sein.«

 

Eine Woche später heulte der Schneesturm immer noch unerbittlich über das Trainingsfeld der Holyhead Harpies und Gwenog fiel – wenn auch nur im übertragenen Sinne – aus allen Wolken. Ihre grinsenden Teamkameradinnen eröffneten ihr glatt, dass sie geradewegs Ginny Weasley, Freundin von Harry Potter (ausgerechnet!) und Heldin der Schlacht von Hogwarts (unglaublich!) zu ihrem Probetraining eingeladen hatte.

Von all den Leuten auf Slughorns Weihnachtsfeier hatte sie sich zielsicher eine kleine Berühmtheit herausgepickt. Vielleicht hätte jemand anderes bei dem Vornamen bereits erahnt, mit wem sie da so fröhlich Anekdoten ausgetauscht hatte, doch Gwenog hatte einmal mehr bewiesen, dass sie kein Händchen für Networking besaß. Andernfalls hätte sie Ginny wahrscheinlich gar nicht erst angesprochen, denn sie brauchten wahrlich keine Heldin in ihrem Team, nur eine Jägerin.

In jedem Fall nahm sie diese Erkenntnis keinesfalls zum Anlass, es der Anwärterin auf den Jägerinnenposten einfach zu machen. Im Gegenteil. Sie musste bloß an McSabbels Sprüche denken und schon schleuderte sie den Klatscher im hohen Bogen über das Feld auf die Jägerin zu. Womöglich ein neuer Weltrekord in Sachen Geschwindigkeit, stellte Gwenog grimmig fest.

Doch Ginny Weasley enttäuschte ohnehin nicht, denn sie flog, als wäre der Drache hinter ihr her. Vielleicht war sie auch selbst der Drache. In dieser Hinsicht war Gwenog sich nicht sicher. Jedenfalls schaffte Ginny es, zehn Tore zu werfen und dabei nicht einmal vom Klatscher berührt zu werden.

Ja, stellte die Kapitänin zufrieden fest, ihre jüngste Entdeckung hatte geradewegs den richtigen Schneid für ein Team wie die Holyhead Harpies. Vielleicht würde sie McSabbel sogar eine Dankeskarte schicken.

Überraschungsgeschenk - Part I [Dudley Dursley]


 

Little Whinging, 2013

Dudley Dursley

 

Ausgerechnet kurz vor Weihnachten entdeckt Dudley, dass er die Magie längst nicht so weit hinter sich gelassen hat, wie erhofft, als seine dreijährige Tochter Dinge geschehen lässt, die eigentlich nicht möglich sein sollten.

 

***

 

Dudley Dursley war stolz darauf, ganz und gar normal zu sein. Nicht auf dieselbe erbittert spießbürgerliche Art seiner Eltern, aber doch glücklich über sein bescheidenes und vor allem ruhiges Leben. Manch böse Zunge würden glatt behaupten, es wäre ereignisarm. Langweilig, spießig oder welche Worte einem auch immer einfallen mochten, um den absolut gewöhnlichen, garantiert magiefreien Alltag eines Muggels zu beschreiben.

Er war stolz auf sein Auto, sein Haus und nicht zuletzt seine Familie. Ganz wie es sich gehörte, zumindest seiner Wahrnehmung nach. Hin und wieder erlaubte er sich eine kleine Rebellion, einen Ausbruch aus dem feinsäuberlich organisierten Leben, das seine Eltern ihm stets vorgelebt hatten. Ausländische Speisen, die seine Mutter nur mit gerümpfter Nase betrachtet hätte; Kleidung die sein Vater als geschmacklos bezeichnen würde; eine Tätowierung, die er selber ein wenig bereute. Spätestens in Smeltings hatte Dudley die Freuden der gelegentlichen Grenzüberschreitung kennengelernt – und erfahren, wann es zu viel war.

Ein Sprichwort sagte: Es gibt immer einen größeren Fisch. Oder irgendwie so. Dudley kannte sich da nicht sonderlich gut aus. Jedenfalls stand auch er eines Tages vor einem Herausforderer, dem er nicht gewachsen war. Beim ersten Mal suchte er die Konfrontation und verließ sich alleine auf seine Fäuste. Das bescherte ihm eine Platzwunde neben einem einwöchigen Aufenthalt im Krankenflügel, ebenso wie die Erkenntnis, dass es verdammt wehtat, wenn der Kopf Begegnung mit der Kloschüssel machte. Für ehrliche Reue war es zu früh, aber es sollte ein Anfang sein.

Beim zweiten Mal allerdings sah er sich einem Krieg gegenüber, den er nicht einmal verstand. Egal wie gut er boxen konnte, gegen einen durchgeknallten Zauberer hätte auch er als Kreismeister keine Chance. Zum ersten Mal in seinem Leben bereute er ernsthaft, während seine Familie sich von Versteck zu Versteck durchschlug und Dudley erkannte, was sein Cousin wirklich durchlitt.

In mancher Hinsicht hatte Dudley nie wie seine Eltern sein wollen und war es dann doch geworden (mit zweiundzwanzig hatte er endlich verstanden, warum diese sich über Straßenschuhe im Haus aufgeregt hatten). Aber andererseits gab es genug Gelegenheiten, bei denen er hinter dem Rücken seiner Eltern mit den Augen rollte. Oft schimpfte er zusammen mit seiner Frau Amelie auf dem Rückweg von einem gemeinsamen Abendessen von deren Verhalten (zum Beispiel über die stetigen Reden für einen Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union).

Der wohl größte Unterschied zu seinen Eltern war jedoch, dass er seinem Cousin schlussendlich die Hand zur Versöhnung gereicht hatte. Von Magie verstand Dudley nichts – und wollte das ohnehin nicht – aber er hatte einsehen müssen, dass Harry ihm nicht nur einst das Leben gerettet hatte, sondern darüber hinaus immer still unter den Taten seiner Familie gelitten hatte. Er, Dudley, hatte ihm über Jahre hinweg Unrecht getan. Die beiden Cousins lebten in unterschiedlichen Welten, aber dafür hasste Dudley ihn nicht länger; nicht so, wie seine Eltern. Letztlich waren das Nichtigkeiten angesichts eines Krieges, der sie alle ihr Leben hätte kosten können.

Er und Harry hatten sich darauf beschieden, einander hin und wieder zu schreiben, auf jeden Fall immer eine Karte zu Weihnachten. Wie man das eben tat, mit entfernten Verwandten, die man nicht allzu häufig sehen mochte, aber auch nicht einfach vergessen konnte. Beide legten ein Bild ihrer jeweiligen Familien bei – Dudley eines, auf dem sie für alle Zeiten festgefroren in die Kamera lächelten, Harry eines, auf dem die Potters winkten (und mitunter ein magisches Knallbonbon explodierte oder die Hauskatze den Weihnachtsbaum umstürzte).

Jedes Jahr versteckte Dudley Karte und Foto vor Amelie. Falls sie nachfragte, bediente er sich einer Ausrede, die sein Vater früher oft bemüht hatte – es sei Werbung, keine Ahnung, woher die seine Adresse hatten; ja, er würde dort mal anrufen, damit es aufhörte.

Es hatte sich schlichtweg nie die Chance ergeben, seiner Frau zu erzählen, was es mit seinem Cousin auf sich hatte. Am Ende war es ja auch gar nicht wichtig, redete er sich ein, wann sollten sich die beiden schließlich je treffen? Wenn sie gar nicht erst von der Zaubererwelt wusste, war es definitiv einfacher für ihr normales, ruhiges Muggelleben, das er so sehr schätzte.

Auch in diesem Jahr kam pünktlich vor dem Weihnachtsfest eine Karte im roten Umschlag, passend frankiert und mit der gewöhnlichen Post. Die Sache mit der Eule hatte Harry zum Glück nur einmal versucht und Dudley damit zu Tode erschreckt. Seitdem war er auf den herkömmlichen Postweg umgestiegen.

Wie jedes Jahr fischte Dudley den auffälligen Brief aus der Menge an Rechnungen, echter Werbung und weiteren Ärgernissen des Erwachsenenlebens, und ließ ihn in seiner Hosentasche verschwinden, bevor er die Küche betrat.

Dort saß Amelie bereits und versuchte, ihre dreijährige Tochter Emma dazu zu überreden, noch etwas von ihrem Porridge zu essen. Den Dickschädel, das warf seine Frau ihm oft genug im Scherz vor, hatte die Kleine von Dudley geerbt. In diesem Moment legte sie äußerst entschieden fest, dass sie auf keinen Fall mehr essen würde. ‚Nein‘ war so ziemlich das erste Wort, das Emma je gesagt hatte.

Manchmal fragte sich Dudley, ob er auch so ein widerspenstiges Kind gewesen war. Hin und wieder hatte er gar das Gefühl, er müsse sich bei seiner Mutter entschuldigen – tat es dann aber doch nie.

»Ich fasse es einfach nicht«, stöhnte Amelie anstelle eines ‚Guten Morgen‘. »Sieh dir das an, Dud!«

»Was’n?«

Er schnappte sich einen Streifen Speck aus der Pfanne neben dem Herd, da fuchtelte Amelie auch schon mit einer Reihe ... was sollte das sein – Besteck? – vor seiner Nase herum.

»Also entweder, deine Eltern haben uns das letzte Ramschbesteck zur Hochzeit geschenkt oder hier geht etwas nicht mit rechten Dingen zu«, schimpfte sie. »Ich sitze hier seit einer halben Stunde und einfach jeder einzelne Löffel, den ich Emma gegeben habe, ist entweder abgebrochen, hat sich verbogen oder«, und bei diesen Worten hob sie etwas in die Höhe, was wohl in einem Puppenhaus richtig aufgehoben wäre, »ist geschrumpft. Geschrumpft!«

Dudley hätte gerne gelacht. Wirklich. Der winzige Löffel, kleiner als ein Zahnstocher, war immerhin putzig. Aber dann dachte er an schrumpfende Pullover, rasant wachsende Haare und verschwundene Glasscheiben und ihm blieb das Lachen im Halse stecken.

»Ähm ...«, murmelte er verwirrt. »Bist du dir sicher?«

Rote Flecken zeichneten sich auf Amelies Wangen ab. »Ob ich mir sicher bin?« Sie kniff ihre Augen zusammen. »Willst du mich auf den Arm nehmen?«

»Natürlich nicht.« Hastig schüttelte er den Kopf und nahm sich ein weiteres Stück Speck, damit er Zeit gewann, um nachzudenken. Für ihn lag die Lösung auf der Hand, nur akzeptieren konnte – und wollte – er sie noch nicht.

»Das ist wie verhext«, schimpfte Amelie und warf das Sammelsurium aus verunstalteten Löffeln auf die Küchentheke.

Er zuckte zusammen und hörte innerlich die Stimme seines Vaters, die sie anherrschte, nicht dieses Wort in den Mund zu nehmen. Schon knabberte er am dritten Stück Speck.

»Was?« Amelie stemmte die Hände in die Hüften und sah ihn an wie einen der Kleinkriminellen, die sie sonst als Polizistin verfolgte.

»Weißt du was, du solltest dich ausruhen«, erklärte er schließlich. »Lass mich das mit Emma übernehmen und schnapp dir ein Buch, leg die Füße hoch. Vielleicht nimmst du ein schönes heißes Bad. Die Woche war anstrengend genug.«

Seine Frau seufzte noch einmal, aber ihre Schultern sackten ergeben nach unten. »Vermutlich hast du recht.« Sie warf einen langen Blick auf ihre Tochter, die inzwischen seelenruhig mit den Resten des verhassten Porridge ein Bild auf den Tisch malte. »Viel Spaß, Dud.«

An Spaß war natürlich nicht zu denken. Dudley konnte es Emma nicht einmal verdenken, dass sie den unansehnlich Matsch nicht essen wollte. Hätte er auch nicht, weder als Kind noch als Erwachsener. Mit Grauen erinnerte er sich an die Diät, die ihm in Smeltings verordnet worden war. Grapefruits würde er nie wieder herunterbringen. Und trotzdem hatte Amelie recht, dass eine Dreijährige nicht jeden Morgen Schokoladenpudding essen konnte. Das hatte ihm auch nicht gutgetan.

Während seine Frau aus der Küche entschwand, setzte Dudley sich seufzend an den Esstisch und betrachtete seine Tochter, die mit ihren haselnussbraunen Locken aussah wie ein kleiner Engel. Wäre da nicht der Porridge, der an ihren winzigen Kinderhänden klebte.

»Guck Papa, Schneemann«, ließ sie ihn wissen und deutete auf den Matsch, der nicht einmal mit viel Fantasie als Schneemann durchgehen konnte.

»Hmm«, brummte Dudley zur Antwort. »Hör auf, mit deinem Essen zu spielen, Em. Das gehört sich nicht.«

Die Ecke einer Karte bohrte sich im Hinsetzen in sein Hinterteil und erinnerte ihn an den Brief seines Cousins. Gedankenverloren pflückte er den roten Umschlag aus seiner Hosentasche und betrachtete die krakelige Schrift, die ganz eindeutig nicht mit einem praktischen Kugelschreiber, sondern einer antiquierten Feder geschrieben worden war.

Wie immer enthielt Harrys Karte ein Bild seiner Familie, auf dem einfach alles nach Magie schrie. In diesem Jahr schneite es scheinbar aus dem Nichts auf den Weihnachtsbaum herab, wobei sich der Schnee allerdings wie von Geisterhand wieder auflöste. Und überhaupt war der Baum so schief vor lauter Schmuck, dass es nur mit Zauberei zu erklären war, dass er nicht umfiel. Davor lächelten alle fünf Potters in die Kamera, wobei der älteste Sohn seinem Bruder heimlich Hasenohren machte.

Dudley starrte das Chaos an und dann wieder seine Tochter, die sich keiner Schuld bewusst war. Mit kindlicher Freude werkelte sie weiter an ihrem Porridge-Kunstwerk. Ihm war klar, dass Emma sich das nicht ausgesucht hatte. Mit drei Jahren interessierte sie sich schlicht dafür, immer das zu bekommen, was sie wollte und wenn es einen Heulkrampf forderte. Vielleicht war es so etwas wie ausgleichende Gerechtigkeit, dass ausgerechnet seine Tochter nun eventuell eine von denen war. Eine Hexe.

Alleine daran zu denken, fühlte sich verboten an. In seiner ganzen Kindheit waren alle Worte, die mit Zauberei zu tun hatten, tabu gewesen. Selbst heute noch konnte Dudley keine Filme mit Magie sehen, ohne sich ... schuldig zu fühlen. Auch wenn das natürlich albern war.

»Was hältst du davon, wenn Papa mit dir rausgeht und wir einen echten Schneemann bauen, hm?«, fragte er Emma.

Ihre blauen Augen, die sie von Amelie hatte, leuchteten strahlend auf. »Jaaaa«, jubilierte sie.

Keine zwanzig Minuten später standen sie im Garten, der unter einer frischgefallenen Schneedecke dalag. In kindlicher Begeisterung stürzte Emma sich in das kalte Weiß und warf lachend Hände voller Schnee in die Luft. In Dudley keimte eine leise Hoffnung, dass es bei der Löffelsache bleiben würde. Unter Umständen gab es ja doch eine ganz logische Erklärung für all das. Warum auch sollte ausgerechnet seine Tochter magische Fähigkeiten haben? Nur weil seine Tante eine Hexe gewesen war? Er schüttelte den Kopf und besann sich darauf, mit Emma den versprochenen Schneemann zu bauen.

Den Tag über lief alles gut, sodass Dudley am Abend, als er die Kleine ins Bett brachte, gar nicht mehr an den Löffelvorfall dachte. Er steckte ihre Decke fest, gab ihr einen Kuss auf die Stirn und schlich sich schon zur Tür, da hörte er ein erfreutes Kichern hinter sich. Irritiert drehte er sich um und wurde gerade noch Zeuge davon, wie sie ihren geliebten Stofflöwen durch die Luft fliegen ließ.

Er flog wirklich. Als wäre die Schwerkraft nur ein schlechter Witz. Plötzlich fiel ihm das Schlucken erstaunlich schwer. Emma schien sein schockierter Blick nicht aufzufallen, denn sie lachte nur noch mehr.

»Guck Papa, Löwe fliegt zum Mond!«, gluckste sie.

Dudley dankte sich selber, dass er es war, der Emma heute ins Bett brachte und nicht Amelie. »Das ist ... schön, Schätzchen«, versuchte er es diplomatisch.

Er konnte einfach nicht mit ihr schimpfen, obwohl ihm unweigerlich genug Dinge einfielen, die seine Eltern damals Harry an den Kopf geworfen hatten, sobald mal wieder etwas Unerklärliches geschehen war. Nichts davon hätte er je übers Herz gebracht, wenn er in die strahlenden Augen seiner Tochter sah. Emma wusste schließlich nicht, was sie tat oder? Genauso wenig wie sein Cousin einst.

»Weißt du ... das bleibt besser unser Geheimnis, okay?«

»Warum?«

»Ah ... wir können Mama damit überraschen – später. Wenn du ihr jetzt davon erzählst, gibt es doch keine Überraschung mehr. Also zeig ihr das besser nicht, ja?«

Verschwörerisch zwinkerte er Emma zu und sie kicherte hinter vorgehaltener Hand. »Okay«, flüsterte sie zurück und drückte beide Augen zu.

Draußen im Flur lehnte Dudley sich gegen die Tür und atmete tief durch. Er dachte an Harrys Weihnachtskarte. Das war der einzige Weg, der ihm einfiel. Was sollte er auch sonst tun? Sein Cousin hatte drei Kinder, er würde bestimmt wissen, was man in einer solchen Lage tat, um weitere Vorfälle zu vermeiden. Hoffentlich wäre Harry bereit, ihm zu helfen.

Herzensmelodie [Celestina Warbeck]


 

Winkelgasse, 1997

Celestina Warbeck

 

Nie war Hoffnung wichtiger als in Kriegszeiten. Celestina Warbeck, ihres Zeichens die größte magische Schlagersängerin, hat ihren ganz eigenen Weg, um die dunkle Zeit etwas aufzuhellen – mit einem Lied von der Liebe.

 

***

 

»Celestina, meine Liebe, Darling. Bitte. Nur ein paar Zeilen. Mach etwas Lockeres! Etwas über ... Schnee! Schnee geht immer!«

»Nein. Schnee, das hatten wir zu Genüge! Die Leute wollen nichts über Schnee hören! Und selbst wenn, dann können sie die letzten ... drei Weihnachtslieder hören!«

»Liebling, die Leute brauchen das. Dasselbe wie jedes Jahr, nur ein bisschen anders, darauf verlassen deine Fans sich! Ein Stück heile Welt zu Weihnachten, ist das denn zu viel verlangt?«

»Soll ich ihnen etwas vorlügen? Sie in falscher Sicherheit wiegen? Da draußen sterben Leute! Es ist mir egal, was sich verkauft. Ich singe nicht von einer Lüge! Wenn, dann singe ich von Hoffnung!«

»Darling ...«

»Und nenn mich nicht so! Wir sind geschiedene Leute, Roy, falls du das vergessen hast! Du kannst dankbar sein, dass ich dich überhaupt weiter als Manager beschäftige.«

»Dann lass es dir von deinem Manager gesagt sein, dass du geradewegs deine Karriere ruinieren wirst, Celestina!«

»Und dann lass es dir von mir gesagt sein – das ist mir egal!«

Entschlossen raffte Celestina ihre verstreuten Pergamente zusammen, ohne ihren Ex-Mann eines weiteren Blickes zu würdigen. Nach mehreren Jahrzehnten der Weihnachtskonzerte, Winteralben und Liebesliedern, die vor Mistelzweigen nur so strotzten, war dieses Jahr wohl kaum der richtige Zeitpunkt, um erneut von der Zauberhaftigkeit des Schnees zu singen. Ganz abgesehen davon, dass Celestina die kalte Pampe leid war. Sie freute sich jetzt schon darauf, wenn die Frühjahrssonne den Schnee wieder verbannen würde.

»Ich kann das nicht verantworten, Celestina. Wirklich nicht. Ich werde das Lied nicht rausbringen. Du willst nicht über Schnee singen? Schön. Dann wird es gar kein neues Album geben.« Roy stellte sein Glas Feuerwhiskey schwungvoll auf dem Glastisch ab, mitten auf eines der Pergamente voller Liederzeilen.

Wutschnaubend verschränkte Celestina die Arme. Sie erinnerte sich wirklich nicht mehr daran, warum sie diesen Mann mal geliebt hatte. Inzwischen hätte sie ihn am liebsten an den Nordpol verbannt.

»Feigling.«

»Hör zu, Darling«, setzte er mit gesenkter Stimme hinzu, »ich werde nicht zusehen, wie du die Aufmerksamkeit der Todesser auf dich ziehst. Und das wirst du, wenn du ein Lied über eine Muggelfrau singst, die sich in einen Zauberer verliebt und er sich in sie. Mag sein, dass wir geschieden sind, aber ich werde nicht zulassen, dass die Mutter meines Sohnes sich derart in Gefahr bringt.«

Da lag ein Körnchen Wahrheit in seinen Worten, aber ihr Wille war eisern. »Ich singe über Liebe, Roy. Nicht über Schnee und auch nicht über Lügen. Liebe ist Liebe, egal wie, zwischen wem oder was auch immer. Jeder verdient sein Lied und bei Merlin, ich habe dieses Lied geschrieben – ich werde es singen. Wenn du mich nicht lässt, finde ich eben einen anderen Weg.«

»Weiß Irving davon?«

Celestina schob das Whiskeyglas von ihrem Pergament und packte auch das letzte Blatt zurück in ihren Ordner mit Liederentwürfen. »Was denkst du? Er hat die Melodie komponiert. Im Gegensatz zu dir steht er dahinter.« Sie konnte es sich gerade noch verkneifen, einen bissigen Kommentar darüber hinzuzusetzen, dass das der Grund war, weshalb sie heute mit Irving und nicht länger mit ihm verheiratet war.

Roy lehnte sich seufzend in seinem Sessel zurück und nahm noch einen tiefen Schluck Feuerwhiskey. »Sei vorsichtig.«

Darauf hatte sie keine Erwiderung. Sie alle waren vorsichtig, jederzeit, seit letztem Jahr und trotzdem war nichts mehr, wie einst. Todesser saßen im Ministerium, Muggelgeborene wurden gejagt und nur, wer beide Augen vor der Wahrheit verschloss, glaubte ernsthaft, dass Du-weißt-schon-wer nicht längst dabei war, zu gewinnen.

»Komm Tibbles, wir gehen«, rief sie ihren Crup herbei, der in freudiger Erwartung mit heraushängender Zunge an ihre Seite gelaufen kam.

 

Die Winkelgasse war mit Schneematsch übersät und Celestinas Laune, sofern sie nicht ohnehin schon schlecht gewesen war, sank weiter. Ihre neue Stiefel hatten ein kleines Vermögen gekostet, doch wirklich warm waren sie nicht. Da würde ein Zauber sicher Abhilfe schaffen – allerdings nicht, solange ihre Füße in den Dingern steckten.

Wenigstens Tibbles freute sich. Seine gegabelte Rute peitschte von links nach rechts, während er über das rutschige Pflaster trappelte und gelegentlich an einem Laternenpfahl schnupperte.

Für gewöhnlich stand Celestina nicht der Sinn nach einem Schaufensterbummel, denn wann immer sie unter Leute ging, dauerte es nicht lange, bis sich eine Traube aus hartnäckigen Fans um sie versammelt hatte. Aber der Krieg tat auch hier sein Übriges. Die meisten liefen mit gesenkten Häuptern von Geschäft zu Geschäft. Keiner wollte mehr Zeit als nötig hier verbringen. Ohnehin waren genug Läden mit Brettern verrammelt – ein überdeutlicher Hinweis darauf, dass ihre Besitzer verschleppt oder getötet worden waren.

Auch wenn das alles höchst deprimierend war, konnte Celestina nicht dem Drang widerstehen, wenigstens ihrem Lieblingsgeschäft einen Besuch abzustatten. Der Laden lag in einer kleinen Seitenstraße, die selten frequentiert wurde. Nur ein wackeliges Holzschild wies darauf hin, dass sich hinter den abgedunkelten Fenstern Mister Magics magischer Recordshop befand.

Der Laden war klein, dafür aber umso vollgestopfter. Mit einem leisen Zischen bat sie Tibbles, brav an der Tür zu warten, ehe sie einen tiefen Atemzug von der staubigen Luft nahm. Es erinnerte sie an ihre jungen Jahre, in denen sie ständig hergekommen war. Wie damals drängten sich auch heute auf einem großen Tisch in der Mitte unzählige Kartons, die randvoll mit Platten waren. Nur wo einst die Alben der Muggelmusiker gestanden hatten, klaffte nun eine anklagende Lücke. Welch eine Schande, bemerkte Celestina innerlich seufzend.

Es gab so viele ausgezeichnete Künstler unter den nichtmagischen Menschen – und am Ende war Musik einfach nur das. Musik. Man musste keine Hexe oder Zauberer sein, um Magie zu erschaffen, solange man singen konnte. In ihrer Musik waren sie alle gleich. Sie pressten sie sogar auf die gleichen Schallplatten. Die im Übrigen ein Muggel erfunden hatte. Emil Berliner hatte bereits in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts den Grundstein für die dauerhafte Konservierung der Musik gelegt, das hatte Celestina in Muggelkunde gelernt.

Ohne einen Muggel gäbe es all das, was ihr Leben ausmachte, vermutlich nicht. Das allein gab ihr Grund genug, ihren ganz eigenen Widerstand zu leisten. Sie war keine Duellantin, niemand, die schwarze Magier aktiv bekämpfen konnte, aber sie hatte andere Waffen. Sie konnte singen, ein Gefühl in Rhythmen verwandeln, ihm einen Ausdruck geben. Manchmal reichte das aus, um ihren Fans Hoffnung zu spenden, sie Glück oder Trauer fühlen zu lassen. Und Hoffnung, das brauchten sie in diesen Zeiten alle mehr als genug.

Roy war ein Narr. In ihrem Liedtext ging es nicht allein darum, dass eine Muggelfrau sich in einen Zauberer verliebte. Das war bloß die erste Schicht, das, was sogar ein kleines Kind verstanden hätte. Aber letztlich erzählten die Zeilen, die sich in den letzten Nächten aus ihr freigebrochen hatten, von so viel mehr. Davon, dass im Angesicht von wahrer Liebe alle Unterschiede vergessen waren; davon, dass sie in ihren Gefühlen alle gleich waren. Dass jeder Mensch es wert war, geliebt zu werden.

Man konnte Celestina vorwerfen, dass sie nichts außer kitschigen Liebesliedern schrieb und ja, das stimmte. Doch jedes Lied hatte seinen eigenen Hintergrund, eine Botschaft, die ihr am Herzen lag. Sie hatte Spaß daran, fröhliche, lebenbejahende Emotionen zu verbreiten – da würde auch ihr neuester Song keine Ausnahme sein. Irving hatte die Melodie genauso geschrieben, wie sie sich das gewünscht hatte. Beschwingt, voller Energie. Die Leute sollten nicht daran erinnert werden, dass ihre Liebsten von einem grausamen Regime gejagt wurden, sondern daran, dass sie in ihrer Liebe nicht alleine waren. Sie sollten sich zu ihrer Musik in die Augen sehen, ein Lächeln auf den Lippen und es wieder wagen, zu tanzen.

In diese Gedanken versunken, wanderten Celestinas Finger über die Reihen an Schallplatten und von da aus zu den vielen Radios und Plattenspielern, die eine perfekte Verschmelzung von Muggel- und Magietechnologie waren. Die kleinen Geräte brauchten weder Strom noch Radiowellen, waren aber eindeutig von ihren elektrischen Pendants abgekupfert. Glücklicherweise schienen selbst die Todesser das zu verdrängen, sonst hätten sie diesen Laden sicherlich ganz geschlossen.

»Miss? Entschuldigen Sie? Kann ich Ihnen helfen?«

Ertappt schreckte Celestina zusammen. Neben ihr stand ein junger Bursche mit dunklen Dreadlocks, Hände in den Hosentaschen, und sah sie neugierig an. Sie hatte gar nicht bemerkt, wie er nähergetreten war. Offenbar die neuste Aushilfe im Laden.

»Oh, Entschuldigung. Nein, ich bin nur zum Schauen hier, fürchte ich. Die Muggelplatten sind ja leider nicht mehr. Da wäre ich vielleicht schwach geworden.«

»Mh, ja, Anordnung von oben«, erklärte der Angestellte entschuldigend.

Celestina lächelte ihm versöhnlich zu. »Eine echte Schande, wenn man mich fragt. Louis Armstrong zum Beispiel ist ein wahrer Schatz für die Musik. Oder Ella Fitzgerald! So etwas zu verbannen sagt viel über jene, die dafür verantwortlich sind.« Sie senkte ihre Stimme. »Nichts Gutes.«

Ihr Gegenüber musterte sie überrascht. »Sie kennen sich aber gut aus«, stellte er vorsichtig fest.

»Ich liebe Musik. Alle Musik. Großartige Stimmen wie ihre haben mich dazu inspiriert, selber auf die Bühne zu treten.«

»Oh, wirklich? Sind Sie auch Jazzkünstlerin?«

Ein kleines amüsiertes Lachen kam ihr über die Lippen. Der Junge hatte wahrlich keine Ahnung, wer sie war. Erfrischend, zu Abwechslung. »Nein, nicht ganz. Wie hieß es noch in der letzten Kritik des Tagespropheten? Ach ja, richtig – Liebestrank tropfender Kitsch, der sich selber schon vor einer Generation überholt hat.«

Das gab dem Burschen offenbar zu denken. Er musterte ihre Erscheinung jetzt eindringlicher, von den teuren Stiefeletten zu dem geschmackvollen fliederfarbenen Umhang und langsam schien es ihm zu dämmern.

»Sie sind Celestina Warbeck, nicht wahr?«

»Erwischt.« Sie zwinkerte ihm zu. »Verraten Sie mich nicht, ja?«

»Niemals!« Er hob abwehrend seine Hände. »Ich kann leider nicht sagen, dass ich Ihre Musik wirklich kenne, aber ich weiß zumindest von meinen besten Freunden, dass deren Mutter sich jedes Jahr mit Begeisterung Ihr Weihnachtskonzert anhört. Also da haben sie einen wirklich treuen Fan.« Seine Mundwinkel zuckten, als würde er da noch an mehr denken, was er lieber nicht aussprach.

»Keine Vorwürfe«, lachte sie kopfschüttelnd, »meine Musik ist wohl nicht unbedingt für die Jugend. Nicht, wenn sie sich schon vor einer Generation überholt hat.« Der Gedanke an das Weihnachtskonzert rang ihr allerdings gleich darauf ein Seufzen ab. »Richten Sie der Mutter ihrer Freunde einen Dank aus – ich weiß es wirklich zu schätzen, dass sie so eine treue Zuhörerin ist. Leider kann ich ihr in diesem Jahr kein Konzert bieten, das tut mir leid.«

»Wieso das denn nicht?«, platzte es aus dem Jungen heraus.

»Ach, die allgemeine Lage ...« Celestina gestikulierte in Richtung der Straße. »Von Schnee zu singen, als würde da draußen nichts geschehen, das erscheint mir nicht richtig.« Sie drückte ihre Liedermappe fester an die Brust. »Musik ist in diesen Zeiten auch nicht mehr ganz so frei, fürchte ich.«

Verlegen sah ihr Gegenüber auf seine ramponierten Schuhspitzen. »Mrs. Warbeck ... ich hätte da vielleicht etwas im Hinterzimmer, das sie interessieren könnte. Gerade frisch hereingekommen.«

Sie löste ihre Fingerspitzen von der Auslage. »Dann zeigen Sie mal her.«

»Folgen Sie mir.«

 

Das Hinterzimmer des Plattenladens war noch winziger und vollgestopfter als die eigentliche Ladenfläche. Zwischen deckenhohen Regalen voller Ware standen ein kleiner Tisch und ein Klappstuhl, sonst blieb kaum Platz, sich auch nur um die eigene Achse zu drehen.

»Können Sie ein Geheimnis bewahren, Mrs. Warbeck?«

Überrascht nickte sie.

Der Junge grub zwischen ein paar Kartons herum, ehe er ein kleines hölzernes Radio hervorzog. Er richtete den Zauberstab darauf, murmelte ein leises Wort und von alleine bewegten sich die Drehknöpfe an der Vorderseite. Ein sachtes Rauschen wurde lauter und urplötzlich vernahm Celestina die Stimme eines Mannes, die tief und voller Ernst Nachrichten verlas. Nicht solche, wie der Tagesprophet sie abdruckte. Da war die Rede von verschwundenen Menschen, magisch wie nicht-magisch. Von Opfern im Krieg mit den Todessern.

Ihre Hände an der Liedermappe verkrampften sich. »Was ist das?«, flüsterte sie.

Die Ladenaushilfe trat von einem Bein auf das andere, den Zauberstab in den langen Fingern drehend. »Potterwatch«, sagte der Junge leise. »Ein Radiosender, der sich der Wahrheit verschrieben hat. Wir wollen, dass alle da draußen wissen, was wirklich passiert.«

Celestina schluckte.

»Ich ... ich dachte, das könnte Sie vielleicht interessieren.«

»Das ist gefährlich«, stolperte es ihr unversehens über die Lippen. Gerade erst noch hatte sie Roy einen Feigling geschimpft und nun wurde ihr selber das Herz eng.

Der Junge zuckte mit den Schultern. »Ja, aber auch das Richtige. Hier können wir wenigstens noch die Wahrheit sagen.«

»... oder singen?«

Dieser Gedanke drängte sich Celestina einfach auf, je enger sie die Pergamente voller Songtexte an ihr pochendes Herz drückte. Sie war schon lange nicht mehr nervös gewesen, wenn sie jemand anderem einen neuen Text gezeigt hatte. Selbst als sie Roy vorhin die Zeilen vorgesungen hatte, war sie vollkommen ruhig geblieben. Aber jetzt zitterten ihre Finger doch tatsächlich, als sie diesem unbekannten Jungen das Pergament mit dem originalen Songtext reichte.

Sein Gesicht blieb völlig ausdruckslos, während er die Zeilen in ihrer geschwungenen Handschrift las. Doch sobald er aufschaute, schimmerte eine ganz neue Bewunderung in seinen braunen Augen.

»Oder singen«, bestätigte er ihr. »Mrs. Warbeck, ich hätte da eine Idee ... Vielleicht können wir das Weihnachtskonzert doch noch Wirklichkeit machen. Auch wenn es vermutlich nicht ganz so viele Leute erreichen wird, wie Sie es gewöhnt sind.«

»Das ist egal, solange es die richtigen Leute sind.« Celestina fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. »Ich finde einfach, die Menschen haben etwas Hoffnung verdient. Immerhin ist bald Weihnachten und ... es geht dabei nicht bloß um Schnee, oder?«

»Nein, das denke ich auch nicht. Hören Sie, Mrs. Warbeck, ich muss erst mit meinen Kollegen sprechen, aber wenn Sie wirklich dazu bereit sind, dann sorge ich dafür, dass Ihr Lied es in die Welt hinausschafft. Überlegen Sie sich besser schon einmal einen Decknamen.«

Celestina lächelte. »Oh, den brauche ich nicht. Meine Stimme erkennt man ohnehin überall. Aber ich will das machen, egal wie das Risiko ist.«

»Gut dann ...«, er drückte ihr einen Streifen Pergament in die Hand, »treffen wir uns heute Abend an dieser Adresse. Nennen Sie mich ruhig River. Im Gegensatz zu Ihnen brauche ich noch einen Decknamen.«

Ja, es könnte gefährlich werden, dem war Celestina sich nur zu gut bewusst. Doch Musik war ihr schon immer wichtiger als alles andere gewesen. Sie verdiente Freiheit, genauso wie die Liebe.

Liebes(ver-)lust [Bellatrix & Rodolphus Lestrange]


 

In dunkler Nacht, 1975

Bellatrix und Rodolphus Lestrange

 

Triggerwarnung: Mord, Erwähnung von Folter/Verstümmelung, toxische Beziehung

 

Nicht jeder verbringt den Weihnachtsabend in stiller Andacht – manch einer wagt auch einen Tanz am ewigen Abgrund; gibt sich dem unstillbaren Hunger nach mehr hin. So wie Bellatrix und Rodolphus.

 

***

 

Niemand starb so schön wie ein Muggel voller Todesangst, der gerade begriff, dass es eine weit größere Macht in dieser Welt gab, als er je geahnt hatte. Zu dieser Einsicht war Bellatrix bereits früh gelangt und die Jahre des Krieges festigten dieses Bild. Sie genoss es jedes Mal aufs Neue, dabei zuzusehen wie das Licht in ihren Augen erlosch, gleichsam wie der Lebenswille dahinschwand. Am Ende blieb selbst den Trotzigen nur das Flehen, wie es die Gesetze der Natur verlangten. Und niemand brachte sie so schön zum Flehen wie Rodolphus.

Sie konnte ihn anfangs kaum leiden, hasste es gar, dass ihre Eltern ausgerechnet ihn als Ehemann für sie vorgeschlagen hatten. Nicht, dass sie je etwas gesagt hätte. So lief es eben in ihrer Welt, das akzeptierte sie. Er war reinen Blutes, von makellosem Äußeren und genau mit dem rechten Stolz versehen. Nüchtern betrachtet war er der einzige Partner, der ihr, einer gebürtigen Black, würdig war. Obwohl sie ihn nicht liebte, war ihre Verbindung rein aus der Vernunft heraus nützlich.

Was sie und Rodolphus inzwischen wirklich vereinte, war jene stillschweigende Übereinkunft, dass sie nicht einander lieben mussten, um eine funktionierende Ehe zu führen. Ihrer beider Hingabe galt den schwarzen Künsten und solange Rodolphus diese ebenso verehrte wie Bellatrix, brauchte sie seine emotionale Zuneigung nicht.

Letztlich war ihre Ehe nur ein weiteres Opfer für den dunklen Lord; ein Beweis, dass Reinblüter unter sich gehörten. Ob sie einander kitschige Worte ins Ohr flüsterten oder jeden freien Moment in unterschiedlichen Räumen des Hauses verbrachten, das interessierte nicht. Was zählte, war, dass sie funktionierten.

Auch in dieser sternenlosen Dezembernacht liebte Bellatrix nicht Rodolphus Lestrange, sondern den Zorn, der seinen Zauberstab führte, ihm Flüche entlockte, die viel dunkler waren als der nachtschwarze Himmel. Sie küsste ihn nicht aus Verbundenheit, sondern aus Hunger nach mehr von diesem Welten zerstörenden Rachedurst; in einer Sehnsucht, die selbst die Leichen zu ihren Füßen nicht stillen würden. Und wenn Hunderte starben – vom betörenden Rausch der absoluten Macht bekam sie niemals genug.

Während die Glocken zur Mitternachtsmesse schlugen, wollte Bellatrix nur eines – in den Abgrund spähen, einen Tanz mit dem Dämonsfeuer wagen. Dem unschuldigen Weihnachtsabend einen neuen Anstrich verpassen, der deutlich mehr nach ihrem Sinn stand.

Das dunkle Mal brach aus ihrem Zauberstab hervor und befriedigte sie in dem Wissen, dass der Orden sie nicht aufgehalten hatte und irgendjemandes Weihnachtsfest nun deutlich weniger heiter werden würde. Ihr gefiel der Gedanke, dass jemand das heimische Kaminfeuer verlassen musste, um doch nur zu spät zu kommen. Oh, sie würden allesamt fluchen, sich in Vorwürfe ergehen – aber aufhalten, das konnte der Orden sie nicht.

Das Lachen kam von ganz alleine bei dieser Vorstellung. Es barst aus ihrem tiefsten Inneren hervor und zerriss die empfindliche Nacht wie Minuten zuvor die Schreie der nun toten Muggel zu ihren Füßen. Rotes Blut gab dem reinen Schnee eine neue Färbung und in leblosen Augen spiegelte sich der ferne Mond.

Wer waren sie noch gleich gewesen? Irgendeine armselige Angestellte des Muggelparlaments und ihre Familie. So hatte es zumindest in der Anweisung von Rosier geheißen. War auch egal, denn schreien konnten sie alle. Insbesondere die Eltern, wenn ihre Kinder zuerst starben.

Vermutlich hatte Bellatrix genau deshalb so wenig Interesse daran, selber Nachwuchs hervorzubringen. Ganz abgesehen davon, dass sie in einem Krieg lebte, der jede Sekunde ihrer Aufmerksamkeit verschlang. Rodolphus hätte das vielleicht gefallen – sie stellte ihm diese Frage nicht, denn es wäre sicher nicht in seiner Verantwortung, diese Entscheidung für sie zu treffen.

Jedenfalls lagen die Leichen der Muggel nun auf dem Gehweg neben ihrem brennenden Auto, in dem sie auf dem Rückweg von irgendeiner Familienfeier gewesen waren. Der Auftrag war erfüllt, jetzt wartete nunmehr der langweilige Teil des Weihnachtsabends.

Bellatrix sah durch das dichter werdende Schneetreiben zu ihrem Ehemann hinüber. Er stupste eine der toten Muggelgören mit seinem Lackschuh an. Die verfluchten Schuhe, die hatten sie schon immer aufgeregt. Sie waren Todesser, keine Gäste auf einem Märchenball. Trotzdem sah Rodolphus stets aus, als erwarte er, auf einen Empfang bei der verdammten Muggelkönigin eingeladen zu werden. Nur die feinsten Stoffe und über die schweren Silbermasken beschwerte er sich auch immerzu.

Nein, sie liebte nicht Rodolphus, wohl aber das Blut, das auf seinen Umhang gespritzt war – die Schreie waren es immer wert, nicht bloß den Todesfluch zu bemühen, sondern etwas mehr Feingefühl zu beweisen. Das war ihr Weihnachtsgeschenk der anderen Art, was ihr niemand sonst geben konnte – oder wollte.

Ein schmales Lächeln hob Rodolphus‘ Mundwinkel an und er streckte seine Hand nach ihr aus. »Wir müssen gehen.«

Es war eine neutrale Feststellung, mit der er natürlich recht hatte. Der Spaß war vorbei. An seiner Stelle übernahm die Leere wieder Besitz von Bellatrix. Wenn es doch nur etwas länger gedauert hätte – vielleicht war der Diffindo-Zauber zu viel des Guten gewesen. Das nächste Mal würde sie mehr acht geben müssen, dass die Gören ihr nicht verbluteten, bevor es sich wirklich gelohnt hatte.

Mit der schalen Grimasse eines Lächelns auf den Lippen, ergriff sie die Hand ihres Mannes und schenkte den Leichen zu ihren Füßen ein letztes Winken, ehe sie disapparierten.

 

Das Anwesen im Süden Englands war ein Hochzeitsgeschenk von Rodolphus Eltern gewesen. Früher einmal war es wohl ein Sommerhaus irgendeiner Tante von ihm, doch seit diese kinderlos verstorben war, hatte es nur darauf gewartet, dass ein neuer Lestrange-Spross ihm Leben einhauchte. Bellatrix erste Amtshandlung als Ehefrau hatte folglich darin bestanden, die übelkeiterregenden zartrosa Vorhänge gegen tiefgrünen Samt auszutauschen.

Wo einst nutzloser Nippes die Vitrinen in Beschlag genommen hatte, reihten sich nun allerhand mächtige Artefakte aneinander, deren Herkunft selten legal war. Einen guten Teil hatten sie über die Jahre hinweg in der Nokturngasse erstanden – oder auch mal aus einem Zaubererhaushalt entwendet, den sie überfallen hatten.

Nach außen mochten viele in der Gesellschaft ein sauberes Image pflegen, aber im Keller hatte beinahe jeder Leichen. Manche nur sprichwörtlich, andere hingegen im wahrsten Sinne des Wortes. Davon hielt Bellatrix allgemein wenig, doch es hatte sich angeboten, den geräumigen Gewölbekeller voller Weinflaschen in ein Verlies zu verwandeln. Man wusste ja nie, wann es noch einmal nützlich werden würde. Es wäre nicht das erste Mal, dass Ordensmitglieder in ihre Gefangenschaft gerieten. Nur die wenigsten überlebten das.

Zumindest heute waren sie und Rodolphus allerdings alleine. Die Gesellschaft von Hauselfen ertrug Bellatrix allgemein nicht. Beim Anblick der kriecherischen kleinen Gestalten wurde ihr nur übel. Sie beschäftigten eine gewöhnliche Haushälterin, die sich ihnen unvorsichtigerweise mit einem unbrechbaren Schwur verpflichtet hatte – und die das Haus jeden Abend auf ihre Anweisung verließ.

Sowohl Bellatrix als auch Rodolphus schätzten ihre Ruhe und Abgeschiedenheit. Je weniger Augen und Ohren, desto weniger Geheimnisse, die wiederum auf andere, neugierige Ohren stoßen konnten. Etwas, das durchaus mehr Zaubererhaushalte begreifen sollten, wenn Bellatrix an die Horden Hauselfen bei ihren Eltern dachte.

Das Einzige, was sie durch die Geschöpfe gelernt hatte, war ihre Vorliebe für bedacht eingesetzte Zauber, um Fleisch von Knochen zu trennen oder hübsche rote Muster in bleicher Haut zu hinterlassen. Egal wie sehr die kleinen Kriecher auch wimmerten, am Ende verneigten sie sich noch und fiepten davon, was für eine Ehre es sei, der Herrin zu dienen. Sie hasste die Hauselfen von ganzem Herzen. Ein Wesen, das nicht einmal Respekt vor sich selber hatte, würde unmöglich ihr Wohlwollen verdienen.

Ganz wie die Bilderbuchehe pflegten Bellatrix und Rodolphus durchaus andere Traditionen, die für sie zwar nicht von persönlichem Wert waren, aber eben so gehörten. Dazu zählte auch der festlich geschmückte Weihnachtsbaum im großen Salon, den sie jedes Jahr wieder aufstellten, ohne, dass sich einer von ihnen übermäßig an den goldenen Kugeln oder dem Geruch von Tannennadeln erfreute.

Missmutig starrte Bellatrix eben jenen nun an, während sie sich in ihren liebsten Sessel vor dem Kamin fallen ließ, noch immer in den dunklen, blutbespritzten Umhang gehüllt.

Wenigstens den Feiern in den Haushalten ihrer jeweiligen Eltern waren sie und Rodolphus entgangen und doch hätte Bellatrix gerne noch einen Auftrag mehr zu erfüllen, Hauptsache sie konnte etwas tun, was dem dunklen Lord Ehre erbieten würde. Aber nein, in den letzten Tagen des Jahres versteckten selbst die meisten Todesser sich feige daheim vor dem Kamin und spielten mit ihren Familien ein heiles Leben vor – samt Geschenken in den Socken am Weihnachtsmorgen.

Wortlos schmiss Rodolphus seinen besudelten Umhang über einen Beistelltisch und setzte sich in den anderen Sessel in einigen Armlängen Entfernung. Für einen Augenblick war es beinahe gespenstisch still. Der Schnee fiel lautlos vor den Fenstern und nicht einmal im Kamin brannte ein Feuer. Sie saßen einfach nur da, jeder in andere, düstere Gedanken versunken.

»Fröhliche Weihnachten, Liebste«, sagte Rodolphus schließlich in die ohrenbetäubende Stille hinein, der Sarkasmus des unerwünschten Kosenamens offensichtlich.

Bellatrix warf ihm einen langen Blick zu. Sein Gesicht lag halb in den Schatten verborgen, nur in seinen Augen reflektierte sich der blasse Lichtschein von draußen. Objektiv betrachtet sah er gut aus, das war ihr bewusst. Aber wenn sie Rodolphus ansah, dann erkannte sie in ihm nicht den hübschen jungen Mann mit dunklem Haar, stechend grünen Augen und den markant geschnittenen Gesichtszügen, sondern einzig und allein den liebreizenden Abgrund, der sich dahinter verbarg.

»Fröhliche Weihnachten, Liebster

Vielleicht liebte sie ihn nicht, doch manchmal, da hungerte sie nach ihm, diesem Abgrund. Ihm ging es genauso, das sah sie in den Schatten aufglimmen. Näher als das würden sie der wahren Liebe nicht mehr kommen. Für alles andere gab es Wege, sich das Begehren zu erleichtern.

Sie stand auf und trat zu einer der Vitrinen hinüber, in der sich zahlreiche silberne Trinkpokale drängelten. In zwei davon füllte sie nur einen einzigen Schluck aus einer kleinen Phiole, die sie zwischen allerhand Giften und anderen unerfreulichen Tränken verborgen hielt. Das geringe Äußere täuschte über die Macht hinweg, die sie enthielt. Ein Schluck reichte vollkommen aus für die geheime Tradition, die sie und Rodolphus in der Stille ihres Hauses zu besonderen Anlässen pflegten.

Ein kleines Experiment unter Eheleuten, die andernfalls nichts verband außer ihre grimmige Sicht auf die Welt, die so dringend neuer Führung bedurfte. Ein weiteres Spiel mit der Macht, erneut die Sehnsucht nach mehr, nach etwas, das keiner von ihnen greifen konnte. Ein winziger Moment, in dem sie dem Abgrund des anderen wirklich nahekamen, nicht länger nur im Blutrausch vereint. Die Wirkung würde vor dem Morgengrauen verflogen sein, ebenso wie jede Erinnerung an diese fremden Sehnsüchte.

Mit einem erwartungsvollen Ausdruck in den Augen fing Rodolphus das Gefäß aus der Luft, das sie mit einem Schlenker des Zauberstabs zu ihm geschickt hatte.

Bellatrix musste ihm nicht sagen, wonach es sie verlangte. Er lächelte schmallippig und hob den Liebestrank an seine Lippen, während sie dasselbe tat.

Magiebegabt [Isobel & Robert McGonagall]


 

Caithness, 1939

Isobel & Robert McGonagall

 

Das erste Weihnachten als richtige Familie sollte eines der schönsten sein – wenn Isobel McGonagall nicht ein wohlgehütetes Geheimnis vor ihrem Mann hätte. Eines, das ausgerechnet ihre wenige Monate alte Tochter nun verraten könnte.

 

***

 

Weihnachten war immer Isobels liebste Zeit des Jahres gewesen. Der Schnee, die besinnlichen Lieder, der Geruch frischgebackener Plätzchen – sie liebte alles an diesen dunklen Tagen im Dezember, die von menschengemachten Lichtern erhellt wurden. Auch als Erwachsene freute sie sich noch darauf, den Tannenbaum zu schmücken; den harzigen Duft der Tannennadeln zu riechen, die das ganze Wohnzimmer erfüllten, oder jeden Advent eine weitere Kerze zu entzünden.

Manche Dinge am Weihnachtsfest änderten sich mit dem Älterwerden – die Geschenke wurden kleiner, bis sie eines Tages ganz ausblieben. Anstelle verzauberter Christbaumkugeln, in denen magische Schneeflocken wirbelten, hängte Isobel nur noch normalen Schmuck auf. Die Knallbonbons voller weiße Mäuse und Scherzzauberstäben gehörten ebenfalls der Vergangenheit an.

Doch dafür kamen neue Beschäftigungen hinzu. Eine ihrer liebsten war es, in der Küche zu stehen und den Weihnachtsbraten in stundenlanger Arbeit zu perfektionieren. Eine Weitere, den Geschichten von ihrem Mann Robert zu lauschen, die er aus dem dicken Wälzer voller Muggelweihnachtsmärchen vorlas.

Ihre Begeisterung für all diese Erzählungen brachte ihn immer wieder zum Lächeln. Das innere Kind halte sie jung, pflegte er mit einem Schmunzeln zu sagen. Dabei ahnte er nicht, dass alle Märchen, mit denen sie aufgewachsen war, von einer ganz anderen Welt erzählten. Von Magie. Ihr Zauberstab war Isobels bestgehütetes Geheimnis. So sehr sie Robert auch liebte, das war die eine Sache, von der sie ihm nicht erzählen konnte – durfte.

Aber ob mit Magie oder ohne, die Geborgenheit des Weihnachtsfestes spendete ihr weiterhin Frieden in einer anderweitig turbulenten Zeit. Langsam und unerbittlich fraß sich der Muggelweltkrieg in ihr Land vor. Im Januar würden weitere Lebensmittelrationierungen eingeführt, das war kurz vor Weihnachten verkündet worden. Noch verschonten die Bomben sie, aber wie lange würde das anhalten? Daran durfte sie gar nicht denken. Lieber besann sie sich auf die Erinnerung, wie sie ihren heutigen Ehemann das erste Mal getroffen hatte, denn diese Gedanken waren deutlich freundlicherer Natur und ebenso untrennbar mit dem schönsten Fest von allen verbunden.

Isobel hatte gerade erst ihren Abschluss in Hogwarts hinter sich, als sie in Folge eines Streits mit ihren Eltern in die kleine Dorfkirche gestolpert war auf der Suche nach einem ruhigen Ort, an dem niemanden ihre Tränen stören würden. Sie hatte die Wahl gehabt zwischen dem Friedhof, der ihr zu ungemütlich war, und dem schlichten Kirchenschiff. Zu ihrem Glück war außer dem Pastorenanwärter keiner dort gewesen, der ihr bitterliches Schluchzen hätte hören können.

Gestört hatten ihre Tränen den jungen Mann nicht, aber er hatte ihr ein Taschentuch und mehr noch, ein offenes Ohr, angeboten. Er hatte ihren Schilderungen von den Eltern, die darauf drängten, dass sie endlich heiraten solle, anstatt sich um eine Arbeitsstelle zu bemühen, stumm zugehört.

Nicht einmal hatte er sie dafür verurteilt, dass sie so wenig Interesse an einer gutsituierten Ehe hatte. Stattdessen hatte er ihr gutzugeredet, dass sie ihren eigenen Weg finden dürfe, unabhängig von den Wünschen ihrer Eltern. Er erzählte selber davon, dass seine Familie nicht verstand, warum er ein Geistlicher werden wollte, wo sie doch gehofft hatten, dass er mit seinen schulischen Leistungen den Absprung aus ihrem Ort schaffen und eine Anstellung in der Großstadt finden würde.

Nie zuvor hatte Isobel sich jemand anderem so verbunden gefühlt, obwohl ihrer beider Leben so unterschiedlich waren. Am nächsten Sonntag besuchte sie die Messe, selbst wenn sie sich nicht wirklich als religiös bezeichnet hätte. Doch das brauchte sie gar nicht, denn in den Worten, die der Pastorenanwärter Robert für seine Gemeinde fand, offenbarte sich ihr ein ganz anderer Glaube. An das Gute in den Menschen und die Kraft, die sie einander mit zuhören oder Anteilnahme spenden konnten.

Von da an besuchte Isobel öfter die Messe, nur um Roberts Worten zu lauschen. In diesen Momenten vergaß sie all die Sorgen daheim bei ihren Eltern, die Auseinandersetzungen und vergeblichen Versuche, es ihnen recht zu machen. Hier fühlte sie sich geborgen – und irgendwann erkannte sie, dass sie Hals über Kopf einer Schwärmerei für ihn nachhing. Sie suchte seine Nähe, wann immer ihr möglich. Als er sie eines Tages nach der Messe auf einen Spaziergang einlud, schlug ihr Herz Purzelbäume.

Von da aus dauerte es nicht lange, bis sie sich an einem kalten Dezembertag unter einem Mistelzweig zum ersten Mal küssten. Bevor das Jahr um war, fiel Robert am Vorabend von Weihnachten vor ihr aufs Knie und bat sie, seine Frau zu werden – auch wenn er sich noch gut an ihre erste Begegnung erinnere, wie er augenzwinkernd hinzusetzte. Isobel war überglücklich, den Tränen nahe und obwohl sie vor Monaten nicht daran gedacht hatte, bald jemandes Ehefrau zu werden, nahm sie natürlich an.

Die Beziehung zu ihren Eltern hingegen zerbrach in dieser Nacht endgültig. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Isobel nie so viel Trauer und Glück gleichzeitig empfunden. Aber sie liebte Robert, also gab es für sie keinen anderen Weg. Ganz gleich, was ihre Eltern in ihrer Wut über ihn als Muggel gesagt hatten, sie würde Robert heiraten. Und das tat sie, noch im frischen Januarschnee, ohne Gäste, dafür mit reichlich Trotz im Herzen.

Dieses Jahr würde endlich ihr erstes gemeinsames Weihnachtsfest als richtige Familie sein. Ein freudiger Moment, zumindest hatte Isobel ihn sich so vorgestellt. Wenn da nicht die Sache mit Minerva gewesen wäre. Ihre Tochter hätte das Glück beinahe perfekt gemacht. Sie liebte dieses winzig kleine Mädchen, keine Frage. Von der ersten Sekunde an wollte sie ihr Kind nicht wieder hergeben. Gäbe es nur nicht die eine Sache, von der sie Robert nicht erzählen konnte.

Isobel hoffte inständig, dass dieses Weihnachtsfest trotz der Umstände das allerbeste werden würde, von Herzen. Sie wollte, dass ihre kleine Familie rundum glücklich war, immerhin waren sie alles, was ihr blieb, nachdem ihre Eltern sie vor die Tür gesetzt hatten. Also hatte sie nichts unversucht gelassen, damit es funktionierte.

Doch anstatt jetzt neben Robert am warmen Kaminfeuer zu sitzen, versteckte sie sich mit ihrer Tochter im Kinderzimmer und weinte, obwohl draußen die schönsten Schneeflocken fielen. Und das alles nur, weil Minerva war wie sie.

Sie war so klein, erst Anfang Oktober geboren und trotzdem entwickelten die Dinge in ihrer Nähe bereits ein Eigenleben. Es fing mit einem einzigen Stofftier an, das plötzlich in ihre Krippe flog, doch da hörte es noch lange nicht auf. Isobel hätte schwören können, dass ihre magischen Fähigkeiten mit jeder Stunde seit ihrer Geburt zunahmen. Sie war machtlos gegen diese spontane Magie, egal ob mit oder ohne Zauberstab. Eines Tages würde Robert es herausfinden und wenn sie ganz ehrlich war, dann hatte sie Angst.

Er hatte keine Ahnung von der magischen Welt. Für die längste Zeit war das in Ordnung gewesen. Isobel hatte es nicht vermisst, zu zaubern, dafür hatte die Liebe gesorgt. Solange er an ihrer Seite war, brauchte sie die Magie nicht mehr. Zumindest hatte sie das glauben wollen.

Es hatte sich als spaßig herausgestellt, Dinge auf die Muggelart zu erledigen. Vielleicht war diese ‚normale‘ Welt sogar besser, als sie gehofft hatte. Doch mit ihrer Schwangerschaft waren alle alten Zweifel wieder erwacht. Da hatte es die Chance gegeben, dass Minerva wie ihr Vater wurde, völlig gewöhnlich. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte Isobel inständig dafür gebetet, dass die Magie sie endgültig verlassen würde.

Ihre Bekannten waren nicht müde geworden, davon zu erzählen, dass ihr die schönsten Momente bevorstanden – dabei war alles, was sie empfunden hatte, Sorge gewesen. Was, wenn Minerva ihre Fähigkeiten offenbaren würde?

Isobel hatte zumindest damit gerechnet, dass sie ein paar Jahre Zeit haben würde. Selbst wenn es nur drei Jahre wären, in der Zwischenzeit könnte sie bestimmt die passenden Worte finden, um ihrem Ehemann zu erklären, dass Magie durchaus real war.

Statt Jahren hatte sie Stunden bekommen. Beim ersten Mal hatte Isobel sich fest eingeredet, dass sie einfach nur übermüdet war. Kein Kind, das wenige Stunden alt war, konnte schon Gegenstände schweben lassen. Ihre Tochter belehrte sie eines besseren. Immer und immer wieder. Also versteckte sie sich mit ihr vor dem Mann, den sie liebte. Denn egal was sie sich einredete, sie war nicht bereit. Wie sollte Robert auch verstehen, was hier mit seinem Kind geschah?

Er war ein geradliniger Mann, mit einem festgesteckten Weltbild, in dem für Magie sicherlich kein Platz wäre. Nein, Isobel konnte es einfach nicht. Die Angst band sie mehr noch als das magische Geheimhaltungsabkommen, dem sie verpflichtet war. Sie fürchtete, wie er sie – und seine Tochter – ansehen könnte, wenn er wüsste, was sie vor ihm versteckte.

In den letzten Wochen hatte Isobel mehr geweint als in ihrem gesamten bisherigen Leben und trotzdem waren da immer noch neue Tränen, die ihr beim Anblick ihrer Tochter die Wangen herabliefen, so wie jetzt wieder. Die Kleine lag in ihrem Bettchen, während das Mobile über ihr sich rasant drehte, was ihr ein vergnügtes Glucksen entlockte.

Minervas Magie war fast schon beiläufig, etwas, das immer wieder unvermittelt zum Vorschein kam, einfach nur, um das kleine Mädchen zu unterhalten. Tags zuvor hatte plötzlich Roberts Dudelsack ein Zimmer weiter von alleine eine beschwingte Melodie gespielt. In ihrer Panik hatte Isobel zum ersten Mal seit Monaten ihren Zauberstab aus dem Versteck geholt und sehr zum Verdruss ihrer Tochter einen Silencio-Zauber auf das Instrument gewirkt.

Ihr kleines Mädchen hatte sie aus babyblauen Augen angesehen und mit einer Bewegung ihrer winzigen Finger hatte sie den Zauber gebrochen. Als wären Isobels magische Bemühungen nur ein schlechter Witz. Sicher, sie hatte lange nicht gezaubert, doch war sie so eingerostet, dass ein Baby mehr Macht besaß?

Sie verstand einfach nicht, wie Minerva diese Dinge vollbringen konnte. Isobel selber war vier Jahre alt gewesen, als ihre Magie sich das erste Mal gezeigt hatte. Kein bisschen zu früh, kein bisschen zu spät. Robert war ja nicht einmal ein Zauberer, woher nur kamen diese Kräfte? War das vielleicht ihre gerechte Strafe dafür, dass sie ihn über ihre wahre Natur belogen hatte?

Sacht schob Isobel ihren Zeigefinger in Minervas kleine Hand, sodass diese ihn fest in ihre Faust schloss. Langsam beruhigte das hektisch kreisende Mobile sich, während Isobel die Aufmerksamkeit ihrer Tochter auf sich lenkte. Fahrig wischte sie sich über die feuchten Wangen und versuchte sich der Kleinen zuliebe an einem Lächeln.

In diesem Moment schreckte ein Klopfen an der Tür sie zusammen. »Schatz?«, drang Roberts leise Stimme durch die Tür. »Darf ich bitte reinkommen?«

Isobel schluckte und griff hoch zu dem Mobile, bis es sich nicht mehr regte, sondern nur noch verdächtig wackelte. »Natürlich«, entgegnete sie schwach. Sie wusste genau, dass Robert das Ohr gegen die dünne Holztür gepresst hatte und auf jedes Geräusch lauschte. Vermutlich hatte er ihr Weinen längst gehört.

Er blieb an der Tür stehen, einen besorgten Ausdruck im Gesicht. »Isobel ...«, hob er sanft an, seine schlanken Finger ineinander verschlungen, »ich mache mir Sorgen. Um dich.«

Sie sah, wie seine Augen hinter den Brillengläsern feucht schimmerten. Hastig wandte sie den Blick zurück auf ihre Tochter, die mit ihrem rabenschwarzen Haar ganz eindeutig nach ihrem Vater kam. Warum bloß nicht in der fehlenden Magiebegabung?

»Es ist keine Schande, Isobel, wenn du ... Schwierigkeiten damit hast, wie es ist, Mutter zu sein. Wirklich nicht. Aber bitte – rede mit mir darüber. Ich kann dir nicht helfen, wenn ich es nicht verstehen darf.«

Eine Weile lang war es bis auf das leise Glucksen von Minerva still im Kinderzimmer. Isobel brannten bereits wieder die Tränen in den Augen, diesmal aufgrund der Ungerechtigkeit, dass Robert so ahnungslos sein musste. Nie in ihrem Leben hatte sie mehr geliebt, als bei dem Anblick ihrer gemeinsamen Tochter und es versetzte ihr einen Stich, dass er dachte, sie würde den Wochenbettdepressionen anheimfallen.

»Wir können eine Lösung finden, Bel. Ich verspreche es dir. Ich will doch nur, dass wir alle glücklich sein können. Dass du dich nicht mit Minerva hier versteckst. Ich höre doch dein Schluchzen. Lass mich eine Weile bei ihr bleiben, bitte. Sie ist doch auch meine Tochter und bei Gott, ich liebe sie eben so sehr wie dich.«

Stumm fielen die ersten Tränen hinab in Minervas Bettchen. Die vergnügten Geräusche des winzigen Mädchens versiegten, als Isobels Finger anfingen, zu zittern, und sich schließlich ein weiterer hilfloser Schluchzer aus ihrer Kehle befreite.

Tränen wallten auch in den großen Augen der Kleinen heran. Rasch hob Isobel sie hoch und presste sie fest an sich, aber sie konnte nicht verhindern, dass sie ebenfalls in lautstarkes Weinen ausbrach.

Hilflos trat Robert an ihre Seite, eine Hand auf ihre Schulter gelegt, mit der anderen strich er seiner Tochter über das kleine Köpfchen. »Isobel, bitte«, flehte er noch einmal.

Sie zeigte keine Gegenwehr, als er Minerva behutsam in seine Arme hob, auch wenn sie das Gefühl hatte, dass er ihr den letzten Rettungsanker entzog. Unter einem Tränenschleier musste sie zusehen, wie ihr Mann die Kleine sacht wiegend beruhigte und sie mit einem stolzen Lächeln bedachte, sobald ihre Krokodilstränen versiegten. In jeder seiner Gesten war offenbar, dass Robert ihre Tochter nicht mehr hätte lieben können.

»Es tut mir so leid«, flüsterte Isobel erschöpft. Sie meinte so vieles damit – dass sie ihm die Magie verbarg, dass sie stetig weinte, dass sie ihm Minerva entzog. Er würde nichts davon ahnen, aber die Worte kamen von Herzen.

»Das muss es nicht«, entgegnete Robert sofort. »Ich würde nur zu gerne verstehen, wie ich dir helfen kann.«

Er hatte nur noch Augen für Minerva in seinen Armen, die glucksend nach der Brille auf seiner Nase griff, die sie offenbar sehr amüsierte. Lachend hielt er ihre Finger auf und drückte einen Kuss darauf. Allerdings hatte er die Rechnung ohne ihren sturen und obendrein magischen Willen gemacht. Bevor Isobel noch etwas sagen konnte, hielt Minerva die Brille mit der anderen Hand festumschlungen.

Verwirrt – und äußerst kurzsichtig – blinzelte Robert seine Tochter an. Dann schüttelte er den Kopf und entwand ihr das Gestell, ehe er sich wieder Isobel entgegen wandte.

Sie stützte sich mit dem Ellenbogen gegen das Kinderbett und wischte erneut die Tränen von ihren Wangen. »Alles ist gut, Robert es ist nur – ich bin nur durcheinander. Ich ... muss an meine Eltern denken und ...« Ihre Worte versiegten. Nicht einmal die Lügen wollten ihr noch von den Lippen gehen.

Minerva indes streckte ihre Hand über die Schulter ihres Vaters in Richtung des Regals, auf dem die kleine Stoffkatze saß, die eine Nachbarin ihnen zur Geburt geschenkt hatte. Begierig langten ihre Finger nach dem weit entfernten Tier. Gleich würde es schweben, das wusste Isobel.

»Robert, bitte – sieh mich an«, hauchte sie wie ohnmächtig, in der Hoffnung, dass ihm nicht auffallen würde, was Minerva tat. »Gib sie mir, ich kann das.«

Aber er war mindestens ebenso stur wie seine Tochter. Er schüttelte den Kopf. »Nein, Bel. Immerhin bin ich auch ihr Vater oder nicht?«

Die Verunsicherung in seinen Worten zog Isobel das Herz zusammen. Nicht eine Sekunde wollte sie, dass er dachte, sie hätte ihn betrogen. »Natürlich bist du das!«

Die Finger ihrer Tochter schlossen sich um den geringelten Schwanz der Stoffkatze und sie senkte ihre Lider. Nur Robert bemerkte offenbar nicht, was hinter seinem Rücken geschah, denn er sank vor Isobel in die Hocke.

»Schatz, dann rede mit mir. Sag mir, was nicht stimmt. Wir haben uns doch geschworen, dass wir immer füreinander da sein wollen. Dann lass mich auch meinen Teil erfüllen.«

Er verlagerte Minerva in seinem Halt und jetzt fiel auch ihm das plötzliche Auftauchen der Stoffkatze auf. Noch verwirrter als zuvor mit der Brille sah auf Katze und Kind hinab.

»Woher ...« Suchend wanderte sein Blick zu dem Regal an der anderen Seite des Zimmers. »Isobel ... ich weiß, das klingt wahrscheinlich lächerlich, aber – hat es etwas damit zu tun? Mit ... mit den Dingen, die plötzlich geschehen?«

»Welche Dinge?« Sie fragte sich, wie viel Robert trotz ihrer Bemühungen bemerkt hatte. Konnte sie eine andere Erklärung dafür finden?

Ihr sonst so wortgewandter Mann biss sich auf die Unterlippe, sah noch einmal auf seine Tochter hinab und richtete den Blick dann wieder eindringlich auf sie. »Mit den Dingen, die Minerva plötzlich in der Hand hält. Mit allem, was sich wie von Geisterhand um sie herum bewegt. Mit ... dem Dudelsack, der plötzlich ein Eigenleben entwickelt. Mein Gott, selbst mit unserer Katze, die in ihrer Nähe völlig verrücktspielt. Das klingt so unfassbar, geradezu absurd aber – sie hatte dieses Stofftier eben noch nicht in der Hand!«

Isobels Schultern sackten nach unten. Es war vorbei, endgültig vorbei. Sie hatte es nicht einmal bis zum Weihnachtsfest geschafft, das doch so schön werden sollte. Länger konnte sie Robert einfach nicht belügen.

»Ja«, flüsterte sie schlicht.

Er drückte Minerva fester an seine Brust. »Aber – wie, Bel? Ich verstehe nicht ...«

Vielleicht dachte er – hoffte er? –, dass Isobel auch keine Erklärung hatte. Doch den Gefallen konnte sie ihm nicht tun.

»Magie, Robert. Magie.«

Ungläubig schnaubte er. »Ich mag vielleicht ein Pastor sein, aber das heißt nicht, dass ich an alles glaube.«

»Es ist die Wahrheit, Robert. Es tut mir so leid!« Isobel verknotete ihre Hände so fest ineinander, dass es wehtat. »Ich bin eine Hexe.«

Der Ausdruck in seinem Gesicht schwankte zwischen Überraschung, Verwirrung und Angst. »Schatz ...«

Was immer er sagen wollte, sie ließ ihn nicht ausreden. Ohne eine Demonstration ihrer Fähigkeiten würde er sie höchstens für verrückt erklären. Sie lief zu dem losen Dielenbrett, das hinter der linken Ecke des himmelblauen Teppichs verborgen lag, hebelte es unter seinen fassungslosen Blicken aus dem Boden und zog den langen schmalen Holzstab hervor, den sie dort versteckt hatte. Ihren Zauberstab.

Robert starrte ihn an, als wäre es eine Muggelbombe. Er hielt Minerva immer noch fest an sich gedrückt, aber er wich einen winzigen Schritt vor Isobel zurück. »Schatz?«

Isobel senkte den Blick auf ihren Zauberstab, der sie vor Jahren in der Winkelgasse ausgesucht hatte. Stechpalme und Einhornhaar, wie sie sich erinnerte. Mit ihm hatte sie die kühnsten Zaubereien vollbracht, bevor sie diese Welt für eine Zukunft mit Robert aufgegeben hatte. Sie war eine der besten ihres Jahrgangs gewesen, herausragend in Zauberkunst. Ehe sie Robert kennengelernt hatte, waren ihre Träume davon erfüllt, eines Tages vielleicht sogar im Ministerium zu arbeiten.

»Ich bin eine Hexe, Robert. Ich ... ich kann zaubern.«

»Isobel ...«

Zitternd hob sie die Hand mit dem Zauberstab. Der erste Zauberspruch, der ihr einfiel, war auch gleichzeitig der Erste, den sie je gelernt hatte. Wingardium Leviosa. Sie schwang den Stab elegant im Kreis und die Decke aus Minervas Bett erhob sich wie von unsichtbaren Schnüren emporgezogen in die Luft.

Das überraschte Keuchen Roberts beendete den Zauber. Unglücklich senkte Isobel die Zauberstabhand und sah zu ihrem Mann hinüber, dessen Augen sich entgeistert geweitet hatten.

»Was ...«, murmelte er noch, dann blieb sein Mund offen stehen.

»Es tut mir so leid, aber ich konnte es dir nicht sagen, Robert-«

»Seit wann?«, unterbrach er sie.

»Mein ganzes Leben.«

»Und Minerva?«

Isobel nickte. »Sie auch.« Tränen perlten über ihre Wangen und klopften leise auf den Holzboden unter ihr. »Ich hatte so gehofft, sie wäre nicht magisch.«

»Damit du mich mein ganzes Leben weiter belügen kannst?«

Roberts Stimme war harsch, aber heiser. Er ließ sich auf dem Stuhl nieder, den bis eben Isobel in Beschlag genommen hatte, und sah hinab auf Minerva in seinen Armen, die seelenruhig auf dem Ohr der Stoffkatze kaute.

»Nein«, beteuerte Isobel, »ich wollte dich nie belügen! Ich wollte die Magie einfach nur vergessen! Ich wollte nie wieder – nie wieder zaubern!«

»Aber warum? Was kannst du noch alles tun?«

»Es gibt so viele Gründe, so viele Dinge, Robert ... so viele Zauber.«

Seine Schultern zitterten leicht. Erst jetzt legte er ihre Tochter bedächtig zurück in ihr Bett, steckte die Decke über ihr fest und wandte sich dann zum Gehen. »Ich werde das nicht vor Minerva klären«, sagte er steif.

 

Im Wohnzimmer saß Isobel vor einer Tasse Tee, die Robert ihr vermutlich rein aus Gewohnheit aufgekocht hatte. Ihr Zauberstab lag anklagend zwischen ihnen auf dem Esstisch und ebenso schweres Schweigen lastete zwischen den beiden Eheleuten. Sie hatte ihm einiges erzählt, noch mehr gezaubert und vor allem geweint. Verdrießlich sah Isobel nun auf die schwarzen Teeblätter am Boden ihres Bechers, während Robert Löcher in die Luft starrte.

»Was wird jetzt mit Minerva passieren?«

»Sie wird lernen müssen, ihre Fähigkeiten zu kontrollieren. Es gibt eine Schule, für die magisch Begabten, wenn es so weit ist ...«

»Ah.« Robert nickte. Aber seine Knöchel am Henkel der Tasse, die weiß hervortraten, verrieten noch immer, wie aufgewühlt er war.

»Mit elf bekommt man den ersten Zauberstab«, strömten die Worte weiter aus Isobel hervor, »bevor man nach Hogwarts kommt. Dort wird man sieben Jahre lang unterrichtet, bis man volljährig ist. Und dann ...«

Aufmerksam beobachtete Robert sie. »Dann heiratet man gegen den Willen der Eltern einen Normalsterblichen, versteckt seinen Zauberstab und tut so, als wäre die Welt gewöhnlich?«

»Ich wollte im Zaubereiministerium arbeiten. Aber meine Eltern wollten lieber, dass ich einen anderen Zauberer heirate. Eine Familie gründe. Und am Ende ...«, sie unterdrückte ein Schluchzen, »... habe ich mich aber in dich verliebt. Und ich liebe dich immer noch, Robert.«

Zum ersten Mal in ihrer Ehe erwiderte Robert die Worte nicht. Er nahm bloß einen Schluck Tee und seufzte. »Warum hast du mir nie die Wahrheit gezeigt? Du wusstest doch, was passieren würde.«

»Nein.« Isobel schüttelte den Kopf. »Die Chance war groß, dass Minerva genau wie du ein Muggel – nicht-magisch – werden würde. Ich habe gehofft, dass sie genau so ist wie du. Dann hätte ich die Magie einfach vergessen können. Ich wollte nicht länger Teil von einer Welt sein, die mich dafür verurteilt, wen ich geheiratet habe!«

»Du hättest das alles einfach aufgegeben?«

»Ja. Das magische Geheimhaltungsabkommen von 1689 verbietet es mir ohnehin, vor nicht-magischen Menschen über die Existenz von Magie zu sprechen. Selbst wenn ich wollte – ich hätte dich nicht einfach einweihen können. Geschweige denn zaubern wie zuvor. Das steht ebenfalls unter Strafe.«

»Und jetzt? Du hast es mir doch gerade erzählt!«

»Weil du eine Hexe zur Tochter hast, gilt eine Ausnahme. Du hast ja gesehen, was passiert, wenn junge Magiebegabte ihre Macht nicht unter Kontrolle haben. Wir müssen sie beschützen; diese Ausbrüche vor anderen geheimhalten.«

Immer noch zittrig nahm Isobel einen tiefen Atemzug. Einerseits war sie erleichtert, dass Robert nun die Wahrheit kannte, andererseits lastete der Vertrauensbruch schwer auf ihren Schultern. Sie sah es in der Art, wie er sie betrachtete, mit dieser steilen Falte zwischen den Augenbrauen. Etwas in ihm war zerbrochen, für immer.

»Wie lange weißt du es schon?«

»Es fing wenige Stunden nach ihrer Geburt an.«

Langsam setzte Robert seine Brille ab und fuhr sich über das Gesicht. Isobel fühlte sich so schuldig, doch sie vollbrachte es nicht, ihm auch nur beschwichtigend eine Hand auf den Arm zu legen.

»Isobel ... ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.«

»Ich weiß. Es tut mir so leid, Robert. So leid.«

»Hör auf, das zu wiederholen. Bitte.« Er senkte seine Hände und sah sie aus geröteten Augen an. »Mir ist klar, dass du das nicht wolltest, aber ich erfahre gerade, dass meine ganze Ehe eine Lüge ist. Ich weiß nicht einmal, wer die Frau, die ich geheiratet habe, wirklich ist. Mir tut es leid, aber ...« Ruckartig erhob Robert sich vom Esstisch. »Ich gehe spazieren. Ich brauche frische Luft.«

Sie ließ ihn ziehen.

 

Es war bereits weit nach zehn Uhr am Abend, als Robert endlich zurückkam. Er hatte Schnee in den Haaren und seine Augen waren ebenso gerötet wie seine Wangen. Der Anblick trieb feine Nadeln in Isobels Herz.

Sie saß mit Minerva auf dem Sofa im Wohnzimmer und hatte den ganzen Abend nichts anderes getan, als die Magieausbrüche ihrer Tochter zu beobachten. Selbst ihren Zauberstab hatte sie nicht mehr angerührt. Er lag genauso auf dem Esstisch, wie sie ihn zurückgelassen hatte.

Auch jetzt im Moment schwebte eine rot-goldene Kugel des Weihnachtsbaums hoch über ihren Köpfen durch den Raum wie ein verirrter Schnatz. Die Hauskatze machte das ganz närrisch. Sie flitzte dem federlosen Flugobjekt hinterher, hin und wieder einen Satz machend, um den vermeintlichen Vogel zu erwischen. Robert betrachtete das Geschehen einen Moment lang, ehe er sich vorsichtig neben seine Frau setzte.

Isobel entging der Abstand zwischen ihnen nicht. Er vertraute ihr nicht, da konnte sie ihm keinen Vorwurf machen. Innerhalb weniger Stunden hatte sie sein ganzes Weltbild eingerissen und ihm überdies enthüllt, dass sie Schuld daran trug, dass seine Tochter ein vollkommen ungewöhnliches Leben führen würde.

Robert streckte eine winterkalte Hand nach ihrer aus und drückte sie zaghaft. »Es wird Zeit brauchen, Isobel, bis ich mich daran gewöhnt habe. Aber ich liebe euch. Dich und Minerva. Ich will versuchen, es zu verstehen. Ich habe dir geschworen, immer an deiner Seite zu stehen, und das will ich halten.«

Sie atmete tief durch. »Danke.«

Er legte den Kopf leicht schief. »Ich habe eigentlich nur einen Wunsch ... ich würde gerne mehr von deiner Welt hören. Ich verstehe jetzt, warum du so gerne jeden Abend meinen Geschichten gelauscht hast, aber nun ... würde ich stattdessen gerne deine Geschichten hören. Vielleicht verstehe ich dann besser.«

Geradezu erleichtert erlaubte es Isobel sich nach Monaten der Angst, ihm endlich wieder ein Lächeln zu schenken. »Sehr gerne.«

Den Karton ganz unten in ihrem Kleiderschrank, noch hinter den selten getragenen Paaren kratzigster Wollsocken, hatte sie selber seit dem unfreiwilligen Auszug bei ihren Eltern nicht mehr geöffnet. Auch für sie war es wie eine Reise in eine ferne Welt, als sie an diesem Abend den Deckel von der Schachtel hob und sich verblassten Bildern gegenübersah.

Ihr kamen noch mehr als einmal die Tränen, während sie die Spuren ihres alten Lebens in der magischen Welt vor Robert ausbreitete und ihm mit stockender Stimme von den besten Zaubersüßigkeiten, unglaublichen Sportarten und allerhand zauberhaftem Unsinn berichtete.

Aber am Ende war es gut so, besser als wenn sie das ganze Weihnachten versucht hätte, die Magie ihrer kleinen Tochter zu verschleiern. Robert rieb sich in den kommenden Tagen noch öfters verwundert die Augen, sobald Ungeheuerliches vor seiner Nase geschah, doch er lauschte ihren Geschichten auch mit derselben Andacht, die sie seinen Erzählungen entgegengebracht hatte.

Ihre Ehe war stärker als die Unterschiede, die sie fast entzweit hätten. Und so sehr es Isobel schmerzte, dass sie die Magie aufgegeben hatte, so sehr liebte sie Robert. Es war weiß Gott – oder Merlin – kein einfacher Weg, der vor ihnen lag, doch sie würden ihn gemeinsam gehen. Minerva zuliebe.

Momentaufnahmen [Colin Creevey]


 

Hogwarts, 1993

Colin Creevey

 

Colins erstes Weihnachtsfest in Hogwarts hat er leider zur Statue erstarrt verpasst, darum ist er als Zweitklässler umso mehr versessen darauf, das Beste aus der Weihnachtszeit zu machen.

 

***

 

Colin hatte sich sehr auf Weihnachten gefreut. Vom ersten Moment an, als er seinen Fuß über die Schwelle von Hogwarts gesetzt hatte, war er neugierig gewesen, wie man in der magischen Welt wohl feiern würde. Schon die schwebenden Kerzen vor dem verzauberten Himmel der großen Halle hatten ihm den Atem verschlagen. Wie würde es da erst sein, wenn dicke Schneeflocken über den Haustischen herabfielen und alles im festlichen Glanz erstrahlen würde? Denn daran zweifelte Colin keinen Augenblick – Weihnachten in Hogwarts wäre mit Sicherheit magisch.

Und dann war er aufgewacht – oder besser aufgeweckt worden –, im Sommer, weit weg von Schnee und dem besten Feiertag des Jahres. Eben noch hatte er sich darauf gefreut, ganz viele Bilder für seine Familie daheim zu machen und ihnen jede Zauberertradition zu Weihnachten zu beschreiben, da stellte er fest, dass das Schuljahr vorbei war. Zu Stein erstarrt hatte er überhaupt gar nichts erlebt.

So enttäuscht war Colin schon lange nicht mehr gewesen. Er hatte einfach alles verpasst, die ganze Aufregung um Slytherins Monster, unzählige Unterrichtsstunden und eben das magische Weihnachtsfest.

Dieses Jahr, das schwor er sich, würde er es auf keinen Fall verpassen. Komme, was da wolle, er klammerte sich an seine heißgeliebte Zauberkamera, bereit, alles, angefangen von der ersten Schneeflocke, für immer festzuhalten.

Fast wäre sein Plan gescheitert, denn dank eines unvorsichtigen Mitschülers wurde er im Zaubertrankunterricht das unfreiwillige Opfer eines Furunkeltranks, der etwas zu viel Krötenleber enthalten hatte, und verbrachte die nächsten zwei Nächte unter der Aufsicht von Madame Pomfrey im Krankenflügel.

Er ärgerte sich schon furchtbar, doch andernfalls hätte er vermutlich sogar den ersten Schneefall des Winters verpasst. Des Nachts hatte er wachgelegen, denn die Stellen, wo die Furunkel, so groß wie Galleonen, gesprossen waren, hatten höllisch gebrannt. Und da waren sie vom Himmel gerieselt, die ersten dicken Schneeflocken des Jahres. Als wollten sie ihn besuchen, hatten sie sich an das Fenster neben seinem Bett gelegt. Somit hatte Colin unverhofft im Krankenflügel doch ein weihnachtliches Foto erhalten.

Bald darauf folgten die nächsten Vorboten eines unglaublichen Weihnachtsfests – singende Ritterrüstungen in jedem Flur, die von Filch auf Hochglanz poliert worden waren. An allen möglichen passenden und unpassenden Stellen sprossen Mistelzweige aus den Gewölbedecken, die des Öfteren Anlass für verlegenes Kichern boten. Besonders aufgeregt war Colin allerdings, als er eines Morgens Hagrid sah, der eine gewaltige Tanne über die schneebedeckten Ländereien in Richtung Schloss zog.

Noch halb im Pyjama und nur mit hastig übergeworfenem Schal und Umhang, stürmte er mit der Kamera in den Händen hinaus, um diesen Moment festzuhalten. Begeistert löcherte er den Wildhüter mit allerhand Fragen – woher kamen die Tannen? Wie viele würden das Schloss zieren? Wer schmückte die Bäume? War der Baumschmuck magisch? Konnte er zusehen? Konnte er helfen?

Brummend antwortete Hagrid auf jede Frage, bis sie in der großen Halle ankamen, wo Professor Flitwick ihn bereits erwartete. Auch er zeigte Colin geduldig die Kartons voller Weihnachtsschmuck und zu Colins größtem Stolz ließ der kleine Zauberkunstlehrer ihn einen der goldenen Sterne mit einem Schwebezauber auf eine der riesigen Tannen befördern. Professor Flitwick machte sogar ein Foto davon, auf das Colin ganz besonders stolz war.

Innerhalb weniger Tage füllte er drei Filmrollen voller magischer Bilder, die jeden Winkel des weihnachtlichen Schlosses einfingen. Er erwischte sogar ein Schnappschuss von Harry Potter bei einem außergewöhnlich schneereichen Quidditchtraining, wie dieser zwischen lauter schnatzgroßen Flocken den goldenen kleinen Ball fing. Nach den Erfahrungen des letzten Jahres fragte er ihn allerdings nicht, ob er es signieren könne.

Auf jeden Fall wurden Colins kühnste Erwartungen an die magische Weihnachtszeit noch übertroffen. Er zählte bereits seit Ende November die Tage auf seinem Kalender herab, bis es endlich der 25. Dezember war.

Doch mit dem nächsten Brief von zuhause wurde sein Entschluss, das Weihnachtsfest in vollen Zügen zu genießen, auf eine harte Probe gestellt. Er hatte gar nicht darüber nachgedacht, aber sobald er zwischen Toast und Kürbissaft die Worte überflog, fühlte er sich unendlich schuldig. Seine Eltern fragten ihn fröhlich, wann er für die Ferien nach Hause kommen würde, sie würden ihn gerne vom Bahnhof in London abholen.

Colin hatte natürlich mitbekommen, dass seine Mitschüler sich darüber unterhielten, wer alles nach Hause fahren würde, was die Pläne für die Ferien waren und wer vielleicht in Hogwarts verweilen würde. Aber in seiner Welt hatte es nichts Schlechtes bedeutet, für das Fest in der Schule zu bleiben. Immerhin konnte er nur hier erleben, was zauberhafte Weihnachten ausmachte. Daheim hingegen wäre alles wie jedes Jahr. Vor lauter Freude auf das Unbekannte hatte er glatt vergessen, wie lange er seine Familie nicht mehr gesehen hatte.

Während die kommenden Tage das Schloss unter einer immer dicker werdenden Schneedecke verschwand und kalte Winde durch die Korridore säuselten, trug Colin sich schwer mit dem Gedanken, was er auf den Brief antworten sollte. Das Fest, so wie er es kannte verbringen, oder doch alleine in Hogwarts? Würden seine Eltern und sein Bruder sich überhaupt freuen, wenn er ihnen haufenweise Bilder schickte von Dingen, die sie nicht selber miterleben konnten?

Dennis war so schon unfassbar neidisch auf alles, was Colin erlebte, das wusste er. In den Sommerferien hatte er öfter genervt die Augen verdreht, wenn Colin eine Geschichte aus Hogwarts erzählt hatte und einmal, daran erinnerte er sich nur ungern, war er vom Esstisch aufgesprungen und hatte sich in seinem Zimmer eingeschlossen.

Vielleicht würde Dennis sich sogar freuen, wenn Colin nicht nach Hause käme. Dann hätte er seine Eltern und das Weihnachtsfest wieder für sich, so wie letztes Jahr.

Seufzend sah Colin auf den schwarzen See hinaus, dessen Ränder langsam zufroren. Nicht mehr lange und man könnte darauf Schlittschuh laufen. Das hatte er daheim immer gerne mit Dennis auf einem See in der Nachbarschaft gemacht. Er zückte seine Kamera und schoss ein Foto für seinen Bruder, just in dem Moment, als ein Arm des Riesenkrakens sich aus der Tiefe des Wassers erhob.

Es war ja nicht so, dass Colin sich alleine fühlte. Er hatte Freunde hier, der Unterricht machte Spaß und überhaupt war alles einfach so ... magisch. Aber trotzdem vermisste er seinen Bruder in Augenblicken wie diesem sehr. Genauso wie seine Eltern. Abgesehen von einem Einkaufsbummel in der Winkelgasse zu Anfang des Schuljahres waren sie dieser Welt so fern wie er einem Ausflug auf den Mond. Dabei würde er ihnen das alles nur zu gerne zeigen.

Je näher die Ferien rückten, desto aufgeregter wurde die Atmosphäre, die sich im Schloss breitmachte. Selbst im Unterricht durften sie jetzt immer öfter spielen oder lernten lustige kleine Spielereien, die zu Weihnachten passten. Besonders gefiel Colin die Stunde Zauberkunst, in der Professor Flitwick ihnen einen Zauber beibrachte, der künstliche Schneeflocken herabrieseln ließ.

Für einen glückseligen Moment träumte er davon, wie er es im Wohnzimmer seiner Eltern schneien lassen würde – bis er unsanft von der Wirklichkeit eingeholt wurde, in der es ihm das magische Geheimhaltungsabkommen verbot, in den Ferien zu zaubern. Nicht einmal so konnte er also seiner Familie diesen besonderen Weihnachtszauber nahebringen.

Die ganze folgende Stunde Verwandlung starrte er trübsinnig aus dem Fenster, an dem noch weitere Schneeflocken vorbeitrieben, und versuchte, sich vorzustellen, wie schön es wäre, wenn er seine Familie wenigstens für Weihnachten bei sich, in Hogwarts, haben könnte.

»Mr. Creevey?«

Ertappt schreckte er aus seinen Vorstellungen von den großen Augen, die Dennis beim Anblick des Schlosses machen würde. Oder wie seine Mutter, eine Historikerin, die ganzen Rüstungen und Gemälde lieben würde. Seinem Vater, einem Milchmann, würde hingegen das Essen bestimmt gut gefallen.

»Mr. Creevey!«

Colin zuckte zusammen und sah schuldbewusst zu Professor McGonagall auf, die sich vor seinem Pult aufgebaut hatte. Die anderen aus dem Kurs waren bereits verschwunden, wie er mit Schrecken feststellte.

»Die Stunde ist vorbei, Mr. Creevey«, informierte seine Lehrerin ihn jetzt wieder sanfter.

»Oh«, murmelte er leise und machte sich daran, sein Tintenfass zuzuschrauben.

»Alles in Ordnung, Mr. Creevey? Ich komme nicht umhin, festzustellen, dass sie diese Stunde nicht sehr aufmerksam waren, was die Verwandlungstheorie angeht.« Seine Hauslehrerin musterte ihn durch ihre Brillengläser hindurch wie ein Adler auf Beuteflug.

Unglücklich stopfte Colin Bücher und Pergamente in die randvolle Schultasche zurück. Ein Knacken ließ ihn wissen, dass er vermutlich gerade seine Feder durchgebrochen hatte.

»Alles in Ordnung«, entgegnete er automatisch. »Es tut mir leid, dass ich so unaufmerksam war, Professor.«

Einen Augenblick lang sagte die strenge Lehrerin nichts, dann seufzte sie kaum merklich. »Mr. Creevey, ich bräuchte noch die Information von Ihnen, ob Sie Weihnachten in Hogwarts verbringen werden oder ob Sie nach Hause fahren. Heute Abend läuft die Frist für die Anmeldung aus.«

Mit fahrigen Händen versuchte Colin, irgendwie den Verschluss seiner vollgestopften Tasche zu verschließen. »Natürlich, Professor. Ich ... ich ...«

Plötzlich stiegen ihm die Tränen in die Augen. Nicht einmal, seit Colin in Hogwarts angekommen war, hatte er geweint. Es war schließlich die beste Zeit seines Lebens, die er hier verbringen durfte! Doch jetzt brannten seine Augenwinkel mit einem Mal verräterisch und aus zusammengekniffenen Augen war es noch schwerer, die lästigen Schnallen an seiner Ledertasche zu verschließen.

Verstohlen tupfte er sich mit dem Ärmel seines Umhangs übers Gesicht. Was sollte er seiner Hauslehrerin nur sagen? Er wusste es doch selber nicht!

»Möchten Sie es mir vielleicht erzählen, Mr. Creevey?« Professor McGonagall zog sich einen Stuhl aus der Vorderreihe heran und setzte sich gegenüber von Colins Pult. »Ich bin sicher, dass wir eine Lösung für Sie finden werden. Sie sind auf jeden Fall nicht alleine, wenn Sie hierbleiben müssen.«

Colin biss sich auf die Lippe. Er gehörte nicht zu den Schülern, die besonders oft die Anerkennung der Lehrenden suchte. In seiner alten Muggelschule hatte es ein Mädchen gegeben, dass ständig weinend zu ihrer Lehrerin gelaufen war und ihr einfach alles erzählt hatte – darüber hatten die meisten in seiner Klasse nur gelacht. Eine Heulsuse hatten sie die Schülerin genannt. Nein, ihm wäre es wirklich nicht recht, wenn er ausgerechnet vor seiner strengen Hauslehrerin weinen müsste.

Aber das war seinen Tränen freilich gleichgültig. Schon bahnte die Erste sich ihren Weg und egal wie wütend er sich mit dem Umhangsaum über die Wangen fuhr, ihr folgten noch weitere.

»Ich weiß es nicht«, gab er sich schließlich geschlagen. »Ich weiß nicht, ob ich hierbleibe oder nach Hause fahre.«

»Liegt es an Ihrer Familie? Wissen Sie nicht, ob Sie in den Ferien noch einen Platz dort haben werden?«

Hastig schüttelte Colin den Kopf. »Sie wollen, dass ich nach Hause komme. Meine Eltern. Aber ...«, er zog trotzig die Nase hoch, »... ich will auch wissen, wie Weihnachten hier ist. Wie Weihnachten ist, wenn man zaubern kann. Meine Eltern sind nur Muggel, wissen Sie, Professor. Ich habe noch nie so ein Weihnachten erlebt. Und letztes Jahr, da ... war ich halt versteinert.«

Professor McGonagall nickte langsam. »Ja, da haben Sie eine Menge verpasst, fürchte ich. Aber Sie vermissen auch Ihre Familie, nicht wahr?«

»Ja.« Colin sah auf seine Hände mit den Tintenflecken hinab. Er hatte noch nicht wirklich den Dreh heraus, wie man vernünftig mit den Federn schrieb. Manchmal, da wünschte er sich wieder seine praktischen Bleistifte und Füllfederhalter aus der Muggelschule herbei. »Ich ... es wäre schön, wenn sie das hier auch erleben könnten. Die singenden Rüstungen, das würde meiner Ma gefallen. Sie arbeitet in einem Museum, wissen Sie? Und Dennis-« Seine Stimme brach ab.

Ein sanftes Lächeln breitete sich auf Professor McGonagalls strengen Zügen aus. »Es ist nicht einfach, jetzt, wo Sie in zwei verschiedenen Welten zuhause sind. In manchen Dingen vermissen Sie Ihr Zuhause, aber in gewisser Weise ist auch diese Welt jetzt Ihr Zuhause. Einen Weg zu finden, wie beides nebeneinander existieren kann, ist nicht immer einfach.«

Colin schluckte. »Ich wollte ihnen alles über das Weihnachtsfest erzählen. Ihnen ganz viele Bilder schicken. Dann können sie sich zumindest vorstellen, wie es hier ist. Und Dennis – Dennis würde sich vielleicht freuen, wenn ich nicht nach Hause komme.«

»Glauben Sie das wirklich, Mr. Creevey? Oder wollen Sie das nur glauben, damit es Ihnen leichter fällt, hierzubleiben? Vermisst Ihr Bruder Sie nicht vielleicht genauso sehr, wie Sie ihn?«

»Ich weiß nicht, ob er mich vermisst. Vielleicht freut er sich einfach, wenn ich ihn nicht mit Geschichten von Zauberei nerve. Im Sommer hat er zwar mal einen Fußball hoch bis aufs Dach der Nachbarn geschossen, aber das war vielleicht einfach nur der Wind und keine Magie. Immerhin sind meine Eltern so normal, wie man es sich nur vorstellen kann ...«

»Ich kann Ihnen nicht sagen, ob Ihr Bruder vielleicht auch ein Zauberer ist. Es wäre nicht unvorstellbar. Aber bedenken Sie eines, Mr. Creevey – Weihnachten werden Sie in Ihrem Leben noch oft feiern und ganz sicher oft genug auf magische Art. Letzten Endes ist es nicht der Unterschied zwischen verzauberten Weihnachtsbaumkugeln und gewöhnlichem Schmuck, der irgendeine Art des Festes besser macht. Alles, worauf es ankommt, ist, mit wem sie feiern. Entscheiden Sie sich für die Personen, die Sie lieben, dann werden Sie es nicht bereuen.«

Darauf wusste Colin nichts zu entgegnen. Verlegen rubbelte er über einen der größeren Tintenflecke auf seiner linken Hand.

»Sagen Sie mir einfach heute Abend Bescheid, in Ordnung? Und jetzt beeilen Sie sich besser, die nächste Stunde fängt bald an.«

»Danke, Professor.«

Eilig lief Colin durch die inzwischen verlassenen Korridore in Richtung des Schlossportals. In der nächsten Stunde hatten sie Kräuterkunde, eines seiner Lieblingsfächer (obwohl er sie alle toll fand), das wollte er wirklich nicht verpassen.

 

Vier Tage vor Weihnachten warteten schließlich seine Eltern und Dennis in Kings Cross. Freudestrahlend begrüßten sie Colin und bestürmten ihn mit Fragen nach der Schule, seinen Freunden und den Besonderheiten des magischen Winters. Sie wollten alles wissen, bis ins kleinste Detail. Sogar Dennis.

Nur zögerlich erzählte Colin von der zauberhaften Dekoration des Schlosses und all den wunderbaren Dingen, die er in der Zeit bis zu den Ferien erlebt hatte. Seine Bilder gar traute er sich erst, als sie längst zuhause waren, herauszuholen, eines nach dem anderen.

Ob sie vielleicht merkten, dass er beinahe nicht zurückgekehrt wäre? Er konnte es nicht sagen. Immerhin hatte er ihnen Geschenke mitgebracht. Dafür hatte er einem der älteren Schüler, die bereits nach Hogsmeade gehen durften, ein ganzes Säckchen Galleonen in die Hand gedrückt und ihn gebeten, für Dennis alles, was es im Sortiment des Honigtopfes gab, zu kaufen. Für seine Mutter hatte er im Eulenversand ein Buch über berühmte Ausgrabungsstätten der Magie erstanden und für seinen Vater ein Paar fingerloser Handschuhe, die ihrem Träger dauerhafte Wärme spendieren sollten; die konnte er bei der Arbeit gut gebrauchen. Das war das Mindeste, was ihm eingefallen war, um die magische Welt zumindest ein wenig nach Hause zu bringen.

Womit er allerdings nicht rechnete, war die Eule, die am Weihnachtsmorgen gegen das Wohnzimmerfenster klopfte, noch bevor er und Dennis überhaupt zu ihren Socken voller Geschenke gelaufen waren.

Verwundert ließ Colin das Tier hinein, das in den Krallen ein großes in Packpapier geschlagenes Paket trug. Eine kleine Karte hing daran, auf der in geschwungener Schrift stand: Ein fröhliches und magisches Weihnachtsfest wünscht Ihnen Professor McGonagall.

Mit aufgerissenen Augen drängte ihn Dennis, das Paket zuerst zu aufzumachen. Darin befanden sich einige verzauberte Knallbonbons, wie die Schüler im Schloss sie beim Weihnachtsessen öffnen durften und eine Baumkugel, in der Schneeflocken wirbelten, die denen auf den zwölf Weihnachtsbäumen in der großen Halle nachempfunden war.

Colin durfte zwar nicht zaubern, doch als seine Familie sich versammelte und lachend die Knallbonbons öffnete (seine Mutter erschrak sehr über die Mäuse, die daraus entflohen), da hatte er das Gefühl, dass sein Weihnachten im richtigen Maße zauberhaft geraten war.

Nifflerträume [Newt Scamander]


 

Hogwarts, 1908

Newt Scamander

 

Newts treuer Nifflerfreund hat ein erklärtes Ziel: Einen der zwölf strahlenden Sterne von den Weihnachtsbäumen in Hogwarts zu ergattern. Dabei zieht er eine Spur des Chaos und einen verzweifelten Newt hinter sich her ...

 

***

 

Für einen Niffler in Hogwarts war die Weihnachtsdekoration ein reines Schlaraffenland. An allen Ecken und Enden gab es glänzende Christbaumkugeln und anderen Nippes, der ein listiges Funkeln in die schwarzen Knopfaugen dieses felligen Geschöpfs trieb.

Newt hatte alle Hände voll damit zu tun, seinen kleinen Freund davon abzuhalten, eine Spur der Verwüstung nach sich zu ziehen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Sobald die vorwitzige Schnauze sich auch nur aus seiner Umhangtasche reckte, erwachte der Jagdtrieb in dem Tierwesen und er musste den sich windenden Fellball mit beiden Händen zurück in sein Nest zwingen.

Trotzdem kam es hin und wieder vor, dass Harold, wie er den Niffler getauft hatte, sich davonstahl und das ein oder andere glänzende Objekt erbeutete. Solange es der Belegschaft nicht auffiel, erlaubte er es dem Tierwesen, seine Beute zu behalten. Kurz vor Weihnachten war die unterste Schublade in Newts Nachtschränkchen bereits bis zum Bersten mit zumeist wertlosem, aber zumindest funkelndem Plunder gefüllt, auf dem Harold nachts zufrieden schnarchte.

Auf eine Sache hatte der junge Niffler jedoch ein besonders aufmerksames Auge geworfen: Die zwölf Weihnachtsbäume in der großen Halle. An der Spitze eines jeden davon thronte ein goldener Stern und Newt war klar, dass sein kleiner Freund diese nur zu gerne in seinem ausdehnbaren Bauchbeutel verstecken würde. Egal wie oft er versuchte, Harold mit den silbernen Teelöffeln abzulenken, letzten Endes hefteten sich seine dunklen Augen immer wieder begierig auf die Bäume.

Im Schlafsaal lassen konnte Newt ihn allerdings ebenso wenig, denn sonst würden seine Hauskameraden bald alle etwas vermissen und das wäre definitiv zu auffällig. Es sollte ja schließlich keiner wissen, dass Newt weder eine langweilige Hausratte noch eine Kröte dabeihatte.

Er hatte freilich nicht beabsichtigt, sich einen Niffler zuzulegen. Viel mehr hatte Harold sich dazu entschieden, Newt im wahrsten Sinne des Wortes vor die Füße zu laufen. Das ideale Haustier war er mitnichten, aber bevor irgendwer Jagd auf das fellige Geschöpf machte, nur weil es vielleicht das Haus der Nachbarn zerlegt hatte – nun, dann nahm Newt den Kleinen lieber bei sich auf.

Den ersten Ohrring seiner Mutter hatte der Niffler binnen fünf Minuten im heimischen Elternhaus entführt und seitdem hatte Newt keinen ruhigen Moment mehr. Sollte ihn allerdings jemals einer fragen, ob er nicht lieber eine praktische Posteule hätte, dann würde er entschieden den Kopf schütteln. Eher krabbelte er auf allen vieren unter dem Hufflepuff-Tisch herum, auf der Suche nach seinem abtrünnigen Freund, anstatt ihn gegen etwas Gewöhnliches zu tauschen.

An diesem Morgen entpuppte sich Harold allerdings als besonders widerspenstig. Er hatte sich bereits Newts sämtliches Silberbesteck einverleibt, sodass dieser – mal wieder – seinen Toast ohne Belag gegessen hatte, und nun unternahm er ein vorwitziges Versteckspiel mitten in der großen Halle.

Oberhalb der Tischplatte hörte Newt die verwirrten Ausrufe seiner Hauskameraden, sobald der Niffler um ihre Knöchel strich – und gleich darauf noch einmal, als Newt an ihnen vorbeihuschte. Seinen Zauberstab hatte er sich zwischen die Zähne geschoben, in der Hoffnung, dass ihm ein rettender Spruch einfallen würde, wenn er erstmal freie Sicht auf Harold hatte.

Da er nur ein Erstklässler war, hatte er begrenzte Optionen – er konnte den Niffler schweben lassen. Das würde ihm nicht gefallen, aber es war immer noch besser, als zuzusehen, wie die Weihnachtsbäume vor allen Augen dem Erdboden gleichgemacht wurden. Newt erinnerte sich lebendig an das Chaos im Haus ihrer Nachbarn, bei denen nicht ein Staubkorn an seinem Platz geblieben war.

Nur wenige Fuß vor Newt blitzte etwas im Halbdunkel unter den Tischen auf. Ein goldenes Armband! Dem würde Harold nicht widerstehen können. Hastig richtete er seinen Zauberstab auf das Ziel und wartete darauf, dass der Niffler sich auf das Handgelenk der Trägerin stürzen würde. Er musste nur den rechten Zeitpunkt abpassen und dann würde er zuschlagen.

Doch kaum tauchte die fellige Schnauze schnuppernd am Arm des Mädchens auf, ließ dieses einen überraschten Schrei hören. Newt richtete hastig den Zauberstab in Richtung von Harold, aber zu spät. Er hatte sich mit den kleinen Schaufelhänden fest an das schwingende Goldband gekrallt und wurde von der Schülerin geradewegs in die Höhe gerissen, als sie die Hände hob, um sich zurückzulehnen und zu sehen, was da unter dem Tisch lauerte.

Newt starrte das Mädchen an und das Mädchen starrte ihn an. Von Schockweiß verwandelte sich das Gesicht der älteren Schülerin langsam zu Wutrot. Er versuchte noch, sie gestikulierend auf den Niffler an ihrem Handgelenk aufmerksam zu machen, da riss Harold sich, gewieft wie er war, das Armband unter die felligen Klauen und verschwand in langen Sätzen zwischen den Haustischen.

»Raus unter dem Tisch, du Spanner!«, wurde Newt derweil von der Schülerin höchst unsanft aufgefordert und er war sich sicher, dass spätestens jetzt alle Blicke auf dem Hufflepufftisch lagen.

Mit reichlich rotem Kopf kämpfte er sich seinen Weg unter dem Tisch hervor und entschuldigte sich in einem regelrechten Wortschwall, während seine Augen bereits wieder die Halle nach dem abspenstigen Niffler durchsuchten. Es sah nicht gut aus, wenn Harold es ausgerechnet jetzt, beim Frühstück, zu seinem Ziel, den Weihnachtsbäumen, schaffen würde.

Er murmelte etwas von einem ausgebüxten Haustier, ohne dabei zu spezifizieren ob er vielleicht Ratte oder doch Kröte gemeint haben könnte und unter den neugierigen Blicken von den übrigen Tischen ließ das Mädchen ihn glücklicherweise in Ruhe. Sie bemerkte nicht einmal, dass ihr Armband verschwunden war.

Harold entdeckte Newt allerdings nicht – halt, doch, da war er. Mitten auf dem Lehrertisch. Ihm war, als würden die Augen des Nifflers durch die ganze Halle hinweg provozierend zu ihm herüberschauen, während dieser sich in Seelenruhe weiteres Besteck einverleibte. Hier eine Gabel, da einen Teelöffel mopsend, hüpfte er um das Frühstück herum.

Beide Hände verlegen um seinen Zauberstab geschlungen, trat Newt auf den Lehrertisch zu. Vermutlich hafteten immer noch neugierige Blicke vom Hufflepufftisch auf ihm, während er nun die kleine Empore erklomm. Einen Plan, wie er seinen widerspenstigen Freund von dort zurückholen konnte, hatte er auch nicht – er wusste nur, dass er etwas unternehmen musste, bevor Harold seinen Plünderzug fortsetzte.

Just in diesem Moment schnappte der Niffler sich den Teelöffel unter den Händen von Professor Dumbledore weg und rettete sich nur durch einen Hechtsprung hinter eine Karaffe voller Kürbissaft. Trotzdem entging Newt nicht, wie der Verwandlungslehrer verwundert auf die blanke Holzfläche sah, auf der eben noch ein Silberlöffel gelegen hatte.

»Mr. Scamander, können wir Ihnen behilflich sein?« Die Professorin für Zauberkunst lächelte ihn höflich an.

»Ah, Entschuldigung, ich suche nur ... ein ausgebüxtes Haustier. Ähm, ja. Ich glaube, Harold ist hier irgendwo längs gelaufen. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, schaue ich nur kurz, dass ich ihn einfange.«

»Entflohene Haustiere? Das ist meine Spezialität!« Professor Kesselbrand für Pflege magischer Geschöpfe, ein einarmiger Mann mit Holzprothese, strahlte Newt an. »Sagen Sie uns doch, mein Junge, wonach suchen wir? Eine freche Ratte oder eine Kröte?«

Noch während der Zauberer sprach, hüpfte Harold hinter ihm auf die Lehne seines Stuhls und visierte von da aus den Weihnachtsbaum dahinter an. Es schien, dass der Niffler Newt frech ansah, bevor er auf einen wackelnden Tannenzweig sprang und den ersten goldenen Weihnachtsschmuck in sein schwarzes Fell schob.

Newt blieb keine Wahl. Er richtete den Zauberstab auf seinen Freund. Ȁh, ich sehe gerade, Harold ist hinter Ihnen, Professor Рich fange ihn nur kurz ein РWingardium Leviosa

Anstelle von dem Niffler erhob sich eine schimmernde Baumkugel mit dem Schulwappen darauf in die Luft. Sämtliche Blicke am Lehrertisch verfolgten die schwebende Kugel – und verpassten darüber hinaus zum Glück den geschäftigen Schmuckdieb, der einen Zweig höher kletterte und sich dort bereits das nächste Objekt einverleibte.

»Das ist aber nicht ihr Haustier«, lachte Professor Kesselbrand amüsiert. »Es sei denn, sie haben irgendein Tierwesen, das sich verwandeln kann?« Er klang beinahe hoffnungsvoll.

»Äh nein, das ist nicht Harold.« Newt verfluchte seine geringen Zauberkenntnisse, während er – hoffentlich unauffällig – verfolgte, wie Harold durch die Zweige des Tannenbaums kraxelte.

Da kam ihm ein rettender Gedanke – konnte er mit der schwebenden Kugel Harold vielleicht von dem Baum fortlocken? Wenn der Niffler erstmal wieder festen Boden unter den Füßen hätte, könnte Newt ihn besser schnappen und zurück in seine Tasche verfrachten, in der es vor gestohlenen Galleonen und Löffeln nur so klimperte.

Er schenkte der versammelten Lehrerschaft ein entschuldigendes Lächeln und tat, als wolle er den Schmuck nur zurück in den Baum hängen. In Wirklichkeit dirigierte er den Baumschmuck sorgfältig vor Harolds schnabelartige Nifflerschnauze. Und tatsächlich, die goldene Kugel brachte seine Augen zum Strahlen.

Newt bemühte sich, nicht so auszusehen, als würde er weiterhin zaubern, indem er seinen Zauberstab unauffällig auf Hüfthöhe hielt und nur kleine Bewegungen machte, um die Kugel gerade außerhalb Harolds Reichweite hüpfen zu lassen.

»Entschuldigen Sie nochmal die Störung«, murmelte er an die versammelte Lehrerschaft gewandt, »aber ich sehe gerade, mein Haustier ist schon wieder in Richtung Hufflepufftisch auf und davon, also ja ... ich gehe besser.«

Ohne die Augen vom Baum zu lassen, ging er vorsichtig rückwärts. Dabei vergaß er nur leider, dass sich hinter ihm die drei Treppenstufen hinauf zum Lehrertisch befanden. Vor der versammelten Schule polterte er rücklings die Empore hinab, wobei er zu allem Überfluss auch noch seinen Zauberstab fallen ließ. Das Klirren der herabfallenden Baumkugel ging dank seines von Lachen aus der Schülerschaft begleiteten Abgangs zum Glück unter.

Vom Boden aus sah er noch, wie der Niffler zwischen den Scherben der goldenen Kugel davonhuschte, seine Knopfaugen bereits auf den nächsten Baum gerichtet.

»Alles gut«, murmelte er hastig auf die besorgten Blicke vom Lehrertisch hin und klaubte seinen Zauberstab vom Steinboden.

Um nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, wandte er sich zum Hufflepufftisch zurück, an dem ihn alle kichernd und hinter vorgehaltenen Händen tuschelnd musterten. Irgendwo in der Halle war sicherlich auch sein älterer Bruder und schämte sich in diesem Moment sehr für Newt, aber das war ihm ziemlich egal.

Beiläufig ließ er einen Löffel aus seiner Umhangtasche zu Boden gleiten und ein paar Meter weiter den Nächsten. Er hoffte nur, dass die Spur aus Gegenständen niemandem vor Harold auffallen würde.

Zurück am Platz stellte er mit Schrecken fest, dass der Weihnachtsbaum ganz zur Linken bereits verdächtig wackelte. Nur seinem unfreiwillig komischen Auftritt war es überhaupt zu verdanken, dass noch niemand Harolds Treiben bemerkt hatte.

Letzten Endes musste er einsehen, dass der Niffler sich zumindest einen Stern verdient hatte. Nachdem sich alle wieder ihrem Frühstück zuwandten, zückte er seinen Zauberstab und richtete ihn auf die strahlende Baumspitze, auf die Harold sich zuarbeitete.

Hinter vorgehaltener Hand murmelte er erneut den Zauberspruch und sah erleichtert, wie der Stern sich gerade rechtzeitig löste, bevor die gierigen Nifflerpfoten ihn erreichten. Hüpfend versuchte Harold, das langersehnte Objekt seiner Begierde zu greifen, doch Newt gelang es, den glänzenden Schmuck außerhalb seiner Reichweite tanzen zu lassen.

Genauso schnell wie Harold den Baum erklommen hatte, kletterte der Niffler ihn jetzt wieder herab, immer dem Stern nach. Allerdings blieb die Jagd die wackelnde Tanne hinab nicht lange unbemerkt. Schon wurden die ersten Schüler auf das Treiben aufmerksam und ehe Newt es sich versah, deutete ein Erstklässler aus Ravenclaw aufgeregt zu dem hüpfenden Stern und Niffler.

»Professor Kesselbrand, ist das Ihrer?«, rief die Lehrerin für Wahrsagen mit spitzer Stimme.

Harold trappelte indes geradewegs dem Stern hinterher in Richtung Hufflepufftisch, unterwegs noch die Spur aus Löffeln auflesend.

Am Lehrertisch sprang der Professor für Pflege magischer Geschöpfe auf und setzte nun seinerseits dem fliehenden Unruhestifter nach. In einem dramatischen Hechtsprung stürzte sich erst Harold auf den Stern und schließlich Professor Kesselbrand auf Harold.

Schon brach die versammelte große Halle wieder in Gelächter aus, als der Niffler entrüstet aufschrie und der Lehrer ebenso energisch fluchte, nachdem Harold saftig zugebissen hatte.

Newt versank vor lauter Scham halb unter dem Tisch. Dem Professor würde schon früh genug auffallen, dass Harold keiner der schuleigenen Niffler war, und dann würde er sicher eins und eins zusammenzählen, dass Newt mit dieser Angelegenheit zutun hatte.

Damit war es freilich nicht vorbei, denn Professor Kesselbrand hielt den sich windenden Niffler an seinen Pfoten in die Höhe und schüttelte ihn, sodass unter lautem Klirren Besteck, Weihnachtsbaumschmuck und schließlich der heißersehnte goldene Stern aus seinem Fell purzelten.

Die Schüler rund um Newt konnten sich vor Lachen nicht mehr halten, denn der Lehrer schüttelte den Niffler nun immer energischer und trotzdem kamen noch neue Gegenstände zum Vorschein. Diverse Rufe vom Hufflepufftisch wurden laut, die alle ungefähr gleich lauteten – ‚Hey, das gehört ja mir!‘.

Recht schnell stürzten sich die Schüler auf den Haufen aus goldenen und glänzenden Dingen, um nach verlorenen Habseligkeiten zu suchen, darunter auch das Mädchen, dem Harold zuvor sein Armband geklaut hatte.

Professor Kesselbrand eilte mit dem restlos entleerten Niffler im Arm davon und Newt entschied sich, den allgemeinen Trubel zu nutzen, um sich ebenfalls von dannen zu machen.

Reichlich nervös folgte er dem Lehrer bis zu dessen Büro. »Professor Kesselbrand?« Zaghaft streckte er seinen Kopf in den Raum, den er nie zuvor betreten hatte – immerhin hatte er als Erstklässler dieses Fach sehr zu seinem Bedauern nicht belegen dürfen.

Anstelle des üblichen, langweiligen Klassenzimmers, hatte er das Gefühl, nach draußen, auf die Ländereien zu treten. Gewöhnliche Pulte waren nicht zu sehen, dafür aber grünes Gras, Bäume und eine Vielzahl an Wichteln, die durch das dichte Blätterwerk flitzten.

Für einen Moment verschlug es Newt die Sprache. Inmitten der Lichtung stand Professor Kesselbrand, an dessen Hand noch immer Harold hing. Kaum, dass die glänzenden Niffleraugen Newt erspähten, ließ er von dem Lehrer ab und kam durch das raschelnde Gras auf ihn zugelaufen.

»Mr. Scamander!«, rief Kesselbrand vergnügt, »Ich hatte doch vermutet, dass Sie dahinter stecken. Das ist nämlich keiner von meinen Rabauken, wissen Sie? Die würde ich auf hundert Meilen Entfernung erkennen.«

Harold erklomm Newts Hosenbein und hüpfte schließlich aufgeregt schnaufend auf seine Schulter. Offenbar gefiel es ihm ganz und gar nicht, wie der Lehrer ihn behandelt hatte.

»Ja, ähm, Professor Kesselbrand, was das angeht ... es tut mir furchtbar leid, was in der großen Halle passiert ist.« Newt rang die Hände und streichelte dann beruhigend über Harolds Nifflerfell. »Ich fürchte, die Weihnachtsbäume haben es Harold ganz besonders angetan.«

Doch anstelle zu schimpfen, lachte der Lehrer nur herzhaft auf. »Mein Junge, wem sagen Sie das. Die lieben Niffler sind wahrscheinlich für einen Großteil meiner grauen Haare verantwortlich! Freche kleine Geschöpfe sind das, aber wer kann ihnen schon böse sein? Ein Blick in diese Knopfaugen und es ist um einen geschehen!«

Überrascht starrte Newt den Mann an. »Sind Sie nicht ... sauer oder so, Sir?«

Professor Kesselbrand stemmte die verbliebene Hand in die Hüfte. »Sauer? Worauf, Mr. Scamander?«

»Nun ... weil ein Niffler nicht auf der Liste der erlaubten Haustiere steht ... Sir?«

»Na, wer will schon eine Ratte oder eine Kröte? Eulen sind ja noch praktisch, aber Ratten und Kröten ... ich hatte damals einen Jarvey, das war auch ein Abenteuer. Zum Glück stoßen Niffler nicht so wüste Beleidigungen aus wie die Jarveys, das sage ich Ihnen!«

Immer noch verdattert, kraulte Newt Harold unterhalb des Kinns, wo er es am liebsten mochte. Zufrieden stieß der Niffler ein leises Geräusch aus und kuschelte sich enger an ihn.

»Sir? Ich-«

»Ach, mein Junge, machen Sie sich keine Sorgen«, erklärte Professor Kesselbrand breitlachend, »bei mir ist Ihr Geheimnis sicher! Ich sehe doch, dass dieser Niffler Sie ganz offenbar sehr gut leiden kann. Vielleicht wollen Sie beide ja mal auf einen Tee vorbeikommen am Wochenende? Dann kann ich Ihnen vielleicht noch den ein oder anderen Kniff verraten, immerhin müssen Sie offiziell noch bis zu Ihrem dritten Jahr warten, bevor Sie das passende Fach belegen dürften. Und dann könnte ich Ihnen meine zwölf felligen Freunde vorstellen!«

Newt hatte ziemlich ehrlich damit gerechnet, dass der Lehrer ihm den Kessel heißmachen würde – vielleicht sogar einen Schulverweis geben – aber sicher nicht, dass er ihm so etwas wie Privatunterricht anbieten würde.

»Das ... Sir, das wäre mir eine große Ehre!«

»Na sehen Sie!« Zufrieden strahlte Professor Kesselbrand ihn an. »Ach ja, bevor ich es vergesse – eine kleine Wiedergutmachung für Ihren felligen Freund!« Er zog die sternförmige Baumspitze aus einer Tasche seines Umhangs. »Ich glaube, darauf hatte er es abgesehen, nicht wahr?«

Mit einem Lächeln nahm Newt den goldenen Baumschmuck entgegen. »Hast du aber ein Glück, Harold.« Der Niffler schlang seine kleinen Pfoten gierig um das Objekt seiner Begierde, seine Schnauze an die schimmernde Oberfläche geschmiegt. »Ich glaube, das soll heißen, dass er sich sehr freut, Sir. Und ich auch, Professor. Vielen Dank.«

»Dafür nicht, Mr. Scamander. Was halten Sie von diesem Sonntag, zwölf Uhr?«

Begeistert nickte Newt.

Vanillekipferl [Bartemius Crouch jr.]


 

In Gefangenschaft, 1989

Bartemius Crouch Jr.

Triggerwarnung: Erwähnter (psychischer) Missbrauch

 

Tagein, tagaus bringt Barty Crouch jr. unter der Kontrolle seines Vaters zu. Ausbruch scheint zwecklos. Doch zumindest eine hat zu Weihnachten Mitleid mit ihrem jungen Herren ... und verschafft ihm unverhofft einen Moment der Freiheit.

 

***

 

Es war wie Erwachen aus einem schrecklichen Traum. Wann immer die Kontrolle seines Vaters schwächelte, nahm Barty Crouch jr. einen lungenfüllenden Atemzug, bevor es ihn wieder tief unter Wasser zog, wo er nur in der hintersten Ecke seines Verstandes vor sich hin vegetieren durfte. In diesen Augenblicken sog er alles in sich auf, um sich daran zu erinnern, dass er noch existierte, dass er ein menschliches Wesen aus Fleisch und Blut war, das auch etwas anderes außer tumber Leere empfinden konnte.

Manchmal dauerte es Monate, bis es wieder so weit war, dass der Imperius-Fluch nachließ. Auch dieses Mal konnte Barty nicht sagen, wie lange es her war. Doch halt – da war ein Geruch, der seine Lungen füllte. Harzig, kräftig, von Geborgenheit erfüllt ... Das Bild eines großen Tannenbaums stieg vor seinem inneren Auge empor. Es duftete nach Weihnachten.

Das letzte Mal, als Barty die Kontrolle zurückerlangt hatte, trugen die Bäume noch grüne Blätter. Es musste ewig her sein. Er seufzte und tat einen zweiten Atemzug. Zu dem bekannten Geruch der Tannennadeln gesellten sich weitere Eindrücke. Zimt und Nelken, ein wenig Orange. Vanille.

Unweigerlich erinnerte Barty sich daran, wie seine Mutter früher immer gebacken hatte. Früher, in dem Leben davor. Er wusste kaum noch, wie es gewesen war. Mit jedem Mal, das sein Vater ihm kalt in die Augen sah und ihn seiner Kontrolle beraubte, verschwand mehr von der Vergangenheit im ewigen Nichts. Machte es das besser oder schmerzte es deshalb stärker? In all den Jahren seiner Gefangenschaft hatte Barty die Empfindung dafür verloren.

Alles, was er jetzt verspürte, war Hunger. Ein nagendes Gefühl, das sich in seiner Magengegend breitmachte – und nicht nur da, ebenso in seinem Herzen. Ihm begehrte es nach irgendetwas. Was, das konnte er gar nicht genau in Worte fassen.

Für gewöhnlich ließ sein Vater ihn nicht besser speisen als in Askaban. Gerade genug, um ihn am Leben zu erhalten und jeden Tag dieselbe Abfolge von Wasser, Toast und Haferschleim. Doch unter dem Imperius-Fluch schmeckte ohnehin alles gleich. Nach nichts.

Erst jetzt wurde er sich seiner Umgebung langsam bewusst. Sie war durch einen Schleier verhüllt, unscharf an den Rändern. Irgendwie surreal. Als würde er in einer anderen Welt existieren, getrennt von den Empfindungen des echten Lebens. Der Unsichtbarkeitsumhang, erinnerte ihn ein dünnes Stimmchen in seinem Kopf. Ach ja, richtig.

Barty kniff die Augen fester zusammen. Er saß in der geräumigen Küche, auf einem Schemel in der Ecke. Die Tür in das Wohnzimmer stand offen. Von dort kam vermutlich der Geruch nach Tanne, während der Plätzchenduft geradewegs aus dem Ofen strömte.

Sein Magen knurrte. Was würde er darum geben, jetzt so einen süßen, wohlschmeckenden Keks zu essen! Unruhig huschten seine Augen über die blitzblank polierten Arbeitsflächen. Dort stand bereits ein Rost zum Auskühlen, voller perfekter kleiner Halbmonde. Vanillekipferl.

Schon zuckten Bartys lange, dünne Finger. Da war etwas ihn ihm, tief in seiner Seele verankert, das ihn drängte, einfach sitzenzubleiben. Sei ein braver Junge, flüsterte es leise in seinem Gewissen. Aber das war nicht sein Gewissen. Das war nur, was sein Vater ihm einreden wollte.

Stimmfetzen drangen aus dem Wohnzimmer zu ihm hinüber. Dahinter lag fröhliche Weihnachtsmusik, doch sie konnte die bittere Stimme von Bartemius Crouch nicht übertünchen.

»Ein letztes Mal – Nein, Winky. Und ich verbiete dir, schon wieder in Tränen auszubrechen!«

»Aber der junge Herr, Meister, bitte ...«, gesellte sich eine wimmernde Stimme zu der von Bartemius Crouch. »Er ist ganz brav!«

»Du vergisst wohl, was er getan hat! Aber ich vergesse nicht! Er hat seine Strafe verdient!«

Sein Vater schrie. Bartys Finger zuckten erneut. Dieses Mal schaffte er es, die Hand zu heben. Der Alte hatte recht. Er war nicht brav. Und wenn er erst einmal den Fluch ganz von sich abgeschüttelt hätte, dann würde er sich von ihm nicht aufhalten lassen. Es würde ihm noch leidtun, dass er Barty eingesperrt hatte. Ihn des Willens beraubt hatte wie die Hauselfe, die er zwang, auf ihn aufzupassen.

Mit jedem wütenden Wort seines Vaters kehrte mehr Kontrolle in Bartys Gliedmaßen zurück. Es war wie Tauziehen mit einem unsichtbaren Gegner, doch endlich gewann Bartys Wille die Oberhand. Schon stand er auf den Füßen, zog sich den Tarnumhang vom Kopf.

Die Welt kam ihm auf einmal so strahlend vor, blendete ihn mit ihrer gnadenlosen Helligkeit. In ungelenken Schritten taumelte er auf die Theke zu. Er musste sich auf der Holzoberfläche abstützten, damit er nicht zu Boden sackte. Nach Monaten der geistigen Gefangenschaft schien sein Geist nicht länger zu wissen, wie man einen Körper kontrollierte.

Barty ballte eine Hand zur Faust. Im Wohnzimmer brach Winky, die Hauselfe, in Tränen aus. Er hörte, wie sie würgte und dann ein lautes Klirren, als Glas zersplitterte. Sein Vater regte sich weiter auf und Bartys Finger näherten sich zitternd den Vanillekipferln.

Das Gebäck war noch ganz frisch. Fast hätte er das Plätzchen fallen gelassen, aber im letzten Moment schloss er es fest in die Faust. Sengende Wärme schoss durch seine Handfläche in den Arm. Es schmerzte, doch die Empfindung war Barty gleich. Endlich fühlte er etwas anderes als immergleiches betäubendes Nichts.

Er roch an dem Vanillekipferl. Es duftete hervorragend. Aus dem Schwarz seines unterdrückten Verstandes lichtete sich eine Erinnerung. Seine Mutter stand in eben dieser Küche, eine karierte Schürze umgebunden. Sie zeigte ihm, wie man einfache Butterplätzchen backte. Er war sieben Jahre alt und drückte die Förmchen in Gestalt von Einhörnern, Drachen, Sternen und Weihnachtsbäumen in den Teig. Mit einem großen Lächeln auf den Lippen lobte seine Mutter jedes Plätzchen in den höchsten Tönen. Sobald sie aus dem Ofen kamen und abgekühlt waren, durfte er sie verzieren. Er hatte es schon vorher gewollt, doch er hatte sich fast an dem heißen Blech verbrannt.

Voller Freude verzierte der siebenjährige Barty die Kekse mit bunten Zuckerperlen und allem, was die Küche seiner Mutter hergab. Besonders stolz war er auf einen großen Drachen, den er mit reichlich roten Perlen wie Schuppen besetzt hatte. Doch als er seinem Vater den fertigen Keks gezeigt hatte, sah dieser sich das Werk gar nicht richtig an. Bloß einen kurzen Blick warf er darauf und brummte etwas darüber, dass ihm eine Ecke am Flügel abgebrochen sei.

Seine Mutter hatte ihn anschließend tröstend in den Arm genommen und versichert, dass sie seinen Keks zauberhaft fand, aber das hatte das kleine glimmende Nest aus Hass in Bartys Brust nicht ersticken können. Er hatte es seinem Vater nie recht machen können. Nicht einmal in seinem kurzen Leben. Nicht einmal unter dem Einfluss des Imperius-Fluches war er ihm genug. Niemand war Bartemius Crouch jemals gut genug.

Er sah hinab auf seine Hand, aus der nur noch Krümel rieselten. Den perfekten Vanillekipferl hatte er zerdrückt. Barty streckte die Finger nach einem zweiten Plätzchen aus. Dieses Mal biss er direkt hinein.

Während im Wohnzimmer Winky und sein Vater tobten, genoss er die Süße, die unvermittelt auf seiner Zunge explodierte. Ihm war nicht einmal bewusst gewesen, wie viel ihm fehlte. Seine Vorstellung davon, wie der Kipferl schmecken würde, reichte nicht annähernd an die Wirklichkeit heran. Er konnte jede Zutat herausschmecken und doch nicht sagen, wonach das Plätzchen schmeckte.

Gierig langte er nach einem weiteren Vanillekipferl. Überwältigt von den Eindrücken musste er sich dazu zwingen, zu kauen, jeden einzelnen Bissen richtig zu schmecken. Schon nahm er sich einen dritten Keks, obwohl sie noch viel zu warm waren.

»Junger Herr ...«, piepste eine leise Stimme neben ihm. »Oh Meister Barty, wo ist euer Umhang?«

Da stand sie, die winzigen Hände ringend. Die Hauselfe. Ihre großen fledermausartigen Ohren hingen schlapp zu beiden Seiten ihres Kopfes herab und in ihren gigantischen Augen schwammen die Tränen. Auf ihrer blassen Wange klaffte ein tiefer Schnitt.

Er hasste sie, weil sie auf ihn aufpasste, ihn auf Schritt und Tritt verfolgte. Und doch konnte er sie nicht wirklich hassen. Sie war die Einzige in diesem Haus, der irgendetwas an ihm lag. Immerzu bekniete sie seinen Vater, die Leine zu lockern. Für wenige Minuten nur, drängte Winky immer wieder. Wenn sein Vater nicht hinsah, erlaubte sie es ihm sogar manchmal, den Umhang abzulegen oder hinaus in den Garten zu gehen, eine schnelle Runde im frühen Morgen, solange die Nachbarn noch schliefen. Nur gegen den Fluch, da war auch sie machtlos.

Nervös huschte ihr Blick immer wieder in Richtung Tür. Aber Bartemius Crouch kam nicht in die Küche. Natürlich nicht. Dieser Ort war unter seiner Würde. Schon zu Lebzeiten von Bartys Mutter hatte er nur sehr selten einen Fuß hierhinein gesetzt. Vermutlich wusste er nicht einmal, wie man kochte.

»Er wird nicht kommen«, sagte Barty tonlos. »Nicht, solange du ihn nicht holst.«

»Das würde Winky nie tun!« Ihr Blick fiel auf das halbe Plätzchen in seiner Hand. »Vorsicht, Meister Barty. Verbrennt euch nicht!«

Zorn wallte in ihm auf. »Sei still!«, fuhr er die Elfe mit unterdrückter Stimme an.

Das Zittern ihrer winzigen Hände breitete sich in ihrem kleinen Körper aus, bis ihre Ohren schlackerten. »Bitte verzeiht mir, Meister Barty«, flüsterte sie fahrig, »ich wollte nicht ...«

Er unterband ihre sinnlosen Entschuldigungen mit einer harschen Handbewegung. »Verschone mich.«

Im Wohnzimmer stieß sein Vater leise Verwünschungen aus, dann schlug eine Tür zu. Sie waren alleine. Triumphierend lächelte Barty. Seine Muskeln mussten sich anstrengen, seine Mundwinkel hochzuziehen, so lange hatte er keine Freude mehr empfunden.

»Er ist weg«, seufzte er und schob sich den Rest des Vanillekipferls in den Mund.

»Meister Barty, bitte«, flehte die kleine Elfe schon, »bitte geht nicht. Bitte tut Winky das nicht an.«

Er ignorierte ihre wimmernde Stimme, die ihm im Kopf wehtat. Immer noch schwach, taumelte er zur Küchentür. Winky lief ihm tapsend hinterher, hielt ihn aber nicht auf.

Das Wohnzimmer sah genauso aus, wie Barty es aus seiner Kindheit kannte. Weitere Erinnerungen an seine Mutter wollten sich in den Vordergrund drängen. Er war neun und lief des Morgens im Schlafanzug hinab in das Zimmer, das noch in Schatten dalag. Vom Kaminsims hing die Girlande mit den großen roten Socken. Voller Freude riss er das Geschenkpapier von dem ersten Päckchen – nein, er wollte nicht daran denken! Den Kopf in den Händen vergraben, zwang er sich aus der Erinnerung.

Sein Vater hatte mit ihm geschimpft, als er in das Wohnzimmer gekommen war und seinen Sohn inmitten des Chaos aus Papierfetzen gefunden hatte. Barty hatte nicht einmal verstanden, was er falsch gemacht hatte. Das magische Zaubertrankexperimenteset hatte ihn so sehr gefreut, dass er es gleich auspacken musste. Seine Mutter hatte ihn schließlich in der Küche damit spielen lassen, ein trauriges Lächeln auf den Lippen.

»Meister Barty, bitte setzt euch doch! Winky wird euch etwas zu trinken bringen, jawohl!«

Er stieß die Hand der Elfe fort von sich. Grimmig sah er zu dem Weihnachtsbaum, der aussah, wie schon in seiner Kindheitserinnerung. Genauso starr und unbeweglich wie sein Vater, mit den immergleichen roten Kugeln behängt. Eine nette Fassade nach außen, eine Lüge im Inneren. Der Baum war nicht echt, nur eine praktische magische Spielerei. Die immergrüne Weihnachtstanne, die niemals Nadeln verlor oder Feuer fing, dabei aber den Geruch von richtigen Tannennadeln verströmte. Barty hasste sie.

Seine Füße trugen ihn nur bis zu einem der Ohrensessel, in denen sein Vater so gerne zu sitzen pflegte. Er ließ sich fallen. Sein Kopf dröhnte, alles drehte sich. Halt suchend schlang er die Arme um seinen Oberkörper. Was hatte er vor? Die Stimme des Zweifels meldete sich in seinem Gewissen. Wohin sollte er gehen, wenn er frei wäre? Was würde er mit seiner Freiheit anfangen? Wusste er überhaupt noch, was Freiheit bedeutete?

Der dunkle Lord war gefallen. Das war das Letzte, woran er sich erinnerte. Besiegt von seinem eigenen Fluch. Davon hatte sein Vater eines Morgens beim Frühstück erzählt. In der folgenden Nacht war Barty auf der Suche nach anderen Todessern den Lestranges in die Fänge geraten.

Winky näherte sich ihm mit einem großen Glas Kürbissaft. Er beachtete sie nicht weiter, sondern zog den Ärmel an seinem linken Arm zurück. Da prangte es, das blasse Mal mit dem Totenschädel und der Schlange. Ebenso verblasst wie die Erinnerungen an sein Leben vor der Gefangenschaft.

Es war alles vorbei. Dorthin konnte er nicht zurück oder? Er sah hoch und bemerkte, wie Winky verschreckt das dunkle Mal ansah. Offenbar bereitete ihr das Zeichen immer noch Angst.

»Nicht, Meister Barty«, bettelte sie schon wieder. »Wenn Ihr euch benehmt, dann lässt Euer Vater Euch eines Tages vielleicht frei!«

Zum ersten Mal seit Ewigkeiten entrang sich so etwas wie ein Lachen Bartys Kehle. »Er wird mich niemals freilassen, du dumme Elfe!«

Sie zuckte zusammen, als hätte er sie geschlagen. »Meister ..«, winselte sie nur.

Nachdenklich fuhr Barty mit den Fingerspitzen über das Zeichen unter seiner Haut. Wenn die Hauselfe so viel Angst vor dem Anblick hatte – bedeutete das eventuell, dass es noch Hoffnung gab? Vielleicht hatten andere überlebt; die Aufgabe der Säuberung der Gesellschaft übernommen?

»Erzähl mir alles, was du über den Fortbestand der Todesser weißt, Winky!«

Die Elfe keuchte auf. »Meister Barty, das dürft ihr nicht!«

»Du bist nicht in der Position, mir zu erzählen, was ich darf!«

Winky knetete den Saum ihres schlichten weißen Geschirrtuches, das sie wie eine Toga trug, zwischen den spindeldürren Fingern. »Zwingt Winky nicht, bitte Meister Barty!«

Er hatte ohnehin keinen Zauberstab mehr, um ihr irgendetwas anzutun. Alles, was Barty blieb, waren seine Worte. »Jetzt, Winky!«

Schluchzend warf sich die Elfe vor ihm zu Boden und unter Würgen erzählte sie ihm alles, was er wissen wollte.

Es gab keine Hoffnung. Wo immer Barty hingehen würde, er hatte keinen Platz mehr, nirgendwo. Die Todesser waren fort und auch der dunkle Lord blieb verschwunden. Besiegt von einem Baby. Welchen Wert hätte seine Freiheit in einer Welt wie dieser?

Das dumpfe, hässliche Brennen des Hasses in seiner Brust überwältigte ihn. Er würde niemals mehr sein als die gescheiterte Existenz, die im Verborgen auf den Tod wartete. Daran war einzig und alleine einer schuld – sein Vater. Der Mann, der ihm nicht einmal einen eigenen Namen zugestanden hatte. In jedem Aspekt hatte er werden sollen wie er, der eigentlich nur eine Marionette des Ministeriums war. In gewisser Hinsicht war Bartemius Crouch genauso wenig frei wie Barty. Immer nur diente er einem höheren Zweck, versuchte, der perfekte Beamte zu sein. Selbst dann, als er seinem eigenen Sohn gegenübergestanden hatte.

Vielleicht waren sie sich hin und wieder doch ähnlich. Barty würde jedenfalls ebenso wenig Mitleid mit seinem Vater haben, wie dieser mit ihm. Er hatte seine Mutter in den Tod geschickt, in Askaban, umgeben von Dementoren. Hatte die letzte, gute Person, die Barty je geliebt hatte, von ihm genommen.

Das konnte er nicht ungeschehen machen, doch er würde sich rächen. Eines Tages. Vielleicht nicht heute. Er musste seine Kräfte sammeln, beschloss er. Aber wenn es so weit war, würde sein Vater sich noch wünschen, dass er Barty nicht eingesperrt hätte.

»Bring mir die restlichen Vanillekipferl, Winky«, verlangte er. »Und ... danke.«

Erinnerungsfern [Cho Chang]


 

Hongkong, 1995

Cho Chang

 

Triggerwarnung: Trauerbewältigung

 

Chos Gefühle spielen verrückt. Da kommt ihr eine Auszeit am anderen Ende der Welt gerade recht, weit ab von all dem typischen Weihnachtstrubel und den schmerzhaften Erinnerungen daheim.

 

***

 

Schon der erste Atemzug war anders. Anstatt der Verheißung auf kalten Schnee und eisige Winde roch es nach warmem Sommerregen. Das Zwitschern von Vögeln lag in der Luft. Alles war ungewohnt, pulsierender, lebendiger – und das tat gut. Wie gut, das würde Cho erst noch begreifen, nachdem sie die an der Seite ihrer Tante aus der Portschlüsselzentrale hinaus trat. Sie klammerte sich an ihren Schrankkoffer, der sonst ihre Schulsachen enthielt, und vor ihr eröffnete sich eine Welt, die ihr selbst ohne Magie die Sprache verschlug.

Hongkong war laut, chaotisch und trotz der Vergangenheit kein wenig wie die langweilige britische Kleinstadt, in der sie mit ihren Eltern lebte. Aber für die zwei Wochen Winterferien wäre es nun zumindest auch ihr Zuhause.

Zum ersten Mal seit einer langen Zeit dachte Cho nicht an Cedric, als sie ihrer Tante zu deren kleiner Wohnung direkt an der Nathan Road in Mong Kok folgte. Sie fuhren mit dem Muggelbus, einem Doppeldecker, dessen große Fensterscheibe einen beeindruckenden Ausblick auf das Treiben der nicht-magischen Menschen bot. Cho wollte nicht dreinsehen wie eine Touristin – von denen gab es hier reichlich und sie waren allesamt mit klickenden Kameras bewaffnet, die sie unter lauten ‚Ohs‘ und ‚Ahs‘ zückten –, doch es fiel ihr zugegeben schwer. Mehr als einmal saugten sich ihre Augen an Gebäuden oder Gefährten fest. Voller Faszination drückte sie sich an das Glas, damit sie ja nichts verpasste.

Es gab einfach zu viel zu sehen. Alles leuchtete, riesige Werbeschilder blinkten von den Häuserwänden und überall drängten sich winzige Läden voller Dinge, die Cho nie zuvor gesehen hatte. Bei ihrem letzten Besuch in Hongkong war sie noch ein Kleinkind gewesen, daher erschien ihr heute jede Ecke neu und aufregend. Beinahe so wie ihr erster Tag in Hogwarts, aber ohne Magie.

Die Straßen waren von eng stehenden Häusern gesäumt, die sich höher als alles, was Cho je gesehen hatte, in den Himmel erhoben. Gerüste aus Bambus rankten sich an ihnen empor. Fleißige Muggel, vom Boden aus klein wie Wichtel, arbeiteten daran, die Stadt noch näher an die Wolken zu bringen. Autos drängten sich überall dicht an dicht auf den Straßen und sie fand sich in einem Meer aus Sprachen wieder, das sonst nicht einmal London bot.

Auf den ersten Blick sah die Stadt nicht besonders weihnachtlich aus. Natürlich fehlte der Schnee, den Cho für gewöhnlich liebte. Ohne glitzerndes Weiß mangelte es bereits an der wichtigsten Komponente für das Weihnachtsfest. Doch wenn sie ganz genau hinsah, dann gab es auch hier vereinzelte Lichterketten, blinkende Sterne und selbst die Abbilder von Weihnachtsmännern oder Schneeflocken. Der Bus passierte sogar einen kleinen Markt, der entfernt an einen der heimischen Weihnachtsmärkte erinnerte, nur eben bei 26 Grad und ohne warmes Butterbier.

In der winzigen Wohnung ihrer Tante angekommen, war dort natürlich kein Platz für einen Weihnachtsbaum – ganz abgesehen davon, dass eine Tanne in diesem feuchtwarmen Klima absurd erschienen wäre –, doch ein paar bunte Kugeln hingen von den Trieben einer großen Zimmerpflanze. Genauso wie Chos Eltern daheim, feierte ihre Tante eben dieses Fest, auch wenn kein Glaube dahinterstand.

Für Cho selber war Weihnachten vor allem ein Gefühl. Schnee auf den Ländereien von Hogwarts, warme Abende vor einem knisternden Kaminfeuer, die Freude auf Geschenke und natürlich zwei freie Wochen, in denen sie einmal nicht an den nächsten Aufsatz in Zaubertränke denken musste. Nur im Dezember gab es eine ihrer liebsten Süßigkeiten, Lebkuchen. Sie mochte das Fest und ebenso froh war sie, es in diesem Jahr einigermaßen hinter sich zu lassen.

Die Kombination von Weihnachten und der sommerlichen Großstadt, die kein Stück von Besinnlichkeit erfüllt war, gefiel Cho irgendwie. Sie hatte sich vorher nicht lange Gedanken darüber gemacht, als ihre Tante angeboten hatte, die Ferien bei ihr in Hongkong zu verbringen. Hauptsache fort aus Großbritannien. Weg von dem immergleichen Trott, bei dem sie alles an Cedric erinnerte. Was es heißen würde, zwei Wochen am anderen Ende der Welt zu sein, wurde ihr erst nach und nach bewusst.

Auch hierher verfolgten die Erinnerungen an Cedric sie. Sie hatte gar nicht erwartet, dass es anders sein würde. Das, was sie mit Cedric verband, würde sie überall hin begleiten. Nur tat es an manchen Orten weniger weh. In Hogwarts erinnerte alles an ihn, jeder Gang, jedes Klassenzimmer und insbesondere das Quidditchfeld.

In Hongkong hingegen waren es nur Kleinigkeiten. Die Tüten chinesischer Milchbonbons beispielsweise, die Chos Mutter ihr gelegentlich in die Schule geschickt hatte. Cedric hatte sie ganz besonders gemocht, nachdem sie ein paar davon gegen eine seltene Schokofroschkarte getauscht hatte, obwohl sie zuweilen furchtbar an den Zähnen klebten.

Der Wehmut, der Cho nun erfüllte, hatte mehr damit zu tun, dass sie sich wünschte, er könne all das hier selber sehen und erleben. Es hätte ihm bestimmt gefallen. Der Gedanke begleitet sie auch zu einem Quidditchspiel auf einer kleinen Insel im Perldelta, wo die Hongkong Hornets auf die Pekinger Phönixe trafen (und diese vernichtend schlugen). Die sorgsam choreografierte Feuerwerksshow am nachtschwarzen Himmel zur Halbzeit, inklusive feuerspeiender Drachen und brüllender Zouwus, war beinahe noch sehenswerter als das Spiel an sich.

Cho standen Tränen in den Augen, als die glühenden Lichter langsam verblassten. Nie wieder würde Cedric Dinge wie diese erleben. Warum musste das Leben so ungerecht sein? Erst letztes Jahr hatten sie beim Weihnachtsball miteinander getanzt und nun stand sie hier, alleine am anderen Ende der Welt.

In ihrer ganzen Familie war nie zuvor jemand gestorben. Oder überhaupt irgendwer, den sie kannte, war je gestorben. Die erste Beerdigung, die sie besucht hatte, war seine gewesen. Und egal, wie oft sie auch an Harrys Worte über Cedrics letzte Momente nachdachte, es ergab keinen Sinn für sie, dass er hatte sterben müssen. Sie fand es einfach nur ungerecht, schrecklich ungerecht, dass Cedric nie wieder Quidditchspiele erleben durfte. Dabei hatten sie stundenlang von ihren Lieblingsmannschaften schwärmen können.

Wenn sie sich heute, in diesem Stadion voller aufgeregter Leute mit bunten Wimpeln, Cedric vorstellte, dann träumte sie nicht davon, wie er sie wieder küssen würde. Sie wollte einfach nur noch einmal sein Lachen sehen und wissen, dass er glücklich war. Die letzte Erinnerung an den ersten Jungen, den sie je geliebt hatte, sollte nicht sein lebloser Körper im Gras sein.

Das waren die Bilder, über die sie sich nicht traute, mit irgendjemandem zu reden. Nicht einmal – oder gerade? – mit Harry, dem zweiten Jungen, der ihr mehr bedeutete, als bloße Freundschaft.

Ihr war wohl bewusst, dass ihn dieses Geschehen ebenso verfolgte, wie sie. Vermutlich hatte er jedes Recht dazu, nicht darüber reden zu wollen. Sie wollte gar nicht wissen, wie seine Albträume konkret aussahen. Und doch wünschte sie, dass irgendjemand ihre Gedanken teilen würde. Vielleicht wäre es dann einfacher zu akzeptieren.

Ob Harry dieses Quidditchspiel wohl auch gefallen würde? Hatte er überhaupt ein Lieblingsteam? Sie hatte ihn nie etwas Derartiges sagen hören. Vermutlich wusste sie mehr von den Quidditchvorlieben seines besten Freundes als über ihn.

Von da aus wanderten ihre Gedanken weiter zu dem eigenartigen Kuss, den sie beide unter einem Mistelzweig geteilt hatten. Was immer sie für den Jungen mit der Blitznarbe empfand, es wurde stets von Schuld niedergedrückt. Weil sie trotzdem wieder an Cedric dachte – das war weder ihm noch Cedric gegenüber fair.

Aber was war mit ihr? Wohin wollte sie? Cho hatte keine Antwort für den Strudel in ihren Gedanken, also ließ sie sich treiben.

 

Nicht nur bei dem Quidditchspiel traf sie die Erinnerung an den Jungen namens Cedric, den sie am Ende doch viel zu kurz gekannt hatte. Auch an der Promenade von Hongkong, gegenüber vom Victoria Harbour, mit Aussicht auf die höchsten Häuser der Stadt und deren Lichtershow, fanden ihre Gedanken den Weg zu Cedric. Manchmal war es die Unwissenheit, was ihm gefallen hätte, die sie noch mehr beschäftigte als die Gewissheit über all das, wovon er geschwärmt hatte. Von welchen Träumen hatte er ihr nie erzählen können, bevor er aus seinem Leben gerissen wurde? Welche Wünsche würden für immer vergessen bleiben?

Hätte er ebenso mit offenem Mund hier neben ihr gestanden und die Wolkenkratzer der Muggel angesehen, deren Fassaden in neongrellen Lichtern aufleuchteten? Ihr kam die Erscheinung unglaublich vor, als wäre sie nicht-magisch und würde nun zum ersten Mal Magie erleben. Vielleicht konnten die gewöhnlichen Menschen ja doch auf ihre Art zaubern, überlegte sie. Wie hätte Cedric das erlebt? Sie würde es nie erfahren.

Obwohl ihre Tante allerhand mit Cho unternahm, konnte auch sie nicht verhindern, dass Cho sich in diesen Augenblicken unendlich alleine fühlte. Selbst auf dem engen Nachtmarkt unter hunderten fremder Menschen traf es sie mitunter aus heiterem Himmel. Ein Geruch, ein flüchtiger Eindruck und schon schien das Leben um sie herum für den Bruchteil einer Sekunde einzufrieren; nur noch ganz langsam zu laufen, mit ihr als einsamen Mittelpunkt.

Innerhalb von wenigen Wimpernschlägen überfielen sie hunderte, gar tausende Gedanken, die ihr plötzlich den Atem nahmen, ihre Brust eng werden ließen und ihre Hände zum Zittern brachten. Aus dem Nichts tropften heiße Tränen auf die gedämpften Teigtaschen, die sie gerade aß.

Auf die Fragen, was denn los sei, hatte sie in den seltensten Fällen eine Antwort. Manchmal reichte es aus, dass einer der Umstehenden gelacht hatte wie Cedric. Dann wurde sie schmerzlichst daran erinnert, dass er nie wieder lachen würde. Und gleichzeitig ertappte sie sich dabei, dass ihre Gedanken trotzdem immer öfter zu Harry wanderten.

Sie fragte sich hunderte nutzlose Sachen – würde er das Essen hier mögen? Würde ihm der Sonnenschein gefallen? – und ihr wurde klar, dass sie erschreckend wenig über Harry Potter, den Jungen, der überlebt hatte, wusste. Sie konnte eine Menge Zauber und Flüche aufzählen, die er ihr in der DA beigebracht hatte, mehr, als sie Finger hatte. Doch was würde er gerne tun, wenn er nicht gerade seinen Kleinkrieg gegen Umbridge führte?

Da gab es genug, von dem sie keinen blassen Schimmer hatte. Sie bereute es schon bei Cedric, ihm so viele Fragen nicht gestellt zu haben. Die gleichen Fehler wollte sie nicht wiederholen. Dann wäre es wirklich nicht fair, Harry gegenüber. Er hatte verdient, dass ihm jemand zuhörte.

 

Cho selber kam kurz vor der Rückkehr nach Großbritannien zu dem Schluss, dass sie Hongkong mochte. Ihr gefielen die dichtbewaldeten Berge im Umland, in denen sich eine kleine internationale magische Kommune angesiedelt hatte, die dort eine rasante Besenrennstrecke unterhielten, auf der sie sämtliche Rekorde brach. Ihr gefiel der nächtliche Drachenmarkt, dessen verzauberte Zelte jede Nacht an einer neuen Stelle in der Stadt aufgebaut wurden und wo es ganz andere Dinge zu sehen und kaufen gab als in der Winkelgasse. Der Ausbruch aus dem Alltag gefiel Cho.

Sie bemerkte kaum, dass Weihnachten kam und ging. Sie und ihre Tante besuchten anlässlich des Festes ein elegantes Dim Sum Restaurant und ihre Eltern sowie Marietta schickten ihr jeweils ein kleines Geschenk, aber ansonsten war es ein Tag wie jeder andere auch. Tatsächlich dachte sie erst an das letzte Jahr und den Weihnachtsball, da lag sie längst in ihrem Bett und lauschte den fremdartigen Geräuschen von draußen, an die sie sich nach Tagen noch nicht gewöhnt hatte.

Dieses Weihnachten würde vielleicht nie ihr liebstes sein, aber auf seine eigene Art würde sie es doch gut in Erinnerung behalten. Das viele leckere Essen, die unzähligen Ausflüge in eine komplett andere Welt – und ja, sogar das Gedenken an Cedric. Er konnte das alles nicht mehr erleben, aber sie schon.

Das Leben lief nur in eine Richtung. Sie hätte sich daheim bei ihren Eltern verstecken können, den Kopf unter dem Kissen und ihren Tränen freien Lauf lassen. Doch sie war weitergegangen, obwohl jeder Schritt schmerzte. Im Halbdunkel des Zimmers blitzte der Pokal auf, den sie vor wenigen Tagen auf der Besenrennstrecke gewonnen hatte. Beste Juniorenfliegerin. Es wäre eine schreckliche Verschwendung, wenn sie dies nicht erlebt hätte.

Cho nahm einen tiefen Atemzug und schlich sich ans Fenster, das auf die belebte Nathan Road blickte. Vor dem dunklen Himmel blinkten die riesigen Schilder voller Schriftzeichen, die Läden anpriesen oder Produkte. Autos hupten und überall tobte das Leben. Seufzend presste sie die Stirn gegen das Glas.

Vielleicht sollte sie Harry einmal nach seiner Lieblingsquidditchmannschaft fragen. Nein, ganz sicher sogar. Andernfalls würden sie nie weiter voranschreiten. Wenn sie wieder zurück wäre, im schneekalten Hogwarts, nahm sie sich vor, würde sie all ihren Mut zusammennehmen. Cedric würde das schon verstehen.

Höhenflüge [Rolanda Hooch & Poppy Pomfrey]


 

Hogwarts, 1973

Rolanda Hooch und Poppy Pomfrey

 

Wer so riskant fliegt wie Rolanda Hooch, landet früher oder später im Krankenflügel bei Madame Pomfrey. Zum Glück hat diese immer den rechten Zauber für ihre Lieblingspatientin parat. Wie aber revanchiert man sich bei am besten bei der Heilerin?

 

***

 

»Und was haben wir heute wieder angestellt?«

Einem Weihnachtsengel gleich schob sich das von blondem Haar umrahmte Gesicht Poppy Pomfreys in Rolanda Hoochs Blickfeld. Was bedeutete, dass sie im Krankenflügel zu sich kam. Kurz überlegte Rolanda, bis sich die Erinnerung an das letzte Quidditchspiel der Saison und ihren unrühmlichen Abgang als Schiedsrichterin einstellte. Inzwischen war sie darin so etwas wie eine Expertin. Ein wenig war sie gar stolz darauf, wie schnell sie sich nach einer Ohnmacht wieder berappeln konnte, auch wenn sie das Poppy gegenüber niemals zugeben würde.

Der stand nämlich die altbekannte Mischung aus Besorgnis angesichts der Verletzung und Resignation über ihre sture Rekordpatientin ins sanftmütige Gesicht geschrieben. Und obwohl sie in ihrer Rolle der Heilerin durchaus alle Unfälle ernst nahm, die Tag für Tag im Krankenflügel landeten, konnte selbst Poppy ein gewisses Amüsement in ihrer Stimme nicht verbergen, als sie sich schon wieder Rolanda gegenübersah. Es war schließlich erst wenige Tage her, dass sie sich das letzte Mal an einem Krankenbett gegenübergesehen hatten, das war der Quidditchbeauftragen von Hogwarts auch klar.

»Oh, heute ist es mal etwas ganz Neues«, erklärte Rolanda mit einem tapferen Grinsen, »ein Klatscher.«

Poppy verdrehte die Augen und seufzte, zückte aber bereits den Zauberstab. »Na schön. Prellungen? Gebrochene Rippen? Vielleicht ein paar innere Blutungen?«

»Och, Miss Fletcher hat sich zwar alle Mühe gegeben, aber ich glaube ...« Rolanda nahm einen tiefen Atemzug, bevor sie die Heilerin davon überzeugen wollte, dass es ihr gut ging, doch das schickte ein empfindliches Stechen durch ihren Brustkorb. »Na gut, vielleicht sind ein paar Rippen angebrochen. Aber sonst fühlt es sich eigentlich ganz gut an. Also ich hatte schon Schlimmeres, als diesen verirrten Klatscher.«

Missmutig brummte Poppy irgendetwas, das verdächtig nach ‚Gemeingefährlicher Sport‘ und ‚verantwortungslos‘ klang. Auf einen Schlenker ihres Zauberstabs flog aus ihrem Büro im hinteren Teil des Krankenflügels ein passender Trank herbei, den sie ihrer Patientin wortlos hinhielt.

»Danke Poppy, du bist ein Schatz«, verkündete Rolanda und leerte das kleine Fläschchen in einem tiefen Zug. »Brrr, sag mal, Pops, wann erfindet eigentlich irgendwer einen Heiltrank, der gut schmeckt? Es muss ja nicht gleich schmecken wie Schokoladenfudge, aber so ein bisschen Pfefferminze, wäre das zu viel verlangt? Dieses Zeug schmeckt widerlicher als die Bertie Botts Bohnen die angeblich nach Erbrochenem schmecken sollen.«

»Ich glaube nicht, dass irgendjemand groß daran forscht«, erklärte die Heilerin spitz, »schließlich gibt es wenige Leute, die diese Tränke tagtäglich zu sich nehmen wie andere ihren Kürbissaft.«

Was ihre Künste im Heiltränkebrauen anging, hatte Poppy großen Stolz. Rolanda hatte ihr einmal vorgeworfen, dass sie doch absichtlich dafür sorgen würde, dass die Tränke besonders ekelhaft waren – selten hatte die Heilerin so finster dreingesehen.

»Eine Schande«, seufzte Rolanda jetzt. »Wenn es nach Minze schmecken würde, hätte ich noch deutlich mehr Spaß daran, wenn mich mal wieder eine Schülerin vom Besen haut.«

»Du könntest auch einfach vorsichtig sein, schon mal daran gedacht?«

Rolanda lachte, bereute es aber gleich darauf, als ihre Rippen sie mit einem weiteren Stechen straften. »Das ist Quidditch, Poppy. Das wäre ja, als wenn du einem Drachenpfleger erzählst, er solle sich von Feuer fernhalten.«

»Nun, dann hast du dir ein wenig Leid wohl verdient«, stellte die Heilerin fest, allerdings schenkte sie Rolanda ein gutmütiges Lächeln. »Du kennst das Prozedere ja – heute Nacht bleibst du hier und in zwei Stunden gibt es den nächsten Trank, garantiert ohne Minzgeschmack.«

»Ich wiederhole mich, aber du bist ein Schatz, Pops.«

»Und du meine Lieblingspatientin, wenn du nicht gerade über die Tränke meckerst. Vielleicht sollte ich dir langsam ein eigenes Bett reservieren, wie für Professor Kesselbrand ...«

»Ach Pops, ich hatte doch bloß Pech diese Woche. Bald ist Weihnachten, da ist erstmal Schluss mit Quidditch. Da müsste ich schon beim Schlittschuhlaufen auf dem schwarzen See ausrutschen oder so, um wieder hier zu landen.«

»Bei deinem Glück reichen auch die Treppen hinauf zum Eulenturm«, grummelte Poppy, während sie ein paar Gesten mit dem Zauberstab über Rolandas Oberkörper vollzog und sich endlich der gröbste Schmerz verflüchtigte.

»Ach, gib’s doch zu, du würdest dich freuen, mich wiederzusehen.«

Poppy zog eine Augenbraue hoch. »Dafür reicht auch die Weihnachtsfeier des Kollegiums, wenn ich dich daran erinnern darf.«

Ertappt tat Rolanda so, als betaste sie prüfend ihre angeknacksten Rippen. Die Feier hatte sie, mal wieder, ganz vergessen. »Ah, ja ...«

»Übermorgen Abend, zwanzig Uhr«, half Poppy ihr auf die Sprünge.

»Ich sag es ja – du bist ein Schatz.«

Die Heilerin winkte ab. »Denk lieber daran, dass du noch ein Geschenk für das Wichteln besorgst.«

Oh verflucht! Auch das hatte Rolanda vor lauter Klatschern, Quidditch und Besenreiten erfolgreich in die hinterste Ecke ihres Kopfes verdrängt. Irgendwann vor ein paar Wochen hatte der Schulleiter diese Sache im Lehrerzimmer verkündet und jeder von ihnen hatte ein Zettelchen mit dem Namen des zu beschenkenden Wichtelkindes ziehen müssen.

Ein Zettelchen, das Rolanda, wie ihr siedend heiß einfiel, seitdem in der Tasche ihres Umhanges mit sich spazieren führte. Sie hatten es nicht vor Ort öffnen sollen, um die Überraschung nicht sofort zu verraten – also hatte sie es gar nicht getan.

Reichlich schuldbewusst wartete sie ab, bis Poppy zurück in ihrem Büro war und stürzte sich dann hastig auf den schwarz-weißen Umhang, der über einem Stuhl neben ihrem Krankenbett hing. Da war es ja, das kleine Zettelchen! Flink brach sie das Wachssiegel und stierte auf den Namen ihres Wichtelkindes.

Poppy Pomfrey. Als wenn die Heilerin hellsehen konnte. Rolanda ließ den Kopf ins weiche Kissen zurücksinken und verfluchte still und leise ihre Vergesslichkeit. Für jeden anderen aus dem Kollegium hätte sie den Katalog des Eulenversands bei den Sonderangeboten aufgeschlagen und einfach irgendetwas Nettes, wie einen Präsentkorb voller Leckereien bestellt. Aber ausgerechnet Poppy, die verdiente etwas ... Besseres.

Rolanda gestand es sich nicht gerne ein, doch das hatte sie kolossal versaut. Poppy war so eine gute Seele und verarztete sie jedes Mal wieder, wenn ihr Übermut sie vom Besen stürzen ließ (oder Klatscher, unachtsame Erstklässler, die peitschende Weide ...). Bis auf die paar amüsierten Kommentare zu ihren häufigen Besuchen im Krankenflügel war sie schlichtweg die friedfertigste und liebevollste Person, die Rolanda je untergekommen war.

Für Poppy Pomfrey stand das Wohl anderer stets an erster Stelle und alleine das sorgte dafür, dass sie nicht irgendein Geschenk verdiente, sondern etwas, das ihr wirklich gefallen würde. Etwas, das nur für sie wäre. Ein paar Pralinen voller Feuerwhiskey würden ihr sicher einen erheiterten Abend vor dem Kamin bescheren, aber das war eben nur das, ein kurzweiliger Genuss.

Und so lag Rolanda in ihrem Krankenbett und überlegte fieberhaft, was sie nur für ein Geschenk finden sollte. Ihr fiel einfach nichts ein, das Poppy angemessen wäre und sich in der kurzen Zeit besorgen lassen würde.

Die Sonne war längst hinter den schneebedeckten Bergen versunken und die Lichter im Krankenflügel gelöscht, da lag sie immer noch wach und starrte Löcher in die ferne Decke. Poppy schlich auf einem letzten Kontrollgang zwischen den Betten hindurch.

»Für die Genesung sollte man auch einmal schlafen«, flüsterte sie, als sie bei Rolanda angekommen war.

Diese konnte nicht verhindern, dass sich ein Lächeln auf ihr Gesicht schlich. »Das sagt sich so leicht, Pops.«

»Soll ich dir einen Schlaftrank bringen?«

»Oh, besser nicht, dann komme ich morgen früh gar nicht aus den Federn.«

Poppy kam noch ein paar Schritte näher und setzte sich neben das Krankenbett. Seufzend streckte sie die Beine aus, den Kopf müde in die Hände gestützt. »Du ahnst gar nicht, wie gerne ich jetzt mit dir tauschen würde.«

»Was, du hättest gerne ein paar gebrochene Rippen?«

»Nein, aber ich würde gerne ein Schläfchen halten dürfen.«

»Aber ...?«

»Ach, einer der Schüler hat einen Unfall im Duellierclub gehabt und jetzt muss ich ihm alle zwei Stunden einen Trank verabreichen, damit die Tentakel auf seinem Körper nicht weitersprießen.«

»Oh ... ja nun, das ist ein gutes Argument. Hey, soll ich dich wachhalten?«

»Eigentlich solltest du schlafen, Rolanda.« Poppy unterdrückte ein Gähnen. »Vielleicht sollte ich einen Wachmachertrank nehmen ... wenn ich nicht schon einen getrunken hätte heute.«

»Eben drum, zu viel davon ist nicht gesund. Aber ich könnte dir ein paar spaßige Anekdoten vom Quidditchfeld erzählen! Da regst du dich bestimmt so auf, dass an Schlaf nicht mehr zu denken ist.« Rolanda zwinkerte der Heilerin zu.

Selbst im schwachen Mondschein erkannte sie, wie Poppy mit den Augen rollte. »Wenn ich nur an diesen selbstmörderischen Sport denke, rege ich mich schon auf«, murmelte sie müde. »Ehrlich, ich verstehe nicht, dass es dir das wert ist, dich jedes Mal wieder zu verletzen.«

»Dann warte ab, bis ich dir von dem einen Spiel erzähle, bei dem es einen Schneesturm gab. Das war ein Abenteuer, sage ich dir! Und ein wahrlich gutes Spiel, so etwas hat man selten gesehen, selbst auf internationalem Niveau.«

Über die nächsten Stunden hinweg unterhielt Rolanda Poppy mit allerlei Erzählungen von ihrem Lieblingssport, was diese wiederum mit einigen gemurmelten Zwischenbemerkungen angesichts der Gefährlichkeit von Quidditchverletzungen versah. Hin und wieder kümmerte sie sich um den Tentakelunfall und irgendwann, als sich der Morgen näherte, gingen sie schließlich dazu über, von diesem und jenem zu reden.

Es gab eine Menge Dinge, die Poppy mochte. Sie erzählte von ihren Lieblingsplätzchen, die in der letzten Woche einem hungrigen, schlafwandelnden Schüler zum Opfer gefallen waren oder von den Büchern, die sie so gerne las, wenn sie sich mal wieder die Nächte um die Ohren schlagen musste.

Nichts davon erschien Rolanda angemessen, um ein wirklich gutes Weihnachtsgeschenk für Poppy abzugeben. Über die letzten Stunden hatte sie dieses leidige Thema so gut es ging verdrängt, aber nun drehten sich ihre Gedanken erneut darum. Sämtliche Dinge, von denen Poppy erzählte, waren Sachen, die sie sich ohne Probleme selber kaufen konnte. Nein, Rolanda hatte es sich in den Kopf gesetzt, dass sie Poppy mehr danken wollte, für alles, was sie leistete.

 

Nach ihrer Entlassung aus dem Krankenflügel unternahm Rolanda einen ganzen Tag lang erfolgreich gar nichts. Wenn man einmal davon absah, dass sie reichlich weitere Löcher in die Luft starrte und darüber sinnierte, was Poppy am meisten gebrauchen konnte.

Sämtliche ihrer Ideen entpuppten sich lächerlicher als die zuvor. In ihrer Verzweiflung ging sie schließlich sogar so weit, der Bibliothek einen Besuch abzustatten, obwohl sie sich hier seit ihrer Schulzeit nicht mehr hatte blicken lassen. Aber zwischen den Buchseiten versteckte sich natürlich nicht magischerweise das perfekte Geschenk für Poppy.

Erst als Rolanda äußerst müde im Lehrerzimmer saß, ein Gähnen unterdrückte und trübsinnig in ihre Tasse mit schwarzem Tee starrte, kam ihr die Erkenntnis. Ein Wachmacher! Poppy brauchte irgendetwas, das sie des Nachts wachhielt, was kein Zaubertrank war. Die Tränke waren zwar praktisch, aber übermäßiger Konsum machte nicht nur abhängig, sondern auch leichtsinnig.

Nur wie könnte Rolanda das umsetzen? Sie konnte ja nicht ernsthaft des Nachts im Krankenflügel sitzen, um Poppy noch weitere Quidditchanekdoten zu erzählen. Ein Haustier? Nein, das wäre absurd.

Rolanda sah sich unter den übrigen Anwesenden um. Pomona Sprout hatte eine kränklich aussehende Pflanze bei sich, der sie soeben einen Schal häkelte. Ob sie vielleicht ein Gewächs kannte ...? Aber nein, das war natürlich Quatsch. Poppy hatte sicherlich keinen Bedarf an irgendeinem gefährlichen Grünzeug, das versuchen würde, sie zu beißen oder dergleichen. Auch wenn sie das bestimmt wach halten würde.

Minerva McGonagall hätte sicher eine Idee, ganz zu schweigen von nützlichen Zauberfähigkeiten, aber zuerst würde sie wahrscheinlich mit Rolanda schimpfen, weil diese überhaupt erst einen Tag vor der Feier davon anfing. Darauf hatte sie keine Lust, auch wenn die Kollegin gerade am Fenster saß und energisch einen Brief an die Eltern von Potter und Black schrieb, da diese mal wieder irgendwas ausgefressen hatten. Schon deshalb hatte Rolanda gleich noch weniger Interesse, die Verwandlungslehrerin anzusprechen.

Blieb nur Professor Binns – der ein Geist war. Alleine das disqualifizierte ihn schon, ganz abgesehen von der Tatsache, dass er ohnehin nur über irgendwelche Koboldaufstände redete. Geister hatten einfach keinen guten Geschmack.

Der Rest des Kollegiums ließ sich nicht blicken. Doch selbst wenn, wie hätten sie Rolanda schon helfen sollen? Sie wusste ja nicht mal ansatzweise, wie man den Wachmacher umsetzen könnte. In ihrer Verzweiflung versuchte sie es schlussendlich mit einer Liste, auf der sie feinsäuberlich alles notierte, wovon ihr bekannt war, dass Poppy es mochte – was eine Menge war.

Daraus ergab sich leider immer noch keine Idee, sodass Rolanda am späten Abend dazu überging, ihren nach dem Zusammenstoß mit dem Klatscher reichlich ramponierten Besen etwas zu pflegen. Das sorgfältige Stutzen der wirren Reisigzweige, das Polieren des Besenstiels und zum Abschluss die Auffrischung der diversen Schutz- und Bequemlichkeitszauber waren für sie Entspannung pur.

Ihr fiel wieder ein, wie gerne Poppy sich über den gefährlichen Sport aufregte. Und trotzdem hatte sie ihren Erzählungen von wilden Quidditchspielen und riskanten Flugmanövern mit einem Lächeln zugehört. Was, wenn sie einen Weg finden würde, diese Geschichten – und reichlich weitere, denn davon hatte sie so einige auf Lager – für Poppy zu konservieren?

Aufschreiben, das war nicht ihr Ding. Besenreiten lernte man schließlich auch nicht, indem man die Nase in Bücher steckte, also hatte sie sich nie viel aus dem geschriebenen Wort gemacht. Rolanda stellte es sich mehr wie eine Radiosendung vor, nur eben genau dann, wenn Poppy etwas brauchte, das sie wachhielt. Wie ein ... selbstvorlesendes Buch. Das wäre das Richtige!

Es war fast Mitternacht, als Rolanda an die Tür von Filius Flitwick klopfte. Zum Glück war der kleine Zauberkunstlehrer meist sehr lange mit den ellenlangen Aufsätzen seiner Ravenclaws beschäftigt, sodass er auch jetzt nicht unmäßig verstimmt über den späten Besuch war.

 

Den nächsten Abend konnte Rolanda kaum erwarten. Für gewöhnlich war sie keine Freundin dieser kollegialen Zusammenkünfte, weil es in dem kleinen Lehrerzimmer viel zu voll war und sie lieber auf dem Besen sitzen würde, anstatt sich Geschichten über die frechsten Schüler des Jahrzehnts anzuhören. Aber heute war sie ausnahmsweise einmal sehr zufrieden. Sie konnte es kaum abwarten, dass endlich die Wichtelgeschenke ausgepackt werden durften.

Die gesamte – zugegeben unterhaltsame – Rede von Dumbledore lang, saß sie auf ihren unruhigen Händen und warf immer wieder verstohlene Blicke zu Poppy hinüber. Sie sah zwar müde aus, aber für den feierlichen Anlass heute hatte sie ihre gewöhnliche Uniform gegen einen hübschen dunkelroten Umhang ausgetauscht.

Rolanda dankte den Gründern, dass sie weder auf den eisigen Treppen zum Eulenturm ausgerutscht war (wenn auch nur knapp) und es keinen Notfall im Krankenflügel gab, der Poppys Aufmerksamkeit verlangte.

Endlich war es so weit und in einem bunten Durcheinander verteilte der Schulleiter mit einem Schwebezauber die Päckchen unter den Anwesenden. Rolandas eigenes Paket enthielt eine Reisigschere mit einem Dauerschärfezauber und einen Tiegel neuen Besenwachses von Pomona, doch dafür hatte sie kaum Augen. Stattdessen achtete sie ganz genau darauf, wie Poppy ihr Geschenk auspackte.

Reichlich verwundert nahm die Heilerin die kleine hölzerne Musikschatulle aus dem Einwickelpapier. Das Kärtchen dazu fiel ihr in den Schoß. Sie überflog Rolandas Worte und beinahe augenblicklich kicherte sie vergnügt.

Rolanda ihrerseits grinste nun ebenfalls. Mit der Hilfe von Filius hatte sie einen Zauber gefunden, der sie ihre Stimme in die verzauberte Schatulle übertragen ließ. Anstatt Musik spielte das kleine Holzkästchen jetzt unzählige von Rolandas Erzählungen ab, sobald man den Deckel öffnete. Bis kurz vor der Weihnachtsfeier hatte sie alles aufgenommen, was ihr einfiel – zuerst die Geschichte, wie sie an einem kalten Dezembertag von einem Klatscher erwischt worden und dank einer nächtlichen Unterhaltung auf die Idee für dieses Wichtelgeschenk gekommen war.

»Du bist wirklich unglaublich«, meinte Poppy wenig später zu Rolanda, nachdem sie beide die Flucht an den Kessel mit Glühwein unternommen hatten. »Jetzt werde ich mich jede Nacht so sehr aufregen, dass ich garantiert nicht mehr schlafen kann.«

Lachend nahm Rolanda einen Schluck aus ihrem Becher. »Das soll der Zweck sein. Irgendwann musste ich dir ja mal danken, dass du mich so oft wieder zusammenflickst und wenn noch häufiger solche Tentakelunfälle in den Krankenflügel kommen, kannst du wohl einen Wachmacher der anderen Art gebrauchen.«

»Danke, Rolanda. Du bist ebenfalls ein Schatz.« Poppy zwinkerte und drückte ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange.

Mit reichlich rotem Kopf sah Rolanda ihr nach und stellte fest, dass ihr Geschenk wohl noch besser angekommen war, als sie es sich erhofft hatte. Trotzdem hatte sie nichts gegen einen weiteren Ausflug in den Krankenflügel einzuwenden, gebrochene Rippen hin oder her.

Kältezauber [Albus Potter & Scorpius Malfoy]


 

Grimmauldplatz, 2021

Albus Potter und Scorpius Malfoy

 

Das Gras auf der anderen Seite ist immer grüner. Albus würde sich an Weihnachten nur Ruhe von seiner Familie wünschen, Scorpius hat keine Lust mehr auf noch einen winterlichen Karibikurlaub alleine mit seinem Vater. Gibt es vielleicht einen Mittelweg, der alle zufriedenstellt?

 

***

 

Die Fenster des Schlafsaals waren bitterkalt, wie das Eis, das den schwarzen See von oben bedeckte. So tief unter der Wasseroberfläche war das Wasser zwar nicht gefroren, doch selbst den üblichen Grindelohs schien es zu kalt zu sein, denn schon seit Tagen hatte sich keiner mehr blicken lassen. Sonst trieben die Geschöpfe gerne an den langen Bogenfenstern vorbei und schnitten Grimassen, mit denen sie die Slytherinschüler verhöhnten.

An seinem ersten Schultag hatte Albus sich fürchterlich davor erschrocken, sehr zur Belustigung der anderen Jungen im Schlafsaal. Alle, bis auf einer hatten sie gelacht. Scorpius Malfoy dagegen hatte von Anfang an zu ihm gehalten. Es war ironisch, wie ausgerechnet sie beide Freunde geworden waren. Die frühere Feindschaft ihrer Väter mochte erkaltet sein, aber wirklich begeistert waren sie auch nach Jahren nicht, dass ihre Söhne so ein inniges Verhältnis pflegten.

Albus drückte seine Stirn fester gegen das eisige Fensterglas. Es half ihm beim Nachdenken, kühlte die tosenden Gedanken ab. Denn davon hatte er im Moment viele; zu viele. Je näher Weihnachten rückte, desto mehr widersprüchliche Gefühle bahnten sich ihren Weg an die Oberfläche.

Die meiste Zeit des Jahres gelang es ihm gut, die komplizierte Beziehung zu seinen Eltern und Geschwistern zu vergessen. Zumindest im Slytherin-Gemeinschaftsraum hatte er seine Ruhe vor allen lästigen Mitgliedern seiner erweiterten Familie. Und James war immerhin in seinem letzten Jahr und hatte andere Dinge zu tun, als ihm das Leben schwerzumachen.

Aber an Weihnachten, wenn sie alle zusammenkamen, da fühlte Albus sich nach wie vor einfach ... fehl am Platz. So als würde er nie ganz dazugehören. Für immer der Außenseiter, der eine, der irgendwie in Slytherin gelandet war. Derjenige, der ausgerechnet mit Scorpius Malfoy befreundet war. Und wenn sein Vater wüsste, wie er wirklich über seinen besten Freund dachte ... Nicht, dass das je rauskommen würde, so viel hatte er sich geschworen.

Wenn ihm eine Wahl geblieben wäre, dann hätte Albus seine Gefühle gerne vergessen. Ein Vergesslichkeitstrank für all die verwirrenden Dinge, die er fühlte, dafür hätte er einiges gegeben. Einfach wieder mit Scorpius lachend auf seinem Bett sitzen, einen Haufen Süßigkeiten zwischen sich und über Merlin und die Welt sprechen, ohne diese verborgenen Gedanken, das wäre schön.

Stattdessen versuchte er, allzu viel Kontakt mit seinem besten Freund zu vermeiden. Zog sich in den Schlafsaal zurück, wenn er nicht hier war, unternahm lange Spaziergänge auf den Ländereien, versteckte sich in der Bibliothek oder wanderte ziellos durch die Gänge.

So ordentlich wie in letzter Zeit, waren seine Hausarbeiten schon lange nicht mehr gewesen. Seine Eltern würden sich freuen, dass seine Noten endlich besser waren. Immerhin ging es stramm auf die ZAGs zu. In Verteidigung gegen die dunklen Künste hatte er immer noch seine liebe Mühe und Zaubertränke war gelinde gesagt eine Katastrophe, wenn Scorpius ihm nicht öfters unter die Arme greifen würde. Der schien eine ordentliche Portion Begabung von seinem Vater geerbt zu haben.

Und wieder einmal waren seine Gedanken Albus davon gelaufen und hatten einen Haken zu Scorpius geschlagen. Er seufzte und presste seine Stirn noch fester gegen das verzauberte Fenster. Aber in dem grünlichen Seewasser dahinter trieb leider nicht die Antwort auf alle seine Sorgen.

Ein Teil von ihm wollte die Ferien am liebsten in Hogwarts verbringen, weit ab von seiner Familie und deren lästigen Feiern mit unzähligen Personen. Zusammen mit Scorpius. Ein anderer Teil von ihm wusste, dass er nur Ärger haben würde, wenn er seinen Eltern absagen würde. Sie verstanden einfach nicht, warum ihm all dieser Trubel, die lauten Gespräche und ja, auch Streits, nicht behagten.

Außerdem würde Scorpius ohnehin wie jedes Jahr mit seinem Vater in ihr Ferienhaus im Ausland reisen – dorthin wo die Sonne schien und meilenweit kein Schnee lag. Albus hatte nie nachgefragt, warum ausgerechnet die Familie Malfoy so eine eigenartige Weihnachtstradition pflegte, aber er wusste, dass es Scorpius nicht allzu viel ausmachte. Dort hatte er seine Bücher, die er so liebte und seine Ruhe, schließlich waren es nur er und sein Vater, die zwei Wochen lang am Strand faulenzten. Etwas, worum Albus ihn in jedem Fall beneidete.

Er würde zu gerne im Austausch auch einmal solche Weihnachtsferien erleben, obwohl er den Sommer nicht wirklich mochte. Einfach ein paar Tage, an denen sich niemand über verschwundene Plätzchen, den Baumschmuck oder das Weihnachtskonzert von Celestina Warbeck stritt. Ein Fest, bei dem keiner ihn fragte, was er denn nach Hogwarts machen wolle oder ob er schon eine Freundin habe. Sie meinten es gut – nahm er an –, nur änderte das nichts daran, dass er lieber fortwollte.

Albus kuschelte sich tiefer in den dicken Slytherinpullover, dessen Grün er anfangs so gehasst hatte, brandmarkte es ihn doch als Außenseiter unter roten Löwen. Allerdings war die Zuteilung nach Slytherin auch der Beginn einer besonderen Freundschaft gewesen, also war es schon in Ordnung.

»Al?«

Scorpius stand mit einem Mal in der Tür zum Schlafsaal, seine Hände verlegen in die Hosentaschen geschoben. Ertappt rutschte Albus vom Fensterbrett herab, auch wenn er nur ungern die beruhigende Kälte hinter sich ließ.

»Alles in Ordnung?« Fragend legte sein Freund den Kopf schief. »Wie lange sitzt du hier schon? Ich habe dich überall gesucht.«

Rasch nickte Albus. »Alles prima, Scorp. Ich hab nur ... nachgedacht. Entschuldige.«

»Mh, schon gut.« Scorpius lief hinüber zu seinem Bett und ließ sich seufzend darauf fallen. »Lass mich raten, es geht mal wieder um Weihnachten.«

Ausweichend zuckte Albus mit den Schultern. »Du weißt, wie es ist.«

»Jedes Jahr wünscht du dir, woanders zu sein. Ja, ich weiß.«

Suchend kramte Scorpius in seiner Nachttischschublade und zog schließlich eine angebrochene Tüte Pfefferminzkröten hervor. Eine davon warf er ungefragt zu Albus hinüber, der sie aus der Luft pflückte. Süßigkeiten waren schon seit ihrer ersten Begegnung im Hogwartsexpress ein wichtiger Bestandteil ihrer Freundschaft, eine stumme Art der Kommunikation. Meist bedeuteten sie Aufmunterung.

»Warum kommst du dieses Jahr nicht uns besuchen? Dad würde es bestimmt nichts ausmachen, immerhin ... ist das mit Mum jetzt eine Weile her. Vielleicht nur ein paar Tage, um deine Familie zufriedenzustellen?«

»Ich glaube nicht, dass es ihnen gefallen würde, egal für wie lange es wäre«, seufzte Albus. »Weihnachten ist ein Fest der Familie«, zitierte er seine Mutter aus einem wütenden Brief, den sie ihm vor zwei Jahren geschrieben hatte, »deshalb verbringt man es daheim. Und ich fürchte, sie vertrauen deinem Vater immer noch nicht wirklich.«

Er verdrehte die Augen und ließ sich auf sein Bett gegenüber von Scorpius fallen. Der warf ihm die nächste Pfefferminzkröte zu.

»Aber du schreibst mir wenigstens oder? Zur Not komme ich vorbei und rette dich.« Scorpius zwinkerte ihm zu. »Wie war diese Geschichte von deinem Vater und dem fliegenden Auto noch?«

Albus spürte, wie seine Mundwinkel ungewollt zuckten. »Ganz so schlimm ist es zuhause dann auch nicht. Ich ...« ... würde Weihnachten nur lieber alleine mit dir verbringen, vollendete er seinen Satz stumm. »Ich finde es nur zu laut daheim. Zu chaotisch. Zu viele Leute.«

Scorpius lehnte sich gegen das Kopfende seines Bettes und warf eine Pfefferminzkröte hoch, sodass sie ihm direkt in den Mund flog. »Kann ich verstehen. Obwohl ich mir manchmal auch wünschen würde, dass es nicht immer bloß mein Vater und ich sind. Es ist einfach so ... still.« Ein kleines Funkeln trat in seine Augen. »Vielleicht sollten wir einfach die Plätze tauschen! Du feierst Weihnachten in der Karibik, ich ertrage deine Familie. Brauchen nur ein bisschen Vielsafttrank.«

Jetzt musste Albus grinsen. »Das würdest du nicht lange aushalten. Nicht wenn James wieder seine Quidditchgeschichten auspackt.«

»Na und du wärst beim ersten Sonnenbrand sicher auch gerne wieder zuhause.«

Sie grinsten einander an.

»Eigentlich wäre es nett, wenn es nur wir beide wären«, sagte Scorpius unvermittelt.

Beinahe hätte Albus sich an seiner Pfefferminzkröte verschluckt. Hustend klopfte er sich auf die Brust. Immerhin konnte er die Röte in seinen Wangen so auf die widerspenstige Schokolade schieben. »Was?«, rang er schließlich hervor.

»Na ja – ich meine ja nur«, Scorpius wedelte mit der freien Hand unbestimmt durch die Luft, »wenn wir zwei Wochen nur zum Faulenzen und Süßigkeiten essen hätten, das wäre doch super. Keine nervigen Familienfeiern oder elende Hitze in der Karibik.«

Albus hatte immer noch das Gefühl, dass seine Wangen in Flammen standen. »Oh ja, das stimmt schon«, murmelte er ausweichend.

Unter keinen Umständen konnte er Scorpius gestehen, dass er das sehr schön finden würde. Und wahrscheinlich schmerzhaft, weil er selber nicht wusste, wie er mit dem umgehen sollte, was er plötzlich über seinen besten Freund dachte. Diese neue, selbsterzwungene Distanz zwischen ihnen fühlte sich so kalt an wie das eisige Fenster des Schlafsaals.

Dennoch würde Albus es niemals riskieren, dass er Scorpius verlor. Lieber lief er weite Umwege durch die Korridore, um jedem Mistelzweig auszuweichen, bevor eines der Gewächse ihn noch auf dumme Gedanken brachte, oder suchte Gründe, warum er nicht länger neben ihm auf dem Bett lümmeln und Pfefferkobolde essen konnte.

»Hey, ein wenig mehr Begeisterung hätte ich schon erwartet«, sagte Scorpius und musterte ihn eindringlich. »War je eh nur eine Wunschvorstellung. Du fährst wie jedes Jahr zu deiner Familie und ich in die Karibik, weil wir beide es hassen, unsere Eltern unglücklich zu machen.«

Trotzdem klang dieses Mal etwas Wehmut in seinen Worten mit, von dem Albus hoffte, dass er ihn sich nicht eingebildet hatte.

 

Wenige Tage vor Weihnachten lief der Hogwartsexpress schließlich pünktlich in Kings Cross ein – mit Albus und Scorpius an Bord. Während der Fahrt hatten sie nicht ein Wort über die kommenden zwei Wochen gewechselt. Stattdessen hatten sie sich mit zahlreichen Bertie Botts Bohnen, Schokokesseln und Lakritzzauberstäben die Zeit vertrieben.

Am Bahnsteig warteten bereits Albus‘ Eltern und Scorpius‘ Vater, wie immer in gebührendem Abstand zueinander.

Albus seufzte und wünschte sich einmal mehr, dass er an Bord des Zuges bleiben könnte, bis dieser zurück nach Hogwarts fahren würde. Aber trotzdem stand er auf, schlang sich den grün-silbernen Schal um die Schultern und lächelte seinem besten Freund matt zu.

»Also dann ... bis im neuen Jahr.«

Scorpius sagte einen Moment lang gar nichts, sondern nestelte nur an der Verpackung von den Bohnen in allen Geschmacksrichtungen herum. Dann lehnte er sich vor und drückte Albus fest an sich. »Wir sehen uns bald, Al.«

Sie hatten einander ohne Frage schon oft umarmt, doch nie zuvor hatte Albus‘ Herz in seiner Brust dabei so heftig geschlagen, als wolle es ausbrechen. Auch hatte er nie bemerkt, wie gut Scorpius roch, nach frischem Pergament, Pfefferminze und warmer Wolle. Gerne hätte er den Moment länger genossen – nicht bloß, weil das die Zeit verlängern würde, bis er seiner Familie gegenübertreten musste.

Aber natürlich zog Scorpius sich wieder zurück, griff nach seinem Koffer und verließ vor ihm den Zug. Albus atmete tief durch, schloss kurz die Augen, um sich zu sammeln, und trat ebenfalls hinaus auf den Bahnsteig. Er sah Scorpius noch hinterher, der zusammen mit seinem Vater durch die Absperrung ging, dann war er endgültig alleine.

 

Der Weihnachtsbaum im Hause Potter war mal wieder krumm und äußerst einseitig mit Schmuck behängt. Im Vergleich zu den prächtigen Bäumen in Hogwarts sah es aus, als hätte ein Kleinkind die Dekoration der heimischen Tanne übernommen. Der Eindruck wurde noch verstärkt davon, dass ein Haufen selbstgebastelten Weihnachtsschmuckes an den Ästen hing.

Peinlich berührt musterte Albus die schiefen Sterne und kleinen goldbemalten Nussschalenanhänger mit Flügeln, die wohl Schnätze darstellen sollten. Jedes Jahr hatten sie im Kindergarten etwas für den Baum basteln müssen und genauso stümperhaft muteten seine Basteleien an. Zumindest sahen James‘ Versuche von damals auch nicht besser aus.

In der Küche war mal wieder eine Auseinandersetzung über das Weihnachtsessen entbrannt, also hatte er sich in das leere Wohnzimmer zurückgezogen. In Momenten wie diesen vermisste er wirklich die Ruhe in seinem Schlafsaal und das eisige Wasser vor den Fenstern.

An der Tür läutete es, doch von unten in der Küche regte sich niemand. Stattdessen hörte Albus seine Mutter nur noch lauter fluchen. Wenig begeistert trabte er aus dem Salon, den seine Eltern Wohnzimmer getauft hatten, hinab in die Eingangshalle, um zu sehen, welcher Besuch mal wieder viel zu früh auf der Matte stand. Er rechnete mit seinen Großeltern. Gerade seine Oma überließ nichts dem Zufall und mischte sich äußerst gerne in das Drama um das Festessen ein.

Doch anstatt seiner mit Geschenken beladenen Großeltern oder sonstigen Verwandten wartete Draco Malfoy vor der Eingangstür, in seinem besten Festtagsumhang. Irritiert starrte Albus den Vater seines Freundes an, ehe ihm klar wurde, dass Scorpius selber hinter ihm stand.

»Ähm ...«, stammelte Albus überrumpelt. »Hallo?«

Zumindest sah Scorpius‘ Vater ebenso eigenartig überrascht aus, als könne er nicht glauben, dass er wirklich hier stand. Sein Sohn drängelte sich mit einem Grinsen an ihm vorbei.

»Ich habe doch gesagt, dass wir zu früh dran sind«, erklärte er, bevor er Albus anstrahlte. »Na ja, egal. Frohe Weihnachten, Al!«

Überrumpelt ließ Albus sich von Scorpius umarmen, auch wenn ihm das vor den Augen von Draco Malfoy noch unangenehmer vorkam als ohnehin schon. Wenigstens war weit und breit nichts von James zu sehen, der ihn mit seinem tomatenroten Gesicht aufziehen konnte.

»W-was machst du hier, Scorp? Und oh, ähm ... bitte, kommen Sie doch herein, Mr. Malfoy.«

»Überraschungsbesuch!«, verkündete sein bester Freund fröhlich. »Also für dich, deine Eltern wissen Bescheid, dass wir vorbeikommen.«

Scorpius hatte sich bereits an Albus vorbeigedrückt und musterte interessiert die Eingangshalle hinter dem langen Flur. Mittlerweile erinnerte wenig an die düstere Vergangenheit des Hauses. Statt Hauselfenköpfen und Porträts von Black-Urahnen zierten Familienaufnahmen den Treppenaufgang. Die dunklen Tapeten und tiefgrünen Vorhänge waren warmen Rottönen gewichen – für Albus eine stete Erinnerung daran, dass er der einzige Slytherin in der sprichwörtlichen Höhle des Löwen war.

Der Gedanke kam offenbar auch Draco Malfoy, der das rote Chaos mit hochgezogenen Augenbrauen musterte. Er folgte seinem Sohn, die Hände hinter dem Rücken verschränkt und schien sich hier ebenso fehl am Platz zu fühlen, wie Albus bisweilen.

Der sah immer noch verdattert seinen besten Freund an, von dem er sich doch erst im Zug für die nächsten zwei Wochen verabschiedet hatte. Wie lange hatte er den Besuch hier schon geplant? Und überhaupt, was hieß das – seine Eltern wussten Bescheid?

»Scorp ... was geht hier vor sich?«

Scorpius, der neugierig das riesige Bild aller Mitglieder der gesamten Weasley-Potter-Granger Familie in Augenschein genommen hat, dreht sich mit einem kleinen Lächeln zu ihm um. »Unser Karibikurlaub ist gecancelt. Zu viele Stürme zu dieser Jahreszeit, weißt du? Und wenn du Weihnachten nicht zu uns kommen kannst, dann ... kommen wir eben zu dir.«

»Zwei mehr oder weniger fallen schließlich auch nicht auf, hat deine reizende Mutter gesagt, wenn ich mich recht erinnere«, erklärte Draco Malfoy ausdruckslos.

»Das hat sie gesagt?«

Albus überlegte, ob jemand seinen Eltern einen Imperius-Fluch aufgehext hatte. Immerhin war sein Vater insbesondere während der ersten drei Schuljahre nicht müde geworden, von den zahlreichen Verfehlungen seines einstigen Schulfeindes zu berichten und ihm zu erklären, warum er sich besser von Scorpius fernhalten sollte.

»Ja, gleich nachdem sie uns angedroht hat, dass sie uns den Flederwichtfluch auf den Leib hetzt, wenn wir uns nicht benehmen oder frech werden.« Es war offensichtlich, dass Draco Malfoy diese Vorstellung für reichlich lächerlich hielt.

Scorpius hingegen zuckte nur mit den Schultern. »Ich habe nicht vor, irgendwas anzustellen.« Er senkte seine Stimme, bis nur noch Albus ihn hörte. »Für meinen Vater übernehme ich keine Verantwortung. Ihm gefällt Weihnachten hierzulande nicht sonderlich.«

 

Obwohl das Haus der Potters in diesem Jahr so voll wie nie zuvor war, wünschte Albus sich zum ersten Mal nicht fort an einen anderen Ort. Scorpius an seiner Seite war wie eine Quelle der Ruhe. Wann immer die Tischgespräche wieder hitziger wurden, warf er einen Blick zu seinem besten Freund und dieser schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln.

Vielleicht half es auch, dass ihre Väter über den Tisch eigenartig distanzierte Blicke tauschten und sich größtmöglich bemühten, höflich zueinander zu sein, dass ausgerechnet die schlimmsten Eskalationen ausblieben. Dabei hätte Albus eigentlich erwartet, dass gerade diese Konstellation für zusätzlichen Zündstoff sorgen würde. Vielleicht lag es auch an der Drohung seiner Mutter, Draco Malfoy ordentlich zu verhexen, dass dieser recht schweigsam blieb. Letzten Endes kümmerte es Albus nicht, er war einfach nur dankbar, dass Scorpius neben ihm saß anstatt in der Karibik.

Voller Tapferkeit ertrugen sie die reichlichen Traditionen der Familie – sogar das Weihnachtskonzert von Celestina Warbeck, auf das Albus‘ Großmutter jedes Jahr bestand. Nicht einmal beschwerte Scorpius sich über den hässlichen Weihnachtsbaum, die schiefen Lieder oder die vielen Menschen, die allesamt durcheinanderredeten, lachten und zankten. Er hörte selbst James‘ Geschichten vom Quidditchfeld zu, auch wenn er ein kleines Augenrollen mit Albus tauschte.

Trotzdem war Albus froh, als der förmlichste Teil der Feier sich dem Ende neigte und langsam so etwas wie echte Gemütlichkeit Einzug hielt. Nur Draco Malfoy saß nach wie vor stocksteif in einem Sessel. Zumindest unterhielt er sich mit Albus‘ Mutter darüber, wie Weihnachten in der Karibik war. Obwohl Ginny Potter ihm die Worte eher aus der Nase ziehen musste. Aber immerhin, sie machten Fortschritte.

Für gewöhnlich war jetzt der Zeitpunkt erreicht, an dem Albus sich von der Feier davonstehlen würde, um endlich seine Ruhe zu haben. Er warf Scorpius einen Blick zu. »Kommst du mit?«

Sein bester Freund lächelte breit. »Zu gerne.«

Albus freute sich, dass er Scorpius seinen liebsten Ort im ganzen Haus am Grimmauldplatz zeigen konnte. Davon wusste außer ihm niemand hier, deshalb schien es nur verdient, dass sein Freund der Erste war, den er einweihte.

Scorpius folgte ihm hinauf in die enge Dachkammer voller Gerümpel, ohne Fragen zu stellen. Auch wenn Albus ihm genau ansah, dass er etwas verwirrt war, warum sie nicht in sein Zimmer, sondern auf den Dachboden mit Spinnweben und ausrangierten Möbeln gingen. Aber natürlich war das hier nicht das Endziel.

Vor einigen Jahren, als Albus einen Ort der Stille in dem Haus gesucht hatte, an dem ihn nicht sofort jemand finden würde, war er hier hoch geflohen. Der Staub hatte ihm in der Nase gekitzelt und fast wäre er wieder gegangen, da war er über die klapprige Leiter gestolpert, die zu einer winzigen Dachluke ganz oben im First führte. Vielleicht steckte doch etwas Mut in ihm, denn er war tatsächlich dort hinauf geklettert und tat es auch jetzt wieder.

Als Albus die Luke aufstemmte, drängte sich ein Wirbel eisiger Luft in den Dachboden. Doch er hatte nur Augen für die Aussicht dahinter. Die hellen Stadtlichter erstreckten sich unter dem Nachthimmel vor ihm. Vorsichtig robbte er über das schneebedeckte Dach, zwischen dessen Ziegeln kleine Metallbügel Halt boten. Der Anblick der Sterne, die den Londoner Himmel übersäten, war es alle Male wert, kalten Wind und den Nervenkitzel in Kauf zu nehmen.

Scorpius allerdings war recht blass um die Nase, als er Albus auf das Dach folgte. Keuchend klammerte er sich am Dachfirst fest und starrte auf die steilabfallende Dachkante wie ein Kaninchen auf einen hungrigen Drachen.

»Machst du das öfter?«, fragte er ungläubig, während er sich unbeholfen zu Albus vorarbeitete.

Der reichte ihm eine Hand und half seinem Freund, sich neben ihn zu setzen. »Gelegentlich, wenn ich die Chance bekomme«, gestand er. »Ich glaube, diesen Ort kennt nicht einmal mein Vater und der wohnt hier am längsten. Hier hat man wirklich seine Ruhe.«

Staunend legte Scorpius den Kopf in den Nacken, um die Sterne über ihnen zu betrachten. »Und eine unglaubliche Aussicht.«

Albus, der den Anblick schon oft genug genossen hatte, hatte dagegen nur Augen für seinen besten Freund. Ein Knoten bildete sich in seinem Hals. An Scorpius als seinen besten Freund zu denken fühlte sich zusehends falscher an, wenn er doch wünschte, dass er nach seiner Hand greifen könnte oder seinen Kopf an dessen Schulter lehnen wollte.

Den ganzen Abend über hatte er die Gedanken daran erfolgreich verdrängt, vermutlich deshalb, weil so viele Augen sie beobachtet hatten. Doch nun, in der Abgeschiedenheit auf dem Dach, meldeten sich alle verborgenen Gefühle wieder. Nicht einmal die beißende Kälte konnte das warme Glimmen in seiner Brust beruhigen.

Er sog den Anblick von Scorpius vor dem Nachthimmel in sich auf. Wie der Wind mit den Strähnen seines blonden Haares spielte, wie sich das ferne Licht in seinen hellen Augen spiegelte und wie zufrieden das kleine Lächeln auf seinen Lippen war. Albus konnte nicht anders, als sich einzugestehen, dass er sich hoffnungslos in ihn verliebt hatte.

Gerade deshalb war es nicht er, der den letzten Abstand aus eiskalter Luft zwischen ihnen überwand. Es war Scorpius, der plötzlich seine kühle Hand auf Albus seine legte, den Kopf gegen seine Schulter gelehnt.

Albus fühlte sich, als stecke ihm das Herz im Hals, so heftig schlug es. Er versuchte, ruhig zu atmen; sich nichts anmerken zu lassen. Alles in ihm drängte danach, seine Finger mit denen von Scorpius zu verschränken, doch das brachte er nicht fertig.

»Du ahnst gar nicht, wie schön es ist, einmal Schnee an Weihnachten zu sehen«, murmelte Scorpius an seiner Seite. »Jahrelang waren wir jedes Weihnachten in der Karibik. Ich meine, das ist ganz nett, aber so ... hat es auch was für sich. Mir gefällt die Kälte.«

»Mir auch. Sie ist irgendwie ... beruhigend.«

Zustimmend brummte Scorpius. »Hey, ich habe gar kein Weihnachtsgeschenk für dich«, sagte er plötzlich. »Also abgesehen von meinem Überraschungsbesuch-«

»Brauchst du doch nicht«, fiel Albus ihm ins Wort. »Außerdem habe ich ja auch keines für dich.«

»Mh, du zeigst mir diesen Ausblick. Das ist mir Geschenk genug. Vor allem, weil dieser Ort dein Geheimnis ist – war.«

Auch jetzt war es erneut Scorpius, der einen Schritt weiter ging, und seine Finger mit denen von Albus verschränkte. Albus dachte an eiskalte Fenster und die grünen Tiefen des Sees; versuchte, sein Herz wieder hinab in die Brust zu zwingen, aber er konnte nicht. Stattdessen durchlief ihn ein nervöses Zittern. Schließlich drückte er Scorpius‘ Hand fest, in der Hoffnung, dass er die Geste nicht missverstehen würde.

Doch Scorpius schien mit den Gedanken ohnehin an einem ganz anderen Ort zu sein. Er sah immer noch in den Himmel. Albus konnte nur raten, woran er wohl dachte.

»Wenn ich gewusst hätte, dass du kommst, hätte ich mir ein vernünftiges Weihnachtsgeschenk überlegt«, sagte Albus schließlich, dem die Stille nun zu viel wurde. »Jetzt habe ich nur eine halbe Packung Zuckermäuse in meinem Zimmer, das ist ja nix.«

Scorpius schüttelte leicht den Kopf. »So ein Quatsch. Es ist schön genug, dass es endlich geklappt hat mit dem gemeinsamen Weihnachtsfest. Ganz ohne fliegende Autos, Vielsafttränke oder gekränkte Familienmitglieder.«

Albus schmunzelte leicht. »Ja, wer hätte es gedacht, dass ausgerechnet dieses Weihnachten so friedlich wird, nur weil dein Vater dabei ist?«

Jetzt grinste auch Scorpius und löste seinen Blick von den fernen Sternen. »Fehlt eigentlich nur noch eine Sache, um dieses Weihnachten endgültig unvergesslich zu machen.« Er atmete tief ein und aus. »Al ... du bist wirklich mein bester Freund. Aber manchmal da – weiß ich auch nicht, wünsche ich mir ...«

Ihrer beider Blicke kreuzten sich. Albus‘ verräterisches Herz schien plötzlich seinen Schlag vergessen zu haben, genauso wie Scorpius die Worte. Für einen Moment sahen sie einander nur an, dann fasste Albus einen Entschluss. Wenn nicht hier, würde er sich nie trauen. Vielleicht war er im Begriff, sein Weihnachten auf den letzten Metern zu ruinieren. Oder es würde wirklich unvergesslich werden.

»Scorp ... man, ich hasse Mistelzweige, aber jetzt gerade könnte ich einen gebrauchen. Dann wäre es vielleicht einfacher, zu fragen, ob ich ... ach, Merlin. Zu fragen, ob ich dich küssen darf.«

Im schwachen Licht der Stadtlichter sah er, wie sich Scorpius‘ Augen weiteten. Er fürchtete schon, dass seine Worte eindeutig zu weit gegangen waren und ihre Freundschaft nun begruben. Da lächelte Scorpius.

»Hey, Al, das wollte ich doch sagen«, grinste er mit einem kleinen Zittern in der Stimme. »Also eigentlich hatte ich immer auf eine Mistel in der Schule gehofft, um ehrlich zu sein. Aber du warst echt gut darin, ihnen auszuweichen. Sehr zu meinem Leidwesen. Na ja ... ähm. Ich sollte aufhören zu reden, vermute ich.«

Scorpius biss sich verlegen auf die Lippe, doch Al hätte ihm stundenlang zuhören können. Da hatte er sich immer alleine mit seiner Sorge gewähnt, nur um zu erfahren, dass sein Freund sich mit den gleichen Gedanken getragen hatte. Wobei aus dem besten Freund wohl bald mehr werden würde.

Die Augen fest geschlossen, lehnte Al sich zögerlich vor und tat das, von dem er sich nicht einmal getraut hatte, zu träumen. Er küsste Scorpius auf dessen kalte Lippen, die nach Pfefferminze und Winter schmeckten.

Feierlaune [Dobby]


 

Hogwarts, 1996

Dobby und die Hauselfen von Hogwarts

 

Ein Hauself zu Weihnachten ist ein Hauself im Stress. Aber nicht Dobby, der sich etwas ganz Besonderes für die übrigen Elfen im Schloss einfallen lässt ...

 

***

 

Die Küchen von Hogwarts liefen in den Wochen vor Weihnachten auf Hochtouren. Tag und Nacht brannten die Feuer, über denen kochende Kessel voller Eintöpfe, Soßen und anderen Leckereien dampften. Dicke Nebelschwaden aus köstlichen Düften zogen durch die Kellergewölbe und ließen so manchem Hufflepuff auf dem Weg zum Gemeinschaftsraum den Magen knurren.

Das Festessen zum Beginn der Weihnachtsferien war in jeder Hinsicht besonders und so gaben die fleißigen Hauselfen sich doppelt so viel Mühe wie sonst, ein wirklich köstliches Mahl zu kochen. Es ging sogar so weit, das ganze Braten über Tage hinweg feingeschmort wurden, bis sie butterzart waren. Jede Stunde pinselte ein Elf die Kruste mit Honig und Kräutern ein.

Dobby hatte in seinem ganzen Leben noch nicht so wundervolle Dinge gerochen – und gekostet, wenn keiner hinsah – wie in den Küchen von Hogwarts. Dagegen war das Essen bei den Malfoys geradezu karg ausgefallen. Nicht, weil Dobby nicht kochen konnte, aber selbst diese feinen Zauberer hatten ihm nicht so viel Zeit und Geld für Zutaten gegeben, um etwas Derartiges zu erschaffen.

Und alleine konnte sowieso kein Hauself solche Wunder vollbringen, nicht einmal mit Magie. Irgendwann mussten auch die Fleißigsten unter ihnen schlafen. Sie konnten Hogwarts Öfen nur Tag und Nacht betreiben, weil sie so zahlreich waren.

Ohne Frage gefiel Dobby seine Arbeit in der Küche. Es gab noch so vieles, was er lernen konnte, und dies tat er mit Begeisterung. Im Moment durfte er den Kollegen über die Schulter schauen, die sich um die Desserts kümmerten. Der Umgang mit der Spritztülle gestaltete sich schwerer als gedacht und seinen Dekorationen fehlte es regelmäßig an der Eleganz, sodass der oberste Konditorelf jedes Mal wieder den Kopf schüttelte und sagte, dass sie es so keinesfalls nach oben schicken konnten. Das weckte in Dobby wiederum den Ehrgeiz, es noch besser zu machen.

Der oberste Konditor war ein ziemlich alter Elf, der schon seit Jahrzehnten in Hogwarts diente und dessen Haut inzwischen wie verknittertes Pergament von seinen Knochen hing. Aber in seinen grünen Augen funkelte immer noch ein gewisser Scharfsinn. Die meisten jüngeren Hauselfen hatten einen Heidenrespekt vor ihm, weil er so streng mit ihnen war.

Dobby sah in seiner Strenge allerdings die Chance, über sich hinauszuwachsen. Nur hin und wieder, da ärgerte auch er sich sehr. Meist nicht dann, wenn sei eigenes Werk kritisiert wurde, denn ihm war wohl bewusst, dass seine Zuckergussblumen reichlich unsymmetrisch aussahen. Aber die armen anderen Konditoren taten ihm leid, wenn sie mal wieder Nachtschicht um Nachtschicht einlegten und ihren Chef doch nicht zufriedenstellen konnten, wegen Nichtigkeiten, die von den Schülern in der großen Halle ohnehin ignoriert werden würden.

Wenn Dobby an manch gefräßiges Kind dachte, dann glaubte er nicht, dass einem von ihnen die schiefen Zuckergussblumen auf der Torte wirklich so sehr ins Auge fallen würden. Manchmal nutzten die paar Hauselfen, die von Dumbledore in eine Chefposition erhoben worden waren, einfach ihre wenige Macht, um sich stärker zu fühlen. Wichtiger. Dabei waren sie letztlich alle gleich.

Nur Dobby war anders. Nicht besser, nicht besonderer, aber eben frei. Mehr als einmal hatte er versucht, den übrigen Elfen seinen Standpunkt darzulegen. Über süße Buttercremes und winzige Schokoladenweihnachtsbäume hinweg hatte er ihnen erzählt, warum er sich angesichts der Freiheit gefreut hatte, anstatt weiter ein Sklave der Malfoys sein zu wollen.

Er wollte nicht mit seinen Verdiensten prahlen, doch nachdem sie sich von der Freiheit alleine nicht überzeugen ließen, zeigte er ihnen die Sickel, die er bei Dumbledore verdiente. Die meisten Elfen mieden ihn von diesem Zeitpunkt an und sprachen nur noch in gedämpfter Stimme über ihn. Wenn Dobby nicht so glücklich mit seinem selbstgewählten Beruf gewesen wäre, es hätte ihn vielleicht traurig gestimmt. So aber ärgerte ihn eher, dass die anderen Hauselfen sich offenbar mit ihrer Situation abgefunden hatten.

Albus Dumbledore wäre sogar bereit, jedem einzelnen Gehalt zu zahlen, mehr als das, was Dobby verdiente, nur war daran erst recht nicht zu denken. Und so schufteten sie alle bis zur Besinnungslosigkeit weiter, als gäbe es einen Pokal dafür zu gewinnen.

Dieser deprimierende Gedanke kam Dobby, während er wieder einmal an einer Torte werkelte, die der oberste Konditor sicher nicht abnehmen würde (immerhin bedeutete das, dass es heute reichlich Nachtisch für die Elfen geben würde). Und plötzlich fand Dobby die Idee eines Pokals gar nicht mehr so schlecht. Seine Kollegen arbeiteten alle so hart, dass zweifellos jeder Anerkennung verdient hatte.

Besinnlichkeit machte sich überall im Schloss breit, nur nicht in den Küchen. Nicht einmal Weihnachtsdekoration hatte es hierhin geschafft. Je mehr Dobby darüber nachdachte, desto stärker störte er sich daran. Er wusste genau, dass die anderen Hauselfen seine Gedanken wieder nicht verstehen würden, doch er fand, dass sie es sich auch etwas festlich gestalten sollten. Spätestens wenn das Festessen auf den Tischen stand, hatten die Elfen nichts mehr zu tun. Die perfekte Zeit, ein eigenes Fest zu veranstalten.

Dobby betrachtete seine krummen und schiefen Zuckerblumen. Nein, das hatte keinen Sinn mehr. Vermutlich würde es ihm Ärger mit dem obersten Elf einbringen, doch mit einem Fingerschnipsen disapparierte er aus der Küche.

Glücklicherweise saß der Schulleiter an seinem Schreibtisch. Als er Dobby vor sich sah, lächelte er ihn durch seine Brille hinweg freundlich an.

»Dobby, mein lieber Freund, wie kann ich dir behilflich sein?«

Der Elf sah etwas verlegen auf die Zehenspitzen seiner verschiedenfarbigen Socken. Albus Dumbledore war ein großer Zauberer und er fühlte sich jedes Mal ganz klein unter seinem wachsamen Blick. Obwohl er wusste, dass der Schulleiter es gut mit ihm meinte. Mit einem tiefen Atemzug nahm er seinen Mut zusammen.

»Sir, ich würde gerne eine Weihnachtsfeier für die Hauselfen ausrichten!«

Überrascht legte Albus Dumbledore seine Schreibfeder zur Seite. »Eine Feier, hm? Das klingt nach einer hervorragenden Idee. So herrlich wie es zu dieser Zeit aus Richtung der Küchen duftet, leistet ihr da unten sicher eine Menge.«

Eifrig nickte Dobby. »Oh ja, Sir, Tag und Nacht bereiten wir das große Festmahl vor! Deswegen dachte Dobby, dass seine Kollegen etwas Freizeit verdient haben. Wenn sie schon kein Geld und keine Kleidung wollen, könnten wir wenigstens eine kleine Feier abhalten.«

»Das ist eine schöne Idee, Dobby. Vermutlich möchtest du mich fragen, ob ich dir etwas Dekoration zur Verfügung stellen kann? Vielleicht ein paar hübsche Girlanden und ein Weihnachtsbaum? Musik ist natürlich auch wichtig. Ich finde, es geht doch nichts über eine Feier mit schöner Musik.« Der Schulleiter zwinkerte.

»Sir, das wäre wirklich wundervoll«, quiekte Dobby aufgeregt, den Saum seines langen Strickpullovers knetend. »Sie sind wirklich zu großzügig, Sir! Und ... na ja ... vielleicht würden Sie ja eine kleine Rede halten, Sir?«

Albus Dumbledores blaue Augen funkelten den Elf freundlich an. »Ja, ich denke, auch das ist eine ausgezeichnete Idee. Bei all der fleißigen Arbeit in den Küchen ist es wohl das Mindeste, wenn wir das angemessen würdigen.«

»Großartig! Vielen, vielen Dank Sir!« Glücklich hoben sich Dobbys große Fledermausohren, als er über beide Ohren erstrahlte. »Ich werde Ihre Großzügigkeit nie vergessen, Sir!«

»Oh Dobby«, wiegelte der Schulleiter höflich ab, »wenn, dann bin ich derjenige, der dir danken muss für deinen Einsatz gegenüber allen Hauselfen. Du musst mich wirklich nicht ‚Sir‘ nennen. Du hast meinen vollen Respekt verdient.«

Das hatte Albus Dumbledore schon öfter gesagt, doch Dobby errötete wie jedes Mal und sah hastig wieder auf seine Socken. Er konnte es einfach nicht über sich bringen, ihn nicht Sir zu nennen. Immerhin war er einer der größten Zauberer aller Zeiten!

»Danke, Sir«, piepste er verschämt und verneigte sich tief, ehe er wieder in die Küchen disapparierte.

 

In den folgenden Tagen vernachlässigte Dobby seine Konditortätigkeiten unfreiwillig ein wenig, während er heimlich noch ein paar eigene Dekorationen für die Feier bastelte. Er zauberte bewegte Bilder von den Elfen auf personalisierte Weihnachtskugeln, zusammen mit netten Worten über jeden – auch den strengen Konditorchef. Für Kreacher, der erst seit kurzem in der Küche arbeitete, fiel es ihm am schwersten, etwas Positives zu finden, doch schließlich besann er sich darauf, dass Kreacher wirklich gute Suppen kochen konnte.

Ein paar Mal besuchte Dobby noch den Schulleiter, um sich von ihm Rat einzuholen und natürlich die bestellte Dekoration abzuholen. Die kleine Holztruhe neben Dobbys Bett in den Gemächern der Hauselfen quoll schon bald über mit festlichen Girlanden, einem magischen Plattenspieler und weiteren Kleinigkeiten. Zum Glück war sie mit einem Ausdehnungszauber versehen.

Zwei Tage vor dem Fest kam schließlich Hagrid auf ihn zu, einen gewaltigen Baum auf der Schulter, den er frisch aus dem verbotenen Wald hatte. Es hing sogar noch Schnee an den Ästen der Tanne. Und so wurde kurzerhand auch Dobbys Bett selber in Beschlag genommen.

Der Halbriese erklärte sich freundlicherweise bereit, Dobby dabei zu helfen, den Baum zu schmücken. Dobby konnte zwar zaubern, doch alles gleichzeitig erledigen ging dann auch nicht, insbesondere wenn man keinen Zauberstab hatte, um die Magie auf mehr als eine Sache zu fokussieren. Am Festtag selber würde er so nur noch die fertige Dekoration herbeizaubern müssen.

Während die meisten Hauselfen sich daran gewöhnt hatten, dass Dobby anders war und sich demnach häufig eigenartig verhielt, war Winky die Einzige, die es besser wusste. Daher wunderte es den Elf wenig, dass sie ihn einen Tag vor dem Fest plötzlich finster musterte und direkt fragte, warum er sich so oft aus der Küche stehle. Sie wurde richtig böse und warf ihm vor, dass er wenigstens für sein Geld arbeiten müsse, wenn er schon so undankbar sei und sich bezahlen lasse.

Schweren Herzens weihte er sie flüsternd in seinen Plan ein, bevor sie noch einen Aufstand veranstaltete, der alle Aufmerksamkeit in der Küche auf sich zog. Ganz wie Dobby befürchtet hatte, wurden Winkys Augen erst kullerrund, dann fingen ihre Ohren an zu zittern und schließlich schlug sie sich ängstlich die Hände vor den Mund.

»Dobby muss übergeschnappt sein«, quiekte Winky aufgeregt, fast schon flehentlich, aber freilich hörte er nicht auf sie, das tat er nie.

Der erste freie Hauself hatte seinen eigenen Kopf und wenn er sich eine Idee überlegt hatte, dann konnte nichts und niemand ihn aufhalten, schon gar nicht die stets besorgte Winky.

Sie sah aus, als wolle sie sich lieber noch ein Butterbier genehmigen. Immerhin redete sie sich oft genug ein, dass sie sich dann beruhigen würde. Die Wahrheit sah allerdings anders aus.

Energisch stemmte Dobby die Hände in die Hüfte. »Winky wird jetzt nicht wieder trinken!«, bestimmte er. »Wir Hauselfen werden einmal Spaß haben, jawohl! Und Albus Dumbledore hat es erlaubt, also kann Winky nicht böse sein.«

Sie konnte ja nichts dafür, aber ihre ewigen Jammereien gingen ihm so langsam gehörig auf die Nerven. Das war beinahe so schlimm wie Kreacher, der immerzu darüber meckerte, dass er nicht für diese niedere Arbeit gemacht sei und in einem fort den edlen Harry Potter beleidigte.

»Spaß haben?«, kreischte Winky leidvoll auf. »Winky wird nie wieder Spaß haben! Winky hat ihren Meister enttäuscht, Winky verdient keinen Spaß!«

Dobby ließ die Schultern hängen und tätschelte seiner unfreiwillig freien Kollegin mitfühlend den Arm. »Dobby sagt, dass jeder Hauself eine Weihnachtsfeier verdient hat. Auch Winky. Besonders Winky.«

Damit war das Thema für ihn erledigt, obwohl er genau sah, dass Winky später sehnsüchtig zu dem Kessel voller Butterbier sah. Zumindest passten die anderen Hauselfen mittlerweile auf und hielten sie zurück, bevor sie sich wieder betrinken konnte.

 

Der Festtag selber näherte sich schließlich mit großen Schritten und inzwischen war Dobby genauso müde wie alle anderen Hauselfen. In aufwändiger Kleinstarbeit wurden die letzten Gerichte für den Abend perfektioniert und da Dobby kaum geschlafen hatte – da war ja ein Baum im Weg – gähnte er ziemlich häufig. Die meisten der kleinen Schnätze, die er auf eine große rote Weihnachtstorte platzierte, waren eher oval geraten und als er sie mit einem Zauber zum Leben erwecken wollte, schlugen sie genauso müde mit den Zuckergussflügeln, wie er sich fühlte.

Die Arbeit mochte nicht allzu gelungen sein, aber schmecken würde sie. Er stellte sie direkt für die Feier beiseite und machte sich lieber daran, den übrigen Elfen zu helfen, die Dekorationen zum Leben zu erwecken. Darin war er deutlich gewandter. Es war einfach zu viel Spaß, die filigranen Kunstwerke aus Zucker oder Schokolade in Bewegung zu versetzen. Sobald sich ein hungriger Schüler die Sachen in den Mund schob, würde der Zauber zwar verfliegen, bis dahin war er aber hübsch anzusehen.

Am Abend waren alle Elfen zeitgleich auf den Beinen und befüllten genau nach Anweisung die vier Haustische, damit das Essen in die große Halle geschickt werden konnte. Als endlich die glänzenden Platten und Schüsseln voller Dessert nach oben entschwanden, machte sich tatsächlich Heiterkeit unter den Elfen breit. Sie hatten es geschafft, ein weiteres Festessen war gelungen.

Selbst der ewig grimmige Kreacher sah recht selbstzufrieden drein, als die Küchenchefs ihren fleißigen Kollegen anerkennend zunickten.

Endlich war Dobbys Moment gekommen. Er räusperte sich und kletterte auf einen kleinen Holzschemel. Unzählige große Augen wandten sich ihm beklommen zu.

»Liebe Hauselfen von Hogwarts, Dobby hat eine Ankündigung für euch!«, rief er mit magisch verstärkter Stimme, damit auch alle etwas mitbekamen.

Inzwischen war es so still in der Küche, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Nur Winkys leises Hicksen in einer der hintersten Ecken war vernehmbar.

»Nicht nur die Schüler und Lehrer im Schloss sollen feiern! Auch wir Hauselfen haben eine Weihnachtsfeier verdient, jawohl! Albus Dumbledore selber hat Dobby recht gegeben. Deshalb hat Dobby fleißig geplant, damit wir alle einen schönen Abend haben.«

Hunderte Augenpaare blinzelten ihn stumm an. Er hatte ja nicht mit großer Begeisterung gerechnet, doch ein bisschen mehr Enthusiasmus hatte er sich schon erhofft. Aber vielleicht lag es auch an der fehlenden Dekoration. Er schnipste stolz mit den Fingern und von einer auf die andere Sekunde erstrahlte die ganze Küche im festlichen Glanz, wenn man einmal von den dreckigen Kesseln mit Suppenresten absah.

Von der Decke baumelten die selbstgebastelten Kugeln voller Bilder und über allen Feuerstellen hingen hübsche Girlanden. Hagrids gewaltiger Weihnachtsbaum drängte sich in eine Ecke, wobei seine Spitze etwas abgeknickt wurde, doch das war nicht weiter schlimm. In einer anderen Ecke stand der Plattenspieler und dudelte ein fröhliches Weihnachtslied.

Zufrieden strahlte Dobby auf die Hauselfen herab, die sich ungläubig in ihrer Küche umsahen. Er hörte leise Stimmchen, die sich fragten, was hier vorging und erntete einige misstrauische Blicke. Zum Glück erschien jetzt Albus Dumbledore, der in eine festliche Robe gewandt war.

Augenblicklich breitete sich wieder gespannte Stille im Raum aus. Selbst wenn der Schulleiter freundlich zu ihnen herab lächelte, hatten doch alle Hauselfen höchsten Respekt vor ihm.

Wie er Dobby versprochen hatte, hielt Albus Dumbledore eine kurze Rede, in der er den Elfen für ihren unermüdlichen Einsatz dankte und betonte, dass er von ganzem Herzen wünschte, dass auch die Hauselfen einen wundervollen Festtag verbringen würden. Als kleines Geschenk – da er ihnen nichts von materiellem Wert geben konnte, ohne sie freizulassen oder zu beleidigen – versprach er allen einen zusätzlichen freien Tag.

Zunächst herrschte anhaltende Sprachlosigkeit unter den Hauselfen, doch da trat plötzlich der Konditorchef vor und applaudierte dem Schulleiter. Ihm taten es weitere Elfen nach und ehe Dobby sich versah, klatschten alle für Albus Dumbledore. Auch Kreacher, wie er zufrieden feststellte.

Der Schulleiter ließ mit einem Zauberstabschlenker das dreckige Geschirr aus der Küche verschwinden und stattdessen erschienen Kessel voller Punsch und allerhand Leckereien, die unter den Hauselfen beliebt waren, auf den vier Holztischen.

Es dauerte einen Moment, bis die Elfen sich herantrauten. Selbst nachdem Albus Dumbledore gegangen war, sahen sie sich noch misstrauisch um, als könnten sie ihr Glück gar nicht fassen.

Guten Mutes ging Dobby ihnen voran zum Buffet und schlug sich einen Teller voll mit allem, was er tragen konnte. Nach und nach trauten sich auch andere zum Essen und spätestens eine Stunde später sah man überall Hauselfen, die sich angeregt unterhielten, der Musik lauschten und es sich einmal so richtig gut gehen ließen.

Winky umklammerte nur ein Glas Punsch und über ihren Augen lag ein abwesender Glanz, doch sie weinte einmal nicht oder bedauerte ihr Schicksal. Als Dobby sich zu ihr gesellte, lächelte sie gar.

»Winky findet, das hat Dobby gut organisiert«, piepste sie schuldbewusst. »So einen schönen Abend hat Winky schon lange nicht mehr erlebt. Danke, Dobby.«

Dobby fühlte sich, als würde er um einen ganzen Meter in die Höhe wachsen. »Dobby ist es eine Freude, dieses Fest geplant zu haben! Und Dobby ist sehr froh, dass auch Winky glücklich ist.«

 

Für die Verhältnisse von Hogwarts war es vermutlich eine sehr ruhige Party. Es gab kein lautes Gejohle wie bei den geheimen Feiern im Gryffindorturm oder wummernde Musik wie bei den Hufflepuffs. Niemand bekam überhaupt mit, dass die Hauselfen in ihrer Küche eine Weihnachtsfeier abhielten. Doch Dobby war sich sicher, dass diese kleine Party erst ein Anfang war. Die Elfen würden sich schon daran gewöhnen, dass auch sie einmal fröhlich und ausgelassen sein durften.

Für nächstes Jahr, das nahm er sich fest vor, würde er versuchen, eine Wichtelaktion für die Elfen zu organisieren. Albus Dumbledore hatte ihm erzählt, dass sich das unter der Lehrendenschaft größter Beliebtheit erfreute und Dobby gefiel die Idee, dass er etwas Selbstgestricktes verschenken könnte.

Aber zumindest in diesem Jahr waren die Hauselfen noch nicht dafür bereit, an Geschenke zu denken. Das hätte sie zu sehr daran erinnert, freigelassen zu werden.

Dobby notierte seine Pläne feinsäuberlich auf einem Pergament, damit er ja nichts vergaß. Und zu seiner größten Überraschung war es Winky, die ihn verschüchtert fragte, ob sie im nächsten Jahr helfen könne, was er freudig bejahte. Wenn es nach ihm ging, dann würde diese Weihnachtsfeier eine neue Tradition in Hogwarts einläuten, die man auch in kommenden Generationen feiern würde. Bis alle seines Volkes frei sein würden und darüber hinaus.

Mehlmagie [Minerva McGonagall & Elphinstone Urquart]


 

Hogsmeade, 1983

Minerva McGonagall und Elphinstone Urquart

 

Backen ist kein Hexenwerk – zumindest was Minerva anbelangt. Ihr Vorhaben, Ingwerkekse für ihren Mann zu backen, schlägt jedenfalls ordentlich fehl, da hilft auch Zauberei nicht mehr. Zum Glück weiß Elphinstone Rat …

 

***

 

Wer hätte gedacht, dass Backen so schwer war. Am fehlenden Rezept konnte es nicht liegen und die Zutaten waren auch allesamt die Richtigen. Und dennoch gebärdete der Teig sich widerspenstig wie ein Bowtruckle, der seinen Heimatbaum gegen einen Holzfäller verteidigte. Wenn es denn wenigstens ein Teig wäre! Im jetzigen Zustand war vermutlich mehr Mehl in ihren Haaren gelandet als irgendwo sonst.

Nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal an diesem Tag war Minerva kurz davor, die mehlbestäubte Schande mit einem Schlenker ihres Zauberstabs verschwinden zu lassen. Das war zumindest etwas, was sie beherrschte. Ganz anders verhielt es sich offenbar mit dem Backen, ob nun auf magischem Weg oder Muggelart – sie hatte sich bereits an beidem versucht, mit Zauberei und Muskelschmalz. Das Ergebnis blieb das Gleiche. Eine Schande.

Frustriert wanderte ihr Blick durch die Küche ihres Cottages, die heute Morgen noch blitzblank gewesen war. Wie einige Spritzer klebrigen Teigs es bis an die Deckenlampe geschafft hatten, konnte sie sich bei bestem Willen nicht erklären. War es geschehen, nachdem sie vielleicht etwas zu energisch den Schneebesen verzaubert hatte? Oder doch erst, als sie ihn wütend in die Spüle geschleudert hatte, nachdem sie es ohne zaubern versucht hatte?

Wie auch immer, sie schämte sich für das Chaos, das sie zu verantworten hatte. Hätte das eines der Kinder aus dem Schloss verbrochen, sie würde ernstlich überlegen, demjenigen eine Standpauke zu halten. Ihre Hand schlich sich bereits zu ihrem Zauberstab, um das Elend zu beseitigen, da besann sie sich eines Besseren. Sie hatte sich schon ganz anderen Dingen gestellt – rasend schnellen Klatschern, kuschelbedürftigen Teufelsschlingen und todesfluchschwingenden Todessern –, da würde so eine harmlose und gänzlich banale Tätigkeit wie das Backen sie nicht in die Knie zwingen. Das wäre doch gelacht, wenn sie es nicht schaffen würde!

Statt also das ganze Chaos verschwinden zu lassen, griff sie ein weiteres Mal nach dem Mehl und versuchte zu retten, was zu retten war. Aber es schien, als hätte der Teig ein Eigenleben und egal, wie akkurat sie jeden Schritt dieses verfluchten Rezeptes befolgte, am Ende war es erneut eine undefinierbare Masse und irgendwie hatte es das Mehl schon wieder geschafft, sich überall hinzuverteilen. Bevorzugt in ihre Haare.

Unter leisen Verwünschungen ließ sie den Kopf in die Hände sinken – ein Fehler, denn an denen klebten Reste des Teiges. Eigentlich hatte sie seit Stunden fertig sein wollen, immerhin hatte sie einen ganzen Stapel Aufsätze zu benoten und dann war da noch ihre eigene Publikation für das Magazin Verwandlung heute, die geschrieben werden wollte.

Als sie diesen gar nicht mal so ehrgeizigen Plan gefasst hatte, war sie davon überzeugt gewesen, dass es nur ein, zwei Stunden dauern würde. In dem Rezept, das sie aus diesem grässlichen Magazin – der Hexenwoche – im Lehrerzimmer kopiert hatte, stand etwas von dreißig Minuten. Eine Zeitangabe, die sie offenbar verhöhnen sollte. Ein Blick auf die Uhr zeigte, dass sie seit viereinhalb Stunden in der Küche war.

Genervt fuhr sie sich über die Wangen, um die Spuren des Mehls zu tilgen. Sie würde niemals alles rechtzeitig schaffen. Ganz zu schweigen davon, dass ... – da hörte sie schon das Auflodern der Flohpulverflammen im Wohnzimmerkamin. Elphinstone bald zurück sein würde, beendete sie ihren Gedanken. Genau jetzt. Er hatte ihr gerade noch gefehlt.

»Verfluchter Drachenmist!«

Ehe sie ihren Zauberstab im Durcheinander aus Schüsseln, Zutaten und Teigresten entdecken konnte, spazierte ihr Ehemann schon in die Küche, noch im Reiseumhang und mit dem grün-silbernen Schal über den Schultern. Lange bevor er irgendetwas sagte, sah sie den Schalk in seinen grauen Augen aufblitzen. Amüsiert nahm er das Chaos in sich auf, von ihrem mehlbestäubten schwarzen Haar, das nun beinahe so weiß wie seines war, bis hin zu dem Teig an der Decke. Ein vorwitziges Lächeln umspielte seine Züge.

»Sind Trolle in unsere Küche eingefallen oder was ist hier passiert?«

Seufzend versuchte Minerva wenigstens einen Rest Würde zu bewahren und rubbelte die Rückstände klebrigen Teigs von ihren Fingern. »Es war nur ein ... Experiment«, grummelte sie unwirsch. »Vergiss es einfach.« Sie zog den Zauberstab zwischen zwei Schüsseln hervor, dieses Mal wirklich drauf und dran, das Chaos zu beseitigen.

Doch Elphinstone blieb nicht im Türrahmen, sondern wagte sich in die Küche vor, einen neugierigen und gleichermaßen vorsichtigen Blick in Richtung des Teigklumpens auf der Anrichte gerichtet. »Hmm, rieche ich da etwa Ingwer in diesem Experiment?« Ohne ihre Antwort abzuwarten, streckte er einen Finger in den Teig, nur um kurz darauf das Gesicht zu verziehen, als hätte er eine der besonders ekelhaften Bertie Botts Bohnen erwischt. »Ouh, Merlin. Das ist etwas viel ... Salz?«

Unglücklich trommelte Minerva mit dem Zauberstab auf die Tischkante. »Jaja, es schmeckt scheußlich, ich weiß.«

»Also sollte es tatsächlich essbar werden?«

Sie rollte mit den Augen. »Es ist jedenfalls nicht meine neuste Verwandlungsforschung. Wenn du es genau wissen willst, es sollten Kekse werden. Einfach nur verfluchte Kekse.«

»Was du nicht sagst.« Ihr Mann lachte leise. »Ich kenne mich mit verfluchten Keksen nicht aus, aber vermutlich muss das so. Welche unglückliche Person willst du denn damit bestrafen? Hoffentlich nicht mich! Ich habe wirklich lange keine gefährliche Pflanze mehr mit nach Hause gebracht. Oder hast du etwa die Tentacula im Schuppen entdeckt?«

Ihre Augen wurden schmal. »Bitte was ist in unserem Schuppen?«

»Äh ... nichts?« Abwehrend hob Elphinstone die Hände. »Zurück zu deinen verfluchten Keksen! Muss ich mir Sorgen machen, dass ich davon probiert habe?«

»Nein, musst du nicht«, stellte sie barsch fest. »Zumindest waren meine Zutaten nicht giftig, als ich sie das letzte Mal gesehen habe. Anders als dein kleines Geheimnis in unserem Schuppen!«

Die ganze Angelegenheit war ihr peinlich genug und sie wünschte, Elphinstone wäre ausgerechnet heute nicht so pünktlich nach Hause gekommen. Warum gab es eigentlich nie einen Notfall im Ministerium, für das er seit seiner Pensionierung den Berater spielte, wenn sie es gebrauchen konnte? Sonst meldete sich der Minister immer mit irgendwelchen dringenden Problemen an ihren freien Tagen.

»Ich vergesse das gefährliche Gewächs in unserem Schuppen und du vergisst die Kekse«, forderte sie.

Auch wenn sie nicht wirklich vorhatte, die Tentacula zu dulden. Sie würde Pomona Sprout fragen, ob sie die Pflanze abholen käme. Die Teufelsschlinge in seinem Arbeitszimmer – schön und gut. Aber alles, was darüber hinausging, war entschieden zu viel der Liebe für magische Gewächse. Abgesehen davon, dass ihr ganzer Garten bereits voll war mit allerhand kuriosem Grünzeug.

Ihr Mann sah sehr versucht aus, auf den Handel einzugehen. Trotzdem musterte er das teiggewordene Elend mit einigem Bedauern.

»Ratze-«, setzte Minerva schon zu einem Reinigungszauber an, da legte Elphinstone seine Hand beschwichtigend auf die ihre.

»Min, nicht.«

Sie warf ihm einen bösen Blick über den Küchentisch hinweg zu, aber das ließ ihn nicht beirren. Stattdessen umrundete er den Tisch und zog ihr sanft, doch bestimmt, den Zauberstab aus der Hand.

»Du magst es vielleicht nicht glauben, aber es ist hin und wieder ganz charmant, wenn dir etwas nicht auf Anhieb gelingt«, sagte er mit einem Zwinkern und pustete ihr ein wenig Mehlstaub von der Stirn, ehe er ihr einen sachten Kuss aufdrückte. »Es reicht doch, wenn du ein Genie in Verwandlungskünsten bist, eine hervorragende Duellantin und darüber hinaus auch noch eine fähige Quidditchspielerin. Irgendwas muss auch einer bewundernswerten Person wie dir mal misslingen.«

Leider vermochten seine Worte es nicht, den Ärger, der in ihr herauf quoll wie in einem überkochenden Zauberkessel, zu mildern. Sie hatte ihn überraschen wollen und kläglich versagt, das kratzte an ihrem Selbstbewusstsein.

»Ich verstehe einfach nicht, warum es nicht funktioniert hat. Ich habe mich an alles gehalten-«

»Und manchmal ist das Beste, was man tun kann, sich nicht ans Rezept zu halten. Vor allem wenn das nichts taugt.«

Unglücklich langte sie wieder nach ihrem Zauberstab, den er auf den Tresen gelegt hatte. »Ich hab jedenfalls genug von diesem verfluchten, stinkenden Drachenmist, der sich Keksteig nennen will«, schimpfte sie.

Erneut entzog Elphinstone ihr den Zauberstab, dieses Mal allerdings mit gerunzelter Stirn. »Minerva, was ist los? Wozu der ganze Aufstand? Das hat doch nichts mit der Tentacula zu tun, nehme ich an.«

»Nichts ist los«, würgte sie ihn unwirsch ab. »Lass mich aufräumen und dann können wir das Chaos einfach vergessen

In diesem Moment löste sich ein Stück Teig von der Decke und fiel platschend auf die Anrichte neben ihnen. Elphinstone biss sich zwar auf die Lippe, aber sie sah dennoch, wie seine Mundwinkel in die Höhe zuckten. »Ich weiß nicht, ob ich das vergessen kann. Oder will.«

»Sehr witzig.«

»Ehrlich gesagt schon.«

Sie konnte ihm einfach nicht böse sein. Wenn sie sich nicht so über sich selbst geärgert hätte, vielleicht hätte sie dann ebenfalls gelacht. Stattdessen aber überkam sie nur Resignation.

»Toll, dass du überrascht bist. Nur eigentlich sollte es eine schöne Überraschung werden!« Resolut entzog sie ihm ihren Zauberstab. »Ratze-«

Schon wieder kam es nicht dazu, dass sie endlich diese teiggewordene Schande aus ihrer Küche verbannen konnte, denn Elphinstone hielt sie mit einer sanften Geste zurück.

»Du hast wegen mir dieses Chaos veranstaltet? Als Überraschung?«

»Ja und jetzt lass mich endlich-«

»Aber warum? Habe ich den Anschein erweckt, dass ich so dringend unsere Küche renovieren möchte? Ich mag sie nämlich so, wie sie ist. Immerhin haben wir sie erst letztes Jahr eingerichtet.«

Die Antwortmöglichkeiten darauf waren vielfältig. Weil es bald Weihnachten war. Weil dieses Jahr alles anders war. Weil es ihr etwas bedeutete. Weil sie ihn liebte.

»Weil ein Weihnachten ohne die Kekse deiner Mutter nicht das gleiche wäre! Immerhin gehört das dazu, wie – wie der Weihnachtsbaum und sogar die grässlichen Lieder von Celestina Warbeck! Ich dachte, ich würde das hinkriegen, sie für dich zu backen. Jetzt, wo sie das nicht mehr ...«

Seine Züge glätteten sich. »Oh Min«, seufzte er leise, wie er es so oft tat, wenn sie wieder die Sturköpfigkeit eines Nifflers auf Goldsuche bewies.

Zum dritten Mal an diesem Tag entwendete er ihr den Zauberstab, ehe er sie an sich zog. Auf dem dunklen Stoff seines Umhangs hinterließ sie eine mehlige Spur, doch das schien ihn wenig zu interessieren.

»Ich kann dir gar nicht sagen, wie viel mir das bedeutet. Du hättest das nicht tun müssen, aber ich weiß deinen«, an dieser Stelle schmunzelte er, »vollen Einsatz sehr zu schätzen. Und meine liebe verstorbene Ma bestimmt auch.«

»Es ist ja eh nichts draus geworden«, murmelte sie beschämt gegen seine Brust. »Wenn überhaupt, dann ist eine Riesenenttäuschung.« Sie schrumpfte noch weiter in sich zusammen als ohnehin schon und sah damit ausnahmsweise einmal genauso klein wie ihr Mann aus.

»Gräm dich nicht. Meine Mutter hat ihr Keksgeheimnis immer gut behütet, bis ins Grab hinein. Eben weil es das Beste ist. Dabei bringt erst das richtige Rezept den Schnatzfang in Aussicht. Das konntest du ja nicht ahnen. Ich bin sicher, sonst wäre es besser gelaufen.«

»Deshalb habe ich ja nicht irgendein Rezept genommen, sondern eins aus einer großen, bekannten Zeitschrift! Ich habe es sicher zehn Mal gelesen, bevor ich auch nur angefangen habe. Es ist vielleicht nicht von deiner Mutter, aber zumindest besser als nichts. Dachte ich zumindest ...«

Innerlich verfluchte Minerva den Tag, an dem sie aus Langweile die Zeitung einer ihrer Kolleginnen aufgeschlagen hatte und das elende Rezept entdeckt hatte, das sie überhaupt erst auf diese Idee gebracht hatte. Sie hätte sich daran erinnern müssen, dass es nicht gut um ihre Backkünste bestellt war. Aber nein, ihr Tatendrang war mal wieder größer gewesen.

Elphinstone warf einen Blick hinüber auf den Pergamentfetzen mit dem duplizierten Rezept aus der Hexenwoche, den sie gegen einen der Küchenschränke geheftet hatte. »Über diese Zeitung hat meine Ma sich zurecht aufgeregt, denn bei deren Anweisungen könnte man meinen, sie haben Hagrid als Autor angestellt. Und selbst seine Felsenkekse sind manchmal noch besser als ... das.« Verschmitzt deutete er zu den kläglichen Teigresten an der Decke. »Mit dem richtigen Rezept wäre es bestimmt besser gelaufen, vertrau mir.«

Wenig überzeugt schnaubte Minerva auf. »Ja sicher, als wenn ich nicht eine Totalversagerin in der Küche wäre.«

»Und wenn schon – ich habe dich nicht aufgrund dieser nicht existenten Kochkünste geheiratet. Die Küche ist mein Territorium, darauf hatten wir uns doch geeinigt. Du zauberst wunderbar, nur eben nicht zwischen Herd und Kessel.«

»Schon, aber ich wollte ja auch nicht kochen, sondern backen. Das kannst du schließlich auch nicht.«

Elphinstone hob die Augenbrauen und schob die Hand mit ihrem Zauberstab drin hinter ihren Rücken. »Hey, wer sagt, dass ich nicht backen kann? Das ist eine wirklich gemeine Unterstellung!«

»Du hast es jedenfalls noch nie getan.«

»Richtig. Bisher hatte ich ja auch keinen Anlass. Und dennoch weiß ich, dass Zucker statt Salz in die Plätzchen gehört. Zumindest überwiegend. Eine Prise Salz kann den Geschmack heben. Wohl dosiert, will ich anmerken.«

Sie knuffte ihn in die Seite. »Lass uns einfach aufräumen, dann können wir diesen Abend noch sinnvoll nutzen.«

»Oooder ...« Er grinste verschmitzt. »Ich zeige dir, wie man backt, ohne die Deckenlampe zu dekorieren. Ich denke, meine Ma hätte nichts dagegen, wenn ich dir ihr Rezept anvertraue. Immerhin hat sie dir schon ihren hoffnungslosen einzigen Sohn anvertraut. Und der hat nicht vor, einfach so aufzugeben. Die Legende besagt, da ist er besonders gut drin.«

Minerva verzog das Gesicht. »Die Überraschung ist doch eh ruiniert, also brauchst du mir jetzt nicht mehr helfen«, grummelte sie unwirsch, obwohl sie das Gefühl überkam, dass ihre Mundwinkel nach oben wandern wollten.

Elphinstone konnte wirklich hartnäckig sein, damit hatte sie so ihre Erfahrung, nachdem es zahlreiche Heiratsanträge gebraucht hatte, bis sie in ihrer gemeinsamen Küche standen. Gerade das war ja so reizvoll an ihm.

»Nun«, sein Blick wanderte über das Chaos, »die Überraschung ist dir definitiv gelungen. Alles, was ich jetzt tue, ist meine Küche und meine Ehre als letzter Backprofi der Familie Urquart retten.«

Verstimmt kniff sie die Augen zu Schlitzen zusammen. Lange konnte sie ihm allerdings nicht grollen, da er ihr schon wieder amüsiert zuzwinkerte. Es war schließlich ihr Pech, dass sie ausgerechnet dem verflucht humorvollsten Slytherin auf diesem Planeten hatte verfallen müssen. Eine verbotene Kombination.

»Es ist aber nicht dasselbe, wenn du die Kekse jetzt selber backst!«, hielt sie dennoch trotzig dagegen. »Das ist ja nicht Sinn und Zweck meines Vorhabens gewesen.«

»Vielleicht nicht, aber es wäre schön, wenn wir es zusammen machen, Min. Deine Überraschung ist nicht so gelungen, wie du dir das vorgestellt hast, na und? Alleine der Fakt, dass du dir diese Gedanken gemacht hast, ist genug, damit ich mich besser fühle, obwohl es das erste Weihnachten ohne meine Mutter wird. Und wenn am Ende des Tages noch ein paar leckere Ingwerkekse dabei herausspringen, haben wir alle gewonnen.«

Er sah sie mit diesem sanften Lächeln an, bei dem sich unzählige feine Lachfältchen um seine Augen ausbreiteten und dem sie einfach nicht widerstehen konnte.

Versöhnlich lehnte sie sich vor und gab ihm einen kurzen Kuss. »Aber ich muss dich warnen, ich weiß nämlich wirklich nicht, wie der Teig an der Decke gelandet ist – und ich übernehme keine Verantwortung, dass es nicht noch einmal passiert, wenn du mich darauf loslässt. Ob mit oder ohne Zauberstab.«

»Nun, zum Glück kenne ich da ein einfaches Gegenmittel: In Deckung gehen.«

Beschwingt summend entledigte Elphinstone sich des mehlverstaubten Reiseumhangs und Schals, bevor er die Ärmel seines Hemdes geschäftsmäßig hochkrempelte. Insgeheim gefiel ihr dieser Anblick immer wieder besonders gut, bemerkte sie, während er sich das Chaos in seiner geliebten Küche genauer besah.

»Nun gut, das größte Geheimnis ist – lass den Zauberstab stecken. Das hat meine Ma schon immer gesagt. Zu viele Zauber verderben den Teig. Letztlich ist es dasselbe wie beim Zaubertränke brauen. Manche Dinge lassen sich besser mit Sorgfalt, denn mit Zauberei erledigen. Aber fürs Aufräumen greife ich ausnahmsweise noch mal drauf zurück. Sonst wäre das eine Aufgabe, die ich keinem Hauselfen dieser Welt wünschen würde.«

Klappernd hüpften die unzähligen dreckigen Schüsseln sowie Küchengeräte nacheinander in die Spüle und schrubbten sich unter dampfendem Wasser sauber. Derweil suchte Elphinstone sich die passenden Zutaten zusammen, warf einen erstaunten Blick in die Dose mit dem Mehl, dann auf seine verstaubte Ehefrau und zuckte schließlich mit den Schultern.

»Wird schon reichen«, murmelte er. »Also schön, das Rezept ist eigentlich ziemlich einfach. Fangen wir mit etwas Leichtem an – zuerst vermengen wir alle trockenen Zutaten – Mehl, Backpulver, Natron, die Gewürzmischung, etwas Zimt, den geriebenen Ingwer und eine Prise Salz – vorsichtig miteinander.«

»Und da geht’s meist schon schief«, seufzte Minerva. »Das Mehl hat die lästige Angewohnheit, überall zu landen.«

»Nur, wenn man es zu hektisch angeht. Deshalb sag ich ja – vorsichtig

Vollkommen routiniert maß er etwas von dem Mehl ab und reichte es ihr, damit sie es in eine der inzwischen abgetrockneten Schüsseln geben konnte. Und tatsächlich, unter seinem aufmunternden Blick schaffte sie es, sich zum ersten Mal an diesem Tag nicht in eine große Mehlwolke einzuhüllen.

Angesichts ihres erleichterten Ausdrucks lachte er leise, bevor er seine Erklärungen fortsetzte. Nach und nach landeten immer mehr Zutaten in der Schüssel, aber die große Katastrophe blieb aus.

Im Nachhinein war es Minerva unerklärlich, wie es überhaupt so schrecklich schief gehen konnte bei ihren Versuchen. Andererseits hatte sie nie viel Geduld für Haushaltszauber aufgebracht und als sie es auf nichtmagische Art versuchte, waren ihre Nerven längst zum Zerreißen gespannt gewesen, was der Angelegenheit nicht förderlich war.

Auch Butter und Zuckersirup, die Elphinstone auf dem Herd kurz schmolz, landeten ohne große Zwischenfälle neben einem Ei in der Schüssel und langsam wurde aus dem Teig – dieses Mal verdiente er die Bezeichnung – eine ansehnliche Masse, die ziemlich verführerisch duftete. Minerva knurrte der Magen angesichts der Verheißung auf ihre Lieblingsplätzchen.

»Kommen wir zum großen Geheimnis meiner Mutter – erstens darf man den Teig nicht zu lange rühren, dann werden die Kekse zu fest und zweitens: Ein wenig frischer Ingwer für das richtige Aroma. Zu guter Letzt fehlt natürlich die richtige Prise Zauber – ein klein wenig von Dr. Goobies Luftblasentrank gibt der Mischung genau die richtige Fluffigkeit und mit ein paar Spritzern konservierender Feenstaublösung haben wir noch die nächsten Wochen etwas von den besten Keksen der Welt. Das ist dann auch meist der Schritt, an dem man den Teig probieren sollte – also eigentlich muss. Ich würde sagen so ... die Hälfte davon. Anweisung von meiner Ma.«

Er grinste frech und lehnte sich erneut vor, um seinen Finger in die Schüssel zu stecken, die Minerva rasch aus seiner Reichweite zog.

»Du bist unmöglich.«

»Ja ja, das hatten wir alles schon«, entgegnete er achselzuckend. »Wie war das noch gleich? Unmöglich charmant, unmöglich dreist, unmöglich gutaussehend ... und deshalb hast du mich schließlich nach langer Probezeit geheiratet.«

Sie schenkte ihm einen Klaps auf die Hand mit dem teigigen Löffel. »Ich würde lieber sagen – trotzdem.«

Und schon hatte er es geschafft, heimlich doch einen Finger in die Teigmasse zu stecken. Provozierend wackelte er mit den Augenbrauen und kostete von dem erbeuteten Teig. Er seufzte auf. »Fantastisch! Ja, so sollte das schmecken. Garantiert fluchfrei, dafür aber nicht gerade dem Bauchumfang zuträglich.«

In Gedanken noch bei dem schrecklich salzigen Geschmack ihres vorigen Versuchs, tat Minerva es ihm nun doch gleich und versenkte ihren Finger ebenfalls im Keksteig. Von Salz war weit und breit keine Spur, obgleich sie nach Elphinstones Anleitung eine kleine Menge hinzugegeben hatte – die zugegeben deutlich geringer war als bei ihren anderen Experimenten. Kurzum: Es schmeckte hervorragend. Unter Umständen besser als die fertig gebackenen Kekse.

Elphinstone grinste bis über beide Ohren, sobald sie die Augen wieder öffnete, von denen sie gar nicht gemerkt hatte, dass sie diese genüsslich geschlossen hatte.

»Ich sag ja, ausgiebiges Probieren ist Pflicht für alle Backenden, egal ob Anfänger oder Profi! Das macht schließlich den Zauber aus.«

Ungewollt zuckten ihre Mundwinkel in die Höhe. Anstelle ihm eine Antwort zu geben, genehmigte sie sich gleich noch einen zweiten – und größeren – Klecks Teig.

»Hey, lass mir auch noch etwas übrig!«

Sie streckte ihm die Zunge entgegen. »Wer von uns beiden hat den Löffel in der Hand, hm?« Triumphierend schwenkte sie den großen Holzlöffel.

»Oh, wenn du das tust ...!«

Jetzt war es an ihr, ihn herausfordernd anzufunkeln. »Was dann?«

Sein Blick glitt durch die chaotische Küche, wo er an ihrer verhassten Mehldose hängen blieb. »Mhh ... Rache ist staubig.«

»Das würdest du nicht wagen! Immerhin wäre es das Ende für deine Kekse, wenn jetzt noch mehr Mehl darin landet!«

Er zog ihren Zauberstab von der Anrichte und drehte ihn durch die Finger. »Oh, bist du dir da sicher? Ich glaube, mich zu erinnern, dass du mich irgendwann mal einen verdammt guten Zauberer genannt hast. Ziemlich zielsicher, wenn ich da an diesen einen Dementoren denke ...«

Lange konnte er allerdings nicht vorschützen, es ernst zu meinen, bevor er lachen musste und sie gleich mit.

»Na gut, du hast Glück. Ich teile mit dir. Ausnahmsweise.« Minerva schob die Teigschüssel zurück auf die Anrichte.

Nachdem sie beide so viel von dem Teig genascht hatten, dass sie damit sicherlich ein ganzes Blech hätten füllen können, machten sie sich doch noch daran, kleine Kugeln zu formen und auf das Backblech zu drücken. Nicht zu fest, wie Elphinstone betonte, damit die Kekse im Inneren locker fluffig bleiben würden.

Inzwischen hatte auch etwas Mehl es in sein ergrautes Haar geschafft und verlieh ihm einen liebenswert chaotischen Anstrich. Eigentlich passten sein feines Arbeitshemd und die Anzughose überhaupt nicht in die unordentliche Küche, doch trotzdem erschien Minerva alles daran genau passend. Er gehörte einfach hierher, mit dem Teig an den Fingern und einem fröhlichen Lächeln auf den Lippen.

Zufrieden lehnte sie sich gegen die Kücheninsel und beobachtete ihren Mann dabei, wie er die letzten Kekse auf das Blech drückte. In jenem Moment war sie ein weiteres Mal besonders dankbar, dass der Krieg ein Ende gefunden hatte. Sonst hätte sie womöglich nie dieses einfache Glück genießen können, ihren Alltag mit ihm zu teilen. Immerhin hatten sie lange genug ihrer beider Leben riskiert; für das Ministerium, den Orden. Dabei hatten ihre Gefühle immer hinten angestanden, über ein Jahrzehnt.

Angst und Trauer waren ständige Begleiter gewesen. Auch heute noch schlichen sich hin und wieder Erinnerungen an Kämpfe, die viel zu knapp ausgegangen waren, in ihren Alltag. Manchmal sah sie Elphinstone an, nur um sich daran zu erinnern, wie sie ihn beinahe verloren hatte, und unsichtbare Seile schlangen sich um ihr Herz. Seitdem hielt sie jedes kleine Glück umso fester. So wie dieses hier. Der Abend, der so bescheiden angefangen hatte, wäre alleine genug, um einen gestaltlichen Patronus hervorzubringen, der es mit einem Dutzend Dementoren aufnehmen konnte.

Elphinstone warf ihr einen fragenden Blick zu, als er den Ofen öffnete und das Blech hineinschob. »Habe ich Teig im Gesicht oder warum siehst du mich so an?«

Sie umrundete die Kücheninsel, um ihm mit ihrem teigbedeckten Finger einen Stupser auf die Nase zu versetzen. »Jetzt schon.«

In seinen Augen funkelte es amüsiert. Die Arme um ihre Taille gelegt, zog er sie an sich und legte innig seine Lippen auf ihre. Der Kuss schmeckte nach dem Teig, von dem sie so reichlich genascht hatten. Er war vertraut und doch jedes Mal erneut aufregend.

»Danke, Min«, murmelte Elphinstone leise. »Danke für deine wundervolle und ganz unperfekte Weihnachtsüberraschung. Mit dir zu backen freut mich noch mehr als fertige Kekse. Und das sogar ganz ohne Unfälle! Ich glaube, wir haben das Rezept meiner Mutter ganz gut getroffen.«

Minerva legte die Arme hinter seinen Nacken und drückte ihre Stirn sacht gegen seine. »Eigentlich müsste ich dir danken, Phin. Immerhin hab ich alleine nur Chaos angerichtet. Aber jetzt weiß ich, wie man die besten Ingwerkekse auf der Welt backt.«

Er gluckste leise. »Ich mag das Chaos, was du anrichtest. Außerdem verlierst du jetzt das Recht, dich zu beschweren, wenn ich das nächste Mal wieder Erde im ganzen Wohnzimmer verteile, weil die fangzähnigen Geranien umgetopft werden müssen.«

Augenrollend schnaubte sie leise auf. »Das ist ja wohl etwas ganz anderes«, behauptete sie mit einem gutmütigen Lächeln. »Und glaub ja nicht, dass ich die Tentacula vergessen habe!«

»Na schön, ich hab’s versucht.«

Sanft zog er die einzelnen Haarnadeln aus ihrer mehlbestäubten Frisur, bis ihre dunklen Haare ihr in losen Wellen über die Schultern fielen. Er legte eine Hand an ihre Wange und streichelte zärtlich darüber. »Das Mehl steht dir. Vielleicht sollten wir öfter backen.«

»Tatsächlich wäre das schön«, erwiderte sie leise. »Auch wenn ich auf neuerliche Unfälle mit dem Mehl lieber verzichten würde.«

Er beugte sich vor und verschloss ihre Lippen in einem weiteren Kuss. Seine Finger flochten sich in ihr Haar, ebenso wie sie ihn mit der Hand an seinem Nacken näher an sich zog.

Irgendwo im Wohnzimmer drangen die Töne von einem Weihnachtslied Celestina Warbecks aus dem Radio, deren Kitsch sie überhaupt nicht leiden konnte, und langsam tanzte Elphinstone in kleinen Kreisen mit ihr durch die hoffnungslos chaotische Küche, zwischen Mehl, Magie und Ingwer. Der Duft von Plätzchen erfüllte den Raum und Minerva wusste – sie war zuhause.

Überraschungsgeschenk - Part II [Dudley Dursley]


 

Little Whinging, 2013

Dudley Dursley

 

Ausgerechnet kurz vor Weihnachten entdeckt Dudley, dass er die Magie längst nicht so weit hinter sich gelassen hat, wie erhofft, als seine dreijährige Tochter Dinge geschehen lässt, die eigentlich nicht möglich sein sollten.

Also fasst er den Entschluss, Harry um Hilfe zu fragen ...

 

***

 

Dudley überlegte einen ganzen Tag lang, was er seinem Cousin schreiben könnte. Insbesondere, wie er es so kurz fassen konnte, dass es auf die gewöhnliche Weihnachtskarte passen würde. Mit der Tür wollte er nicht ins Haus fallen.

‚Hey, weißt du, was lustig ist? Meine Tochter stellt verrückte Dinge aus dem Nichts an. So wie damals, als du diese Glasscheibe im Zoo hast verschwinden lassen. Kannst du mir nicht sagen, was ich jetzt tun soll?‘

Für diesen Text brauchte er Fingerspitzengefühl und darin war er schon immer denkbar schlecht gewesen. Er hatte es mehr mit simpler Direktheit. So hatte er auch Amelie kennengelernt, die beim Bäcker, bei dem er jeden Tag sein Mittagessen besorgt hatte, einen verzweifelten Räuber festgenommen hatte.

Dudley hatte dem Mann, der mit einer Spielzeugpistole herumgefuchtelt hatte, die Plastikwaffe aus den Händen geschlagen und in der Befragung von Amelie zu dem Vorfall war er offenbar so trocken gewesen, dass er ihr imponiert hatte. Zumindest erzählte sie das, wann immer sich die Gelegenheit bot.

Er hatte ihr seine Telefonnummer für die Akte gegeben und nachdem der Fall vor Gericht abgeschlossen war, hatte sie ihn doch tatsächlich gefragt, ob er mit ihr ausgehen würde. Zum ersten Mal seit einer langen Zeit war Dudley komplett sprachlos gewesen. Nicht nur, dass ihn noch nie eine Frau um ein Date gebeten hatte, auch ihre Zielstrebigkeit dabei hatte ihn wiederum beeindruckt. Amelie war keine Person, die herumdruckste oder beschämt errötete. Sie wusste, was sie wollte und deshalb hatte er sein Herz an sie verloren.

Während er so vor der leeren Weihnachtskarte saß, wünschte er sich, dass er sie um Rat bitten könnte. Schreiben, das lag ihr. Ihr würden bestimmt die passenden Worte einfallen, um Harry höflich, aber nicht zu forsch, nach einem Treffen zu fragen. Doch bevor er seine Frau in das Elend mit der magischen Welt einweihte, wollte er sicher sein, dass Emma wirklich eine Hexe war.

Seit dem Vorfall mit dem fliegenden Plüschlöwen hatte er seine Tochter genaustens beobachtet, aber keine weitere Magie bemerkt. Trotzdem ließ er sie nur ungern mit Amelie alleine. Er hatte es sogar auf sich genommen, mit der Kleinen zu ihrer Kindertanzgruppe zu gehen, obwohl er es reichlich langweilig fand, einem Haufen Dreijähriger zuzusehen, wie sie unkoordiniert im Kreis hüpften oder unbeholfen mit den Armen wedelten. Aber solange Emma dabei nicht die anderen Kinder zum Schweben brachte, war er gerne dazu bereit, am Rand zu sitzen.

Dudley seufzte und drehte den Kugelschreiber zwischen seinen Fingern. Er war dankbar dafür, nicht mit einer unpraktischen Feder schreiben zu müssen. Vermutlich würde ihm das antiquierte Schreibgerät nur abbrechen. Ehrlich, er verstand nicht, warum die Zauberer so ... umständlich waren. Ob er Emma wohl mit vernünftigen Stiften ausstatten dürfte, wenn sie schon die Zauberschule besuchen würde?

Schlussendlich entschied er sich dafür, es mit der Wahrheit zu versuchen, bevor seine Gedanken noch weiter abdrifteten. Immerhin schrieben er und Harry sich jedes Jahr eine Weihnachtskarte. Ganz so übel war ihr Verhältnis nicht mehr oder? Er kritzelte die übrigen Weihnachtsgrüße auf die Karte, bevor er darunter setzte:

 

Ich glaube, meine Tochter hat ebenfalls diese magische Gabe geerbt. Neulich hat sie Gegenstände fliegen gelassen. Du weißt, ich habe keine Ahnung von deiner Welt. Können wir uns vielleicht einmal treffen? Ich würde dir Emma gerne vorstellen.

 

In seiner Ungeduld bezahlte Dudley sogar den Aufpreis für den Eilversand und hoffte, dass Harrys Antwort ihn vor dem Weihnachtsfest erreichen würde. Da waren nämlich seine Eltern eingeladen und zum ersten Mal in seinem ganzen Leben fürchtete er sich ein wenig vor dieser Begegnung. Wenn Emma ausgerechnet in deren Beisein ihre Fähigkeiten demonstrieren würde, wäre Weihnachten gelaufen.

Nein, am liebsten wollte Dudley Amelie vorher einweihen, damit sie zusammen seine Eltern davon ablenken konnten, dass Emma vielleicht doch nicht so normal und entzückend war, wie seine Mutter stets behauptete. Sie war ganz närrisch nach ihrem Enkelkind und neigte dazu, die Kleine zu verhätscheln. Wann immer einer von ihnen nicht hinsah, hatte Emma schon wieder einen Lolli oder andere Süßigkeiten in der Hand. Vor allem Amelie nervte das kolossal.

 

Die kommenden Tage kam Dudley sich vor wie ein Wachhund. Er bat sogar seine Chefin, den Weihnachtsurlaub eine Woche vorzuziehen, damit er Emma daheim im Auge behalten konnte. Auf sonderbare Art erinnerte es ihn daran, wie sein Vater einst freigenommen hatte, um Harrys Einladung nach Hogwarts abzufangen. Verrückt, wie sich die Zeiten änderten.

Amelie schien sich über die neuen Höhen seines familiären Engagements sehr zu freuen und scherzte gar, dass er jetzt wohl bereit wäre für ein zweites Kind. Doch davon wollte Dudley nichts hören; nicht solange Emma jederzeit wieder zaubern konnte.

Er war sich nicht sicher, ob er insgeheim darauf hoffte, dass es noch einmal passieren würde. Einerseits war ihm klar, dass sein Leben deutlich einfacher bleiben würde, wenn seine Tochter auf die reguläre Oberschule gehen würde und irgendeinen durchschnittlichen Beruf erlernen würde. Andererseits hatte es etwas Aufregendes, diese fremde Welt, die seine Eltern ihm immer vorenthalten hatten. Sollte Emma tatsächlich ein Teil der magischen Gesellschaft werden, würde er vielleicht endlich begreifen, was dort vor sich ging.

Zu guter Letzt hatte er allerdings auch Angst. Den Krieg und das monatelange Versteckspiel hatte er nicht vergessen. Die Auroren, wie Harry sie genannt hatte, waren mit seiner Familie von Ort zu Ort gezogen. Nie hatten sie länger als wenige Wochen verweilt, bevor die Lage zu unsicher geworden war.

Insbesondere an Weihnachten, erinnerte Dudley sich, war ihnen keine Zeit geblieben für ein gemütliches Fest. Mehrere Male waren sie gemeinsam mit ihren Beschützern auf diese übelkeiterregende Art und Weise gereist, bei der sich der ganze Körper ins Nichts auflöste und wie durch einen engen Schlauch an den Zielort geschickt wurde. Er hasste das und wollte es nie wieder erleben, egal wie schnell man so an sein Ziel kam. Es war nicht ungefährlich, denn an jenem Weihnachtstag hatte er eine halbe Augenbraue zurückgelassen, die bis heute nicht richtig nachgewachsen war.

Dudley wollte nicht, dass Emma diese Dinge erleben würde. Aber so weit er wusste, war zumindest dieser Verrückte, der seinen Cousin damals gejagt hatte, im Krieg getötet worden und seitdem herrschte wohl Frieden. Wenn Harry sich meldete, würde er ihn in jedem Fall danach fragen.

Zu seiner Enttäuschung passierte die Tage hinüber nichts. Er baute einen zweiten Schneemann mit Emma im Garten, beobachtete sie dabei, wie sie versuchte, Schneebälle zu formen und ihn damit abzuwerfen, und er las ihr unzählige Geschichten aus ihrem Lieblingsweihnachtsbuch vor. Dudley bereute nicht, sich die Zeit genommen zu haben, doch er fragte sich, ob seine Nachricht an Harry nicht etwas übereilt gewesen war.

Die Antwort bekam er schließlich zwei Tage vor Weihnachten, als unerwartet das Telefon klingelte. Dudley rechnete mit vielem, aber nicht mit Harry. Es traf ihn vollkommen unvorbereitet, plötzlich die verzerrte Stimme seines Cousins zu hören.

Harry schlug ihm einen kleinen Laden in London vor, wo sie sich treffen könnten. Nach Little Whinging kommen wollte er nicht und Dudley konnte ihm das nicht einmal vorwerfen. An seiner Stelle wäre er wohl auch froh, weit weg von dem Ort zu sein.

Die Zugfahrt war ein wahres Spektakel für Emma. Sie klebte mit der Nase an der Scheibe und unterhielt das ganze Abteil mit ihren Ausrufen, wann immer sie ein Tier auf einer Weide sah. In London angekommen, war Dudley bereits völlig ausgelaugt, dabei stand ihm das Schlimmste noch bevor.

Der Laden, den sein Cousin ausgesucht hatte, war ein helles Café, das von außen vollkommen gewöhnlich anmutete. Kein komischer Zaubererladen, in dem alle mit Roben herumliefen. Dachte er zumindest. Als er eintrat und einer Bedienung sagte, dass der Tisch auf den Namen Potter reserviert war, führte diese ihn eine Treppe hinauf in ein Hinterzimmer, in dem Dudley zunächst die schwebende Weihnachtsdekoration auffiel.

Emma quietschte vergnügt und zeigte auf den verzauberten Schnee, der von der Decke fiel und sich über den Köpfen der Leute – in Roben! – einfach ins Nichts auflöste. »Papa, guck! Schnee! Will Schneemann bauen!«

Dudley seufzte ergeben und nahm die Kleine auf den Arm. »Em, wir können hier keinen Schneemann bauen«, erklärte er geduldig, während seine Tochter sich auf seinem Arm wand, um all die schwebenden Dekorationen anzusehen, die Dudley mit eisernem Willen ignorierte.

Das hatte sein Cousin doch mit voller Absicht getan! Warum hatten sie nicht einen normalen Laden besuchen können? Oder zumindest einen, wo nichts in der Luft schwebte? Skeptisch wich Dudley einem fliegenden Schlitten aus, der Emma zu einem Jauchzer animierte.

Harry saß bereits an dem Tisch, zu dem die Bedienung ihn führte. Am liebsten wäre Dudley stehengeblieben und hätte seinen Cousin einen Moment bloß angestarrt. Sie hatten sich lange nicht gesehen, mehrere Jahre. Das Erste, was Dudley auffiel, waren die Haare, die immer noch so unordentlich wie früher waren, und die Brille mit den runden Gläsern. Aber er war erwachsen geworden, genauso wie Dudley. Und er hatte seine Tochter dabei, ein kleines Mädchen, das nur wenig älter als Emma erschien. Sie sah ihm mit ihren roten Haaren kaum ähnlich.

Betreten verlangsamten sich Dudleys Schritte, bis Harry ihn schließlich erspähte. Für einen unangenehm langen Moment sahen sie einander einfach stumm an, ehe Dudley ein ungelenkes »Hey« hervorbrachte.

Sein Cousin nickte ihm zu. »Hallo Big D.«

Der alte Spitzname entlockte Dudley ein halb amüsiertes Schnauben. »So hat mich schon lange niemand mehr genannt.«

Harry grinste leicht. »Tja, ich habe das nicht vergessen.« Sein Blick wanderte zu Emma. »Das ist also deine Tochter?«

»Ja. Das ist Emma.« Die Aufmerksamkeit der Kleinen haftete immer noch auf dem fliegenden Weihnachtsschlitten, selbst als Dudley sie auf einem Stuhl absetzte.

»Meine Rückendeckung heißt Lily«, erklärte Harry und deutete auf das rothaarige Mädchen neben ihm, das artig eine Hand hob und Dudley zuwinkte. »Allzu weit sind sie ja nicht auseinander oder? Lily ist jetzt viereinhalb.«

»Emma ist drei.«

»Mh.«

Schweigen stellte sich ein. Nervös sah Dudley auf die Karte hinab, die vor ihm lag. Gab es in diesem Laden überhaupt etwas Gewöhnliches zu essen? Was aßen Zauberer eigentlich? Binnen Sekunden drängten sich ihm zig Fragen auf, über die er nie zuvor nachgedacht hatte.

Doch ein Blick auf die Karte ernüchterte ihn – es gab nichts, was es nicht auch in einem normalen Café gegeben hätte. Er bestellte sich einen schlichten Kaffee und einen Apfelsaft für Emma, dann sah er vorsichtig wieder zu Harry hinüber.

»Also ähm ... wie geht’s dir und deiner Frau?«

»Gut. Wirklich ... gut. Und euch?«

»Auch. Was macht der Job?«

»Kann nicht klagen. Gut zu tun. Und bei dir?«

»Ja, ebenso. Aber jetzt ist Urlaub.«

Der Kaffee kam und Dudley schlang seine großen Hände haltsuchend um die heiße Tasse. Emma tat sich schon deutlich leichter als er, sie erzählte Lily bereits irgendeine Geschichte von fliegenden Löwen – und erinnerte Dudley daran, weshalb er hier war.

»Du glaubst also, dass sie zaubern kann«, kam Harry unverwandt auf das Thema zu sprechen.

»Ja, schon.« Dudley erzählte ihm alles, von den verbogenen und abgebrochenen Löffeln zu dem fliegenden Stofflöwen. »Ich weiß, was ich gesehen habe«, endete er schließlich matt. »Das war nicht normal.«

»Hmm«, brummte Harry nur und nahm einen Schluck von seinem eigenen Kaffee. »Normal ist ohnehin ein komisches Wort. Was ist schon ‚normal‘? Es wäre auf jeden Fall ein seltener Zufall, wenn Emma diese Gabe hat. Aber nicht undenkbar, immerhin war meine Mutter ebenfalls eine Hexe. Möglich, dass gewisse Gene in der Familie weitergegeben wurden, auch wenn deine Mutter selber nicht zaubern kann.«

»Also ... gibt es einen Test oder so?«

Harry schüttelte den Kopf. »Nein. Es gibt ein magisches Register, das jedes Jahr die Namen der Kinder auflistet, die des Zauberns mächtig sind, damit diese eine Einladung nach Hogwarts bekommen. Die meisten ‚Tests‘ zur Bestimmung der magischen Fähigkeiten sind ausgemachter Humbug. Aber wenn das, was du erzählst, stimmt, dann ...« Er deutete einen Zauberstabschlenker mit der Hand an, »hast du wohl recht und deine Tochter ist eine Hexe.«

Dudley stierte einen Moment in die Tiefen seiner Tasse. »Aber ... was mache ich jetzt? Irgendwas muss man doch tun können!«

»Nun, ja ...« Sein Cousin schnitt eine Grimasse. »Als Muggel kannst du nicht wirklich etwas ausrichten, fürchte ich. Konnten deine Eltern auch nicht.«

Irgendwie hatte er das ja befürchtet, doch trotzdem war die Wahrheit ein harter Schlag. Dudley musterte Emma, die völlig glücklich mit Lily eine Runde ‚Ich sehe was, was du nicht siehst‘ zu spielen schien.

»Wie – wie macht ihr das mit euren Kindern? Ist es einfach ... egal?«

»Nein.« Harry lächelte kaum merklich. »Hin und wieder halten sie uns ordentlich auf Trab. Aber wir haben unsere Wege, manche Dinge wieder ungeschehen zu machen.« Er hob entschuldigend die Schultern.

»Verstehe.« Dudley nahm einen Schluck Kaffee, während seine Gedanken durcheinanderpurzelten. Das war nicht unbedingt, was er sich erhofft hatte. In den letzten Tagen bis zu dem Treffen hatte er wirklich darauf gehofft, dass er zumindest Gewissheit erhalten würde. Oder vielleicht irgendein Mittel, das verhinderte, dass Emma demnächst vor allen Augen etwas fliegen ließ.

Schweigen breitete sich erneut am Tisch aus. Harry sah genauso wie Dudley in seine Kaffeetasse hinab und schien eigenen Gedanken nachzuhängen. Unvermittelt fragte Dudley sich, ob er wohl daran dachte, wie erbost seine Eltern gewesen waren, als Harry die Einladung in diese Zauberschule bekommen hatte. Ein klein hatte er damals Neid empfunden, denn irgendwo war die Vorstellung schon cool, Dinge fliegen zu lassen oder andere zu verzaubern.

»Papaaa«, durchbrach Emma quengelnd seine Überlegungen, »Papaaa, langweilig!« Sie zupfte an seinem Ärmel und sah ihn aus Hundeaugen an.

Harrys Tochter hingegen saß immer noch artig an ihrem Platz, auch wenn die Langeweile ihr ebenso ins Gesicht geschrieben stand.

»Em, jetzt nicht. Du siehst doch, dass Papa sich gerade unterhält. Sei lieb, ja?«

Ihm entging nicht, dass sein Cousin nun noch breiter lächelte. Vermutlich empfand er es als gerechte Ironie des Schicksals, dass Dudley so eine widerspenstige Tochter hatte. Ihm kamen wieder die ganzen Ungerechtigkeiten Harry gegenüber in den Sinn, an die er in den letzten Tagen so oft gedacht hatte. Auch ein weiterer Schluck Kaffee spülte diese bitteren Gedanken nicht fort.

»Papaaa«, schimpfte Emma weiterhin, »das schmeckt nicht!« Sie hatte ihre kleinen Arme vor der Brust gekreuzt und sah böse auf ihren Apfelsaft. »Ich will Kakao!«

Harry grinste inzwischen regelrecht. Kein Wunder, seine Tochter benahm sich vorbildlich.

»Nein Emma, du hattest schon heute Morgen Kakao. Entweder, du trinkst deinen Apfelsaft oder nichts.«

Dudley sah seinen Cousin entschuldigend an. »Verzeih ... sie hat ihren eigenen Kopf. Ich weiß, was du denkst, aber das hat sie auch von ihrer Mutter.«

»Jaaah«, meinte Harry leichthin, »ich glaube auch, sie kommt ganz nach der Mutter.«

Etwas an seinem Tonfall brachte Dudley zum Schmunzeln. »Okay, vermutlich hat sie auch viel von mir. Das mit dem Zaubern anscheinend irgendwie ...«

Er seufzte. Vielleicht war es zumindest an der Zeit für eine Entschuldigung. Doch bevor er etwas sagen konnte, gab Harrys Tochter ein verdächtig schadenfrohes Kichern von sich. Irritiert wanderte Dudleys Blick über den Tisch, nur um festzustellen, dass Emma nicht länger vor ihrem Glas Apfelsaft schmollte, sondern jetzt einen Kakao schlürfte.

Weder er noch Harry sagten etwas. Beide starrten nur das kleine Mädchen an, das völlig ungerührt ihr Glas absetzte, einen richtigen Kakaobart im Gesicht. »Lecker!«, verkündete sie selbstzufrieden.

Harrys Augenbrauen wanderten in die Höhe. »Oh verflucht, du hast wirklich recht mit dem Zaubern!«

»Was meinst du, warum ich dir geschrieben habe? Ich weiß genauso gut wie du, dass wir beide uns nicht treffen wollten. Eine Karte zu Weihnachten, das war der Deal. Damit sind wir gut gefahren. Wenn es nicht wegen Emma wäre, hätte ich dich nicht um ein Treffen gebeten. Mir fällt das alles hier«, Dudley deutete auf die schwebende Weihnachtsdekoration, »sicher nicht einfach. Es ist einfach ... unglaublich. Mein ganzes Leben lang hat man mir erzählt, dass ich hiervor Angst haben muss! Glaub mir, ich wäre wirklich gerne woanders in diesem Moment.«

Schwer atmend wandte Dudley den Blick zu Emma, die ihn besorgt aus ihren großen Augen ansah. Er lächelte ihr zu und strich ihr über die Locken. Schon strahlte sie wieder und trank einen weiteren Schluck aus ihrem Kakaoglas, das sie eigentlich nicht haben sollte.

Sein Cousin nahm einen langen und tiefen Atemzug. »Hast du denn Angst davor?«

Dudley zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Alles, woran ich denken muss, sind die Monate, in denen wir vor einem irren Zauberer geflohen sind, einmal quer durchs Land. Wer sagt mir, dass so etwas nicht noch einmal passiert? Ja, wahrscheinlich habe ich Angst, dass Emma in so einen Krieg hineingezogen werden könnte.«

»Ich glaube, davor hätte jeder Angst. Aber was ist mit ...«, jetzt war es an Harry, zu der Dekoration zu deuten, »mit diesen Dingen. Harmlosen Zaubereien? Ich meine ... deine Eltern-«

»Schon gut«, unterband Dudley seine Erklärungen. »Nein, davor habe ich keine Angst – mehr.«

Harry nickte erneut. Er sah zu den beiden Kindern, dann wieder zu Dudley. »Es tut mir leid, dass ich dir nicht wirklich helfen kann. Ich würde es nämlich wirklich gerne tun. Aber ich kann dir nur anbieten, dass ich von meiner Welt erzähle. Was auf euch – Emma – zukommen wird. Wie heißt es noch – Vorbereitung ist die halbe Miete?«

Dankbar nickte Dudley. »Das würde mir sehr helfen. Aber vorher muss ich noch etwas loswerden, denke ich. Also, was die Sache mit meinen Eltern und überhaupt alles angeht ...« Er sah an Harry vorbei auf den fallenden magischen Schnee. »Ich bin dir eine Entschuldigung schuldig. Für ... einfach alles.« Sein Blick wanderte zurück zu seinem Cousin und er sah ihm fest in die Augen. »Es tut mir wirklich leid, wie ich zu dir war. Ich war ein furchtbares Kind und ein noch viel schlimmerer Cousin. Ich kann sicher nicht ungeschehen machen, was ich oder meine Eltern falsch gemacht haben, aber ich will zumindest, dass Emma eine faire Chance hat. Sie kann nichts dafür.«

Hastig sah Dudley wieder fort, zu dem Weihnachtsmannschlitten über ihren Köpfen. Die Worte waren nicht so herausgekommen, wie er sich das erhofft hatte, und nun hing seine gestammelte Entschuldigung in all ihrer Seltsamkeit zwischen ihnen in der Luft wie eine traurige Regenwolke inmitten all des zauberhaften Schnees.

Bedächtig räusperte Harry sich. Er sah Dudley ebenso wenig an. »Danke«, sagte er unerwartet leise. »Du hast recht, das macht es nicht ungeschehen, aber trotzdem ... besser. Ich weiß nicht, ob ich deinen Eltern je vergeben kann, doch du warst auch nur ein Kind. Wir sollten versuchen, es besser zu machen. Mindestens Emma zuliebe.«

Erleichterung, die sich dennoch recht unverdient anfühlte, durchflutete Dudley. Ein aufrichtiges Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Klingt gut. Also, Harry, ich würde wirklich gerne mehr von der magischen Welt erfahren.«

Sie blieben noch Stunden in dem Londoner Café, bis die Sonne sich wieder dem Horizont näherte. Während Harry Dudley in die Geheimnisse seiner Welt einweihte und ausschweifend von dem Zauberinternat Hogwarts erzählte (alleine die Erwähnungen von verbotenen Wäldern, sich bewegenden Treppen und Geistern verursachten bei Dudley einen Schweißausbruch), freundete Emma sich zusehends mit Lily an.

Die beiden Mädchen tauschten einträglich Geschichten aus ihren jeweiligen Kindergärten aus und ihre Väter stellten fest, dass manche Dinge wohl in allen Internaten gleich waren. Auch wenn Dudley insgeheim froh war, dass er auf dem Weg zu den Klassenzimmern nicht hatte fürchten müssen, mit dem Bein in einer Trickstufe hängen zu bleiben. Oder das Passwort für den Gemeinschaftsraum zu vergessen. Das wäre ihm bestimmt passiert.

Hoffentlich kam Emma in der Hinsicht mehr nach ihrer Mutter. Vielleicht würde sie aber auch besser in ein anderes Haus passen. Hufflepuff hörte sich nett an, fand Dudley. In der Nähe der Küchen würde seine Tochter sicher glücklich werden. Letztlich war es ihm jedoch egal, solange sie gut aufgehoben sein würde.

Am Ende des Treffens schwirrte ihm der Kopf von all den unglaublichen Sachen, die Harry ihm erzählt hatte. In manchen Teilen hatte er seine Ängste beruhigt, dafür hatte Dudley jetzt hunderte neue Sorgen, was Emma alles drohen könnte. Er hatte keine Illusionen, die magische Welt war garantiert nicht ungefährlich. Die ganzen Dinge, die offenbar mit Zaubertränken passieren konnten (angeschwollene Gliedmaßen beispielsweise), waren ihm jedenfalls nicht geheuer. Wobei man mit gewissen Laugen im Labor, wo er arbeitete, natürlich genauso vorsichtig umgehen musste. Aber da waren immerhin keine Elfjährigen anwesend ...

Emma schlief auf der Rückfahrt erschöpft ein und so hatte Dudley genug Zeit, seinen Gedanken nachzuhängen. Was immer kommen würde – für seine Tochter wollte er nur das Beste. Wehmütig sah er zu ihr hinab, wie sie den Kopf gegen seinen Arm gelehnt hatte und selig träumte. Vermutlich hatte er dieses Weihnachten ein eher unerfreuliches Geschenk für seine Eltern.

 

Am Vorabend des Weihnachtsfestes hatte Dudley immer noch keinen Moment gefunden, um Amelie in sein – und Emmas – Geheimnis einzuweihen. Er hatte es versucht, doch nachdem sie unerwartet aus ihrem Urlaub gerissen worden war, um auf dem Revier auszuhelfen, da es einen bewaffneten Überfall auf eine Tankstelle gegeben hatte, wollte er sie nicht zusätzlich belasten. Also wartete er auf eine neue Chance, die sich nicht ergab.

Inzwischen hatten sie den Weihnachtsbaum im Wohnzimmer aufgestellt und umgeben von allerhand Pappkartons voller Dekoration diskutierten sie darüber, welche Farbe in diesem Jahr vorherrschen sollte. Dudley gefiel das klassische Rot, denn so war es daheim immer gewesen, Amelie hingegen mochte Blau lieber. Emma entschied schließlich, dass Bunt genau die richtige Kombination war, indem sie wahllos hübsche Anhänger aus den Kartons pflückte und an die untersten Zweige hängte, bis diese sich dem Boden entgegen bogen.

»Ach Em«, schmunzelte Amelie, »ein paar Sachen müssen auch noch für oben übrig bleiben, meinst du nicht?«

»Aber Mama, ich komm‘ da nicht an«, beschwerte Emma sich. »Aber ich will auch schmücken!«

»Ich kann dir helfen und ein paar Sachen an die Zweige ganz oben hängen. Mama ist ja schon groß.«

Emma zog die Augenbrauen kritisch zusammen. »Nein, ich will das machen!«

Amelie seufzte und warf Dudley einen Blick von der Sorte ‚Warum haben wir uns das nur angetan?‘ zu. Amüsiert schüttelte er den Kopf mit einem ‚Ich weiß es doch auch nicht, aber ich liebe sie‘ Ausdruck im Gesicht.

Eine Weile lang stellte sich Emma stur, bis sie sich schließlich von Dudley auf den Arm nehmen ließ, um ein paar Sterne auf die oberen Zweige zu hängen. Nur die goldenen Glaskugeln wollte Amelie ihrer Tochter nicht geben. Immerhin hatte die Kleine so schon genug damit zu kämpfen, die Schlaufen über die Äste voller Tannennadeln zu schieben.

Beleidigt kreuzte Emma mal wieder die Arme vor der Brust und meckerte darüber, dass sie ja auch schon groß sei. Doch Amelie blieb eisern und stellte den ganzen Karton mit den Glaskugeln auf einen hohen Schrank, weiter außer Reichweite ihrer Tochter.

Im Nachhinein hätte Dudley es kommen sehen sollen. Er kannte Emma schließlich zu gut. Aber vielleicht hatte er sich noch nicht an den Gedanken gewöhnt, dass sie kein normales Kind war. Als die erste Weihnachtsbaumkugel sich hinter Amelies Rücken aus dem Karton erhob, klappte ihm jedenfalls die Kinnlade herunter.

»Ah, Schatz, was hältst du von, ähm ...«, er griff sich hastig einen hässlichen Schneemannanhänger, den seine Mutter irgendwann mal angeschleppt hatte, »dem hier?«

Ganz wie bei ihrer Tochter, zogen sich auch Amelies Augenbrauen kritisch zusammen. »Dud, das ist nicht dein Ernst oder? Das Ding? Das ist potthässlich!«

Wenigstens bemerkte sie so nicht, dass hinter ihr eine Dreierkette aus goldenen Kugeln in Richtung Baum schwebte. Dudley warf einen schnellen Blick zu Emma, die mit grimmigem Ausdruck auf dem Boden zwischen den Kartons saß, ihre Augen unverwandt auf den Baumschmuck gerichtet. Offenbar wusste sie genau, was sie tat.

Er warf den grässlichen Schneemann zurück in den Karton und überlegte fieberhaft, wie er Amelie am besten von der Zauberei ablenkte. Sie musste ja nicht gleich einen Herzinfarkt bekommen, wenn sie das erste Mal von Emmas Fähigkeiten erfuhr. Es würde hoffentlich einen schonenderen Weg geben, ihr davon zu erzählen.

Doch Amelie war vollauf konzentriert, den Baum zu schmücken. Während Dudley sie halbherzig zu verschiedenen geschmacklosen Dekoobjekten befragte, sah sie immer seltener zu ihm, bis sie genervt stöhnte.

»Dud, was ist denn los mit dir? Kannst du mal aufhören, jedes einzelne schreckliche Ding herauszusuchen, das irgendwer uns mal vor Jahren aufs Auge gedrückt hat? Du weißt doch genau, dass ich die Dinger nicht ausstehen kann!«

Sie stemmte die Hände in die Hüften und funkelte ihn an. So entging ihr, wie die schwebenden Baumkugeln hinter ihr klirrend gegeneinanderstießen. Trotz aller Bemühungen schien Emmas Magie auch ihre Grenzen zu kennen.

Rasch schüttelte Dudley seine Verwunderung über die Erscheinung ab. »Tut mir leid, Amelie. Ich wollte dich nur an die ganze schöne Deko erinnern, die wir so angesammelt haben. Vielleicht sollten wir mal ausmisten.«

»Ja, den Eindruck habe ich auch.«

Schon wandte sie sich zurück zum Baum, der just in diesem Moment von drei schwebenden Glaskugeln attackiert wurde. Sie riss die Augen auf wie ein Reh im Scheinwerferlicht.

»Dudley?«, rief sie schrill. »Dud, siehst du das?«

Für den Bruchteil einer Sekunde überlegte er, ob er sich dumm stellen sollte. Doch zu spät, denn es war offensichtlich, dass die Kugeln schwebten.

»Sag mir, dass ich nicht spinne«, hauchte Amelie und stolperte ein paar Schritte vom Weihnachtsbaum zurück. Mit zittriger Hand zog sie ihr Handy aus der Hosentasche und bevor Dudley überhaupt irgendwas erklären konnte, drückte sie den Aufnahmeknopf.

»Ah, Schatz ...«, stammelte er verlegen. »Ich sehe es auch.«

»Sie fliegen Dud! Sie fliegen! Das ist wie die Sache mit den Löffeln!«

Emma am Boden gluckste vergnügt. »Ich kann auch Baum schmücken«, verkündete sie. »Guck Mama!«

»Emma?«, kiekste Amelie noch schriller. »Schätzchen, was machst du da?« Sie hielt weiterhin das Handy hoch und filmte das vorweihnachtliche, magische Chaos.

Bestimmt legte Dudley seiner Frau eine Hand auf die Schulter. »Amelie, es ist in Ordnung.«

»In Ordnung?« Amelies Stimme drang in ungeahnte Höhen vor. »Sie schweben, Dud!«

»Ich weiß. Sie schweben.«

Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, ertönte ein Klirren vom Weihnachtsbaum. Anstelle der schwebenden Kugeln gab es nur noch einen Haufen goldener Scherben zu bewundern. Emma hatte sich ihren Eltern zugewandt und sah sie verschreckt an, die Augen voller Tränen.

Genau das, was Dudley nicht gewollt hatte. Er wollte es doch besser machen als seine Eltern!

Amelie war schneller als er. Sie beugte sich zu ihrer Tochter und streichelte ihr besorgt übers Haar. »Em, Schätzchen, alles in Ordnung?«

»Nicht streiten«, schniefte die Kleine.

Rasch schüttelte seine Frau den Kopf. »Nein, alles gut. Mama und Papa streiten nicht.« Sie drückte Emma einen Kuss auf die Stirn. »Ich habe mich nur erschrocken, Schätzchen.«

In der Zwischenzeit kehrte Dudley die Scherben von Emmas Zaubertrick zusammen. Amelie brachte ihre Tochter hinauf in ihr Zimmer, bevor sie resolut Dudley am Arm packte und hinter sich her in die Abstellkammer zog. Der Raum war der ideale Ort im Haus, um eben doch zu streiten, die Erfahrung hatten sie bereits gemacht. Weit weg von Emmas Zimmer, sodass sie garantiert nichts mitbekommen würde.

Aber Amelie seufzte nur. Sie bedachte Dudley mit einem scharfen Blick, der einer Richterin alle Ehre machte. Er fühlte sich wie auf der Anklagebank (auch wenn er damit keine echte Erfahrung hatte) und seine massige Erscheinung schrumpfte in sich zusammen, bildlich gesprochen.

»Warum haben die Christbaumkugeln plötzlich das Fliegen gelernt?«, war die erste Frage, die seiner Frau über die Lippen kam. Kein allgemeines Wundern, kein Anzweifeln dessen, was sie gesehen hatte. Aber sie hatte ja auch einen Videobeweis. »Sieh mich nicht so an, Dud. Das war jetzt der zweite komische Vorfall in den letzten Tagen. Was ist los mit dir und Emma?«

Konzentriert las Dudley die Aufschriften auf den Rohrreinigern im Regal hinter ihr. Zumindest gab er das vor. Innerlich suchte er jedoch verzweifelt nach Worten, die ihr die Wahrheit schonend beibringen würden. Er versagte kläglich. »Das ist ... eine lange Geschichte?«

»Dann fass sie kurz.«

»Du glaubst mir ja doch nicht.« Unglücklich wanderte sein Blick von den Putzmitteln weiter zur nackten Glühbirne an der Decke, an der eine einsame Spinne ihr Netz webte.

»Ich erwarte schon, dass du mir die Wahrheit erzählst, Dud. Warum sollte ich dir nicht glauben?«

Dudley nahm einen tiefen Atemzug und sah endlich Amelie in die Augen. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt, die Augenbrauen in einem stummen Vorwurf zusammengezogen und wie immer, wenn sie verstimmt war, biss sie sich auf die linke Wangeninnenseite.

All die Kleinigkeiten erinnerten Dudley wieder daran, wieso er Amelie liebte. Sie hatte ihn gelehrt, was dieses Gefühl bedeutete und dass es wahre Ehrlichkeit bedingte. So schwer es ihm fiel, es war an der Zeit, dass sie die Wahrheit erfuhr. Emma war schließlich auch ihre Tochter.

»Magie«, entfuhr es ihm als leiser Seufzer. »Zauberei, Hexerei, Übernatürliches ... nenn es, wie du willst.«

Amelies Augenbrauen näherten sich einander noch weiter an. »Ein Trick, oder was?«

»Nein. Echte, wahre Magie. Ich weiß, was du denkst – so etwas gibt es nicht –, aber so etwas gibt es. Mein Cousin ... ich habe dir nie wirklich von ihm erzählt, weil ... Nun, er ist ein Zauberer. Mit Zauberstab und allem drum und dran.«

»Wie so ein Spinner von der Sorte die auf Kindergeburtstagen auftreten?«, unterbracht Amelie ihn.

»Nein, nicht so einer. Ein echter. Zwar mit komischen Roben, aber auch mit Zaubersprüchen, die Dinge bewegen, Sachen verwandeln oder ... andere verändern.« Er konnte sich gerade noch bremsen, nicht töten zu sagen. Dafür war Amelie auf jeden Fall nicht bereit. Himmel, er ebenso wenig.

»Du sagst, dein Cousin ist ein Zauberer – du also nicht?«

»Nein. Ich bin vollkommen gewöhnlich, so wie du oder meine Eltern. Deshalb habe ich dir nie davon erzählt, denn es spielte keine Rolle für mich oder mein Leben. Nur Emma ...«, er seufzte schwer. »Sie hat Magie im Blut, das habe ich selber erst vor kurzem erkannt. Wie mein Cousin. Meine Tante mütterlicherseits war schließlich auch eine – eine Hexe.«

»Ich wusste nicht einmal, dass du eine weitere Tante hast.«

»Sie ist schon lange tot. Ich habe sie nie kennengelernt.«

»Oh.« Amelie hörte auf, ihre Wangeninnenseite zu bearbeiten, und fuhr sich mit einer Hand durch das braune Haar. »Also – also ist Emma ... eine Hexe? Diese Dinge geschehen, weil sie ... weil sie zaubern kann?«

Dudley hätte erwartete, dass sie ihn auslachen würde, ihm nicht glauben würde, böse werden würde, doch mit dieser geschlagenen Akzeptanz hatte er nicht gerechnet.

»Ja«, gab er zu. »So war es mit Harry – meinem Cousin – auch. In seiner Nähe sind früher die merkwürdigsten Dinge geschehen. Sachen, die eigentlich unmöglich sein sollten. Wie die fliegenden Christbaumkugeln oder die Löffel. Meine Eltern haben immer verboten, dass wir darüber reden ...«

»Und was bedeutet das jetzt?« Nun war es an Amelie, gen Decke zu der einsamen Spinne zu sehen, während das Gedankenkarussell sich drehte. »Passiert das jetzt immer wieder? Müssen wir irgendetwas ... unternehmen?«

»Ja, es wird wieder passieren und dagegen können wir erstmal nichts tun. Es gibt eine Schule, für ... Magiebegabte. Aber erst ab elf Jahren. Mein Cousin hat mir ein wenig davon erzählt bei unserem Treffen. Ich wollte mir erst sicher sein, bevor ich dir etwas erzähle. Immerhin ... ist das nicht einfach zu glauben oder?«

Amelie schüttelte den Kopf und fuhr sich noch einmal durch die Haare. »Es ist unglaublich, Dud. Unglaublich!« Sie starrte die Spinne an. »Ich meine ... ich habe es gesehen. Die Kugeln sind geflogen. Aber ... ich verstehe es nicht. Ich kann ja nicht einmal sauer auf dich sein, obwohl du es wusstest. So richtig sauer wäre ich wahrscheinlich erst, wenn du mir erzählt hättest, dass du auch so ein ... so ein Zauberer bist.«

Dudley grinste verlegen. »Bedauere, mit Superkräften kann ich nicht dienen. Meine größten Zauberfähigkeiten erschöpfen sich darin, einen Teller Pfannkuchen in weniger als einer Minute zu vertilgen. Piers hat die Zeit gestoppt.«

Seine Frau schnaubte, doch sie lächelte. »Irgendwie freut mich das. Auch wenn ich nicht begreifen kann, was jetzt mit Emma geschieht. Aber wenigstens bist du genauso normal wie ich. Wenn die eigenen Kinder einem über den Kopf wachsen, ist das wohl weniger schlimm, als wenn man erfährt, dass der Ehemann ein Doppelleben führt oder so.«

Sie löste den Blick von der Deckenlampe und lächelte ihn versöhnlich an. »Ich habe eine Menge Fragen.«

»Die hatte ich auch. Beziehungsweise habe ich immer noch eine Menge, aber zumindest ein wenig konnte mein Cousin mir erklären, als wir uns in London getroffen haben.« Dudley erinnerte sich an das Foto, das mit Harrys Weihnachtskarte gekommen war. Er zog es aus der Hosentasche, in der es seit jenem schicksalhaften Morgen spazieren trug, und streckte das knittrige Papier in Richtung Amelie. »Hier ... das kam vor ein paar Tagen mit der Post. Ein magisches Foto.«

Sie nahm das Bild und starrte es ausdruckslos an. Ihre Finger fuhren über die flache Aufnahme, auf der die fünf Potters glücklich winkten. Drehten das Papier um, tasteten jede Kante ab, als wäre sie auf der Suche nach einer Erklärung. Amelies Blick hob sich langsam von dem bewegten Bild.

»Verrückt«, flüsterte sie leise. »Als Kind habe ich mir immer gewünscht, dass mein Leben spannender wäre. Ich wollte sein wie die Heldinnen in meinen Lieblingsbüchern. Jetzt habe ich endlich das Glück in der Normalität gefunden und auf einmal ... das hier. Träume ich, Dud?«

Zögerlich legte Dudley seiner Frau einen Arm um die Schultern. Sie fasste das alles so viel besser auf, als er erwartet – oder befürchtet? – hatte. »Nein, Schatz.«

 

An diesem Abend gab es eine Menge zu erzählen. Von verschwundenen Glasscheiben, dem Jungen, der überlebt hatte, und von den Dingen, auf die Dudley kein bisschen stolz war. Selbst von dem Zusammenstoß mit den Dementoren erzählte er Amelie. Damit war sie die erste Person, mit der er je über diesen Vorfall sprach. Auch wenn es Jahre her war, die eisige Kälte in seinem Inneren erinnerte er sehr gut – genauso wie die hässlichen Erlebnisse, die er tief in sich gesehen hatte.

Aber Amelie hatte immer gewusst, dass er kein strahlender Held, kein perfekter Mann war. Auch jetzt akzeptierte sie, dass er über seine Vergangenheit hinausgewachsen war. Viel mehr erzürnten sie die Erzählungen von seinen Eltern, die Magie so stark verabscheuten.

»Das ist grausam«, verkündete sie resolut. »Ich meine, ich wusste immer, dass deine Eltern besonders sind«, an dieser Stelle malte sie Anführungszeichen in die Luft, »aber das ist doch wirklich ... albern! Obwohl, nein, das ist das falsche Wort. Dieser Hass ist vor allem traurig.«

Dudley seufzte und sah auf den inzwischen fertig geschmückten Baum, der in seiner ganzen Pracht erstrahlte. »Wem sagst du das?«, murmelte er leise. »Immerhin habe ich mich dank Emma endlich bei Harry entschuldigen können. Das war das Mindeste, was ich tun konnte. Ich schäme mich ja schon, dass es überhaupt so lange gedauert hat.«

Amelie betrachtete ihn mit schiefgelegtem Kopf. »Hey, Dud, so meinte ich das doch nicht. Du warst nur ein Kind! Aber ... ich kann das nicht gutheißen, was du von deinen Eltern erzählt hast.« Sie biss sich betreten auf die Unterlippe. »Vor allem nicht, wenn ich daran denke, dass Emma dasselbe Schicksal blühen könnte. Wenn sie morgen Abend auch nur einen dummen Kommentar bringen, dann schwöre ich dir Dud, ich werfe sie eigenhändig aus unserem Haus!«

Er zweifelte nicht einen Augenblick daran, dass sie das durchaus bewerkstelligen konnte. Amelie war stark und selbst vor einem Koloss wie seinem Vater würde sie nicht zurückschrecken. Außer Wutrot anlaufen konnte der eh nichts bewirken.

»Keine Sorge, ich werde auch nicht zulassen, dass sie so Emma gegenüber sind. Du und Emma, ihr bedeutet mir viel mehr. Entweder sie akzeptieren es oder sie verlieren jedes Recht, ihr Enkelkind zu sehen. So einfach ist das.«

Amelie lächelte und küsste ihn auf die Wange. »Hey, vielleicht sollten wir es ihnen als Weihnachtsgeschenk verpacken. Ich meine – es freut sich doch jeder über Geschenke oder?« Ein listiges Lächeln lag auf ihren Lippen.

»Als Geschenk?« Dudley musterte seine Frau fragend. »Wie soll ich mir das vorstellen?«

»Och, ich habe doch dieses entzückende Video von Emma gemacht, die unsere Weihnachtsbaumkugeln verzaubert. Ich meine ... besser kann man es nicht präsentieren. Dieser blöde digitale Bilderrahmen, den wir für deine Eltern gekauft haben, erscheint mir jetzt fast schon wie Schicksal. Was meinst du?«

Einen Moment lang war Dudley sprachlos. »Du meinst ... wir speichern das Video in dem Bilderrahmen?«

»Bingo«, grinste Amelie frech. »Dann haben sie noch eine schöne Überraschung obendrauf, ganz umsonst. Und dann überlegen sie sich hoffentlich, ob sie noch einmal etwas Fieses über Zauberei sagen. Man soll ja mit den alten Leuten nie die Hoffnung aufgeben, dass sie es noch lernen.«

»Hey, irgendwie gefällt mir die Idee. Dann können wir sogar noch eine Schleife drum binden, um das Geständnis hübsch zu verpacken.«

Sie tauschten einen Blick, ehe sie beide in albernes Kichern ausbrachen. Dudley war sicher, dass dieses Überraschungsgeschenk einschlagen würde wie eine Bombe. Aber er gab die Hoffnung nicht auf, dass die Liebe zu ihrem Enkelkind selbst seine Eltern umstimmen konnte. Und wer konnte schon der kleinen Emma mit den Engelslocken widerstehen, die mit ihren winzigen Händen den Baumschmuck durch die Luft dirigierte?



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