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Wintergeschichten

Adventskalender-Aktion des YuKa-Zirkel 2020
von
Koautoren:  Mitternachtsblick  FreeWolf

Vorwort zu diesem Kapitel:
Danke an Mitternachtsblick für ihre Unterstützung!

Hier ein Anmerkungen ihrerseits:
Andrej Belyj: Bedeutender russischer Symbolist und Literaturtheoretiker, lebte von 1921 bis 1923 in Berlin in der Passauer Straße.
Isherwood: Christopher Isherwood ist Autor der Berlin Stories, auf denen das Musical Cabaret basiert.
Blauer Vogel: Bekanntes Kabarett im Berlin der 1920er, von und für russische Exil-Künstler:innen. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Dies ist eine Kooperation - wie der Titel schon sagt - zwischen FreeWolf und WeißeWölfinLarka.
Wir wollten für den Nikolaustag doch noch ein Türchen hochladen, also haben wir uns zusammen getan. :)
Man sollte Mitternachtsblicks "Chef Daddy" AU lesen, um den Kontext zu verstehen. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Widmung: Zum gestrigen Geburtstag von Knuddelkekswurmi. Entschuldige die Verspätung! Alles Gute nachträglich ♥ !


Dies ist wieder eine Kolloboration von FreeWolf und mir, wobei Wolfi wohl den Löwenanteil geschrieben hat :) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Triggerwarnung: abusive verbal behaviour (relationship)
Es ist nicht im Fokus, aber es kommt vor und ich möchte gewarnt haben.

Diese Geschichte ist inspiriert von „Brad The Douchebag Ex“ von LadyDrace auf Ao3.
-> https://archiveofourown.org/works/12071199 (Eine Teen Wolf Sterek FF)
Ich habe mir erlaubt, das Setting und die Motive zu übernehmen. Komplett anzeigen

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01.12.: Was stimmt nicht mit dir? - Such dir was aus!

„Halt das mal!“

Mit einem Nicken nahm Kai den Schraubendreher von Yuriy entgegen.

„Und das auch.“

Ebenso den Zollstock.

„Kannst du mal eben…“

Mit einem leichten Augenrollen nahm er auch die Wasserwage und balancierte eines ihrer Enden auf seinem Oberschenkel, während er auf der Küchentheke hockte und Yuriy dabei zusah, wie der versuchte, mit Bleistift, Zollstock und Wasserwaage ein Gewürzregal an ihre Wand zu zimmern.

„Sollen wir nicht doch Boris anrufen? Der ist ein Multifunktionstool, der kann sowas.“

„Hör auf jetzt, ich hab mir das oft genug angeschaut bei ihm, der hält mich noch für komplett bescheuert, wenn ich ihn jetzt deswegen herbestelle!“

„Das denkt der nicht erst seit heute.“

Yuriy zeigte Kai daraufhin mithilfe seines Bleistiftes einen verlängerten Mittelfinger.

„Jetzt mach hin, Ебанько[1] – wir müssen auch noch den Hängeschrank anbringen!“

Zugegeben, es war vielleicht nicht die intelligenteste Idee, bei der Einrichtung ihrer ersten gemeinsamen Küche nur auf ihr eigenes handwerkliches Talent zu vertrauen. Sie hatten sie aus vielen verschiedenen Küchenteilen bunt zusammengewürfelt, teils von Verwandten und Bekannten gebraucht übernommen, aber so, wie sie es sich einrichteten, gefiel es ihnen.

Wären da nicht ihre zwei linken Hände…

Deshalb hatte Boris ihnen bei vielem geholfen, da dieser sehr gerne und sehr gut mit seinen Händen arbeitete. Böse Zungen behaupteten, Yuriy wüsste letzteres aus allererster Hand, aber darüber hatten sie nie gesprochen.

Ein lautes Knacken ließ Kai aus seinen Gedanken schrecken. Mit einem weiteren, kräftigen Ruck von Yuriy saß das Gewürzregal bombenfest an der Wand. Der Rotschopf rieb sich zufrieden die Hände.

Kai hüpfte von der Anrichte und legte das Werkzeug beiseite, um eiligen Schrittes auf den Hängeschrank zuzugehen. Boris hatte ihnen dafür bereits gestern die Löcher gebohrt und die entsprechenden Schrauben eingesetzt. Sie hatte mit dem Aufhängen gewartet, weil Kai den Schrank, den sie aus dem Sperrmüll geräubert hatten, neu gestrichen hatte und die Farbe noch nicht ganz trocken war.

Zusammen hoben sie das halbwegs schwere Möbelstück an.

„Weiter nach links!“

„Häh?! Höher! Und nach rechts!“

„Wo ist denn bei dir rechts? Mein rechts!“

„Das stimmt doch so nicht!“

„Hör auf zu meckern, und tu was ich dir sage!“

Yuriy zog den Schrank mehr zu sich, Kai stolperte, fing sich und aus reflexartigem Trotz riss er den Schrank wieder zu sich zurück. Die Kante hinterließ eine unschöne Narbe in der Raufasertapete. Dabei hakte sich nur eine der beiden Aufhängungen in die Schraube ein.

„Spinsnt du? Was hast du mit der Wand angestellt!?“

„Der Schrank hängt doch davor, das sieht man nachher gar nicht mehr!“, verteidigte sich Kai.

„Ich seh das schon noch“, meckerte Yuriy, „denn der blöde Schrank hängt noch schief!“

Kai gab einen frustrierten Ton von sich und boxte mit der flachen Hand gegen den Schrank, um ihn auszurichten.

„Besser so?!“, fauchte er.

Sie funkelten sich beide einen Moment lang an. Gerade wollte Yuriy schon durchatmen, weil es ja scheinbar doch gut gegangen war, da löste sich die Halterung, die einzige Schraube, die das Möbelstück hielt, kippte. Der Schrank drehte sich um die Schraube herum.

Mit großen Augen versuchte Kai, das sich ankündigende Unglück zu verhindern, während Yuriy dem Ganzen nur regungslos zuschauen konnte.

Erbarmungs- und hinderungslos knallte der Schrank auf die neue Anrichte und kippte dann auch einem Meter Höhe auf den Boden, wo er unrettbar zerschellte.

Kai fluchte laut und nuckelte an seinem Daumen, bevor er sich hinkniete und die Überreste begutachtete.

Yuriy starrte ihn an.

„Was stimmt nicht mit dir?!“, schrie er ihn dann an.

Kai, unter Schmerzenstränen, und zwei blutigen Zeige und Mittelfingern, brüllte zurück: „Such dir was aus!!“

Eine Weile herschte Schweigen, während sie sich gftig anfunkelten. Plötzlich fing Yuriy an zu lachen. Er lachte und lachte und rieb sich über das Gesicht.

„Findest du das so lustig?!“, fauchte Kai.

Yuriy nahm ein Küchentuch und wickelte es sanft um Kais wunde Finger.

„Schon ein bisschen.“

Als er Kai sanft auf die Stirn küsste, verpuffte die dahinter brodelnde Wut und Frustration langsam.

„Komm, ich mach dir ein Pflaster drauf.“

„Du hättest auf mich hören sollen, Yura!“

„Ja. Demnächst lassen wir Boris für uns arbeiten.“

 

 

 

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[1] Ебанько – beschreibt eine einfach nur sehr ungeschickte Person.

02.12.: Du hast MICH angelogen! - Gastbeitrag von Mitternachtsblick

Es schneite über Berlin, als Kai heimkam, winzige Flocken, die sich einfach noch nicht dazu bekennen wollten, dass sie eigentlich Regen waren. Es war Abend, und die Leute waren immer noch müde von den Silvesterfesten, die das Jahr 1922 mit Pomp und Glorie eingeläutet hatten, weshalb jene Ruhe über der Stadt lag, die man nur in den Tagen zwischen dem ersten und zweiten Januar fand. Kai hatte selbst in dem Zug, in dem er die Silvesternacht verbracht hatte, etwas davon mitbekommen.

Sein Koffer war schwer, als er ihn die Treppen zu Yuriys kleiner Wohnung hinaufzerrte. All die Jahre, und er konnte sich immer noch dazu überwinden, sie ihre gemeinsame Wohnung zu nennen. Er weigerte sich auch, permanent einen Schlüssel dazu zu besitzen, also läutete er an, als er endlich im obersten Stockwerk angekommen war.

Fünf Minuten vergingen, in denen Kai ungeduldig und durchgefroren wurde, denn im Treppenhaus herrschte nicht gerade wohlige Wärme. Dann, endlich, öffnete sich die Tür: Ein Schwall von Licht und Rauch, Orangenduft und Tannennadeln ergoss sich auf den kalten Stein. Kai ließ den Koffer fallen, starrte. Yuriy lehnte im Türrahmen, eine Zigarette zwischen den Lippen, die so rot waren wie trocknendes Blut, und musterte ihn aus kohlumrandeten Augen. Seine Haut, kerzenlichtgeküsst, wirkte noch blasser als sonst. Er musste Puder aufgetragen haben, überlegte Kai im Stillen.

„Du bist wieder da”, sagte Yuriy ohne sichtliche Überraschung. Seine Stimme klang wie durch Schmirgelpapier aufgeraut. Er war dünner als das letzte Mal, als sie einander gesehen hatten. „Du hast mich angelogen, ich dachte, du kommst erst wieder in zwei Wochen.”

„Du hast mich angelogen”, widersprach Kai und trat an ihm vorbei in die winzige Wohnung, still dankbar, als Yuriy hinter ihm die Tür schloss.

Seit seinem letzten Aufenthalt hier vor etwa drei Monaten hatte sich nicht viel verändert. Die Wohnung bestand immer noch aus einer kleinen Küche, in der gleichzeitig hinter einem Vorhang auch der Waschbereich war, und einem einzelnen, großen Raum, in dessen hinterste linke Ecke ein Bett, gerade groß genug für zwei schmale Leute, geschoben worden war. Die Wände waren bedeckt von Zeichnungen - Kohleskizzen, Bleistiftskizzen, Aquarelle, Porträts, Porträts, Porträts. Augen überall, Yuriy war besessen von Augen, aus allen Ecken blinzelten sie Kai entgegen, unter ihnen nicht selten seine eigenen. Yuriy wollte Seelen fangen, machte einen guten Job damit, aber in Berlin liebte man vor allem seine abstrakten Gemälde - große, düstere Striche voller Wut und Sehnsucht, die direkt am Puls der Zeit lagen. Er hätte schon längst Ausschau nach einer größeren Wohnung offen halten können, aber aus irgendeinem Grund machte er es nur recht halbherzig. Stattdessen investierte er sein Geld in Zigaretten und Nächte im Blauen Vogel, für das er auch Bühnenbilder gestaltete. Er diskutierte endlose Nächte mit Andrej Belyj, trank teuren Whiskey mit Isherwood, dem er mit seinem neuesten Romanprojekt half, und er malte, malte malte. Sein ganzes Geld gab er lieber für Farben aus, für die besten Pigmente und anständige Leinwand, vernünftiges Papier. Kai schlief ein und Yuriy skizzierte, Kai wachte auf und Yuriy malte. So war es immer gewesen. Yuriy schlief nicht, schlief viel zu wenig, die Oktoberrevolution und der Krieg, die ihn aus seiner Heimat getrieben hatten, hatten ihre Spuren ein für allemal hinterlassen.

Jetzt gab Yuriy einen fragenden Laut von sich und ließ sich auf den zerkratzten Schemel vor seinem Spiegel fallen, legte die Zigarette in einem Emaille-Aschenbecher ab und begann, sich das lange, rote Haar auszubürsten. Kai konnte die Augen nicht von dem schwarzen Chiffon nehmen, der lautlos um seine Beine spielte wie wogendes Nachtwasser. Yuriy trug keine Schuhe; unter dem Nachtwasserchiffon blitzten seine bestrumpften Knöchel auf.

„Du hast gesagt, dass du keine Kleider trägst”, sagte Kai. Er traute seiner eigenen Stimme nicht, legte langsam, sehr langsam den Hut ab, dann die Lederhandschuhe. Yuriys Lächeln, das ihm mit blutroten Lippen durch das Spiegelglas zugeworfen wurde, fühlte sich an wie ein Herzinfarkt.

„Das ist kein Kleid”, sagte Yuriy genüsslich, weil er sich immer schon gern an Semantiken aufgehängt hatte. „Das ist ein Rock.”

Kai sagte nichts, sondern knöpfte sich den Mantel auf, schüttelte behutsam den Schnee in einer halbwegs freien Ecke aus und hängte ihn neben das Öfchen, das munter vor sich hin brannte. In der Zwischenzeit hatte Yuriy begonnen, seine Haare unter einem schwarzen Turban zu verbergen, bis nur noch zwei einzelne, sorgfältig auf seinen Schläfen zurechtgegelte Haarsträhnen wie Brandmale daraus hervorragten. Kai sah ihn an, bis es wehtat, dann wandte er sich ab, griff  nach dem Wodka auf dem Nachttisch, der eigentlich nur eine zweckentfremdete und bemalte Kiste war, und schenkte sich ein Glas ein. Der Alkohol brannte seine Kehle hinab, er fühlte sich besser, er ging mit dem Glas in der Hand hinüber und sank auf den Boden. Nachtschwarzer Chiffon, der ihm ums Kinn spülte, wo er es in die Wogen und gegen Yuriys Knie legte. Er sah auf. Die funkelnden Steine im Zentrum des Turbans blendeten ihn - es war, wie in eine ungebrochene Schneefläche in der Mittagssonne zu sehen. Yuriy legte den Kohlstift beiseite, lehnte sich zurück, griff nach der Zigarette und machte einen tiefen Zug davon, während er Kai unter schweren Augenlidern hervor betrachtete. Seine langen, weißen Finger fanden ihren Weg in Kais dunkle Haare und strichen langsam, zärtlich hindurch.

„Wie lange, bis du mich wieder verlässt?”, fragte er mit rasiermesserscharfer Sanftheit.

Kai machte einen tiefen Atemzug. Dann setzte er sich ein wenig aufrechter hin, trank einen Schluck Wodka, bis er Yuriy wieder ansehen konnte, ohne von Sehnsucht überwältigt zu werden.

„Wirst du über diesem Rock noch etwas anderes tragen?”, fragte er.

Yuriy musterte ihn lange. Dann wandte er sich ab, Zigarette fast komplett herab gebrannt in seinem Mundwinkel hängend, und griff nach einer schwarz-weißen Pelzstola, die er sich locker um den Hals drapierte. Er lehnte sich wieder zurück, drückte den Zigarettenrest aus, sah ihn an.

Es dauerte einen Moment, bis Kai den Blick von der Stelle losreißen konnte, wo die Stolaenden über Yuriys Brust schmeichelten. Er trank mit einem Ruck sein Glas aus, der Alkohol stieg ihm augenblicklich zu Kopf, er rutschte vorwärts in die nachtschwarzen Chiffonfluten, die sich für ihn teilten und ihn verschluckten. Seine Hände fanden die sanften Schatten unter Yuriys Rippen, wanderten höher, höher, sein Mund folgte ihnen, fand unter der Stola eine Brustwarze, Yuriy biss sich auf die blutroten Lippen und stöhnte leise.

„Wie lange?”, wisperte er dann, hartnäckig wie ein Spürhund auf der Fährte.

Seine Augen waren so blau. Sie leuchteten unter dem Schwarz hervor, leuchteten mehr als die Steine auf seinem Turban, mehr als seine Lippen, Kai konnte sich nicht an ihm sattsehen. Alles davon haben, dachte er und küsste sich dabei über Yuriys Kehle hinauf, während der Pels ihn am Hals kitzelte, ja, alles davon haben - aber nur für den Moment, damit es kostbar blieb. Yuriy konnte das nicht verstehen, würde es nie verstehen können, eine Erklärung war dementsprechend sinnlos. Sie waren am besten zusammen, wenn sie miteinander schwiegen.

„Wie lange?”, wisperte Yuriy, und Kai tauchte mit einer Hand unter die Chiffonfluten, fand schwarzen Nylonstrumpf und glitt daran Yuriys Bein hinauf, höher, höher, sein Mund fand Yuriys und küsste ihm das Rot von den Lippen. Er wollte keine Fragen beantworten, er wollte nicht reden. Er wollte schauen, wollte sich und Yuriy Schicht um Schicht entblättern, bis sie einander sahen, und dann wollte er das Bild mit sich nehmen, wenn er wieder ging.

Es spielte keine Rolle, wie lange er blieb. Jetzt war er hier, und das war alles, was zählte.

06.12.: ES WAR EIN UNFALL, ich schwör! - Kooperation von FreeWolf und WeißeWölfinLarka

„Papa? Paaapaaa!“ 

Gous Ruf hallte erfolglos durch den Flur hinein in das Bücherzimmer des Hiwatari-Anwesens. Eigentlich hatte der Siebenjährige seinen Vater dort vermutet. Frustriert schnaubte er. Er rückte den Schokoladennikolaus, den Mathilda ihm vor ihrer Abreise in seinen Hauspantoffel vor dem Bett versteckt hatte, unter seinem Arm zurecht, damit er nicht hinunterfiel, und setzte seine Suche fort. Immerhin musste er seinem Papa doch sein neues Hobby zeigen! Und dann würden sie zusammen spielen und dann würde er den Schokoladen-Nikolaus von Mathilda ganz alleine aufessen!

Er zog weiter gen Küche. Da waren sie ja beide, sein Papa und Papotchka. Wie immer mit roten Köpfen und Gesichtern, die sie immer hatten, wenn Gou sie länger suchen musste, obwohl sie eigentlich da waren. Sie sahen dann immer ein bisschen so aus, wie Gous Gesicht sich anfühlte, wenn er etwas Verbotenes getan und von Mathilda oder Misaki Obaa-chan dabei ertappt worden war. 

Kai hätte schwören können, dass Gou sie mit einem sehr prüfenden Blick musterte, bevor er auf sie zugelaufen kam und seine Hände ausstreckte. Yuriys Hand streckte sich automatisch aus, um dem Stöpsel durchs wuschelige Haar zu fahren, er war in den vergangenen anderthalb Jahren so groß geworden!

„Nicht die Haare, Papotschka! Guckt!“ 

Die beiden Erwachsenen sahen hinab auf die Handflächen. In der einen lag so etwas wie eine Spielzeugpistole, auf eine sehr abstrakte Art; daneben eine Reißleine. In der anderen lag ein ... ja, wie sollte man das beschreiben, ein moderner Brummkreisel aus Hartplastik, der mit Stickern von Peppa Pig übersäht war. In Kais Nacken stellten sich die feinen Härchen auf und „War Flashbacks“ langer Autofahrten mit der Titelmelodie zogen vor seinem inneren Auge vorbei. Als hätte Yuriy das gespürt, rieb er liebevoll über Kais Nacken (was nicht hilfreich war, da das dessen Aufmerksamkeit auf seine Mitte lenkte, weil an seinem empfindlichen Hals gerade noch Yuriys Lippen gewütet hatten). 

„Was hast du da, Gou?“, fragte er und fühlte, wie Kai sich sichtlich entspannte.

„Das ist ein Bähblet. Mathilda und ich gucken eine neue Zeichentrickserie! Da machen die das, um die Welt zu retten!“ 

„Um die... Ja, natürlich, klar. Und wie geht das?“, fragte Yuriy betont interessiert und hockte sich, von Kai ablassend, neben Gou. 

„Zeichentrickserie?“, hakte Kai ein bisschen streng nach. 

„Wenn Kinderstunde läuft!“, versicherte sein Sohn ihm hochheilig. Kai gestattete zwanzig Minuten bis eine halbe Stunde TV täglich und da konnte er sich auch auf Mathilda verlassen. Meistens forderte Gou diese „Kinderstunde“ am Fernseher auch gar nicht mehr ein, weil ihn neuerdings viele andere Dinge interessierten, seit Kai mit Yuriy zusammen war.

„Mathilda hat den Bähblet mit mir zusammen gekauft. Von meinem Sparschweingeld!“

Stolz zeigte Gou Yuriy alle bunten Sticker auf dem dunkelblauen „Bähblet“, wie der Kreisel offensichtlich in Fachkreisen genannt wurde. 

„Guck mal, den tut man hier drauf...“, erklärte Gou anschließend fachmännisch und klickte den Kreisel in die vorgesehener Halterung. 

„Jetzt muss die Reißleine hier rein... In meinen Starter!“, kommentierte er und schob die gelbe Reißleine in den Zackentunnel, wobei sich der „Bähblet“ in der Halterung mehrmals um sich selbst drehte. Beeindruckt nickte Yuriy. 

„Du bist ja technisch sehr versiert!“ 

Kai rollte die Augen, wie immer, wenn Yuriy mit seinem Sohn so eloquent sprach. Dadurch hatte Gou viel zu viele blasierte Worte gelernt. (Insgeheim liebte Kai das eigentlich...)

„Und jetzt?“, fragte Kai.

Gou musste feststellen, dass er durch den Nikolaus unter seinem Arm in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt war und drückte Yuriy den vorbereiteten Kreisel in die Hand, bevor er davon eilte und seine Schokoladigkeit neben dem Wohnzimmertisch in Sicherheit brachte. Er hatte gelernt, dass Dinge, die irgendwo drauf standen, auch runterfallen konnten, und ein solches Unglück wollte er seinem Nikolo ersparen. Anschließend grabschte er sein Spielzeug wortlos aus Yuriys Händen zurück, um seinen Vätern zu zeigen, was nun kam. 

„Dann muss ich ganz doll ziehen!“

Gou riss mit Schmackes an der Reißleine, und der Kreisel flog surrend aus der Halterung, kam zweimal hüpfend auf den Fliesen auf, um dann nach kurzer Zeit an Geschwindkeit zu verlieren und umzukippen. 

„Seht ihr? In der Serie kämpfen die Guten immer gegen die Bösen, und die müssen dann trainieren, damit die das schaffen.“

„Ist das etwa mit Blut?!“

„Neiiin, boah Papa! Das ist Sport! Und die machen auch bei einer Weltmeisterschaft mit, denn wer der beste ist, muss auch die Welt retten!“

„Verstehe...“

Kai schmunzelte.

„Ich spiel das immer mit Makoto, aber der ist mit seinen Eltern im Urlaub“, schmollte Gou und sammelte den „Bähblet“ wieder auf. 

„Spielt ihr mit mir?“

„Mischka, dein Papa und ich wollten eigentlich...“, begann Yuriy sanft, wurde aber unterbrochen.

„Ihr müsst mit mir spielen!“, forderte der Siebenjährige resolut. Yuriy warf einen hilflosen Blick zu Kai, der nur mit den Schultern zuckte. Mathilda war für einen (wohl verdienten) verlängerten Weihnachtsurlaub zu ihren Eltern nach Deutschland geflogen. Auch wenn Misaki versprochen hatte, sie an Wochenenden zu unterstützen, würden sie ihren Sohn wohl alleine beschäftigen müssen. Nicht, dass das etwas Schlechtes wäre - aber der kleine Wirbelwind verlangte ihnen beiden schon einiges ab, und scheinbar immer genau dann, wenn sie einander eigentlich gerade die Kleider vom Leib reißen wollten oder postkoitales Serotonin genossen. 

„Aber Gou, bräuchten wir nicht zwei... ähm... Bäibläds? Du hast schließlich erzählt, dass die Guten gegen die Bösen kämpfen und man trainiert, dann können wir das ja gar nicht mit dir spielen“, kam Kai Yuriy zu Hilfe.

Gous Gesicht erhellte sich. 

„Makoto hat seinen hier vergessen, den nehmen wir!“, triumphierte er und rauschte davon. 

„So viel zu Quickie in der Küche...“, seufzte Kai.

„Du und deine unersättliche Libido“, zog Yuriy ihn auf.

 

„Wir trainieren jetzt!“, verkündete Gou wenig später. Freudestrahlend hielt er einen violetten Kreisel mit orangenem Starter in der Hand. Auch dieser war mit Stickern übersäht - mit keiner geringenen Ikone der kindlichen Früherziehung als Dora the Explorer! Yuriy akzeptierte den Beyblade mit stoischem Blick und bedachte Kai mit einem mitleidigen, der die zweifelhafte Ehre hatte, Peppa Pig zu führen.

„Stellt euch in Position!“, befahl da Gou und das ... Training ging tatsächlich sofort los.

Kai folgte den Anweisungen seines Sohnes halb enthusiastisch, während er mehrmals den Beyblade startete und der kleine Mann seine Haltung korrigierte. „Der Spirit deines Beyblades wird dir zeigen, wie du deine Arme richtig halten musst!“, gab Gou altklug das Wissen, das er sich wohl durch die Zeichentrickserie angeeignet hatte, weiter.

Kai verbiss sich ein Lachen und schielte zu Yuriy, der wenigstens eine genauso dumme Figur machte wie er: Sie hockten auf dem Küchenboden, Plastikkreisel in den Händen, ein überglückliches Kind zwischen sich. „Mache ich das so richtig?“, kam es da vom Rotschopf, der seinen Starter absichtlich verkehrt hielt, damit Gou ihn korrigierte. Dies tat der Siebenjährige auch sogleich mit fröhlichem Glucksen. „Nein, Papotchka, du machst das ja ganz falsch! Das geht anders!“

 

Eine gefühlte Ewigkeit später schien es auch Yuriy zu langweilig zu werden, der die ganze Prozedur bislang mit einer Engelsgeduld über sich ergehen ließ. Er stupste Kai an, der dadurch beinahe aus dem Gleichgewicht geriet. „Wie wäre es mit einem Wettrennen?“, schlug er also vor, was ihm einen empörten Ausruf von Gou erntete. „Mit Beyblades macht man keine Wettrennen!“, protestierte er. „Man kämpft gegeneinander!“

Kai blickte Yuriy mit hochgezogener Augenbraue an. „Eben, Yura, man kämpft gegeneinander“, wiederholte er triezend. Ein schelmisches Grinsen zog sich über das Gesicht des Rotschopfes. „Der erste, dessen Beyblade aufhört zu kreiseln, macht für die ganze nächste Woche den Abwasch“, forderte er Kai heraus. Dies juckte den Ehrgeiz des Japaners. „Deal“, stimmte er nickend zu.

Die beiden Männer maßen einander mit Blicken, während sie die Spielzeugkreisel in die dafür vorgesehenen Starter steckten und sich auf den Boden in Position hockten. Gou stellte sich in Schiedsrichtermanier - das hatte er wohl in dem Anime gesehen, das Mathilda neuerdings mit ihm schaute, wenn Kai und Yuriy beide in Arbeit versanken - zwischen sie und hob die Hand. „Die Regeln sind: Wer zuerst einen Punkt macht, gewinnt! Man bekommt einen Punkt, wenn man den anderen Beyblade aus der Arena kickt oder wenn der Gegner aufhört zu kreiseln!“

Kai verbiss sich ein Lachen und zwinkerte zu Yuriy. Der Rothaarige sah ernst zu Gou, und der Anblick allein ließ das Herz des Japaners weich werden wie Butter in der Sonne. Er schüttelte den Kopf als Gou das Signal zum Starten gab. „Drei, zwei, eins, let it rip!“, krakehlte er und Kai zog an der Reißleine. Yuriy tat es ihm gleich, und gleich darauf eierten zwei Beyblades voller Sticker - Dora the Explorer versus Peppa Pig - aufeinander zu. Sie hatten überraschend viel Schwung und trafen mit überraschender Stärke aufeinander. Die beiden Plastikkreisel schlingerten in unterschiedliche Richtungen. Während Dora the Explorer gegen die Kücheninsel prallte und dort einen Kratzer im Holz der Fußleiste hinterließ, taumelte Peppa Pig unaufhaltsam auf den Schokoladen-Nikolaus zu. Kai hielt unwillkürlich den Atem an, während er beobachtete, wie die Katastrophe sich entfaltete.

Der Beyblade traf auf den Nikolaus und man hörte ein bedenkliches Knacken - ähnlich wie bei einem Osterhasen aus Schokolade, dem man den Kopf abbiss - und der Nikolaus kippte nach vorne, um Peppa Pig unter sich zu begraben. Nur noch der feine Aluminiummantel hielt ihn am Rücken zusammen. Er war entzwei gebrochen. Yuriy zog scharf die Luft ein, während Gou, der ihn gerade noch lautstark angefeuert hatte plötzlich sehr, sehr, sehr still wurde.

Kai musste nicht hinsehen, um zu wissen, dass sein Gesicht sich auf die Weise verzog, die nur eines bedeuten konnte: eine Sintflut aus Tränen.

 

Misaki kam in dem Moment zur Tür herein, als Gou lauthals zu weinen begann und Kai und Yuriy das Opfer ihres Duells ratlos in den Händen hielten. Misaki war sich nicht sicher, wen sie zuerst trösten sollte: ihren Sohn oder ihren Enkel. Gou nahm ihr die Entscheidung ab, indem er sich in ihre Arme stürzte. „Obaa-chan-“, schluchzte er, seine Stimme eine Anklage. „Si-sie ha-haben d-den Nikolaus getötet!“

Misaki hob eine Augenbraue in Richtung ihres Sohnes und seines Partners. „Wie habt ihr denn das geschafft?“

Kai und Yuriy hoben die Starter in ihren Händen und wiesen zeitgleich auf den jeweils anderen, nachdem sie sich einen Moment lang mit Blicken gemessen hatten. „Es war ein Unfall!“ - „Er war's!“

Yuriy ignorierte den anklagenden Blick, den Kai auf ihn richtete und verschränkte grinsend die Arme vor der Brust. „Fest steht jedenfalls, dass wir die Schokolade jetzt alle essen müssen“, stellte er fest. Gous Weinen wurde augenblicklich leiser und er drehte sich halb in Misakis Armen. „Müssen wir?“, hakte er skeptisch nach.

„Ja. Nur bei deinem Papa bin ich mir nicht ganz sicher. Immerhin hat er das Match verloren“

„Hey! Es gab kein offizielles Ende des Matches!“, protestierte der Angesprochene.

Misaki hob eine Augenbraue. „Sehr erwachsen“, Misaki sah sich um, um das Opfer des ... Beybladekampfes? Was war nur in Kai und Yuriy gefahren? - zu identifizieren und nickte in Richtung des zerstörten Schokoladennikolauses. Dann wandte sie sich ihrem Enkel zu. „Ich glaube, die Schokolade ist nur für uns zwei gedacht. Oder?“

11.12.: Wir können stattdessen Freunde sein - Kooperation von FreeWolf und WeißeWölfinLarka

Kais Handy vibrierte auf seinem Couchtisch. Der Silberhaarige drückte seufzend auf die Leertaste, um die aktuelle Folge von „The Queen's Gambit“, die er sich mit Yuriy ansah, zu stoppen, ehe er nach seinem Mobiltelefon griff. „Sorry“, murmelte er. „Das könnte die Firma sein.“

Yuriy verdrehte die Augen. „Du arbeitest in der Buchhaltung“, protestierte er. „So wichtig kannst du gar nicht sein, dass sie dich nach Feierabend noch brauchen.“

Sein Freund zuckte mit den Schultern. „Wir haben bald Jahresabschluss. Ein paar der Unterlagen kann nur ich aufschlüsseln, weil der andere Buchhalter unfähig ist“, gab er zurück, bevor er den Anruf fachmännisch entgegennahm. „Hiwatari?“

Yuriy wurde aus der Miene seines Freundes nicht ganz schlau, beobachtete ihn aber weiterhin neugierig. Kai schien über den Anrufer ein wenig überrascht, war um Freundlichkeit bemüht und ... irgendwie zurückhaltend? Das war für ihn sehr untypisch.

„... Ähm... Ja?“ Kai warf einen Seitenblick auf Yuriy, der nur verwundert die Augenbrauen hob. „Samstag sagst du? Ich check meinen Kalender und schreib dir.“ 

Kai beendete das Gespräch mit einer versteinerten Miene und öffnete gerade den Mund, da gab Yuriys eigenes Smartphone einen Ton von sich. Seine Augenbrauen wanderten ein weitaus größeres Stück in die Höhe, normalweise erhielt er am Freitagabend keine Nachrichten, weil alle seine Freunde wussten, dass er dann wegen der neuen Folge der Schachserie nicht ansprechbar war. Immerhin war es nur eine SMS und er kam um ein Telefonat herum. 

 

20:43

Unbekannter Teilnehmer: Yuriy, hast du Lust am Samstag mit mir auf den Weihnachtsmarkt zu gehen? As in a date? Takao 

 

Yuriy lachte prustend. „Scheiße, Mann“, gab er etwas hilflos von sich. Wie sollte er darauf reagieren? Er hielt Kai sein Handy entgegen. „Dein Kumpel will mit mir auf ein Date“, erklärte er. Kai blinzelte auf das Display. „What the-“, murmelte der Japaner kopfschüttelnd. „Was soll das denn bitte? Max hat mich grad angerufen um mich dasselbe zu fragen“

„Зачем?“, Yuriy räusperte sich. „Ich wusste nicht, dass deine Freunde auf uns stehen.“

Kai schnaubte amüsiert. „Das ist mir auch neu. Wir sind wohl unwiderstehlich.“ Er zwinkerte dem Rotschopf zu, der ein amüsiertes Geräusch von sich gab. Er wurde ernst, als er weiter auf sein Display starrte. „Das trägt verdächtig die Handschrift von Hiromi und Boris. Die beiden sind mir letztens wieder in den Ohren gelegen, dass wir unseren Freunden sagen sollen, dass wir zusammen sind.“

Der Silberhaarige seufzte. „Wir hätten den beiden einfach nie erzählen sollen, dass wir zusammen sind“, brummte er und verschränkte die Arme vor der Brust. Yuriy grinste spielerisch. „Oder wir stellen uns vor sie und küssen uns, und dann ist alles geklärt“, schlug er vor.

Kai hob eine Augenbraue in die Höhe. „Hm, klar, das traust du dich nicht.“

„Ich?“ Yuriy setzte Kai den Zeigefinger auf die Brust. „Du, mein Freund, du traust dich das nie im Leben.“

Kai prustete und begegnete dem Blick des Rothaarigen, eine Herausforderung im Blick. „Was willst du wetten?“ 

„Ich will ne Bratwurst.“

Kai lachte laut auf. „Ich weiß von einer Bratwurst, die du immer haben kannst,“ erklärte er augenzwinkernd und in einem Ton, der Yuriy gackernd lachen ließ und ihm Tränen der Verzweiflung in die Augen trieb. „Du bist schrecklich“, brachte er schließlich zwischen seinen Lachanfällen hervor.

„Dafür magst du mich. Außerdem bist du genauso schlimm. Oder muss ich dich daran erinnern, wer von uns beiden vorhin unbedingt-“

„Nein, musst du nicht.“, unterbrach der Rothaarige ihn resolut. Er vergrub in einer übertrieben theatralischen Geste sein Gesicht in den Händen. „Warst du schon immer so, oder hab ich dieses Monster geschaffen? Wenn deine Freunde diese Seite an dir kennen würden ...“

„Zurück zur Wette!“, forderte Kai nachdrücklich. „Wie wär's damit: Der Verlierer muss einen Tag lang zu allem JA sagen.  Kneifen gilt nicht.“

„Pff, wenn du dir damit mal kein Eigentor schießt. Du sagst doch viel öfter nein als ich“, zwinkerte Yuriy verführerisch.

„Ich? Pah!“, entgegnete Kai ehe seine Stimme weich wurde. „Ich kann deinem himmelblauen Augenaufschlag doch nicht widerstehen, weißt du doch.“

Yuriy verdrehte die Augen. „Schleimer.“

„Ich sehe mich mehr als Charmeur!“, gab der Silberhaarige zurück.

Yuriy zeigte ihm den Finger, stand dann aber doch aus seinem Eck der Couch auf und ließ sich schwer neben Kai auf die Couch fallen. Er ließ sich zur Seite sinken, bis er seinen Kopf auf Kais Schoß betten und zu ihm aufblicken konnte. „Was machen wir denn dann jetzt mit unseren Einladungen?“

Kai zuckte mit den Schultern und in seinen Augen funkelte diebische Vorfreude. „Annehmen, versteht sich. Wir schlagen sie mit ihren eigenen Waffen.“

„Mir gefällt, wie du denkst“, erklärte Yuriy mit einem schelmischen Grinsen auf den Lippen.

 

21:03

NeoBOSS: Hallo Takao, das kommt ziemlich überraschend. Ja, gehen wir auf den Weihnachtsmarkt. Ich kann ab 19h. Treffen wir uns dort?

 

Sie fuhren gemeinsam zum überdachten Weihnachtsmarkt in Roppongi. Kais Gesichtsausdruck verfinsterte sich zunehmend, während sie auf den Eingang zugingen. Kai blickte auf sein Handy. „Max will sich irgendwo da drüben treffen“, brummte er unwillig und deutete nach rechts. Yuriy grinste schief. „Was, hast du Schiss?“, stichelte er. Das erntete ihm ein Augenverdrehen, ehe der Silberhaarige sich abwandte und in Richtung seines Treffpunktes bewegte.

 

Nachdem Kai ihn stehengelassen hatte, stand Yuriy pünktlich um 19 Uhr neben dem Zugang zum Weihnachtsmarkt in Roppongi. Er rechnete damit, dass er auf Takao warten musste; er kannte den anderen nicht gut, hatte aber inzwischen genug Zeit mit Hiromi verbracht, um zu wissen, dass der junge Japaner es nicht so genau mit Pünktlichkeit nahm. Umso überraschter war er, als Takao auftauchte, kurz nachdem Kai seiner Wege gegangen war.

„H-Hi“, grüßte der Dunkelhaarige.

„Hallo.“ 

Yuriy konnte nicht umhin, ihn von Kopf bis Fuß zu mustern; der andere hatte sich offensichtlich für ihr Date herausgeputzt. Unter seinem Blick trat Takao nervös von einem Fuß auf den andern.

Yuriy lächelte, ein spielerischer Zug um seinen Mund. „Du siehst gut aus. Neuer Mantel?“

„Oh, äh, danke. Hat Hiromi mit mir gekauft...“, murmelte Takao, räusperte sich dann. Yuriy nickte anerkennend. „Sie hat dich gut beraten“, komplimentierte er souverän. Takao schien mit diesem Kompliment nicht umgehen zu können. Er druckste herum, plötzlich mit einer deutlichen Rotschattierung im Gesicht. Er sah sich einen Moment lang hilflos um, ehe sein Blick auf etwas fiel. Seine ganze Miene hellte sich auf. „Oh, es gibt hier Lebkuchen! Möchtest du Lebkuchen mit mir essen?“

Der schnelle Themenwechsel zauberte ein Schmunzeln in Yuriys Mundwinkel. Er nickte, steckte seine Hände tief in die Taschen seines Mantels und spazierte neben Takao her zum nächsten Stand, der Lebkuchen anbot. Yuriy blickte auf die kitschigen deutschen Wörter, die er nicht verstand und fragte sich, was das werden sollte. Takao hingegen schien einen Plan zu haben; er wählte sicher eines der Herzen aus und bezahlte, ehe er sich reckte, um es Yuriy hinhielt. Yuriy schielte auf das deutsche Wort auf dem überdimensionierten Lebkuchenherz. Was auch immer „SPATZI“ heißen mochte ... Der Rotschopf hatte eine schlechte Vorahnung.

„Ich hoffe, das sagt nicht sowas wie 'Lieblingsoma'„, murmelte Yuriy duster.

Takao grinste schief. „Nicht ganz“, gab er zurück, ein spitzbübisches Grinsen im Gesicht. Yuriy hob eine Augenbraue. „Was, du verstehst, was da draufsteht?“

Takao nickte und hob sein Handy, auf dem eine Übersetzungs-App noch geöffnet war. „Manabu-kun hat mir die coolste App überhaupt gezeigt! Ich bin mir sicher, Kai wird das Herz gut finden“, er zwinkerte dem Rotschopf verschwörerisch zu. Dem blieb die Spucke weg.

Dann fluchte er auf Russisch. „Ich wusste, dass Boris und Hiromi nicht zu trauen ist“, fügte er dann duster auf Englisch hinzu, ehe er Takao skeptisch beäugte. „Was für ein Spiel spielt ihr hier?“

Takao zuckte mit den Schultern, ein unschuldiges Grinsen auf dem Gesicht. „Ach, weißt du, wir wollen nur euer Bestes“, erklärte er entspannt. Der Rothaarige murrte etwas Unverständliches, ehe er nach der Hand des Japaners fasste. „Danke, dass du den Bullshit nicht mitmachst“, erklärte er dann ernst. „Und jetzt lass uns Glühwein trinken.“

 

Es dauerte nicht lange, bis Kai Max gefunden hatte und sie sich vor einem der Glühweinstände einreihten. Es war voll auf dem Weihnachtsmarkt, und über ihnen beleuchteten Lichterketten den Weg. Der Blonde begrüßte ihn mit einer Umarmung, die für Kais Geschmack etwas zu lange dauerte. „Wie geht es dir?“, beeilte sich Max mit einem strahlenden Lächeln zu fragen, als sie sich nebeneinander in die Schlange vor dem ersten Glühweinstand eingereiht hatten.

Kai bemühte sich um einen neutralen Gesichtsausdruck. „Gut.“

Sie schwiegen, während sie sich einen Meter nach vorne bewegten. Es war ziemlich seltsam. Max schien nicht zu wissen, worüber er reden sollte - was seltsam war, schließlich hatte er sonst auch keine Probleme damit, mit anderen Menschen zu sprechen, selbst mit Kai selbst. Vielleicht war es das Date-Ding. Der Silberhaarige seufzte innerlich, ehe er nach einem Thema suchte, mit dem Max etwas anfangen konnte. „Wie läuft's mit deinem Studium, Max? Immer noch so herausfordernd?“, erkundigte er sich also.

Dass es eine recht pauschale Nachfrage war,  schien den nicht zu stören. Vielmehr schien er erleichtert darüber zu sein, über irgendetwas sprechen zu können. Erfreut, etwas gefunden zu haben, worüber sie beide sprechen konnten, erzählte er von seinem Semester, während Kai ab und an nickte, um zu zeigen, dass er zuhörte.

„Und bei dir?“

Die Frage traf ihn nicht wirklich überraschend. „Ach... Buchhaltung. Meine Mutter will, dass ich die Firma in- und auswendig kenne, deswegen schlage ich mich gerade mit Zahlen und so Zeugs herum. Das Übliche“, erzählte er und hielt einen Moment inne, ehe er scherzend hinzufügte: „Ich kann Saldenlisten sexy machen, hat man mir gesagt.“

Max blinzelte ihn unverständig an, was Kai dazu brachte, amüsiert eine Augenbraue hochzuziehen.

Sie erreichten die Verkaufstheke des Glühweinstandes gerade rechtzeitig - unangenehme Stille hatte bereits begonnen, sich auszubreiten.

Max räusperte sich. „Was magst du?“

Kai blinzelte überrascht. „Haben sie was anderes als Glühwein?“, fragte er überrascht. Max blickte hilflos auf die Anschlagtafel, die tatsächlich genau zwei Dinge auflistete. „...Bratwurst?“, schlug er vor. Kai verbiss sich ein amüsiertes Schnauben.

„Glühwein ist gut“, erklärte er also und bestellte. Er fasste gerade nach seinem Portmonnaie, da kam ihm Max zuvor, um für ihre Tassen zu bezahlen. „Nicht doch, das geht auf mich! Das ist schließlich ein Date!“, erklärte er so resolut, dass Kai kopfschüttelnd seinen Geldbeutel wieder einsteckte. Er stammelte etwas konsterniert einen Dank, während sie zu einem der freien Tische gingen.

Max grinste. „Weißt du, ich war noch nie hier“, erzählte er nach einem weiteren langen Moment seltsamen Schweigens. Kai hob eine Augenbraue. „Willst du dich eine Runde umschauen?“

 

20:34y

Kai: Wir sind beim kitschigsten Stand, der mit den Lichterketten. Ich war nett und jetzt hab' ich keinen Bock mehr. Wo bist du?

 

20:36

Yuriy: Ich seh dich. Zeit zu zeigen, dass du nicht nur große Worte spuckst.

 

Kai hatte gerade genug Zeit, die Antwort auf seine Nachricht zu lesen, da ertönte schon ein Ruf. „Kai! Max!“ Yuriy, gefolgt von Takao, dessen Gesicht im Schein des Heizpilzes seltsam rot schien, trat zu ihnen. Der dunkelhaarige Japaner hatte ein gezwungenes Grinsen aufgesetzt. Yuriy grinste breit - vielleicht hatte er schon einen Glühwein zu viel intus. „Was macht ihr denn hier?“, fragte er übertrieben überrascht.

Kai verdrehte die Augen. „Hör auf mit dem Scheiß, Yura“, schalt er den anderen. Der Angesprochene zuckte mit den Schultern. „Du Spaßbremse“, gab er nüchtern zurück.

„Du bist ein Vollidiot“, gab Kai zurück, doch hatte die Aussage weitaus weniger Biss als sonst. Yuriys Blick wurde weich, während er nach vorne trat und sich bei Kai unterhakte. „Dein Vollidiot“, erklärte er sanft.

Takao und Max, für den Moment vergessen, tauschten einen Blick und zuckten im stummen Einverständnis grinsend mit den Schultern. Der Blonde räusperte sich. „Also seid ihr ...?“, er machte eine vage Handbewegung zwischen Kai und Yuriy, um anzudeuten, worauf er hinauswollte.

Kai verdrehte die Augen. „Ihr rafft es anders echt nicht“, schimpfte er genervt, packte Yuriy am hochgeschlagenen Kragen seines Mantels und zog ihn zu sich, um ihn vor den Augen ihrer Freunde zu küssen. Der Rotschopf versteifte sich im ersten Moment, ehe Kai spielerisch in seine Unterlippe biss. Da schmolz Yuriy in den Kuss hinein; er lockerte seine Haltung und schlang seine Arme um Kais Hüfte, um ihn näher an sich zu ziehen. Nicht nur die Kälte zeichnete seine Nasen- und Ohrenspitzen rot.

Takao und Max blinzelten überrascht; sie hatten wohl viel erwartet, nur das nicht unbedingt. Kai wandte sich Max zu. „Sorry, Max, wie du siehst steh' ich mehr auf Rothaarige“, erklärte er nüchtern. „Lass uns lieber Freunde bleiben.“

„Gilt auch für uns, Takao“, erklärte Yuriy noch leicht atemlos. „Und jetzt will ich meine Bratwurst“ 

 

(Hiromi lud Boris zwei Stände weiter seufzend und kommentarlos auf den nächsten Glühwein und eine Bratwurst ein. Immerhin hatte er die Wette gewonnen.)

12.12.: Kann ich dir wenigstens einen Kaffee ausgeben? Um der alten Zeiten willen?

Es war rattenkalt. Kai hatte nicht einmal an seine dünnen Lederhandschuhe gedacht, darum vergrub er die Hände tief in seinen Manteltaschen. Neben ihm her lief Yuriy, der mehr auf die Schaufenster achtete als auf die schmückenden Lichter der Weihnachtsdekoration der Stadt. Sie waren auf dem Weg, um noch in letzter Minute Weihnachtsgeschenke zu kaufen. Yuriy hatte es verbaselt, auch wenn er nur seine engsten Freunde, also sein Team beschenken wollte. Aber mit der überraschenden Einladung nach Milano, die Enrico für ein Benefizturnier der „alten Hasen“ ausgesprochen hatte, war er völlig darüber hinweggekommen, sich um Weihnachten und das gesamte Drumherum zu kümmern. Über die Einladung, gemeinsam mit seinem japanischen Team anzutreten, hatte Kai sich insgeheim sehr gefreut; umso mehr, als er hörte, dass Enrico auch das russische einlud. Endlich eine Gelegenheit, Yuriy und die anderen außerhalb ihres Chatrooms zu treffen.

Die Vorbereitungen zum Turnier liefen auf Hochtouren, es sollte zwischen den Jahren stattfinden. Trotzdem waren viele Teammitglieder schon vorher angereist. Boris hatte heute Mittag noch gefeixt und von einem verfrühten Weihnachtsgeschenk gesprochen, wenn er die anderen „alle platt machen“ werde, schließlich würden sie erst im neuen Jahr, am 6. Januar, Bescherung feiern. Bei der Erwähnung von Geschenken war Yuriy ein wenig blass geworden und sein Blick war hilfesuchend auf Kai gelandet. Deshalb hatte Kai sich bereit erklärt, Yuriy zum Einkaufsbummel zu begleiten, obwohl er eigentlich nichts brauchte. Aber er wollte sich auch die berühmte Viktor-Emanuel-Galerie wenigstens einmal angesehen haben, wenn sie schon einmal hier in Milano waren. Außerdem ging ihm Max mit seinem christmas spirit langsam auf die Nerven. Nichts gegen Max, er mochte Max – aber diese weihnachtswichtelmäßige Fröhlichkeit konnte er nur bis zu einem bestimmten Maß ertragen.

 

Es war angenehm, neben Yuriy zu gehen. Von Zeit zu Zeit stießen sie mit den Schultern gegeneinander, was sie beide abwechselnd mit einem Grinsen und einem abfälligen Kommentar über die Geh-Fähigkeiten des jeweils anderen kommentierten. Wenn es in der Menge enger wurde, war sich Kai ihrer Nähe besonders bewusst und es entspannte ihn.

Vor einer warm leuchtenden, aufwendigen floralen Lichtinstallation blieb Kai stehen. Es funkelte behaglich, als er zu ihr aufschaute. Sein Blick glitt weiter in den Himmel, und er glaubte, die ersten Schneeflocken sehen zu können. Dann fiel ihm ein Schild auf, und er zeigte darauf, um Yuriy darauf aufmerksam zu machen:

„Hey, wenn ich hier fertig bin, als dein Lakai die Taschen zu tragen, lädst du mich zu nem Glühwein auf dem Weihnachtsmar-“

„Fuck“, zischte Yuriy und Kai drehte sich alarmiert zu ihm um.

„Spiel mit, bitte, ich flehe dich an!“, sagte er mit einem so seltsam steifen Lächeln, dass es Kai fröstelnd den Rücken hinunter lief; er nahm dann Kais Hand und verschränkte ihre Finger. Abgelenkt von den schlanken, feingliedrigen Knöcheln zwischen seinen eigenen und gleichzeitig überrascht, sah Kai erst auf ihre verschränkten Hände, dann wieder die wenigen Zentimeter hoch in Yuriys Gesicht. Er wollte zu einer Frage ansetzen, verstummte aber, umso verwirrter, als Yuriy ein noch größeres und noch unaufrichtigeres Lächeln aufsetzte, um jemanden zu begrüßen, der gerade auf sie zu geschlendert kam.

Kai folgte seinem Blick und er korrigierte: dieser Jemand machte sich den Weg entschlossen zu Yuriy frei.

Yuriys Griff um Kais Finger wurde eine Spur fester.

„Garland!“, rief er plötzlich laut aus und fügte murmelnd ein leises „Зачем?!“ hinzu, bevor sie und der sich ihnen nähernde Mann sich in Hörweite befanden.

„Wow, was machst du hier? Ich dachte, du wärst in… wo war das noch gleich, irgendwo in, äh…?“

Die offensichtliche falsche Freundlichkeit in Yuriys Stimme ließ Kais Nackenhaare zu Berge stehen, und er starrte den Neuankömmling instinktiv missmutig an. Er mochte nicht, wie Yuriy sich dieser Person gegenüber benahm: zu betont freundlich, zu betont fröhlich, zu betont gelassen. Yuriy fühlte sich falsch neben ihn an, so kannte Kai ihn nicht. Und wer auch immer eine solche Reaktion bei Yuriy hervorrufen konnte, könnte ihm niemals sympathisch werden.

Garland lachte Yuriy an, aber es klang in Kais Ohren genauso falsch wie er ihn als Person wahrnahm. Heimlich musterte Kai ihn abschätzig.

„Eigentlich arbeite ich in Freiburg“, erklärte Garland, strich sich dabei eine Haarsträhne zurück und setzte dadurch sein langes, silbernes Haar gekonnt in Szene. Alles an ihm schrie Selbstgefälligkeit – auf eine Art und Weise, an die nicht einmal Casanova selbst heranreichte.

„Du weißt ja, meine Familie legt großen Wert auf Prinzipien, also habe ich, wie geplant, mein Studium angefangen. Und nächstes Jahr mach ich ein Auslandssemester, um an Wasservögeln zu forschen. Du weißt ja sicher, wie das ist.“

Kai wusste, dass Yuriy noch nicht studierte und den Beysport favorisierte.

„Richtig, ja“, hörte er den Rothaarigen stattdessen erwidern, „du fandest ja diese eine Vogelart so interessant.“

„Ja, Haubentaucher. Ihr Kopfgefieder erinnert mich manchmal an deine Frisur.“

Vielleicht war es von Garland nicht beabsichtigt, aber Kai nahm eine gewisse Stichelei wahr. Das missfiel ihm – auch, weil Yuriy neben ihm sich unmerklich und fürs ungeübte Auge kaum sichtbar verspannte.

„Und, wie kommst du voran?“

„Ach, mein Studium ist ziemlich easy – zumindest für mich. Ich kann echt nicht klagen, die Profs sind Koryphäen auf ihrem Gebiet und wenn alles glatt geht, kann ich nach meinem Auslandssemester auch um zwei Semester verkürzen und käme entsprechend eher in den Master.“

Garland lächelte, aber es erreichte nicht seine Augen. Er schenkte Kai einen Seitenblick.

„Wie ich sehe, läuft es für dich auch nicht schlecht. Hätte nicht gedacht, dass du dich noch mal an jemanden außerhalb deiner Liga herantraust.“

Yuriy drückte Kais Finger so stark, dass es ihm fast wehtat. Kai war sich nicht ganz sicher, ob es eine Warnung an ihn sein soll, ihre Tarnung bitte nicht auffliegen zu lassen, oder ob es eine rein emotionale Reaktion auf Garlands Worte waren. Egal was es war, Kai hatte nicht vor, die Situation für Yuriy zu ruinieren. Was für ein Film auch immer hier gerade ablief.

Yuriys hatte seine Fassung nicht verloren und hielt Garlands Abfälligkeit weiterhin stand, indem er sie geflissentlich ignorierte und ohne dieses Lächeln aus seinem Gesicht zu wischen.

„Das ist Kai.“

Garland hob eine Augenbraue, so als würde ihm soeben ein großes Rätsel klar werden, und starrte Yuriy eine längere Zeit an, ehe er sich schließlich Kai zuwandte:

Der Kai? Wow, ich dachte wirklich, du übertreibst. Bist du sicher, dass das zwischen euch nicht nur Mitleid ist?“

Kai ballte seine freie Hand zu einer Faust. Es war reines Glück, dass er diesem Garland nicht augenblicklich an die Gurgel sprang. Vermutlich hatte Boris‘ schlechter Einfluss noch nicht lange genug auf ihn eingewirkt. Immerhin wich Garland tatsächlich ein paar Schritte zurück; Kai schien also seinen Todesblick noch nicht verlernt zu haben.

„Ich hab null Ahnung, wer du bist, und es ist mir echt egal. Aber wenn du noch einmal so mit Yuriy sprichst, wirst du es bereuen“, knurrte Kai.

Was auch immer hier vor sich ging, er würde nicht zulassen, dass irgendein dahergelaufener Lackaffe Yuriy so niedermachte. Und wenn sie alleine wären, würde er Yuriy erst einmal zur Rede stellen, warum er das mit sich machen ließ.

Yuriy lachte etwas ungelenk.

„Bevor du ein Blutbad anrichtest: Kai, das ist Garland. Wir waren auf der Schule eine Weile zusammen.“

Kais Überraschung musste sich auf seinem Gesicht widerspiegeln, denn Garland schien sich sichtlich zu entspannen und schmunzelte sogar.

„Ja, ich weiß, was du jetzt denkst. Es war ein Tiefpunkt in meinem Leben.“

„In deinem - Yuriy, wer zur Hölle ist dieser Typ, und warum denkt er, dass er dich so behandeln kann?!“

Yuriy rieb sich über das Gesicht. Das war um so viel unangenehmer, als er befürchtet hatte.

„Du liebe Zeit, da schau mal einer die Uhrzeit an!“, lenkte er schließlich ab, „Entschuldige, Garland, wir müssen los, die ganzen Weihnachtseinkäufe erledigen und so…“

„Kann ich dir nicht noch einen Kaffee ausgeben? Um der alten Zeiten willen?“, bot Garland generös an und allein dafür wollte Kai ihm das Grinsen aus dem Gesicht schlagen. Als er merkte, dass Yuriy tatsächlich über das Angebot nachzudenken schien, schob er sich zwischen die beiden alten Bekannten.

„Tut uns leid“, spie Kai ihm fast die Worte ins Gesicht, weil es ihm alles andere als Leid tat, „aber Yuriy hat Besseres mit seiner Zeit anzufangen. Ein Turnier gewinnen zum Beispiel, immerhin ist er mit seinem Team Vizeweltmeister – du weißt ja sicher, wie das ist.“

Kai zog Yuriy mit sich. Ein kurzer Blick zurück zeigte ihm, dass Garland ihnen sogar noch nachwinkte, während sie an den Läden vorbeirauschten.

 

„Was zum Fick, Yuriy?!“, fauchte Kai, sobald sie außer Sicht- und Hörweite waren. Yuriy seufzte schwer, als sich ihre Hände voneinander trennen.

„Du hast schon zu viel Zeit mit Borya verbracht.“

„Lenk nicht ab!“

„Ich weiß, es tut mir leid, dass du da mit hineingezogen wurdest. Es ist nur ...“

Yuriy hielt inne und haderte mit den Worten.

„Woher kennst du diesen Hampelmann eigentlich?!“

Yuriy sah Kai an.

„Das ist quasi deine Schuld. Du weißt doch noch, das internationale Internat, dass du uns empfohlen hast? Er war in ein paar meiner Kurse. … Garland war halt der erste Typ, auf den ich mich eingelassen habe. Ich war jung, pubertär und hatte Bedürfnisse! Er war einfach mein erster, fester Freund…“

Yuriy atmete tief durch, bevor er Kai fest ansah.

„Noch mal, es tut mir leid. Besonders, dass du so mit mir zusammen gesehen wurdest, als Alibi-“

„Warum hast du ihm nicht schon vor Jahren aufs Maul gegeben?!“, unterbrach Kai ihn, immer noch wütend über die Art und Weise, wie Garland mit Yuriy gesprochen hatte. Dieser blinzelte nun Kai grimmig an.

„Ich weiß es doch selbst nicht, er geht mir einfach unter die Haut! Er weiß verdammt genau, wo er drücken muss… Er ist einfach... er hat diese Art...“, gestikulierte Yuriy hilflos.

Und Kai verstand es plötzlich.

„Manche Leute haben aus einem unbekannten Grund einfach Macht über dich…“, murmelte er leise. Er sollte es besser wissen als die meisten anderen. Es erforderte eine enorme Anstrengung, Kraft und Mut, sich aus so einem Griff zu befreien. Dass Yuriy es schließlich geschafft zu haben schien, sich von diesem Mistkerl zu trennen, wunderte Kai nicht. Eher überraschte ihn die Tatsache, dass Garland seinen Schwachkopf noch auf den Schultern trug. In der Regel wusste Yuriy mit solchen Arschlöchern angemessen zu verfahren – bzw. Boris jagte jeden, der Yuriy krumm kam, wie ein Bluthund, bis er sie gestellt und nach eigenem Ermessen bestraft hatte.

Kai betrachtete Yuriy prüfend, wie er vor ihm stand, seine frierenden Hände rieb und sie gegen die Kälte zu seinem Mund führte und anhauchte. Dass Yuriy, der Yuriy, den er aus Kindertagen kannte, der in seiner ersten Weltmeisterschaft so viele vor Angst erzittern ließ, Probleme mit seinem Selbstwertgefühl hatte, wollte ihm nicht in den Kopf. Es ärgerte ihn maßlos, dass Garland das bei ihm auslöste – und verdammt noch mal, er wollte dieses Arschloch blutig schlagen!

 

Zu lange hatte Kai jetzt geschwiegen, während er seinen Gedanken über die vorige Situation nachhing. Sein grimmiger Blick traf den fragenden, skeptischen von Yuriy. Dessen Augen weiteten sich erschrocken, als könnte er vorausahnen, was Kai jetzt vorhatte. Der Dunkelhaarige trat einen energischen Schritt auf ihn zu, griff in Yuriys Mantelkragen und zog ihn bestimmt zu sich. Ihre Lippen krachten etwas unbeholfen aufeinander, und Kais Herz klopfte wild und hart in seiner Brust, denn – was zur Hölle tat er hier? Aber Yuriy wirkte nur kurz perplex. Er seufzte leise in den Kuss, krallte sich in den weichen Stoff an Kais Schultern und spielte einfach mit.

Schließlich drückte Yuriy Kai sanft weg. Sie lösten ihren Kuss, verweilten aber einen Moment, ihre Stirnen aneinander gelehnt. Kai zog sich nur widerstrebend zurück. Er verlor sich im Anblick von Yuriys Gesicht: den zart geröteten Wangen, den leuchtenden Augen, so flimmernd und hell wie das Eis in der Tundra… Es könnte natürlich auch sein, dass es nur die Weihnachtsbeleuchtung um sie herum war, die Yuriys Augen so glitzern ließen, aber Kai war für den Moment geneigt zu denken, dass es Yuriy war, der von sich aus strahlte.

„Wow, okay“, murmelte Yuriy atemlos. „Das, äh ... das sollte ihn überzeugt haben, denke ich.“

Kai runzelte verwirrt die Stirn.

Was?“

„Ich denke, er ist jetzt weg“, erklärte Yuriy und blickt über Kais Schulter. „Hoffentlich für immer.“

Er blickte Kai mit einem Stirnrunzeln an.

„Woher wusstest überhaupt, dass Garland uns gefolgt ist?“

„Yura“, sagte Kai langsam. Und da war er, endlich, der Kosename, den Yuriy schon so lange schmerzlich vermisst hatte.

„Ich hatte keine Ahnung, ob er da war oder nicht. Ich habe dich geküsst, weil ich es wollte.“

Kai ließ seine Worte kurz so stehen, damit sie zu Yuriy durchdrangen.

„Und weil ich gehofft hatte, dass du das vielleicht auch wolltest?“

Kai war sich ziemlich sicher, die Zeichen richtig gedeutet zu haben, aber ein winziges Fünkchen Zweifel ließ ihn seinen Magen schwer werden.

„Falls ich einen Fehler gemacht habe, dann...“

Es war ein Fest, Yuriys Gesichtskirmes bei der Entfaltung zu beobachten. Zu seiner großen Erleichterung hatte Kai richtig geschlussfolgert.

Ohne ein Wort griff Yuriy Kai fest an seinem Schal, um ihn an sich zu ziehen. Dieser zweite Kuss enthielt keine gegeneinander schlagende Zähne – und war nicht nur deshalb noch besser als der erste.

„дурак! Warum erst jetzt?!“

„Besser spät als nie?“, bot Kai schulterzuckend an, worauf er sich einen Stoß gegen die Schulter einfing.

„Du verbringst definitiv zu viel Zeit mit Boris!“

„Das kannst du ja ändern…“, murmelte Kai und nippte ein weiteres Mal von Yuriys weichen Lippen. Als sie sich lösten, lachte Yuriy leise, und endlich klang es nicht mehr unecht und lieblos. Sein Lachen jagte ihm einen wohligen Schauer über den Rücken und Kais Herz dröhnte, weil er dem Rotschopf so nahe war, dass er seine winterhellen Sommersprossen auf seiner Nase tanzen sehen konnte. Es hatte zu schneien begonnen und Kai zupfte ihm eine weiße Flocke aus einer Strähne.

 

In diesem Jahr war Yuriy wirklich noch nie so spät dran mit seinen Weihnachtseinkäufen…


Nachwort zu diesem Kapitel:
Meine Idee und Vorüberlegung hierzu waren:
Streit in der Küche, der zuerst eskaliert, aber dann müssen sie selber drüber lachen wie dramatisch sie sind.
Es ist auch nicht sehr weihnachtlich geworden, aber man kanns ich vllt vorstellen, dass sie kurz vor Weihnachten eine eigene Wohnung bezogen haben.
:) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Autor*innenkommentar: Im Rahmen dieser Fic wurde keinem Nikolaus ernsthafter Schaden zugefügt. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Scheinbar sind Bratwürste auf japanischen Weihnachtsmärkten sehr beliebt. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hinweis: In dieser Geschichte kennt Kai Garland nicht, weil das irgendwie vor der 3. WM spielt. Oder so. (Vielleicht war ja deshalb der Kampf der beiden so intensiv, weil sie Ex-Liebhaber sind? XD) Auf jeden Fall sind Yuriy und Kai alt genug, um zu knutschen. ^^° Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (30)
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Von:  FreeWolf
2020-12-24T08:02:42+00:00 24.12.2020 09:02
Eine lustige alternative Timeline :D
Von:  Phoenix-of-Darkness
2020-12-22T17:10:46+00:00 22.12.2020 18:10
WARUM HAT KAI GARLAND KEINE AUF DIE FRESSE GEGEBEN?!

Ähm ja...also...man kennt ja meine private Fete gegenüber dem langhaarigen...*hust*
Aber ich mochte die Geschichte dennoch sehr.
Meine Lieblingszeile ist die, in welcher Yuriy Kais Hand so schmerzhaft drückt. Das spiegelt so unglaublich viel wieder.
Antwort von:  WeißeWölfinLarka
22.12.2020 18:35
Haha, und warum mögen wir ihn nicht? Wegen lady_js Berlin au. XD
Und ja, Kai hätte, aber der gute Einfluss der BLADEBREAKES hat ihn wohl abgehalten.
Schön dass es dir gefallen hat. Sicherlich nicht mein bestes Werk, aber na ja :)
(Und angeblich gibt Kai Garland in Jays letztem Türchen aufs Maul😘)
Von:  Knuddelkekswurmi
2020-12-17T17:39:41+00:00 17.12.2020 18:39
Hallo ihr beiden!
Vielen lieben Dank für die Widmung!
Sehr passend wie ich finde.
Abgesehen von der beruflichen Situation ( und wie wichtig die Buchhaltung nach Feierabend sein kann ! XD ), die ich gut nachvollziehen kann, habe auch ich diese bestimmte Serie in wenigen Tagen weggesuchtet XD.

Eine super süße Idee mit dem Verkuppeln. Lustig, dass die beiden sich darauf eingelassen haben und da mitspielen.
Ich mag auch diese SMS zwischendurch sehr. Ihr habt die Charaktere super cool beschrieben, die gefallen mir wirklich gut.

Vielen Dank, dass ihr beide da zusammen so was tolles gezaubert habt. Das ist was ganz besonderes für mich :).
Antwort von:  WeißeWölfinLarka
17.12.2020 19:11
Hey!
Ja, zu deinem Ehrentag musste doch eine Widmung her ;)
Wie meinst du das mit dem Verkuppeln? Also... generell waren die vorher ja schon zusammen :)

(ist die Schach-Serie gut? ich hab noch nicht reingeschaut:D)
Antwort von:  Knuddelkekswurmi
19.12.2020 11:31
Na ich meine, dass die Idee mit dem Kuppeln da war. Das wussten die anderen ja nicht, dass die beiden schon zusammen sind ;). Und dass sie sich trotzdem darauf eingelassen haben ist lustig.

Ja, ich fand die wirklich gut. Kann ich empfehlen :)
Antwort von:  FreeWolf
24.12.2020 09:05
Danke für deinen Kommentar! Schön, dass dir die Fic gefallen hat :)

Die anderen beiden haben schlicht den Münzwurf verloren - und haben die Art von #dedication, das durchzuziehen. Man merkt ja such, dass Takao das nicht recht drauf hat
Von:  Phoenix-of-Darkness
2020-12-13T16:24:30+00:00 13.12.2020 17:24
Eine gelungene Idee. 👍🏻
Die Dates waren interessant, da sie doch in einigen Punkten unterschiedlich verliefen und das Highlight war der Kuss zwischen Kai und Yuriy.
Über den Abschnitt in Klammern musste ich hingegen sehr lachen
Antwort von:  FreeWolf
14.12.2020 22:47
danke für deinen kommentar! :) ja, die dates waren schon sehr unterschiedlich und sie zu schreiben hat sehr viel spaß gemacht!
Von:  lady_j
2020-12-12T12:43:13+00:00 12.12.2020 13:43
Ich glaube das waren zu viele Intrigen heute für mich, ich weiß grad nicht mehr wer überhaupt was ernst gemeint hat. Nichtsdestotrotz fühle ich mich sehr unterhalten!
Antwort von:  FreeWolf
12.12.2020 14:58
Es stehen evil scheme versus evil scheme :D
Antwort von:  WeißeWölfinLarka
13.12.2020 13:46
Ich fürchte, das wissen die alle selbst nicht. Hauptsache Bratwurst, würd ich sagen.
Danke für deinen Kommentar ♥
Von:  Mitternachtsblick
2020-12-12T12:09:15+00:00 12.12.2020 13:09
Omg. Einfach nur omg. Ich lebe für die Bratwurst und die Awkwardness und Hiromi und Boris im Hintergrund, die irgendwelchen nicht wirklich evil Schemes durchziehen. Herrlich!
Antwort von:  FreeWolf
12.12.2020 14:57
Danke :D schön, dass es fir gefallen hat!
Antwort von:  WeißeWölfinLarka
13.12.2020 13:45
:)
Ein Hoch auf die Bratwurst. Danke für deinen Kommentar.♥

Von:  kylara_hiku_Lamore
2020-12-08T18:43:02+00:00 08.12.2020 19:43
Wie geil!! Ich kann mit den Jungs mit fühlen meine nicht ist 6 und kam auch letztens mit diesen neuen beyblades an! Allerdings wurden die Opfer des Hundes was nicht gerade zur guten Stimmung beigetragen hatte....
Antwort von:  WeißeWölfinLarka
08.12.2020 21:23
Oh nein, hat dein Hund die aufgegessen?
Ist das Verhalten von gou nach olziehbar? Das freut uns :)
Antwort von:  FreeWolf
08.12.2020 22:01
Danke für den Kommentar!! :D Ich freu mich auch dass du Gou nachvollziehbar fandest!
Antwort von:  kylara_hiku_Lamore
11.12.2020 22:03
Nein aber er hat ständig dafür gesorgt dass sie nicht lange kreiseln.... Und als er dann doch eines davon getragen hat, hat sie auch zu weinen begonnen weil sie meinte dass er es kaputt macht. Es blieb aber ganz! Was dann das weinen schnell beendet hat!
Von:  Phoenix-of-Darkness
2020-12-07T03:38:27+00:00 07.12.2020 04:38
Aww mein Herz ❤
Das ist so mega niedlich und eine wunderbare Hommage an Chef Daddy.
Ich liebe es und die Idee mit der Zeichentrickserie 🤣

Vielen Dank, dass ihr beiden euch dem 6. Türchen nich angenommen habt. Ihr seid wirklich super 😍
Antwort von:  FreeWolf
07.12.2020 22:28
Danke dir! :D Das hat unglaublich viel Spaß gemacht beim Schreiben und es freut mich noch mehr, dass du es auch toll fandest!
Antwort von:  WeißeWölfinLarka
08.12.2020 21:22
Vielen Dank für deine lieben Kommentar. Wenn du Lust hast können wir das auch Mal machen ;)
Von:  Mitternachtsblick
2020-12-06T21:56:39+00:00 06.12.2020 22:56
Oh mein Gott Leute, ich weiß nicht womit ich diese Ehre verdient habe T___T Das hier war perfekt, honestly perfekt. So süß, so witzig, ich habe Tränen gelacht bei dem hochdramatischen „SIE HABEN DEN NIKOLAUS GETÖTET“ XD Und der arme Kai, der weiterhin durch Peppa Pig traumatisiert wurde - herrlich! Und natürlich ganz viel Liebe für die beiden Papas und ihren Sohn im Allgemeinen. <3 HACH!!!!
Antwort von:  FreeWolf
06.12.2020 23:01
Du hast doch schon den Chefdaddy geschrieben, damit hast du mehr als genug getan. <3 Schön, dass wir dir eine Freude machen konnten mit unserer kleinen Metafic!
Antwort von:  WeißeWölfinLarka
06.12.2020 23:05
Ja, wir wollten ein kleines Monument setzen XD
(Und echt, immer wenn ich was mit Peppa Pig sehe, denke ich an dich und die Chefdaddy-Fic. Daher musste das drin vorkommen, ist auf meinem Mist gewachsen XD)
Von:  kikoxd
2020-12-03T23:26:04+00:00 04.12.2020 00:26
Eine schöne Slice-of-life FF.

Bei dem Schrank dachte ich, dass Boris die Löcher falsch gebohrt hat... da hätten die beiden noch ewig schieben und zerren können. XD

....oder hat er das vllt sogar ?

LG kiko
Antwort von:  WeißeWölfinLarka
04.12.2020 00:47
Nein nein, die Löcher sind richtig geborgt, das ginge sonst gegen Boris' Handwerkerehre. XD
Das ist allein Yuriys und Kais Blödheit geschuldet😅😅😅


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