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Priester und Mörder

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen,

in den letzten Jahren habe ich an meinem allerersten Roman geschrieben. Eine Geschichte, die ich mir zusammen mit meinem Mann ausgedacht habe. Eine düstere Geschichte, im Fantasy und Horror Genre angesiedelt. Meine zweite Leidenschaft neben dem Shonen-Ai.

Doch zwei der Charaktere aus diesem Roman bieten für mein Shonen-Ai Fan Herz einfach zu viel Potenzial, um es nicht zu nutzen.
Diese Geschichte entstand, weil ich Lust dazu hatte neben dem Buch, dass ich veröffentlicht habe, auch eine kurze Alternativversion zu schreiben. Auch, wenn es vielleicht seltsam ist, als Autorin selber eine Fanfiktion zu schreiben.

Ich habe diese Geschichte dennoch als Originalgeschichte eingestellt, weil es meine eigenen Charaktere sind, an denen ich und mein Mann das Copyright halten. Zudem hat diese Geschichte nur geringfügig mit der tatsächlichen Handlung des Romans zu tun.

Und es sollte jedem möglich sein die Geschichte zu verstehen ohne das Buch zu lesen. (Alles was passiert ist und zu den Ereignissen in dieser Fanfiktion geführt hat, findet ihr im Kapitel Vorgeschichte)

Diese Geschichte ist teils düster und wird auch Horrorelemente beinhalten. Allerdings denke ich, und mein Mann empfand es auch so, dass es auch ein paar lustige Momente gibt. (Ja, mein Mann war neugierig was ich da neben unserem Buch noch so schreibe und war erstaunlich begeistert davon XD) Komplett anzeigen

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Vorgeschichte

Noaka, das Land der Freiheiten. Nun, in gewisser Weise stimmte das. Nur, die Währung um sich diese Freiheiten zu erkaufen war Gold. Und am besten verstand sich Noakas Unterwelt darauf dieses System auszunutzen. Bestechung und Korruption waren Teil der Tagesordnung.
 

Eros beschwerte sich nicht. Es war wie es war. Doch er würde nicht aufhören Verbrecher zu töten, solange bis er sein eigenes Ende fand. Hoffentlich würde er es vorher schaffen Marodus zu töten. Seine Rache hielt ihn aufrecht, trieb ihn an.
 

Er hatte eine Zeit lang als königlicher Soldat gedient, später dann als Attentäter. Doch mittlerweile war er ein Kopfgeldjäger. Die Obrigkeit der Kirche hatte die Entscheidungsgewalt über Leben und Tod erhalten, da angeblich nur Gott über den Leib richten durfte. Es gefiel ihm nicht, doch seine einzige Chance über die Verbrecher zu richten bestand darin sie der Kirche zu bringen. Andernfalls würde er selbst zu einem Gesetzlosen werden.
 

Eros seufzte, er saß in einem seiner kargen Verstecke, es war der Keller eines ungenutzten Hauses, und schrieb seinen ganz persönlichen Bericht. Diesen würde er weder der Kirche noch dem König zukommen lassen.
 

Langsam führte er die Feder zu Papier und begann zu schreiben.
 

Ich beobachtete den Priester, Castus, erneut dabei, wie er sich blutverschmiert in seine Kammer zurückziehen wollte. Als ich ihn aufhielt und zur Rede stellte, redete er wie immer nur über Gott. Über seine Aufgabe und behauptete, dass er Gottes Streiter sei. Ich weiß dieser Mann verbirgt etwas. Jeder hat eigene Sehnsüchte und Wünsche…
 

In letzter Zeit kehrt er öfter blutverschmiert zur Kirche zurück. Alles hängt zusammen.
 

Eros schlug mit der Hand gegen die Wand. Marie Permont, wieso musste sie sterben? Doch er musste ruhig bleiben. Es war wichtig alles festzuhalten. Er seufzte und fuhr fort.
 

Ich erhielt einen offiziellen Auftrag von der Kirche, von dem obersten Priester, Pater Mechalis. Ich sollte Marie Permont überwachen. Eine junge Mutter, verheiratet mit einem Mann, der der Stadtwache diente. Nun, eher gesagt, war sie einmal mit diesem Mann verheiratet, bevor er bestialisch ermordet worden war.
 

Meine Überwachung verlief tagelang ereignislos, sie kümmerte sich um ihre Tochter und ging ihrem Tagewerk nach, bis sie schließlich das Haus verließ. Ich folgte ihr natürlich und beobachtete auf dem Friedhof, am Grab ihres Mannes, eine verstörende Szene.
 

Marie Permont traf sich mit zwei Männern. Sie redeten über einen Zirkel und darüber das sie versuchten irgendetwas zu kontrollieren. Ich verstand es nicht, dass einzige was mir in den Sinn kam, war ein Magier-Zirkel. Magie, die ohne Erlaubnis der Kirche oder des Königs zu eigenen Zwecken verwendet wurde, war verboten. Solche Menschen wurden zu Ketzern, die für vogelfrei erklärt wurden. Hieß, jeder durfte sie töten, ohne eine Strafe befürchten zu müssen.
 

Die Männer attackierten Marie, versuchten sie zu erwürgen. Also schaltete ich sie aus. Damit ging ich zu weit, aber sie hatte sich bei meiner Überwachung nicht bösartig verhalten und diese Männer hatten versucht sie zu töten. Also handelte ich.
 

Eros rieb sich die Stirn. Er war müde. Es war so viel passiert in den letzten Tagen. Und noch immer verstand er es nicht.
 

Einen Tag später wurde ich erneut zu dem Friedhof bestellt, um mich dort mit Castus zu treffen. Mir war klar was los war. Ich hatte getötet, ohne direkte Erlaubnis. Im Prinzip hatte ich mich damit auch zum Verbrecher gemacht.
 

Doch Castus betrachtete irgendein seltsames Utensil an seinem Handgelenk. Ich wusste, dass man es Insigne nannte. Es wurde mit dem Fleisch der Priester von Feuer und Seele vernäht. Diese Priester waren offiziell Dämonenjäger. Das Problem war, ich glaubte weder an Dämonen, noch an Gott.
 

Er verkündete, dass die beiden tatsächlich Dämonen gewesen waren. Wow, dann hatte ich in seinen Augen wohl Gottes Werk getan.
 

Eros schmunzelte ein wenig, doch strich den letzten Satz. Wer wusste denn schon, ob er den Bericht nicht doch irgendwann an den König aushändigen würde? Wenn er das Geheimnis der Kirche gelüftet hatte.
 

Doch dann verlangte er, dass ich Marie Permont entführen sollte. Er wollte, dass ich sie zu einem verlassenen Haus am Rande Lorrings, der Hauptstadt Noakas, brachte. Offensichtlich wollte er sie dort töten, oder erlösen, wie er es stets nannte. Ich hasste ihn für die Morde. Doch noch viel mehr hasste ich ihn, weil er immer so leidend tat, vorgab es würde ihm leidtun. Dabei brachte er Menschen um, aus seinem eigenen freien Willen. Dafür konnte er niemand anders verantwortlich machen.
 

Ja, auch ich töte Verbrecher, aber ich weiß, dass ich kein guter Mensch bin. Ich weiß, ich bin ein Mörder und ich kenne die Konsequenzen. Doch er ist ein Lügner.
 

Dennoch hatte ich kaum eine Wahl. Würde ich Marie nicht holen, so würde der wahnsinnige Priester das Haus einfach stürmen. Die Mutter vielleicht sogar vor den Augen des Kindes töten. Diesem Bastard traue ich alles zu.
 

Und außerdem hatte ich so die Chance nochmal mit Marie zu sprechen. Zu entscheiden, ob sie unschuldig war oder nicht.
 

Ich ging zu Maries Haus und sie ließ mich herein. Immerhin hatte ich sie ja auch gerettet. Ich sprach mit ihr, doch sie verhielt sich verdächtig. Sie wollte, dass ich gehe und versuchte nach etwas zu greifen. Auf dem Friedhof hatte ich gesehen, wie sie die Edelsteine an sich genommen hatte, ich wusste sie hingen um ihren Hals, und genau diese versuchte sie zu ergreifen.
 

Ich packte sie und hielt ihr ein Messer an den Hals. Und dann gestand sie alles. Sie gestand, dass sie mit den seltsamen Männern auf dem Friedhof gemeinsame Sache gemacht hatte, um Macht zu erlangen und dass sie ihren Mann getötet hatte. Das war ihr Todesurteil.
 

Ich brachte sie zu dem Haus, dass Castus mir gezeigt hatte. Und er tötete sie. Er köpfte sie und verbrannte ihren Leib. Ihr Blut besudelte meinen gesamten Körper.
 

Das Feuer das er benutzte, seine Magie, verbrannte nur Maries Fleisch. Nichts anderes wurde davon angegriffen.
 

Doch die Amulette, die Ketten, mit den blutroten Edelsteinen hatte ich zuvor an mich genommen. Sein Insigne reagierte nach ihrem Tod auf mich, doch das Signal war wohl nicht fein genug, denn ich gab ihm nur ein Amulett und behielt die anderen zwei, die der Männer, die ich auf dem Friedhof getötet hatte.
 

Castus gab nichts preis. Alles was er sagte war, dass Marie ein Dämon war, dass der Mord an ihr die einzige Möglichkeit gewesen war. Doch ich glaubte es nicht. Sie war eine Mörderin, ja, dass hatte sie gestanden, aber sie war ein Mensch.
 

Eros seufzte und lehnte sich im Stuhl zurück. Immer wieder sah er es vor sich. Den Kopf der über den Boden rollte, den wahnsinnigen Ausdruck in ihren Augen.
 

‘Zirkel‘, Marie und die Männer hatten darüber gesprochen. Castus hatte vielleicht alle Mitglieder dieses Zirkels gejagt. Weil er glaubte, dass sie einen Dämon an sich gebunden hatten?
 

„Es gibt keine Dämonen“, knurrte Eros. „Und ich werde das beweisen. Glaube mir Castus, ich hole mir die Wahrheit.“

Prolog


 

Der dunkle Schatten verdeckte den Blick auf das was sich dahinter verbarg.

Doch ein Teil von ihm wusste, was er sehen würde.

Wusste, dass es allein seine Schuld war.

Denn er hatte den Mann gebrochen.

Nur durch ihn hatte der Priester seinen Glauben verloren.

Und in diesem Moment, als die Kreatur vor Cartan stand, die Sense vermutlich im Leib des Priesters verhakt, konnte er nicht mehr sagen, ob er das Richtige getan hatte.

Seine Ehre, seine Rache, sein Leben, was war es schon wert?

Er hatte versagt.
 

Verbrecher oder Heiliger

Eros fühlte unbändige Wut.
 

Seine Schritte führten ihn schnell und gezielt durch die Straßen von Lorring, der Hauptstadt Noakas.
 

Für gewöhnlich betrachtete er seine Umgebung ganz genau, doch in diesem Moment war alles was er vor sich sah, nur der abgetrennte Kopf Maries.
 

In seinem Geist spielte sich die Szene immer und immer wieder ab. Der Priester, der das Schwert unbarmherzig hinabsausen ließ und der kranke Ausdruck auf Maries eigentlich hübschem Gesicht. Und dann noch ihr Kind. Es würde ohne Eltern aufwachsen. Und wieso? Weil Marie von einem Dämon besessen war? Für ihn klang all das nur nach einer Ausrede. Alles Lügen der Kirche.
 

Und der Priester folgte diesem Wahn blind. Ein Schoßhund, minderwertig und nicht besser, als diejenigen, die er jagte.
 

*Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Aus seiner Trance riss ihn einzig und allein das Klappern von Talern.
 

Eros Augen richteten sich auf einen kleinen Jungen. Er saß auf einem dreckigen Stück Leinen und bewegte eine Dose aus Lehm hin und her. Darin lagen nur wenige Kupfermünzen.
 

Erneut stieg Hass in ihm auf. Auf die Welt, die Menschen und vor allem die Verbrecher. Er wusste leider viel zu genau was den Jungen erwartete und ihm war vollends bewusst, dass seine Tat nichts daran ändern würde. Dennoch griff er in die weiten Taschen, seines schwarzen Mantels und zog einige Silbermünzen heraus.
 

Langsam ließ er sie in das Behältnis fallen und beobachtete, wie die trüben Augen des Waisenkindes begannen zu strahlen. Er wusste, wie viel Essen das Kind davon kaufen könnte. Wusste es leider nur zu genau. Das Gefühl der Gnade anderer ausgeliefert zu sein, ebenso wie ihrer Grausamkeit.
 

Bevor der Junge irgendetwas sagen konnte, wandte Eros sich ab und schritt schnellen Schrittes davon. Er konnte nicht alle retten. Ein zu Hause oder eine Familie konnte er niemandem bieten. Nur, dass Gold, dass ihm seine Dienste als Attentäter einbrachte.
 

Eros erlaubte es sich, seine Opfer gezielt auszusuchen. Er nahm nur Aufträge an, bei denen es um Verbrecher ging. Rauschgifthändler, Mörder oder Anführer von Banditenbanden. Unschuldigen krümmte er kein Haar.*
 

Marie Permont war nicht unschuldig gewesen. Sie hatte ihren eigenen Mann getötet, und doch, verstand er es nicht. Wie konnte man seine eigene Familie bewusst zerstören? Warum hatte sie es getan?
 

Dämonen akzeptierte er als Antwort nicht. Es war viel zu einfach alles auf die Finsternis zu schieben. Nein. Es waren die Menschen, sie waren es immer. Die Abgründe einer Seele konnten tiefer sein, als die vermeintliche Hölle.
 

Der Mord lag nun einige Tage zurück und Eros hatte nachgedacht. Ihm war egal, was die Kirche tun würde, egal was Castus sagte. Er verdiente die Wahrheit. Und, wenn sie ihm nicht gefiel, dann müsste der Priester ebenso sterben, wie Marie. Denn Verbrecher bestrafte er. Egal was es für ihn bedeutete.
 

Eros war vieles, aber sicher nicht feige.
 

Das Tor der Kirche erhob sich beinahe drohend vor ihm. Doch er grinste. Seine Hand tastete nach dem Dolch, welcher in seinem Mantel verborgen lag.
 

Normalerweise war er der lauernde Tod, ein unsichtbarer Schatten, den man nicht kommen sah. Doch Castus sollte ihn sehen. Er sollte wissen, was ihm blühte.
 

Völlig selbstsicher schritt er voran, entlang der Reihen von betenden Gläubigen, und empor die Treppe, gesäumt von Heiligen. Das Recht war auf seiner Seite.
 

Er hielt inne, als er sah, wie Castus aus Pater Mechalis Zimmer stürmte. Er hatte dem Oberhaupt der Kirche wohl Bericht erstatten müssen.

Der Priester schaute sich nicht um, sondern wandte sich sofort nach rechts. Er wollte in seine Kammer. Wie immer wollte er sich klammheimlich zurückziehen. Wen hatte er diesmal getötet?
 

Eros folgte ihm und packte zu, kurz bevor der Priester sein Ziel erreichen konnte. Er drehte ihn zu sich herum, presste ihn gegen eine Wand und betrachtete ihn herablassend.
 

„Wer musste diesmal sterben?“
 

„Hör auf mir zu folgen Eros. Das steht dir nicht zu.“
 

„Welches Kind darf diesmal ohne Eltern aufwachsen?“
 

Der Attentäter näherte sich dem Priester und zischte: „Du bist ein Monster und ich werde dich aufhalten.“
 

Eros sah die Wut in den Augen des anderen Mannes. Endlich eine Emotion. Doch sie wich viel zu schnell.
 

„Du bist im Hause Gottes. Lerne Respekt.“
 

Frustriert stieß er Castus noch einmal gegen die Wand, bevor er von ihm abließ.
 

„Das ist alles?! Gott, Dämonen. Und was ist deine Rolle dabei? Wieso übernimmst du keine Verantwortung für deine Taten. Du bist der Mörder! Du bist der Verbrecher!“
 

„Ich bin Gottes Streiter. Mein Wille ist nicht von Belang.“
 

Die Ernsthaftigkeit und Trauer im Blick des anderen Mannes trieben Eros Wut ins unermessliche. Dieser Priester war nicht unschuldig, nicht ehrlich. Er sollte endlich zu seinen Taten stehen. Er musste bestraft werden.
 

„Ich will die Wahrheit Castus. Was genau war mit Marie. Was war das für Feuer. Was jagst du.“
 

„Dieses Wissen steht nur Priestern von Feuer und Seele zu. Geh, Eros Doran. Bevor deine Drohungen ernste Konsequenzen nach sich ziehen.“
 

Noch einmal näherte er sich dem Priester und betrachtete jede Regung in dem schmalen Gesicht. Augenringe, helle braune Augen, doch eigentlich ungewöhnlich schöne Gesichtszüge. Die hellen Haare waren kurzgeschoren, wie bei allen Dienern Gottes. Keine Regung sprach von Lügen oder Angst. Dieser Mann glaubte an das was er tat.
 

„Wovor fürchtest du dich, Castus? Ist es bei deinem Gott in Ungnade zu fallen? Was würde ihm wohl missfallen?“
 

Ein seltsamer Gedanke durchfuhr ihn. Gewalt brachte ihn nicht voran. Aber vielleicht etwas anderes. Dieser Mann war ein Mörder. Ein wahnhafter Lügner. Anders konnte es nicht sein. Er würde ihn schon zwingen zu reden. Eros gab niemals auf.
 

Er packte beide Hände des Priesters und presste seinen Körper gegen den des anderen Mannes.
 

Die Augen des Priesters weiteten sich, was Eros dazu verleitete zu Grinsen.
 

„Was der Pater jetzt wohl denken würde?“, fragte er bevor er seine Lippen grob auf die von Castus drückte. Es war kein zarter Kuss, keine Bekundung von Liebe, sondern vielmehr der Ausdruck von wahrer Abscheu.
 

Er wollte den Mann bloßstellen. Wollte ihm zeigen, wie lächerlich sein Glaube war. Es war seine Rache. Für die Lügen und Geheimnisse.
 

* Dieser Ausschnitt hat es tatsächlich noch ins Buch geschafft, findet sich nun also im Original und in dieser Fanfiktion

Hass

Castus gesamter Körper versteifte sich. Seine Hände ballten sich zu Fäusten.
 

Er wollte Eros von sich schubsen. Doch kein Muskel rührte sich.
 

Die Lippen des anderen Mannes waren rau und pressten sich grob auf seinen Mund. Der warme Körper, der sich gegen den seinen drückte ließ ihn vor Ekel erschaudern. Im Hause Gottes, vor den Augen des Herrn.
 

Nicht ganz das was ich meinte, aber ich nehme was ich kriegen kann.
 

Der Dämon, sein altes Ich. Cartan, der Sünder. Wie ein Weckruf hallte die verhasste Stimme in seinem Inneren wider.
 

Wütend löste er seine Hände aus dem Griff des anderen Mannes und schubste ihn von sich.
 

„Gewalt im Hause Gottes? Hast du nicht immer gepredigt, dass jeder hier unantastbar wäre?“
 

Die süffisante Stimme erweckte tiefen Hass in ihm. Sein rechter Arm umfasste den linken Unterarm. Er drückte und kratzte. Was er wollte waren Schmerzen. Sie gaben ihm die Kontrolle.
 

„Verschwinde“, zischte er, um Beherrschung bemüht.
 

Vertreib ihn doch nicht. Wer weiß, wann uns ein anderer Mensch ranlässt. Eine hübsche Frau wäre mir auch lieber. Aber, so wie du dich benimmst...
 

Er drückte stärker zu. Nur um dann die Ampulle um seinen Hals zu umfassen. Castus trug immer ein kleines Fläschchen mit heiligem Wasser bei sich. Geweihtes Wasser der Priester dieser Kirche. Es verlieh ihm die Gabe klar zu sehen und vertrieb seine inneren Dämonen. Zitternd wollte er es zu seinen Lippen führen, doch bevor er auch nur einen Tropfen trinken konnte, trat Eros wieder dicht an ihn heran und hielt seine Hand fest.
 

„Was ist dieses Zeug? Warum willst du es trinken?“
 

Er fühlte unbändige Wut und Verzweiflung.
 

„Ich sage es nur noch ein einziges Mal. Verschwinde. Oder ich sorge dafür, dass du nie wieder einen Auftrag von dieser Kirche erhältst. Dann wirst du kein Gold mehr erhalten. Das ist doch alles was dir wichtig ist.“
 

Eros grinste. Seine Augen funkelten. „Man sollte nichts androhen was man nicht halten kann.“
 

Unrecht hatte der Attentäter nicht. Dem Mann war bisher noch jedes Vergehen vergeben worden. Und Beweise für Eros Fehlverhalten hatte er auch nicht. Fast schien es als erkannte Eros Castus Schweigen als eine Art Sieg. Übelkeit stieg in dem Priester auf. War die Kirche so tief gesunken, dass sie auf die Hilfe eines solch schleimigen Bastards angewiesen war?
 

Schwarze Haare, und dunkelbraune Augen. Eine Narbe an der Lippe und markante Gesichtszüge. Eros war kräftig und nur ein wenig größer als er. Und in diesem Moment hatte er ein derart widerliches Grinsen aufgesetzt, dass Castus ihn am liebsten schlagen würde. Doch dies war das Haus Gottes. Nur ihm zollte er Respekt und Demut.
 

Egal was Eros auch tat, er war ein Mensch. Kein Dämon. Niemand gegen den er Gewalt üben durfte.
 

„Für heute werde ich deiner Bitte folgen. Aber, wenn du mir keine Antworten geben willst, dann werde ich sie mir holen. Dazu ist mir jedes Mittel recht.“
 

Eros beugte sich erneut zu ihm vor und strich fast schon sanft durch seine Haare. „Wer weiß was ich an einem weniger pikanten Ort so alles tun könnte?“
 

Er wandte sich ab und schritt gemächlich davon.
 

Nur um noch einmal innezuhalten.
 

„Pass in nächster Zeit besser auf deinen Schatten auf. Vielleicht bin ich es, der dir auflauert.“
 

Castus bebte. Es kostete ihn alles an Beherrschung sich nicht vom Fleck zu rühren. Dieser Mann war respektlos und kalt. Eros sollte sich gut überlegen, ob er ihm andernorts auflauern wollte. Wäre dies kein Heiliger Boden, so wüsste er nicht was er getan hätte.
 

Eigentlich hatte er sich in seine Kammer zurückziehen wollen, doch die Wut und der Hass pulsierten in ihm. Sein gesamter Körper stand unter Spannung.
 

Eine Bar, schöne Frauen, Sex. Das wäre jetzt das Richtige.
 

Das Zittern wurde stärker. Wieso konnte der Dämon nicht von ihm ablassen? Er hatte sich von seinem alten Ich losgesagt. Cartan gab es nicht mehr.
 

Hastig führte er die Ampulle mit dem heiligen Wasser zu seinem Mund und nahm einen großen Schluck. Es fühlte sich an wie die Erlösung. Das Licht spülte die Dunkelheit hinfort und ließ ihn klarsehen. Schnellen Schrittes entfernte er sich von seiner Kammer und schritt die Treppen zu den Gebetshallen hinab.
 

Ein paar vereinzelte Gläubige saßen verteilt auf den Gebetsreihen. Teils mit gesenktem Kopf, teils bittend nach oben blickend oder einfach nur starr. Das Haus Gottes bot allen Zuflucht. Jeder konnte Erlösung und Vergebung erlangen. Daran musste er einfach glauben. Denn sonst wäre seine ganze Existenz sinnlos.
 

All der Verzicht, all das Blut und das Leid. Seine Buße.
 

Castus stand vor einem breiten hölzernen Tor, fest verschlossen. Seine Hände wanderten in die Taschen der weiten Robe und kramten nach dem Schlüssel. Er umfasste das Metall und führte es zum Schloss. Ein Klicken und er konnte die Tür aufziehen. Dahinter offenbarte sich das Kellergewölbe der Kirche. Hohe Decken, steinerne Wände. Schreie wurden von den mächtigen Steinen verschluckt, weshalb an diesem Ort die Gefangenen vor der Vollstreckung des Todesurteils beherbergt wurden.
 

Nur Gott durfte über Leben und Tod richten, und somit auch nur seine Vertreter auf Erden. Die obersten Priester der Kirchen Noakas, sowie der Papst.
 

Doch Castus Ziel waren nicht die gefangenen Verbrecher. Er war kein Mörder. Über Menschen richtete er niemals. Sein Ziel waren Dämonen, verlorene Seelen.
 

An diesem Tag wollte er sein Schwert schwingen, doch ohne das Blut und das Leid.
 

Er ließ das Tor hinter sich ins Schloss fallen und bewegte sich zur Mitte des großen Eingangsbereichs. In einer fließenden Bewegung zog er das mächtige silberne Schwert, Gnade, aus der Scheide. Castus drehte sich und bewegte das Langschwert schnell und präzise. Es war schwer, doch seine Muskeln waren gestählt von den täglichen Übungen.
 

So konnte er die Wut katalysieren, sich wieder fangen. Mit jeder Bewegung, mit jedem Stoß des Schwertes, jedem Gleiten, wurde er ruhiger. Wie ein geheimer Rhythmus. Seine Meditation.
 

Langsam bildeten sich Schweißperlen auf seiner Stirn. Seine Arme begannen träge zu werden. Doch das war ein großartiges Gefühl.

Er hielt inne und blickte zur Decke des Gewölbes empor.
 

„Gott, bitte gib mir die Kraft standhaft zu sein. Ich bin dein Streiter. Ich tue alles was du befiehlst. Mein Wille ist unwichtig. Meine Wut töricht. Bitte vergib mir meine Schwäche.“

Der Schatten

Eros besaß Geduld, das war schon immer seine Stärke gewesen. Wie lange der Priester sich auch im Schutz der Kirche verbergen wollte, er konnte warten.
 

Zwei Tage war es her, dass er den Priester überfallen hatte. Vielleicht war das ein wenig impulsiv gewesen. Doch Eros war nicht der Typ, der bereute. Castus Fassade hatte gewaltig gebröckelt und das würde er wieder schaffen. Egal wie. Immerhin war der Scheinheilige ein Mörder und ein Schoßhund. Blind folgte der Priester den Befehlen der Kirche und machte dabei vor nichts Halt. Nicht mal davor, das Kind der Mutter zu berauben. Erneut ballten seine Hände sich zu Fäusten.
 

Er würde für Gerechtigkeit sorgen. Und dazu musste er die Wahrheit aufdecken.
 

Sein Weg führte ihn durch die verschlungenen Gassen der Vorstadt von Lorring. Der innere Kreis der Hauptstadt war prunkvoll. Aufwendig verzierte Gebäude, breite, steinerne Straßen für Kutschen und mit Mustern gespickte gläserne Fenster. Doch die Randgebiete waren schäbiger. Klein und verwinkelt.
 

An jenem Tag, als Castus Marie tötete, hatte Eros etwas von ihr an sich genommen. Einen Edelstein, eingefasst in einer schlichten goldenen Kette. Eigentlich waren es mehrere gewesen, doch zwei hatte Castus ihm abgenommen.
 

Der Priester trug eine seltsame Apparatur, eingenäht in das Fleisch seines Handgelenks. Mithilfe dieses Geräts hatte Castus erkannt, dass er die Edelsteine bei sich trug, doch offenbar war das Signal nicht fein genug, um zu erkennen, dass er nicht alles herausgegeben hatte.
 

Was auch immer das sogenannte ‘Insigne‘, Castus magische Apparatur, auch war, wenn es auf die Edelsteine reagiert hatte, dann waren sie auf irgendeine Art wichtig für die Kirche.
 

Sein Weg führte ihn zu einer alten Bekannten. Relia Florant. Magiebegabt und besonders. Sie erkannte die wahre Natur hinter den Dingen, versteckte Eigenschaften oder auch Lügen. Sehr nützlich.
 

Sie lebte in einer prunkvollen Villa. Ihre Gabe hatte ihr viel Gold eingebracht.
 

Obwohl sie sich ein Gebäude im inneren Kreis der Stadt hätte leisten können, hatte sie die Behausung am Rande der Hauptstadt gewählt. Warum wusste Eros nicht. Ihm bedeuteten solche Dinge nichts. Materielles, Status oder Ruhm waren ihm egal. Er hatte kein zu Hause. Schon so lange nicht mehr.
 

Das Gold das er als Attentäter verdiente investierte er in weitere Verstecke, Unterschlüpfe und Kontakte. Wer ein Schatten sein wollte, musste auch ein entsprechendes Dasein führen. Er grinste und durchschritt das Tor zu Relias Villa.
 

Ein alter Mann begrüßte ihn und führte ihn ins Innere des Gebäudes. Eros war nicht zum ersten Mal an diesem Ort.
 

„Madame Florant befindet sich im Obergeschoss in ihrem Arbeitszimmer, Sir“, sagte der Diener mit einer angedeuteten Verbeugung.

Eros nickte und schritt die Treppen empor.
 

Überall Bilder in goldenen Rahmen, aufwendige Teppiche und Statuen mit teils teuer aussehenden Schmuckstücken verziert. Viel zu viel für Eros Geschmack, doch Relia war schon immer extravagant gewesen.
 

Er betrat ihr Arbeitszimmer und lächelte als die junge Frau sich zu ihm umwandte. Ihr schwarzes Haar war zu einem langen und eleganten Zopf gebunden. Ihre braunen Augen blickten ihm wach und ein wenig forsch entgegen. Während sie sich in einer fließenden Bewegung erhob und mit einer Hand die Zigarre zu ihrem Mund führte.
 

Sie schritt ihm entgegen und pustete den Rauch aus. Direkt vor ihm kam sie zum Stehen.
 

„Was kann ich für dich tun, Eros Doran?“, fragte sie mit ihrer samtigen Stimme.
 

Diese Frau war eine Klasse für sich.
 

„Ich habe das hier gefunden“, sagte Eros und holte den Edelstein aus seiner Tasche. Das Metall fühlte sich seltsam heiß an und der Stein schien in seiner Hand zu pulsieren. Es war magisch, dessen war er sich sicher.
 

Er streckte die Hand aus und präsentierte Relia den Edelstein.
 

„Schade wie schnell du zur Sache kommst“, sagte sie und schüttelte den Kopf, doch dann lächelte sie.
 

„Nun gut, lass mich mal sehen“, sie griff nach dem Stein und taumelte augenblicklich zurück, ihre Augen weiteten sich. „Was … Was ist das? Woher hast du es?“
 

„Ich fand es bei einer jungen Frau. Sie trug mehrere dieser Steine bei sich. Ein Priester von ‘Feuer und Seele‘ hat die anderen an sich genommen.“
 

„‘Feuer und Seele‘. Das macht Sinn. Es ist gefährlich.“
 

Relia betrachtete den Stein eingehend und dann Eros.
 

„Es fühlt sich an, als wäre etwas anderes mit diesem Stein verbunden. Er bindet die Lebenskraft von etwas Grauenhaftem. Ich verstehe die Verbindung zu der jungen Frau nicht. Alles was ich fühle ist Dunkelheit und Kälte. Ich glaube dieser Stein bindet ein Wesen an diese Welt, das nicht hierhergehört.“
 

„Fängst du jetzt auch mit Dämonen an?“, seine Worte waren forsch, beinahe unfreundlich. Er hatte es einfach zu oft gehört. Dieselben Ausreden. Die Menschen waren die Sünder, sie sollten aufhören Übernatürliches oder anderen Schwachsinn vorzuschieben.
 

„Ich sagte niemals Dämon“, bemerkte Relia lächelnd. Eros Unfreundlichkeit hatte sie noch nie beeindruckt.
 

„Aber vielleicht ja. Vielleicht nein. Ich kann dir nicht sagen, ob es Dämonen gibt. Aber das hier ist böse. Wenn du den Stein behältst stirbst du vermutlich.“
 

Sie sagte es ruhig und klar. Als wäre es eine schlichte Tatsache.
 

„Ich will nur die Wahrheit aufdecken. Ich muss wissen was die Kirche plant.“
 

„Das wird deine eigene Dunkelheit auch nicht vertreiben. Du solltest endlich anfangen wieder zu leben und die Vergangenheit loslassen.“
 

„Danke für deinen Rat“, Eros Worte trieften nur so vor Sarkasmus. Er griff unwirsch nach dem Edelstein in ihrer Hand, doch sie umschloss das Schmuckstück mit ihren Fingern und entzog es ihm.
 

„Vor einigen Jahren hast du mich gerettet, nun lass mich das Gleiche tun. Dieser Edelstein würde dir nur Leid bringen, und du könntest ohnehin nicht herausfinden was er verbirgt. Ich untersuche ihn für dich, ganz umsonst.“
 

Eros brummte und wandte sich um. Er war gereizt. Sollte sie den Edelstein doch behalten. Ja, ihm war klar, sie wollte ihm helfen und vermutlich könnte sie tatsächlich mehr herausfinden als er, doch immer wieder traktierte sie ihn mit den gleichen sinnlosen Floskeln. Leben, mit der Vergangenheit abschließen, abgedroschene und leere Worte. Sie hatte keine Ahnung. Erst wenn er den letzten Verbrecher mit ins Grab genommen hatte würde er Frieden finden. Mehr brauchte er nicht.

Die Mission

Alle Mitglieder des Zirkels waren tot und doch gab es noch immer Morde. Morde nach demselben Muster. Ausgestochene Augen und ein ausgemergelter verrotteter Körper, als würde das Wesen den Menschen die Lebenskraft entziehen . Das Handwerk des Dämons. Doch Castus war sich sicher, dass jeder einzelne Dämon vernichtet worden war.
 

Marie Permont war die letzte gewesen, welche ihre Seele verkauft hatte. Damit sollte die Kreatur, welche der Zirkel aus der Hölle heraufbeschworen hatte, eben dorthin zurückgekehrt sein.
 

Außer jemand anders hatte den Pakt erneuert. Doch das ging eigentlich nur dann, wenn man, entweder vom selben Blut, wie der ursprüngliche Mensch, welcher den Pakt einging war, oder wenn man Blut von diesem Menschen besaß. Doch er hatte alle Mitglieder verbrannt. Gereinigt mit dem heiligen Feuer. Nichts war zurückgeblieben. Nichts, außer Maries Tochter.
 

Stellte sie nun das Bindeglied zum Dämon her? Hatte sie ihre Seele verkauft, vielleicht, um die Mutter zurückzuerlangen.
 

Castus verkrampfte sich. Der rechte Arm umfasste den linken und drückte zu. Es war nicht genug. Er hatte die Mutter getötet, er war Gottes Willen gefolgt, doch nun das Kind? Das war zu grausam. Das konnte er nicht.
 

Pater Mechalis Worte, die Worte des Oberhauptes der Kirche von Noaka, hallten in seinem Kopf wider:
 

Die Dunkelheit verbirgt sich überall. Die Dämonen sind klug und gerissen. Sie versprechen dir vieles um deine Seele zu erlangen, doch am Ende bringen sie nur Tod und Leid. Verfalle ihnen nicht, höre ihnen niemals zu. Alles was wir tun können ist sie zu erlösen.
 

Nur der Tod brachte die Erlösung. War die Seele einmal verkauft gab es kein Zurück, kein Schlupfloch. Er wusste das. Vielleicht war Maries Tochter nicht besessen, vielleicht hatte er etwas anderes übersehen. Er musste dem Nachgehen. Und er musste bereit sein zu tun was nötig war.
 

Das Kind war in ein Heim am Rande von Lorring gebracht worden. Das war sein nächstes Ziel, seine Mission.
 

Pater Mechalis hatte dem Anliegen unverzüglich zugestimmt, seiner Ansicht nach hatte Castus recht, und der Dämon musste nun mit dem Kind verbunden sein. Der Priester zitterte. Sein ganzer Körper war angespannt. Warum? Warum musste so etwas geschehen? Unzählige Dämonen hatte er erlöst, doch ein Kind, er wusste nicht, ob er für diese Prüfung bereit war.
 

Hoffentlich lag er falsch.
 

Meinst du der aufdringliche Kerl wird uns wieder überfallen oder waren seine Drohungen nur leere Worte?
 

Nicht schon wieder. Zittrig führte er die Ampulle mit heiligem Wasser zu seinem Mund und trank mehrere Schlucke. Cartan gab es nicht mehr, sein altes Ich war tot und so sollte es auch bleiben.
 

Castus hielt abrupt inne. Sein innerer Kampf, hatte ihn von allen äußeren Einflüssen abgeschirmt. Das Heim erhob sich bereits vor ihm. Kein Zaun, kein Schutz, nur ein heruntergekommenes Haus aus Holz.
 

„Willkommen, werter Priester, was ist ihr Begehr?“ Die weibliche Stimme zerrte ihn zurück in die Realität. Eine Nonne im traditionellen schwarz-weißen Gewand. Der Stoff verhüllte alles und demonstrierte ihre Keuschheit. Nur das Gesicht war zu erkennen.
 

„Ich komme im Auftrag von Pater Mechalis, dem Oberhaupt der Kirche von Lorring. Ich suche nach der Tochter von Marie Permont, Elisa Permont.“
 

„Oh, das arme Kind. Sie hat so viel durchgemacht. Sie kann nicht schlafen und sie weint sehr viel.“
 

Castus konnte nichts dagegen tun, dass sein Körper sich verkrampfte. Leid, dass er über das Mädchen gebracht hatte. Doch das stimmte nicht. Schuldig war die Mutter, die bereitwillig ihre Seele verkauft hatte. Er hatte das einzige getan, was er tun konnte. Der Priester hatte der Frau Erlösung geschenkt, auf das ihre Seele vielleicht die Chance haben würde, das Kind eines Tages im Himmel wiederzusehen.
 

„Darf ich fragen, was der Grund für diesen Besuch ist? Sie ist traumatisiert.“
 

Castus musste an die strahlenden Augen des Mädchens denken, als er ihr sagte, er habe das Haus gereinigt. Sie hatte Hoffnung in ihm gesehen und er hatte ihre Mutter getötet. Doch das Mädchen wusste das nicht. Vielleicht würde sie sich sogar freuen ihn zu sehen.
 

„Sie kennt mich. Ich habe bereits einmal mit ihr gesprochen. Vielleicht kann ich sogar helfen. Der Grund für das Gespräch ist eine Angelegenheit von Feuer und Seele. Daher kann ich nicht darüber sprechen.“
 

Die Nonne nickte, doch ihre Sorgen schienen nicht zerstreut. Ganz im Gegenteil. Wer sich im Visier von Feuer und Seele befand starb. So sagte man sich. Keiner der einfachen Bürger verstand tatsächlich was die Organisation tat. Sie fürchteten die unheimlichen Priester in ihren dunklen Roben.
 

Dennoch wandte die Frau sich um und schritt dem Haus entgegen. Castus folgte ihr ohne zu zögern. Auch diese Prüfung würde er meistern. Gott verlangte viel von ihm, doch er hatte auch viele Sünden aufzuwiegen. Jeder Betrug, jede schamlose Gier der Cartan gefolgt war, lastete auf seiner Seele.
 

Er zuckte zusammen, als jemand seine Beine umklammerte. Er war gerade erst in den Vorhof getreten, doch das kleine Mädchen klammerte sich bereits an ihn. Wie konnte er nur so unaufmerksam sein?
 

Er erkannte das braune Haar und sein Herz verkrampfte sich.
 

„Elisa!“, schimpfte die Nonne neben ihm und das Kind ließ vom Priester ab. Dennoch ruhten Elisas Augen bittend auf Castus. Sie hoffte wohl, dass er das Böse erneut vertreiben würde. Doch das konnte er nicht.
 

„Du sollst doch nicht ständig aus dem Haus rennen! Es ist gefährlich!“
 

„Entschuldigung, Schwester Magnolia. Ich habe Angst im Haus. Alles erinnert mich an die Nacht, als das Monster meinen Vater holte. Hat das Monster auch meine Mama geholt?“, fragte sie an Castus gewandt. Sie suchte Antworten.
 

Was sollte er sagen? Dass er das Monster war? Doch, die Kreatur, die das Mädchen in jener Nacht gesehen hatte, war ein Dämon. Eine Kreatur der Finsternis, die auch in diesem Moment noch durch Lorring streifte und immer mehr Unschuldige in die Verdammnis zerrte.
 

„Nein, deine Mutter erlitt ein anderes Schicksal. Doch sei versichert, dass sie nun frei ist. Ihre Seele ist erlöst und findet Zuflucht im Himmelreich.“
 

Tränen traten in die Augen des Mädchens, doch Castus fühlte primär Erleichterung. Keine Dunkelheit, keine Hitze, sein Insigne schlug nicht aus. Elisa hatte keinen Pakt mit dem Dämon geschlossen.
 

„Warum war sie denn vorher nicht frei? Muss ich auch erlöst werden?“
 

Castus kniete sich zu dem Mädchen herab und schüttelte den Kopf. „Nein, mein Kind. Du bist gut und rein. Vor dir liegt noch ein ganzes Leben. Folge dem Pfad Gottes und sein Licht wird dich auf ewig schützen.“
 

Sie zitterte und noch immer rannen Tränen ihre Wangen hinab. Sie hatte Angst. Doch das war in Ordnung. Sie könnte leben. An diesem Tag würde er nicht blutverschmiert heimkehren. Fast fühlte es sich an, als hätte diesmal er Vergebung erlangt.

Die Wahrheit erzwingen

Eros wartete nur auf den richtigen Moment. Es war nicht das erste Mal, dass er jemanden beschattete und er machte niemals leere Versprechungen.
 

Doch das Castus die Dreistigkeit besaß, jenes Mädchen zu besuchen, dessen Mutter er getötet hatte, konnte er nicht begreifen. Wie konnte er das Kind so aufrichtig ansehen, ohne dabei vor Scham im Boden zu versinken. Und dann schwafelte er auch noch von Erlösung. So ein Bastard.
 

Seine Hände verkrampften sich, doch er zwang sich dazu ruhig zu atmen. Er war ganz schön nah dran. Hinter einem Baum auf dem Grundstück des Heims. Die Nonne und der Priester waren so miteinander beschäftigt gewesen, dass er sich völlig unbemerkt hatte bewegen können, um dann schließlich hinter einem Baum in Deckung zu gehen.
 

Das Gespräch endete offenbar damit, dass das Mädchen begann zu weinen. Eros schloss für einen kurzen Moment die Augen. Er hätte Elisa nicht entgegentreten können. Immerhin hatte er Marie an Castus ausgeliefert. Er war ebenso schuldig wie der Priester, doch gerade deshalb musste er die Wahrheit erfahren.
 

Castus verabschiedete sich von der Nonne und Elisa. Dann machte er kehrt. Nicht gerade ein langer Besuch. Der Zweck erschloss sich Eros nicht.
 

Da die Nonne fort ging, hatte er freie Bahn und konnte dem Priester vom Grundstück folgen. Er hatte schon immer ein Talent dafür sich lautlos zu bewegen. Ungesehen und heimtückisch. Manche Verbrecher hatten ihr Ende nicht mal kommen sehen. Ein Grinsen stahl sich auf sein Gesicht. Wenn er ehrlich war, war genau das sein Element. Beobachten, Anschleichen und Zuschlagen. Es machte ihm mehr Freude als er je zugeben würde.
 

Das Heim befand sich am Rande Lorrings, was bedeutete, dass er und der Priester sich ganz in Ruhe unterhalten könnten. Kein Haus Gottes, keine Regeln. Er würde nicht eher nachgeben, bis der Priester ihm alles gesagt hätte.
 

Castus schritt eine leere Straße entlang und Eros war ihm durch Seitengassen gefolgt. Er kannte sich gut aus. Er wusste, wie er jemandem den Weg abschneiden konnte. Genau im richtigen Moment trat er aus dem Schatten und stellte sich direkt vor den Priester.
 

Die Augen erfassten ihn schnell und wirkten müde.
 

„Bitte, Eros. Lass mich einfach durch“, forderte der andere Mann matt.
 

Warum war er so erschöpft? Diesmal hatte er doch gar nicht gekämpft.
 

„Du weißt was ich will“, entgegnete er gelassen. Doch es war nur Fassade. Innerlich brodelte er. Castus war nicht nur ein Schoßhund der Kirche, sondern auch noch eiskalt und respektlos. Elisa hatte wahrlich genug gelitten.
 

„Gold nehme ich an.“
 

Eros schnaubte. „Offenbar verstehst du gar nichts.“
 

„Derjenige der nichts versteht bist du. Du hast keinen Respekt vor mir, keinen Respekt vor der Kirche oder der Obrigkeit und noch dazu keinerlei Manieren.“
 

Nun stahl sich ein Grinsen auf Eros Gesicht. „Du erinnerst dich doch an mein Versprechen, oder? Hier gibt es nur uns beide. Egal was ich tue, niemand sieht es.“
 

Er näherte sich dem Priester langsam. Natürlich wollte er ihm keine Gewalt antun. Jedenfalls noch nicht. Nicht bevor er alles wusste.
 

„Gott sieht alles.“
 

Eros musste sich zusammenreißen. So abgedroschen. Leere Floskeln. Hatte Gott auch gesehen wie seine Mutter gestorben war? Hatte er Mitleid mit dem kleinen Jungen gehabt, dessen Leben zerstört worden war? Nein, Eros suchte den Grund oder die Schuld nicht bei einem höheren Wesen. Die Menschen machten schon allein mehr als genug kaputt.
 

„Und du? Was siehst du, wenn du in den Spiegel schaust? Eine Marionette der Kirche oder gar Gottes?“
 

Castus schüttelte den Kopf. Doch Eros würde nicht aufhören.
 

„Glaubst du tatsächlich du folgst Gottes Willen? Glaubst du das es so etwas gibt? Will er die Kriege, die Kämpfe, die Verbrechen? Will er das du die Mutter eines Kindes tötest? Tatsächlich?“
 

Der Priester zitterte, Eros sah wie der andere Mann kurz davor war nach seinem Schwert zu greifen. Silber und schwer. Mit nur einem Hieb hatte er Marie geköpft. Schoßhund oder nicht, Castus war gefährlich und im Kampf ausgebildet.
 

Dennoch trat er immer dichter an den Priester heran, bis er schließlich direkt vor seinem Gesicht zischte: „Sag es mir, oh, Gottes Streiter. Spricht er zu dir? Oder ist es nicht nur die Kirche, die dir seinen vermeintlichen Willen einflüstert?“
 

„Schweig!“, nur ein Wort, laut und voller Macht ausgesprochen. Aber Eros wich nicht zurück. Er starrte Castus geradewegs in die Augen.
 

„Eros Doran, ich warne dich. Mein Gebot verbietet es mir Menschen zu verletzen, aber deshalb werde ich nicht alles tolerieren.“ Die Worte des Priesters zeugten von mühsamer Beherrschung.
 

„Wer gibt dir Befehle? Gott oder die Kirche?“
 

„Es gibt keinen Unterschied“, entgegnete Castus kühl.
 

Eros grinste und entfernte sich vom anderen Mann. Damals hatte er die Fassade des Priesters mit einem groben Kuss zum Bröckeln gebracht, doch das würde ihn nicht weiterbringen. Seine Raffinesse jedoch schon. Alles nur ein Ablenkungsmanöver. Während er sich Castus genähert hatte, hatte Eros ein paar Tropfen einer ganz speziellen Tinktur in die Ampulle des Priesters gemischt. Wahrheitsserum.
 

Wieder mal klammerte sich die rechte Hand des Priesters um den linken Unterarm. Eros hatte das schon oft beobachtet. Er verstand Castus nicht. Seine Ziele, seine Beweggründe, vordergründig so klar, erschienen ihm dennoch völlig schleierhaft. Was hatte den Mann dazu gebracht sich einem Gott so demütig zu unterwerfen? Oder war es tatsächlich nur Fassade. Eros würde alles aufdecken.
 

„Hast du jetzt endlich genug?“, fragte Castus und betrachtete Eros, als wäre dieser eine lästige Plage, die er tolerieren musste.
 

Nun durfte der Attentäter nicht zeigen, dass er sein Ziel bereits erreicht hatte.
 

„Ich gebe nicht auf. So oder so, auf die ein oder andere Weise, werde ich erfahren, was die Wahrheit ist.“
 

„Dann sprich mit Pater Mechalis. Wenn dich irgendjemand in die Geheimnisse der Kirche einweihen dürfte, dann er. Wenn er dich für vertrauenswürdig erachtet, dann soll es so sein. Ich werde nichts sagen.“
 

Die Worte klangen beinahe höhnisch, was dem Attentäter ein klein wenig imponierte. Mit so etwas wie Sarkasmus hatte er bei dem Priester nicht gerechnet.
 

„Vielleicht tue ich das“, entgegnete er dennoch völlig ungerührt. Alles nur noch Geplänkel, um von seiner kleinen, aber hoffentlich wirkungsvollen, Schandtat abzulenken.
 

„Geh, verkriech dich in der Kirche. Und warte darauf, dass der kleine dicke Mann dich wieder herumkommandiert.“
 

Castus kämpfte sichtlich um Beherrschung. Eros sah, wie die rechte Hand stärker zudrückte. Der Priester atmete tief durch und nahm wie erhofft ein paar Schlucke von der Flüssigkeit aus seiner Ampulle. Die Provokation hatte zum gewünschten Ergebnis geführt. Es würde nicht lange dauern, bis Castus jede seiner Fragen beantworten müsste.
 

Das Zittern ließ nach und Castus ließ die Schultern sinken. Sein Blick war kalt, als er Eros wieder ansah. „Du bist es nicht wert…“, sagte er schlicht und schritt an dem Attentäter vorbei. Doch Eros berührte das nicht. Hass und Wut waren sein Ziel gewesen. Gleichgültigkeit war ebenso in Ordnung. So oder so war der Priester unaufmerksam und Wahrheitsserum begann durch seinen Blutkreislauf zu zirkulieren. Das war seine Chance.

Überschrittene Grenzen

Beinahe hätte er sich vergessen. Beinahe hätte er einen Menschen verletzt. Erneut umfasste die rechte Hand den linken Unterarm. Er drückte so fest zu, wie er nur konnte. Es war nicht genug.
 

Erst Elisa, ihr trauriges Gesicht und ihre Tränen und dann wieder Eros. Warum konnte der Attentäter ihn nicht in Ruhe lassen? War seine Bürde denn nicht Last genug? Er wünschte sich all den Tod und das Blut nicht. Doch es gab keinen anderen Weg. Nur so konnte er die Seelen der Menschen befreien, die einen Pakt mit einem Dämon geschlossen hatten.
 

Elisa war nicht verloren. Sie hatte ihre Seele nicht verkauft. Wenigstens etwas Gutes, ein wenig Gerechtigkeit. Eros würde niemals begreifen. Er war verblendet und arrogant. Er war es tatsächlich nicht wert. Der Attentäter würde Castus nicht dazu bringen seine Prinzipien zu verraten. Niemals.
 

Bist du dir sicher? Ich habe seine Worte heute als eindeutiges Angebot verstanden. ‘Hier gibt es nur uns beide. Egal was ich tue, niemand sieht es’. Wir könnten unseren Horizont erweitern.
 

Verdammt, er hatte doch vom Heiligen Wasser getrunken. Fahrig führte er die Ampulle erneut zu seinen Lippen. Etwas fehlte. Das Gefühl von Erlösung blieb aus. Die Klarheit kehrte nicht zu ihm zurück.
 

Es ist noch nicht zu spät für ein wenig Spaß. Wenn du verklemmt bist, können wir auch einfach in einer Bar eine schöne Frau verführen.
 

„Hör auf!“, rief er. Niemand außer ihm war in der dunklen Gasse. Zum Glück. Meistens schaffte er es die Worte in seinem Kopf zu ignorieren, doch an diesem Tag war Cartan, sein altes Ich, hartnäckig.
 

Wenn dir alles zu viel ist, dann lass mich übernehmen.
 

Castus biss die Zähne zusammen und schritt voran. Er musste zur Kirche, dort könnte er das Heilige Wasser wieder auffüllen.
 

Irgendetwas stimmte nicht.
 

Die Schritte fielen ihm schwer, überhaupt einen klaren Gedanken zu fassen, wurde immer schwerer.
 

„Ich will meine Sorgen vergessen, ich will keine Erlösung“, die Worte verließen seinen Mund, ohne dass er es hätte aufhalten können. Das waren nicht seine Gedanken.
 

Panik befiel ihn. Was war das? Warum verlor alles an Kontur, seine Sicht verschwamm. Er musste stark sein, er war Gottes Streiter. Nur er konnte die verlorenen Seelen retten. Von seinem alten sündhaften Ich hatte er sich losgesagt.
 

Dann wurde er plötzlich gepackt. Starke Arme hielten ihn fest. In seinem derzeitigen Zustand konnte er nichts dagegen tun. Etwas legte sich über seinen Mund. Jeder Atemzug ließ die Umgebung mehr verschwimmen, bis ihn nur noch Schwärze umhüllte.
 

***
 

Kopfschmerzen waren das erste was Castus fühlte. Seine Augen öffneten sich langsam, nur, um ob des Lichtes sofort wieder zuzufallen. Es dauerte ein wenig bis er seine Umgebung wieder wahrnehmen konnte.
 

Nur Kerzenlicht erhellte den Raum. Eigentlich ein sanftes Licht, doch in diesem Moment, wäre einzig und allein Dunkelheit erlösend.
 

Wenn das wenigstens ein Rausch wäre, den wir versuchen auszuschlafen…
 

Nicht schon wieder. Warum? So oft suchte ihn die Stimme sonst nicht heim. Beinahe instinktiv wollte er nach der Ampulle um seinen Hals greifen, doch seine Hände waren gefesselt. Nicht nur das, auch seine Beine konnte er kaum bewegen.
 

Sein Blick wanderte seinen Körper hinab. Die Roben waren ihm offenbar ausgezogen worden. Nur ein einfaches Hemd aus Stoff und seine Unterwäsche waren ihm geblieben.

Auch die Ampulle fehlte.
 

Er biss die Zähne fest aufeinander und wandt sich mit aller Kraft. Doch keine Chance. Alles was er dadurch gewann waren Schmerzen.
 

Die Seile reizten seine Haut bei jeder Bewegung ein wenig mehr.
 

Ein seltsames Schaudern durchlief seinen Körper. Schmerzen waren für ihn schon immer Erlösung gewesen. Erschrocken über seine eigenen Gedanken stellte er jegliche Bewegung ein. Es war sinnlos, auf diese Weise würde er nicht entkommen.
 

Schämst du dich etwa für deine besonderen Vorlieben? Vielleicht ist der Attentäter gar nicht so schlecht für uns. Er kann dich bestrafen…
 

„Nein, nein, nein!“, rief Castus und fühlte Verzweiflung in sich aufwallen. Das war nur eine Prüfung. Ein weiterer Test durch seinen Gott. Er würde nicht versagen, er würde nicht erneut in Ungnade fallen.
 

„Na endlich, ich dachte du würdest gar nicht mehr aufwachen.“
 

Natürlich, diese Stimme. Es war Eros. Wer auch sonst würde es wagen so weit zu gehen?
 

„Mach mich auf der Stelle los“, grollte Castus mit unverhohlener Wut. Der Attentäter war bereits viel zu weit gegangen.
 

„Ich tue nur was ich für richtig halte. Die Konsequenzen sind mir egal. Ich werde der Kirche keinen einzigen Verbrecher mehr bringen, nicht bevor ich die Wahrheit kenne.“
 

Der Attentäter stand nun neben dem ans Bett gefesselten Priester. Der ganze Raum war karg und heruntergekommen. Wahrscheinlich befanden sie sich in einem leerstehenden Haus. In Lorring gab es viele schäbige Viertel.
 

„Du denkst, dass ich dir alle Geheimnisse der Kirche offenbare, nur, weil du mich gefesselt hast?“
 

Eros beugte sich über den Priester und grollte dicht vor seinem Gesicht: „Nicht nur, weil ich dich gefesselt habe. Hier kann ich tatsächlich alles tun. Und es gibt unzählige Möglichkeiten jemanden leiden zu lassen.“
 

Bin ich der einzige, der das erregend findet?
 

Castus knurrte und begann erneut sich zu winden. Wieso befand er sich in einer solchen Situation? Erregend, von wegen. Eros hatte ihm Folter angedroht. Das würde ernsthafte Konsequenzen nach sich ziehen. So etwas konnte die Kirche nicht vergeben. Der Attentäter war dabei Hochverrat zu begehen.
 

Eros hatte sich zurückgezogen und kramte in einer Truhe. Castus versuchte irgendetwas zu erkennen, doch, da er sich nicht aufrichten konnte, gab es keine Chance den Inhalt der Kiste zu sehen. Noch dazu verdeckte Eros breiter Rücken ohnehin fast alles. Mit einem Seufzen gab er die Anspannung auf und ließ sich mehr oder minder ergeben in die Leinendecken sinken. Er konnte nichts tun. Ihm blieb nur Eros zu überzeugen. Seine Magie wirkte nicht gegen Menschen. Und so dämonisch der Attentäter sich auch benahm, sein Insigne schlug nicht aus. Hieß, Eros war trotz allem nur ein Mensch.
 

Der andere Mann kehrte zurück und hielt eine Feder in der Hand. Damit wollte er ihn foltern?
 

Ich habe da so eine Idee, in welche Richtung diese Folter gehen könnte…
 

Eros Grinsen war teuflisch und in dem Moment als der Attentäter das Hemd des Priesters nach oben schob und begann die Feder ganz leicht an seiner Seite entlang zu bewegen begriff Castus. Es kitzelte und er konnte sich nicht wehren. Alles in ihm verkrampfte sich, es war Ewigkeiten her, dass er das letzte Mal gelacht hatte und er wollte es gewiss nicht in diesem Moment tun. Nicht so, nicht vor Eros. Vor dem Mann, den er mehr als alles andere hasste.
 

Als die Feder schließlich seine Füße berührte konnte er nicht mehr, er begann zu lachen, erst zögerlich, dann immer unkontrollierter.
 

Tränen rannen seine Wangen hinab. Es tat fast schon weh und Eros hörte einfach nicht auf. Zwischen dem Lachen und Weinen schaffte er es kaum noch nach Luft zu schnappen. Und ein Teil von ihm mochte dieses Gefühl. Alle Probleme, alle Last schien so fern. Nur dieses Gefühl, er fühlte nur seinen Körper.
 

Dann endete es und er war beinahe enttäuscht. Eros sah ihn mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck an.
 

„Wieso hörst du auf? Das war der Strafe nicht genug“, forderte er mit einer Stimme, die ihm unendlich fremd schien. Das waren nicht seine Worte. Cartan, warum konnte er sich seiner Sinne bemächtigen, er konnte fast nicht mehr denken. Er wollte mehr, er wollte Schmerzen.
 

„Tu mir weh. Tu mir richtig weh, bring mich zum Reden!“
 

Eros wich erstaunt zurück. Doch er holte ein weiteres Spielzeug. Eine Art Zange. Der Attentäter beugte sich über ihn und zerriss schließlich kurzerhand das Hemd des Priesters.
 

„So willst du es also? In Ordnung, dann bekommst du Schmerzen.“
 

Und mit diesen Worten klemmte er Castus Brustwarze mit der Zange ein und zog daran.
 

Der Priester schrie auf. Es tat so weh, doch gleichzeitig fühlte er sich endlich wieder lebendig, ja, es war erregend.
 

Endlich lässt du dich darauf ein, lass uns Spaß haben. Es ist viel zu lange her.
 

Als Eros von ihm abließ fühlte er warmes Blut an seiner Brust, doch es reichte nicht, noch lange nicht.
 

„Mehr. Ich brauche mehr“, grollte er. Doch Eros Blick wanderte an eine ganz andere Stelle.
 

In Castus Unterhose zeichnete sich ganz deutlich die Erregung ab.
 

„Was zum… Du…“
 

„Was denn, oh mächtiger Attentäter? Hat es diesmal dir die Sprache verschlagen? Du hast mich doch rausgelockt, um zu spielen. Danke für den speziellen Trank, diesmal war es kein Weihwasser oder?“
 

Was, was für Worte verließen seinen Mund.
 

Castus fühlte sich gefangen in seinem eigenen Körper und doch so frei wie lange nicht mehr.
 

Cartans Stimme hallte nicht mehr nur in seinem Kopf wider, nein, auch Eros hörte sie.
 

Er sprach die Worte aus.
 

„Wer bist du?“, fragte Eros, seine Augenbrauen zogen sich zusammen. „Deine Gottesfurcht wirkte immer ehrlich, ich habe es nicht verstanden, aber das hier? Das soll die Wahrheit sein?“
 

Castus merkte wie sich ein Grinsen auf seinem Gesicht ausbreitete. Kontrolle hatte er längst keine mehr.
 

„Gottesfurcht, Wahrheit, so hochtrabende Worte. Ich bin Cartan. Das wahre Ich des Kirchenjägers. Und ich stehe zu meinen Gelüsten, statt sie zu verbergen.“
 

Niemand sollte es wissen, niemand durfte es erfahren. Eros Blick brannte auf seiner Haut. Wie sollte es nun weiter gehen? Der Attentäter hatte sein größtes Geheimnis gelüftet.

Gespaltene Persönlichkeit

Eros fühlte sich wie erstarrt. Selbstsicher und erregt lag der Priester vor ihm auf dem Bett. Der Ausdruck im Gesicht, die Art zu reden, alles hatte sich verändert.
 

Cartan, ein anderer Name, was sollte das bedeuten?
 

Und warum hatte Eros weiter gemacht, als der andere ihn angefleht hatte. Seine Hände verkrampften sich. Es gab von Anfang an keinerlei Grund für die Folter. Das Wahrheitsserum hätte den Priester ohnehin gezwungen ihm alles zu sagen. Und doch hatte er seine Fassade bröckeln sehen wollen. Er mochte es, mochte es Schmerzen zuzufügen. Diesmal einvernehmlich und ohne tödliches Ende. Es war aufregend, aber er musste damit aufhören.
 

Warum starrte er Castus, oder Cartan, noch immer an. Gerötete Wangen, geschwollene Brustwarzen. Ein schöner und definierter Körper, Muskeln und die Männlichkeit, die sich deutlich in der Hose abzeichnete. Er musste schlucken. Der Schoßhund der Kirche lag gefesselt vor ihm und sah einfach nur heiß aus.
 

Mehr als alles andere faszinierten ihn jedoch die Augen des Priesters. Endlich spiegelte sich Leben in ihnen wider. Erregung und Ungeduld. Beinahe vergaß Eros warum er an diesem Ort war, was der Zweck all dessen gewesen war.
 

Er schloss die Augen, ging in eine Ecke des Raumes und warf schließlich eine Leinendecke über den Priester. Es reichte, er musste aufhören.
 

Das war nicht das Ziel gewesen. Es ging um Marie und Elisa, um Gerechtigkeit, nicht, um irgendwelche niederen Bedürfnisse. Er musste die Wahrheit aufdecken.
 

„Ist das schon das Ende unseres schönen Spiels?“, schnurrte Cartan beinahe.
 

Eros bebte. Die Wut galt mehr ihm selbst, als dem vermeintlichen Priester.
 

„Was hat das alles zu bedeuten? Warum sagst du, du seist Cartan? Wer ist dann Castus? Was geht hier vor?“
 

„Ich weiß es nicht. Ich wurde einst von dunklen Wesen angegriffen, die Kirche nannte sie Dämonen. Ich habe einige Dinge getan, die mich glauben ließen, ich müsste mich der Verdammnis der Hölle stellen. Die Kirche nahm mich auf, sie gaben mir einen neuen Namen, Castus de Serrant, und das heilige Wasser. Sie versprachen meine Seele würde gerettet werden, wenn ich Gottes Willen folgen würde. Doch irgendwann verlor ich mich selbst. Ich wurde zum Beobachter. Castus entstand, gottesfürchtig, langweilig und gehorsam. Teilweise gab es für mich nur Schwärze. Sein heiliges Wasser ließ mich zeitweise gänzlich verschwinden. Ich kann ihm nur Dinge zuflüstern. Er nennt mich Dämon und sagt ich sei Tod. Doch du hast mich offenbar befreit.“
 

Cartan sah irritiert aus, offenbar war es nicht sein Ziel gewesen Eros so viel zu offenbaren. Doch das Wahrheitsserum zwang ihn dazu. Aber der Attentäter verstand es nicht. Nicht gänzlich. Cartan war also das wahre Ich des Priesters? Er war ein Sünder gewesen, der zur Kirche gelockt worden war. Und dann hatten sie irgendwie seine Persönlichkeit verändert oder gar gespalten?
 

„Was hast du getan?“, fragte Eros kühl.
 

Cartans Gesicht zuckte, doch er sprach: „Ich verführte eine verheiratete Frau. Und schlussendlich führte das dazu, dass ihr eigener Ehemann sie tötete.“
 

Eros schüttelte den Kopf. Gut, Ehebruch war nicht ehrenhaft. Doch das war nicht die Sünde nach der er gesucht hatte. Zu solchen Dingen gehörten immer zwei Menschen. Auch die Frau hatte sich darauf eingelassen. Schuldig waren beide. Doch der Tod der Frau lastete aus Eros Sicht nicht auf Castus, nein, Cartans Gewissen.
 

„Und was hat Castus getan? Was ist ‘Gottes Wille‘?“
 

„Ich erinnere mich nicht an alles. Doch es geht darum Dämonen zu töten. Die Menschen verkaufen ihre Seele. Wenn das geschehen ist, kann nur der Tod sie befreien. Doch vor jeder Mission trinkt Castus sein heiliges Wasser. Daher ist alles verschwommen.“
 

Je mehr Eros hörte, desto klarer wurde das Bild in seinem Kopf. Der Böse in dieser ganzen Geschichte war nicht Castus. Nein, es war die Kirche. Auf irgendeine Art und Weise hatten sie einen Schwerenöter, Cartan, gefügig gemacht und ihn dazu gebracht ihr Werkzeug zu werden. Daher erschien Castus ihm immer so falsch, beinahe zu perfekt und ehrlich, weil die Kirche all seine Fehler ausgesperrt hatte. Eine Spaltung, die alles Sündhafte ausklammerte.
 

Das Wahrheitsserum brachte Cartan, das eigentliche Ich, des Kirchenjägers zum Vorschein. Doch das hieß auch, dass er Castus Wissen so nicht erlangen konnte. Die Machenschaften der Kirche konnte er also nicht über das Wahrheitsserum aufdecken.
 

„Ich weiß nicht was du planst, aber ich bitte dich. Gib mir mehr von dem Serum. Ich will nicht wieder verschwinden. Ich will nicht zurück zur Kirche. Ich will frei sein!“
 

Eros betrachtete Cartan irritiert. Er hatte mit vielem gerechnet, aber nicht damit.
 

Einem Impuls folgend zog er die Decke von Cartans Körper und betrachtete ihn erneut. Die Erregung war gewichen. Doch die Brustwarzen waren noch immer geschwollen und bluteten. Er hatte übertrieben. Er war viel zu weit gegangen. Dieser Mann war kein eiskalter Mörder, kein Schoßhund, sondern ein Opfer. Die Kirche war der Verbrecher in dieser Geschichte, für Eros bestand daran kein Zweifel. Doch er wusste nicht genug, um etwas zu bewegen. Er brauchte Beweise.
 

Das Grinsen kehrte auf Cartans Gesicht zurück. „Wir können auch ein wenig Spaß haben. Mit einem Mann wäre das zwar etwas Neues für mich, aber es ist viel zu lange her.“ Er leckte sich über die Lippen und betrachtete Eros gierig.
 

Der Attentäter wünschte dieser Blick würde ihm nicht so tief unter die Haut gehen. Er wusste nicht wieso er auf Cartan reagierte. Männer hatten ihn nie interessiert. Und noch dazu hatte er bis vor kurzem keinerlei Respekt oder Zuneigung für den anderen Mann empfunden, ganz im Gegenteil. Er hatte den Schoßhund der Kirche immer gehasst. In gewisser Weise tat er das wohl auch noch immer. Wer war Cartan, wer Castus? Was genau konnte er von dem anderen Mann erwarten?
 

„Weißt du, ich stehe auf Fesselspielchen, wirklich. Aber, wenn du nichts weiter tun willst, wäre es mir lieber, wenn du mich einfach befreist!“
 

Eros war überrumpelt. Bisher hatte immer er die Oberhand gehabt. Er hatte Pläne geschmiedet und den einfältigen Priester getäuscht. Doch dieser Mann, Cartan, war jemand gänzlich anderes. Sein Verstand begriff den Widerspruch nicht. Er kam nicht hinterher. Weder mit den Geschehnissen, noch mit den Gelüsten, die sie in ihm auslösten.
 

Ein Teil von ihm wollte die Folter fortsetzen. Das Betteln des anderen hören und seine Erregung beobachten. Und dann…
 

Eros schüttelte den Kopf. Etwas lief ganz gewaltig schief und es war Zeit das er wieder zu Sinnen kam.
 

Er wandte sich ab und kramte erneut in seiner Truhe, doch diesmal nicht um Folterwerkzeuge zu holen. Eros suchte nach einem Stück Leinen, das er kurz darauf in Händen hielt.
 

Als er auf Cartan zuging sah er ihn die ganze Zeit direkt an. Er würde keine Schwäche zeigen. Reue kannte er nicht. Ob Castus nun unschuldig war oder nicht, diese Aktion war seine einzige Möglichkeit gewesen Antworten zu erhalten. Dafür würde er sich nicht schämen. Auch, wenn er zu weit gegangen war.
 

Vom Nachttisch schnappte er sich eine Ampulle mit Alkohol und schüttete sie über das Leinentuch. Cartans Augen weiteten sich, doch noch bevor der Priester irgendetwas sagen konnte strich Eros das Tuch bereits über die Brust des anderen Mannes. Die Wunden könnten sich entzünden und das wollte der Attentäter verhindern.
 

Cartan biss die Zähne zusammen und seine Hände verkrampften sich. Und dennoch, Eros wurde das Gefühl nicht los, dass der Wahnsinnige auch diese Schmerzen genoss.
 

„Wir sind also doch noch nicht fertig, hm?“, grollte Cartan, während sein Körper bebte.
 

Eros ging nicht darauf ein. Er ignorierte seine eigene Erregung. Er wandte sich den Fesseln zu und löste einen Knoten nach dem anderen. Cartan richtete sich auf und rieb die vermutlich schmerzenden Handgelenke.
 

„Wo ist das Serum?“, fragte der Fremde, denn nichts anderes war Cartan für Eros. Diesen Mann kannte er nicht. Es war nicht der gottesfürchtige Priester. Auch, wenn sein Verstand all das nur schwer begreifen konnte.
 

„Alles was ich hatte, hast du getrunken.“
 

Cartan fuhr sich mit der Hand durchs Haar, wollte es, doch die Haare waren kurz geschoren. Sein Ausdruck sprach von Verwirrung und einer gewissen Verzweiflung.
 

„Alles was ich hatte liegt in Scherben. Ich weiß nicht mal wie viel Zeit vergangen ist, vermutlich Jahre. Ich hatte immer Locken, schöne braune Locken. Nichts. Wenn ich das Serum nicht kriege, werde ich gleich wieder verschwinden. Das weiß ich.“
 

Er sprach wirr und durcheinander und Eros würde lügen, wenn er behauptete zu verstehen, was der andere gerade durchmachte. Sich selbst zu verlieren, einfach zu verschwinden, der Körper gesteuert von etwas anderem. Es erschien ihm grotesk.
 

Doch auch Castus war real oder nicht? War er nur ein Scheinbild geschaffen von der Kirche? Sicher war für Eros gar nichts, außer, dass er sich in dem Priester getäuscht hatte. Er war kein eiskalter Mörder. Seine Persönlichkeit war offenbar gespalten. Castus Gottesfurcht und Reinheit war ehrlich, da all seine vermeintlich sündhaften Charakterzüge sich in Cartan bündelten. Wie und weshalb, das begriff er jedoch nicht. Und um ehrlich zu sein, wusste er auch nicht, was er mit diesen Informationen anfangen sollte. Niemand in der Kirche würde ihm Rede und Antwort stehen.

Konfrontation

Castus fühlte sich, als würde er aus einem Traum erwachen. Kein schöner Traum, ein Alptraum voll skurriler Bilder. Eros der sich über ihn beugte. Schmerzen, seine eigene Erregung. Worte, die nicht er aussprach. Sein Kopf schmerzte beim Versuch die Erinnerungen zu greifen.
 

Er öffnete die Augen vorsichtig und erkannte, dass er sich in seiner Kammer befand. Die Kirche, sein zu Hause, seine Zuflucht. Hatte er einfach nur schlecht geträumt?
 

Eros hatte ihn nach dem Treffen mit Elisa abgefangen und ein Teil von ihm glaubte, dass der Attentäter ihn gefoltert hatte. Hitze durchflutete seinen Körper. Instinktiv umfasste er seinen linken Unterarm und drückte zu, so fest er nur konnte, doch es half nichts. Erinnerungen. Seine Hand fuhr zu seiner Brustwarze. Geschwollen. Der andere hatte ihn mit einer Zange bearbeitet. Erregung durchflutete den Priester und zwang ihn dazu zu keuchen.
 

Beinahe panisch sprang er auf, musste jedoch feststellen, dass sein Körper geschwächt war.

Er taumelte und ließ sich erneut auf das Bett sinken.
 

Wie war er hierhergekommen? Es war unangenehm. Fast wie ein ausgeschlafener Rausch. Doch er hatte sich solcher Dinge entsagt. Cartan war der Säufer, der Versager.
 

Du bist ebenso Ich. Der Teil von mir, der sich vor der Verdammnis fürchtet und deshalb seinem wahren Ich entsagt hat. Aber es reicht. Ich will nicht mehr verschwinden.
 

„Ich bin derjenige der die Kontrolle hat. Ich bin Castus, Gottes Streiter, du bist nur ein Dämon!“, entwich es dem Priester, bevor er tief durchatmete. Er musste sich beruhigen. Nichts und niemand durfte ihn vom Ziel abbringen. Der Dämon durchstreifte Lorring noch immer, brachte Tod und Chaos. Was auch immer geschehen war, es durfte ihn nicht von seiner Mission abbringen.
 

Die Ampulle um seinen Hals war verschwunden, was Castus sich nicht erklären konnte. Eros hatte ihm irgendetwas angetan, doch ohne Erinnerung und ohne Beweise, konnte er den Mann nicht beschuldigen.
 

Erneut richtete er sich auf und schritt zu einem reich verzierten Kelch, der in einer Ecke seiner Schlafkammer stand. Heiliges Wasser. Es würde seine inneren Dämonen bezwingen und ihm die nötige Klarheit schenken. Er tauchte seine Hände hinein und schöpfte ein wenig der Flüssigkeit ab. Er trank und fühlte die Erleichterung.
 

Castus fiel auf die Knie und begann zu beten: „Oh Herr, ich bin deiner Gnade nicht würdig, aber bitte erbarme dich der Bürger dieser Stadt. Gib mir die Kraft die Unschuldigen zu schützen und zu erretten.“
 

***
 

Am Abend desselben Tages hatte Castus seine Roben wieder angelegt und durchschritt die Straßen von Lorring mit einem klaren Ziel. Die Morde traten gehäuft in einem bestimmten Bereich auf. Jemand hatte seine Seele verkauft und befehligte den Dämon, daran bestand für Castus kein Zweifel. Und Pater Mechalis hatte Informationen, die einen Verdacht gegen eine bestimmte Magierin rechtfertigten.
 

Castus hatte eine neue Ampulle erhalten und trank rasch einige Schlucke des Heiligen Wassers. Er konnte sich keine Fehler erlauben. Das war zu wichtig.
 

Relia Florant, eine junge Magierin, welche selbst dem König gelegentlich zu Diensten war. Der Pater hatte ihm erzählt, sie könne die wahre Natur hinter Dingen oder auch Menschen erkennen. Also Spione aufdecken oder verfluchte Gegenstände identifizieren. Sie war in Lorring gesichtet worden, begleitet von einem dunklen Schatten.
 

Bisher belief es sich auf einen Verdacht und die ängstliche Aussage eines Bürgers, doch Castus‘ Insigne würde die Wahrheit offenbaren.
 

Er trug sein silbernes Schwert bei sich, da es gut sein könnte, dass es bereits an diesem Abend zum Kampf kommen würde.
 

Seine Schritte führten ihn rasch durch die Stadt, ganz bewusst versuchte er jeden Gedanken an Eros oder das was vielleicht geschehen war, auszublenden. Jede Ablenkung wäre Gift für seine Mission.
 

Das Anwesen erstreckte sich vor ihm, das Tor stand offen und Castus schritt unbeirrt voran. Ein gepflegter Garten, mit Rosensträuchern und Steinfiguren, erweckte den Anschein von Luxus.
 

Als er sich dem Gebäude näherte, trat ihm ein älterer Herr entgegen.
 

„Wünschen Sie ein Gespräch mit Frau Florant?“, fragte der Mann und verneigte sich leicht. Offenbar konnte sie sich sogar einen Diener leisten.
 

„Ja, ich habe etwas, zu dem ich gerne ihre Einschätzung hören würde.“
 

„Das übliche also. Folgen Sie mir.“
 

Der ältere Herr schritt voran und Castus folgte ihm ins Innere der Villa. Prunk wurde nahezu dreist zur Schau gestellt. Goldene Vasen, vergoldete Treppengeländer und bunte Teppiche. Die wenigsten konnten sich so etwas leisten. Besser lebten wohl nur der Papst und der König.
 

Sie folgten einer Wendeltreppe nach oben. Der Diener hielt vor einer Tür inne und klopfte an. „Frau Florant, ein weiterer Kunde.“ „Lass ihn rein“, sagte sie. Der Mann nickte Castus zu und trat zur Seite. Ein wenig zögerlich näherte er sich der Tür und trat schließlich ein.
 

Das Zimmer stand dem Rest des Anwesens in nichts nach. Noch mehr bunte Teppiche und Gardinen, ein Kamin und ein mit Samt bespannter Sessel hinter einem hölzernen, polierten Schreibtisch. In der Ecke stand ein Kleiderständer, an dem eine schwarze Robe hing. Seltsam, das Kleidungsstück sah fast aus wie eine der Priesterroben.
 

Sein Blick wanderte zu Relia Florant, welche im Sessel saß. Ihre Beine waren überschlagen und sie führte eine Zigarre zum Mund.
 

Während sie den Rauch auspustete erhob sie sich und kam Castus entgegen. Er fühlte es, das Insigne an seinem Handgelenk brannte regelrecht. Es war also wahr. Sie war diejenige welche ihre Seele verkauft hatte. Doch wie?
 

Elisa war im Heim, und alles andere verbrannt. Es dürfte keine Verbindung mehr zu dem Dämon geben.
 

„Also, was ist dein Begehr?“, fragte sie in einem verführerischen Tonfall. Diese Frau war tatsächlich außergewöhnlich schön. Schlank und elegant, eingehüllt in bunte, enganliegende Kleider. Ihr Haar war schwarz, lang und zu einem Flechtzopf zusammengebunden. Die Augen schimmerten hellbraun. Aus dem Augenwinkel meinte er eine Bewegung zu sehen, doch er konnte nichts entdecken.
 

Noch bevor er antworten konnte wich sie ein Stück zurück und zog Castus Aufmerksamkeit wieder auf sich. „Du bist aufgewühlt und wütend. Eine starke Überzeugung leitet dich, doch sie missfällt dir.“
 

„Genug, wir können uns diese Farce sparen. Ich fühle die Dunkelheit und du wurdest gesehen, bei einem deiner Streifzüge durch Lorring. Ich weiß, dass du deine Seele verkauft hast, dass du einen Pakt eingegangen bist!“
 

Seine Stimme wurde mit jedem Wort lauter, er griff nach dem silbernen Schwert, doch Relia trat dicht an ihn heran, ihre schlanken Hände umfassten sein rechtes Handgelenk. Es sollte ihn nicht aufhalten, er war viel stärker, doch mit der Berührung kamen unzählige Gefühle. Verlangen, Unwillen seiner Berufung Folge zu leisten und schließlich Cartan. Sein innerer Dämon.
 

Lass uns einfach gehen, wenden wir uns von der Kirche ab. Überlass es einfach mir. Wir können frei sein, wir können leben.
 

Diese Kreatur versuchte ihn zu beeinflussen, versuchte seine Überzeugung zu erschüttern. Doch er war Gottes Streiter, neu geboren, um die Sünder zu strafen.
 

Er wollte das heilige Feuer nutzen, wollte den Dämon verbrennen, aber die Magie war nicht greifbar. Neue Gefühle strömten auf ihn ein. Er sah Eros vor sich, seinen selbstsicheren Blick. Fühlte die Erregung angesichts der Schmerzen, die der andere Mann ihm zugefügt hatte. Castus schloss die Augen und schüttelte den Kopf. Was passierte mit ihm?
 

„Vergiss was du gefühlt hast, geh zurück zur Kirche und sage ihnen ich sei unschuldig. Es fühlt sich doch richtig an, oder nicht?“, fragte sie so sanft. Und ja, es fühlte sich richtig an. Als würde es sich ihm aufdrängen, als einzige Wahrheit. Diese Frau war unschuldig. Fast könnte er es glauben würde nicht das Insigne an seinem Handgelenk brennen wie Feuer.
 

Castus entzog sich ihrem Griff und wich zurück. Entschlossen zog er das Schwert und richtete es auf sie.
 

„Ich weiß von deiner Magie, Dämon. Du kannst das wahre Wesen hinter Dingen und Menschen erkennen, ihre Gefühle wahrnehmen. Doch offenbar hast du sogar noch größere Macht. Aber mir wirst du deine Wahrheiten nicht aufzwingen! Ich gebe mich nicht geschlagen!“
 

Relia ging langsam zurück, ein bösartiges Grinsen breitete sich auf ihrem hübschen Gesicht aus.
 

„Ich wollte dir wirklich nicht wehtun, aber du lässt mir keine andere Wahl“, sagte sie, griff unter ihre Gewänder, zog eine Kette hervor, und umfasste einen blutroten Edelstein.
 

Castus erkannte das Schmuckstück. Die Kette glich denen, die Eros bei Marie Permont gefunden hatte. Der Priester hatte die Edelsteine verbrannt, da Pater Mechalis ihm gesagt hatte, dass sie eine erneute Verbindung zum Dämon ermöglichen könnten.
 

Also war eines der verfluchten Schmuckstücke übriggeblieben. Und irgendwie hatte es seinen Weg zu der jungen Magierin gefunden. Sie hatte den Pakt erneuert. Ihre Seele schwand mit jeder Sekunde ein Stückchen mehr. Bis sie selbst nur noch ein Monster wäre. Erneut müsste er ein Leben nehmen, seiner Bürde folgend, musste er sie erlösen. Erretten vor der Verdammnis. Einen anderen Weg kannte er nicht.
 

Relia schnitt sich mit einem kleinen Messer in die Hand und ließ das Blut auf den Edelstein tropfen. Ihre Augen verloren sämtliche Farbe, nur noch Schwärze, die Stimme klang verzerrt und schrill. „Ich werde dich zerquetschen. Du bist nur ein Insekt, bedeutungslos gegen meine Macht.“
 

Etwas regte sich in der Ecke. Die seltsame Robe, die ihm schon vorhin aufgefallen war, bewegte sich. Fast unmerklich. Ein Schatten, der sich aus der Dunkelheit löste. Langsam kam es näher. Die weiten, schwarzen Gewänder umhüllten beinahe den ganzen Körper, der Kopf war gesenkt, sodass das Gesicht komplett vom Stoff verdeckt wurde. Eine Hand, mit langgezogenen dünnen Fingern, umklammerte eine Art Gehstock. Ein spitzer Zulauf am oberen Ende, ließ das Holz wie eine Sense aussehen. Jedes Mal, wenn der Stock den hölzernen Boden berührte, glaubte Castus eine dunkle, wabernde Energie zu sehen, die alles zerfraß.
 

Er dachte unwillkürlich an Abbildungen aus alten Büchern. Es war als würde der Tod selbst auf ihn zuschreiten. Und dann hob die Kreatur die andere Hand und schob die Kutte zurück. Sie gab den Blick frei auf das entstellte Gesicht. Es schienen Stücke zu fehlen, eingefallene Haut, die teils herunterhing und ein ausgefranster Mund. Die Nase bestand aus zwei schwarzen Löchern im Schädel. Die Augen waren menschlich, doch bei einem fehlten die Lider, weshalb es unnatürlich groß aussah. Weißlich trüb blickte es ins Nichts. Das zweite Auge schien intakt, doch es war fast noch verstörender. Dunkelrot wie der Edelstein, starrte es Castus direkt an. Auge in Auge mit dem Tod.
 

Das Schwert war noch immer nach vorn gerichtet, das Biest viel zu nah, doch er konnte seine Waffe nicht schwingen. Kein einziger Muskel gehorchte ihm. Sein Blick war unverwandt auf das grausige Geschöpf gerichtet, fast, als hielte es ihn gefangen. Würde das sein Ende sein?

Schuld

Eros war aufgewühlt und wütend. Das Wahrheitsserum war eine Sackgasse gewesen und doch konnte er die Bilder nicht vertreiben. Der Priester, so erregt, so viele Gefühle und Ängste. Endlich hatte er Menschlichkeit in dem anderen Mann gesehen. Und doch hatte es ihn seinen Zielen keinen Schritt nähergebracht.
 

Er wusste gar nichts. Wessen Tod befahl die Kirche, wen jagte Castus, all das lag noch immer im Dunkeln.
 

Der Attentäter schritt gezielt durch die Gassen von Lorring, die größeren Straßen mied er, wenn möglich. Ein Dasein als Mörder und Jäger verbrachte man besser im Schatten. Ungesehen und lautlos, selbst wenn er sich nicht im Einsatz befand, hielt er daran fest. Vielleicht war es Gewohnheit.
 

Er erreichte sein Ziel schneller als gedacht, Relias Anwesen erhob sich vor ihm und wie immer ließ er sich von dem Bediensteten hineingeleiten. Den Prunk nahm er kaum noch wahr, es interessierte ihn auch schlicht und ergreifend nicht. Relia hatte das Gold ehrlich verdient, also sollte sie damit auch tun, was auch immer sie wollte.
 

Eros wollte wissen, ob Relia irgendetwas über das verfluchte Schmuckstück hatte herausfinden können. Da er von Castus, oder eher Cartan, keine Informationen erhalten hatte, hielt er den Edelstein für seine beste Möglichkeit, mehr über die Machenschaften der Kirche zu erfahren.

Laute Stimmen aus dem oberen Stockwerk ließen sowohl ihn, als auch den Diener innehalten. „Es ist bereits ein Kunde bei ihr, vielleicht sollten wir besser nicht stören.“
 

Eros betrachtete den Bediensteten aufmerksam . Die aufgebrachten Rufe ließen keinen normalen Kunden vermuten. Als schließlich eine schrille und verzerrte Stimme ertönte, stürmte er einfach nach oben. Relia war eine alte Freundin, wenn sie in Gefahr war, würde er nicht einfach tatenlos herumstehen. Die Proteste des Dieners ignorierte er.
 

Oben angekommen bewegte er sich gezielt zu Relias Zimmertür. Kopflos hineinstürmen wollte er eigentlich nicht, doch da Relias Bediensteter ebenfalls die Treppen hinaufkam, hatte er nicht viel Zeit. Er stieß die Tür auf und verharrte. Sein Verstand begriff die Szenerie nicht.
 

Zunächst analysierte er die Informationen die er verstehen konnte. Relia stand vor ihrem mit samt bespanntem Sessel und ihrem hölzernen Schreibtisch. Ihre Hand umklammerte ein Schmuckstück, welches verdächtig nach eben jenem Edelstein aussah, wegen dem er an diesen Ort gekommen war. Blut lief von ihrer Hand herab und tropfte auf den Boden. Ihre Augen waren schwarz, sämtliche Farbe war gewichen, sie sahen aus wie dunkle, unheimliche Höhlen. Ihr Gesicht hatte sich zu einem grotesken Grinsen verzerrt.
 

Ein Stück weiter vorn und rechts von Eros stand Castus. Seine Hände umklammerten das große silberne Schwert, welches Marie Permonts Kopf mit nur einem Hieb abgetrennt hatte. Dem Mann rann Schweiß von der Stirn und er blickte direkt auf etwas, dass Eros nicht zuzuordnen vermochte.
 

Ein abstoßendes Geschöpf, gehüllt in eine dunkle Priesterrobe. Eine dürre Hand, mit unnatürlich langen Fingern umklammerte eine Art hölzerne Sense. Der Stoff der Kutte war zurückgeworfen worden, sodass man das Gesicht sehen konnte. Oder vielmehr die Fratze. Ein kahler Schädel, ein weißlich trübes und ein rotes Auge, welches den Priester fixierte. Die Nase fehlte, an ihrer statt sah man nur zwei schwarze Höhlen im eingefallenen Schädel. Es sah zerfressen oder fast schon verwest aus. Irreal und falsch. Ein Monster, gar ein Dämon? In diesem Moment konnte er sich ob des abstrusen Gedankens nicht schämen. Mit Logik konnte er nicht erklären was sich vor ihm abspielte.

Die Kreatur bewegte sich auf Castus zu und der Priester machte keine Anstalten sich zu rühren. Eros sah die Anstrengung im Gesicht des Mannes, der offenbar nicht dazu in der Lage war, auch nur den Blick von dem Wesen abzuwenden. Fast als hielte das verstörende dunkelrote Auge ihn in einer Art Bann gefangen.
 

Auch die Kreatur blickte nicht zu Eros hinüber, einzig Relia hatte ihn bemerkt. Ihr Kopf bewegte sich ruckartig und seltsam. Von ihrer üblichen Eleganz war nichts mehr übrig.
 

„Eros, das kleine Insekt, das glaubt, es könne Rache üben, um seiner jämmerlichen Existenz so einen Sinn zu geben.“
 

Die Stimme klang dunkel und kaum noch menschlich . Die Augen waren tiefschwarz.
 

„Was geht hier vor?“, fragte er und ließ Castus und das Monster nicht aus den Augen. Eigentlich war er nach oben gestürmt um Relia zu retten, doch es erschien ihm, als müsse er stattdessen dem Priester helfen.
 

Sie lachte. „Ich habe unendlich viel Macht, danke für dein Geschenk. Obwohl, du bist meines Dankes nicht wert. Unbedeutend, wie alle Menschen. Ich stehe über euch, über allen. Der Priester wird es verstehen. Und danach kann der Tod dich verschlingen. Ich bin die Herrin über Leben und Tod. Sollt ihr doch alle verrecken. Ihr und eure anstrengenden, sinnlosen Gefühle. Ich will das nicht mehr.“
 

Eros verstand überhaupt nichts mehr. Er wusste um Relias Gabe, er wusste, dass es ihr manchmal zu viel wurde. Sie fühlte das was diejenigen in ihrer Nähe empfanden. Nahm Verlust oder Trauer wahr, als wäre es ihr eigener Schmerz. Etwas, dass er sich kaum vorzustellen vermochte. Eros hatte genug mit sich selbst zu tun. Doch diese Worte konnten unmöglich die ihren sein.
 

‚Feuer und Seele‘ behauptete Dämonen zu bekämpfen, Marie Permont, sollte besessen gewesen sein. Doch Marie hatte keine schwarzen Augen gehabt, sie hatte nicht im Wahn geredet. Sie wirkte normal. Aber Relia schien wahrlich besessen.
 

Das Wesen war nun schon viel zu dicht an Castus dran, es würde den anderen Mann töten. Eros Hände verkrampften sich. Er hatte das Gefühl, das Relia diejenige war, welche die Fäden zog, sie hatte den Befehl erteilt. Dennoch wollte er sie nicht verletzen, aber Zeit zu zögern blieb nicht. Er war erstklassig darin zu zielen, er könnte Relia aufhalten ohne sie ernsthaft zu verletzen.
 

Seine Hand wanderte in seinen weiten, dunklen Mantel. Er zog zwei Messer heraus und warf eines in Relias Richtung und das andere auf die Kreatur. Er zielte auf den linken Arm der Magierin. Tatsächlich traf er. Relia schrie wutentbrannt auf, während das Monster den Stab hob und das Messer damit abwehrte. Der Stahl hinterließ seltsamerweise nicht mal eine Kerbe im Holz. Dennoch wandte es sich von Castus ab.

Eros senkte den Kopf. Der Priester hatte dem Biest direkt in das rote Auge gestarrt und hatte sich nicht mehr bewegen können. Er konnte es nicht beweisen, doch es erschien ihm das sicherste dem Monster nicht in die widerliche Fratze zu schauen. Im Augenwinkel sah er, dass das Wesen sich nun auf Relia zubewegte. Das nutzte er und rannte zu Castus, dessen Schwert gerade zu Boden sank.
 

Der Priester sah ihm erschüttert entgegen, wandte den Blick jedoch rasch wieder ab. „Was willst du hier?“, fragte Castus ihn, doch Eros schüttelte den Kopf. „Wir müssen verschwinden, jetzt!“
 

„Ich kann sie nicht entkommen lassen“, sagte Castus voller Entschlossenheit. Relia benetzte den Edelstein mit dem Blut aus der Wunde an ihrem Arm, ihr Gesicht hatte sich zu einer irren Fratze verzerrt. „Töte sie, beide. Eros hat sich gegen mich gewandt. Wie nur konnte er das wagen. Töte sie, töte alle!“, schrie sie schrill und fanatisch. Als das Monster sich wieder umwandte, packte Eros Castus Arm und zerrte daran.

„Sieh es nicht an!“, warnte er den Priester, dessen Augen sich wieder auf Eros geheftet hatten.
 

Kurz schien Castus nachzudenken, dann senkte er den Kopf, schüttelte Eros ab und stürmte blindlinks nach vorn. Nun, zu mindestens seinen Rat hatte er sich zu Herzen genommen. Er schwang das Schwert blind um sich, doch die Kreatur blockte den wilden Angriff erneut mit ihrer Sense. Auch Castus Schwert prallte einfach davon ab, sodass der Priester zurücktaumelte.
 

Dann holte das Biest aus, die Sense traf nur Castus Robe, welche unter der Berührung zu verwittern schien. Es bildeten sich Löcher im Stoff und einzelne Fetzen fielen zu Boden. Castus Augen richteten sich wieder auf Eros. Der Priester biss sich auf die Lippe, er schien eine Art inneren Kampf auszufechten.
 

Doch dann stürmte er plötzlich zu Eros. Der Attentäter fragte nicht zweimal, er rannte zusammen mit Castus aus dem Anwesen. Den Diener, der in einer Ecke kauerte und völlig verängstigt die eigenen Knie umklammerte, ignorierten sie beide.
 

Ob das Monster ihnen folgte oder nicht vermochte Eros nicht zu sagen, auch nicht wie lange sie rannten. Es war bereits Nacht und auf den Straßen von Lorring waren nur noch vereinzelt Menschen unterwegs. Doch sein Geist zeigte ihm unaufhörlich das grausige Geschöpf, ein Monster, wie aus einem Alptraum. Fast wie ein Gemälde des Todes. Er verstand es nicht. Hatte er die ganze Zeit falsch gelegen? Jagte Castus tatsächlich Dämonen?

Reue und Verlangen

Castus rannte, solange bis das Brennen an seinem Handgelenk nachließ. Er sah kaum etwas um sich herum. Davongerannt vor einem Dämon. Beschämend und erbärmlich. Wenn es nur um ihn gegangen wäre, hätte er bis zum Ende gekämpft. Doch Eros hatte nichts mit all dem zu tun. Er war zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen.
 

Der Blick des Attentäters hatte Castus ganz eindeutig gezeigt, dass der andere Mann ihn nicht zurückgelassen hätte. Wieso auch immer. Er war der festen Überzeugung, dass Eros ihn verabscheute. Und doch hatte er ihm geholfen.
 

Aber der Attentäter wusste nichts über Dämonen. Er kannte ihre Schwächen nicht und selbst Castus war was diese Kreatur anging ratlos. Silber war normalerweise wirksam gegen die Mächte der Finsternis, doch dieses Wesen hatte seinen Angriff abgewehrt, noch dazu, hatte es ihn gelähmt und die Sense schien ebenfalls gefährliche Kräfte zu besitzen. Der Teil seiner Robe der mit dem Holz in Berührung gekommen war, hing noch immer verwittert herab. Fast so, als hätte dieses Stück Stoff jahrelang in einem Sarg gelegen.
 

Wäre er nicht davongerannt, so wäre er in jener Nacht gestorben, daran bestand für Castus keinerlei Zweifel. Und er wäre dazu bereit gewesen. Doch in diesem Fall wäre auch Eros gestorben, durch seine Schuld. Wenn er jemand anders sinnlos opferte, jemanden, der nicht von einem Dämon besessen war, so wäre er Gottes Gnade nicht wert.
 

So wahnhaft, so versessen. Wir sollten besser feiern, dass wir noch am Leben sind.
 

Nicht schon wieder Cartan. Seine eigene Verdorbenheit würde wohl niemals weichen. Er keuchte und hielt inne und mit ihm Eros.
 

Die Augen des Attentäters betrachteten ihn aufmerksam. Castus mochte diesen Blick nicht. Es fehlte die übliche Arroganz. Wenn Eros ihn direkt und ohne ein hasserfülltes Funkeln in den Augen ansah, dann stimmte etwas nicht.
 

„Dieses Wesen ist einer der Dämonen die du jagst“, stellte Eros fest. Einer Frage bedurfte es nicht. Wer ein solches Monster mit eigenen Augen sah, konnte nicht länger zweifeln.
 

„Ich habe schon viele Kreaturen gesehen. Jede ist anders. Jeder Dämon hat besondere Kräfte. Das Schwierige an diesem Fall ist, dass auch Relia Florant eine mächtige Gabe hat. Sie hat mich dazu gebracht zu zögern, hat meine Gefühle gegen mich gewendet.“
 

„Warum bist du plötzlich weggerannt? Ich meine das war das einzig richtige, aber du schienst nicht sehr gewillt zu fliehen.“
 

Castus schüttelte den Kopf.
 

„Was wolltest du überhaupt an diesem Ort? Verfolgst du mich? Hast du nicht schon genug getan?“
 

Eros grinste. „Dir habe ich doch gar nichts getan, ich dachte, ich hätte mit Cartan gespielt.“
 

Er fühlte Hitze in seine Wangen aufsteigen. Als wäre er ein junges Mädchen. Was war nur los mit ihm?
 

„Cartan ist tot. All das geht dich nichts an. Ich musste den Dämon entkommen lassen, um dich zu schützen. Weil du trotz allem nur ein Mensch bist. Würdest du mich nicht ständig verfolgen und in Frage stellen, so hätte ich ehrenhaft gekämpft.“
 

„Und wärst gestorben“, zischte Eros kalt.
 

„Das ist das Schicksal, dass mich erwartet.“
 

Eros packte ihm am Kragen und sah ihm fest in die Augen.
 

„Weißt du, auch ich bin bereit für meine Ziele zu sterben. Aber deshalb will ich mich nicht sinnlos opfern. Wenn ich einen Gegner nicht verstehe, dann brauche ich Informationen. Und in diesem Fall lasse ich nicht zu, dass du Relia verbrennst oder köpfst. Sie mag besessen sein, vielleicht, ja, aber sie ist ein guter Mensch. Wir werden sie retten.“
 

Castus schüttelte den Kopf. „Man kann sie nicht mehr retten. Sie hat ihre Seele verkauft. Das Wesen ist dabei sie einzunehmen. Von ihr wird nichts übrigbleiben. Das eine Gefühl, die Todsünde, die den Dämon antreibt, wird sich ihrer bemächtigen und sie verzehren.“
 

„Ich glaube die Kirche lügt. Sie benutzen dich. Ich habe gesehen das es Monster gibt. Das kann ich nicht leugnen. Doch du hast eine gespaltene Persönlichkeit und nachdem was Cartan mir erzählte scheint das heilige Wasser daran nicht unschuldig zu sein.“
 

„Hör auf, ich will nichts mehr hören.“
 

Castus hatte den Blick abgewandt, doch er fühlte wie Eros ihn zurückdrängte, bis er eine Hauswand in seinem Rücken fühlte. Sein Herz schlug schnell und ein Teil von ihm wollte die Aufregung noch einmal fühlen. Die Schmerzen und die Lust. Waren das seine Gedanken oder die von Cartan?
 

Wir sind eins. All meine Gelüste sind auch ein Teil von dir. Eros hat Recht, wir sollten uns der Kirche nicht vollends unterwerfen. Wir sollten endlich wieder leben.
 

Wenn Castus gänzlich ehrlich war, dann wollte er einfach nur vergessen. Er hatte versagt. Der Dämon würde erneut töten. Die Erinnerungen waren plötzlich so klar, fast als wären es nicht Cartans, sondern seine eigenen. Die Schmerzen, als Eros ihn mit einer Zange bearbeitet hatte. Die Seile, die seine Haut reizten. Es hatte ihn vergessen lassen.
 

Er sah auf in Eros dunkle Augen. Spiegelten sie Verwirrung wider oder Verlangen?
 

„Ich habe aber noch nicht genug gehört“, verkündete Eros. Er kam dem Priester viel zu nahe. Ihre Körper waren aneinandergepresst und so sehr Castus es wollte, er vermochte es nicht, sich dagegen zu wehren. Sein Körper genoss es.
 

Endlich kommen wir voran. Lass dich darauf ein. Ein Abenteuer, etwas Neues.
 

„Was willst du von mir, Eros?“
 

Der andere Mann betrachtete ihn unschlüssig. Die Fassade bröckelte. Castus wusste nicht mehr was er von Eros halten sollte, was er glauben sollte. Wenn es dem Attentäter wirklich nur um Gold gehen würde, dann hätte er keinerlei Grund ihn in Frage zu stellen. Es könnte ihm egal sein. Noch dazu wollte Eros Relia retten. Auch Castus wünschte sich eine Möglichkeit zur Erlösung, ohne Blut und Tod, doch bisher hatte er sie nicht finden können.
 

„Ich habe die ganze Zeit nach der Wahrheit gesucht. Aber ich glaube zu verstehen, dass Castus Wahrheit tatsächlich Dämonen sind. Cartan, ich weiß nicht, woran er glaubt, vielleicht Freiheit. Aber ich will die Geheimnisse aufdecken, die die Kirche verbirgt. Ich wette, sie kennen einen Weg Relia zu retten. Ich glaube der Edelstein hängt mit allem zusammen, vielleicht ist er mit einem Zauber belegt, der dieses Wesen erschaffen hat oder kontrolliert. Oder andersrum, das Wesen kontrolliert Relia. Sie hat sich erst verändert, nachdem ich ihr den Edelstein brachte.“
 

Castus schüttelte den Kopf. Also hatte Eros einen der Edelsteine zurückbehalten, in jener Nacht, als er Marie getötet hatte. Der Attentäter wusste mittlerweile viel zu viel. Und er war unvorsichtig. Die Mächte der Finsternis nicht ernst zu nehmen war keine gute Idee.
 

„Ich habe Pater Mechalis mehrfach gefragt, ob es einen anderen Weg gibt, ich habe alle Schriften in der Kirche studiert. Nichts. Wer seine Seele verkauft hat, ist verloren.“
 

Eros schloss einen Moment die Augen. Er hatte Castus Handgelenke umfasst, um ihn zurückzudrängen, doch nun wurde der Griff fast schmerzhaft. Offenbar bedeutete die Magierin Eros etwas. Er war nicht so kaltherzig wie Castus immer gedacht hatte.
 

„Ich wünschte auch, dass es einen anderen Weg gäbe. Ich hasse das Blut und den Tod.“
 

„Cartan könnte vielleicht etwas herausfinden. Er sieht aus wie du, er kann in der Kirche ein- und ausgehen.“
 

„Lass mich sofort los“, verlangte Castus und sah Eros kalt entgegen. All diese verwirrenden Gefühle, und erneut dreiste und respektlose Worte. Cartan gab es nicht mehr. Genauso gut, könnte Eros ihn fragen, ob er seine Seele verkaufen wollte. Wenn er bewusst die Kontrolle abgeben würde, dann wäre er verloren. Cartan würde in sein altes sündhaftes Leben zurückkehren.
 

„Warum hasst du Cartan so sehr? Ist er nicht deine Vergangenheit?“
 

Er versuchte Eros von sich zu drängen, doch der andere Mann drückte sich wieder stärker gegen ihn. Nur um dann mit einer Hand von ihm abzulassen. Castus beobachtete verwirrt, wie Eros eine Ampulle aus seinem Mantel zog und sich ein paar Tropfen in den Mund träufelte. Dann ging alles ganz schnell.
 

Eros lehnte sich vor und Castus fühlte die rauen Lippen des anderen Mannes erneut auf den Seinen. Wieso ließ er es zu?
 

Sind wir über diesen Punkt nicht längst hinaus? Du stehst einfach auf Machtspielchen. Genieße es.
 

Auch, wenn Wut in ihm aufwallte, er konnte nicht länger aufrichtig behaupten, dass ihm die Situation missfiel. Er mochte es, dass Eros sich an ihn presste, er mochte die raue und dominante Art des Anderen. Sie ließ ihn vergessen, welche Last auf seinen Schultern ruhte. Aber das war nicht gut. Er war dabei sich seiner Schwäche hinzugeben.
 

Als Eros mit seiner Zunge über Castus Lippen strich, zuckte der Priester zusammen und stöhnte erschrocken auf. Das nutzte der Attentäter augenblicklich aus. Er eroberte Castus Mund. Nicht unbedingt zärtlich. Er fühlte, dass Eros, was auch immer er zuvor getrunken hatte, nicht hinuntergeschluckt hatte. Es schmeckte nicht stark und sein Geist war zu abgelenkt, um dem größere Bedeutung beizumessen.
 

Doch als Eros sich von ihm löste und ihn siegessicher angrinste, ahnte er was er gerade geschluckt hatte. Wahrheitsserum. Eros wollte offenbar um jeden Preis verhindern, dass Castus Relia tötete. Oder der andere war einfach nur ein verdammter Idiot.
 

„Du Bastard!“
 

„So eine Wortwahl gehört sich aber nicht für einen Priester.“
 

„Denkst du all das sei nur ein Spiel? Das du tun und lassen kannst was du willst, ohne Konsequenzen? Cartan wird dir nicht helfen, er ist egoistisch und nur auf sein eigenes Vergnügen bedacht. Eigentlich genau wie du.“
 

Eros lachte, ein seltener und fast irritierender Laut. Castus Herz schlug schnell und er war zutiefst verwirrt. Warum ließ er sich so viel von Eros gefallen, was war verkehrt mit ihm?
 

„Es tut mir fast Leid Castus, aber ich brauche jemanden der etwas kooperativer ist, als du. Für das Wahrheitsserum wird Cartan sicherlich gerne tun, was ich sage.“

Erpressung

Eros zog sich zurück und betrachtete Castus unschlüssig. Er war sich nicht gänzlich sicher das richtige getan zu haben, was nicht allzu oft vorkam. Seine Vorstellung von Gerechtigkeit war klar definiert, doch in diesem Fall hatte er nicht genug Informationen, um zu entscheiden wie er vorgehen sollte. Deshalb hatte er dem anderen das Wahrheitsserum eingeflößt.
 

Noch immer standen sie in der Gasse. Castus lehnte an der Wand und offenbar begann das Elixier zu wirken, denn es bildeten sich Schweißperlen auf der Stirn des Priesters und er drückte mal wieder seinen linken Arm. Eros war aufmerksam, er wusste, dass der andere sich auf diese Art selbst verletzte.
 

Der Kuss war diesmal anders gewesen, nicht zu vergleichen, mit dem ersten hasserfüllten Kuss voller Wut. Sein Ziel war eindeutig gewesen, er wollte Castus die Flüssigkeit unterjubeln, doch im Endeffekt hatte es ihm dennoch gefallen. Ein Gedanke der ihn durcheinander brachte. Dieser Mann vor ihm beinhaltete zwei Persönlichkeiten. Die, die er mit dem Wahrheitsserum hervorlocken konnte war dreist und begierig darauf etwas zu erleben. Castus hingegen, war ein Priester, der seinem Pfad so versessen folgte, dass er sogar für seinen Glauben sterben würde. Es war schwierig für den Attentäter diese Gegensätze in Einklang zu bringen.
 

„Ich will nicht. Ich möchte leben“, stieß Castus hervor, er schien mit sich zu kämpfen. Cartan versuchte die Oberhand zu gewinnen, dessen war Eros sich sicher. Auch, wenn es seltsam und befremdlich war. War Cartan das wahre Wesen des Priesters? Oder gehörten beide Teile zu einem Ganzen?
 

Sein Blick wanderte aufmerksam umher. Was er erwartete zu sehen wusste er nicht genau, vielleicht die seltsame Kreatur aus Relias Anwesen.
 

Was dieses Geschöpf genau war, verstand er nicht. Sein Geist hatte alle Möglichkeiten durchgespielt. Selbst die, dass es einfach ein Magier, mit einer grausigen Maske war. Doch welcher Mensch hatte rote Augen? Seines Wissens nach gab es kein Elixier das die Farbe der Iris zu verändern vermochte. Noch dazu war das schwarze Loch im Schädel, dort wo eigentlich die Nase hätte sein sollen, auch nahezu unmöglich nachzustellen. Und der kahle Schädel hatte es nahezu aussichtslos gemacht, irgendwo Bänder zu verstecken, die die Maske an Ort und Stelle hätten halten können.
 

Eros hatte viele Kontakte, und er hatte auch schon Verbrecher ausgeschaltet, die sich Masken aus menschlicher Haut hatten fertigen lassen. Es gab verdammt verrückte Bastarde auf dieser Welt. Aber manche Dinge konnte selbst der beste Nähmeister nicht bewerkstelligen.
 

Daher lief es aus seiner Sicht auf zwei Varianten hinaus, die beide außerhalb seiner Komfortzone lagen. Entweder, und diesen Gedanken ließ er nur sehr widerwillig zu, gab es tatsächlich Dämonen und damit wohl auch eine höhere Macht oder dieses Wesen war ein Produkt schwarzer Magie. Beides verstand er nicht wirklich. Gerade deshalb brauchte er Informationen.
 

Castus war verblendet, eingenommen von der Kirche und seinem Glauben. Für den Priester gab es keine Varianten oder Möglichkeiten.
 

Wenn Eros Castus gewähren lassen würde, so wäre das Relias oder Castus Ende. Weder das eine, noch das andere, würde er zulassen.
 

Relia kannte er schon einige Jahre, sie hatte ihm oft geholfen und ihn mit magischen Elixieren versorgt. Und auch sie hatte unter Verbrechern gelitten. Er fühlte sich der Magierin verbunden.
 

Das Messer nach ihr zu werfen war ihm nicht leichtgefallen, doch er wusste, dass er sie nicht tödlich verletzen würde. Eros war verdammt gut in dem was er tat. Jahrelange Übung und vielleicht auch eine natürliche Begabung, hatten ihn zu nahezu absoluter Präzision geführt. Er hätte niemals auf Relia gezielt, wenn er die Gefahr gesehen hätte, sein Ziel zu verfehlen.
 

Ihre schwarzen Augen würden ihn noch eine Weile verfolgen. Sie war eine der wenigen Menschen gewesen, die er als vertraute Konstante in seinem unsteten Leben empfunden hatte. Und nun war sie nicht mehr wiederzuerkennen. Verdorben von einer seltsamen Macht, die ihm unbegreiflich schien.
 

Castus, oder Cartan, regte sich. Er war an der Wand zu Boden gerutscht, doch nun blickte er zu Eros auf.

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„Willst du mich wieder fesseln?“, fragte er, doch er wirkte erschöpft.
 

„Nur, wenn du mich dazu zwingst“, scherzte Eros und streckte dem anderen Mann seine Hand entgegen, um ihm aufzuhelfen. Cartan betrachtete ihn kurz skeptisch, doch dann lächelte er, ein wenig verwegen und nahm die Hilfe an.
 

Erneut stand Castus, nein, nun Cartan, dicht vor Eros. Der Attentäter fühlte wie seine Hand ein wenig schwitzig wurde und entzog sie dem anderen Mann. All das war viel zu verwirrend. Konnte es nicht wie früher sein? Wo war der alte Hass für den verdammten Schoßhund der Kirche geblieben? Vor ihm stand noch immer ein Mörder. Jemand der Menschen tötete, von denen er glaubte, sie hätten ihre Seele verkauft. Eros tötete Verbrecher, Mörder und Rauschgifthändler. Menschen die den falschen Pfad gewählt hatten. Wich sein Weg wirklich so stark von dem ab, den der Priester gewählt hatte? Sie beide entschieden auf eigene Faust, dass der Tod, dass einzige war, das sie der jeweiligen Person bieten konnten. Doch war jeder vermeintliche Dämon auch ein Verbrecher und schadete anderen Menschen? Eros wusste es nicht.
 

„Was müsste ich denn dafür tun?“, fragte Cartan und kam Eros sehr nahe. Er fühlte den Atem des Priesters auf seinem Gesicht. Ein leichtes Schaudern durchlief ihm beim Gedanken daran den anderen Mann erneut erregt und leidend vor sich liegen zu sehen.
 

Ein wenig irritiert wandte Eros den Blick ab, er wusste es gab gerade tausendmal wichtigere Dinge, als ihre seltsame persönliche Beziehung, die sich zu etwas entwickelt hatte, dass der Attentäter nicht länger begreifen konnte. Er konnte nicht mal sagen, ob er Cartan oder Castus mochte. Es war aufregend und verwirrend.
 

„Hast du Erfahrung mit solchen Dingen, Cartan? Hast du schon öfter mit Männern…“, er brachte den Satz nicht zu Ende. Nicht aus Scham, sondern einfach, weil er sich so lächerlich vorkam. Was machte er da? Er hatte einen Plan. Er hatte Castus das Wahrheitsserum nicht gegeben, um dort weiterzumachen wo er letztes Mal mit Cartan aufgehört hatte.
 

Cartan sah ihm lächelnd direkt in die Augen, viel zu dicht vor seinem Gesicht. Seine Finger strichen federleicht über Eros Hals. Eine Gänsehaut breitete sich über den Körper des Attentäters aus.
 

„Ich habe unzählige Frauen glücklich gemacht. Aber mir hat gefallen was wir letztes Mal getan haben. Und ich war solange eingesperrt. Ich wäre nicht abgeneigt etwas gänzlich Neues zu erleben.“
 

Eros umfasste Cartans Hand bestimmt und drückte sie hinunter. Der andere sollte ihn nicht berühren. Wenn es zwischen ihnen irgendetwas gab, dann wollte er die Oberhand haben.
 

Das Lächeln schwand aus Cartans Gesicht, stattdessen sah er ihm ernst entgegen. „Ich werde dich nicht anlügen Eros. Ich will einfach nur leben, ich will alles nachholen. All das was ich durch die Zeit bei der Kirche, durch Castus, verpasst habe. Ich habe keine Lust darauf Buße zu tun. Luisa hat sich damals dafür entschieden ihren Mann mit mir zu betrügen. War es falsch? Vielleicht. Verdiene ich dafür ein Leben in ewiger Kasteiung? Ich glaube nicht.“
 

Er trat einen Schritt zurück. Eros wusste nicht, ob es ihn erleichterte oder nicht.
 

„Aber Castus ist stark. Er wird die Kontrolle wieder übernehmen. Außer, du gibst mir das Serum oder sagst mir wo ich es bekommen kann. Ich habe zu viel verpasst, als Cartan habe ich keine Kontakte, keine Stellung. Und da Castus sich allen weltlichen Dingen entsagt hat, habe ich nicht einmal Gold. Ich bin sonst nicht so ehrlich, aber ich glaube, bei dir, ist dass das einzige was mich voranbringt. Und noch dazu ist es Wahrheitsserum, dass mir überhaupt erlaubt hier zu sein, also kann ich das Lügen jetzt wohl eh vergessen.“
 

Eros schmunzelte leicht und drängte Cartan erneut gegen die hölzerne Hauswand. Es war nicht nötig, in keiner Weise, aber er wollte es. Er wollte den Körper des anderen Mannes dicht an seinem fühlen. War es verwirrend? Ja. War es falsch? Wahrscheinlich. Aber dafür war es umso erregender.
 

Er beugte seinen Kopf hinunter und biss Cartan leicht in die Halsbeuge, was den Mann in Priesterroben zum Stöhnen brachte.
 

Dann sah er auf, direkt in die hellen braunen Augen seines Gegenübers.
 

„Tu ganz genau was ich sage. Und ich versorge dich mit dem Serum.“

Ein Sünder in der Kirche

Wenn Cartan ehrlich war, dann hatte er bei Eros Worten eher an etwas Sexuelles gedacht. Die Funken sprühten zwischen ihnen, und wenn selbst Castus das nicht mehr gänzlich leugnen konnte, dann wäre es allerhöchste Zeit für Eros und ihn sich dem einfach hinzugeben.
 

Aber nein, stattdessen stand er wieder mal vor den Toren der Kirche. Alles in ihm schrie danach einfach davonzulaufen, nach irgendeinem Händler zu suchen, und sich das Elixier einfach zu nehmen. Doch leider hatte er keine Ahnung von wem Eros das Serum bezogen hatte oder wo er suchen müsste. Seine Magie konnte er nicht nutzen. Er hatte es versucht. Im Gegensatz zu Castus beherrschte Cartan echte Feuermagie. Kein heiliges Feuer, sondern ganz normale Flammen. Doch nichts, sein Zustand war zu fragil. Das Wahrheitsserum war alles was ihm erlaubte diesen Körper zu lenken.
 

Irritiert blickte er auf seine Hände. Sollte er wirklich nach Eros Pfeife tanzen? Oder wäre es nicht besser einfach einen Abend in Freiheit zu genießen. Der Attentäter hatte ihm eine Ampulle mit dem Wahrheitsserum anvertraut. Wenn er seine Aufgabe erledigen und Informationen von Pater Mechalis einholen würde, so bekäme er Nachschub. Doch diese eine Ampulle könnte ihm vielleicht bereits ein oder zwei Tage in einer Bar, mit Sex und Alkohol ermöglichen. Und gerade ersteres hatte er nach all den Jahren der Enthaltsamkeit bitter nötig.
 

Er wollte sich mit den Händen durch die Haare fahren, doch sie waren kurzgeschoren. Wut stieg in ihm auf. Vor allem auf sich selbst. Damals vor den Toren der Kirche hatte er zum ersten Mal einen Dämon gesehen. Er hätte ihn beinahe getötet und die Priester der Kirche hatten ihn gerettet. Ihre Worte klangen so gut. Erlösung, ein Sinn im Leben. Etwas wonach er solange gesucht hatte. Doch, wenn es bedeutete, dass er dafür verschwinden musste, welchen Sinn hatte all das dann?
 

War er böse oder verdorben, nur weil er die Freuden des Lebens genoss? Was war falsch daran?
 

Er atmete tief durch und schritt schließlich durch das breite Tor der Kirche von Lorring. Er zuckte leicht zusammen, als er feststellte, dass er direkt in einen Gottesdienst geplatzt war. Das Knarzen der alten Scharniere ließ einige Gläubige herumfahren. Cartan bewegte sich rasch zu einer der hölzernen Bänke und setzte sich hin. Auch, wenn er gerade nicht in der Stimmung war, um sich eine Predigt anzuhören.
 

Die Aufmerksamkeit aller richtete sich schnell wieder auf den Priester, der verschiedenste Phrasen über Gott und seine Barmherzigkeit von sich gab. Cartan wusste nicht länger was er davon halten sollte. Gott und die Bibel waren für ihn solange abstrakt gewesen. Und Castus war wie ein zweites Ich, jemand der die Dinge gänzlich anders betrachtete.
 

Die meisten Zuhörer waren ganz normale Bürger, aber zum Teil saßen auch Priester in Roben auf den hölzernen Bänken. Auch Castus hatte sich ab und an eine Predigt angehört, besonders als alles anfing. Cartan erinnerte sich an diese Zeit, damals war die Trennung zwischen ihm und dem Priester noch nicht so klar gewesen. Mit der Zeit wurde Cartan immer mehr von Schwärze verschluckt. Die letzten Jahre waren gespickt von lückenhaften Erinnerungen, verdammt dazu zuzuschauen, während jemand anders seinen Körper steuerte. Doch ganz zu Beginn, hatte auch Cartan nach Buße gestrebt, er hatte Angst gehabt vor der Verdammnis. In diesem Moment konnte er nicht mehr sagen was sein Ziel war. Solange war er nur ein Beobachter gewesen. Er hatte versucht Castus mit provokativen Aussagen aus der Reserve zu locken. Aber nichts hatte etwas bewirkt.
 

Ein seltsames Gefühl befiel ihn, als wären Augen auf seinen Rücken geheftet. Er wandte sich um und sah schräg hinter sich einen Priester, der zusammengekauert auf der Bank saß. Das Gesicht war komplett von einer schwarzen Kapuze verborgen.
 

Es war nur ein Priester, der bei der Predigt eingeschlafen war. Cartan seufzte und sah wieder nach vorn. Er sollte einfach gehen.
 

„Unser Leben liegt nur in Gottes Händen. Seine Güte leitet uns, sein Wille soll unser Gesetz sein. Dunkle Mächte und böse Menschen stellen uns immer wieder auf die Probe, doch wenn wir an unserem Glauben festhalten und auf Gott vertrauen, kann uns niemand schaden.“
 

Es reichte, er hatte keine Lust mehr auf die leeren Worte. Vielleicht wäre Cartan bereits morgen wieder verschwunden, erneut nur Beobachter. Er sollte versuchen so schnell wie möglich die Informationen zu beschaffen, nach denen Eros suchte. Oder Beweise finden, dass Castus tatsächlich Recht hatte, und ein besessener Mensch nicht gerettet werden konnte.
 

Er erhob sich und drehte sich um, doch hielt irritiert inne, als er sah, dass der vermeintlich schlafende Priester in den dunklen Roben es ihm gleichtat. Die Roben waren viel zu weit, der Körper darunter ließ sich nur erahnen und das Gesicht war verdeckt von Stoff. Die Hände waren offenbar unter der Kutte verborgen.
 

Der Anblick erinnerte ihn an den Angriff in Relia Florants Haus. Eine schöne, aber offenbar auch gefährliche und wahnsinnige Frau. Der Mann, welcher sich erhoben hatte, ließ ihn an die Kreatur denken, welche die Magierin auf Castus gehetzt hatte. Die Magie dieser Frau hatte ihn geweckt, hatte ihn alles sehen lassen. Es war schwer zu beschreiben, aber Relia hatte ihm Kraft geschenkt, hatte seine Emotionen verstärkt, sodass Castus ihn nicht mehr gänzlich unterdrücken konnte. Die Entscheidung zu fliehen, kam zu großen Teilen von ihm, auch wenn sein anderes Ich sich dessen wahrscheinlich nicht bewusst war.
 

Wäre sie nicht wahnsinnig und hätte ihre Seele verkauft, so hätte sie ihm vielleicht helfen können. In gewisser Weise könnte er Eros Ziel die Magierin zu retten, auch als sein eigenes betrachten. Was auch immer sie vermochte zu tun, sie könnte ihm eventuell tatsächlich helfen wieder er selbst zu werden. Aber wer wusste schon, ob er sich da nicht in etwas verrannte. Impulsiv, melodramatisch und sprunghaft hatte sein Vater ihn oft genannt. Nicht das Cartan dieser Beschreibung zustimmen würde, aber ihm war bewusst, dass er sich manchmal in Ideen verrannte. Castus trieb jenen Wesenszug mit seinem versessenen Glauben an die Spitze.
 

Er ging langsam voran und ignorierte den seltsam verhüllten Priester. Der Dämon würde sich niemals unter so viele Menschen mischen. Cartan schritt an der Gestalt vorbei, doch er fühlte sich beobachtet und blickte noch einmal zurück. Der Priester hatte sich gedreht und stand ihm zugewandt, das Gesicht noch immer verborgen.
 

Eine Gänsehaut breitete sich auf seinem Körper aus, einem Instinkt folgend griff er nach der Ampulle um seinen Hals und trank. Wahrheitsserum, kein heiliges Wasser. Für Castus war es ein Anker und in diesem Moment war diese andere Flüssigkeit es für Cartan auch. Während das Weihwasser der Kirche ihn in Schwärze ertrinken ließ, gab das Serum ihm die Kontrolle.
 

Cartan schritt rasch voran, direkt zu den Treppen, die auf beiden Seiten des Raumes nach oben zur Empore führten. Auf den Stufen sah er das der Priester noch immer vor der hölzernen Bank stand, weiterhin in seine Richtung gewandt.
 

Er schüttelte den Kopf. Er maß dem zu viel Bedeutung bei. Das war sicherlich einfach ein älterer Priester, der wahrscheinlich sauer war, das Cartan den Gottesdienst gestört hatte und nun auch noch mitten während der Rede des Pastors verschwand.
 

Schnellen Schrittes erklomm er die Stufen und hielt vor Pater Mechalis Arbeitszimmer inne. Es war ein seltsames Gefühl dem Oberhaupt der Kirche gegenüberzutreten. Würde der Mann merken, dass eine gänzlich andere Person vor ihm stand? Und was sollte er fragen, wie könnte er mehr Informationen erhalten als Castus?
 

Der Pater würde ihm sicher nichts erzählen und da er nicht lügen konnte, wäre ein Gespräch auch sehr gefährlich. Allerdings, wer wusste denn schon, ob der Pater nicht vielleicht irgendwelche geheimen Unterlagen oder Bücher versteckt hielt? Cartan wusste, dass Castus die Bibliothek der Kirche bereits mehrfach durchforstet hatte, um das zu finden, was auch Eros suchte. Einen Weg zur Erlösung, der nicht in Blut endete. Doch all die Bücher sprachen nur vom Teufel, von Dämonen und ewiger Verdammnis. Wenn es ein Geheimnis gab, wäre es doch sicher in den Privatgemächern des Oberhaupts der Kirche verborgen.
 

Cartan grinste. Vielleicht sollte Eros recht behalten, er war nicht an Ehrenhaftigkeit oder Respekt für Pater Mechalis gebunden. Cartan war dazu in der Lage die Kirche wahrhaft auszuspionieren.
 

***
 

Er hatte sich in sein Gemach zurückgezogen, ein trostloser Raum, nur ein einfaches Holz-Bett mit Leinendecken, der Kelch mit heiligem Wasser in einer Ecke und eine kleine Kammer, in der eine hölzerne Wanne stand, sowie ein Eimer. Wenn man bedachte was er alles für die Kirche tat, worauf er verzichtete, könnte man wohl eine gewisse Entschädigung erwarten, doch auch dieses Schlafgemach war minimalistisch und sollte dem Entsagen der Menschlichkeit und den damit verbundenen Schwächen treu bleiben. Keine Gier, kein Wunsch nach einem eigenen Wert, man sollte sich nur Gott unterwerfen. Etwas, dass Castus wahrlich tat. Wahrscheinlich war es Castus möglich, da er Cartan von sich abgespalten hatte, wie einen dunklen Schatten. Doch Cartan wollte nie wieder weichen, das war sein Körper, das war sein Leben. Er würde dafür kämpfen.
 

Bis spät in die Nacht hinein hatte er sich unauffällig verhalten, war in der kleinen Kammer geblieben und hatte gewartet. Denn nur im Schutze der Dunkelheit könnte er die Räumlichkeiten des Oberhaupts der Kirche durchsuchen. Endlich war es soweit.
 

Er öffnete die Zimmertür leise und ging gezielt voran. Inne hielt er erst vor Pater Mechalis Gemächern. Die Tür war verschlossen, doch da er ausgebildet worden war, um Verdammte zu jagen, hatte er auch gelernt, wie man Schlösser knackte. Er verrichtete sein Werk schnell und leise und trat dann vorsichtig ins Innere.
 

In der Dunkelheit irgendetwas zu finden wäre schwierig, weshalb er eine Kerze, die er zuvor aus der Gebetshalle geholt hatte, aus seinem Mantel zog. Er stellte sie auf einer kleinen Kommode neben der Tür ab und entzündete sie mit Zunder. Anschließend hob er sie vorsichtig an und sah sich um.
 

So oft hatte er diesen Raum gesehen. Auf der linken Seite erhob sich ein großes, mit bunten Mosaiken verziertes, Fenster. Vor der gegenüberliegenden Wand stand ein breiter hölzerner Schreibtisch, neben diesem führte eine weitere Tür zur Schlafkammer des Paters. In der er genau in diesem Moment hoffentlich bereits friedlich schlief. Wenn man Cartan entdeckte, so könnte dies sein Todesurteil sein. Sich gegen das Oberhaupt der Kirche zu wenden, kam einem Verrat gleich. Ein Einbruch in die Privatgemächer einer solch wichtigen Person ließ sich nur schwer erklären.
 

An der rechten Wand standen einige Regale und Truhen, aber sein Gefühl sagte ihm, dass die wertvollsten Dinge wahrscheinlich direkt unter Mechalis Aufsicht verwahrt werden würden. Daher ging er gezielt zum Schreibtisch, auch, wenn dieser dem Schlafraum des Paters am nächsten war.
 

Er stellte die Kerze auf dem Tisch ab und zog möglichst langsam ein paar Schubladen auf. In der Obersten lagen einige Schreiben, augenscheinlich wohl Todesurteile . Die Kirche entschied über Leben und Tod, die finale Entscheidung lag beim Papst, dem Vertreter Gottes auf Erden. Die Oberhäupter der verschiedenen Kirchen waren ihm direkt unterstellt und mussten dem mächtigsten Mann Noakas, ja, selbst mächtiger als der König, regelmäßig Bericht erstatten. Cartan wusste nicht so recht was er davon hielt.
 

Aber das war nicht was er suchte. Eine Schublade im unteren Teil war verschlossen. Sein Blick wanderte zur Tür und er horchte. Doch nichts, er war noch immer allein. Alles schien in Ordnung.
 

Ganz vorsichtig öffnete er das Schloss, genau wie zuvor die Tür zum Gemach des Paters, und begutachtete den Inhalt. Einige Umschläge, mit Pergamenten. Vorsichtig zog er einen heraus.
 

‚Dämonen und ihre Fähigkeiten‘ lautete die Überschrift. Nicht ganz, aber immerhin, vielleicht war die Spur richtig. Er öffnete einige Umschläge und blieb bei einem Titel hängen.
 

Wie man einen Dämon auf einen neuen Wirt überträgt.
 

Seine Augen weiteten sich. Das klang ziemlich explizit. Nun, ja, Übertragung, hieße, jemand anders würde verdammt werden. Aber, Relia könnte gerettet werden. Vielleicht.
 

Er las die Beschreibung aufmerksam.
 

Der Dämon ist über das Blut mit dem Wirt verbunden. Entscheidend ist das Gefühl, welches den Dämon ausmacht, präziser, die Todsünde.

Hochmut, Jähzorn, Neid, Trägheit, Wollust, Geiz oder Völlerei.

Der neue Wirt muss diese Todsünde in sich tragen, sie muss mit seinem Wesen verwurzelt sein.

Als erster Schritt muss das Band mit dem Dämon für den ursprünglichen Sünder gekappt werden.

Dazu braucht man Arcwurz, ein magisches Kraut, welches Magie verstärkt und das Blut eines Tieres oder Menschen, der die Todsünde ins Gegenteil verkehrt. Bei der Sünde der Trägheit bräuchte man also das Blut eines besonders aktiven Tieres. Für Jähzorn ein sehr ruhiges und entspanntes Tier.

Das Arcwurz erhitzt man zusammen mit dem Blut. Dieser Trank muss von demjenigen eingenommen werden, der ursprünglich die Verbindung mit dem Dämon hergestellt hat. Es dauert eine Weile, doch nach einiger Zeit stellt sich eine Veränderung ein. Die Magie, nein, vielmehr das Wesen des Wirtes wird temporär verändert. Dadurch weicht sein Wesen von der Todsünde ab, welche den Mittelpunkt des Paktes bildet.

Der nächste Schritt, sobald das Elixier wirkt, ist ein wenig Blut des ursprünglichen Trägers auf das Bindeglied zu träufeln. In den meisten Fällen wird für die Kontrolle ein blutroter Edelstein verwendet. Kommt das nun ‚verunreinigte‘ Blut mit dem Kontrollobjekt in Berührung, so wird der Dämon es spüren.

Nun muss man schnell sein. Der Dämon wird den nutzlosen Wirt töten wollen, dieser widert ihn an, da er nicht länger kompatibel ist. Damit ist das Band gekappt, aber damit diese Trennung auf Dauer bestand hat, muss man dem Dämon einen neuen Wirt anbieten. Jemanden der seine Todsünde in sich trägt, auslebt und somit ein geeigneter Wirt ist.

Dazu muss nun das Blut desjenigen auf den der Dämon übertragen werden soll auf das Bindeglied geträufelt werden. Nimmt der Dämon den neuen Wirt an, so ist die Übertragung geglückt.
 

Gezeichnet, Herz und Blut
 

So viele Informationen, doch vor allem eines ließ Cartan stutzen. ‚Herz und Blut‘. Das war die Kirchenorganisation, die sich den weltlichen Gräueln widmete, sie führten die Todesurteile aus, oder verhörten Verbrecher, sicherlich gehörte dazu auch Folter. Dämonen waren eigentlich das Gebiet der Priester von ‚Feuer und Seele‘, der Organisation, welcher auch er, oder eher Castus angehörte. Seltsam, dass ausgerechnet die Henker ein Ritual beschrieben, um einen Dämon zu übertragen.
 

Aber davon einmal abgesehen, hielt er genau das in Händen wonach er gesucht hatte. Es gab tatsächlich einen Weg Relia zu retten. Ein wenig Aufregung stieg in ihm auf, erneut wanderte sein Blick, zur Ausgangs- und zur Tür des Schlafgemachs. Nichts regte sich.
 

Für Castus käme es niemals in Frage jemand anders zu verdammen, um eine Person vom Dämon zu befreien. Doch Cartan war es egal. Er würde Eros diese Möglichkeit offenbaren. Denn dann würde der Attentäter ihn mit dem Wahrheitsserum versorgen. Und Relia könnte vielleicht dafür sorgen, dass Castus für immer verschwand und er gar nicht mehr auf das Elixier angewiesen wäre. Die Welt war egoistisch, warum durfte er es dann nicht auch sein?
 

Er lächelte, griff nach einem leeren Blatt Pergament und schrieb das Ritual stichpunktartig auf. Fehler durften sie sich bei einer so waghalsigen Aktion nicht erlauben, also wollte er sich nicht nur auf sein Gedächtnis verlassen.
 

Anschließend legte er alles genau dahin zurück, wo er es gefunden hatte. Verschließen konnte er das Schloss nicht, doch vielleicht würde der Pater glauben, er habe nur vergessen abzuschließen. Als er das Zimmer verließ war er froh, dass die Empore und die breiten Treppen noch immer leer waren. Nachtschwärmer wären jetzt ein echtes Problem geworden.
 

Cartan war müde, doch er hatte keine Ahnung wie lange das Wahrheitsserum ihm noch die Oberhand geben würde. Also musste er zu Eros, sofort.

Nächtliche Störung

Cartan lag gefesselt auf dem Bett, die Erregung zeichnete sich deutlich unter dem dünnen Leinenstoff seiner Unterhose ab.
 

„Was hast du als nächstes vor, Eros?“
 

Der Attentäter fühlte Verwirrung und Aufregung, er wusste selber nicht genau was er tun sollte. Dennoch bewegte er sich zum Bett und beugte sich über den anderen Mann.
 

Seine Hand wanderte über die Brust, neckte die empfindlichen Nippel, was Cartan dazu brachte aufzustöhnen.
 

„Heute so sanft?“, neckte er Eros, der grinste.
 

„Das ist erst der Anfang, du wirst schon noch leiden“, versprach er mit dunkler Stimme und Cartans Augen funkelten.
 

Ihre Lippen fanden sich zu einem forschen Kuss. Seine Zunge eroberte Cartans Mund ungeduldig. Ganz leicht biss er in die Zunge des vermeintlichen Priesters, der daraufhin erregt stöhnte. Eros wollte mehr, ungeduldig begann er an dem Stoff zu zehren, wollte die Erregung des anderen freilegen und fühlen…
 

Ruckartig schreckte Eros auf, er war sich sicher etwas gehört zu haben. Sein Geist hatte Schwierigkeiten in die Realität zurückzukehren. Was für ein Traum…
 

Er war erregt, aber seine Instinkte rissen ihn selbst im unpassendsten Moment aus dem Schlaf. Er lag in einem einfachen Leinenbett in einem seiner Verstecke. Cartan hatte er den Ort gezeigt, sodass er ihn aufsuchen könnte, sollte er etwas herausfinden.
 

Es war ein karger Kellerraum in einem ansonsten verlassenen Haus, wie die meisten seiner Unterschlüpfe. Ein paar Truhen, ein Schrank, ein Schreibtisch und ein Bett waren alles was man in dem Zimmer finden konnte. Nur das nötigste.
 

Sein Blick wanderte zur Tür, erneut vernahm er das Geräusch, das ihn aus dem Traum gezehrt hatte. Ein Klopfen an der Kellertür. All seine Sinne schalteten automatisch auf Alarm. Entweder es war ein Feind, der ihn irgendwie aufgespürt hatte oder Cartan. Er konnte nicht verhindern, dass sein Herz beim letzten Gedanken schneller schlug. Er schob es auf den Traum und die damit verbundenen unanständigen Gedanken.
 

Eros atmete tief durch, erhob sich und kramte im Schrank nach einem Mantel, da er gerade nur ein Leinenhemd und eine Unterhose trug, unter der sich seine eigene Erregung leider nur zu deutlich abzeichnete.
 

Rasch streifte er den dunklen Stoff über, griff nach seinem Dolch, der auf dem Schreibtisch lag und ging leise zur Tür. In seinem Gewerbe musste man stets gewappnet sein. Er entriegelte die Tür und zog sie auf, die Hand die ganze Zeit am Dolch.

Doch der Griff löste sich, als er tatsächlich Cartan sah. Augenringe verunzierten das Gesicht des anderen Mannes, aber Eros Blick wanderte unwillkürlich zu seinen Lippen. Irritiert schloss er die Augen und bedeutete Cartan einzutreten.
 

Der andere Mann ließ seinen Blick schweifen und betrachtete Eros dann mit hochgezogenen Augenbrauen. „Was für ein gemütliches und schönes zu Hause.“
 

Eros lächelte müde, der Sarkasmus war ihm nicht entgangen. „Immerhin habe ich eins.“
 

„Autsch“, entgegnete Cartan, wirkte jedoch nicht wirklich betroffen. „Na ja, ich auch, jedenfalls hatte ich eins. Jetzt ist es wohl die schnöde Kammer in der Kirche, dagegen ist dein Heim hier wirklich schön.“
 

„Mehr als ein Bett braucht man doch nicht“, sagte Eros ohne groß darüber nachzudenken, doch Cartans Grinsen belehrte ihn über die Andeutung, die seine Worte beinhalteten.
 

„Du kommst also direkt zum Punkt“, sagte der Möchtegern-Priester und leckte sich über die Lippen.
 

Wenn Cartan wüsste, wie groß die Versuchung war, ihn einfach zu packen und aufs Bett zu werfen, dort weiterzumachen, wo der Traum geendet hatte. Seine Erregung pochte ungeduldig, aber er musste sich beruhigen. Wenn Cartan an diesem Ort war, hatte er vielleicht etwas herausgefunden und das war viel wichtiger als Eros verquere Bedürfnisse.
 

„Vielleicht“, entgegnete er dennoch grinsend und trat dicht an Cartan heran. Was tat er denn da?
 

„Hast du hier auch ein wenig Spielzeug versteckt?“
 

Eros konnte die Bilder, die sich automatisch vor seinem geistigen Auge abspielten nicht unterdrücken. Cartan der erregt und gefesselt auf dem Bett lag, sein Stöhnen, das Betteln nach mehr.
 

„Nein, aber das ist doch sicher auch nicht der Grund warum dir hier bist, oder?“, lenkte er das Gespräch endlich wieder in ungefährlichere Bahnen. Vermutlich musste er sich eingestehen, dass er Cartan begehrte, einen Mann, und wohl auch Castus, wenn man die beiden tatsächlich separat betrachten musste. Eros war niemand der sich selbst belog, er hatte kein Problem damit Sex als einmalige Sache zu sehen, als Abenteuer. Etwas anderes kam für ihn ohnehin nicht in Frage. Sein Leben war gefährlich, er könnte jederzeit sterben, das wollte er einer Frau oder gar einer Familie nicht antun.
 

Das er auf einen Mann reagierte war neu für ihn. Aber im Endeffekt machte es doch keinen Unterschied. Wäre Cartan irgendjemand anders, irgendein unbedeutender Fremder, mit dem er nicht immer wieder würde zusammenarbeiten müssen, würde er sich dem wohl einfach hingeben. Doch die Situation war nicht so einfach, und sie hatten wichtigeres zu tun. Erst mussten sie Relia retten, danach könnte er sich mit seinen Gelüsten auseinandersetzen.
 

Cartan seufzte. „Wie immer bist du ein Spielverderber. Aber gut, auch ich habe nicht ewig Zeit. Immerhin ist mein Vorrat an Weihwasser schon beinahe aufgebraucht.“
 

Der andere Mann ging aufs Bett zu und ließ sich nieder. Er wirkte erschöpft. Eros folgte ihm.
 

„Ich habe tatsächlich etwas gefunden, ein Ritual, dass es ermöglichen sollte den Dämon auf jemand anders zu übertragen.“
 

„Was?“, entfuhr es Eros. Vielleicht war der Wechsel für sein müdes und erregtes Hirn zu schnell erfolgt, aber er konnte die Worte des Priesters nicht wirklich greifen.
 

Der Attentäter stand vor dem Bett und blickte auf den Priester herab, er musste wirklich aufhören nur daran zu denken, Cartan niederzudrücken und alles Mögliche mit ihm anzustellen.
 

„Wenn du mir Wahrheitsserum gibst, können wir auch erst Spaß haben und ich erzähle dir dann alles in Ruhe.“ Cartan lächelte verführerisch und legte seine Hand auf Eros Brust. Wann war er ihm so nahegekommen? Er stand viel zu dicht am Bett, seine Beine berührten Cartans.
 

In jener Nacht könnten sie doch ohnehin nichts mehr für Relia tun, oder? Ein wenig Spaß wäre doch erlaubt. Er schüttelte den Kopf und wich ein Stück zurück. Was war nur los mit ihm? So nötig hatte er es auch wieder nicht. Verdammt, er war ein erwachsener Mann, er hatte Erfahrung, nun gut, nicht mit Männern, es war spannend, etwas anderes und Neues, aber dennoch durfte er seine Prioritäten nicht vergessen.
 

„Du sagst man kann den Dämon übertragen? Also hast du nichts gefunden, dass vermuten lassen könnte, dass es vielleicht gar kein Dämon ist?“
 

Eros wusste nicht, ob Cartan enttäuscht war oder nicht, anmerken ließ er sich nichts, stattdessen entgegnete er völlig gelassen: „Die Kirche ist was das angeht in all ihren Aufzeichnungen konsistent. Es geht um den Teufel, die Hölle und Dämonen. Das einzig seltsame war, dass das Ritual von einem Priester der zu ‚Herz und Blut‘ gehört, verfasst wurde.“
 

„Von den Henkern?“, hakte Eros ungläubig nach.
 

„Ja, das erschien mir auch seltsam.“
 

Wieso ‚Herz und Blut‘? Und warum kannte Castus dieses Ritual dann nicht? Obwohl, übertragen, das bedeutete doch, man musste jemand anders verdammen oder nicht? Die Gedanken waren ihm fremd und erschienen so falsch. Eros glaubte nicht an Dämonen, und doch, wenn dieses Ritual Relia retten könnte, musste er es versuchen.
 

„Also, Castus kennt dieses Ritual nicht, oder doch, aber er würde es niemals verwenden, weil jemand anders geopfert werden muss, um den Besessenen zu retten, das bedeutet doch übertragen oder nicht?“
 

Cartan nickte und reichte Eros ein Stück Pergament. Der Attentäter faltete es vorsichtig auseinander und las aufmerksam.
 

„Arcwurz, jemand der die passende Sünde in sich trägt und das Blut eines Tieres, das diese Sünde umkehrt.“
 

„Weißt du welche Sünde Relia Florant in sich trägt?“, fragte Cartan.
 

Eros dachte nach und nickte dann. „Ich kann es mir denken. Eigentlich passen zwei, Wollust und Hochmut. Die Worte, die sie im Anwesen zu mir sagte… Ich sei nur ein Insekt und sie wäre die Herrin über Leben und Tod, für mich klang das hochmütig.“
 

„Dann bräuchten wir jemanden der hochmütig ist, damit wir den Dämon übertragen können“, sagte Cartan ganz ruhig.
 

„Bist du dazu bereit?“, fragte Eros und betrachtete den anderen Mann aufmerksam. Konnte er ihm dabei wirklich vertrauen?
 

Cartan schlug die Beine übereinander und grinste. „Ich bin zu jeder Schandtat bereit.“
 

„Ich meine es ernst. Ich werde jemanden entführen, ohne Befehl der Kirche oder des Königs. Wir werden Relia gefangen nehmen und ein vermutlich verbotenes Ritual durchführen. Zum einen könnten wir bei dem Versuch sterben und zum anderen enden wir vermutlich als verurteilte Verbrecher, wenn uns irgendjemand erwischt.“
 

„Ich meine es ebenso ernst. Was habe ich zu verlieren? Ich will nur ich selbst bleiben, mehr nicht. Dafür würde ich alles tun.“
 

Eros schluckte. Es gab kein zurück. Er würde alles besorgen was sie benötigten und dann würde er Relia retten, gemeinsam mit Cartan. Hätte ihm vor ein paar Wochen jemand erzählt, dass er sich mit dem Schoßhund der Kirche verbünden würde, um schwarze Magie zu betreiben, so hätte er denjenigen für verrückt erklärt. Wenn er ehrlich war, kam sein Verstand selbst in diesem Moment nicht besonders gut mit. Es war zu viel passiert, in viel zu kurzer Zeit.

Der Versuchung erlegen

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Das Opfer

Als Eros erwachte war es noch immer dunkel. Sein Arm hatte etwas Warmes umschlungen und ein Teil von ihm wollte sich einfach dagegen drücken und weiterschlafen. Doch sein Verstand gewann an Klarheit und er begriff, dass er Cartan umarmte.
 

Ein wenig irritiert zog er seinen Arm zurück. Er hatte kein Problem damit was sie miteinander getan hatten. Obwohl er sich ein wenig darüber ärgerte, dass er die Beherrschung verloren hatte. Es gab so viel Wichtigeres, er hätte sofort nachdem Cartan ihm alles offenbart hatte losziehen sollen, um ein geeignetes Opfer zu finden. Die Nacht war ohnehin die beste Zeit dafür.
 

Doch über das was hätte sein sollen zu lamentieren, war nicht seine Art. Was geschehen war ließ sich nicht ändern, diese Lektion hatte er bereits früh gelernt.
 

Trotzdem war es seltsam in einem seiner Verstecke aufzuwachen, und dass gemeinsam mit Cartan. Aneinander gekuschelt als wären sie ein Liebespaar. Er ließ nie eine Frau bei sich übernachten und er konnte nicht genau sagen warum er es bei Cartan zugelassen hatte. Vielleicht tatsächlich, weil der andere ein Mann war. Mit ihm könnte er keine Familie haben.
 

Keine Erwartungen, kein Kind, dass seinen Vater verlieren könnte. Cartan hatte es selber gesagt, er wollte nur Spaß.
 

Solange hatte er Castus als Feind betrachtet, und noch immer verwirrte ihn die gespaltene Persönlichkeit des anderen. Wusste Castus was er mit Cartan getan hatte? Er schüttelte den Kopf. Es war müßig sich darüber Gedanken zu machen.
 

Momentan war Cartan derjenige, welcher Eros Ziele unterstützte. Also würde er ihn auch weiterhin mit dem Wahrheitsserum versorgen, danach würde er weitersehen. Ein magischer Trank war definitiv keine Dauerlösung für Cartan. Vielleicht wüsste Relia Rat, wenn sie es schaffen würden sie zu retten.
 

Eros schob sich vorsichtig und leise aus dem Bett, er wollte nicht, dass Cartan aufwachte. Viel Schlaf bekam er nur sehr selten. Seine Arbeit brachte es mit sich im Dunkeln auf der Lauer zu liegen und zu warten. Aufmerksam und konzentriert. Tatsächlich schlief er des Öfteren Tagsüber.
 

Er zog sich rasch frische Kleidung an und legte sich schließlich seinen Mantel über. Bei Gelegenheit sollte er auch mal ein Bad nehmen, die nächtliche Aktivität hatte ihn schwitzen lassen. Ein leichtes Grinsen stahl sich auf sein Gesicht. Es war gut gewesen, etwas Neues. Für gewöhnlich ließ er sich nie mehr als einmal auf eine Frau ein, doch Cartan, nun, er war anders. Vielleicht könnten sie wirklich ohne Konsequenzen Spaß haben, wenn das alles vorbei war.
 

Der Priester schlief noch immer tief und fest. Eros zog die Kellertür vorsichtig auf, trat hinaus in die kühle Nachtluft und verschloss die Tür hinter sich. Ohne Schlüssel war der andere eingesperrt, aber das war die Strafe dafür, dass er so dreist gewesen war. Außerdem würde Eros bald wiederkommen. Und in allergrößter Not könnte Cartan die Holzbarrikaden, welche Eros an der Tür, die in die oberen Stockwerke führte, angebracht hatte, einreißen und oben aus einem Fenster klettern. Der Priester hatte immerhin sein Langschwert.
 

Er schritt gezielt voran, tatsächlich wusste er genau, wen er entführen wollte. Ohne Frage, die hochmütigste Person, die Eros kannte, war der Betreiber eines ganz bestimmten Etablissements im sogenannten Vergnügungsviertel von Lorring.
 

Ganz nebenbei würde er dort auch Arcwurz bekommen. Ein bewusstseinserweiterndes Rauschgift, welches, richtig dosiert, ungewollte Schwangerschaften verhinderte. Perfekt für ein Bordell.
 

Die Häuser zogen schnell und wie dunkle Schatten an ihm vorbei. Ihm ging vieles durch den Kopf. Relias schwarze Augen, das seltsame Wesen in Roben, das aussah wie eines dieser überzogenen Gemälde, die den Tod darstellen sollten. Er hatte all das immer für Humbug gehalten. Schauergeschichten der Kirche, um die Menschen gefügig zu machen. Kontrolle durch Angst. Doch was er gesehen hatte ergab keinen Sinn.
 

Wenn es tatsächlich Dämonen gab, existierte dann auch Gott? In dem Fall wäre seine Seele ohnehin längst verdammt. Es klebte zu viel Blut an seinen Händen. Und im Prinzip war es ihm egal. Er hatte seinen Pfad gewählt, bereit alle Konsequenzen zu tragen.
 

Was auch immer die Wahrheit war, er war bereit sich ihr zu stellen. Und momentan war alles was zählte Relia zu retten.

Er hatte mit ihr eine kleine Romanze gehabt, nachdem er sie aus den Fängen eines Rauschgiftrings gerettet hatte, doch das war nicht der Grund warum er ihr helfen wollte. Eros folgte stets seiner eigenen Gerechtigkeit und in diesem Fall fühlte er sich verantwortlich. Er hatte Relia das Schmuckstück gebracht, er hatte Castus nicht geglaubt, dass es gefährlich war und nun war Relia nicht mehr sie selbst. Besessen oder nicht, Dämon oder nicht, egal was vor sich ging, er wollte versuchen es wieder gut zu machen. Und leider war das Ritual das Cartan gefunden hatte, alles was er hatte.
 

Eros hatte das Vergnügungsviertel bereits erreicht. Es sah nicht wirklich anders aus als jeder andere Ort in Lorring. Hölzerne Häuser, dicht an dicht, vereinzelte Bäume und Sandpfade. Im Kern, nahe der Kirche gab es steinerne Wege und Gemäuer, doch in den Randgebieten, herrschte weniger Dekadenz.
 

Nur wer wusste wonach er zu suchen hatte, würde die speziellen Etablissements finden. Die Häuser schienen gewöhnlich, doch hölzerne Bretter mit hochtrabenden Namen, erzählten andere Geschichten. Im Prinzip gaben sich sowohl die Kampfarena, bei der Männer durch Wetten ihr Gold oder durch Kämpfe ihr Leben verloren, als auch das Bordell nach außen hin als gewöhnliche Herbergen aus.
 

‚Herberge zum wilden Ritt‘ las Eros und schmunzelte leicht. Man konnte so einiges umschreiben, doch am Ende verstand jeder worum es ging. In diesem Viertel war Eros nicht der einzige Nachtschwärmer. Einige Männer, viele davon verhüllt von dunklen Mänteln, ähnlich wie er selbst, streiften umher und verschwanden in den Gebäuden.
 

Für gewöhnlich würde Eros sich nun auf die Lauer legen. Er würde die Gewohnheiten seines Opfers ausspähen und auf einen geeigneten Zeitpunkt warten. Doch das konnte Wochen dauern. Ob Relia noch so viel Zeit hatte vermochte er nicht zu sagen.
 

Daher musste er ein klein wenig offensiver vorgehen. Vorteilhaft war, dass er bereits einmal einen Verbrecher aus diesem Gebäude entführt hatte. Er kannte die Zimmer und hatte schon einmal wochenlang den Ablauf beobachtet. Und Eros vergaß solche Dinge nicht so schnell.
 

Damals ging es um einen Rauschgifthändler der beinahe täglich zu seinem eigenen Vergnügen an jenen Ort kam. Eros hielt nichts davon, wenn Frauen dazu gezwungen waren ihren Körper zu verkaufen. In Lorring gab es viel Reichtum, und einige sehr erfolgreiche Menschen, doch genauso viel Armut. Manche hatten kaum eine andere Wahl, als ihren Körper zu verkaufen oder zu stehlen. Aus den verschiedensten Gründen. Prinzipiell konnte in Lorring jeder eine wichtige Stellung einnehmen, doch wer in armen Verhältnissen geboren wurde, hatte es schwer. Einen Lehrer, um die lateinische Schrift zu lernen, musste man sich erstmal leisten können. Oder auch eine Waffe oder Kleidung, damit man überhaupt in einem schöneren Viertel akzeptiert wurde. Die vermeintliche Freiheit beinhaltete viel Schein. Oft kam es doch nur darauf an, in welche Familie jemand geboren wurde. Denn Lorring wurde von Gold regiert, und wer am meisten davon besaß, war einflussreich. Ausgenommen davon waren nur der König und die Kirche, sie standen am oberen Ende der Nahrungskette und bestimmten über das Schicksal aller Bürger. Sie erhielten Anteile der Gewinne ihrer Untertanen.
 

Eros seufzte, wie hofft hatte er sich schon Gedanken über die Politik des Landes gemacht, doch die Wahrheit war, eine Antwort darauf wie man es besser machen könnte, hatte er nicht wirklich. Sulon, das Königreich, welches seit Jahren mit Noaka verfeindet war, ging einen gänzlich anderen Weg. Sie hatten strenge Hierarchien und jeder Bürger war der Sklave des nächst höhergestellten. Gehorsamkeit und Einheit standen an erster Stelle. Jeder arbeitete damit das Königreich und all seine Bürger versorgt werden könnten, Gold spielte keine Rolle. Verbrecher hatten in einem solchen System wohl kaum Möglichkeiten, aber hatten die Bürger Sulons überhaupt noch ein echtes Leben?
 

Er schüttelte den Kopf. Das brachte ihn in diesem Moment nicht voran. Er musste sich konzentrieren. Damals, als er den Verbrecher überwacht hatte, hatte er auch den Leiter des Bordells beobachtet. Schlichtweg, weil dieser, früher oder später, wahrscheinlich ohnehin auf seiner Liste gelandet wäre. Und nun würde ihm das zu Gute kommen.
 

Eros wusste, dass der Mann sich des Nachts in ein bestimmtes Zimmer zurückzog und schlief. Echte Wachen gab es im Prinzip nicht, nur einige Männer, die im oberen Stockwerk patrouillierten, aber eher sporadisch. Diskretion war in jenem Gewerbe wichtig, weil auch höherrangige Kunden die Freudendamen aufsuchten. Also wurde prinzipiell nur aufgepasst, dass niemand ein Zimmer unerlaubt betrat.
 

Aber überwacht wurde das Ganze vor allem vom Erdgeschoss aus. Dort war die Herberge, dort geleiteten die Angestellten interessierte Kunden nach oben, wo sie eine der Damen auswählen durften. Doch, wenn Eros direkt ins obere Stockwerk einsteigen würde, hätte er leichtes Spiel. Ein Grinsen stahl sich auf sein Gesicht. Endlich war er wieder in seinem Element.

Hochmut

Leider hatte Eros sich mit der Zeit verschätzt. Als er das Gebäude umrundet und nach dem idealsten Einstieg gesucht hatte, hatte die Sonne bereits langsam damit begonnen den Himmel zu erobern. Am helllichten Tag könnte er niemanden entführen.
 

Also war er zunächst einmal zu seinem Versteck zurückgekehrt, nur um festzustellen, dass Cartan noch immer tief und fest schlief. Tja, offenbar hatte er ihn völlig ausgelaugt. Bei dem Gedanken musste er schmunzeln. Erneut zog er die Kellertür hinter sich zu und brach auf. Wenn er den Zuhälter nicht entführen könnte, so könnte er immerhin bereits alles andere was sie benötigten besorgen.
 

Und wenn die Nacht hereinbrach würde er zuschlagen. Aber zunächst mal würde er sich waschen. Eros kannte eine Herberge im Herzen Lorrings, die einen öffentlichen Badekeller zu bieten hatte. Meistens nutzte er solche Möglichkeiten, manchmal auch einfach einen Fluss.
 

Der Weg zur Herberge war schnell zurückgelegt, dort angekommen überreichte er dem Wirt ein paar Silbertaler und bekam dafür zwei Leinentücher. Er folgte den Stufen nach unten und betrat den großen Kellerraum. Alles war aus Stein gefertigt, ein Luxus, den sich nicht jeder leisten konnte. Rinnen im Boden sollten dafür sorgen, dass das Wasser abfließen konnte. Ansonsten standen im kargen Raum nur einige Holzbottiche und Eimer.
 

Das Wasser darin war kalt. Wer Warmes haben wollte, musste deutlich mehr Gold zahlen, da das Wasser dann erst über einem Feuer erhitzt werden musste. Aber Eros hatte keine hohen Ansprüche. Er legte seine Sachen ab, in dem Raum waren auch ein paar andere Männer und Frauen, aber das störte ihn nicht. Ein Privatbad gab es nicht. Nur die reichsten Bewohner Lorrings konnten sich so etwas leisten.
 

Er tauchte eines der Leinentücher in das kalte Wasser und wrang es über seinem Kopf aus. Immer wieder tauchte er das Tuch ins kühle Nass und rieb sich den gesamten Körper ab. Abschließend schrubbte er sich mit dem verbliebenen Leinentuch sauber und legte neue Kleidung an, die er ebenfalls mitgebracht hatte. Besser.
 

Eros seufzte und verließ die Herberge. Das nächste Ziel war klar. Arcwurz. Er kannte Händler, er wusste genau wo er es bekommen konnte. Natürlich missfiel es ihm Rauschgifthändler zu unterstützen und daher hatte er auch nicht vor den Verbrechern tatsächlich etwas abzukaufen. Eher im Gegenteil. Ursprünglich hatte er das Kraut in der Herberge zum wilden Ritt erwerben wollen, doch genau darin lag das Problem. Dort hätte er es kaufen müssen. Alles andere wäre zu gefährlich und hätte seinen Entführungsplan behindern können. Daher die Planänderung.
 

Sein Weg führte ihn zum Raven Silk. Ein eingemauertes kleines Dorf, welches den schlimmsten Verbrechern als Unterschlupf diente. Wie oft schon hatte er sich gewünscht diesen Ort einfach abzufackeln, mit all dem Abschaum darin, doch das wäre sein Todesurteil. Die Verbrecher hatten sich mit Gold Immunität erkauft. Die meisten von ihnen jedenfalls. Die Stadtwache wurde bestochen und der König verschloss die Augen vor diesem Rattennest. Wahrscheinlich, weil auch er Gold erhielt. Offiziell war dieser Ort ebenfalls eine Herberge. Doch normale Bürger wagten sich nicht dort Zuflucht zu suchen.
 

Eros hatte ein Seil bei sich, an dessen einem Ende ein Haken befestigt worden war. Eigentlich hatte er es nutzen wollen, um ins Bordell einzusteigen, doch auch an diesem Ort war es hilfreich. Er warf ein paar Mal, bis die Zacken sich am oberen Ende der Mauer verhakten und kletterte dann am Seil nach oben. Dabei stieß er sich mit den Füßen von der Wand ab.
 

Er duckte sich, als er die Mauer erklommen hatte zog er das Seil zurück, rollte es ein und sah sich um. Eros kannte diesen Ort, er war nicht zum ersten Mal dort. Erst vor einiger Zeit hatte er einen Rauschgifthändler entführt. Es war ein Auftrag der Kirche gewesen. Der Mann hatte Substanzen, die Wahnvorstellungen erzeugten, an Priester und hochrangige Bürger Sulons verkauft. Eine Grenze, die man besser nicht überschreiten sollte. Eros schmunzelte als er an das damalige Spektakel dachte. Er hatte ein Seil mit einer speziellen Tinktur versehen und auf dem Kirchenturm drapiert. Schlussendlich hatte es Funken gesprüht und sich gewunden wie eine wütende Schlange. Der Vorfall war lange Zeit als Gotteszorn in aller Munde gewesen. Aber niemand hatte Eros damit in Verbindung gebracht, nun, außer die Kirche. Doch sie hatten ihn ja auch auf den Fall angesetzt.
 

Gekonnt balancierte er vom Mauervorsprung zu einem nahegelegenen Ast und ließ sich schließlich zu Boden fallen. Nun war es im Prinzip einfach. Er zog sich die Kapuze seines schwarzen Mantels tief ins Gesicht und ging völlig offen auf die Herberge, im Zentrum, des kleinen Ortes zu. Das Raven Silk bestand nur aus etwa 10 Häusern. Die meisten klein, neben dem größten, mehrstöckigen Gebäude, stand eine alte verfallene Kirche.
 

Doch Eros hatte ein klares Ziel. Bei der Herberge angekommen, ging er nicht hinein, sondern bog in eine Seitengasse ab. Wie erwartet standen dort mehrere Händler und drückten vermummten Gestalten Leinensäckchen in die Hände. Selbst am helllichten Tag wagten sie es, da sie sich in ihrem eigenen Revier befanden.
 

Eros ging auf einen der Männer zu und flüsterte: „Ich bräuchte etwas, können wir uns etwas abseits unterhalten?“
 

„Gib mir Gold und ich gebe dir was du brauchst. Hier“, sagte der andere kalt. Doch Eros schüttelte den Kopf und sah sich gespielt nervös um. „Ich will nicht, dass das jemand mitkriegt, Diskretion ist für mich wichtig.“
 

Er griff in seinen Mantel und drückte dem anderen zwei Goldmünzen in die Hand. Der Fremde stieß einen kleinen Pfiff aus und bedeutete Eros ihm zu folgen.
 

Sie gingen in eine weitere Nebengasse, in der sie alleine waren.
 

„Also was brauchst du denn?“, die Stimme war deutlich freundlicher. Immerhin hatte Eros bereits den vollen Preis bezahlt, nur dafür, privat sprechen zu dürfen.
 

Das Gold hatte den Händler alle Vorsicht fahren lassen, doch das war mehr als töricht. „Ich habe eine wichtige Stellung, das darf wirklich niemand erfahren“, wiederholte Eros prinzipiell sein erstes Anliegen und ließ seine Hände erneut in den Mantel wandern. Der andere erwartete sicherlich, dass er ihm noch mehr Gold geben würde, um auf Nummer sicher zu gehen, doch Eros hatte etwas ganz anderes vor.
 

In einer fließenden Bewegung zog er das Messer aus seinem Mantel und rammte es dem anderen mit Wucht gegen die Schläfe. Töten würde er ihn nicht. Auch, wenn er das gerne getan hätte, der andere war nur ein Händler, ein kleiner Fisch, keiner der Drahtzieher. Sein Tod würde gar nichts ändern.
 

Der Verbrecher brach augenblicklich zusammen. Eros kramte in den Taschen des Mannes und fand tatsächlich Arcwurz. Die Pflanze war auffällig. Dunkelgrüne Blätter und tiefrote Blüten. Ein paar ganze Stränge, aber auch gemahlenes Pulver in Leinensäckchen befanden sich in den Taschen des Mannes. Eros nahm alles, ebenso wie das Gold, das er ihm gegeben hatte.
 

Er grinste zufrieden. Seelenruhig schlenderte er aus der Gasse, den Kopf gesenkt und ging wieder auf die Mauer zu. Das war beinahe zu einfach gewesen.
 

***
 

Den Rest des Tages hatte er gewartet, nun ja, mehr oder weniger. Er hatte auch geprüft, ob Relia sich noch in ihrer Residenz befand. Zu seinem Erstaunen traf das tatsächlich zu. Eros war auf einen Baum nahe ihres Arbeitszimmers geklettert und hatte sie tatsächlich hinter ihrem Schreibtisch sitzen sehen. Der lange schwarze Zopf und die bunten Kleider waren auffällig.
 

Um ehrlich zu sein, hatte er damit gerechnet, dass sie untertauchen würde. Doch, da Eros Castus mehr oder minder ausgeschaltet hatte, hatte niemand Pater Mechalis Bericht erstattet. Bisher hatte also niemand Relias Vergehen an die Kirche gemeldet. Vielleicht hatte sie ihn und Cartan beobachtet und wusste das. Oder aber, sie war so hochmütig, dass sie sich selbst für unantastbar hielt. Beides hielt er für möglich.
 

Da Relia noch in ihrer Residenz war, musste er tatsächlich nur noch den Zuhälter entführen. Nun gut, und ein Tier finden, welches die Sünde des Hochmuts umkehrte, doch er hatte da bereits etwas im Sinn.
 

Eros hatte sich hinter die Herberge geschlichen, welche eigentlich ein Bordell war und sein Seil auf einen höhergelegenen Ast geworfen, welcher sich nah genug an einem Fenster befand, damit er einsteigen könnte. Er zog am Seil, um sicherzugehen, dass der Haken fest verankert war und begann dann am Stamm hinaufzuklettern. Oben angekommen balancierte er auf das Fensterbrett, schob das leicht geöffnete Fenster weiter auf und kletterte hinein.
 

Er bewegte sich rasch zur Wand und ließ seinen Blick schweifen. Eros hatte sich extra nicht den Hauptgang ausgesucht, um einzusteigen. Er wusste, wo sich die Treppe nach oben befand. Dort standen die käuflichen Damen aufgereiht und Kunden und Bedienstete gingen viel zu häufig ein und aus. Aber zum zweiten Gang, in dem er sich nun befand, wurden nur sehr gut zahlende Freier geleitet, was nicht ganz so häufig vorkam.
 

Wenn er diesem Gang bis zum Ende folgte und eine weitere Treppe nach oben ging, so käme er zum Zimmer des Zuhälters, desjenigen, der die ganzen Gewinne anteilhaft einsackte und sich am Leid der armen Frauen labte. Ein hochmütiger, fetter Bastard, der sich selbst für das allerwichtigste hielt. Eros hatte ihn schon oft gesehen und reden gehört. Er hatte kein schlechtes Gewissen diesen Mann an einen Dämon auszuliefern.
 

Wenn er Glück hatte schlief der Mann gerade tief und fest. Die Tinktur, welche er in einem kleinen Lederbeutel in seinem Mantel bei sich trug, würde ansonsten dafür sorgen, dass er definitiv erst morgen wieder aufwachen würde.
 

Leise und vorsichtig schritt er voran und traf tatsächlich keine Wachen. Allerdings stand eine Zimmertür, an der er vorbeischritt, offen. Was im Inneren vor sich ging ließ ihn ein klein wenig zurückzucken, doch gleichzeitig auch fasziniert innehalten.
 

Eros hielt nichts von käuflicher Liebe, aber dort drinnen vergnügten sich zwei Männer miteinander. Der Attentäter beobachtete mit Erstaunen wie einer der beiden sich immer wieder in dem anderen Mann versenkte. Seine Hände wurden ein wenig schwitzig. Cartan zeichnete sich unwillkürlich vor seinem inneren Auge ab. Allerdings nicht in Priesterroben, sondern nackt auf seinem Bett. Er sah wie der Priester ihm den Hintern entgegenstreckte und ungeduldig verlangte, er solle ihn nehmen.
 

In gewisser Weise, war es klar, wie das ganze funktionierte, wenn man sich ein wenig Gedanken darüber machte, doch bisher hatte Eros das nie getan, und es nun so direkt vor sich zu sehen, hatte ihn doch ein wenig aus der Bahn geworfen und gleichzeitig erregt.
 

Er schluckte und schritt voran. Dafür war er gewiss nicht an diesem Ort. So tief würde er niemals sinken. Nun, also, dass was die Männer dort taten, er könnte sich vorstellen, es mit Cartan zu erleben, aber er würde Sex niemals mit Gold bezahlen. Diejenigen die sich verkauften hatten oft keine andere Wahl und waren im Prinzip Opfer. Das würde er nicht unterstützen.

Er erreichte die Treppe und ging leise nach oben, vorsichtig, damit die alten Stufen nicht knatschten. Stimmen ließen ihn innehalten.
 

„Was kannst du eigentlich? Soll ich ein anderes Weib holen? Das ist eine Ehre für dich. Streng dich gefälligst an mich zufrieden zu stellen.“
 

Die Männerstimme war herablassend und kalt. Na toll, ausgerechnet in jener Nacht hatte der schmierige Kerl sich entschieden nicht zu schlafen, sondern sich selbst ein wenig verwöhnen zu lassen.
 

„Vergebt mir, mein Herr. Ich werde mich bemühen.“ Die Stimme klang viel zu jung. Eros erschauderte.
 

Vorsichtig nahm er die letzten Stufen, lehnte sich an die Wand und ging bis zur Zimmertür, welche glücklicherweise offenstand. Der Hausherr war sich wohl sehr sicher, dass niemand es wagen würde ihn zu stören.
 

Er lehnte sich ein Stück vor und spähte hinein. Der Zuhälter stand mit dem Rücken zur Tür, die Hose herabgelassen, vor dem Bett. Vor ihm hockte ein junges Mädchen und Eros konnte sich denken was sie gerade tat, um den Bastard zufriedenzustellen.

Der Mann begann ein wenig zu stöhnen, aber eigentlich war das gar nicht so schlecht. Er war abgelenkt und auch, wenn das Mädchen Eros bemerken könnte, war sie eventuell gewillt, ihn nicht zu verraten.
 

Er griff in seinen Mantel und ließ ein wenig der betäubenden Substanz auf ein Leinentuch träufeln. Vielleicht auch ein wenig zu viel. Nicht wirklich um auf Nummer sicherzugehen, sondern eher, damit der Mistkerl ordentlich Kopfschmerzen haben würde, wenn er erwachte.
 

Leise betrat er das Zimmer und näherte sich dem Geschehen. Der Zuhälter drehte sich ein wenig, hatte die Augen jedoch geschlossen. Aber nun war Eros im Sichtfeld des Mädchens. Ihre Augen weiteten sich, sie gab Geräusche von sich, doch der Zuhälter brummte unwirsch, griff in ihr Haar und drückte sie dichter an sich.
 

Eros sah ihr direkt in die Augen und hielt sich einen Finger vor den Mund. Er deutete auf ihren Peiniger. Und tatsächlich verhielt sie sich ruhig. Eros erreichte den Mann, packte ihn von hinten und drückte ihm sofort das Leinentuch ins Gesicht. Der Mistkerl wusste sicherlich überhaupt nicht wie ihm geschah.
 

Ein paar grunzende Laute und lasche Versuche der Gegenwehr, doch dann sackte er in sich zusammen. Eros packte ihn unter den Armen und ließ in langsam zu Boden sinken. Nicht, damit er sich nicht verletzte, sondern damit sein Zusammenbruch keinen Krach auslösen würde.
 

Das Mädchen war zurückgewichen und nutzte ihre Hände um ihren Busen zu verbergen.
 

„Alles gut, Ich tue dir nichts“, sagte Eros, griff auf dem Bett nach einer Leinendecke und warf sie ihr zu. Sie zog sie an sich, doch betrachtete Eros noch immer mit großen Augen.
 

„Was hast du mit ihm vor?“, fragte sie.
 

„Er wird nicht wiederkommen. Vielleicht übernimmt jemand weniger Grausames diesen Ort.“
 

Sie schüttelte den Kopf.
 

„Die Gier nach Gold verdirbt sie alle. Aber ich bin froh, wenn er weg ist. Ich werde dich nicht aufhalten.“
 

Nun musste er das Schwergewicht nur noch aus dem Zimmer bekommen. Der Mann war ziemlich groß und breit, außerdem bärtig. Sein Gesicht war markant und wirkte unfreundlich.
 

Das Obergeschoss bestand aus mehreren Zimmern, die den Wohnraum des Zuhälters darstellten. Eines davon war vollgestellt mit den seltsamsten Utensilien. Eine Art hölzerner Wagen erweckte Eros Aufmerksamkeit. Räder am Boden, eine Liege, über einer weiteren Liege, in der oberen befand sich weiter unten ein Loch. Über den genauen Zweck wollte Eros nicht so genau nachdenken. Diese Art von Spielzeug erschien ihm doch etwas seltsam, aber ihm kam das abstruse Gerät gerade recht.
 

Ein wenig mühselig hievte er den Zuhälter hoch, wickelte ihn in Leinendecken und lud ihn oben auf der komischen Schubkarre ab. Mit ein paar Seilen, die er ebenfalls in dem Spielzimmer gefunden hatte, fesselte er den Mann an die Liege.
 

Anschließend schob er ihn aus dem Zimmer. Die Treppe war kniffliger, doch durch seine Vorbereitungen machbar. Vorsichtig hob er den Karren immer wieder ein Stück an und ließ ihn von einer Stufe zur nächsten gleiten. Leider verursachte er dabei deutlich mehr Geräusche als noch zuvor.
 

„Ist alles in Ordnung, Boss?“, ertönte eine Stimme, die viel zu nah klang.
 

„Wag es ja nicht mich zu stören!“, rief Eros mit verstellter Stimme. Offenbar reichte es, denn er hörte sich rasch entfernende Schritte. Er grinste, auch, weil er endlich das Ende der Treppe erreicht hatte und schob den Karren bis zu dem Fenster, durch welches er eingestiegen war.
 

Tatsächlich hatte er sich für diesen Moment bereits etwas überlegt. Unter dem Fenster befand sich ein Kompost- und Müllhaufen, der sich etwa anderthalb Meter hochstapelte. Die gesamte Höhe betrug wahrscheinlich drei oder vier Meter. Wenn er den Mann in den weichen Abfall warf, sollte er das überleben. Und wenn nicht, na ja, dann würde Eros jemand anders finden.
 

Er löste die Seile und hob den Mann erneut an. Eros stemmte ihn aufs Fenster und ließ ihn tatsächlich fallen. Das verrottende Essen dämpfte den Fall ab und für Eros sah der Zuhälter nahezu unbeschadet aus.
 

Er selbst verließ das Haus auf demselben Wege wie er hereingekommen war. Der Ast diente ihm als Ausstieg und anschließend kletterte er den Baum hinunter. Ein ganz normaler Karren stand schon bereit. Eros hatte für alles gesorgt. Er hievte den Zuhälter hinein, verbarg ihn erneut unter Leinendecken und bewegte sich gezielt, durch nahezu ungenutzte Seitengassen, geradewegs zu einem seiner Verstecke.

Verfolgt

Kopfschmerzen waren das erste was er wahrnahm, als sein Bewusstsein langsam wieder klarer wurde. Castus Hand wanderte zu seiner Schläfe. Er öffnete seine Augen nur einen Spalt breit und es dauerte eine ganze Weile, bis er überhaupt etwas wahrnahm. Es war dunkel und roch ein wenig muffig.

Dennoch war ihm schnell klar, dass er sich nicht in seiner Kammer in der Kirche befand. Als er sich aufrichtete und die Leinendecke zurückwarf, stellte er entsetzt fest, dass er nackt war.
 

Verdammt, stell dich nicht so an, du weißt genau was passiert ist.
 

Castus umfasste seinen Kopf mit beiden Händen und schloss die Augen. Ungewollte Bilder strömten auf ihn ein. Eros, der sich über ihn beugte, seine Lippen, ihre Körper, die sich aneinanderpressten. Er biss die Zähne fest aufeinander. Er hatte einen Eid geleistet. Seine Bedürfnisse, sein Verlangen, es hätte ihn niemals von seiner Pflicht abhalten dürfen.
 

Ein wenig Spaß wird uns nicht umbringen. Du solltest mir eher danken.
 

Wie konnte das passieren? Stimmt, Eros hatte ihm Wahrheitsserum eingeflößt, seitdem war alles verschwommen. Das merkwürdigste an der ganzen Situation war, dass ein Teil von ihm sich zufrieden fühlte. Es war, als würden Cartans Gefühle sich mit seinen eigenen vermischen. Sein Verstand, sein Geist, war nicht länger klar.
 

Er atmete tief durch und erhob sich. Die Finsternis machte es nicht einfach irgendetwas zu finden, aber durch kleine Fenster schien ein wenig Mondlicht ins Zimmer. Es war noch immer, oder schon wieder Nacht. Wer wusste schon wie lange er geschlafen hatte, immerhin lange genug, damit das Wahrheitsserum aufhörte zu wirken.
 

Vom Boden sammelte er seine Kleidung auf und zog alles über. Wenn er wieder in der Kirche war, sollte er sich waschen und eine neue Robe anlegen, doch in diesem Moment hatte er dazu keine Möglichkeit.
 

Er ging zur Tür und rüttelte an der Klinke, doch nichts, sie war verschlossen. Klasse, offenbar hatte Eros ihn in einem seiner Verstecke eingesperrt.
 

Er will wohl dafür sorgen, dass wir ihm nicht weglaufen, damit wir später da weiter machen können, wo wir aufgehört haben.
 

Fahrig griff er nach der Ampulle, um seinen Hals. Ein Glück, sie war da, er war bereits dabei sie zu seinen Lippen zu führen, doch zögerte. Woher wusste er, dass es tatsächlich heiliges Wasser war? Alles war verschwommen, die letzten Tage existierten nur als bruchstückhafte Bilder.
 

Nicht dieses Zeug, ich will nicht verschwinden.
 

Sein Griff verstärkte sich und er trank gierig. Wenn Cartan sich beschwerte, dann war es tatsächlich das heilige Wasser, dass die Stimme des Dämons endlich zum Schweigen bringen würde. Doch er hielt erschrocken inne, als die Klarheit ausblieb. Der Geschmack war auch anders.
 

Reingelegt.
 

Nur ein Wort und doch ging es ihm durch Mark und Bein. Er war so töricht. Warum hatte er nicht erst einen kleinen Schluck probiert, nein, er musste gleich mehrere Schlucke trinken, ohne nachzudenken. Er war kaputt, er war durcheinander und nun würde er erneut verschwinden.
 

Es ist besser so. Du würdest nur alles kaputt machen.
 

„Kaputt machen? Was denn? Was sollte ich zerstören, dass du in letzter Zeit nicht bereits zerstört hast?“
 

Er zitterte.
 

„Bist du bei Pater Mechalis eingebrochen? Wirklich?“
 

Die Erinnerung strömte urplötzlich auf ihn ein. Unklar und nicht definiert, aber er sah wie seine Hände durch Papiere im Schreibtisch des Paters wühlten.
 

Du wolltest doch eine Möglichkeit oder nicht? Die Möglichkeit jemanden zu retten?
 

„Wenn es die gäbe, dann hätte Pater Mechalis es mir gesagt. Er hat keinen Grund zu lügen.“
 

Sein Körper fühlte sich schwer an, seine Finger, seine Beine, nichts wollte ihm länger gehorchen. Bis er erneut zum Beobachter wurde.
 

***
 

Cartan keuchte, Schweiß stand auf seiner Stirn. Das war knapp gewesen. Er hatte zu lange geschlafen, die Wirkung des Wahrheitsserums war begrenzt.
 

Wir sollten zur Kirche gehen. Melde dich bei Pater Mechalis und stehe für deine Sünden gerade.
 

Was sollte das? Warum hörte er Castus. Das Wahrheitsserum hätte ihn doch unterdrücken sollen. Leichter Schwindel befiel ihn. Instinktiv wollte er nach seinem linken Arm greifen, wollte zudrücken und kratzen, doch er hielt sich zurück. Das waren nicht seine Gedanken. Irgendetwas stimmte nicht. Die Wirkung des Wahrheitsserums war nicht mehr so stark wie zuvor.
 

Die Tür war verschlossen. Er war noch immer erschöpft und im Prinzip hätte er sich gerne wieder hingelegt und geschlafen, doch er wusste nicht, ob er dann nochmal als er selbst aufwachen würde. Und ein weiteres Mal könnte er Castus wohl nicht hereinlegen. Cartan musste also dafür sorgen, dass er die Oberhand behielt, bis er von Eros Nachschub erhalten würde. In der Ampulle um seinen Hals befand sich nur noch ein kleiner Schluck, da Castus einen Großteil der Flüssigkeit getrunken hatte. Aber immerhin sollte ihm das ein wenig Zeit geben.
 

Sein Blick wanderte umher, zwei kleine und schmale Fenster ließen Mondlicht herein, doch er könnte da niemals durchpassen. Die Tür war verschlossen und mit Eisen verstärkt. Mit seiner Feuermagie hätte er sich wahrscheinlich einen Weg nach Draußen brennen können, doch er hatte keinen Zugriff auf diese Macht. Sein Zustand erschien ihm noch weit fragiler, als an jenem Tag in der Kirche als er Pater Mechalis Arbeitszimmer durchwühlt hatte.
 

Was hast du dort gefunden? Was planst du?
 

Cartan grinste. Es war interessant, dass nun Castus die ungewollte Stimme in seinem Inneren war. Er wusste nur zu gut wie das war. Man beobachtete, man hörte Gedanken, die nicht die eigenen waren und konnte nur gelegentlich versuchen Einfluss zu nehmen. Nur Worte, doch nun hatte er die Macht Castus einfach zu ignorieren.
 

Eine weitere Tür führte wohl zum Erdgeschoss des verlassenen Hauses. Sie war mit Brettern verbarrikadiert, doch dieses Problem konnte er wahrscheinlich lösen. An der Wand lehnte das silberne Schwert mit dem Castus bereits unzählige Menschen oder Dämonen geköpft hatte.
 

Er griff danach, doch zuckte zurück, als er plötzlich Hitze an seinem Handgelenk fühlte. Irritiert wanderte sein Blick umher. Das Insigne reagierte auf etwas, was bedeutete, dass ein Dämon oder ein Wirt eines solchen in der Nähe war. Doch warum fühlte er das? Das war Castus Magie.
 

Wie du schon sagtest, deine Gelüste sind auch ein Teil von mir, doch genauso ist meine Magie und mein Glaube auch ein Teil von dir.
 

Er stieß die Luft aus, packte das silberne Schwert und fuhr herum. Der Kellerraum war leer, er war allein. Sollte Relias Kreatur an diesem Ort sein, so war sie draußen. Natürlich könnte es auch die Magierin selbst sein, immerhin war sie wohl so etwas wie eine alte Freundin von Eros. Es war also wohl nicht auszuschließen, dass sie eines seiner Verstecke kannte oder auch mehrere.
 

Und nachdem was geschehen war, war es durchaus nachvollziehbar, dass sie den Priester, der ihr auf die Schliche gekommen war, ausschalten wollte.
 

Das Problem war, er hatte keinen Zugriff auf seine Magie und das was er eigentlich bräuchte, wären Castus heilige Flammen. Besondere Feuer-Magie, die Dämonen verbrannte, aber nichts anderes.
 

„Verdammt.“ Vielleicht hätte er Castus nicht hereinlegen sollen.
 

Erneut wanderte sein Blick zur verbarrikadierten Tür, die sicher nach oben führte. Dort gäbe es größere Fenster und eventuell sogar eine unverschlossene Eingangstür. Aber sein Insigne brannte regelrecht an seinem Handgelenk. Das Wesen war nah. Vielleicht sogar bereits im Haus.
 

Cartan zuckte zurück als etwas gegen die Tür schlug. Nicht, die, die nach oben führte, sondern die welche in die Freiheit führte. Es war ein verstörender Anblick. Das Holz verwitterte langsam aber sicher. Wurde mit jedem Schlag morscher, bis bereits einzelne Bretter herunterfielen. Cartan sah schwarzen Stoff und er wusste er hatte keine Zeit zu zögern.
 

Er rannte regelrecht zum anderen Ausweg und schlug mit dem Schwert gegen die Bretter, welche mit Nägeln in die Wand neben der Tür geschlagen worden waren, immer und immer wieder. Leider hatte er keine Magie, die das Holz morsch machte, doch es waren ohnehin alte Barrikaden. Eros hatte sie wahrscheinlich länger nicht ausgetauscht. Das rettete ihn.
 

Das Holz splitterte, beinahe im selben Moment, wie die Zugangstür. Hektisch zog er die Tür auf und stürmte die Treppen nach oben, ohne sich nochmal umzusehen. Cartan achtete nicht auf seine Umgebung, alles was er suchte war ein Fenster. Das erste was er fand zog er auf und sprang nach draußen. Er landete auf hartem Stein und schürfte sich das Knie auf, doch das war egal.
 

Das Vieh was da gerade in Eros Versteck eingedrungen war, hätte ihn garantiert getötet, daran bestanden für ihn keinerlei Zweifel. Er richtete sich hastig wieder auf und rannte los. Alles was ihm einfiel war zur Kirche zurückzukehren. Die vage Hoffnung, dass der heilige Boden das Wesen fernhalten würde, trieb ihn an. Waren das seine Gedanken oder die von Castus? Er vermochte es nicht länger klar zu trennen.

Ungewollte Konfrontation

Cartan war gerannt, ohne ein einziges Mal innezuhalten. Ohne Frage, er lief vor dem Monster davon, aber zum Teil wohl auch vor seinen eigenen verwirrenden Gedanken. Die Kirche als Zuflucht, das war nicht seine Überzeugung, sondern die von Castus, und doch fühlte es sich richtig an.
 

Leicht keuchend kam er vor den steinernen Mauern zum Stehen. Der Kirchturm, die breiten Flügeltüren und die mit bunten Mosaiken verzierten Fenster ließen ein Gefühl von Heimat in ihm aufsteigen. Cartan schüttelte den Kopf, dann ließ er seinen Blick umherschweifen, doch er konnte nichts entdecken. Vielleicht hatte er den Dämon abgeschüttelt.
 

Er drückte die breiten Türen auf und schob sich ins Innere der heiligen Hallen. Es herrschte Stille in dem alten Gemäuer. Des Nachts kamen manchmal einsame Menschen in die Kirche und beteten, doch die Holzreihen waren leer. Kein Priester stand vor dem Pult am Ende der großen Halle, sodass der Blick auf das Bildnis von Jesus, ans Kreuz genagelt, unwillkürlich in den Fokus rückte.
 

Aus irgendeinem Grund schlug Cartan das Herz bis zum Hals, er konnte nicht sagen, ob es daran lag, dass er eine ganze Weile gerannt war, oder daran, dass er das Gefühl hatte, seine Gedanken würden nicht mehr gänzlich ihm gehören. Castus Wunsch nach Buße, das Gefühl der Verbundenheit zur Kirche, es war, als lauere das alles auch in ihm. War der wahnhafte Priester gar kein Geschwür, sondern wahrhaft ein Teil von ihm? Zwang das Wahrheitsserum ihn dazu, dass zu akzeptieren?
 

Er atmete tief durch und schritt voran. Selbst, wenn das so war, dann konnte er noch immer selbst über sein Leben bestimmen. Castus glaubte, dass seine Seele ohnehin verloren war, verdorben durch all die Sünden, die er begangen hatte. Wenn dem so war, wozu sollte er dann Buße tun? Er könnte ebenso gut sein Leben genießen, solange er es noch konnte.
 

Das Wahrheitsserum war keine Dauerlösung, das wurde ihm schmerzlich bewusst, bereits in diesem Moment, erzielte es nicht mehr gänzlich die erwünschte Wirkung. Relia zu retten könnte seine einzige Hoffnung sein.
 

Wo war Eros eigentlich hingegangen?
 

Vermutlich versuchte er die Dinge zu besorgen, die sie für das Ritual benötigten. Vielleicht auch eine Person, welche die Sünde des Hochmuts in sich trug. Wahrscheinlich wäre es das Klügste, wenn er sich in Castus Kammer zurückzog und bis zum nächsten Morgen wartete. Am Tag waren Dämonen schwächer und schlugen nur selten zu. Das wäre auch die beste Zeit, um das Ritual zu vollführen.
 

Er wandte sich von den hölzernen Bänken ab und bewegte sich zur Treppe, doch das Knatschen der alten Scharniere ließ ihn innehalten. Es war nicht die Eingangstür, sondern der Zugang zum Kellergewölbe, welcher geöffnet wurde. Eine ganze Prozession an Priestern, gewandet in dunkle rote Roben, trat in den Kirchensaal.
 

‚Herz und Blut‘, die Henker… Was taten sie in dieser Anzahl mitten in der Nacht in der Kirche? In den Kellergewölben wurden die Gefangenen aufbewahrt bis über ihr Schicksal entschieden wurde. Manche wurden hingerichtet, andere gefoltert, wenn man sich erhoffte, so an die Hintermänner heranzukommen. Und dass dies teilweise nachts geschah, machte wohl durchaus Sinn, aber warum waren es so viele? Cartan zählte 30 Priester.
 

„Sucht weiter! Die Arche muss hier irgendwo sein!“
 

Cartan verstand kein Wort. Arche? Er kannte die Bezeichnung nur aus Noahs Geschichte. Doch das machte keinerlei Sinn. Die Priester suchten wohl kaum ein riesiges Schiff.
 

Er zuckte zusammen, als er erneut Hitze an seinem Handgelenk fühlte. Aufmerksam ließ er seinen Blick schweifen. Doch alles was er sehen konnte, waren der leere Kirchensaal und die Priester.
 

Die Henker hatten ihn bemerkt, einige deuteten auf ihn und einer der Männer schritt auf Cartan zu. Er hatte so gut wie nie mit den anderen Gruppierungen geredet. Pater Mechalis hatte ihm stets klar gemacht, dass dies auch nicht gewünscht war. Freundschaften, Kameradschaft oder ähnliches waren für den Pfad als Priester von Feuer und Seele eher hinderlich.
 

Am Ende der Gebetsreihen nahe der breiten Eingangstür standen sie sich gegenüber. Der in rote Roben gewandte Henker und Cartan in seinen schwarzen Roben. Der andere Mann nickte ihm zu und zog seine Kapuze zurück. Ein etwas älterer Herr mit grauen Haaren und braunen Augen blickte Cartan aufmerksam entgegen.
 

„Ihr seid ein Priester von Feuer und Seele, richtig?“
 

Auch, wenn es sich in gewisser Weise falsch anfühlte, nickte Cartan. Jahrelang war er dieser Berufung mit absoluter Hingabe gefolgt, nun nicht er, eher Castus, aber dennoch, er war ein Priester.
 

„Es gibt Probleme in der Kirche, es scheint einen Eindringling zu geben, bitte zieht Euch zurück. Es handelt sich um einen Menschen. Dies ist kein Fall für Euch“.
 

„Ihr sagtet Ihr würdet eine Arche suchen?“
 

Cartan konnte die Frage nicht zurückhalten, doch der andere zuckte einfach nur mit den Achseln.
 

„Das ist nur ein Wort, welches wir für Verräter und entflohene Verbrecher verwenden. Jemand hat es offenbar geschafft aus dem Kellergewölbe auszubrechen. Wir sind uns sicher, er ist noch in der Kirche.“
 

„Mein Insigne, es reagiert auf etwas. Vielleicht ist es doch kein Mensch oder zu mindestens nicht nur.“
 

Der Henker wirkte noch immer entspannt, etwas das Cartan irritierte. Er wurde das Gefühl nicht los, dass Eros recht haben könnte. Die Kirche hatte Geheimnisse. Informationen, die sie selbst Castus nicht offenbarten.
 

„Seid unbesorgt, wir haben die Situation im Griff.“
 

Unwillkürlich wanderte Cartans Blick hinter den Priester, da er erneut das Gefühl hatte eine unangenehme Präsenz wahrzunehmen. Die Priester von Herz und Blut standen am Ende der Gebetsreihen, einige tuschelten, andere ließen ihren Blick aufmerksam umherschweifen, doch einer der Priester rührte sich überhaupt nicht. Die Roben umhüllten den Körper vollkommen. Wie bei der Predigt. Die verhüllte Gestalt schien Cartan anzustarren, obwohl der Kopf und die Augen unter dem Stoff verborgen waren. Sein Insigne brannte regelrecht.
 

Cartan hob seine Hand und deutete auf den Priester. Er war sich sicher, dass es der Dämon war, den er in Relias Anwesen gesehen hatte.
 

Der ältere Herr zog die Augenbrauen zusammen und wandte sich um, doch in dem Moment, als alle Augen sich auf den Dämon richteten, schoben sich Arme unter der Robe hervor. Cartan wusste augenblicklich, dass er Recht hatte. Verrottete Hände umfassten jene hölzerne Sense, welche er bereits einmal gesehen und zu spüren bekommen hatte.

Die zweite Hand zog die Kapuze der roten Robe zurück und offenbarte den kahlen Schädel. Die Nase fehlte und eines der Augen war tiefrot, doch Cartan sah das Wesen nicht direkt an. Er erinnerte sich mit erschreckender Klarheit daran, dass er keinen Muskel hatte rühren können.
 

Aber er hörte den markerschütternden Schrei der ertönte. Nicht menschlich, sondern voller Wahn. Durchdringend und einschüchternd. Er wich zurück, sah, dass das Monster von den Priestern attackiert wurde. Doch sie machten den Fehler, es direkt anzusehen. Einer der Männer erstarrte. Die anderen griffen den Dämon an, doch er wehrte jeden der Schläge mit seiner Sense ab.
 

Direkt vor dem Priester kam das Wesen zum Stehen. Es packte den Mann, zog ihn am Roben-Kragen nach oben und hob die Sense an. Nur um sie dann hinabsausen zu lassen, direkt in eines der Augen des Mannes. Nicht mal Schreien konnte das Opfer. Die Sense versenkte sich im Schädel und ließ den Priester zerfallen, in einer grotesken Schau verschrumpelte die Haut, es bildeten sich Falten, bis schließlich nur ein eingefallener Schädel zurückblieb.
 

Doch Cartan bemerkte etwas. Zuvor hatte der Dämon jeden Schlag mit seiner Sense abgewehrt, doch nun, konnten die anderen Priester ihn treffen. Sie schlugen mit Stöcken und Schwertern auf das Monster ein und die Hiebe erzielten Wirkung.
 

Der Dämon kreischte und ließ sein Opfer fallen.
 

„Seht ihn nicht direkt an!“, rief Cartan und fand Gehör. Die Priester senkten ihre Blicke und begannen blind nach dem Wesen zu schlagen. Doch nun wehrte es wieder alle Angriffe ab. Einige Hiebe der Sense trafen den Stoff der Roben oder die Priester selber. Einer taumelte zurück, seine Hand hing alt und vertrocknet herab.
 

Der ältere Priester, welcher Cartan entgegengekommen war schien wie erstarrt, doch nun rührte er sich.
 

„Es ist zu stark, mehr Verluste dürfen wir nicht riskieren! Wir müssen den Träger suchen, er ist das wahre Ziel! Zieht euch zurück!“, rief er und stürmte zur Eingangstür.
 

Das versetzte die Prozession aus Priestern in Bewegung. Ein wildes durcheinander aus roten Roben entstand, in dem Cartan den Dämon nicht mehr ausmachen konnte. Wahrscheinlich hatte er sich erneut unter den Roben versteckt.
 

Cartan drängte sich rasch zwischen die hölzernen Bänke, um nicht überrannt zu werden. Die Priester stürmten vorbei, drückten die breiten Türen auf und stürmten hinaus. Die roten Roben verschwanden in der Dunkelheit der Nacht, und mit ihnen offenbar der Dämon, denn die Hallen blieben erneut leer zurück.
 

Unbewusst hatte er die Luft angehalten, welche er nun ausstieß. Sein Blick wanderte umher. Nichts zu sehen. Warum war der Dämon mit den Priestern verschwunden? Weil sie ihn gesehen hatten? Wollte er nun jeden von ihnen auslöschen? Und warum suchten Priester von Herz und Blut, nach dem Wirt des Dämons? Das wäre eigentlich eine Aufgabe für einen Priester von Feuer und Seele. Es machte keinen Sinn.
 

Vermutlich sollte er ihnen folgen, doch er hatte keine Magie. Weder das echte Feuer, noch Castus heilige Flammen konnte er heraufbeschwören. Das silberne Schwert, welches an seinem Gürtel in dem Schaft hing, war seine einzige Waffe. Vielleicht, wenn er den Dämon damit erwischte, während er gerade ein anderes Opfer aussaugte, könnte er ihn töten. Doch die anhaltende Hitze an seinem Handgelenk hielt ihn zurück.
 

Entweder hatte der Dämon den Aufruhr genutzt, um nach draußen zu verschwinden, oder er hatte sich irgendwo in diesen Hallen verborgen. Eine weitere Möglichkeit war natürlich Relia, auch sie könnte an diesem Ort sein.
 

Das Insigne glühte nicht mehr ganz so heiß wie zuvor. Die Wärme war erträglich, fast angenehm. Was bedeutete, dass der Dämon nicht mehr so nah war. Cartan kehrte zurück zum Gang zwischen den hölzernen Gebetsreihen. Die Eingangstür war wieder zugefallen. Langsam ging er auf den Keller zu. Nur ein wenig, kaum merklich, nahm die Hitze zu.
 

Irgendetwas verbarg sich in den Kellergewölben der Kirche. Relia, der Dämon und zusätzlich vielleicht auch der entflohene Gefangene von dem die Priester gesprochen hatten. Cartan hatte einen inneren Kampf auszufechten. Er wollte fliehen, er wollte sein Leben nicht riskieren, nur, um, ja, was eigentlich? Wofür sollte er kämpfen? Cartan erkannte keinen Sinn darin sich einem Dämon zu stellen, der ihn definitiv töten würde. Er teilte Castus wahnhafte Überzeugung nicht. Luisa, die verheiratete Frau, welche er verführt hatte, sie hatte mitgemacht. Sie hatte sich auf ihn eingelassen und ihren Mann betrogen. Gut, natürlich, wäre es besser gewesen, er hätte sie nie in Versuchung geführt, aber über die Konsequenzen hatte er sich keine Gedanken gemacht. Er hätte nie gedacht, dass der gehörnte Ehemann sie töten würde. Und war das tatsächlich seine Schuld? Wenn es eine Hölle gab, sollte dann nicht Luisas Ehemann in ihr schmoren, dafür das er sie getötet hatte?
 

Cartan verstand die Moral von der so viele sprachen nicht. War es gerecht zu morden, wenn jemand einen Fehler begangen hatte? Warum wurde er verdammt, nur, weil er sein Leben genoss? Wo doch so viele andere für ihre eigenen Ziele sogar über Leichen gingen. Diese Welt war korrupt und falsch und wurde von Egoismus regiert. Er hatte keinen Grund anders zu sein. Für wen oder was? Castus versuchte ein Held zu sein, selbstlos und gerecht, doch was sollte das bringen? Was hatte es ihm bisher gebracht?
 

Er ging ein paar Schritte rückwärts. So langsam, warum stürmte er nicht zur Tür? Was hielt ihn zurück?
 

Du weißt was das Richtige ist. Du kannst nicht zulassen, dass die Kirche von Dämonen korrumpiert wird.
 

Cartan schüttelte den Kopf. „Das kann ich sehr wohl, es ist nicht meine Verantwortung.“
 

Tatsächlich drehte er sich um, aber seine rechte Hand umklammerte den linken Unterarm. Drückte und kratzte. Das war nicht er, dass wollte er nicht.
 

„Hör auf!“, rief er und schaffte es tatsächlich den Griff zu lösen. Keine Kontrolle, zwei Willen in einem Körper. Er bebte.
 

Es ist unsere Berufung. Wir müssen Unschuldige schützen. In diesem Moment mordet der Dämon. Nicht nur Bürger dieser Stadt, sondern auch die Priester. Er verbirgt sich unter unseren Roben und geht vielleicht schon seit Tagen in der Kirche ein und aus.
 

Cartan schüttelte den Kopf. „Wenn ich weitergehe, hältst du dann endlich den Mund?“
 

Stille. Cartan seufzte. Würde er jemals wieder gänzlich frei sein?
 

Er schritt auf das Kellergewölbe zu, die Hitze an seinem Handgelenk war allgegenwärtig. Sie nahm mit jedem Schritt weiter zu. Nur eines verstand er nicht. Die Henker waren aus dem Keller gekommen. Wenn sich Relia dort verbarg, wieso hatten sie sie nicht gefunden? Nun ja, sie hatten kein Insigne, wenn die Magierin sich gut genug verbarg, könnte das bereits die Erklärung sein.
 

Cartan hatte die breite Zugangstür geöffnet und das Gewölbe betreten. Dunkelheit breitete sich vor ihm aus. In diesen Raum fiel kaum Mondlicht, da es nur in den Zellen einzelne vergitterte Fenster gab. Genau deshalb gab es Halterungen mit Fackeln. Cartan griff nach einer, auch, wenn ihm bewusst war, dass er sie vermutlich nicht entzünden könnte.
 

Er konzentrierte sich, suchte nach der Magie, doch nichts. „Verdammt!“
 

Castus zerstörte alles, nahm ihm sein Leben, seine Freude und nun auch seine Fähigkeiten. Er stand in dem dunklen Gewölbe und auch, wenn seine Augen sich langsam an das spärliche Licht gewöhnten, konnte er dennoch fast gar nichts erkennen. Nur Schemen. Das Insigne brannte noch immer an seinem Handgelenk, fast als wolle es ihn verspotten. Mit der Magie, die eigentlich zu Castus gehörte. Cartan war kein Priester, er wollte einfach nur frei sein, sein Leben genießen und die Dunkelheit der Menschen vergessen. Es war nicht seine Verantwortung die Welt zu retten.
 

Wieso befand er sich in so einer Situation? Geplagt von einer ungewollten Stimme, nur ein magisches Elixier erlaubte ihm überhaupt Herr seiner Sinne zu sein. Und doch war er nur ein Schatten seiner selbst. Er fühlte Wut, unbändige Wut. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Er wollte sein Leben zurück, er wollte endlich wieder frei sein.
 

Die Wut pulsierte regelrecht in ihm. Und plötzlich fühlte er es, wie früher, die Magie wurde greifbar. Die Flammen umspielten seine Hände. Cartan hob seine Arme, lachte laut auf und betrachtete das Feuer. Diese Macht war doch noch ein Teil von ihm. Breit grinsend entzündete er die Fackel. Gerade noch rechtzeitig, denn die Flammen erloschen. „Wieso? Verdammt…“ Nichts. Wieder konnte er seine Fähigkeiten nicht greifen, als würde die Quelle oder der Auslöser fehlen.
 

Wir haben jetzt Licht. Du musst weiter gehen. Rette die Kirche.
 

„Ich dachte wir hatten eine Vereinbarung. Du lässt mich in Ruhe, dann gehe ich weiter.“
 

Aber mit einer Sache hatte Castus recht. Er hatte nun eine Lichtquelle und stand somit besser da als zuvor. Das Feuer beleuchtete die hohen Decken des Gewölbes. Ein langer und breiter steinerner Gang. An den Seiten befanden sich mehrere Zellen, aneinandergereiht, die meisten unverschlossen. Cartan hatte in diesem Kerker tatsächlich selten Gefangene gesehen. Es gab Gerüchte, dass die meisten Gesetzlosen in einem anderen Abschnitt der Kirche, von Herz und Blut, gefoltert wurden. Aber er hatte diesen Ort nie gesehen.
 

Sein Insigne war noch immer warm. Er folgte dessen Pulsieren, versuchte verschiedene Richtungen einzuschlagen, um zu prüfen, wo die Hitze zunahm. Nach ein paar Metern hielt er inne. Das Insigne glühte, als er sich nach links zu einer der Zellen wandt. Doch augenscheinlich war diese leer.
 

Vorsichtig näherte er sich und betrat den vergitterten Raum. Sein Handgelenk brannte regelrecht. Irritiert ging er auf die steinerne Wand zu, tastete sie ab und leuchtete mit der Fackel durch die Eisenstäbe, um die anliegenden Zellen zu betrachten. Nichts.

Ein geheimer Raum würde natürlich erklären, warum Relia nicht entdeckt worden war.
 

Cartan ließ die Fackel an der Wand entlangwandern und tatsächlich bemerkte er einen Stein, der ein ganz klein wenig hervorstand. Mit der rechten Hand übte er Druck an genau dieser Stelle aus und wich ein Stück zurück, als ein Grollen ertönte. Die steinerne Wand öffnete sich und offenbarte den Zugang zu einer kleinen Kammer.

Cartan konnte sich das nur durch Magie erklären. Es war nicht einfach, aber man konnte Gegenstände verzaubern, manche Magier spezialisierten sich darauf, oder hatten Fähigkeiten, die genau für solche Zwecke geeignet waren. Der Raum hinter der Wand war klein, und offenbar als eine Art Zimmer eingerichtet worden. Vielleicht hatte ein Priester oder Mönch sich schon vor Jahren oder Jahrhunderten eine geheime Zuflucht geschaffen. Bei all den Regeln der Kirche könnte Cartan das gut verstehen.
 

Er duckte sich und trat durch den kleinen Zugang. Von der Zelle aus hatte er nur einen kleinen Tisch und eine Art hölzerne Ablage gesehen. Doch, in der Ecke lagen mehrere gestapelte Leinendecken und Kissen. Darauf saß Relia, aber sie war kaum wiederzuerkennen.
 

Ihre Augen waren tiefschwarz, die Haut weiß und die Wangen eingefallen, als hätte sie tagelang nichts gegessen. Die Blässe ließ die dunklen Höhlen noch viel bedrohlicher wirken. Fast als wäre sie nicht länger menschlich. Die Haare waren nicht mehr zu einem Zopf gebunden, sondern hingen wirr in ihr Gesicht.
 

In einer Hand hielt sie ein Messer und fuhr damit immer wieder über ihre bereits blutverschmierte linke Hand und den Arm. Der Edelstein lag auf den Leinentüchern und wurde bedeckt von ihrem Blut. Sie nahm Cartan offenbar überhaupt nicht wahr. Stattdessen murmelte sie wie in Trance vor sich hin.
 

„Gehorche, ich bin die Herrin über Leben und Tod. Diese Tölpel von Herz und Blut sind nur Insekten. Töte Eros, töte den Priester von Feuer und Seele. Beuge dich mir!“
 

Wie im Wahn wiederholte sie immer wieder das gleiche und fügte sich weitere Wunden zu. Wenn sie so weiter machte, würde Relia sterben. Elendig verbluten oder verhungern.
 

„So viel Energie, so viele kleine Käfer. Rote Insekten. Mein, ich zeige ihnen wer ihr Herr ist. Meine Macht übersteigt alles.“
 

Relia sah völlig wahnsinnig aus. Ihr Kopf war erhoben und sie grinste. Doch ihr Mund war zu weit geöffnet, es wirkte irreal. Bis sie plötzlich in sich zusammensackte, die Waffe entglitt ihren Händen und fiel zu Boden. Cartan fühlte sich wie erstarrt. Der Dämon schien sich Relias Befehlen zu verweigern. Wahrscheinlich, weil sie zu schwach war. Körperlich und geistig. Sie war der Sünde des Hochmuts beinahe vollends verfallen. Wenn Eros und er sie noch retten wollten, müssten sie schnell sein.
 

Cartan näherte sich Relia vorsichtig, bis er direkt vor ihr stand. Er trat das Messer zur Seite, damit sie nicht wieder danach greifen könnte. Dann strich er ihr die Haare mit einer Hand aus der Stirn und mit der anderen richtete er vorsichtig ihren Kopf wieder auf. Sie war fürchterlich kalt. Vorsichtig brachte er sie in eine liegende Position, nur um dann ein paar Leinendecken zu zerreißen und diese provisorisch um Relias Wunden zu wickeln.
 

Er war kein Heiler, ausreichend war diese Behandlung sicher nicht, aber vielleicht würde sie zu mindestens nicht verbluten. Plötzlich wurde sein Handgelenk gepackt und schwarze Augen fixierten ihn.
 

„Du! Elendes Insekt, schleichst noch immer herum, gibst nicht auf. Dabei stehe ich über euch, über euch allen. Am Ende werde ich die Herrscherin über alles sein. Diese Welt wird nur mein sein, frei von all den lästigen Insekten.“
 

Cartan löste sich von ihr und griff instinktiv nach dem blutroten Edelstein. Relias Augen weiteten sich, trotz ihrer Schwäche bäumte sie sich auf. „Gib ihn mir zurück! Gib ihn mir. Das ist mein Eigentum, meine Macht. Du kannst ihn nicht kontrollieren!“
 

„Das muss ich nicht“, sagte er, bevor er sich erhob. Relia wandt sich und versuchte sich mit den Händen vorwärts zu ziehen. Sie hatte offenbar keine Kraft mehr aufzustehen.
 

„Nur Insekten“, murmelte sie immer und immer wieder. Obwohl sie sich die Ellbogen am steinernen Boden aufschürfte. Cartan wusste nicht recht, ob er Mitleid oder Angst empfinden sollte. Würde der Dämon zurückkommen, so wäre das mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit sein Ende. Doch eine bessere Gelegenheit Relia zu fangen würde sich nicht bieten.
 

Sie war schwach und der Dämon höchstwahrscheinlich damit beschäftigt die Priester von Herz und Blut zu jagen. Einen kurzen Moment könnte er sie wohl allein lassen. Cartan verließ die kleine Kammer, Relias lautes Gekeife ignorierte er.
 

Sein Herz schlug ihm die ganze Zeit bis zum Hals. War das wirklich das richtige? Ein Ritual, um den Dämon zu übertragen? Nicht, dass er Gewissensbisse bekam, aber ihm schien, dass Eros recht hatte. Die Kirche verbarg Geheimnisse, selbst vor Castus. Warum sonst, hätten sie Herz und Blut auf einen Besessenen ansetzen sollen. Die Priester von Feuer und Seele erhielten vielleicht nur die Informationen, die es für die Kirche leichter machte, sie zu kontrollieren.
 

Wer besessen ist, ist verloren. Man kann nicht einfach jemand anderen verdammen. Und selbst, wenn, das ist nicht die Erlösung nach der ich suche. Die Kirche nahm uns auf, gab uns einen Sinn, wage es nicht sie in den Dreck zu ziehen.
 

„Du würdest so etwas nie tun, nein, aber ich schon. Ich will dich loswerden. Nicht mehr und nicht weniger. Und diese Frau wird mir vielleicht dabei helfen.“
 

Cartan sah sich um und fand in einer der Zellen eine Schubkarre. Ein wenig rostig und dreckig, aber das war egal. Er schob sie zu Relia, welche sich mittlerweile aus dem Geheimraum herausgezogen hatte.
 

„Gib mir den Edelstein zurück! Ich stehe über dir! Ich befehle es dir!“
 

Er ging gar nicht auf ihre haltlosen Forderungen ein. In diesem Moment stand ganz eindeutig er über ihr. Sie war ihm ausgeliefert. Cartan ging auf die Frau am Boden zu, griff unter ihre Arme und zog sie hoch. Relia hatte keine Kraft um sich zu wehren.
 

„Lass mich los!“, verlangte sie, doch Cartan ließ nicht von ihr ab. Er bugsierte sie in die Schubkarre und holte einige der Leinendecken aus dem Zimmer. Ihr Gemeckere könnte ein Problem werden. Also riss er erneut ein Stück von den Leinen ab und stopfte es ihr in den Mund, mit einem anderen Fetzen band er den Knebel fest. Sie sah ihn mit ihren schwarzen Augen hasserfüllt an, aber später würde sie ihm vielleicht dafür danken. Nun, falls sie das alle überleben würden.
 

Anschließend warf er mehrere der anderen Leinendecken über sie, um sie zu verdecken. Es wäre riskant sie so durch die Stadt zu schieben, doch es war Nacht und auch er kannte ein paar Seitengassen Lorrings, die nicht allzu oft genutzt wurden.
 

Er musste Eros finden, so schnell wie möglich. Sie hatten nicht viel Zeit. Blieb nur zu hoffen, dass Eros aufgebrochen war, um die Person zu entführen, welche aus seiner Sicht den Hochmut verkörperte. Cartan war sich sicher, dass ihnen nicht mehr viel Zeit blieb, um das Ritual auszuführen.

Übertragung

Eros hatte das Versteck aufgesucht, in dem er Cartan zurückgelassen hatte, nur um mit Schrecken festzustellen, dass die Zugangstür zum Keller zerstört worden und der Priester verschwunden war. Mit dem Verbrecher in der Schubkarre hatte er nicht allzu viele Möglichkeiten gehabt, weshalb er ihn zu einem anderen Unterschlupf, nur wenige Minuten entfernt, gebracht hatte.
 

Er hatte den Zuhälter, welcher noch immer tief und fest schlief, dort eingesperrt, doch nun stand er vor dem Eingang und fragte sich, wie er weiter vorgehen sollte.
 

Auch dieses Versteck war ein verlassener Keller, wie eigentlich die meisten von Eros Unterkünften. Es gab einige verfallene Häuser in den schäbigeren Ecken von Lorring. Diese kaufte Eros gerne, da sie perfekt waren, um sich zu verbergen. Man bekam sie für wenig Gold und er hatte nahezu überall in der Stadt einen sicheren Schlafplatz. Wenn ein Verbrecher auf Rache aus wäre, wäre es nicht einfach für diesen Eros zu finden.
 

Er seufzte. Die Tür des alten Versteckes hatte verwittert ausgesehen, doch im Inneren hatte er keine Leiche gefunden. Vermutlich war Cartan von dem Monster angegriffen worden, aber konnte entkommen. Die Frage war, wo war er nun.
 

Prinzipiell war natürlich alles was er zur Ausführung des Rituals noch brauchte Relia, doch allein würde es schwierig werden. Und in gewisser Weise hatte er Castus, oder Cartan, da mit reingezogen. Wenn dieser sich nun in Gefahr befand, sollte er das nicht ignorieren. Eros mochte ein Bastard sein, aber sein Sinn für Gerechtigkeit ließ das nicht zu.
 

Wenn Relia oder das Monster Cartan erwischt hatten, dann war er mit höchster Wahrscheinlichkeit Tod. Aber davon wollte Eros nicht ausgehen. Auf eine seltsame Art und Weise hatte er gelernt den Priester zu schätzen. Auch, wenn er sich selber noch nicht ganz sicher war, was das genau bedeutete.
 

Wenn Cartan also geflohen war und es geschafft hatte den Dämon abzuschütteln, was wäre dann wohl sein nächster Schritt?
 

Eros musste sich eingestehen, dass er den anderen nicht wirklich gut genug kannte, um das einzuschätzen. Castus wäre wohl zur Kirche gerannt, doch Cartan? Vielleicht in eine Bar? Aber nach einem Dämonenangriff, wohl eher nicht.
 

Im Endeffekt entschied Eros sich für einen Verzweiflungsversuch. Sollte Cartan Eros suchen, wäre der einzige Anhaltspunkt den der Priester hatte, das alte Versteck. Es gab eine winzig kleine Wahrscheinlichkeit das Cartan versuchen würde dorthin zurückzukehren, um Eros zu treffen. Und so dumm wäre das gar nicht. Weder Relia, noch die Kreatur würden wohl davon ausgehen, dass ihr Opfer an den Ort zurückkehrt, der dem Feind bekannt ist.
 

Daher machte er sich auf den Weg zum alten Unterschlupf. Dort angekommen verbarg er sich in einem nahegelegenen Gebüsch. Ihm blieb nichts als zu warten, aber das wollte er gewiss nicht auf dem Präsentierteller tun. Falls Relia zurückkehrte wollte er verborgen sein.
 

Eros war angespannt und als er Schritte vernahm wanderte seine rechte Hand unwillkürlich zum Dolch. Aber nur ein betrunkener Bürger Lorrings torkelte vorbei. Die Anspannung wich, doch Eros blieb auf der Hut.
 

Ein paar Mal fielen ihm die Augen zu, wie lange genau er wartete, vermochte er nicht zu sagen. Doch dann hörte er ein ungewöhnliches Geräusch. Ein leises Quietschen und ein Fluchen. „Dieser verdammte Sand.“ Undeutlich und leise, er konnte die Stimme nicht zuordnen.
 

Der äußere Kreis von Lorring war nicht so prunkvoll wie der Stadtkern. Steinerne Wege gab es nur im Zentrum. Die sogenannten Elendsviertel waren schäbig und zum Teil auch dreckig. Noaka stellte sich gern als Land der Freiheiten dar und im Prinzip stimmte das. Jeder konnte nahezu jede Position einnehmen, aber wenn einem das nötige Gold zur Ausbildung fehlte, wurde es sehr schwierig. Korruption und Bestechung waren leider übliche Praktiken.
 

Eros richtete sich ein wenig auf und ließ seinen Blick schweifen. Ein Stück entfernt sah er einen Karren, dessen Inhalt unter einer Leinendecke versteckt worden war. Er musste leicht schmunzeln, genauso hatte er es mit dem Zuhälter getan. Aber, das hieß auch, dass da eventuell ein Mörder oder Verbrecher auf ihn zukam. Erneut wanderte seine Hand zum Dolch, welcher in einer ledernen Halterung an seinem Gürtel hing. Gut verborgen unter seinem weiten schwarzen Mantel.
 

„Warum gibt es hier überall nur Sandböden? Wie soll man so einen Karren schieben?“ Die Stimme gab Eros Entwarnung, das war eindeutig Cartan. Er hatte wirklich Glück, wenn er ehrlich war, hatte er nicht damit gerechnet, dass seine wage Hoffnung sich erfüllen würde.
 

Langsam richtete er sich auf, noch immer nicht gänzlich beruhigt. Denn Eros kannte sich nicht mit Magie oder Dämonen aus, wer wusste denn schon, ob das Monster nicht dazu in der Lage war Stimmen zu imitieren oder Visionen zu erzeugen?
 

Daher schlich er langsam seitlich zum vermeintlichen Priester. Desto näher er kam, desto deutlicher sah er den Mann, welcher sich abmühte den Karren über den Sand zu schieben. Es war Cartan, unbewusst breitete sich ein Lächeln über Eros Gesicht aus. Er ließ mit der Hand vom Dolch ab und bewegte sich gezielt direkt vor die Schubkarre. Mit den Händen stützte er sich auf dem kalten Eisen ab, sah Cartan grinsend entgegen und fragte: „Wen oder was versuchst du hier wegzuschaffen?“
 

Das Mondlicht erhellte die feinen Gesichtszüge des anderen Mannes, welcher erschrocken zurückwich. „Eros, verdammt…“
 

„Und wieder flucht der feine Priester.“ Eros musste schmunzeln, er genoss es in vollen Zügen den anderen zu ärgern. Und er war sehr froh zu sehen, dass Cartan lebte.
 

„Der feine Priester tut noch ganz andere Sachen“, entgegnete Cartan und leckte sich provokant über die Lippen. Eros erschauderte, unwillkürlich zeichneten sich die Bilder von ihrem kleinen Abenteuer vor seinem inneren Auge ab.
 

„Aber wir haben nur wenig Zeit, ich habe keine Ahnung wo der Dämon ist. Und Relia ist kaum noch bei Sinnen.“
 

Eros brauchte einen Moment um die Worte zu verarbeiten, doch dann fragte er: „Was ist passiert?“
 

Der Attentäter bemerkte, dass Cartan sich immer wieder nervös umsah. Der Priester umriss die Geschehnisse nur sehr kurz. Aber es reichte, um Eros die Dringlichkeit bewusst zu machen. Der Dämon hatte Cartan im Versteck angegriffen, welcher daraufhin zur Kirche geflüchtet war, doch die Kreatur war ihm gefolgt. Mehrere Priester wurden verletzt oder getötet und Relia hatte sich in einer geheimen Kammer verborgen. Im Karren, versteckt unter Leinen, lag Relia.
 

Eros war ein wenig irritiert, da er Relia noch vor einem Tag in ihrem Anwesen gesehen hatte, doch vielleicht war das alles auch nur eine Falle. Er war nicht dicht genug herangegangen, um sich zu vergewissern. Die Kleider, welche die Magierin trug, waren bunt und aufwendig, auch ihr Zopf war ein prägnantes Merkmal, doch gerade in so einem Fall, war es einfach eine Person von weitem genauso aussehen zu lassen. Vielleicht hatte sie einer Dienstmagd das Haar geflochten und sie gebeten ihre Kleidung zu tragen. Während sie selbst sich versteckt hielt. Gar nicht so dumm.
 

„Relia redete völlig im Wahn. Sie sprach von Insekten und davon, dass sie die Macht hat und alle vernichten will. Viel Menschlichkeit steckt nicht mehr in ihr.“
 

Eros schluckte. „Wir müssen uns beeilen. Ich habe den Zuhälter in ein anderes Versteck gebracht. Dort können wir das Ritual ausführen.“
 

Cartan nickte und die beiden so ungleichen Männer machten sich auf den Weg. Der Priester, welcher dabei war Hochverrat an seinem Glauben zu begehen und der Attentäter, welcher für seine Gerechtigkeit über Leichen ging.
 

***
 

Eros atmete tief durch. Sie hatten alles was sie brauchten. Nun ja, beinahe.
 

Er und Cartan standen in seinem anderen Versteck. Wieder ein karger Kellerraum. In der Mitte hatten sie zwei Stühle aufgestellt. Auf dem einen saß Relia, gefesselt und geknebelt und auf dem anderen der Zuhälter, welcher noch immer schlief.
 

Alles was noch fehlte war ein Tier, dass die Sünde des Hochmuts umkehrte. Relias wirres Gerede von Insekten hatte Eros da eine ziemlich klare Idee verschafft.
 

Und die Krabbeltiere gab es nahezu überall, besonders im Randgebiet Lorrings.
 

Cartan rührte bereits in einem kleinen Kessel herum, in dem bisher nur das Arcwurz, welches Eros beschafft hatte, garte. Sie hatten mit Zunder mehrere Kerzen angezündet und unter einen alten Kessel gestellt. Es würde sich zeigen, ob die Hitze ausreichte.
 

Eros lief im Kellerraum umher und griff schließlich nach einer dicken Schabe. Ziemlich ekelhaft. Er trug sie zum Kessel und zerquetschte sie zwischen den Fingern. Blut und Schleim tropfte auf das Arcwurz.
 

„Wenn Relia das überlebt wird sie mich dafür sicher töten.“
 

Cartan lächelte. „Sehr appetitlich sieht das wirklich nicht aus.“
 

Eine Weile rührte Cartan, dann winkte er Eros zu sich heran. „Für mich sieht das wie eine einheitliche schleimige Masse aus.“
 

Eros rümpfte die Nase, wegen des allzu bekannten Geruchs des Arcwurzes. Er kannte sich mit Rauschgiften aus. Zu sich genommen hatte er nie welches, aber man musste seine Feinde und ihre Mittel kennen. Marodus, sein Todfeind, hatte sich auf den Rauschgifthandel spezialisiert. Er war der Kopf der Verbrecherbanden Noakas. Heimste Anteile ein und tötete Unschuldige, um noch mehr Gold zu scheffeln. Eines Tages würde Eros Rache nehmen. Für alles was Marodus ihm genommen hatte.
 

Doch diese Gedanken waren fehl am Platz. Es ging um Relia, Ablenkungen konnte er sich nicht erlauben.
 

„Hoffentlich funktioniert es“, sagte er, tunkte einen größeren Löffel aus Lehm in die Masse und ging auf Relia zu. So behutsam wie möglich befreite er sie von den Leinen, die ihre Zunge blockierten. Sofort begann das Gemeckere.
 

„Ihr seid nichts, kleine unbedeutende Insekten, ihr werdet noch…“ Mehr brauchte er nicht zu hören. Ohne ihren Redeschwall abzuwarten schob Eros Relia den Löffel mit der ekligen Masse in den Mund. Die Magierin sah schrecklich aus, Augenringe, ausgemergelte Züge und tiefschwarze Augen. Nichts von ihrer üblichen Eleganz und ihrem Charme war mehr übrig. Hoffentlich war es noch nicht zu spät.
 

Um zu verhindern, dass sie es ausspuckte zog er den Löffel aus ihrem Mund und warf ihn achtlos zur Seite. Mit einer Hand drückte er ihren Mund zu, mit der anderen hielt er die Nase zu, um sie zum Schlucken zu zwingen. Sie wand sich und funkelte ihn hasserfüllt an. Doch Eros gab nicht nach. Erst als er sich sicher war, dass sie die Masse heruntergeschluckt hatte, ließ er von ihr ab.
 

„Ich hasse dich! Du bist ein Bastard, ein einfaches Insekt! Niemals wirst du mich unterwerfen!“
 

„Wollen wir sie wieder knebeln?“, fragte Cartan, welcher sich in der Zwischenzeit neben Eros gestellt hatte. Eros schmunzelte. „So verlockend das auch ist, wir müssen ihre Veränderung abwarten. Ein gutes Zeichen wäre sicher, wenn sie uns nicht mehr als Insekten bezeichnet.“
 

Nach außen hin war Eros ruhig, doch innerlich war er bis zum zerreißen angespannt. Er war gut darin seine Gefühle zu verbergen. Die wenigsten wussten was wirklich in ihm vorging. Selbst Relia, die eine Emphatikerin war, hatte Schwierigkeiten seine Gefühle zu verstehen und das war gut so. Eros hatte gelernt sich nur auf sich selbst zu verlassen. Und doch gab es noch immer Menschen, die ihm am Herzen lagen. Auch, wenn er versucht hatte das zu vermeiden. Relia war über die Jahre eine gute Freundin geworden. Sie so zu sehen tat weh. Die behelfsmäßig verbundenen Wunden an ihren Armen und Händen waren ihm nicht entgangen. Von der Sünde des Hochmuts zerfressen, plötzlich erschienen ihm die Phrasen der Kirche seltsam treffend. Was, wenn er die ganze Zeit falsch gelegen hatte? Was, wenn die Kirche von vornherein recht hatte? Wenn Dämonen real waren und Castus tatsächlich Menschen rettete?
 

Eros schüttelte den Kopf. Auch das war gerade nicht wichtig. Wenn das Ritual Relia retten könnte, sehr gut. Wenn es tatsächlich ein Dämon war, den sie auf den Zuhälter übertrugen, dann war es eben so. Eros war dazu bereit.
 

„Eros?“ Es war Relias Stimme und sofort richtete er seine Aufmerksamkeit auf sie.
 

„Ich bin hier, Relia“, sagte er so beruhigend wie er es vermochte.
 

„Werde ich sterben? Mir geht es so schlecht. Wollt ihr mir helfen?“
 

Eros lächelte erleichtert. Kein wahnhaftes Gerede, vor ihm saß endlich wieder Relia. Auch die Augen waren nicht länger schwarz. Das alte haselnussbraun schimmerte von Tränen.
 

Für gewöhnlich war Relia kess und direkt, doch der Trank sollte die Sünde des Hochmuts umkehren, also wäre sie nun wohl demütig.
 

„Ja, wir helfen dir wieder du selbst zu werden.“
 

„Das verdiene ich nicht. Ich habe so schlimme Dinge getan…“
 

„Du kannst es ja später wiedergutmachen“, mischte sich nun Cartan ein. „Aber jetzt sollten wir weitermachen. Ihr Wesen hat sich eindeutig verändert.“
 

Eros nickte. „Vertrau mir Relia, ich bringe dich zurück.“
 

Relias Blick wanderte zu den Fesseln an ihren Handgelenken und zu dem Mann, der ihr gegenüber an einen Stuhl gefesselt worden war.
 

„Als nächstes muss ihr Blut auf den Edelstein, aber das wird den Dämon vielleicht anlocken.“ Eros sah, dass Cartan die handgeschriebene, stichpunktartige Liste betrachtete, welche das Ritual beschrieb.
 

„Alles klar.“
 

Er beugte sich zu Relia herab und löste ihre Fesseln. „Bleib bitte sitzen. Ich weiß nicht was gleich passieren wird“, beschwor er sie.
 

„Was habt ihr vor?“, wollte sie wissen, doch statt darauf zu antworten zog Eros sein Messer aus der Halterung und fuhr rasch über Relias rechten Arm, der noch nicht ganz so geschunden war wie der linke.
 

Ihre Augen weiteten sich. „Wieso? Ich dachte, ihr wollt mir helfen?“
 

„Das werden wir“, sagte Cartan, während er den Edelstein direkt unter ihre Wunde hielt.
 

Das Blut tropfte langsam auf das Schmuckstück, statt davon abzuperlen, schien der Lebenssaft absorbiert zu werden. Eros erschauderte. Das war alles weit außerhalb seiner Komfortzone. Im Edelstein schienen Schatten zu wabern und für einen winzigen Moment glaubte er eine Fratze zu sehen, die den Mund zum Schrei aufriss.
 

„Er kommt her!“, rief Relia, während ihre Hände sich in die hölzernen Lehnen des Stuhls krallten. „Er wird mich töten“.
 

„Das lassen wir nicht zu“, versprach Eros, während er versuchte die Ruhe zu bewahren.
 

„Sein Blut muss jetzt auf den Stein oder?“, fragte er an Cartan gewandt, welcher nickte.

Eros schritt gezielt zu dem Zuhälter und schnitt ihm ebenfalls in den Arm. Der Mann schrie auf und versuchte sich aus seinen Fesseln zu befreien. Er war also endlich aufgewacht. „Was geht hier vor? Was wollt ihr von mir?“
 

„Wir wollen dir nur ein kleines Geschenk machen“, zischte Eros. Cartan hielt den Edelstein an die blutende Wunde und erneut schien der Teufelsschmuck das Blut in sich aufzunehmen.
 

„Haben wir es geschafft?“, fragte Eros. Cartan zuckte mit den Achseln. „Ich mache das auch zum ersten Mal.“
 

„Sollten wir ihn nun töten?“ Eros deutete auf den Zuhälter, welcher panisch den Kopf schüttelte. „Lasst mich gehen! Ich habe doch gar nichts getan!“
 

„Frauen zu erniedrigen, sie zu zwingen ihren Körper zu verkaufen, nennst du ‘Nichts‘?“ Seine Stimme war schneidend, doch der Mann richtete sich störrisch auf. „Sie sind doch dazu da unsere Bedürfnisse zu befriedigen. So viele Männer kommen in mein Etablissement. Ich allein habe das aufgebaut. Jede Frau, die mir dienen darf, kann sich geehrt fühlen.“
 

Eros fühlte Übelkeit in sich aufsteigen. Genau deshalb hatte er den schmierigen Bastard ausgewählt.
 

„Castus hätte ihn geköpft und verbrannt, aber meine Magie ist anders. Sein Feuer ist, nun, es verbrennt nur Dämonen und das was mit ihnen in Berührung kam. Ich hingegen beschwöre echtes Feuer, normales Feuer.“
 

Eros war sich nicht sicher, ob er gänzlich verstand, doch er hatte keine Zeit sich Gedanken darüber zu machen, denn es ertönte ein fürchterliches Kreischen. Etwas schlug gegen die Tür, welche in die oberen Stockwerke führte. Und leider hatte Eros diese, in diesem Versteck, nicht verbarrikadiert. Entsprechend schnell gaben die ohnehin bereits morschen Holzdielen nach.
 

Er konnte die Sense sehen. Gnadenlos grub sie sich durch die Tür und ließ das Holz immer mehr zerfallen. Alt, morsch und verwittert fiel es zu Boden und gab den Weg frei für die abstoßende Kreatur.
 

Der Anblick hatte nichts von seinem Schrecken verloren. Die nicht länger schwarze, sondern nun rote Robe, verdeckte das Gesicht und die knochigen Hände umfassten die hölzerne Sense. Eros wusste was unter dem Stoff lauerte. Einem Impuls folgend griff er nach Relias Händen und zog sie mit sich zur Wand. Cartan jedoch stand auf der anderen Seite noch immer neben dem Zuhälter. Den roten Edelstein in der Hand.
 

Die Kreatur bewegte sich unaufhörlich auf den Priester zu, welcher zurückwich. Eros sah seine Augen für einen kleinen Moment, bevor das grauenhafte Geschöpf Cartan gänzlich verbarg. Es hob seine Sense und ließ sie eiskalt hinabsausen. Cartans Schrei hallte laut in Eros Kopf wider.
 

Die nächsten Sekunden erschienen Eros wie Stunden. Alles verlor an Kontur. Der dunkle Schatten verdeckte den Blick, auf das was sich dahinter verbarg. Doch ein Teil von ihm wusste, was er sehen würde, wenn der Dämon von Cartan ablassen würde. Eine ausgemergelte und zerfallene Leiche. Er wusste, dass es allein seine Schuld war. Denn er hatte den Mann gebrochen, hatte ihn mittels Wahrheitsserum gefügig gemacht und für seine Zwecke missbraucht. Nur durch ihn, hatte der Priester seinen Glauben verloren, war Castus, zu Cartan geworden, der sich des Dämons nicht erwehren konnte.
 

Und in diesem Moment, als die Kreatur vor Cartan stand, die Sense, vermutlich im Leib des Priesters verhakt, konnte er nicht mehr sagen, ob er das Richtige getan hatte. Seine Ehre, seine Rache, sein Leben, was war es schon wert? Er hatte versagt.

Hoffnung

Eros fühlte sich wie erstarrt . All seine Ziele schienen plötzlich sinnlos und fern. Relias Stimme drang nicht an seine Ohren.
 

Erst ein splitterndes Geräusch vermochte es ihn aus seiner Trance zu reißen. Statt Blut oder weiterer Schreie flogen unzählige funkelnde Splitter durch den kargen Raum, bedeckten den Boden.
 

Konnte es sein? Hatte das Wesen den Edelstein getroffen und nicht Cartan?
 

Der Gedanke beendete seine Starre und ließ ihn fieberhaft denken.
 

Vielleicht ein wenig zu grob packte er Relias Schultern und sah sie fast schon flehentlich an.
 

„Kannst du das Monster kontrollieren? Können wir es aufhalten?“
 

„Es geht nur mit Blut, aber ich glaube, was ihr getan habt, verhindert, dass mein Blut funktioniert.“
 

Eros nickte, natürlich, ihr Wesen war nicht länger kompatibel, aber das des Zuhälter sehr wohl. Eros ging zielstrebig auf den an den Stuhl gefesselten Verbrecher zu und hob sein Messer an.
 

„Was ist das? Was passiert hier? Lasst mich doch einfach gehen!“
 

„Ich lasse dich gehen, keine Sorge“, versprach Eros, bevor er das Messer in einem einzigen Ruck durch die Kehle des Mannes zog. Der Zuhälter gurgelte und versuchte weitere Worte herauszubringen, doch der Schnitt war zu tief. Eiskalt warf Eros den Stuhl mit dem gefesselten und sterbenden Mann um und sah zu wie das Blut die Bruchstücke des verfluchten Edelsteins bedeckte.
 

Genau in dem Moment als die zähe Flüssigkeit das Schmuckstück umfloss, schrie der Dämon auf und wandte sich zu ihnen um. Das Monster wusste, dass sie so Kontrolle erlangen könnten.
 

„Was muss ich jetzt tun?“, fuhr er Relia an, welche noch immer an der Wand stand.
 

Vielleicht wirkte der Trank nicht mehr ganz so stark, denn er erkannte das Funkeln in Relias Augen. Den Stolz, so wie er sie kannte.
 

„Du kannst das nicht, lass mich“, rief sie, stürmte zu ihm und presste ihre Hände auf die Splitter am Boden. Dass sie ihre Haut noch weiter zerschnitten ignorierte sie. „Erstarre!“, befahl sie mit einer unwirklichen Kraft in der Stimme.
 

Tatsächlich hielt der Dämon mitten in der Bewegung inne, den Leinenstoff, welcher das Gesicht verdeckt hatte, hatte das Geschöpf bereits hinuntergezogen. Der kahle Kopf, das weißlich trübe Auge und das blutrote, welches die Macht besaß, jeden der direkt hineinsah erstarren zu lassen, ließen Eros noch immer erschaudern.
 

Und dann sah Eros Cartan, tatsächlich am Leben. Er erhob sich, riss einen Teil seiner Robe ab und wickelte sie sich um die Hände. Nur um direkt zum Monster zu stürmen.
 

„Cartan, nein!“, rief Eros, doch der Priester hörte nicht.
 

Stattdessen riss er dem Dämon die hölzerne Sense aus den Händen und rammte sie in einer fließenden Bewegung direkt in das blutrote Auge der Kreatur. Der Stock ließ Cartans Robe langsam verwittern, doch er ließ nicht nach. Mit der zweiten Hand schlug er noch einmal gegen die Waffe, sodass sich die gesamte Länge des Sensenblatts in den Schädel der Abartigkeit bohrte. Erst dann wich er keuchend zurück.
 

Eros Herz hämmerte regelrecht in seiner Brust. Schweiß stand auf seiner Stirn. Die Szenerie war so unwirklich. Beinahe konnte er es nicht begreifen.
 

Cartan taumelte auf ihn zu, und instinktiv stützte er ihn. Sie alle beobachteten wie der Dämon kreischte und schrie. Ganz langsam zerfiel die ausgemergelte Fratze. Bis schließlich nichts zurückblieb, abgesehen von der roten Robe und der hölzernen Sense, welche zu Boden fiel.
 

Sie hatten es geschafft. Nicht nur, hatten sie einen Dämon übertragen, nein, sie hatten ihn getötet.
 

***
 

Etwa eine Woche später saßen alle drei in Relias Anwesen, in ihrem Arbeitszimmer. Relia in ihrem mit buntem Samt bespannten Sessel und Cartan und Eros ihr gegenüber auf einfachen Holzstühlen.
 

Sie war noch immer etwas blass und sah mager aus, aber die meisten ihrer Wunden waren verheilt. Die Magierin lächelte und pustete sichtlich genießend den Rauch ihrer Zigarre aus.
 

„Ihr zwei seid wirklich verrückt“, verkündete sie, was Eros dazu brachte zu grinsen.
 

„Darüber solltest du lieber verdammt froh sein“, stellte er fest.
 

Sie nickte. „Ja, ich danke euch. Es ist schön mit euch hier zu sitzen. Gut, dass ihr keine Probleme bekommen habt.“
 

Da hatte sie Recht, was sie getan hatten, wäre, sofern die Kirche etwas herausgefunden hätte, als Hochverrat gewertet worden. Doch im Endeffekt war es Eros gelungen den Zuhälter als Schuldigen für alles zu präsentieren. Selbst den Einbruch in Pater Mechalis Gemächer hatten sie dem toten Verbrecher untergejubelt. Im Lügen war er schon immer geschickt gewesen.
 

Für Cartan war es zwar etwas kniffliger gewesen Bericht zu erstatten, aber sie hatten vorher geübt, sodass der Priester eine Variante mit Teilwahrheiten erzählen konnte, ohne zu lügen und ohne sich selbst zu belasten. Immerhin war der Verbrecher zeitweise ja tatsächlich der Wirt des Dämons. Und Cartan hatte das Monster getötet. Das war alles die Wahrheit. Das ganze drumherum musste ja niemanden interessieren.
 

Die Morde hatten aufgehört und auch Relia galt nun als unschuldig. Alle waren zufrieden.
 

„Was ich mich schon eine Weile frage, Relia. An wie viel erinnerst du dich? Warst du wirklich besessen?“
 

Ihr Blick schien plötzlich in die Ferne zu schweifen, ihre Arme umschlangen ihren zarten Leib.
 

„Vieles ist verschwommen. Das verzerrte Gefühl des Hochmuts, dass diese Kreatur ausmachte, hat mich beinahe vollständig verschlungen. Ich konnte nicht mehr klar denken. Ich wollte nur noch über allen anderen stehen, nein, ich war überzeugt, dass ich selbst über dem Tod stand. Ich aß tagelang überhaupt nichts und ich habe eins meiner Hausmädchen verkleidet. Ich wollte, dass sie als Lockvogel für die Kirche dienen würde. Außer meinem eigenen Leben habe ich keinem anderen Menschen mehr Wert beigemessen. Selbst dich, Eros, wollte ich töten. Ich hoffe du kannst mir vergeben.“
 

„Das warst nicht du“, sagte Eros überzeugt, doch Relia schüttelte den Kopf.
 

„Es ist ein Teil von mir. Der Hochmut ist meine größte Schwäche. Ich denke manchmal ich wüsste alles, nur weil ich fühle was in anderen vor sich geht.“
 

Einen Moment schwiegen sie alle, bis Cartan die Stille brach. Eros sah wie der andere Mann den Stoff seiner neuen Robe zwischen den Fingern hin und her schob. Offenbar suchte er die richtigen Worte. Der kleine Finger an Cartans linker Hand war ein wenig in Mitleidenschaft gezogen worden. Seine tollkühne Aktion, um den Dämon aufzuhalten, hatte dafür gesorgt, dass die alte Robe zu großen Teilen verwittert war. Der kleine Finger wirkte einfach nur etwas älter als die anderen, was fast ein wenig lustig aussah. Aber Eros erinnerte es vor allem daran, dass Cartan seinetwegen beinahe gestorben wäre.
 

„Vielleicht ist es gerade unpassend, aber Relia, du hast auch bei mir etwas gefühlt oder? Damals, als du das Wesen kontrolliert hast, hier im Anwesen, meine ich. Davor hast du mich berührt und du brachtest mich zum Vorschein. Also ich meine Cartan. Du hast mir geholfen Macht über Castus zu gewinnen, wie hast du das gemacht?“
 

Relia betrachtete Cartan nachdenklich. „Du bist gespalten. Deine Persönlichkeit strebt in zwei Richtungen. Einerseits hasst du die Menschen und ihren Egoismus und wärst gerne anders, besser. Doch andererseits siehst du den Sinn darin nicht. Eine Seite kennt Hoffnung und wünscht sich Erlösung, die andere will einfach nur in den Tag hineinleben, die Freuden genießen, ohne sich Gedanken über die Konsequenzen zu machen. Zwei Gegensätze, zu stark um zu harmonieren. Also haben sie sich getrennt, zwei Seelen, aber nur ein Körper. Und doch eigentlich ein Ganzes.“
 

„Ich bin echt. Cartan, ich, ich bin das wahre Ich. Castus entstand durch das heilige Wasser der Kirche. Dessen bin ich mir sicher.“
 

„Nein, du bist dir nicht sicher“, widersprach sie sofort.
 

Eros sah die Wut in Cartans Augen deutlich. Aber auch er war verwirrt. Castus war auf seine Art auch real. Zwei Teile eines ganzen, vielleicht hatte Relia recht. Aber die Ursache für die Spaltung der Persönlichkeit war wohl tatsächlich das sogenannte ‚Heilige Wasser‘.
 

„Wenn ich nicht das wahre Ich bin, warum lässt mich das Wahrheitsserum dann die Kontrolle übernehmen?“
 

„Bist du denn gerade tatsächlich nur Cartan? Ich denke, dass auch Castus auf dich einwirkt. Die Wahrheit ist dir selber nicht ganz klar, sie liegt irgendwo zwischen beiden Extremen.“
 

„Kannst du Castus unterdrücken?“, fragte Cartan fast schon patzig, doch Relia lächelte einfach nur.
 

„Ich kann deine Gefühle und Wünsche verstärken, das ist was ich damals tat. Ich habe einfach nur die Sehnsüchte, die ich bei Castus fühlte verstärkt.“
 

Cartan stieß hörbar die Luft aus und verschränkte die Arme vor der Brust. Eros lächelte. „Relia belehrt jeden und weiß es immer besser“, ließ er Cartan fröhlich wissen. Ja, die Magierin war wieder ganz die alte. Frech, besserwisserisch und viel zu magiebegabt, um irgendetwas von dem was sie sagte gänzlich zu verstehen.
 

Nur wenig später hatte Relia sie zur Tür des Anwesens geleitet. Noch immer rauchte sie eine ihrer Zigarren. All ihre Bewegungen waren elegant und glichen beinahe einem Tanz. Tatsächlich war Relia eine der beeindruckendsten Frauen, die Eros je gesehen hatte.
 

„Ich hoffe ihr besucht mich bald wieder.“ Ihre Stimme glich beinahe einem Schnurren.
 

„Sicher“, entgegnete Eros in seiner üblichen ruppigen Manier. Die Magierin musste nicht wissen, wie froh er war, dass sie noch lebte.

Doch wie immer schreckte sie das nicht ab. Sie beugte sich langsam zu Eros vor und legte ihre Hand auf seine Schulter, nur um ihm dann einen Kuss auf die Wange zu hauchen. Bei Cartan tat sie genau das gleiche.
 

„Mir ist übrigens nicht entgangen, dass zwischen euch eine ganz besondere Spannung herrscht. Wenn ihr mich lasst, wäre ich bereit euch beiden meine Dankbarkeit auf jede erdenkliche Art zu zeigen.“
 

Sie zwinkerte ihnen zu, bevor sie hinter der breiten Eingangstür verschwand.
 

„Habe nur ich das gerade als eindeutiges Angebot verstanden?“, fragte Cartan, dessen Gesicht ein verschmitztes Grinsen zierte.
 

Eros wusste nicht ganz, ob ihm das gefiel oder nicht. Die Vorstellung war durchaus reizvoll, er, Cartan und Relia. Doch momentan wollte er einfach nur die Strapazen der letzten Wochen vergessen. Und ein kleines Abenteuer wäre dafür genau das richtige. Doch aktuell würde er es bevorzugen, dabei mit Cartan allein zu sein.
 

„Warst du nicht eben noch sauer auf sie, weil sie dir einreden wollte, Castus wäre auch ein Teil von dir?“
 

„Und wieder mal verstehst du es die Stimmung zu versauen.“
 

„Dann lass es mich wiedergutmachen“, sagte Eros dunkel, bevor er Cartans Hand umfasste und ihn ungeduldig hinter sich herzog.
 

Er dirigierte den anderen in eine versteckte Gasse und drückte ihn gegen eine steinerne Hauswand.
 

„Weißt du, Relias Angebot hat mich heiß gemacht, und du wirst das jetzt ausbaden.“
 

Cartan grinste, doch Eros gab ihm keine Zeit für eine Erwiderung. Er presste seinen Mund grob und ungeduldig auf den des anderen Mannes und ließ ohne lange zu zögern seine Zunge über Cartans Lippen fahren. Dieser gewährte ihm sofort Einlass. Ein wildes und zügelloses Spiel begann. Vielleicht dauerte es Sekunden, vermutlich aber eher Minuten. Als sie sich voneinander lösten lächelten beide und atmeten ein wenig schwerer.
 

„Also bist du endlich bereit für ein wenig unverfänglichen Spaß?“, wollte Cartan wissen, woraufhin Eros grinste. „Ich mache immer nur was ich will.“
 

„Gut zu wissen, dass heißt, was du willst, bin ich.“
 

Eros lachte und boxte den anderen leicht in die Seite. Es war selten, dass er sich so unbeschwert fühlte. Nur eines belastete ihn, zerrte an ihm. Etwas, dass er seit dem Kampf mit dem Dämon hinausgezögert hatte. Er seufzte.
 

„Cartan, es tut mir leid. Vergib mir, dass ich dich in solche Gefahr gebracht habe. Ich wusste nicht womit wir es zu tun haben und habe dich ausgenutzt. Ich bin nicht der Typ der bereut und am Ende ist alles gut gegangen. Aber das ändert nichts daran, dass ich diesmal falsch lag.“
 

Eros zögerte einen Moment, doch dann fuhr er fort.

„Es gibt mehr auf dieser Welt, als ich je werde begreifen können. Vielleicht war es ein Dämon. Eventuell hat die Kirche in einigen Punkten recht. Dennoch bin ich mir sicher, dass die ganze Wahrheit noch nicht offenbart wurde. Ich werde weitersuchen. Aber auf meine Art. Ich werde dich nicht länger erpressen. Das Wahrheitsserum kannst du auch so bekommen. Alles was von nun an geschieht soll deine freie Entscheidung sein.“
 

Cartan betrachtete ihn einen Moment undefinierbar, dann streckte er ihm die Zunge raus. Eros fühlte sich kurzzeitig als hätte der andere ihm eine verpasst. Er war offen, entschuldigte sich, sprang über seinen eigenen Schatten und was bekam er dafür? Doch dann lachte Cartan, frei und ehrlich.
 

„Danke Eros. Ehrlich. Es ist schön zu hören, dass auch du nicht unfehlbar bist. Aber es ist alles gut. Ich habe meine eigenen Ziele verfolgt. Ich wollte, dass Relia mir hilft Castus loszuwerden. Auch ich wollte sie retten. Und ich wollte ein bisschen Spaß. Beides habe ich bekommen.“
 

Er zwinkerte Eros zu und lächelte. Das Herz des Attentäters machte einen kleinen Hüpfer. Warum nur, hatte der vermeintliche Priester so eine Wirkung auf ihn? Es war irritierend und schön zugleich.
 

Eros grinste und presste sich erneut dichter an Cartan. „Unverfänglicher Spaß also?“
 

„Unverfänglicher Spaß“, bestätigte Cartan, bevor ihre Lippen sich erneut zu einem Kuss fanden. Diesmal vielleicht ein wenig zarter. Eventuell war es der Beginn von etwas gänzlich Neuem. Ein Abenteuer, aus dem doch mehr werden könnte.
 


 

Hey ihr Lieben, dass ist der Abschluss dieser Geschichte. :-) Die beiden sind endlich dabei sich einander zu öffnen. Ich schreibe parallel auch an einer Fantasy-Horror-Trilogie (Die Geschichte, auf deren Welt und Charakteren diese Fanfiktion beruht), die viel Zeit in Anspruch nimmt und bei der ich auch ein Zeitlimit habe, um sie fertig zu stellen. Aber, wenn ich mit Band 2 der Trilogie (Wahrscheinlich Ende Januar) fertig bin werde ich eine Fortsetzung zu Priester und Mörder schreiben. Ich würde mich freuen, wenn einige dann wieder mit dabei wären. :-)


Nachwort zu diesem Kapitel:
Über Feedback würde ich mich riesig freuen. :) Die Geschichte zu schreiben hat mir super viel Spaß gemacht, mich würde wirklich interessieren was ihr davon haltet. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Heute hatte ich Zeit und habe es geschafft einige Kapitel nochmal Korrektur zu lesen und hochzuladen. :) Über Meinungen würde ich mich riesig freuen.
Insgesamt hat diese Geschichte 20 Kapitel. Das nächste werde ich im Verlauf der nächsten Woche hochladen. Komplett anzeigen

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