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Restzeit

SasuSaku
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Wenn es etwas gibt, dass mich an Boruto dem Manga als auch dem Anime stört, denn ist das diese familiäre Distanz. In der Familie Uchiha sogar sehr viel ausgeprägter. Keine Umarmungen bei SasuSaku und erst recht keine Küsse. Bloß beschämte Zurückhaltung, die mich wild macht. Die haben ein Kind verdammt! Die haben sehr viel mehr miteinander ausgetauscht, als bloß Küsse.
Ich habe mit dieser Geschichte gleich einen sehr drastischen Weg eingeschlagen, damit Sasuke seine Familie zu schätzen weiß und auch begreift, wieviel ihm seine Frau eigentlich bedeutet. Komplett anzeigen

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Die Realität

Leere.

Eine unendliche Leere, die sich in seinem Innersten auftut, ist das alles, was er in diesem Moment glaubt fühlen zu können. Ein tiefes nie endendes schwarzes Loch, welches alle Empfindungen und Gedanken einsaugt, noch bevor sie entstehen können. Er ist plötzlich unfähig etwas zu sagen. Worte zu Sätzen zu bilden, die plausibel für seine Umwelt sind, erscheint ihm nun wie medizinische Fachliteratur. Gedanken zu bilden. Gedanken zu produzieren, zu formen und zu sortieren, dass sie in seinen eigenen Augen einen logischen Sinn ergeben, ist für ihn plötzlich so fremd wie eine Reise zum Mond. Seine Intelligenz, seine Schlagfertigkeit und seine Ruhe sind mit einem einzigen Schlag von ihm gesprungen und zurückgeblieben ist nur ein leerer Verstand. Ein gelähmter Geist.

Er sitzt auf diesem unbequemen Stuhl im Behandlungszimmer vor einem massiven Schreibtisch, hinter welchem sich Tsunade befindet die pausenlos wirkend auf ihn einredet. Ihre Lippen bewegen sich ununterbrochen, formen ein Wort nach dem anderen und eine Erklärung folgt auf die andere und doch versteht er kein einziges Wort davon. Es kommt ihm vor, als würde er sich hinter einer unsichtbaren Wand befinden, durch die er zwar alles sehen kann, doch nicht einen einzigen Ton zu hören bekommt.  Wie ein tauber Mensch.

Er sitzt der legendären Sanin einfach gegenüber, mit einem vollkommen ausdruckslosen Blick in seinen Augen, als würde er die Welt nicht mehr verstehen.

„Sasuke? Hast du verstanden, was ich gesagt habe?“ Fragend und mit einem mitleidigen Blick in ihren haselnussbraunen Augen, beugt sich Tsunade etwas vor und versucht eine Regung in seinen Eigenen festzustellen.

Ihre direkte Ansprache und das Suchen seines Blickes scheinen ihn aus seiner Starre zu befreien, so dass er etwas den Kopf schüttelt und mehrmals blinzelt, als wäre er aus einem Traum erwacht. Ein Albtraum wäre es in diesem Fall, doch hierbei handelt es sich um die bittere Realität.

Für einen Moment blickt Sasuke auf die Schreibtischoberfläche, wo zahlreiche Blätter liegen, von denen Tsunade den Befund abgelesen hat und im ersten Moment überhaupt nicht wusste, wie sie ihm das mitteilen sollte.  Ihre vorherige Frage spielt sich abermals in seinem Kopf ab. Langsam hebt er seinen Blick wieder an und richtet ihn damit zurück in ihr Gesicht, mit einem Ausdruck wodurch der alten Dame das Herz schwer wird.

Er hat sie verstanden.

 

 „Ich werde sterben.

Die Zeit

Die Abenddämmerung ist längst angebrochen und der tagsüber noch azurblaue Himmel, ist nun beinahe blutig rot, während die Sonne immer weiter hinter dem Horizont verschwindet. Der vergangene Tag endet. Er stirbt, denn keine der Minuten wird sich jemals wiederholen. Welch Ironie, wenn er bedenkt, in welcher Situation er in diesem Moment steckt. Seine persönliche Sonne senkt sich auch dem Horizont entgegen.

 

Es ist still in der Wohnung. Einzig und allein die gedämpft erklingenden Laute von der Straße sind zu hören. Ein reges Treiben vor der Tür ist ein deutlicher Beweis dafür, dass die Zeit unerbittlich weiterläuft. Die Zeit nimmt auf nichts und niemanden Rücksicht, ganz egal wer dabei auf der Strecke bleibt und auch innerhalb dieser Wände verkündet das Ticken der Wanduhr das unerbittliche Fortschreiten. Das immer monoton erklingende Geräusch kann eine beruhigende Wirkung auf einen aufgebrachten Geist haben oder Unruhe auslösen. Für jeden spielt die Zeit eine mehr oder weniger wichtige Rolle. Sie ist ständiger Bestandteil des Lebens und alles wird entsprechend daran ausgerichtet, denn wenn die Zeit eines ist, dann ist sie unbarmherzig.

Sasuke sitzt seit einer gefühlten Ewigkeit an dem Esstisch und lässt jede Sekunde unverrichteter Dinge an sich vorbeiziehen. Eine Sünde, wenn er bedenkt, dass seine Lebenszeit sich radikal verkürzt hat. Eine Handhabung, welche er ein paar Stunden zuvor nie praktiziert hätte. Immer war er unterwegs, basierend darauf, Informationen zu sammeln und schlüssig zusammenzufügen. Zwanzig Jahre lang hat er nichts anderes getan, als das und verweilte nie lange an einem Ort, doch seit er das Behandlungszimmer von Tsunade verlassen hat, verspürt er nicht mehr den Drang, wieder in die Welt hinaus zu ziehen. Ihm ist bewusst, dass diese latente Bedrohung durch den Ootsutsuki Clan weiterhin über ihnen schweben wird, wie eine unheilverkündende Sturmfront, doch verspürt er bei dem Gedanken daran eine Art Gleichgültigkeit. Wieviel Zeit genau ihm noch zur Verfügung steht, weiß mit Bestimmtheit niemand zu sagen, doch die Spanne wird nicht ausreichend sein, um eine solche Gefahr dem Erdboden gleichzumachen. Bekümmert streicht sich Sasuke durch die Haare. Er wird mit Naruto noch das Gespräch suchen müssen.

 

Seit seiner Heimkehr hat er sich seiner Reisekleidung entledigt und trägt nun nichts weiter, als ein simples schwarzes Shirt und eine langbeinige Sporthose. Freizeitkleidung, von der längst annahm keine zu besitzen, doch sogar in diesem Punkt sorgt Sakura für ihren Mann. Trotz seiner fast permanenten Abwesenheit, vergisst sie ihn nicht für einen einzigen Moment. Sie hat wohl die letzten Jahre sehr viel mehr an ihn gedacht, als er an sie.

Mit einem beschämenden Empfinden in seiner Brust blickt Sasuke auf seinen linken Arm oder besser, auf die nun angebrachte Prothese, welche er nach dem Krieg abgelehnt hatte. Er hat sie vor dem Verlassen des Krankenhauses anbringen lassen und damit einer spontanen Eingebung nachgegeben. Wieso hatte er damals eigentlich einen Ersatz für seinen geopferten Arm abgelehnt? Als eine Art Mahnmal für sein idiotisches Verhalten? Als eine Erinnerung daran, dass sein bester Freund ihn wortwörtlich zu Verstand geprügelt hat? Vor zwanzig Jahren hätte er diese Frage vielleicht beantworten können, doch heute weiß er darauf keine Antwort mehr. Jetzt blickt er seinen künstlichen Arm zum wiederholten Mal an, ballt eine Faust oder streckt die Finger durch, also müsse er sich der Funktionalität vergewissern.  Wieder einen kompletten Körper zu haben, erweist sich entgegen seiner Vermutung, als sehr viel ungewohnter. Nach zwanzig Jahren nun wieder zwei Arme zu besitzen ist fast schon befremdlich, doch er wird sich wohl wieder an diesen Zustand gewöhnen.

Mit einem schwachen und kaum wahrnehmbaren Lächeln, legt der einstige Nuke-Nin eine Hand auf die Prothese und hebt seinen Blick schließlich an, bis er die Fotos auf der Kommode an der gegenüberliegenden Wand erblickt. So minimal wie sein Lächeln auch gewesen sein mag, jetzt verblasst es wieder und tiefes Bedauern tritt zurück in seine Augen.  So hat er sich die Zukunft nicht vorgestellt.

 

Ein Geräusch aus dem Flur lässt den Familienvater aufhorchen. Die Tür schiebt sich mit einem charakteristischen Geräusch zurück in das Schloss und dumpfe Schritte verraten ihm deutlich hörbar, dass sich jemand nährt.  Nur einen kurzen Augenblick später, betritt auch schon seine Frau den Raum, die über seine Anwesenheit verwundert das Gesicht verzieht. Sie hält eine weiße Plastiktüte in der rechten Hand und bliebt einen Augenblick in dem Türrahmen zwischen Flur und Küche stehen. Seinen Blick scheint sie jedoch nicht entsprechend deuten zu können oder dieser Anblick wirkt ihr einfach nicht fremdartig genug. Es war noch nie möglich viel in seinem Gesicht ablesen zu können.

Ihr grünes Augenpaar wandert seinen Oberkörper hinab und bleibt schließlich auf seinem linken Arm haften, wodurch ein gewisses Erstaunen in ihr Gesicht tritt. Sie lächelt. „Wie hat Tsunade-sama dich denn dazu überredet?“ Er folgt ihrem Blick und zuckt schließlich leicht mit den Schultern. „Ich dachte mir: Warum eigentlich nicht? Gefällt es dir nicht?“

„Ich werde mich schon dran gewöhnen.“ Sie zuckt ihrerseits amüsiert mit den Schultern und verschwindet mit der vollgepackten weißen Plastiktüte an die Küchenzeile, gefolgt von seinem Blick, den sie scheinbar nicht auf sich haften spürt.

 

Seit Stunden überlegt er nun schon, wie er ihr die Neuigkeiten mitteilen soll. Wie soll er ihr sagen, dass er die Untersuchungsergebnisse bekommen hat und in absehbarer Zukunft nicht mehr Teil ihres Lebens sein wird? Es ist eine Frage, auf die er, trotz all seiner Bemühungen, einfach keine Antwort hat. Es gibt keinen sanften Weg, jemandem mitzuteilen, dass ein geliebter Mensch sterben wird. Es gibt ihn einfach nicht. Eine direkte Äußerung der Umstände ist der einzige Weg, denn alles andere wäre einfach nur eine Verzögerungstaktik.

„Wie ist es denn für dich? Kommst du zurecht mit der Prothese?“ Ihre Worte reißen ihn abrupt aus seinen Gedanken und er blickt kurz auf seinen Arm zurück, ehe er wieder ihren Rücken fixiert. „Ich werde mich daran gewöhnen.“ Dieselben Worte, die sie zuvor verwendet hat und die ihr nun ein leises Lachen entlocken.

Sasuke spürt wie sich seine Brust zusammenzieht. Ihr Lächeln ist das schönste Bild, welches er in seinen Gedanken produzieren kann und ihr Lachen die liebste Melodie, die er vernehmen kann. Ihm ist bis zum jetzigen Zeitpunkt gar nicht bewusst gewesen, wie sehr ihren Anblick und ihre Stimme genießt.  Die Spannung in seiner Brust scheint noch ein Stück intensiver zu werden, bis er mit einem harten Schlucken schließlich vom Tisch aufsteht, um ebenfalls in Richtung Küchenzeile zu gehen.

Längst ist Sakura mit den Vorbereitungen für das Abendessen beschäftigt und doch hat er starke Zweifel daran, dass sie in wenigen Momenten noch Motivation zum Kochen verspüren wird. Bedauerlich, wo Sakura doch eine sehr hervorragende Köchin ist. Sie kann mit ihren Kochkünsten regelrecht verwöhnen und wahre Meisterwerke auftischen, allerdings kann Sasuke nicht gerade behaupten, dass er besonders großen Appetit verspürt. Er will es ihr sagen. Die unschöne Wahrheit aussprechen und doch schafft er es in diesem Moment einfach nicht. Die Wörter wollen ihm nicht über die Lippen gleiten, so dass er sich tonlos an die Ablage lehnt und immer noch auf ihren Rücken schaut. Er blickt das Familienwappen der Uchiha auf ihrem Kleidungsstück an und hat abermals an diesem Tag das Gefühl, nicht mehr denken zu können.

„Hast du eigentlich heute die Ergebnisse von deiner Untersuchung bekommen?“ Ihre Frage trifft ihn wie ein harter Schlag direkt in den Magen, dass er für einen kurzen Moment das Gefühl hat, nicht mehr atmen zu können und doch scheint es eben jene Frage zu sein, die einen Ruck durch sein innerstet gehen lassen und er nach einen tiefen Luftholen, den Satz ausspricht, der trotz gedanklicher Wiederholungen noch immer falsch klingt.

„Ich werde sterben.“ Sakura hält in ihren Handlungen inne und für einen Augenblick scheint die Zeit eingefroren zu sein, bis sie diese Worte mit einem etwas seltsam klingenden Lachen abtut und im Schneiden des Gemüses schließlich fortfährt. „Was erzählst du denn da? Mach doch nicht so dumme Witze.“

Verdrängung gehört mit zu den ersten Dingen, auf die Menschen zurückgreifen, wenn sie sich unangenehmen Fakten gegenüberstehen sehen. Die dargelegten Beweise einfach abstreiten und das in einer sich wiederholenden Weise, bis die Person den eigenen Verstand davon überzeugt hat. Sakura befindet sich jedoch nicht in einer Verdrängung, sondern eher in dem Wunsch, dass er sich einen makabren Scherz mit ihr erlaubt und das eigentlich mit dem Wissen, dass er nie solche Scherze tätigt. Er tätigt nie irgendwelche Witze, ob makaber oder nicht.

 

Hörbar ausatmend verstaut Sasuke seine Hände in den Hosentaschen und blickt auf seine Füße hinunter. „Mein Körper ist krank, Sakura. Ich werde sterben.“ 

Ein seltsames Klirren sorgt dafür, dass der beste Freund des Hokage seinen Kopf wieder anhebt und abermals zu seiner Frau schaut, die sich während seines Satzes zu ihm herumgedreht haben muss. Das Messer, welches sie zuvor fest in der Hand hielt und das Gemüse zerkleinerte, liegt nun zu ihren Füßen auf dem kalten Fließenboden der Küche.

Sasuke weiß nicht einmal, wie er den Gesichtsausdruck seiner Frau definieren soll. In ihrer Mimik erkennt er dermaßen viele Gefühle und Regungen, dass er sich selbst davon nahezu erschlagen fühlt. Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, Unglaube und Fassungslosigkeit, sind nur wenige Emotionen, von denen er glaubt sie aus ihrem Gesicht sehen zu können.

 

Keine von beiden dachte daran, dass wirklich etwas Ernstes hinter Sasukes Beschwerden stecken könnte. Er fühlte sich an manchen Tagen einfach nicht gut. Übelkeit, Rückenschmerzen und Magenkrämpfe tauchten immer mal wieder auf. An manchen Tagen war es auch einfach nur ein Bewegungsschmerz, von einer leichten Intensität, dass dieser auch für Muskelkater gehalten werden konnte. Sasuke und Sakura dachten einfach nur, dass er sich vielleicht irgendeinen Virus eingefangen hat. Einfach eine simple und ungefährliche Sache, die mit Medikamenten und der entsprechenden Behandlung bald wieder der Vergangenheit angehört, doch sie haben falsch gedacht.

Er war von den zahlreichen Untersuchungen schon genervt. Die ganzen Blutbilder, Schall-, und Röntgenuntersuchungen hielt er für reine Zeitverschwendung und seinen genervten Unterton quittierte Sakura immer nur mit einem Schmunzeln, schien sich über diesen Aufwand aber keine Sorgen zu machen. Ihre Einstellung war bis zum jetzigen Zeitpunkt, dass ihre Kollegen wohl wissen, was sie tun.  Hätte sie sich, mit ihrer Erfahrung und Ausbildung, mehr Gedanken über seinen Zustand machen sollen? Vielleicht. Diese Behauptung würde er jedoch nie tätigen.

Ob sie sich in diesem Moment bereits Vorwürfe macht, kann er nicht sagen, doch später werden diese Dinge garantiert in ihrem Kopf erscheinen. Fragen, ob sie hätte ahnen können oder ob sie früher hätte handeln müssen. Doch diese Dinge sind vollkommen nebensächlich. Sie ändern nichts an der jetzigen Situation und dem damit verbundenen Konsequenzen.

 

Sakura beginnt unkontrolliert zu zittern und tritt näher an ihn heran, bis sie ihren Kopf deutlich anheben muss, um in seine Augen schauen zu können.  Sie legt ihre Hände auf seine Brust und es dauert keinen Augenaufschlag, da hat sie ihre Finger in sein Shirt gekrallt. „Das kann nicht sein! Du warst immer gesund. Du hast nie etwas gehabt. Das muss ein Fehler sein! Die müssen sich vertan haben. Wir werden – ich werde – ich kann.“

Es ist Panik welche sie übermannt und ihren sonst so klaren und sachlichen Verstand vernebelt. Es sind nur noch Wortfetzen, die sie herausbringt und inzwischen bohren sich ihre Finger schon in seine Haut hinein. Sie atmet schnell, fast unkontrolliert. Die Situation droht völlig zu entgleiten und so packt der Uchihaerbe seine Frau an den Oberarmen, versucht in irgendeiner Weise mit ruhigen Worten und Lauten zu ihr durchzudringen, doch als sie zu schreien beginnt, ruckartig und abgehackt, ist ihm bewusst, mit Worten nichts erreichen zu können.

Erschrocken und am Rande der Verzweiflung, zieht Sasuke seine Frau an sich heran und schließt sie einfach nur in die Arme. Ihre Schreie werden von seinem Shirt verschluckt und gehen irgendwann in den zahlreichen Schluchzern einfach unter, während sie in seinen Armen förmlich zusammensackt und nur noch auf den Beinen steht, weil er sie hält.     

Das Bettgeflüster

Schweigend blickt Sasuke zu der Zimmerdecke des Schlafzimmers empor und betrachtet die unspektakuläre Deckenlampe. Staub und Spinnenweben haben sich auf dem Lampenschirm niedergelassen und der Dicke und Dichte nach zu urteilen, haben die Spinnen bereits seit mehreren Generationen ihren Wohnsitz in dieser luftigen Höhe. Ein ziemlich erstaunlicher Fakt, wo Sakura doch eine sehr gründliche Person ist und den Staub und Spinnen innerhalb dieser vier Wände in regelmäßigen Abständen den Kampf ansagt. Vielleicht kommt sie an die Lampe nicht heran? Als mögliche Ursache für die Verschmutzung eine denkbare Theorie. Vielleicht erachtet sie die Sauberkeit des Schlafzimmers aber auch nicht als sonderlich wichtig. Potenzielle Gäste haben in diesem Raum keinen Zutritt und so bleibt etwaiges Chaos vor ihren Blicken verborgen.

Sasuke lässt seinen Blick kurz durch den Raum gleiten und kommt zu dem Schluss, dass die Unerreichbarkeit der Deckenlampe, wohl die plausiblere Lösung darstellt. Das Schlafzimmer wirkt ansonsten genauso aufgeräumt, wie der Rest der Wohnung und damit klingt Lösungsmöglichkeit zwei weniger logisch.

 

„Bist du schon lange wach?“ Sakuras Stimme ist nicht mehr als ein Flüstern und doch deutlich genug, dass er seine Aufmerksamkeit auf die andere Seite des Bettes richtet und seiner Frau schließlich in die Augen schaut.

Für einen Moment muss er über ihre Frage tatsächlich nachdenken. Wie lange er bereits untätig im Bett liegt, kann er nicht Bestimmtheit sagen, doch wenn er in sich hineinhorcht würde er behaupten, dass er die Nacht nicht geschlafen hat. Von dem Moment als sie zu Bett gegangen sind, bis zu diesem Moment, hat er nicht das Gefühl in irgendeiner Weise zur Ruhe gekommen zu sein. Anders als Sakura selbst. Sie hat fest geschlafen, wenn auch unruhig und einige Male ist sie auch wach geworden, doch in Anbetracht der gestrigen Information, ist ihre Unruhe mehr als verständlich. Sasuke selbst kann ihre Frage allerdings nur mit einer positiven Zustimmung befriedigen. Er tätigt jedoch nur ein kurzes Nicken, wonach Sakura eine Hand auf seine Brust legt.

„Wieso bist du nicht aufgestanden?“

„Hn. Irgendwie wollte ich nicht, dass du auf eine leere Seite blicken musst.“ Wieder steigen ihre Tränen in die Augen und nach der gestrigen Sintflut, findet er die erneute Ansammlung in ihren Augen schon fast unmöglich, doch erkennt er, wie sie diese Tränen versucht zu verhindern. Sie schluckt mehrfach und wendet ihren Blick von ihm ab, stattdessen schaut sie auf ihre Hand, welche noch immer auf seiner Brust liegt. „Ich habe mich inzwischen daran gewöhnt.“   

„Und das tut mir leid.“ Er dreht sich zu ihm herum, so dass ihre Hand von seiner Brust rutscht, er mit seiner Hand aber ihre sofort ergreift und festhält. „Ich müsste heute damit anfangen mich zu entschuldigen und die nächsten Jahre nicht mehr damit aufhören, um die vergangenen zwanzig Jahre wiedergut zu machen.“

„Ich habe dir immer gesagt, dass du dich nicht entschuldigen musst.“ Ihr Stimme klingt zittrig und das wohlwollende Lächeln, wirkt verkrampft. Inzwischen weiß er, wie es aussieht, wenn sie ihre Gefühle unterdrückt und etwas anderes vorspielt. Er sieht es, wenn sie nicht ehrlich zu sich selbst und anderen ist. Der Griff um ihre Hand verfestigt sich etwas und sein Blick in ihre Augen wird tiefgehender. „Schau mich an und sag mir, dass du in unserer Beziehung nichts vermisst hast.“

Das kann sie nicht. Natürlich kann sie das nicht. Sie versucht es, das erkennt er deutlich, doch sie schafft es nicht eine derartige Behauptung zu tätigen. Das wird wohl auch der Grund sein, warum sie fast verkrampft ihr Gesicht tiefer in ihr Kissen drückt und die Augen schließt, wobei eine einzelne Träne sich ihren Weg bahnt.

Er hat sie quasi zu seiner alleinerziehenden Mutter gemacht und Naruto war derjenige, der Nachrichten an sie weitergereicht hat. Er hat die ganzen Jahre nicht einmal so viel Schneit besessen, seiner Frau Botschaften zukommen zu lassen und sie stattdessen in diese unwissende Leere gedrängt. Er war ihr kein guter Ehemann und ein noch schlechterer Vater. Schon möglich, dass er seine Familie und das Dorf immer beschützen wollte und damit durchaus ehrenhafte Ziele verfolgt hat, doch inzwischen empfindet er seine Pilgerfahrt eher als etwas sehr Egoistisches. Er hätte spätestens damit aufhören müssen, als Sarada auf die Welt gekommen ist. Als er Vater wurde, hätte er aufhören müssen und doch tat er es nicht. Dieser zweite Teil seines Selbstfindungstrips ist zwar nicht so zerstörerisch gewesen, wie seine Teenagerzeit, doch zeigt es ihm deutlich, dass er in seinem Leben bisher ziemlich versagt hat. Irgendwie muss er innerlich schmunzeln, wenn daran zurückdenkt.

Alle Eltern fürchten die Pubertät ihres Kindes. Sie werden aufmüpfig und rebellieren. Sie wissen plötzlich alles besser und gegen keinen Pfennig auf Autorität.  Im Grunde wird der Nachwuchs plötzlich unzuverlässig und respektlos. Ein eigentlich harmloses Verhalten in einer vorrübergehenden Phase, doch er setzte dieser persönlichen Entwicklungsphase die Krone auf, als er zu einem egoistischen, mordlüsternden Monster, auf einem persönlichen Rachefeldzug mutierte. Betrachtet er die damalige Lage nun aus der Sicht eines Vaters, dann zeigt ihm sein früheres Verhalten deutlich, dass er der schlimmste Albtraum von Eltern eines pubertierenden Teenagers war. Ein Gedanke der durchaus eines Schmunzelns würdig ist, wenn er nicht so viel Mist gebaut hätte. Zweifellos tat ihm der damalige Verlauf sehr leid und noch heute bereut er seine Taten, doch wollte er deswegen ja auch Buße tun. Das reine Gefühl von Reue hat ihm nicht gereicht und erschien ihm als unzulänglich, weswegen er sich für ein paar Jahre auf Bußgang begeben hat. Das Ergebnis ist nun, dass sich Vater und Tochter im Grunde fremd sind. Elf Jahre ihres Lebens hat er unverrichtet verstreichen lassen und nun hat er kaum noch Zeit, seine Tochter kennenzulernen.

Bei dem Gedanken an sein Kind, sieht er sich zwangsläufig dem nächsten Problem oder der nächsten Herausforderung gegenüberstehen, abhängig von welcher Sichtweise ein jeder es betrachten mag. Wie soll er seinem einzigen Kind, was viele Jahre ohne ihn aufgewachsen ist und sie sich vor einem halben Jahr das erste Mal begegnet sind, erklären dass sie ihr zukünftiges Leben gänzlich ohne hin verbringen wird? Wie soll er ihr sagen, dass er in naher Zukunft nicht mehr Teil ihres Lebens sein wird? Bei diesen ganzen Gedankengängen spürt er wie sein Herz schwer wird und das Schlucken zu einer fast unüberwindbaren Aufgabe wird.

Ein zarter Druck auf seiner Hand, trägt dazu bei, dass er seinen Blick wieder in das Gesicht seiner Frau richtet, die seine zahlreich umherschwebenden Gedanken, wohl in seinem Gesicht ablesen kann. Zumindest scheint sie zu wissen, dass er über irgendetwas nachdenkt. Er wird die nächste Zeit öfter nachdenken, dessen ist er sich sicher.

„Was geht dir durch den Kopf?“

Er unterdrückt ein Seufzen und lässt seine Augen über den Körper seiner Frau gleiten, der von der Decke verhüllt wird und die schlanke Gestalt nur erahnen lässt, bis er ihr wieder in die Augen blickt und ihr eine Antwort auf die gestellte Frage gibt. „Sarada.“

 

Sakuras Augen weiten sich. Es tritt ein Ausdruck in ihr Gesicht, den Sasuke als ein Gemisch aus Überraschung und Schock deuten würde. Es entsteht bei ihm glatt der Eindruck, als wenn Sakura die gemeinsame Tochter bis zu diesem Moment völlig vergessen hätte. Sie wirkt beinahe entsetzt auf ihn und vermutlich ist sie das auch. Sie wird nicht daran gedacht haben, wie sie ihrer Tochter die momentanen Umstände beibringen sollen und sieht sich nun mit eben genau dieser Frage konfrontiert.

War es egoistisch von ihr, die eigenen Gedanken, Gefühle und Emotionen zu berücksichtigen und für sich selbst in den Vordergrund zu stellen? Sasuke würde diese Frage auch als Außenstehender verneinen. Sie hat selber Zeit benötigt, um ihre Gefühle wieder unter Kontrolle zu bringen und trotzdem ist sich der Familienvater sicher, dass es nicht bei dem gestrigen Zusammenbruch bleiben wird. Ihre jetzige Reaktion, ist ein deutlicher Hinweis darauf. Sie presst ihren Kiefer zusammen und ohne ein Wort zu verlieren, steigt sie aus dem Bett und verschwindet im angrenzenden Badezimmer. Es ist eine Flucht oder vielmehr der Versuch. Ein Weglaufen vor dem eigenen Gedanken, die so schwer wiegen können, dass der Verstand darunter leidet. Sakura will nicht daran denken, ihrer Tochter den baldigen Tod des geliebten Vaters zu vermitteln. Vermutlich hat sie schon den Ausdruck auf Saradas Gesicht vor Augen und schreckt davor förmlich zurück. 

Eine Schonfrist haben sie noch. Ein paar Tage, vielleicht eine Woche. Sarada ist mit ihrem Team auf einer Mission und wird nicht vor dem Wochenende zurückkommen. Eine Spanne, in der sie die Möglichkeit haben zu überlegen. Sie können Taktiken besprechen, wie sie ihr es am besten beibringen können und doch ist er sich sicher, dass keine Planung umgesetzt werden kann, wenn der Zeitpunkt der Konfrontation gekommen ist.

 

Die Situation ist belastend. Für Sakura augenscheinlich mehr, als für ihn selbst und dabei ist er derjenige seine Lebensuhr deutlich ticken hört. Er wird sterben und ihr Leben wird weitergehen. Ein Leben das zwar anders sein wird und in welchem sie die Sehnsucht nach ihm jeden Tag spüren wird, doch ihr Herz wird weiterschlagen. Sie wird leben und er wird sterben.

Ohne einen klaren Gedanken im Kopf dreht sich Sasuke wieder auf den Rücken und blickt abermals zu der staubigen Deckenlampe empor, ehe er auf die geschlossene Tür zum Badezimmer schaut, aus dem er das spezifische Geräusch der Dusche vernehmen kann. In seinem Kopf manifestiert sich ein Bild, wie sie unter dem warmen Wasserstrahl steht, ausdruckslos die Kacheln anstarrt und stumme Tränen vergießt. Er kann überhaupt nicht formulieren, wie sehr ihm alles leidtut und in welchem Ausmaß er Reue empfindet. Immer hat er ihr Probleme bereitet und immer hat er sich dafür entschuldigt, doch daraus gelernt hat er nie.

Schweigend stemmt sich der Uchihaerbe in die Höhe und entledigt sich seiner Nachtkleidung, ehe er in das Bad eintritt und die Tür der Duschkabine öffnet. Sein zuvor gedanklich produziertes Bild, entspricht der unschönen Wirklichkeit. Er blickt auf ihren Rücken, betrachtet sie eingehend, wie er es schon seit einer Ewigkeit nicht mehr getan hat. Auf ihrer Haut trägt sie kleine vereinzelte Narben. Blassrosa Markierungen auf ihrem sonst so makellosen Antlitz. Stumme Zeugen von harten Kämpfen, welche er in dieser Auswirkung noch nie so wahrgenommen hat.

Langsam hebt er seine Hand an und fährt mit den Fingerspitzen einen vernarbten Schnitt auf ihrem linken Schulterblatt entlang. Sie hat seine Anwesenheit längst bemerkt. Sein Präsenz spürt sie immer und sehr intensiv, als wenn sie einen zusätzlichen Sinn dafür hätte, so dass seine Berührung sie nicht erschrocken durchfährt, wie ein Blitzschlag. Sie zieht nur etwas die Schultern zusammen, ehe sie sich zu ihm herumdreht und sich schweigend an ihn drückt.

Sie braucht nichts zu sagen. Sie braucht ihm keine Erklärung oder dergleichen liefern und auch wenn er sonst nicht der feinfühligste ist, so weiß er in dieser Situation, dass er ihr Nähe geben muss, um ihr Stabilität zu geben.   

Der beste Freund

Es ist gerade Mal wenige Tag her, als sein Todesurteil von Tsunade über den Schreibtisch direkt in sein Gesicht geklatscht wurde. Wenige Tage, in denen sich prinzipiell nichts verändert hat.

Sasuke weiß, dass er sterben wird und trotz dieses Wissens, ist der Alltag nicht abweichend von seinem sonstigen Leben. Er reist nicht mehr durch die Welt, auf der Suche nach der Nadel im Heuhaufen, doch in den Grundstrukturen geht das Leben einfach weiter. Es gibt keinen Stopp. Kein Pausenmenü, dass die Zeit anhält. Keine Halbzeit oder Auszeit für ein Durchatmen. Es läuft einfach alles weiter und gerade das ist es, was ihm so schrecklich falsch erscheint.

Schlafen, aufstehen, essen und irgendwie den Tag verbringen. Die Welt steht nicht still und betrauert sein Schicksal. Niemand nimmt Notiz von ihm, während er durch die Straßen seines Heimatdorfes geht und dabei keinerlei Eile an den Tag legt. Die Menschen um ihn herum, benehmen sich wie immer. Sie gehen ihrem Alltag nach und kümmern sich nicht um Nebensächlichkeiten. Niemand sieht, dass sein Körper in diesem Moment dabei ist, sich selbst zu zerstören und keiner von ihnen weiß, dass sein Morgen beschissen gewesen ist.

Schwindel und Übelkeit, gepaart mit unglaublich lähmenden Schmerzen in seinen Gliedmaßen. Ein Krankheitsschub, wie Sakura es in ihrer Pflege und mit zittriger Stimme beschrieben hat. Ihrer Behandlung ist es zu verdanken, dass er in diesem Augenblick aufrecht durch die Straßen gehen kann. Sie hat die Symptome ausgesetzt, die Krankheit aber nicht aufgehalten. Sein eigener Körper nimmt sich Stück für Stück immer mehr Lebensfähigkeit.

Er kennt diese Symptome schon lange. Die Schmerzen, der Schwindel und die Übelkeit. Wegen dieser körperlichen Signale ist es letzenden Endes ja auch zum Arzt gegangen, doch in einem solchen Ausmaß hat er sein Leid noch nicht wahrgenommen. Es hat ihn förmlich überrannt und ihm deutlich gezeigt, dass er nicht in einem grausamen Traum gefangen ist.

 

Sasuke entweicht ein kurzer Seufzer und er schiebt seine Hände noch tiefer in die Taschen seiner Hose. Wenn er es genau betrachtet, dann will er, trotz der Tatsache, dass er das Voranschreiten der Zeit als falsch empfindet, von niemandem bemitleidet werden. Er will nicht die ganze Zeit mitfühlende Blicke kassieren, sobald er in das Sichtfeld von irgendjemandem tritt. Er will keine Sonderbehandlung oder einen schonenden Umgang, als wäre ein rohes Ei. Er weiß nur, dass er leben will. Ein Wille und ein Wunsch, der an sich simpel und doch leicht zu erfüllen sein müsste, doch in seinem Fall ist der bloße Gedanke daran so utopisch, wie der Wunsch zu fliegen, wie ein Vogel ist.

Wieder ein Seufzen, welches seine Kehle verlässt. Er will noch vieles und viele Dinge will er auch nicht. So weiß er inzwischen, dass er sich nicht nur vor der Konfrontation mit seiner Tochter fürchtet, sondern auch vor der mit seinem besten Freund.  Letzterer wird er am heutigen Tag über seinen Zustand informieren, so ist zumindest das Vorhaben.

 

Dumpf stoppt der Familienvater seine Schritte vor dem Hokagegebäude und blickt zu dem Fenster hinauf, in dem sich das Büro des Siebten befindet. Naruto wird da sein. Er wird hinter seinem Schreibtisch sitzen, umgeben von Dokumenten und versunken in seiner Arbeit sein. Um ihn herum werden zahlreiche leere Packungen Nudelsuppe liegen und sein Aussehen wird bezeugen, dass er dringend mal eine Auszeit nehmen sollte. Tsunade und Kakashi, keiner von den Beiden hat sich in ihrer Amtszeit so von der Arbeit einnehmen lassen, wie es sein bester Freund tut – sehr zum Leidwesen dessen Familie. Ob Naruto weiß, wieviel er durch seine Aufopferung für das Amt riskiert?

Eine Kinderstimme zieht Sasukes Aufmerksamkeit auf sich, so dass er seinen Blick rechtsseitig von sich wirft und schließlich einen Vater mit seinem Sohn auf dessen Schultern erblickt, der auf die Steingesichter in der Höhe deutet und in einen wahren Redeschwall verfällt. Vielleicht fünf Jahre alt, erzählt der Knirps, dass er eines Tages auch Hokage sein wird und alle anderen übertreffen möchte. Eine Szenerie, der Sasuke ein schwaches Lächeln schenkt, welches schnell wieder verblasst und er sich schließlich erneut in Bewegung setzt.

 

Naruto hat diesen Satz so oft wiederholt, dass ein jeder nur noch genervt die Augen verdreht hatte. Wie ein Mantra brabbelte er es immer und immer wieder vor sich hin und lies jeden, ob er es hören wollte oder nicht, an seinem Lebenstraum teilhaben.

Zu Beginn ihrer Freundschaft hielt er Naruto für einen Taugenichts, mit einer viel zu großen Selbstüberschätzung, doch als die Jahre vergingen, schien der Traum des Chaoten gar nicht mehr so abwegig und nun sitzt der Held von Konohagakure tatsächlich in diesem Amt. Die letzten Zweifler wurden spätestens am Tag seiner Ernennung zum Hokage vom Gegenteil überzeugt. In Sasukes Augen übertreibt Naruto es mit seinem Arbeitseifer allerdings. Das Familienleben der Uzumakis bleibt nahezu vollends auf der Strecke und nur Hinatas Gutmütigkeit und übermenschlicher Geduld ist es zu verdanken, dass die Familie noch in ihren Grundfesten Bestand hat. Ein bitteres Lächeln spiegelt sich auf den schmalen Lippen des Clanerben. Er ist wohl der Letzte in diesem Dorf, der familiäre Ratschläge erteilen sollte. Er sollte solche Ratschläge nicht einmal denken, zumal er Naruto gegenüber nie gerecht werden konnte.

Ein trüber Ausdruck gelangt in Sasukes Augen. Es ist sehr bedauerlich, dass er sich an zwei bedeutsamen Tagen seines besten Freundes irgendwo im Nirgendwo herumgetrieben hat und so die Hochzeit, als auch den Amtsantritt versäumt hat. Auf seinem Lebensweg zeichnet sich ein Fehler nach dem anderen ab. In den letzten Tagen ist ihm das schmerzlich bewusst geworden. Er war nicht nur ein schlechter Ehemann und Vater, sondern auch ein noch schlechterer Freund.  

 

Dumpf stoppt Sasuke seine Schritte vor der Bürotür und blickt für ein paar Momente schweigsam auf die Maserung des Holzes.

Seit dem vergangen Abend zerbricht er sich den Kopf darüber, wie er es Naruto erklären soll. Wie er ihm mitteilen soll, dass sein Lebenslicht erlischt und egal welches Szenario er in seinem Kopf durchgeht, alle enden mit einem tief traurig aussehenden blauen Augenpaar.  Eine bildliche Vorstellung, die ihm sehr viel mehr zusetzt, als er es für möglich gehalten hat. Tiefe Traurigkeit, Bedauern, Sorge und Hilflosigkeit. Emotionen, die er viele Jahre in dem ausdrucksstarken Augenpaar ablesen konnte, doch wird künftig die Entschlossenheit fehlen.

 

Narutos Entschlossenheit ist immer dessen Antrieb gewesen, weiter zu machen und mögen die Hürden auch noch so hoch gewesen sein. Er ließ sich nicht von seinem Ziel abbringen und jedes Mal, wenn sie sich begegnet sind, konnte Sasuke ihm ansehen, dass er nicht aufgeben wird. Er konnte es sehen und er konnte es spüren, doch in diesem Fall bringt auch die stärkste Entschlossenheit nichts. Zum ersten Mal in seinem Leben wird Naruto damit konfrontiert sein, einen Zustand so hinzunehmen, wie er sich eben präsentiert. Er wird nichts daran ändern können und wird somit seinen besten Freund in absehbarer Zukunft zu Grabe tragen müssen. 

Sasuke schließt kurz die Augen, bis er mit einem tiefen Luftholen anklopft. Er wartet jedoch gar nicht, bis er die Stimme von Naruto hört, welche um seinen Eintritt bittet, sondern betätigt gleich den Türknauf. Er ist nervös. Er spürt deutlich den aufgeregten Herzschlag in seiner Brust und die Anspannung in seinen Gliedern. So nervös war er nicht einmal am Tage seiner Hochzeit oder bei der Geburt seines Kindes. Ein ungewöhnlicher Fakt, wie er findet. Sein angespanntes Empfinden scheint sich nochmal zu verstärken, als er die markante Stimme des Hokage in seinen Ohren vernimmt.

„Welch seltener Besuch. Was verschafft mir die Ehre?“

Von welcher Ehre spricht er? Weder ist er wichtig, noch hält er sich für wichtig. In diesem Moment weiß der Uchiha weder was er sagen soll, noch was er tun könnte. Er rafft sich lediglich auf und dreht sich zu dem blonden Chaosninja herum, nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hat.

Etwas ratlos zuckt Sasuke mit den Schultern und verstaut abermals seine Hände in den Taschen. Er weiß einfach nicht, was er mit ihnen fangen soll. Lasch am Körper baumeln lassen? An den Fingern herumnästeln? Vor der Brust verschränken? Alle Alternativen erscheinen ihm nicht angebracht und so steckt er sie einfach wieder weg. Zurück in die Tiefen seiner Hosentaschen. Dass er an seiner rechten Hand dennoch mit dem Fingernagel seines Zeigefingers an der Haut seines Daumes herumkratzt, bleibt somit unbemerkt.

Kurz lässt er seinen Blick über die Papierstapel gleiten, während Naruto lächelnd auf eine Antwort von ihm wartet.

Dieses vertrauensvolle Lächeln, schnürt Sasuke regelrecht den Hals zu. Das lange Zögern seines besten Freundes, scheint das Dorfoberhaupt nicht zu verunsichern. Ein bisschen Naivität und Sorglosigkeit hat er sich die ganzen Jahre bewahrt.

„Ich würde gerne mit dir reden, aber nach Möglichkeit nicht hier.“

„Worum geht es denn? Was Wichtiges?“ Das kommt wohl auf den Blickwinkel an. Ist es wichtig, ihm zu erzählen, dass er todkrank ist? Mit Sicherheit, doch ist es nur im Bezug auf ihre Freundschaft wichtig. Auf der beruflichen Ebene spielt der Sensenmann keine bedeutsame Rolle, die ein Treffen rechtfertigen würde. Sasuke zuckt kurz mit den Schultern. „Nein. Ein Austausch unter Freunden quasi.“

„Reicht es dir heute Abend? Im Moment ist es eher ungünstig.“ Entschuldigend tätigt Naruto eine kurze Geste in Richtung der gestapelten Akten und Papiere und für einen kurzen Moment, lässt Sasuke seine Augen auf dem Dorfoberhaupt ruhen, von dessen Sorglosigkeit er sich in diesem Moment gerne etwas abschneiden würde. Er bezeichnet Naruto als seinen besten Freund und doch fällt ihm in diesem Moment auf, wie wichtig ihm dieser eigentlich wirklich ist. Eine Tatsache, die dafür sorgt, dass er das Gefühl bekommt nicht mehr atmen zu können und er bereits jetzt das Bedauern empfindet, ihn bald nicht mehr um sich zu haben. Er spürt, wie sich ein schmerzender Klos in seinem Hals ausbreitet und ein unangenehmes Schlucken verursacht, doch noch bevor Naruto in irgendeiner Weise Verdacht schöpft, wendet sich Sasuke von ihm ab und somit zum Gehen.

„Ich warte im Ichiraku.“ Mehr bringt er nicht hervor, als er die Tür hinter sich zuzieht und für einen Moment auf der Stelle verharrt.

Dumpf lehnt sich Sasuke an die Tür der Büros und blickt zur Decke empor, bis er die Augen schließt und die Zähne aufeinanderpresst. Wie soll er friedlich von dieser Welt gehen können, wenn er mit jeder Stunde mehr von den Dingen sammelt, die er bereut und die er verpassen wird?

Die Nudelsuppe

Hat Naruto doch etwas bemerkt? Ist das Dorfoberhaupt doch feinfühliger, als es auf den ersten Blick scheint? Es sind diese zwei Fragen, die Sasuke regelrecht durch den Kopf schießen, als er den zweifachen Familienvater in das Lokal eintreten sieht. Die Wartezeit hat sich damit drastisch verkürzt oder sein Zeitempfinden hat in den letzten Tagen weitaus mehr gelitten, als er vermutet. Vielleicht sitzt er hier schon einige Stunden und es kommen ihm nur wie ein paar Minuten vor. Wann hat er das Lokal überhaupt betreten? Nicht einmal diese Frage weiß er zu beantworten. Er verliert die Zeit aus den Augen.

Wie in einem automatisierten Vorgang hebt er kurz die Hand, als er den suchenden Blick seines besten Freundes über die Tische gleiten sieht. Eine Geste, die bemerkt wird und so nickt der Hokage ihm kurz zu, als er sich in seine Richtung begibt und kurz darauf auf der Sitzbank gegenüber Platz nimmt. Es dauert auch nicht lange, bis der Ramenliebhaber eine extra große Portion Nudelsuppe an den Tisch ordert und die Vorfreude auf dieses köstliche Mahl kaum verbergen kann. Sasuke sieht förmlich, wie Naruto das Wasser im Mund zusammenläuft und da tut es ihm schon fast wieder leid, dass er ihm in wenigen Minuten wohl den Appetit verderben wird.

 

„Also, weswegen wolltest du mit mir sprechen?“ Entspannt lehnt sich Naruto in der Sitzbank zurück und lagert seine Arme auf dem Rückenpolster. In Anbetracht seiner Stimmung und gelassenen Haltung, revidiert Sasuke seine Vermutung, dass er sich irgendwie verraten hat. Naruto wirkt zu locker und sorglos. Er hat nichts bemerkt. Eine Antwort bleibt er ihm jedoch für ein paar Augenblicke schuldig, in denen er auf die Tischplatte blickt und nach den passenden Worten sucht. Wie so oft in den letzten Tagen wirbeln seine Gedanken durcheinander, dass er sich außer Stande sieht, etwas Vernünftiges zu produzieren. Er lässt den Kopf hängen und holt tief Luft, ehe er einfach den ersten Satz ausspricht, der ihm einfällt. „Ich werde mich aus dem Spionagedienst zurückziehen.“

Wenigstens fällt er damit nicht direkt mit der Tür ins Haus, doch reicht aus, dass Naruto verwundert das Gesicht verzieht. „Okay. Hat das einen bestimmten Grund?“ Ein kurzes Nicken folgt darauf und noch immer lässt er den Kopf hängen. „Ich will zuhause bleiben. Bei Sarada und Sakura.“

„Interessant. Wirst du jetzt Familienvater?“ Er hört den leicht lachenden Unterton in der Stimme und spürt abermals, wie sich seine Innereien ineinander verknoten. Er blickt kurz auf, als das bestellte Mahl auf den Tisch gestellt wird und sich Naruto kurz die Hände reibt, ehe er sich darüber hermacht und auf die spöttisch gestellte Frage nicht einmal eine Antwort erwartet.

 

Sasuke beobachtet ihn. Schweigend schaut er dabei zu, wie sich Naruto seine Leibspeise einverleibt und sich mit Schmatzen und Schlürfen nicht zurückhält. Kann jemand solche Dinge vermissen? Können unflätige Tischmanieren vermisst werden? Kann ein Toter überhaupt etwas vermissen? Wieder beginnen seine Gedanken durcheinander zu springen, weswegen er sich nach vorne beugt, die Ellenbogen auf dem Tisch lagert und sich gegen seine gefalteten Hände lehnt. Er schließt die Augen. Er versucht seine Gedanken zu beruhigen und bemerkt dadurch erst, dass Naruto sein Essen unterbricht und die Stäbchen beiseitelegt, als er dessen Stimme vernimmt, die jeden spöttischen und leicht klingenden Tonfall verloren hat.    

„Was ist eigentlich los? Du warst im Büro schon so komisch und die Sache mit deiner Prothese finde ich auch seltsam.“ Als zusätzliche Unterstreichung seiner Worte, deutet das Oberhaupt auf den erneuerten linken Arm seines besten Freundes.

Nach siebzehn Jahren einem inneren Impuls folgend, wirkt auf die meisten Mitmenschen wohl doch eher sonderlich. Dabei ist es genau das gewesen. Er hat einem inneren Impuls nachgegeben und Tsunade direkt nach seiner Diagnose nach der verstaubten Prothese gefragt. Die alte Dame hat keinerlei Fragen bezüglich seines Wunsches gestellt, sondern nur bitter gelächelt und ihm seinen Armersatz angebracht. Sie hat es einfach hingenommen, doch sein Umfeld verzieht nur verwundert das Gesicht und stellt Fragen.

Innerlich muss er bei den Worten seines besten Freundes jedoch schmunzeln. Naruto hat es doch bemerkt, es aber einfach überspielt. Unangenehme Situationen oder gar das eigene unangenehme Empfinden, hat das Dorfoberhaupt schon immer versucht wegzulächeln.

 

Stumm lässt er seine Arme sinken und verschränkt sie auf der Oberfläche des Tisches, doch schafft er es einfach nicht seinen Blick in das Gesicht seines besten Freundes zu richten. Er fürchtet sich vor diesem ausdruckstarken Augenpaar und davor, was er in ihnen lesen kann. „Vor ein paar Tagen habe ich mit Tsunade meine Untersuchungsergebnisse besprochen. Es war keine gute Diagnose.“

Keine ausreichende Antwort und dennoch hofft ein kleiner Teil in seinem Innersten, dass sich der Hokage mit dieser Aussage zufriedengibt. Kein Nachfragen und Nachbohren, doch er bemerkt, wie sich Naruto am Tisch nach vorne beugt und seinerseits die Arme auf der Tischplatte verschränkt.

„Du warst beim Arzt? Brauchst du eine längere Pause? Soll ich dich eine Zeit freistellen?“ Um Kraft betend schließt er kurz die Augen und holt tief Luft, ehe er seinen Blick anhebt und direkt seinen besten Freund anschaut. In dessen Augen kann er nur Verwirrung, aber auch eine große Portion Sorge ablesen, wissentlich dass sich das in wenigen Augenblicken ändern wird und trotz dieses Wissens platzt es einfach aus ihm heraus. Wie ein reflexartiger Impuls, der einfach passiert. Er blickt ihm nur in die Augen und ein Ruck geht durch seinen Körper, der ihn sprechen lässt, bevor er es denken kann. „Ich bin todkrank.“

Für einen Moment herrscht Schweigen. Ein Moment in dem Naruto das Gesagte einzuordnen versucht und sich für eine Reaktion entscheidet, die er bei Sakura bereits gesehen hat und die er bei seinem besten Freund vermutet hat. Naruto lacht auf und tatsächlich winkt er mit einer Hand ab, als hätte er einen schlechten Witz erzählt.

 

Der einstige Chaosninja schüttelt den Kopf und lächelt ihn an, als zweifle er an dem Verstand seines Gegenübers und vielleicht fühlt er sich sogar darin bestätigt, dass der Uchihaclan nicht für gute Witze bekannt ist. Diese Reaktion ist ein zusätzlicher Schlag in die Magengrube, doch Sasuke wird seine Worte nicht noch einmal wiederholen und blickt seinen besten Freund einfach weiter direkt an. Sie schauen einander in die Augen, ohne ein weiteres Wort zu sagen und mit jeder weiteren Sekunde wird die Veränderung in dem Gesicht von Naruto deutlicher. Das Lächeln schwindet langsam von seinen Lippen und es tritt jener Ausdruck in seine Augen, vor dem er sich so gefürchtet hat. Narutos blaue Augen weiten sich vor Fassungslosigkeit und der Ausdruck bekommt etwas leicht Panisches.

 

Der Hokage schluckt schwer und blickt scheinbar um Fassung bemüht kurz durch den Raum, ehe er ihn wieder anschaut. Er scheint den Ernst der Lage nun begriffen zu haben und dass es sich dabei nicht um das Ergebnis trockenen oder gar nicht vorhandenen Humors handelt „Ist das dein Ernst?“ Sasuke nickt einfach nur und als wenn er damit die letzte Hoffnung im Inneren zerstört hätte, sackt Naruto in der Sitzbank nach unten und blickt auf die Nudelsuppe vor sich, über die er sich vor wenigen Minuten noch so eifrig hergemacht hatte.

„Wie lange?“ Er seufzt auf diese Frage und zuckt ahnungslos mit den Schultern.

„Wochen, Monate, vielleicht ein Jahr.“ Er weiß selber nicht einmal, welche Variante ihm lieber wäre. Will er einen schnellen Tod oder lieber doch etwas mehr Zeit? Er ist sich nur in dem Punkt sicher, dass er nicht an ein Krankenhausbett gefesselt dahinsiechen will. Er will niemandem zur Last fallen am Ende und er will auch nicht, dass ihn irgendjemand so sieht. Leider hat er nicht einmal eine Vorstellung davon, wie er seine verbleibende Zeit verbringen will. Was will er noch machen? Was will er noch erleben? Was kann er noch machen und erleben?

„Und es gibt keine Heilung?“ Narutos Stimme reißt ihn aus seien Gedanken. Die Hoffnung ist zurück in dem blauen Augenpaar. Er kann es deutlich erkennen und es zerreißt ihn förmlich, dass er es erneut zerschlagen muss, als er niedergeschlagen mit dem Kopf schüttelt und auf die Tischplatte zurückblickt.

 

Sie schweigen einander nun an. Sie sitzen bloß an diesem Tisch, die Nudelsuppe zwischen sich stehend und zu keinem Kommunikationsaustausch mehr in der Lage. Ihre Freundschaft wird enden, zwangsweise und ohne, dass er sein Dorf verraten muss. Eine gewisse Bitterkeit steigt in ihm auf, als er an die damalige Zeit zurück denkt und ein entsprechendes Lächeln schleicht sich in sein Gesicht, was von dem Hokage allerdings unbemerkt bleibt.

Naruto ist der Appetit vergangen. Diese Nachricht schlägt ihm auf den Magen und so ist es nicht verwunderlich, dass er seine Leibspeise beinahe angewidert von sich schiebt und letzten Endes die Arme vor der Brust verschränkt. Der Schock ist ihm deutlich anzusehen, ebenso wie die verzweifelte Suche nach einer Lösung, um das Unvermeidliche eben doch verhindern zu können.

Die Körperpflege

Sarada wird heute zurückkommen. Sasuke freut sich darauf seine Tochter wiederzusehen und auf der anderen Seite, möchte er ihr am liebsten aus dem Weg gehen. Er möchte sie meiden und ihr nach Möglichkeit noch nicht einmal in die Augen schauen, doch wird und darf er dieses Aufeinandertreffen nicht verhindern. Sie ist seine Tochter. Sie hat das Recht zu erfahren, was ihnen als Familie bevorstehen wird. Am liebsten würde er auch behaupten, dass sie alt genug ist, um mit einer solchen Situation konfrontiert zu werden, doch ganz gleich welch fortgeschrittenes Alter in jemandem innewohnt, den Tod der Eltern zu akzeptieren, lässt einen wieder zu einem schutzlosen Kind werden. Die bloße Vorstellung Vater oder Mutter zu verlieren, ist nahezu lähmend und so bedrückend, dass der schmerzende Kloß im Hals nicht lange auf sich warten lässt. Sarada wird dabei zusehen, wie er verfällt. Sie wird ihm beim sterben zusehen. Sie wird ihren Vater sterben sehen.

Sasuke seufzt. Wie so oft in der letzten Zeit. Ein Seufzer folgt auf den nächsten und so steht er unter dem warmen Wasserstrahl der Dusche und blickt abermals seufzend die weißen Kacheln vor sich an. Er hat es aufgegeben, sich irgendwelche Szenarien zurecht zu legen, denn bisher ist es vollkommen belanglos gewesen, was er sich zuvor zurechtgelegt hat. Es ist immer anders abgelaufen, doch stets sind tief betroffene Personen das Ergebnis.

 

Dumpf lehnt der Uchihaerbe seine Stirn an die kalte gekachelte Wand und schließt einen Moment die Augen. Er lauscht in sich hinein, als würde er hören können, wie sich sein Körper langsam auffrisst. Schmatzlaute oder ähnliche Fresslaute, die ihm deutlich machen, wie ihm die Lebensfähigkeit genommen wird. Er hört nichts dergleichen. Er hört nur seinen eigenen Herzschlag. Das rhythmische Pochen des Lebensmuskels in seiner Brust, ist alles was er aus seinem Innersten vernimmt. Noch tätigt sein Herz den nötigen Dienst.

Langsam öffnet Sasuke wieder die Augen und blickt aus den Augenwinkeln zu dem kleinen Regalständer in der Ecke der Duschkabine, um nach dem Duschgel zu greifen, doch unterbricht er sein Vorhaben.

Fragend richtet Sasuke sich wieder vollständig auf und betrachtet die zwei Regalböden vor sich etwas genauer. Ein Sammelsurium an Körperpflegeprodukten, doch ist es auffällig, dass sein Regalboden sehr viel mehr freien Platz zur Verfügung hat, als der von Sakura. Bei seiner Frau stapeln sich die Plastikflaschen regelrecht und das auch noch in den unterschiedlichsten Farben und Gerüchen. Ein ganzes Potpourri an Düften, die mit einer Parfümerie konkurrieren könnten. Sasuke kann sich jedoch nicht entsinnen, dass seine Frau nach jeder Duschsession anders riecht.

 

Verwundert und auch mit einer gewissen Portion an Neugier, greift sich der Shinobi eine der zahlreichen Duschgelflaschen und zieht zweifeln eine Augenbraue in die Höhe, nachdem er den Aufdruck gelesen hat. Ich fühle mich blühend schön, steht auf der Vorderseite und auf der Rückseite geht der Schönheitswahn unbekümmert weiter. Frühlingssonne, die die Natur zum Erwachen bringt. Zarte Blüten, die ihre Schönheit entfalten. Genieße den frischen Duft der Magnolie und lass deine Sinne neu erblühen. Kopfschüttelnd stellt er die Flasche wieder zurück und zieht eine weitere aus dem instabilen Stapel hervor. Ich fühle mich überglücklich, steht nun auf der Front. Der Duft sonnenverwöhnter Zitronen und das Aroma frischen Rosmarins vereinen sich zu einem Fest für die Sinne. Fühle die mediterrane Sommerfrische und starte beflügelt in den Tag. Ein Duschgel zum aufputschen also. Legale Stimmungsaufheller für die moderne Frau von heute.

Sasuke greift nach einer weiteren Flasche und muss unbewusst schmunzeln, als er zu lesen beginnt. Ich fühle mich bereit. Aha. Wofür fühlt sich seine Frau denn bereit, wenn sie sich damit einreibt? Mit dem Duft von süßem roten Apfel und vitalisierender Grenadine bist Du aufgeschlossen für eine Welt voller Möglichkeiten. Vielleicht liegt das an seinem Geschlecht, aber wenn er sich das so durchliest, könnte das auch die Einladung zu irgendwelchen Rollenspielchen sein.

Schmunzelnd stellt Sasuke die zwei Flaschen wieder zurück und tritt etwas näher an die gesammelten Werke seiner Frau heran. Shampoo für normales bis schnell fettendes Haar. Eine Haarspülung für strapaziertes und trockenes Haar. Eine In-Dusch Body Milk, die vierundzwanzig Stunden Feuchtigkeit spendet. Baby Öl, Rasierschaum und ein Rasierer. Kein Wunder, dass Frauen bei der Menge an Produkten eine Ewigkeit im Badezimmer benötigen. Sie stehen vor dem Spiegel und erfinden sich komplett neu.

Sasuke blickt auf seine Duschprodukte und fühlt sich dabei schon fast spartanisch ausgerüstet. Ein Rasierer für die Nassrasur, passender Schaum dazu und eine einzige Flasche für Haar und Körper. Anregende Parfümöle und herbe Zedernholz-Noten wecken Deine Leidenschaft und verleihen Dir eine maskuline Anziehungskraft. Dann schmiert er sich bei seinen Duschgängen also mit Zedernholz ein. Richtig männlich und maskulin. Sakura scheint den Duft zu mögen, denn sie bringt ihm immer wieder eine neue Flasche davon mit. Er selber hat diese Variationsvielfalt noch nie so wahrgenommen und bisher hat er auch nichts daran auszusetzen gehabt.  

 

Eine Weile betrachtet Sasuke das Duschgel in seinen Händen, bis sein Blick zurück auf Sakuras Auswahl fällt. Mit einem Schulterzucken stellt er seinen Zedernholzduft zurück und greift sich stattdessen das Ich fühle mich bereit Duschgel. Ebenso nutzt er ihr Shampoo für schnell fettendes Haar, wobei er der Überzeugung ist, dass keiner von beiden darunter leidet und der Geruch ist auch nicht übel. Erfrischend und irgendwie blumig.

Seine Neugier für die Pflegeprodukte seiner Frau setzt sich allerdings auch am Spiegelschrank über dem Waschbecken fort. Auch an diesem Ort überwiegt Sakuras Anteil deutlich. Pflegeprodukte für nahezu jeden Hauttyp. Kann Sakura sich nicht entscheiden welchen Hauttypen sie besitzt? Gesichtswasser, Waschcreme, Pflegecreme, Makeupentferner. Alles vorhanden für die modebewusste Frau, doch brauchst sie den ganzen Kram wirklich? Muss sie sich anpinseln und ihre Haut mit Pflegeprodukten malträtieren, um anderen zu gefallen oder gar um ihm zu gefallen? Hält sie das für nötig oder notwendig? Wenn er so darüber nachdenkt, dann hat er ihr nie gesagt, wie wunderschön er sie findet.   

 

Frisch geduscht und in frischer Kleidung tritt der einstige Nuke-Nin in die Küche, wo Sakura gerade dabei ist das Geschirr vom vergangenen Abendessen zu säubern. Er betrachtet sie eine Weile und kommt zu der bitteren Erkenntnis, dass er ihr nie gesagt hat, wie schön sie ist. Mit keinem einzigen Wort hat er ihr jemals zu verstehen gegeben, dass sie die allerschönste Frau auf diesem Planeten ist.

Was ist er doch für ein Versager und das in so ziemlich jedem Lebensbereich.

 

Sakura dreht sich kurz zu ihm herum, als er sich an dem Esstisch niederlässt auf dem bereits das liebevoll zubereitete Frühstück auf das Vertilgen der Hausbewohner wartet.

Als er wach wurde, war die Betthälfte seiner Frau bereits verwaist und er konnte entsprechende Geräusche aus der Küche hören. Ein ausgiebiges und sättigendes Frühstück mit Liebe und Hingabe zubereitet. Miso-Suppe, Reis, eingelegtes Gemüse, gegrillter Fisch, Eier, Salat, einfach alles, was für einen guten Start in den Tag benötigt wird. Die Zubereitung eines solchen Frühstücks ist zeitaufwändig und wenn Sakura nicht mit solch einer Hingabe das Familienleben am laufen halten würde, dann gäbe es viel öfter Müsli.

Sasuke blickt zu seiner Frau und beobachtet ihre wieder eingesetzten und routinierten Abwaschbewegungen, ehe er sich eines der Eier greift und es über einer Schüssel mit Reis zerschlägt. „Willst du nicht frühstücken?“ Wieder blickt er zu ihr, wobei er fast beiläufig den Reis mit dem Ei vermischt.

„Ich mache nur schnell den Abwasch fertig. Wie geht es dir denn heute?“

Sie schaut ihn nicht für einen Moment an und auch die Tonlage ihrer Stimme klingt in seinen Ohren sehr seltsam, doch zuckt er auf ihre Frage von ihr ungesehen einfach mit den Schultern. „Ich denke gut. Die warme Dusche hat gutgetan. Ich dufte jetzt nach Ich fühle mich bereit.“  

Auf diese Worte wendet Sakura sich ihm nun doch zu und hat verwundert das Gesicht verzogen, während er ein leichtes Lächeln auf den Lippen trägt. „Du hast mein Duschgel genommen?“

„Warum nicht? Sauber werde ich davon auch und außerdem riecht es erfrischend. Ich habe zwar keine Ahnung, für was ich mich bereit fühlen sollen, aber ich tue es.“ Kaum hat er diese Worte ausgesprochen, bereut er es im nächsten Augenblick. Er sieht wie Sakura sich verkrampft und Tränen in die Augen seiner Frau schießen. Bevor die erste Träne jedoch ihrer Wange hinunterrollt, wendet sie sich hastig von ihm ab und fährt mit dem Abwasch fort.

 

Im Nachhinein hätte er sich wohl doch lieber wieder mit Zedernholz einschmieren sollen und dieser eigentlich doch positiv beinhaltete Flaschenaufdruck ist in dieser Situation auch sehr daneben gewesen. Mit einem tiefen Einatmen schließt Sasuke die Augen und schüttelt kaum merklich den Kopf. Das ist ein gigantisches Fettnäpfchen gewesen, in das er mit Anlauf reingesprungen ist.

Schweigend stemmt sich der erfahrene Shinobi in die Höhe und geht auf seine Frau zu, dessen bebende Schultern er deutlich wahrnimmt, ebenso wie die unterdrückten Schluchzer und das energische Scheuern des Tellers in ihrer Hand. Sie reibt mit dem Putzschwamm so intensiv über das Porzellan, dass nicht mehr viel fehlt, bis sie auch das florale Muster abgeschrubbt hat.  Er bleibt neben ihr stehen und unterbricht ihren energischen Abwasch, in dem er seine Hand auf ihre legt, mit welcher sie den Putzschwamm umklammert hält. Eine Geste, die als Konsequenz das Fallenlassen des Tellers, als auch des Schwamms in die Spüle beinhaltet. Sasuke zieht behutsam an ihrem Arm und zwingt sie so mit sanfter Gewalt, sich zu ihm herum zu drehen. Er nimmt ihr Gesicht seine Hände und sucht ihren Blick, der soviel Schmerz und Angst beinhaltet, dass es ihm regelrecht die Luft zum atmen nimmt. Sie Angst vor dem, was vor ihnen liegt und was ab diesem gefürchteten Zeitpunkt nur noch vor ihr liegt. Sie liebt ihn und das bereits seit vielen Jahren. Zu wissen, dass sie ihre große Liebe verlieren wird, bereitet ihr mehr Schmerzen, als es jeder Kampf fertigbringen würde.

 

Schweigend und sich für seinen schlechten Humor verfluchend, beugt er sich zu ihr und drückt ihr einen Kuss auf die Lippen. Liebevoll und zärtlich, von großer Bedeutung und wegen ihren Tränen sehr salzig schmeckend. Vor dieser Handlung hat er sich immer etwas geniert und es damit viel zu selten praktiziert. Wenn andere in der Nähe waren, dann war ihm jede Berührung peinlich und nun fragt er sich warum? Warum hat er sich dafür geschämt, wenn er seine Frau küssen wollte und es dann doch nicht getan? Warum hat er nicht viel öfter nach ihrer Hand gegriffen? Warum hat er sie immer auf Distanz gehalten? Warum?

Diese Berührung, der Geschmack und diese dabei entstehenden Gefühle, könnte kein Opioid jemals ersetzen und doch hat er es viel zu selten praktiziert.

Langsam löst sich Sasuke wieder von ihr, ohne dabei den Blick von ihren Augen abzuwenden. Seine Hände ruhen noch immer an ihren Wangen und so blickt er sie einfach nur an, während er mit dem Daumen eine einzelne Träne wegstreicht.  „Bitte tu nicht so, als wäre ich schon tot.“

Seine Bitte lässt ihr einen Schluchzer entweichen und erneut laufen Tränen über ihr Gesicht, als sie sich an ihn drückt und die Arme so fest um ihn legt, als würde er drohen sich vor ihren Augen in Luft aufzulösen. Er hält sie fest und drückt sein Gesicht in ihre Haare. „Ich bin hier.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Das hier wird keine Boys Love Story. Die beiden stehen sich aber nun mal nahe und ich habe versucht, dass irgendwie einzufangen. Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (11)
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Von:  Julia281419
2024-03-11T21:23:41+00:00 11.03.2024 22:23
Meeeega! Ich hoffe du schreibst irgendwann weiter (:!!
Von:  stone0902
2020-10-23T17:20:26+00:00 23.10.2020 19:20
Wow, was für eine krasse Geschichte! Die Umsetzung dieses Themas ist dir bisher sehr gut gelungen. Dein Schreibstil gefällt mir auch sehr gut. Du bringst die Dramatik sehr gut rüber. Man leidet richtig mit den Charakteren mit. Jetzt bin ich gespannt, wie Sarada es aufnehmen wird und vor allem, wie Sasuke seine restliche Zeit nutzen wird.

Ich werde auf jeden Fall an der Geschichte dran bleiben.
Von:  Kleines-Engelschen
2020-07-08T15:16:54+00:00 08.07.2020 17:16
ein schönes kapitel. ich fand die duschsession echt lustig und freue mich darauf zu erfahren wie es weitergeht

greetz
Von:  Kleines-Engelschen
2020-07-04T12:29:31+00:00 04.07.2020 14:29
die reaktion von naruto ist echt gelungen! bin gespannt wie es weitergeht

greetz
Von:  Kleines-Engelschen
2020-07-04T06:37:31+00:00 04.07.2020 08:37
ein tolles kapitel! du hast die gefühle und gedanken von sasuke echt gut beschrieben! weiter so

greetz
Von:  Annasche
2020-05-14T18:15:47+00:00 14.05.2020 20:15
Ohje... Diese FF verspricht wahnsinnig traurig und gefühlvoll zu werden. Ich freue mich drauf, auch wenn ich bereits erahnen kann, dass eventuell das ein oder andere Tränchen fließen könnte.
Du hast einen sehr schönen und emotionalgeladenen Schreibstil. Hat mir schon bei anderen werken von dir gut gefallen.
Von:  Kleines-Engelschen
2020-05-05T15:43:52+00:00 05.05.2020 17:43
ein wunderschönes kapitel und wahnsinnig gut geschrieben. ich bin gespannt wie es weitergeht

greetz
Von: abgemeldet
2020-05-05T08:41:10+00:00 05.05.2020 10:41
Einfach toll geschrieben.
Man kann die Emotionen förmlich spüren und das bringst du immer so gut rüber.
Mach weiter so.

Glg ❤
Von:  Kleines-Engelschen
2020-04-12T00:17:39+00:00 12.04.2020 02:17
ein tolles kapitel. ich finde es super wie du die einzelnen gefühle und gedanken rüberbringst. bin gespannt wie das nächste kapitel wird.

greetz
Von:  Kleines-Engelschen
2020-04-08T21:49:39+00:00 08.04.2020 23:49
ein sehr schöner prolog. ich bin gespannt was du aus der geschichte machst :)

greetz


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