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Enemy mine - geliebter Feind

von

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Kapitel 1

Bay Back war belebt um diese Jahreszeit, zumindest für die Verhältnisse dieser Stadt am Saum von Yuma-City. Kurz vor dem Nirgendwo und weit ab vom turbulenten Leben der Hauptstadt glühte Bay Back in der Sommersonne und lockte Besucher aus der Metropole in die Ferien. Sonnenschein, Ruhe, Waldoasen und sandige Felscanyons bot es genug. Hier sagten sich zwar nicht Fuchs und Hase Gute Nacht, aber manchmal, vor allem im Herbst und Winter, Dingo und Klapperschlange.

Die Infrastruktur war mager, die Arbeitsplätze und Einwohner mit nicht ganz dreißigtausend einigermaßen überschaubar. Tourismus machte einen großen Teil der Arbeitsplätze aus, hauptsächlich in der Feriensaison.

Hin und wieder brauchte jeder eine Auszeit, einen kleinen Urlaub für die Seele. Auch wenn größere Schlachten mit den Outridern schon weit über ein Jahr nicht mehr vorgekommen waren, auch kleinere Scharmützel schlauchten auf Dauer und Patrouillenflüge klangen langweilig, waren aber aufgrund der langen Aufmerksamkeit und hohen Konzentration, welche sie erforderten, nicht zu unterschätzen in der Anstrengung. Darum kam der genehmigte fünftägige Urlaub der Ramrod-Besatzung nicht ungelegen. Sie hatten seit längerem im Gebiet um Bay Back Patrouille geflogen, hauptsächlich um sicherzustellen, dass niemand den Andromit-Abbau – der zweitgrößte Arbeitgeber der Region – in irgendeiner Form störte.
 

Es war ihr erster Tag mit freiverfügbarer Zeit und sie nutzen ihn zum Einkaufen. Während die Jungs primäre Bedürfnisse mit dem Wort „Einkauf“ verbanden und vornehmlich Lebensmittel besorgten, verließ sich April ganz auf sie und widmete sich dem eher sekundären Bedürfnis nach Bekleidung, ungeachtet der Menge, die sie in ihrem Kleiderschrank verwahrte.

In der prallen noch fast Vormittagshitze schleppten daher nun Colt und Saber je zwei schwere, beinahe überlanden Einkaufstüten in Richtung des Friedenswächters. Fireball kam die herausfordernde Aufgabe zu, April vom allzu intensiven Schaufensterbummel abzuhalten. Herausfordernd wurde dieser Job vor allem deshalb, weil April sich einen Spaß daraus machte und deutlich länger auch an den Auslagen stehen blieb, die sie nicht wirklich interessierten, einfach nur um Fireball unterdrückt knurren zu hören, wie immer, wenn es ihn frustrierte.

Natürlich klagte er an, den schwierigste Aufgabe zugewiesen bekommen zu haben, doch Saber und Colt hielten munter dagegen. Fireball kehrte um, da April schelmisch grinsend an einem Schaufenster stehen geblieben war.

Schadenfroh grinsend sahen sie ihm nach, so dass sie das schwebende Buch und den blass lila Haarschopf dahinter nicht bemerkten.

Erst als der Schotte unsanft zum Stillstand kam, Colts Tüte bedenklich ins Wanken geriet und eine Melone, fünf Zitronen und sieben Äpfel dem Gedränge der Einkaufstaschen entwichen, richtete sich die Aufmerksamkeit der beiden wieder auf die Fußgängerzone.

„Oh, Entschuldigung! Wir haben nicht auf den Weg geachtet“, entschuldigte sich der Schotte sofort höflich, noch ehe er das Gesicht hinter dem Buch sah. Colt allerdings, da er seitlicher zu ihr stand, hatte schon das feine Näschen unter dem welligen Haar entdeckt. Die Augen waren auf den Text gerichtet, halb gesenkt. „Mach die Kulleraugen auf, Kleines und schau, wo du lang läufst. Lesen kannst du zuhause“, meinte er fröhlich.

Irritiert sah das Mädchen von dem Buch auf, ließ es sinken und brauchte einige Lidschläge um die Situation zu verstehen, in der sie sich befand. „Oh, tut mir leid. Ich“, begann sie noch etwas abwesend. „Das war so spannend.“ Leicht hob sie das Buch wieder.

„Schon gut. Es ist manchmal schwierig, ein gutes Buch aus der Hand zu legen“, wiegelte Saber ab und versuchte einen Blick auf den Buchtitel zu erhaschen. Colt studierte flüchtig das Mädchen selbst. Sie hatte tatsächlich Kulleraugen. Zumindest waren sie sehr groß und beinahe schwarz. Sie hatte besagte feine Nase und schwungvolle, weiche Lippen. Ihre Gestalt war schlank, fast dünn und ihre Haut fast weiß. Sie war kaum größer als April.

Diese schloss mit Fireball auf.

„Hey, Jungs! Habt ihr die Vorfahrt missachtet?“, fragte die Blondine fröhlich, während Fireball sich sofort um das Obst kümmerte, welches den Einkaufstüten entwichen war. Eben meinte er, in einiger Entfernung einen Apfel liegen zu sehen, doch als er den Blick auf die Zitrone vor seinen Füßen richtete und sie aufhob, war der Apfel verschwunden. Hatte er sich das nur eingebildet?

Das Mädchen mit den blass lila Haaren lächelte entschuldigend den blonden Hünen an und wies auf den Titel der botanischen Fachliteratur in ihren Händen. „Ist es wirklich“, erklärte sie und nickte eifrig. Der Schotte hatte sich also nicht geirrt.

„Das glaube ich sofort. Die Botanik des Neuen Grenzlandes ist spannend und interessant“, stimmte er ihr zu und erwiderte ihr Lächeln. Sie war also nicht nur hübsch, sondern auch wissbegierig.

„Ja, nicht wahr“, hakte sie nach.

Fireball legte das Obst, welches er aufgesammelt hatte, in Colts Tüte zurück und warf noch einmal einen Blick auf die Stelle, wo er den Apfel gesehen zu haben glaubte.

„Hier, wenn du schon zu faul bist, dich selbst zu bücken, Kumpel.“ Doch der überhörte das und verteidigte sich noch vor April. „Ne, nix da Vorfahrt. Das Veilchen hat uns frontal gerammt.“

Wieder irritiert blinzelte das Mädchen den Cowboy an. Sie schien nicht ganz zu verstehen. „Ich wusste gar nicht, dass Veilchen so standhaft sind?“

„Ja, das Exemplar hier ganz offenbar“, grinste er frech. „Man könnte meinen, du wolltest unseren Säbelschwinger da mit Absicht an... na dings... remplen eben.“ Er verkniff sich zweideutige Worte, denn für die schien sie keinen Sinn zu haben. Sie klimperte prompt verwirrt mit den Augen und schaute dann zu Saber auf, der sie immerhin um einen Kopf überragte, als suche sie Hilfe. Die bekam sie auch sofort.

„Diese hübsche Dame hat uns oder mich bestimmt nicht absichtlich angerempelt. Wie du selbst vorhin gesagt hast, sie war in das Buch vertieft und wir haben auch nicht aufgepasst“, erklärte er. Ihre beinahe naive Art weckte den Beschützer in ihm. Er kam nicht umhin, jetzt für sie in die Bresche zu springen. Ihren Augen fehlte ein lebhaftes Leuchten, trotzdem verfehlten sie ihre Wirkung nicht.

„Also ist alles geklärt. Bis auf ein paar Dellen beim Obst sind alle heil geblieben“, fasste April zusammen und schaute zwischen ihrem Boss und dem Mädchen hin und her. Es schien ihr, als denke sie nach, als versuche sie die Situation einzuordnen und richtig zu handeln.

Sie zögerte leicht, ehe sie langsam antwortete. „Das stimmt. Es war keine Absicht. Es tut mir leid, wenn ich Umstände gemacht habe.“

Wieder wirkte sie hilfesuchend und lenkte Sabers Aufmerksamkeit auf sich. „Aber nicht doch. Es gibt nichts zu entschuldigen“, wiegelte er freundlich ab und lächelte. Dann gewahrte er einen hellen, fast weiße Schopf in der Menge. Nur aus dem Augenwinkel sah er ihn vorbei huschen. Es war so ungewöhnlich, dass er sich für den Bruchteil einer Sekunde fragte, ob sein Job ihn misstrauischer als normale Menschen machte, oder die Haarfarbe nur so ungewöhnlich war.

Colt nutzte den Augenblick und versicherte der jungen Dame, die offensichtlich das Interesse seines Bosses weckte: „Ach wo, Du machst uns so schnell keine Umstände. Wir sind einiges gewöhnt.“

„Dann bin ich beruhigt.“ Sie klappte das Buch zu und linste für einen Augenblick in die Richtung jenes Haarschopfes. „Entschuldigung noch einmal“, sagte sie dann und reichte Saber die Hand. „Wie war dein Name?“

Diese Frage verwunderte sie alle. Sie hatten tatsächlich einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht und waren es mittlerweile gewöhnt, dass man sie auf der Straße erkannte. Offensichtlich war dies aber nicht in allen Ecken der Fall. Saber, da die Einkäufe noch in den Händen, streckte zwei Finger nach ihr aus. „Mein Name ist Saber Rider. Das sind meine Kameraden“ Dabei wies er auf seine Freunde. „April, Colt und Fireball. Darf man deinen Namen auch erfahren?“ Aus der letzten Frage klang aufrichtiges Interesse.

„Ich bin Bee“, erwiderte sie langsam und wich seinem Blick aus. Ihre Augen verengten sich kaum merklich. Dann sah sie ihn wieder mit ihren großen dunklen Augen an. „Freut mich euch kennen zu lernen. Tut mir leid wegen der Einkäufe. Habt trotzdem einen schönen Tag.“ Damit verabschiedete sie sich und schob sich leicht zwischen Colt und Saber hindurch, um ihren Weg fortzusetzen.

„Weg ist die kleine Bee“, meinte Colt und sah ihr nach. Auch der Schotte wandte sich nach ihr um.

„Dir auch einen schönen Tag, Bee.“

„Bye“, winkte April ihr nach, während Fireball grinsend feststellte: „Ihr zwei habt echt immer Glück, was? Wenn ich mit jemandem zusammenstoße, hab ich maximal einen Blaster im Rücken und kein flottes Bienchen vor der Linse.“

Bee drehte sich noch einmal halb zu ihnen um und winkte zurück.

Gerade in dem Moment schlenderte eine hellhaarige Frau an ihnen vorbei, im Strom der Menschen und war so schnell wieder darin verschwunden, wie sie aufgetaucht war.

Einen täuschend kurzen Moment meinte Saber etwas an seiner Gesäßtasche gespürt zu haben. Er wandte sich in die Richtung und sah jenen weißen Schopf sich in der Menge entfernen. Ein Blick auf seinen Hosenhintern bestätigte ihm, was er befürchtet hatte. Sie war leer.

„Hey!“, rief er dem Haarschopf nach und drückte April die Einkäufe in die Arme. Im nächsten Moment folgte er dem Haarschopf.

„Oh, so eine kleine Elster.“ Mit diesem milden Fluch folgte Fireball seinem Boss, als er die Situation erfasst hatte. Doch der Schopf vor ihnen verschwand schnell und stetig zwischen den Menschen, ehe sich die beiden einen Weg durch diese bahnen konnten.

Saber trat auf etwas am Boden und bückte sich danach. Seine Brieftasche. Er hob sie auf und prüfte sie. Außer dem Bargeld fehlte nichts.

„Mist“, schimpfte er halbherzig. Auch wenn er kein Vermögen mit sich herum getragen hatte, es war ärgerlich. Er sah sich um.

Fireball tauchte an seiner Seite auf. „Verdammt, ich hab sie aus den Augen verloren.“

Auch Colt und April erreichten sie.

„Was ist los mit euch beiden?“, wollte die Navigatorin verwundert wissen.

„Ich wurde beklaut“, erwiderte der betroffene sachlich. April nickte. Das hatte sie bei seinem Verhalten vermutet.

„Na, hat ja keinen Armen getroffen.“

„Danke für das Mitleid, Colt.“

„Ich revidiere meine Aussage mit dem Glück lieber noch mal.“ Fireball sah noch immer auf die Stelle in der Menge, an der er die Diebin verloren hatten.

„Och bitte, wein doch nicht. Das war doch wie ein Griff in den Klingelbeutel. Ich müsste jetzt zu Kredithaien gehen.“

„Ganz reizend, Cowboy“, tadelte April ihn dafür und drückte Saber und Fireball je eine der Einkaufstüten wieder in die Arme. „Willst du es anzeigen?“

Nach einer kurzen Überlegung schüttelte der Gefragte den Kopf. „Nein, schade um die Zeit, die wir für nichts und wieder nichts auf dem Revier verbringen.“

„Okay. wie du meinst.“ Damit setzte sie sich in Bewegung. „Lasst uns zu Ramrod zurück gehen und was futtern.“

„Ja, und dann lassen wir den Tag mit einem guten Buch ausklingen. Wie wäre es mit einem Krimi?“, neckte Colt munter.

„Ich wusste gar nicht, dass du liest, Cowboy“, grinste Fireball. „

„Ich glaube, ich werde nach dem Essen lieber ein Buch über mittelalterliche Dichtkunst lesen“, überlegte Saber. Das würde ihn am besten von dem kleinen Ärger ablenken.

Colt tat erstaunt. „Natürlich lese ich. Meine Lieblingsbücher“ Er betonte den Plural. „sind Jeanne, die Kamikazediebin und Katzenauge. Ihr wisst schon, das mit den drei Schwestern, die Kunstgegenstände klauen.“

„Das kann ich mir vorstellen. Hübsche Frauen, viele Bilder und wenig Text“, nickte Saber als leuchte ihm das vollkommen ein.

„Vergiss nicht, Kumpel. Die liest man von hinten nach vorne.“ Fireball schüttelte leicht den Kopf. „Und wieder vergesst ihr, mit wem ihr es zu tun habt. Komm April, lass uns die Steaks auf Ramrod legen, damit wir bald essen können.“

„Colt“, setzte diese schon zum Schimpfen an, dann stellte sie sich das bildlich vor. „Das wäre ein Anblick“, gab sie grinsend zu.

„Lasst uns gehen. Ich hab Hunger.“ Saber hob die Schultern.

„Essen ist gut. Mir hängt der Magen in den Kniekehlen“, schloss sich der Rennfahrer an.

„Pass auf, dass der nicht auch noch verschwindet.“ April ging voraus. Es wurde Zeit fürs Mittagessen und auch dafür, diese unerfreuliche kleine Episode mit einer angenehmeren auszulöschen. Der Urlaub hatte immerhin heute erst begonnen. Das würden sie schnell vergessen.
 

Unweit von der Stelle, an der sie sich von Bee verabschiedet hatten, war diese stehen geblieben und hatte lange zurückgesehen. Lange genug um zu beobachten, wie der helle Schopf mit einer flüssigen, schnellen Bewegung den Geldbeutel des Schotten aus seiner Hosentasche genommen und in die eigene Tasche geschoben hatte. Mit schnellen Bewegungen war sie in der Menge untergetaucht. Dass Saber und Fireball die Verfolgung abgebrochen hatten, hatte sie ebenfalls gesehen und offensichtlich schlugen sie nun ihren ursprünglichen Weg fort.

„Saber Rider und die Star Sheriffs“, murmelte sie nachdenklich.

Der helle Schopf erschien neben ihr und schaute mit ihr in die gleiche Richtung.

„Ich hab nur die Scheine genommen. Alles andere hätte Ärger gegeben“, sagte sie sachlich.

Die angesprochene nickte. „Interessant sind sie.“

„Interessant? Als was? Beth, was geht jetzt schon wieder in deinem Kopf vor?“ Unzufrieden klang die hellhaarige.

Beth sah sie an. „Schwester, von ihnen können wir ganz gut lernen, denke ich. Sie sind doch sozusagen das Musterbeispiel. Der Idealfall. Meinst du nicht?“ Die hellhaarige betrachtete sie aus dunklen blauen Augen, die beinahe die Farbe von Auberginen hatten.

„Komm schon, Snow“, drängte sie Beth. „Diesmal hab ich nun wirklich Recht. Das dürft ihr mir ruhig mal lassen.“

Snow hob die Schultern gleichgültig. „Musterbeispiel ja. Aber riskant. Darüber sprechen wir besser zu Hause.“

Beth schüttelte den Kopf. Eine solche Antwort hatten sie erwartet.

Kapitel 2

Sie hatten den restlichen Vormittag noch entspannt auf Ramrod verbracht. Saber las ein Buch. April schmökerte in einem Katalog während Colt und Fireball gegeneinander Karten spielten. Trotz der Klimaanlage war es sehr warm, deshalb entschieden sie sich am Nachmittag dem Schwimmbad einen Besuch abzustatten.

Gleich nachdem sie die Umkleide verlassen hatten, tauchten sie in einem der Pools ab und spielten Wasserball.

Das Spiel riss sie so mit, dass sie den blass lila Haarschopf nicht bemerkten, der eifrig von Tisch zu Tisch lief und im Cafe die Gäste bediente. Beth hatte alle Hände voll zu tun und hatte daher ihrerseits die vier noch nicht entdeckt.

Eine kleine Pause, nachdem Colt und Fireball sich April und Saber geschlagen geben musste, nutzten sie um die Liegestühle auf Bequemlichkeit zu prüfen.
 

Die Sonne strahlte vom azurblauen Himmel und Colt zog sich seinen Hut ins Gesicht. Er döste ein wenig vor sich hin. Saber las wieder in einem Buch, während April und Fireball die Blicke schweifen ließen.

Das Bad hatte mehrere Pools und eine große Liegefläche. Irgendwo links von ihnen, nahe dem Eingang, hörten sie das Lachen und quietschen von Kinder auf dem Spielplatz. Auf einer Sandfläche spielten einige Teenager Volleyball.

Auf der rechten Seite befand sich eine Bar und ein Cafe. Dort herrschte geschäftiges Treiben.

Fireball beobachtete eine Familie, deren Eltern verzweifelt versuchten ihr Kind auf dem Stuhl zu halten. Das kleine Mädchen sprang immer wieder auf und lief zwischen den Stühlen um her, sprach andere Gäste an. Einige fühlten sich davon gestört, andere fanden es nett. Die Eltern eilten ihrem Kind allerdings immer wieder hinterher und brachten es zu ihrem Tisch zurück. Dann schien das Töchterchen gewonnen zu haben. Die Mutter packte die Sachen an ihrem Tisch zusammen, während der Vater dem Mädchen nachlief, dass zum Ausgang flitzte.

Seine Mutter hätte ihn wohl am Stuhl fest getackert, dachte der Rennfahrer sich und stellte fest, dass er durstig war. Er fragte April, ob sie etwas trinken wollte, doch sie lehnte ab und wollte lieber noch etwas schwimmen gehen. Saber war aufmerksam geworden und begleitete sie. Der Cowboy allerdings hatte nichts gegen einen Drink einzuwenden.
 

So schlenderten die beiden an den Badegästen vorbei, ernteten einige interessierte Blicke und verstohlenes Flüstern. Sie suchten sich einen Platz nahe der Bar und setzten sich. Von hier auch hatten sie einen guten Blick auf das Panorama des Bades und die Sonne, die sich anschickte sehr langsam zu sinken.

An der Bar hinter ihnen tauchte ein heller Haarschopf auf und besprach sich mit dem Barkeeper. Dann schüttelten sie kurz die Hände. Er ging und das Mädchen nahm seine Stelle ein.

Colt sah sich um und erspähte ohne viel Mühe den blass lila Schopf der jungen Frau, die sich ihm und seinen Freunden als Bee vorgestellt hatte. Sie trug eine weiße Kellnerschürze über einem körpernahen sandgelben Kleid mit dem Logo der Bar auf dem linken Ärmel.

Er grinste. Sie machte darin eine gute Figur und bewegte sich rasch und geschmeidig wie ein Katze um die Tische. Sie stapelte Gläser und Geschirr auf ihr Tablett und wirkte diensteifrig.

„Hey, Bücherwurm! So schnell sieht man sich wieder!“, rief er ihr zu und winkte in ihre Richtung. Sie richtete sich auf und hob das Tablett auf. Dann sah sie zu ihm. Sie wandte ihren Kopf, als wollte sie sicher gehen, dass er nicht jemand anderen meinte, dann winkte sie zurück. „Hallo. Ja, so passiert es wohl.“

„Wie sieht das aus? Nimmst du auch Bestellungen auf, oder darfst du nur das schmutzige Geschirr abräumen?“, erkundigte er sich munter.

Sie kam zu ihm herüber. „Nein, ich nehm auch die Bestellung auf. Was willst du denn?“ Sie stellte das Geschirr ab und zog ein Pad aus der Schürze um die Bestellung aufzunehmen. Dann lächelte sie ihn erwartungsvoll freundlich an.

„Zwei Bier, ein Whisky und ein Sprudelwasser bitte“, orderte er lapidar und grinste sie an. Sie tippte die Bestellung ein und wandte sich an den Rennfahrer.

„Und was willst du?“, erkundigte sie sich.

Irritiert sah der Gefragte sie an. Meinte sie das gerade ernst?

„Colt hat für uns alle bestellt“, erwiderte er etwas geplättet. Dann jedoch grinste er ebenfalls und fügte an. „Vorerst jedenfalls.“ Er musterte sie kurz. Irgendwie war sie ja schon etwas seltsam, so hübsch wie sie war.

Rasch lächelte sie, als sie den prüfenden Blick bemerkte.

„Ich weiß, ich weiß. Nur ein kleiner Scherz“, versicherte sie und schnappte sich ihre Tablett. Diensteifrig eilte sie zur Theke.

„Dein Charme und dein Humor ziehen bei Bee wohl nicht sonderlich. Das nächste Mal lassen wir Saber bestellen“, schlug Fireball grinsend vor.

„Falls der je wieder auftaucht.“ Colt wandte sich um und sah ihr nach. Eine hübsche junge Frau, vielleicht ein zwei Jahre älter als jene Bee, mit hellem, nein, weißem Haar nahm die Order entgegen. Er schaute den beiden zu. Sie war auch recht bleich, wirkte in ihren Bewegungen aber entschlossener als Bee. Das erste Bier wanderte auf das Tablett. Die beiden unterhielten sich. Das zweite Bier folgte. „Saber hat Kiemen, der kommt erst nächstes Jahr wieder“, bemerkte Fireball beiläufig und folgte dem Blick seines Freundes. „Gefällt dir die Aussicht?“, erkundigte er sich, ahnte die Antwort allerdings schon.

„ Dir etwa nicht?“, kam die Gegenfrage. Der Whisky gesellte sich auf das Tablett.

Fireball schaute wieder zurück und sah April auf ihren Tisch zu kommen. In ihrem schlichten Bikini sah sie umwerfend aus.

„Ja, doch. Hat was, die Aussicht“, murmelte er.

Saber folgte seiner Navigatorin und setzte sich mit ihr zu den Freunden.

„Ah, es ist nächstes Jahr“, stellte Colt fest und lenkte seine Aufmerksamkeit zu seinen Freunden zurück.

„Was ist nächstes Jahr?“, hakte April nach und rubbelte sich noch etwas die Haare trocken.

„Ach ich hab behauptet, Saber könnte die Luft bis nächstes Jahr anhalten“, klärte Fireball sie auf und streckte sich. „Ah, herrlich.“

Der Schotte ging auf die Bemerkung über seine Tauchkünste nicht ein. Er hatte Bee schon von weitem entdeckt und beobachtete sie, wie sie auf ihre Bestellung wartete. Als ein Glas auf ihr Tablett gestellt wurde, nahm sie es auf und bewegte sich auf sie zu.

„Hallo“, grüßte sie und sah in die Runde. „Hallo Saber.“ Sie lächelte ihn an, als sie ihn sah und begann die Getränke mittig auf den Tisch zu stellen.

„Hallo Bee, schön dich wiederzusehen“, lächelte er zurück.

„Bitte sehr.“ Whisky, Bier und eine Flasche Mineralwasser mit einem extra Glas fanden sich auf der Platte wieder.
 

Colt blinzelte verwundert. Das war tatsächlich missverständlich gewesen? „Oh, das meinte ich nicht mit Sprudelwasser.“ Er kratzte sich an der Nase. Jede andere Kellnerin hätte ihm den Sekt gebracht, den er gemeint hatte.

„Lass die Flasche Mineralwasser da, und bring uns noch drei Gläser bitte, Bee“, änderte der Wuschelkopf die Bestellung als sich für einen Moment erstauntes Schweigen über den Tisch legte. „Willst du einen Sekt, April, oder lieber was anderes?“

Die Gefragte musterte ihre Serviererin. Sie schien verwirrt zu sein. Um es ihre leichter zu machen bestellte sie daher an sie gewandt. „Das wäre toll. Ein Glas Sekt bitte.“

Sie nickte, wirkte aber immer noch irritiert und prüfte die Bestellung, die sie aufgenommen hatte. „Du hast Sprudelwasser gesagt“, murmelte sie halb an Colt gewandt halb zu sich selbst und schien immer noch nicht zu verstehen, wo der Fehler lag. Trotzdem tippte sie eilig die Änderung in ihr Pad ein.

„Bee, Bienchen.“ Colt seufzte als spräche er mit einem Kind, dem er erklärte, warum man nicht an den heißen Herd fasste und er konnte nicht verhindern, dass er so klang. „ Ich meinte mit Sprudelwasser ein Gläschen Sekt. Ich wollte dich nicht verwirren. Aber das Mineralwasser trinken wir auch gerne.“

Die Erklärung half der jungen Frau auch nicht weiter.

„Aber Sprudelwasser und Sekt sind doch zwei völlig verschiedene Getränke ...“ Sie schien unverändert verwirrt.

Hinter der Theke hatte ihre Kollegin die Szene beobachtet. Nun marschierte sie schnurstracks auf die Gruppe zu, warf eine kritischen Blick in die Runde und fragte höflich aber energisch: „Was gibt's? Stimmt was nicht?“

Alle sahen auf und Fireball runzelte die Stirn. Nicht wegen der Art, wie sie die Frage gestellt hatte. Sie war offensichtlich daran interessiert schnell ein Problem zu lösen. Er fragte sich aber, wo er schon einmal dieses helle, nein weiße Haar gesehen hatte.

„Alles in Ordnung, es gab nur ein kleines Missverständnis bei der Bestellung. Kein Problem“ versicherte die Navigatorin rasch, um der verunsicherten Kellnerin möglichen Ärger zu ersparen. Allerdings stand diese zu dem Schlamassel, den sie verursacht hatte und setzte ihre Kollegin ins Bild.

„Ich bring dir sofort deinen Sekt“, versprach sie dann der Blondine wie jede andere Kellnerin es auch tun würde.

Ihre Kollegin stemmte die Hände in die Hüften und schob diese leicht zur Seite. „Wer Sprudelwasser bestellt, bekommt es auch. Wer Sekt will, bestellt den am besten auch.“ Sie klang energisch, fast herrisch, ergänzte dann aber mit einem Augenzwinkern und einem Lächeln. „ Alles klar, Cowboy? Sie ist neu in dem Job. Mach's ihr nicht so schwer.“

Dem angesprochenen gefiel die Art, wie sie ihre Kollegin in Schutz nahm. Sie mochte für einen Moment recht dominant gewirkt haben, aber es schien ihr nicht an Herzlichkeit zu fehlen. Das machte sie ihm irgendwie sympathisch. Noch dazu war sie genauso hübsch wie ihre Kollegin. Von nahem konnte er die dunkelblauen, fast auberginefarbenen Augen erkennen, die einen verwegenen Kontrast zu ihrem Haar bildeten. Auch sie war schlank bis dünn und hatte dieselbe blasse Haut wie ihre Kollegin. Doch strahlte ihre Art sich zu bewegen Selbstsicherheit und Energie aus.

„Hab ich gemerkt und es war keine absichtliche Absicht. Lernst du sie ein?“

„Ist mein Job.“ Damit blickte sie zur Bar, an der sich Gäste versammelten. „Den mach ich jetzt auch. Komm schon.“ Mit diesen Worten verabschiedete sie sich von dem Tisch und nahm ihre Kollegin mit, die ihr eilig folgte.

Saber hatte alles aufmerksam verfolgt, was sich vor seinen Augen abgespielt hatte. Ihm kamen nur zwei Personengruppen in den Sinn, die aus dem Konzept geraten konnten, wenn mit etwas simplen wie Sprudelwasser Sekt gemeint war. Das waren zum einen Autisten, deren Gehirn geflügelte Worte und Metaphern nicht verarbeiten konnte, die aber durchaus ausgesprochen analytische Fähigkeiten besaßen, je nach dem, wie ausgeprägt der Autismus vorlag. Die andere Gruppe war der menschlichen sehr ähnlich, wenn auch als gefühllos und grausam bekannt. Er kannte sie allzu gut. Sie alle kannten sie allzu gut – die Outrider. Angesichts seiner Sympathie für die junge Frau mit den blass lila Haaren wollte er sich das nicht vorstellen. Es weckte eine unangenehme Erinnerung, die er lieber nicht mit ihr in Verbindung bringen wollte. Nüchtern betrachtet musste er sie aber ebenso in Erwägung ziehen, wie Autismus, deshalb äußerte er, als er die Mädchen außer Hörweite glaubte. „Man könnte meinen, Bee kommt mit fremden Menschen nicht gut zurecht“, formulierte er es vage.

„Sie wirkt ... unbeholfen, als hätte sie gestern erst laufen gelernt“, stimmte ihm April nachdenklich zu. Sie warf einen Blick zur Bar, an der die beiden sich um die Bestellungen kümmerten.

Auch der Rennfahrer nickte auf die Worte des Schotten. „Stimmt. Sie nimmt alles ernst. Sie kann nicht unterscheiden, was so gemeint ist und was ein Scherz ist.“

Schmunzelnd stellte der Cowboy fest, nachdem er einen flüchtigen Blick zur Bar geworfen hatte. „Sie ist mit ihren Kulleraugen und ihrer Unbeholfenheit wie ein kleines Bambi.“

Dass Saber darauf mit den Augen rollte, hatte er erwartet. Er kannte seinen Boss aber auch gut genug um zu wissen, dass es diesem nicht anders ging als ihm selbst. Jenes Bambi, ob gewollt oder nicht, weckte den Beschützerinstinkt und appellierte an den Mann, auf sie acht zu geben und nachsichtig behutsam mit ihr umzugehen.

Der Schotte gab es nicht gern zu, aber damit hatte der Scharfschütze es auf den Punkt gebracht. „Bee scheint nicht viele Erfahrungen bisher mit anderen Menschen gemacht zu haben, findet ihr nicht? Das ist irgendwie seltsam“, hielt er das Gespräch in der sachlichen Bahn.

„Irgendwie schon. Ich frage mich, wo sie wohl herkommt“, schloss sich April seinen Überlegungen an.

Weiter konnten diese aber nicht gedeihen. Bee, wie sie sich ihnen vorgestellt hatte, brachte die gewünschten drei leeren Gläser und den Sekt für April. Sie wirkte, als hätte sie ihre Fassung wieder. In der professionellen, freundlichen Art einer jeden Kraft ihres Metiers reichte sie ihnen eine Karte. „Kann ich euch noch etwas bringen? Wollt ihr etwas essen? Wir haben Sandwiches, Burger und Salate.“

„Danke“, grinste Colt zurück und nahm die Karte entgegen. „Wir sehen uns mal die Karte an.“ „Danke, Bee. Das ist sehr aufmerksam von dir.“ Saber schaute sie an und sie lächelte ihn prompt an. „Gern“, erwiderte sie freundlich und setzte ihre Arbeit an den anderen Tischen fort.

April grinste ihren Boss erheitert an. „Also, das mit dem Flirten ... da ist sie jetzt nicht so unbeholfen“, neckte sie ihn, obwohl sie nicht sicher war, dass Bee wusste, dass ihr Verhalten dem Recken gegenüber als Flirten gewertet wurde. Ziemlich sicher war trotzdem, dass sie ihn interessant fand.

„Wer flirtet?“, tat der Blonde unschuldig.

„April meint Bee. Dass du eindeutig auch Übung im Flirten brauchst, ist ein Nebenschauplatz“, stichelte der Rennfahrer grinsend.

„Für einen Anfänger schlägt er sich nicht schlecht. Vielleicht kriegt er ja noch sein ... ähm ein Veilchen“, schlug der Cowboy leicht achselzuckend in die gleiche Kerbe und hob die Hand. April schlug mit ihm ein. „Wenn er sich traut, könnte es klappen.“

Deshalb hatte er die Sachlichkeit im Gespräch zuvor gesucht. Natürlich ließen sie, vor allem im Urlaub, keine Möglichkeit ungenutzt sich gegenseitig aufzuziehen und für den Moment bot er das beste Ziel dafür.

Er grinste schief. „Wer ist hier ein Anfänger, Colt? Nicht jeder mag die Holzhammermethode beim Flirten. Es darf auch gerne dezenter sein.“

„Dezent hemmt. Du könntest sie ja wenigstens auf ein Eis einladen“ Er hielt seinem Boss die Karte hin. „Wie viele Kellnerinnen gehen hungrig heim, weil kein Gast auf die Idee kommt ihnen was anderes als nen Drink auszugeben. Und sie ist so zierlich, sie könnte was zu mampfen vertragen. Findest du nicht?“

Wieder hatte der Scharfschütze gut gezielt und getroffen. Die Ferien schienen ihm gut zu tun.

„Du bist aber sehr aufmerksam. Oder willst du nicht alleine dumm da stehen, wenn du ihre Kollegin auf ein Eis einlädst?“, zog er nun Colt auf. Der warf einen kurzen Blick an die Bar.

„Ich glaube nicht, dass sie so eine Süße ist.“ Sie machte wirklich nicht den Eindruck, als könne man sie mit Eis bezirzen, ein Steak würde erfolgversprechender sein. Ihre Augen hatten eindeutig ihre Bar im Blick, aber auch ihre Kollegin, als scanne sie alles und jedem im Umkreis der Bar um sicher zu stellen, dass alles lief. „Ich lad sie vielleicht auf einen Burger ein, wenn sie weniger damit beschäftigt ist die gute Bee im Auge zu haben.“

Er beobachtete, wie die junge Kellnerin ein volles Tablett auf den Tresen stellte und sich ein leeres schnappte. Damit drehte sie eine Runde und sammelte vernachlässigtes Geschirr von den Tischen. Dann kam sie zu ihnen an den Tisch.

„Habt ihr euch entschieden?“ erkundigte sie sich wie eine Kellnerin es eben tat. Dabei nickte sie in Richtung der Karte, die Colt noch immer gedankenverloren dem Schotten hinhielt.

„Oh, ich weiß es noch nicht. Kannst du uns etwas empfehlen?“ Rasch griff er nach der Karte und blätterte der formhalber darin, wobei er seinen Blick auf die junge Frau gerichtet hielt.

„Ähm ... die Schinkensandwiches werden oft bestellt und der Bacon-Burger“, erwiderte sie schlicht.

„Dann nehm ich den Burger bitte“, bestellte April prompt.

„Mit Speck fängt man Mäuse. Beim Burger bin ich dabei. Für mich auch bitte“, vermeldete der Rennfahrer.

„Jap, ein Burger bitte. Habt du und deine Kollegin schon etwas gegessen?“ Der Scharfschütze grinste sie entwaffnend an. Rasch gab Beth die Bestellung in ihr Pad und überlegte, wie sie auf diese Frage reagieren sollte.

„Ich nehm bitte auch einen Burger“, orderte der Schotte und fragte, wobei er seinem Scharfschützen gedanklich Recht beim Thema der Essenseinladung gab, schließlich auch: „Dürfen wir dich und deine Kollegin ebenfalls zum Essen einladen? Wenn ihr Zeit und Hunger habt?“

Sie ergänzte die Eingabe in ihrem Bestellpad ehe sie, erneut etwas aus dem Konzept gebracht antwortete: „Tja, wir dürfen nicht, so lange wir arbeiten und Snows Schicht gerade angefangen. Also ... Danke, aber nein danke.“ Sie lächelte schwach und war dankbar, dass ihr Magen sie nicht verriet. Tatsächlich hatte sie mittlerweile Hunger genug um die Bestellung allein zu verdrücken.

Colt schaute einmal mehr zu Bar, wo besagte Snow gerade ein Bier zapfte. „Snow, wie der Schnee... das passt.“

„Sehr schade. Das Angebot steht aber, so lange wir hier sind. Vielleicht endet eure Schicht inzwischen“, erwiderte Saber und unterdrückte die Enttäuschung.

„Vielleicht“, lächelte sie gedankenverloren zurück und strafte ihre Schultern. „Also, vier Burger“, fasste sie zusammen und kehrte zur Theke zurück.

Saber sah ihr nach, nicht dezent sondern ziemlich offensichtlich. Er verfing sich an der geschmeidigen, katzenhaften Bewegung und Leichtigkeit.

„Na, das wird heute wohl nichts für euch. Klang für mich wie ne Abfuhr“, bemerkte Fireball und beobachtete interessiert die Reaktion der beiden. Die bestand jedoch noch einige Augenblicke lang aus dem Nachschauen und betrachten der beiden Frauen, wie sie mit einander sprachen und dann ihre Arbeit erledigten.

„Es war ein Vielleicht. Das heißt Vielleicht“, meinte April.

„Ich erinnere dich daran, wenn ich das nächste Mal mit Vielleicht antworte, wenn du shoppen gehen willst. Es heißt nicht, schleif mich bitte stundenlang durch dutzende Geschäfte“, gab der Rennfahrer zurück. Sie grinste nur darauf, wusste sie doch, dass diese Beschwerde eine Show war und er die gemeinsame Zeit ebenso genoss wie sie.

„Ich finde es hier gemütlich. Wir können nach dem Essen hier noch etwas trinken.“ Saber gelang es seinen Blick von Bee zu lösen und lehnte sich nun demonstrativ im Stuhl zurück.

„Hach, wenn ich doch jedes Mal, wenn ich ein Vielleicht gehört habe, einen Penny bekommen hätte“, meinte Colt und machte es sich auf seinem Stuhl auch bequemer.

„Dann wärst du ohne unseren Job pleite. Vielleicht heißt : ich überlege es mir. Wenn du danach eine Abfuhr bekommst, dann weil du dich mit Frauen nicht so gut auskennst, wie du denkst“, entgegnete April unbeeindruckt.

„Oh, liebste April. Ich kenn mich mit Frauen aus. Zumindest rudiger … rüdiger … rudimentär … genug um mit ihnen gut auszukommen“, wiegelte er ab und erntete ein halberherziges „Jaja“-Nicken. Das Geplänkel wurde unterbrochen, als Bee mit der Bestellung an ihrem Tisch erschien.

„Hey, bitte sehr.“ Sie platzierte die appetitlich angerichteten Teller vor jedem von ihnen und erklärte dabei. „Meine Schicht ist zu Ende. Kann ich gleich bei euch kassieren?“
 

„Na, dann: Darf ich dich zum Essen einladen, nachdem du kassiert hast?“ nutzte Saber sofort die Chance, die sich damit ergab. Sie reagierte nicht sofort darauf, da Fireball zeitgleich fragte: „Was bekommst du?“ Sie wollte ihm die Rechnung reichen, doch April hielt sie davon ab. „Warte. Ich zahl meins selbst.“

Auch die anderen beiden schlugen die Einladung des Rennfahrers aus, was er mit einem Schulterzucken akzeptierte. Die junge Frau strich eine blass lila Strähne zurück und machte sich daran, die Rechnung aufzuteilen. Sie spürte, wie Saber sie ansah, da seine Frage unbeantwortet geblieben war.

Während ihre Finger über die Tasten glitten suchte sie nach den passenden Worten, nach der richtigen Antwort. Sie gab ihnen die Bons und kassierte, noch immer grübelnd.

„Moment, Bee. Das ist zu viel.“ April reichte ihr einen Teil zu viel retournieren Geldes zurück, so dass sie immer noch ein gutes Trinkgeld bekam, wie es die Herren der Schöpfung ihr auch gegeben hatten. „Hier.“

„Oh, tut mir leid.“ Sie strich sich eine Strähne zurück, die gar nicht lose hing, „Es war ein langer Tag und ich muss noch sehen, wie ich heim komme“, lächelte sie April entschuldigend an, noch immer gedanklich auf der Suche, wie sie auf die unbeantwortete Frage des Schotten reagieren sollte.

Der nutzte erneut die Möglichkeit, die ihre Worte boten. Immerhin hatte sich die Sonne merklich gesenkt und würde bald dem Mond das Regiment über den Himmel lassen. „Ich... Wir begleiten dich gerne, wenn du möchtest“, bot er an.

Sie hob die Brauen. „In Badesachen?“

Er räusperte sich ertappt. „Ich ziehe mich schnell um.“

April presste die Lippen zusammen um ein Grinsen zu unterdrücken. So unbeholfen Bee auch in einigen Momenten wirkte, auch ihr waren die sonnengebräunten trainierte Oberkörper der Herren am Tisch nicht entgangen. Sicher war sie Frau genug um diesen Anblick zumindest attraktiv wenn nicht gar anziehend zu finden. Nun, sie jedenfalls war klug genug um zu wissen, dass bei seiner Einladung drei Leute zu viel sein würden, deshalb lehnte sie ab. „Ohne mich. Tut mir leid. Ich tauch lieber noch ne Runde. Wozu sonst hab ich mir diesen Bikini geleistet?“

„Ich verzichte ebenfalls. Ich hab heute nur noch vor, nachhause zu gehen“, schloss Fireball sich aus und Colt warf einen weiteren Blick zur Theke. Snow schien noch eine Weile zu arbeiten. „Mach du mal alleine, Boss. Ich leiste Fireball hier noch Gesellschaft. Ich hab einen ganz trockenen Mund, hab ich“, wiegelte er ab.

Bee schob das Geld in ihre Portmonee. „Ich muss noch andere Tische abkassieren.“

„Das passt doch. Bis du fertig bist, bin ich auch soweit“, erwiderte der Schotte prompt und insgeheim dankbar für die Geistesgegenwart seiner Freunde, die ihm kurzzeitig abhanden gekommen war.

Bee lächelte ihn einmal mehr an und zog los, um ihre Tische abzufertigen. Als sie diese Aufgabe erledigt hatte, wartete sie bei Snow an der Bar.

Kapitel 3

Saber hatte unterdessen in das dunkelblaue Hemd und die helle Hose gewechselt, die er getragen hatte, als sie das Freibad betreten hatten. Er nahm sich noch einen Moment Zeit um rasch seine Haare zukämen und die Kleidung glatt zu streichen. Dann verschloss er den Spint, lief kurz bei seinen Freunden vorbei und gab ihnen die Schlüsselkarte. Sie würden seine Tasche mitnehmen. Er versprach ihnen ein Dankeschön, dann eilte er an die Bar zu seiner Verabredung.

„Musstest du lange warten?“

Sie hob den Kopf von der Schürze, die sie gerade zusammenfaltete und auf einen Platz unter dem Tresen schob.

„Nein, ich bin gerade fertig“, erwiderte sie. Sie griff noch schnell nach einem halb vollen Glas Wasser und leerte es mit wenigen Schlucken.

„Sehr schön“, lächelte er. Das hatte ja gut geklappt. Er bedeute mit der Hand, sie möge vorgehen „Darf ich bitten?“

Wieder nickte sie und verabschiedete sich von ihrer Kollegin. „Wir sehen uns.“ Damit schob sie sich an den Tischen und Stühlen vorbei.

Snow erwiderte ihren Gruß und nickte dem Schotten mit einem Augenzwinkern zu. „Anständig bleiben, Blechstern.“

Saber hielt inne, ehe er dem blass lila Schopf folgte. ‚Blechstern‘ war nicht die gängigste Bezeichnung von die er von normalen Menschen so hörte. Die meisten, die ihn so nannten, waren Outrider oder Jesse Blue, also niemand, der ihnen freundlich gesinnt war. Und woher wusste sie von seinem Job? Er erinnerte sich nicht, ihr davon erzählt zu haben.

„Natürlich. Alles andere läge mir fern“, erwiderte er und sah Snow grinsen. Sollte wohl ein Scherz gewesen sein. Er folgte Bee, die den Ausgang erreicht hatte und auf die Straße trat.

Die Sonne zog ihre letzten Strahlen zurück und ergab sich für heute der Nacht. Warm war diese und von Sternen erhellt.

„Warum möchtest du mich eigentlich begleiten?“ Die Fragende sah sich nach ihm um. Er schloss zu ihr auf.

„Es ist bereits spät und eine hübsche junge Dame sollte nicht in der Finsternis alleine nachhause gehen. Ich möchte mich aber auch noch gerne etwas mit dir unterhalten. Du bist mir sympathisch“, erwiderte er aufrichtig. Kurz überlegte er, ob er ihre Hand nehmen sollte, dann entschied er sich dagegen. Es wäre zu bindend für jenes unverfängliche ‚sich unterhalten wollen‘. So schob er die Hand in die Tasche.

„Die Finsternis ist nicht bedrohlich für 'hübsche junge Damen'. Das sind andere Dinge“, meinte sie nachdenklich und schlenderte die Straße hinunter. Sie wirkte, einmal mehr, als verstünde sie nicht ganz, was er sagte. „Warm sympathisch?“, wollte sie wissen.

„Ja, es sind diese Dinge, weil sie sich nur in der Finsternis heraus trauen.“ Er hob die Schultern. Darüber wollte er gerade nicht philosophieren. Er wollte sie kennen lernen, wie er gesagt hatte. Gleichzeitig wollte er die Ahnung, die ihn für einen Moment zuvor beschlichen hatte, überprüfen und als den Unsinn at acta legen, der sie hoffentlich war. „Ich finde dich als Mensch interessant.“

„Du kennst mich gar nicht. Was soll an mir interessant sein?“

„Stimmt, ich kenne dich nicht. Aber du hast etwas an dir, das mir gefällt und aus diesem Grund möchte ich dich besser kennen lernen.“

Er erntete ein Lächeln für diese Worte.

„Wie kann ich dir dabei helfen?“

Die Art der Frage erinnerte ihn an April, wenn er als ihr Vorgesetzter eine Aufgabe an sie delegierte. Es wunderte ihn, schien aber zu ihr und ihrer etwas unbeholfenen Art zu passen. „Naja, für gewöhnlich lernt man sich kennen, indem man miteinander spricht, dem anderen etwas über sich erzählt, etwas miteinander unternimmt. Solche Dinge. Natürlich nur unter der Voraussetzung, dass du das auch tun möchtest. Du musst mir nichts erzählen oder etwas mit mir unternehmen, wenn du nicht willst.“

„Etwas unternehmen? Was genau meinst du damit? So etwas wie Essen gehen?“ Sie schaute in den Himmel als versuche sie sich an bestimmte Dinge zu erinnern, die sie mal gehört oder gelesen oder sonst wie erfahren hatte. „In eine Bibliothek gehen? So etwas?“

Sabers Magen verknotete sich unwillkürlich. Bibliothek. So wie sie das gesagt hatte, hatte es an jener Erinnerung gekratzt, welche er sich lieber erspart hätte. An das braune Haar, an die Brille, das freundliche Lächeln und die interessanten Gespräche, aber eben auch an den hinterhältigen Verrat und die bittere Enttäuschung. Nichts davon war verblasst. Er erinnerte sich gut, er erinnerte sich an die meisten Dinge gut.

„Ja, zum Beispiel. Man unternimmt gemeinsam etwas, das beiden Spaß macht.“

Ihre großen Augen leuchteten interessiert auf und schlugen die bösen Erinnerungen in den Wind. „Was macht dir so Spaß?“

„Ich lese zum Beispiel gerne, spiele gerne Tennis und fechte. Was macht dir Spaß? Vielleicht haben wir ja etwas gemeinsam.“

Sie hob nachdenklich den Zeigefinger an die Lippen und schaute zum Himmel auf. „Ich denke, ich finde lesen interessant. Kürzlich habe ich was über Pferde gelesen. Das klang faszinierend. Darüber würde ich gern noch mehr lernen.“

„Du denkst? Und Pferde sind faszinierend? Hast du noch nie ein Pferd gesehen?“ Er kräuselte die Stirn. Es war wie April es formuliert hatte, als hätte diese blasse junge Frau erst gestern laufen gelernt.

„Doch, natürlich. Es gibt hier eine Ranch auf der viele laufen.“ Sie hob die Schultern. „ Ich weiß nicht, was mir gefällt. Da wo ich herkomme, hatte ich nicht so viel Zeit mich mit Spaß zu beschäftigen. Da war es wichtiger das man den nächsten Tag erlebt.“

„Oh.“ Damit hatte er nicht gerechnet, aber das würde wohl einiges erklären. Seine verwunderte Skepsis verflog und Mitgefühl überzog seine Miene ahnungsvoll. „Wo kommst du denn her?“

Für einen Sekundenbruchteil schien sie über diese Frage erschrocken. Sie zuckte leicht zusammen. Nur langsam antwortete sie ihm. „Von ... weiter weg. Es ist ein Randbezirk. Da wo die Outrider oft ihre Dimensionssprünge machen. Nahe Pecos.“

„Du kommst aus einer hart umkämpften Gegend.“ Er sah mitfühlend zu ihr hinunter. Pecos war ein Brennpunkt schon während des Krieges, doch auch jetzt, da die Kämpfe nachließen, kam es dort immer wieder zu neuen Auseinandersetzungen. Auf den kleineren Planeten darum musste es noch schlimmer gewesen sein. Wahrscheinlich war es, wäre sie direkt auf einem Schlachtfeld aufgewachsen. „Verständlich, dass du dort nicht Zeit und Muße für Hobbies hattest. Bist du mit deinen Eltern geflohen?“

„Nein, mit meinen Geschwistern. Mein Bruder hat uns hierher gebracht, mich und meine Schwestern.“ Sie korrigierte sich rasch, „meine Schwester“ und biss sich auf die Unterlippe. Ihr Blick heftete sich auf die Straße und ihre eigenen Schuhspitzen. Ihre Miene war nicht mehr zu erkennen, ein welliger Vorhang blass lila Haares verbarg es.

„Du sagtest eben Schwestern. Ist einer von euch auf der Flucht etwas widerfahren?“

„Ja, sie wurde getötet.“ Sie klang sehr sachlich, beinahe unbeteiligt.

„Was ist passiert?“, hakte er ehrlich interessiert nach. Die meisten Menschen, denen er begegnete, reagierten bewegt, wenn die Rede auf den Verlust eines Angehörigen kam. Sie blieb so nüchtern, das war ihm fremd. Vielleicht musste sie das sein. Wie das Leben auf diesem Planeten, wahrscheinlich Pea oder Con, gewesen sein musste, konnte er sich nur schwer vorstellen, aber für Sentimentalitäten war sicher nicht viel Zeit.

„Das was eben so passiert. Hyperjumper, Sprengkörper, Explosionen und das Rennen ums eigene Überleben“, erwiderte sie und es klang, als schildere sie einen ganz normalen Tag. Er hörte sie ausatmen und endlich hob sie den Kopf wieder. Sie sah zu ihm auf. „Lass uns über was anderes sprechen. Erzähl mir was von dir. Du liest, spielst Tennis und fichst? Erzählt mir davon“ bat sie schlicht.

Dass sie das Thema wechseln wollte, konnte er verstehen. Dass sie ihm so aufmerksam zu gehört hatte, freute ihn. Trotzdem hatte er das Gefühl ihr signalisieren zu müssen, nein, er wollte ihr signalisieren, dass sie mit ihm über einfach alles sprechen konnte.

„Wenn dich etwas bedrückt, oder du doch einmal darüber sprechen möchtest, ich höre dir zu.“ Er sah sie prüfend an, ehe er fortfuhr. „Nun ja, ich arbeite als Star Sheriff. Wir versuchen das Neue Grenzland zu beschützen.“

„Ich habe gelernt, dass es nichts ändert, wenn man über so etwas spricht. Es ändert sich etwas, wenn jemand wie ihr euren Job richtig macht. Das ändert einiges. Ich kann mir zum Beispiel Gedanken darum machen, was mir ... Spaß macht. Aber du erzählst mir nicht, was ich wissen möchte.“ Sie lächelte leicht. „Möchtest du nicht über Tennis und Fechten sprechen?“

„Naja, Tennis ist nicht für alle so ein Spaß. Es ist ein Sport. Ich mache ihn gern, weil man dabei abschalten kann. Man muss sich auf nichts anderes als die kleine gelbe Filzkugel konzentrierten und sie treffen. Man kann im Einzel gegen jemanden spielen, oder zu zweit. Das Doppel macht allerdings nur dann Spaß, wenn dein Partner ernsthaft mitspielt.“ Zumindest Colt und Fireball spielten eher halbherzig und mehr ihm und April zuliebe. Er lächelte kaum merklich vor sich hin bei dem Gedanken.

„Und Fechten?“

„Fechten ist mein persönlicher Lieblingssport, obwohl es eine Art Kampf ist. Man steht einem Gegner gegenüber. Ich finde es aufregend, gegen einen anderen guten Fechter zu kämpfen.“

„Eine Art Kampf?“ Sie klang überrascht. „Deshalb bist du also Star Sheriff, weil du da kämpfen kannst.“

„Nein. Ich bin Star Sheriff, weil ich den Menschen helfen will und eine friedliche Zukunft will. Wir kämpfen nicht, weil wir es gern tun, sondern weil wir es müssen. Um Menschen zu beschützen, die sich nicht alleine verteidigen können.“ Den Schock darüber, dass sie offenbar dachte, er liebe den Kampf, konnte er nicht verbergen.

Aufmerksam sah sie ihn an. „Aber du hast gesagt, dass dein Lieblingssport ein Kampf ist, also muss dir das Kämpfen gefallen.“

„Fechten ist ein alter Sport und wurde früher nur von Edelmännern ausgeübt. Es ist in meiner Familie eine Tradition. Aber beim Fechten verletzt man niemanden, oder tötet seinen Gegner. Es geht mehr um die Einstellung des Fechters. Man versucht durch Treffer Punkte zu machen, eins mit dem Florett zu sein. Ja, ich fechte gerne, aber nein, mir gefällt deswegen das Kämpfen überhaupt nicht“, beeilte er sich ihr zu erklären und den Eindruck, den er womöglich geweckt hatte sofort zu revidieren. Daher ergänzte er gleich noch: „ Ich sehe keinen Sinn darin, andere Menschen zu töten. In unserem Universum sollte genug Platz für alle sein. Es sollte uns möglich sein, zusammen in Frieden zu leben. In meinem Team hat jeder zumindest ein Familienmitglied durch die Outrider verloren. Mir blieb das zum Glück erspart. Ich kämpfe, weil niemand mehr einen geliebten Menschen durch einen Outrider verlieren soll. Wenn wir einen Outrider phantomisieren, kehr er lediglich geknickt zu Nemesis zurück und bereitet sich auf einen neuen Überfall vor. Wenn ein Outrider einen Menschen trifft, stirbt er im schlimmsten Fall.“

„Du glaubst, das ist alles was passiert? Dass der schlimmste Fall der Tod ist?“ Ihre Stimme klang seltsam hohl. Ihr Blick prüfte ihn. Sie war stehen geblieben.

Er hielt ebenfalls und sah zu ihr.

„Nein. Ein Mensch kann ein Leben lang durch die Verletzungen beeinträchtigt sein. Wie gesagt, ich heiße Krieg nicht gut. Ich, als Soldat“, antwortete er ernst.

Sie sah ihn an. Zwei Minuten, vielleicht drei oder vier. Es schien sehr lange, da sie schwieg.

„Du bist ein seltsamer Mensch“, sagte sie schließlich und setzte langsam ihren Weg fort.

„Weshalb bin ich seltsam?“ Vor Verwunderung hätte er fast vergessen mit ihr zu gehen. Rasch schloss er zu ihr auf und fragte: „Was bringt dich zu dieser Annahme?“

„Deine Ansicht über das Kämpfen. Sie ist ziemlich widersprüchlich, findest du nicht?“

„Nein, das finde ich nicht. Ich würde nicht, wenn wir nicht dazu gezwungen wären. Wir tun das, wie gesagt, um die Schwachen zu beschützen. Wir helfen all jenen im Grenzland, die sich nicht selbst verteidigen können. Da ist nichts widersprüchliches daran.“

„Wer zwingt dich denn dazu?“

„Mich zwingt niemand dazu. Ich sehe mich in der Pflicht, im Grenzland ein friedliches Leben zu ermöglichen. Ich möchte der Gesellschaft so etwas zurückgeben.“

An der Aufrichtigkeit seiner Worte schien sie keinen Zweifel zu haben, nur der Sinn erschloss sich ihr nicht ganz. Sie runzelte die Stirn.

„Also zwingst du dich zu etwas, das du eigentlich nicht gut findest, weil du meinst, du seist irgendwem irgendwas schuldig was nicht mal deine Verantwortung ist?“, fasste sie zusammen, was sie seinen Worten entnommen hatte. „Und das soll nicht seltsam sein?“

„Wie soll ich dir das erklären, damit du mich verstehst?“ Wann hatte ihn jemals jemand so sehr in Frage gestellt, wie sie gerade. Schon lange hatte er, als der gefeierte Held, niemand mehr erklären müssen, warum er tat, was er tat. Die Menschen, welche ihm begegneten, stellten das nie in Abrede. Im Gegenteil, sie feierten ihn dafür. Nun, sah er sich aber in Erklärungsnot. Das war schlichtweg ungewohnt.

„Jeder tut das, was er kann, um seinen Beitrag in der Gesellschaft zu leisten und das Zusammenleben zu ermöglichen. Einer ist Farmer, ein anderer Installateur, eine Kellnerin und ich bin Star Sheriff. Ich hätte auch Polizist oder Feuerwehrmann werden können. Mir liegt das Wohl meiner Mitmenschen am Herzen.

„Wenn du es dir aussuchen konntest, warum hast du dann nicht etwas anderes gemacht? Warum überhaupt dieses Leisten eines Beitrages zur Gesellschaft? Warum diese Pflicht? Es ist doch der Gesellschaft geschuldet, wenn etwas wie Krieg entsteht.“

„Die Generation vor uns hat für uns gesorgt, damit wir in Frieden aufwachsen konnten. Es ist der natürliche Lauf der Dinge. Ich finde, wir Menschen können nur überleben, wenn wir alle füreinander da sind, in welcher Form auch immer, und auch gegenseitig auf einander Rücksicht nehmen. Es gibt natürlich auch Menschen, die nicht so denken. Deswegen gibt es immer wieder Konflikte. Aber Krieg in eigentlichen Sinne begann, die Outrider in unsere Dimension sprangen und unsere Siedlungen angriffen. Ich weiß nicht, ob sie das tun, weil sie Spaß suchen oder neue Rohstoffe, aber man hätte auch mal freundlich anklopfen können, anstatt gleich ganze Siedlungen dem Erdboden gleich zu machen.“

Wieder musterte sie ihn und versuchte offensichtlich zu verstehen. Fast konnte er sehen, wie es hinter ihren hübschen Stirn arbeitete. Wieder war sie stehen geblieben.

Sie fanden sich an einer kleinen Kreuzung wieder von der eine schmale Straße in die Dunkelheit abzweigte. Nur eine Laterne erhellte diese.

„Würdest du bei den Outridern anklopfen? Ich meine, wenn ...“ Ihre Worte verloren sich. Etwas hatte ihre Aufmerksamkeit erregt und nun schaute sie in die Richtung der einsamen Laterne auf der gegenüberliegenden Straßenseite.

„Es ist diplomatischer um Hilfe zu bitten …“, setzte er zur Antwort auf ihre begonnene Frage an, doch auch er verlor den Gesprächsfaden.

Ihr Innehalten, ihr Beobachten lenkten seine Aufmerksamkeit ebenfalls auf jene Straßenbeleuchtung. Es wunderte ihn halb, dass er für seine Umgebung nicht schon die ganze Zeit die im Beruf begründete Vorsicht übrig hatte und es erstaunte ihn, wie sehr ihre Anwesenheit ihn vereinnahmt hatte. Dann wieder, wenn er sie so betrachtete, wunderte es ihn überhaupt nicht mehr.

Im Schatten der Laterne bewegte sich eine Gestalt. Das Gesicht verborgen unter einer tiefsitzenden Kapuze, die Hände tief in die Taschen der zugehörigen Jacke geschoben, hielt sie sich im Dunkel, schien aber zu der jungen Frau zu starren.

Saber folgte seinem Instinkt und schob sich schützend vor sie. Die Gestalt bewegte sich fast geräuschlos, näherte sich ein wenig dem Lichtkegel der Laterne um dann wieder stehen zu bleiben, als warte sie auf etwas.

Eine Hand legte sich auf seinen Unterarm und die junge Frau, die er Bee nannte, stellte sich vor ihn. „Danke, dass du mich begleitet hast“, sagte sie leise.

Alles an der Situation, die Dunkelheit, die Gestalt ohne Erkennungszeichen und deren Art sich fast geräuschlos zu bewegen, stufte Saber als bedrohlich ein. Doch sie schien das nicht so wahrzunehmen. War sie so tatsächlich sogar so naiv?

„Habe ich gerne gemacht. Soll ich dich noch zu deiner Wohnung begleiten?“, bot er daher an.

„Das ist nicht nötig. Mein Bruder wird mich begleiten.“ Sie lächelte ihn wieder an. Ihre großen Augen schimmerten ahnungsvoll in der Nacht. „Ich habe mich gern mit dir unterhalten. Haben wir uns jetzt kennen gelernt?“

„Wir sind immer noch dabei, uns kennen zu lernen, Bee.“ Jetzt nahm er ihre Hand und gab ihr einen Kuss darauf. Jetzt schien es ihm angemessen und, wenn er ehrlich war, sehr viel länger hätte er nicht auf eine Berührung zwischen ihnen verzichten wollen. Sie blinzelte ihn erstaunt an. „Dann gebe ich dich in die Hände deines Bruders. Gute Nacht.“

„Ich finde kennen lernen sehr interessant. Gute Nacht.“ Mit einem Lächeln verabschiedete sie sich und überquerte dann eilig die Straße. Sie strebte rasch auf die Gestalt zu, die, wie ihre Bewegungen verrieten, tatsächlich auf sie gewartet hatte. Sie schienen mit einander zu flüstern. Dann wandte sich die Gestalt ab und verschwand in der Dunkelheit der schmalen Straße. Sie folgte ihr mit hängenden Schultern.

Saber beobachtete dies mit sehr gemischten Gefühlen. Er hatte keine Ahnung, was er davon halten sollte. Als die Gestalt der jungen Frau in der Dunkelheit verschwand, wandte er sich um und kehrte zu seinen Freunden zurück.

Er begann zu grübeln.

Bee, wie sie sich ihnen vorgestellt hatte, war in jeder Weise interessant. Nicht nur war sie attraktiv und konnte mit ihren großen Augen einem problemlos weiche Knie machen, das war es nicht allein. Das waren Äußerlichkeiten. Schöne zwar, sehr, sehr anziehende, aber eben Äußerlichkeiten. Für ihn war sie eine Mischung aus hilfebedürftigen Bambi, wie Colt es recht treffend genannt hatte, und scharfsinniger, wissbegieriger junger Frau. Sie stellte Fragen, deren Antwort für ihn so selbstverständlich waren, dass er nicht auf die Idee gekommen war, dass man danach fragen könnte. Dann kam sie ihm recht weltfremd vor. Gleichzeitig konnte sie ihn in Frage stellen auf eine Weise, die ihm neu war, die hartnäckig und, wenn er so über ihre Fragen nachdachte, tiefsinnig und in der Tat berechtigt waren.

Gab sie ihm auf der einen Seite das Gefühl etwas wie ein Lehrer zu sein, der sie anleitete, vermittelte sie ihm andererseits das Gefühl oberflächlicher zu sein, als er je von sich geglaubt hatte. Das eine Gefühl war sehr angenehm, es weckte den Beschützer in ihm, der er gern war und sein wollte, für eine so hübsche, zarte Frau. Das andere Gefühl forderte ihn heraus, Antworten auf Fragen zu suchen, sich selbst zu reflektieren und noch weit tiefer zu forschen als er es bisher getan hatte. Es sprach ihn, nein es schrie ihn förmlich auf intellektueller Ebene an, zu wachsen. Wie konnte der wissenshungrige Wahrheitssucher und Philosoph in ihm das nicht anziehend finden?

Aber nicht nur diese starke Anziehung hielt ihn in der Nacht wach, als seine Freunde längst schliefen. Ein Schatten lag über ihr, den er nicht los wurde und er verabscheute ihn. Er wollte nicht misstrauisch sein, nicht skeptisch ihr gegenüber. Ihr Verhalten gab dafür kaum Anlass. Doch das ein oder andere Wort schlug eben jene Seite in ihm an. Wahrscheinlich wäre er ohne diese frühere Erfahrung nicht auf diesen Gedanken gekommen, hätte er jene junge blass lila haarige Frau nicht eine Sekunde lang verdächtigt eine Outriderin zu sein, wäre er nicht in der Vergangenheit genau in diese Falle getappt.

Lilly. Sie war schön. Sie war klug und ähnlich wie nun eben Bee, hatte sie genau damit sein Interesse geweckt und seine Aufmerksamkeit so abgelenkt, dass er seine Mission in Gefahr gebracht hatte. Er hatte die Zeit mit ihr genossen, ihre Gespräche, deren Tiefgang über Themen, über die er zumindest mit seinen Freunden nicht so ausführlich reden konnte. Sie hatte ihn glauben lassen, sie empfände etwas für ihn und er war darauf hereingefallen wie ein Schuljunge. Sie hatte gelächelt, sie hatte ihm geschmeichelt und war so … anschmiegsam … gewesen, dass es kaum anders hätte kommen können. Es hatte unter die Gürtellinie gehen müssen. Es musste ein leichtes gewesen sein, bei ihrer Zielstrebigkeit. Einsamkeit und der Wunsch nach einer Beziehung hatten einen großen Anteil an Lillys Erfolg gehabt.

Er seufzte in sein Kissen.

Es gab entscheidende Unterschiede zwischen Bee und Lilly. Falls Bee tatsächlich eine Outriderin war, was er nicht wusste. Bee, und das war für ihn so oder so nicht von der Hand zu weisen, war nicht im Geringsten so zielstrebig anschmiegsam wie Lilly. Zwar sah sie ihn an, zwar musterte sie ihn – und er hatte das Gefühl, ihr gefiele was sie sah – aber sie suchte nicht nach Körperkontakt, war nicht darauf aus Gelegenheiten zu schaffen, ihn zu berühren.

Das Bild ihrer großen, fast schwarzen Augen schob sich in seinen Kopf. Das Leuchten darin, als sie ihn interessiert gefragt hatte, was ihm Spaß machte und die Überraschung, als er ihre Hand geküsst hatte. Nein, wirklich, sie suchte nicht nach seiner Berührung, aber ein Teil von ihm wünschte sich in diesem Moment fast schmerzhaft bohrend, sie würde es tun.

Kapitel 4

Ihr Bild hatte ihn in der Nacht nicht losgelassen, war ihm in seine Träume gefolgt und hatte ihn beständig begleitet.

Es benötigte eine ausgiebige Dusche, von der die Langschläfer Colt und Fireball zum Glück nichts mit bekamen, um dem Bild seine Vorherrschaft in seinen Gedanken zu nehmen.

Die vier frühstückten spät. Es war eigentlich fast schon ein Brunch, bei dem April vorschlug mal wieder Tennis spielen zu gehen. Sie musste nur zum Welpenblick ansetzen, da gaben sich die drei schon geschlagen. Es hatte keinen Sinn, auf diese Weise mit ihr zu diskutieren. Außerdem hatten sie Urlaub, was sprach da gegen ein Spiel.

So packten sie ihre Sachen und machten sich auf den Weg.

Die Tennisanlage war nicht weit, aber die Stadt war auch nicht sehr groß.

In der Hitze des Sommertages schlenderten sie darauf zu.

Sie lag in der Nähe des Freibades, nur wenige Straßen weiter, und war hohen Maschendrahtzaun umgeben, der verhindern sollte, dass fehlgeschlagene Bälle den Straßenverkehr gefährdeten.

Das Eingangsgebäude war weiß getüncht und hatte große Fenster. Sie spiegelten die Passanten und verbargen so den Blick ins Innere.

Drinnen teilte sich der Raum in einen Empfangsbereich und ein Cafe. Obwohl der dunkle, glänzende Boden und die offene Gestaltung des Raumes Größe vermitteln sollte, täuschte es nicht darüber hinweg, dass die Anlage eher klein war. Sie verfügte über Sitzplätze für etwa vierzig Gäste und hatte im Außenbereich sechs Sielfelder, welche jeweils durch Zäune von einander getrennt waren.

Allzu voll war es nicht. Auf einem dieser Plätze spielten zwei junge Männer gegeneinander. Ansonsten schien es, dass dieser Sommertag die Menschen eher ins Freibad lockten, als zu einem schweißtreibenden Sport.

So aber konnten sie problemlos einen Platz mieten.

Sie knobelten die Teams für ein Doppel aus. Das Ergebnis war, dass Fireball mit Saber gegen Colt und April antrat. Diese Zusammensetzung gab es selten und war meist für April und Colt ein Gewinn. Die beiden ergänzten sich ausgezeichnet.

Fireball machte seinen Aufschlag.
 

Sie war neugierig geworden. Er hatte ihr Interesse geweckt, schon bei ihrer ersten Begegnung. Gestern Abend hatte er es noch weiter geschürt. Er schien ihr widersprüchlich, obwohl er genau zu wissen schien, was er wollte und was er zu tun hatte. Auf seine Worte konnte sie sich keinen richtigen Reim machen und doch schienen sie irgendwie Sinn zu ergeben, den sie nicht fassen konnte.

Außerdem hatte er eine seltsame Wirkung auf ihren Körper. Sie sah ihn gern an. Seine blauen Augen sahen aus, wie der Himmel und sein Haar leuchtete in der Sonne. Wenn er sie ansah, beschleunigte sich ihr Puls. Wenn er lächelte, begann ihr Herz zu rasen, als liefe sie vor irgendetwas davon und wenn er sie berührte, wurde ihr Bauch warm und pulsierte leicht. Körperreaktionen dieser Art waren ihr fremd. Sie wusste nicht, wie sie damit umgehen sollte. Krank wurde sie nicht. Ihre Temperatur war normal. Sie hatte heute morgen nachgemessen.

Sie verstand auch nicht, warum sie an ihn denken musste. Es ergab keinen Sinn. Menschen wie ihn gab es hier doch überall, blonde, brünette, schwarzhaarige, männliche, weibliche, als attraktiv geltende und andere. Alles was sie zu sagen hatten, war faszinierend. Warum faszinierte Saber sie so viel mehr als die anderen?

Ehe sie darauf eine Antwort fand, hatten ihre Schritte sie durch die Stadt zu der Tennisanlage geführt. Sie konnte beim besten Willen nicht sagen, warum sie hierher gekommen war, aber als sie aufsah, sah sie die vier sofort.

Sie trat nahe an den Außenzaun, welcher das Grundstück von der Straße trennte, und schaute über den schmalen Weg der zu den einzelnen Plätzen führte. Erneut davon abgetrennt, befand sich das Spielfeld der vier leicht vor ihr.

Sie erkannte Sabers Rücken sofort. Neugierig trat sie näher an den Zaun.
 

„Wow, Colt, von einem Scharfschützen hätte ich erwartet, dass er besser trifft“, lachte April, als der den Ball verfehlte, der direkt ins Abseits flog.

„Der Ball ist kleiner als ein Hyperjumper, dafür sind seine Augen schon zu schlecht!“, stichelte Fireball, obwohl er gerade den Aufschlag an seine Gegner verloren hatte.

„Gib nichts auf solche Sprüche, April. Die wollen uns zermürben, sonst nichts“, grinste Colt. Es stand gut für ihn und April. Sie hatten gute Chancen das Spiel für sich zu entscheiden.

„Nein, wir müssen dafür nicht auf psychologische Tricks zurückgreifen. Wir machen euch fair platt“, erwiderte Saber. Die Partie war hart umkämpft. Dieser letzte Satz war der entscheidende und beide Teams hatten gute Chancen auf den Sieg, wenn auch Colt und April gerade leicht in Führung lagen.

„Da habe ich meine Zweifel“, gab sich der Cowboy siegessicher und machte den Aufschlag.

Saber parierte schnell, aber nicht ganz so präzise. Die Bälle des Scharfschützen kamen schnell.

„Oh, verdammt!“

April verwandelte und spielte zurück während Colt neckte: „Was hat dir denn die Augen verblitzt, Boss?“

Er hatte die Beobachterin am Zaun entdeckt und zwinkerte April verschwörerisch zu.

„Hey, Fireball und ich spielen gegen die Sonne!“, wiegelte der Schotte ab.

Der Ball schlug knapp vor der Linie auf.

„Hoppla... Ich dachte, der geht ins Aus.“ Fireball schüttelte über sich selbst den Kopf. Er sollte sich mehr auf den Ball konzentrieren und nicht auf den Rock der Blondine, so neckisch der auch schwang, wenn sie sich bewegte.

„Yeah.“ April und Colt klatschten ab, während der Rennfahrer den Ball aufhob. „Er hat Recht. Er guckt in die falsche Richtung und sieht nicht, was wir sehen“, stimmte sie ihm dann zu und ging auf Colts unausgesprochene Frage ein, die in seinem Zwinkern gelegen hatte.

„Eher wen? Sag mal, so als Frau, wie findest du das Kleid. Es steht ihr gut, oder?“

„Ja, absolut. Sieht sportlich und schlicht aus und passt toll zu ihrer Haarfarbe.“ Obwohl sie sich gegen Saber und Fireball nun eindeutig noch stärker verbündet hatten, meinten beide was sie sagten. Das blassgelbe Kleid mit seinen leichten Flatterärmeln und dem schlichten Schnitt hätte April nicht für sich, aber ganz bestimmt für die Trägerin mit ihrem welligen, blasslila Haar ausgesucht.

„Was seht ihr denn?“, erkundigte sich der Recke, noch ganz auf das Spiel und seine Chance zu gewinnen konzentriert.

Der Rennfahrer allerdings war neugierig geworden und sah sich um. Da, außer Hörweite, stand sie und konnte, ohne es zu ahnen, das Spiel zu ihren Ungunsten entscheiden.

„Boss, wenn du dich jetzt umdrehst, haben wir die Partie schon so gut wie verloren und es war ausnahmsweise mal nicht meine Schuld“, bemerkte er beiläufig und spielte Colt in die Hände. Der grinste diabolisch und wandte sich wieder an seine Spielpartnerin.

„April, deine Meinung als Frau. Ist der Rock nicht etwas zu kurz?“

„Nö, eine Handbreit überm Knie ist in Ordnung. Sag's keinem weiter, aber ich beneide sie echt um diese hübschen Wellen.“ Als würde sie ihm ein Geheimnis anvertrauen, beugte sie sich leicht zu ihm und er machte ein Zeichen, dass er priesterlich schweigen würde.

Nun schwante Saber, von wem seine Freunde sprachen. Zu gern würde er sich umdrehen, aber er spürte, dass Fireball Recht hatte. Dann war das Spiel im Eimer und für die beiden gelaufen. Er atmete schwer aus und antwortete einigermaßen souverän: „Alle Versuche mich abzulenken, sind zwecklos. April? Colt? Wart ihr nicht mit der Angabe dran?“

Oh, was war es für eine Freude, den Boss aufzuziehen, weder die Navigatorin noch der Scharfschütze konnten der Versuchung wiederstehen.

„Ja, ich bin dran. Frauen stehen nicht so auf Angeber“, meinte Colt und fing den Ball, den Fireball ihm zuwarf. Lange sah er in die Richtung ihrer Zuschauerin und fügte nachdenklich an: „wie den da.“

April nickte und unterstütze Colt so. Ihr Blick wurde schmachtend, als sie in die gleiche Richtung wie er sah. „Wow, der dürfte vor mir auch gern angeben“, seufzte sie überzeugend genug.

Sie fegte den guten Vorsatz des Schotten weg, der sich nun doch rasch in die Richtung umsah, in welche die beiden schauten und dem erschrocken „Was? Wer?“ entfuhr.

Fireball seufzte ebenfalls. Das hatten die beiden ja toll gemacht. Dabei hätte er so gern auch mal gewonnen. „Hey, Saber! Hier spielt die Musik!“, erinnerte er ihn unzufrieden.

„Ja, unseren Siegesmarsch“, lachte April erheitert. So hatte sie den Schotten noch nie erlebt.

„Ja, den höre ich auch“, feixte Colt und trällerte mehr schlecht als recht. „ We are the champions... we are the champions…“

„Hör auf zu singen, da kriegt man ja Ohrenschmerzen von!“, protestierte der Wuschelkopf halb lachend. So fies das auch gespielt war, den sonst so bedachten Recken so aufgeregte zu sehen, hatte schon etwas für sich.

Tatsächlich brauchte Saber eine Weile um, nach der erleichterten Feststellung, dass da niemand bei der jungen Frau stand, der sie anflirtete, um seinen Blick von ihr zu lösen. April hatte so Recht gehabt. Das Kleid stand ihr fantastisch und eine Handbreit über dem Knie war genau richtig, in der Länge. Sein Herzschlag beschleunigte sich, pochte bis zum Hals hinauf und er schluckte trocken.

Sie war zusammen gezuckt, als Saber sich so abrupt umwandte und zu ihr schaute. Flüchtig sah sie sich um, ob da noch jemand stand, den er anschauen konnte, doch dann wurde ihr klar, dass er nur sie anschauen konnte. Zögernd hob sie die Hand und winkte ihm zu.

Wie ferngesteuert hob er die Hand und winkte zurück. Verträumt lächelte er ihr zu.

„Okay, genug der Scherze. Lasst uns weiter spielen“, grinste Colt mehr als nur erheitert. Nein, das war absolut neu an Saber. So abwesend hatte sie den noch nie erlebt.

„Hey, Saber! Du kannst nach der Partie machen, was du willst, aber jetzt wird gefälligst fertig gespielt“, versuchte auch Fireball seinen Spielpartner wieder ins Hier und Jetzt zurück zu holen. Doch der war noch immer gefangen von ihrem Blick, der ihn aufmerksam festhielt und gespannt wartete, was als nächstes passiere würde.

„Auf geht's.“ Colt setzte zum Aufschlag an. „Saber?“

„Ja?“ Endlich schaffte er es seinen Blick von ihr zu wenden und zum Scharfschützen zu sehen.

„Das Spiel?“ erinnerte der mit einer Unschuldsmiene.

„Ja. Ja, nun mach schon“, erwiderte er und unterdrückte ein Seufzen. Seine Konzentration haftete noch am Zaun bei ihr. Er musste sich zusammen reißen. Jetzt.

„Fünf zu Sechs für uns. Mit dem nächsten Punkt gewinnen wir“, erinnerte April an den Spielstand. Colt schlug auf.

„Den müsst ihr erst mal machen.“ Fireball parierte und schickte den Ball zurück.

„Wie war das? Die Verlierer laden die Gewinner zum Essen ein? Ich bin plötzlich ziemlich motiviert, das Spiel zu gewinnen“, eroberte sich Saber seinen Fokus zurück.

„Ja, das schaffen wir schon, Turbopfeife.“ Nicht so gekonnt, wie er wollte, nahm Colt den Ball an und schlug ihn ins gegnerische Feld.

„Du willst doch nur Eindruck schinden“, neckte April munter.

„Muss ich nicht. Jeder weiß, was ich kann.“ Saber verhinderte den Aufprall des Balles auf den Boden und schmetterte ihn mit guter Rückhand zurück.

„Wir diskutieren das später aus, ja!“ Fireball bemühte sich konzentriert zu bleiben. Er hielt April im Blick um zu sehen, ob sie den Ball annehmen würde.

„Sie ist eh schon weg“, versuchte Colt noch einmal abzulenken, während die Blondine den Ball zu ihm rüber schickte.

„Lass dich jetzt bloß nicht auf diese Psychospielchen ein, Saber!“ Einmal mehr brauchte er eine Sekunde zu lang um zu erkennen wohin sie spielte, deshalb konnte er ihn nur vage annehmen.

„Keine Sorge, wir machen die zwei Punkte und dann gehört der Sieg uns“, versicherte der Schotte ihm.

„Bezweifle ich.“ April parierte noch einmal den Ball und schickte ihn gekonnt auf die Linie, so dass ein weniger trainierter Spieler glaubte, er ginge ins Aus. Fireball fiel drauf rein und lamentierte prompt. „Ach, wie ärgerlich! Das ziehst du jedes Mal mit mir ab, April!“

„Kenne deinen Gegner“ grinste sie zurück.

„Warte nur. Die Rache kommt, wenn du es am wenigsten erwartest.“ Fireball ließ den Schläger sinken und ging zu der Bank auf der ihre Taschen standen. Er zog seine Trinkflasche heraus und nahm einen guten Schluck.

„Gut gespielt. Zwar nicht ganz fair, aber gut“, gestand Saber ihnen zu. „Also dann“, Er tat es dem Rennfahrer gleich und trank erstmal einen großen Schluck. „Wo wollt ihr heute Essen?“

Die Sieger schmunzelten sich verstehend an und nickten einander zu.

„Lass uns etwas gnädig sein, liebste April, hm“, schlug Colt leichthin vor und stieß sie mit der Schulter an. Sie nickte ihm zu.

„Ja. Saber, frag das lieber die Dame, die da kommt.“ Damit wies sie mit ihrem Schläger in Richtung der Tür, die im Maschendraht eingelassen war und auf die nun die Zuschauerin zu geflitzt kam.

Sie war, als das Spiel zu Ende war, sofort los gerannt, hatte die Empfangshalle durchquert und war auf das Feld zugelaufen, auf dem die Vier spielten. Es war zu ihrem Glück das Feld, das dem Gebäude am nächsten lag.

An der Tür zu diesem Feld allerdings blieb sie stehen, unsicher darüber, warum sie hierher gerannt war und unschlüssig darüber, was sie nun tun sollte.

Saber stopfte hastig den Schläger und die Flasche in seine Tasche zurück und eilte zur Tür. Er öffnete sie und ließ sie eintreten.

„Hallo! Welch eine Freude, dich wieder zu sehen“, begrüßte er sie ehrlich erfreut.

„Hallo Saber, guten Tag.“ Sie schien nach Worten zu suchen. „Das war also ein Tennisdoppel?“

„ Ja, das war ein Doppel“, lächelte er. Einmal mehr zog ihn diese Unbeholfenheit an. „Bist du schon lange hier?“

„Seit April ein fünf zu sechs gerufen hat. Es sah sehr schnell und kraftvoll aus.“ Ihre Augen sahen ihn an, musterten ihn von Kopf bis Fuß und wieder zurück.

„Dann hast du also nur noch unseren desaströsen Untergang erlebt.“ Er schmunzelte über ihre Beobachtung, die sie in Worte fasste, als wäre sie zu einer neuen Erkenntnis gelangt. Es war kein Spott, keine Erheiterung, vielmehr gefiel ihm der Glanz in ihren Augen dabei. „Das Spiel kann mitunter schnell und kraftvoll sein, wenn man ernsthaft spielt. Wenn man es nicht ganz so ernst nimmt, ist es locker. Wir beginnen meistens locker, aber irgendwann will man doch gewinnen und es wird intensiver gespielt, mit mehr Ernst.“

Sie nickte und presste die Lippen auf einander. „Man kann es auch zu zweit spielen?“, fragte sie nach und wies auf seine Tasche. „Mit diesem ...“ Sie suchte nach Worten.

„Ja, genau. Mit den Tennisschlägern und dem Ball. Wenn du es mal versuchen möchtest.“ Da bot sie ihm doch glatt eine Möglichkeit, während er eilig überlegt hatte, ob er sie auf etwas einladen sollte.

Sie nickte interessiert, was ihm gefiel.

„Ich kann es dir zeigen, wenn du möchtest“, erbot er sich.

„Ich leih euch meinen Schläger.“ April reichte ihn mit diesen Worten an sie.

Einen Moment beobachteten sie, wie Bee den Schläger betrachtete, den Rahmen mit den Fingern nachfuhr und an den Sehnen zupfte, die dazwischen gespannt waren. Es war, als betrachte sie zum ersten Mal einen Tennisschläger.

„Wir gehen dann mal spachteln. Ruf an, wenn du uns vermissen solltest“, verabschiedete sich Colt. Selten ließen Saber seine Freunde so schnell allein.

„Ja ist gut. Mahlzeit.“ Die Antwort verkam zu einer halbherzigen Floskel. Sabers Aufmerksamkeit war ganz bei der jungen Frau neben ihm.

Sie war interessiert. Sie war gelehrig. Sie ließ sich konzentriert von ihm erklären, woraus ein Schläger gefertigt wurde, wie er zu halten war und welche Armbewegungen sie im Spiel brauchte. Vorhand, Rückhand, Schmetterlingsschlag – während er sprach, und er wusste wirklich nicht, warum er leise sprach, hing ihr Blick an seinem Mund, an seiner Hand, mit der er auf etwas zeigte, an seinem Gesicht, an seinem Arm. Sie schaute aufmerksam und fasziniert auf ihn, ließ sich anleiten und führen. Saber ertappte sich dabei, wie sehr er es genoss sie zu berühren, an den Schultern ihre Haltung zur korrigieren und auch sonst jede Gelegenheit nutzte, seine Hand mit ihr in Kontakt zu bringen. Er fühlte ihre glatte, sonnenwarme Haut am Arm, als er ihn für eine Bewegung führte, ihre fragilen Handgelenke, die er umschließen konnte, als er ihr den Schläger in die Hand gab. Er sog den Duft ihres Haares, Mandelblüte, ein, als er hinter ihr stand, ihre Haltung prüfend, und bemerkte das Schimmern ihrer Haut im Sonnenschein, die Bewegung ihres Brustkorbes, während sie atmete.

Er sollte mehr Abstand halten. Er sollte sie nicht ständig berühren, man konnte genug auch ohne das erklären und wenn er der Gentleman war, der zu sein ihm alle nachsagten, dann würde er das tun. Doch er war es nicht. Dazu verzauberten ihn ihre Gelehrigkeit und Schönheit zu sehr und war er sich allzu sehr bewusst, dass ihre Aufmerksamkeit und ihre Blicke nicht nur seinen Ausführen galt, sondern auch ihm. Die Neugierde und Faszination darin drohte mit ihrer Intensität seinen Verstand zu lähmen. Gleichzeitig prägte er sich jedes Detail ein, wie ihre dichten Wimpern und die gleiche Länge ihres Zeige- und Mittelfingers ihrer schlanken Hände. Die Welt um sie herum verkam zu einer unbedeutenden Nebensache.

Gerade nickte sie auf seine Erklärung und löste den Blick von seinen azurblauen Augen und dem weißgold glänzenden Ponysträhnchen auf seiner Stirn. Es war ein langer Blick, den sie zögerlich auf seine Hand richtete. Er korrigierte noch einmal ihre Finger um den Griff.

Dann passierte es. Er zuckte leicht zusammen, als sie ihre Hand auf seine legte. Sie ertastete seine Haut, die Konturen seiner Hand und ließ ihre Finger zu seinem Handgelenk gleiten.

Es war da erste Mal, dass sie ihn berührte. Er erschauerte unwillkürlich ob der zarten Geste und noch einmal mehr als sie fast andächtig murmelte: „ Du hast einen starken Händedruck.“

„Ich arbeite dran“, erwiderte er rauer und belegter, als er wollte. Er lächelte sie an. „Hast du genug von der Theorie? Möchtest du mal versuchen, Bälle zu schlagen?“

Sie nickte langsam und eiste ihren Blick von seiner Hand los.

Saber zögerte einen Moment. Ihre Nähe war umwerfend, doch der Gentleman in ihm mahnte zu mehr Distanz, wollte nicht aufdringlich erscheinen. Er trat zurück und sammelte einige Bälle ein. Dann wartete er, bis sie sich bereit gemacht hatte und warf ihr den ersten zu.

Sie war konzentriert und aufmerksam. Ihr Blick war auf den Ball gerichtet und sie versuchte dessen Flugbahn zu erkennen. Aber sie brauchte zu viel Zeit und verfehlte ihn entsprechend.

„Nochmal bitte.“

Er kam dem Wunsch gern nach.

Doch ein Ball nach dem anderen prallte auf den Boden und wirbelte rötliche Staubwolken auf. Saber zählte nicht mit, wie viele Bälle er warf, dafür war er zu beeindruckt davon, wie ehrgeizig sie versuchte sie zu treffen. Andere hätten längst aufgegeben, und er selbst kam sich wie eine menschliche Ballwurfmaschine vor. Doch er beklagte sich nicht, dafür erstaunte sie ihn zu sehr.

Dann verriet ein Plong den Aufprall es Balles auf dem Schläger und im nächsten Moment flog er auf den Werfer zurück.

„Ja!!!“ Sie riss die Arme in die Luft. Ihre Augen funkelten auf, ihr Gesicht erstrahlte.

In seinem Bauch breitete sich Wärme aus, als er sie so sah.

„Gut gemach. Du lernst schnell“, lobte er.

„Ich weiß nicht, ob das schnell war.“ Sie hob die Schultern. „Gleich nochmal. Bitte.“

Es schien ihr Spaß zu machen.

„Es gibt genügend Menschen, die das nach dem ersten Training noch nicht können“, erwiderte er und warf ihr den nächsten Ball zu. Wieder schlug sie ihn zurück. Wieder jubelte sie. Wieder erstrahlte ihr Gesicht.

„Das wird immer besser, Bee.“ Er warf noch weitere Bälle zu, bis er erkannte, dass sie das für den Anfang gut beherrsche.

Er fing den letzten Ball auf und betrachtete sie. Ihre Wangen waren gerötet. Sie atmete sichtbar und fächelte sich mit der Hand Luft zu. Aber das Leuchten in ihrem Gesicht verschwand nicht.

„Wann können wir richtig spielen?“

Auch ihr Eifer schien nicht zu verebben .

„Bei deinem Talent dürftest du in zwei bis drei Stunden soweit sein, dass wir über das Netzt spielen können“, erwiderte er. Sein Blick verfing sich an ihrer Gestalt. Feine Härchen klebten auf ihrer verschwitzen Stirn. Ihre Haut glänzte unter einer feinen Schicht körpereigener Kühlung. Ihre schlanke, fast dünne Gestalt wirkte geschmeidig und das Kleid unterstrich diesen Eindruck. Der Saum schwang verspielt mit jeder ihrer geschmeidigen Bewegungen. Er hatte Mühe nicht darauf zu starren und auch dem Ausschnitt, dem herzförmigen, nicht mehr Beachtung zu schenken, ganz gleich wie sehr er dazu einlud.

„Wenn dir zu heiß wird, sag es bitte. Wir können auch ein anderes Mal weitermachen.

„Ähm…“ Sie antwortete sehr zeitverzögert. Sie schaute auf seine hochgewachsene Statur, die breiten Schultern und den Oberkörper, dessen Konturen sein T-Shirt nicht wirklich verbergen konnte. Immer wieder verfing sich ihr Blick in seinem Haar, welches so sonnengoldig glänzte. „Es ist tatsächlich heiß“, brachte sie endlich hervor.

Er fragte sich einen Moment, ob ihr klar war, dass es einen zweideutigen Unterton hatte. Aber er schüttelte leicht den Kopf und lief zu seiner Tasche auf der Bank. Er suchte nach seiner Wasserflasche und reichte sie ihr.

„Hast du Durst? Ich kann dir leider nur Wasser anbieten.“

„Ein bisschen“, erwiderte sie leise. Sie nickte dankend, als sie die Flasche annahm und leerte sie mit gierigen, großen Schlucken.

Da verschwand der letzte halbe Liter in ihrem durstigen Hals. Saber staunte nicht schlecht, wie gierig sie trank.

„So so, ein wenig Durst“, lächelte er milde. Der befangene Blick mit dem sie ihm die Flasche zurückgab, verwunderte ihn.

„Tja“, begann sie langsam und schien nach Worten zu suchen. Ihr Magen knurrte vernehmlich. Sie senkte ihren Blick. Diese unbeholfene Art wirkte einmal mehr auf ihn.

„Bist du hungrig?“ Das war eine rhetorische Frage, deshalb fügte er schnell hinzu. „Ich könnte einen Happen zu essen vertragen. Darf ich dich heute einladen?“

„Ja, gern.“ Sie nickte lächelnd.

Er schnappte sich die Tasche und sah sich suchend um.

„Hast du auf etwas bestimmtes Lust? Italienisch, Spanisch, Griechisch?“

Sie hob darauf die Schultern und wies auf das Hauptgebäude, in welchem sich der Empfang und des Cafe befanden und in das sich die drei Freunde zurück gezogen hatten. „Warum nicht dahin?“, fragte sie schlicht. Er nickte zustimmend und hielt ihr die Gittertür auf.

Es war immerhin naheliegend. So führte er sie über den roten Staub auf das Gebäude zu. Sicher war es sogar die beste Idee. Die Klimaanlage in dem Gebäude würde ihr gut tun und sie würden sich akklimatisieren können. Er führte sie auf den Tisch zu, an dem seine Freunde saßen und von dem eben Teller abgeräumt wurden. Offensichtlich waren sie gerade mit dem Essen fertig.

Colt, Fireball und April begrüßten die beiden munter und April reichte der jungen Frau eine Menükarte.

Saber schob ihr den Stuhl zurecht und stellte erleichtert fest, dass ihre Röte abzuglühen begann, während sie die Karte studierte.

„Du Arme, hat er dich so gescheucht?“, neckte die Navigatorin leicht.

„Also, wirklich. So jagt man keine Frauen, Boss“, grinste Colt.

Irritiert sah sie die beiden an, bestellte, als die übereifrige Kellnerin kam, Sandwiches und Salat. Saber fügte einen Salat der Bestellung hinzu und stellte, an die Spottdrosseln gewandt, klar: „Ich scheuche keine Damen.“

„Stimmt, du scheuchst nur deine Angestellten. Frauen verwöhnst du“, neckte Fireball.

„Na, was bin ich jetzt. Angestellte oder Frau?“ fragte die Blondiene scherzend.

„Für Saber meistens Angestellte“ mutmaßte der Rennfahrer.

Nun mischte sich Bee in das Gespräch ein, welches sie ernsthaft verfolgt hatte.

„Er ist dein Kommandant, oder nicht?“, wollte sie wissen.

Die drei warfen sich verwunderte Blicke zu bei der seltsamen Frage.

„Ähm, ja. So kann man es nennen. Saber ist unser Chef“, versuchte April zu erklären, war damit aber nicht erfolgreich.

„Star Sheriffs haben keine Hierarchie?“, bohrte sie verwundert nach.

„Doch, wir haben eine Hierarchie, aber wir beschränken uns nicht auf die offizielle Befehlskette. Bei uns darf jeder Vorschläge äußern, aber die Entscheidung trifft Saber, wenn wir uns nicht einig sind.“ Vielleicht waren ihre Worte jetzt verständlicher. April konnte sehen, wie sie darüber nachdachte, aber es brachte sie nicht weiter.

„Alle?“

„Ja, wir alle. Wir verlassen uns nicht auf einen, und wir befolgen nicht blind irgendjemandes Befehle“, meinte der Rennfahrer etwas verständnislos.

Jetzt runzelte sie die Stirn und wirkte, als hätte er sie vor den Kopf gestoßen. „Ein Vorgesetzter hat die Verantwortung und keine Zeit für Diskussionen. Das ist nicht effektiv, findet ihr nicht?“

Die Kellnerin brachte ihre Bestellung und mit einem raschen, großen Bissen verschwand prompt eine Hälfte des ersten Sandwiches im Mund Bees.

Saber beobachtete sie. Sie musste ja ausgehungert sein, wenn sie das Essen so verschlang. „Was Fireball versucht hat, dir zu sagen, war nichts anderes, als dass wir vier als Freunde zusammen arbeiten. Ja, im Ernstfall habe ich die Verantwortung und da diskutieren wir auch nicht lange, da wird entschieden. Wir ziehen an einem Strang, das macht uns stark.“

Colt nickte zustimmend und ergänzte, um den Schotten zu unterstützen: „Wir geben uns gegenseitig Rückendeckung. Etwas, was ich noch bei Outridern gesehen hätte.“

Sie kaute hungrig, ehe sie etwas dazu erwiderte. „Trotzdem sollte man Autoritäten nicht untergraben. Da kommt nichts Gutes bei raus“, meinte sie dann.

„Wir untergraben auch keine Autoritäten“, stellte April richtig. Es war sicher nicht immer leicht zwischen Privat und Beruf zu trennen, ihnen selbst gelang das auch nicht immer, aber ihr Gegenüber schien davon noch nie gehört zu haben, deshalb glaubte Ramrods Navigatorin es ihr erläutern zu müssen. „Sieh mal, wir sitzen als Freunde hier zusammen, privat. Wir genießen unseren Urlaub zusammen und necken uns, ja. Aber wir respektieren uns, das macht den Unterschied aus.“

„Das verstehe ich nicht. Was ändert das denn an den Hierarchien?“ Restlos verschwand das erste Sandwich nun im Mund der jungen Frau mit dem blass lila Haar.

„Wir sind ein Team. Wir alle tragen die Entscheidungen mit. An den formellen Strukturen ändert das vielleicht nichts, aber wir stehen hinter Saber, so wie er hinter uns steht“, sagte April und hoffte, dass sie nun verstand. Fireball unterstützte sie gleich dabei.

„Wir sind keine Einzelkämpfer, weil wir wissen, dass man zusammen mehr erreicht.“ “Man, Bee, man könnte meinen, du kommst aus einer Diktatur. Wir denken eigenständig, hinterfragen manches, aber im Endeffekt sind wir wie eine Familie“, sprach Colt schließlich aus, was die anderen beiden dachten.

Saber staunte über die Diskussion, die entstanden war, mehr noch aber freute ihn, dass seine Crew tatsächlich nicht nur Kameraden sondern wirkliche Freunde waren und das sofort glühend vertraten.

Während dessen kaute die Angesprochene nachdenklich und schluckte ihr Essen runter. Dann setzte sie zu Widerspruch an: „Nein, nein, eine Familie und eine strukturierte Einheit kann man nicht mit einander vergleichen. Das sind ganz andere Regeln, die da gelten, gelten müssen. Ihr werft ja alles in einen Topf und rührt kräftig. Wie habt ihr so auch nur einen Angriff überlebt? Ist es das, was man als 'mehr Glück als Verstand' nennt?“

„Wieso kann man das nicht vergleichen? Soll uns der Teamkamerad egal sein?“, fragte der Rennfahrer verständnislos.

Saber bekam das Gefühl eingreifen zu müssen. „Die Regeln in einer Einheit sollten die gleichen, wie in einer Familie sein. Respekt, Interesse und Anteilnahme am Leben des anderen, Vertrauen ineinander, Zusammenhalt. In einer Familie funktioniert es auch nicht, wenn nur einer alles entscheidet oder für alles verantwortlich ist. Glückliche Familien halten zusammen, gehen gemeinsam durch schwere Zeiten. Das macht auch eine gute Einheit.“

Sie blinzelte und begann darüber nachzudenken, als plötzlich hinter dem Raumteiler Snow auftauchte und wütend die Hände in die Hüften stemmte. „Na, gehört? Familien halten zusammen!“, fauchte sie schäumend.

Kapitel 5

Alle fuhren erstaunt herum und sahen die weißhaarige überrascht an.

„Wow, holla Snow. Ruhig. Wir haben sie zum Essen eingeladen.“ Colt lächelte die Wütende an und hoffte, es war charmant genug um sie zu besänftigen. „Möchtest du auch etwas?“ bot er ihr an und zwinkerte ihr zu. An der Bar letzten Abend schien ihr das gefallen zu haben. Doch es verfehlte seine Wirkung diesmal vollkommen. Snow ging darauf nicht an, stattdessen fuhr sie ihn an. „Sie hat gar nicht hier zu sein.“ Dann richtete sich ihre Wut auf den Grund dafür. Die junge Frau mit dem blass lila Haar war regelrecht zusammen gezuckt, als Snow aufgetaucht war. Unter dem fauchenden Wortschwall zuckte sie gleich noch einmal zusammen. „Bist du wahnsinnig geworden? Du weißt, was er gesagt hat!“

„Ich hab nur einen …“, begann sie sich zu erklären, brach aber ab, da sie wusste, dass es ungehört bleiben würde.

„Keine Sorge. Wir haben uns zufällig beim Tennisspielen getroffen. Danach sind wir hier her essen gegangen. Es ist nichts passiert“, sprang Saber für sie ein. Er wollte lieber nicht fragen, wer ER war. Das kleine Wort hatte einen Knoten in seinem Magen verursacht, sehr viel schneller, als er geglaubt hatte.

Seine Worte trugen auch nicht gerade zur Beruhigung der Schnaubenden bei. Tatsächlich verdüsterte sich deren Miene noch mehr.

„Tennis spielen?“, rief sie aufgebracht aus. „Du vertrödelst Zeit mit Spielen? Hast du jetzt völlig den Verstand verloren?“ Sie packte die Gescholtene am Arm und zerrte sie vom Stuhl. „Ab nach Hause mit dir, Beth. Für so einen Quatsch haben wir keine Zeit.“

„Kann ich wenigstens noch auf essen?“ brachte diese hervor und griff nach dem zweiten Sandwich. „BETH?“, echote es im Chor.

„Hey, Moment! Wieso Beth? Hast du uns angelogen?“ Saber würgte die Fragen hervor. Enttäuschung lang in jeder von ihnen gleichermaßen wie der Wunsch nach einer klärenden Antwort.

Das Sandwich fiel auf den Teller zurück. Mit großen Augen starrte sie ihn an und suchte nach Worten.

„Ich hab ... Es tut mir leid, Saber. Ich ... Saber, ich ...“

Snow neben ihr rollte mit den Augen

„Ja, Beth ist verdammt noch mal ihr Name“, herrschte Snow die Freunde an. Dann zerrte sie Beth mit sich und zeterte weiter. „Siehst du, wenn sie nicht mal das wissen, wenn sie sich nicht mal dafür interessieren, kannst du deine Studien woanders fortsetzen und musst dich ihm nicht widersetzen. So ein Blödsinn. Echt, man."

Beth hätte sich zur Wehr gesetzt, würde nicht ein schmerzhaftes Ziehen in der Herzgegend und ein eisiges Gefühl im Magen sie verwirren. Mit fragend, großen Augen sah sie zum Schotten, der vom Stuhl aufsprang und ihnen folgte.

Er handelte nur, er dachte nicht nach. „Welche Studien? Snow, Beth!“ verlangte er zu wissen. Snows Worte stachen, stachen tief. Er interessierte sich für Bee, Beth, was auch immer ihr Name war, er interessierte sich für sie, er wollte sie kennen lernen.

Snow schubste Beth zur Tür hinaus und fuhr zu Saber herum. Sie versperrte ihm mit den Armen den Weg und fuhr ihn an. „Lass sie in Ruhe! Lasst uns in Ruhe! Verstanden! Er hat es verboten und das nicht ohne Grund. Mit eurem ... Was weiß ich, was das ist - das ist vorbei. Kapiert?“

Genauso schwungvoll wandte sie sich ab und zerrte Beth mit sich.
 

Wie vor den Kopf geschlagen blieb der Schotte stehen. Einige Augenblicke lang starrte er den beiden Frauen nach, sah wie Beth zu Protest ansetzte, den Snow ignorierte.

Als die beiden aus seinem Blickfeld verschwanden, schaffte er es sich zu bewegen und zu seinen Freunden an den Tisch zurück zukehren. Dumpf sah er auf den Teller, auf dem noch das zweite Sandwich lag. Er starrte einen Moment lang darauf, dann setzte er sich auf ihren Stuhl.

Bedrücktes Schweigen legte sich über sie. Jeder versuchte zu begreifen, was geschehen war.

Colt starrte noch auf die Tür durch die Snow verschwunden war. Sie hatte ihn kaum beachtet, ja so behandelt, als hätten sie sich nicht gut unterhalten, an dem Abend in der Bar. Heute war er für sie wohl einer… irgendeiner.

„Weiß jemand, wen Snow mit er gemeint hat?“, fragte April schließlich in die Ruhe nach dem Sturm.

„Ihr Freund?“, mutmaßte der Rennfahrer ruhig. „Ihr Vater? Ihr Bruder? Ihr Onkel?“

„Ich denke, es war ihr Bruder“, hörte Saber sich tonlos sagen. Nach allem, was er bisher wusste, lag das am nächsten. Es erleichterte ihn doch ein wenig.

„Wie kommst du darauf?“, wollte April wissen.

„Sie hat mir gestern erzählt, sie sei mit ihrem Bruder und ihren Schwestern geflüchtet. Ich denke, dabei hat sie nicht gelogen“, erwiderte er.

„Und was denkst du, bei was hat sie gelogen?“, hakte Colt nach.

„Ganz offensichtlich bei ihrem Namen“, presste er hervor, während er versuchte herauszufinden, ob sie ihn irgendwann belogen haben könnte. Er versuchte sich an ihre Worte zu erinnern und prüfte, ob sie wohl wahr sein mochten.

„Da hat sie sich wohl nur bei der Hälfte verschluckt. Bee ... Beth. Das muss noch nicht gelogen sein, so seltsam das alles auch ist und das ist es, kein Zweifel“, versuchte Fireball positiv darauf zu schauen, damit der Schotte nicht in Trübsinn versank. Es schien zu wirken, denn er nickte ohne zu zögern.

„Vielleicht. Ich würde diesem Geheimnis zu gerne auf den Grund gehen. Ihr Bruder ist ein seltsamer Typ, hat sich nur im Schatten rumgedrückt, so als wollte er sich verstecken, als hätte er etwas zu verbergen“, berichtete er.

„Du hast ihn gesehen? Hast du ihn erkannt?“, erkundigte sich Colt.

„Sie sind geflohen? Vielleicht liegt darin der Grund, dass er sich verbirgt. Wo kommen sie her? Hat sie dir das auch gesagt?“ April gewann ihre Fassung über diese Sachlichkeit zurück.

„Nein, ich hab ihn nicht erkannt.“ Er dachte einen Moment lang nach, dann begann er zu erzählen, was er von Beth erfahren hatte. „Sie waren in einer Siedlung nahe Pecos zuhause und sind vor den Outridern hier her geflohen. Auf der Flucht wurde eine Schwester wohl getötet. Be..th hat darüber nicht viel gesprochen, aber ich vermute Outrider. Die sind schließlich oft auf Pecos.“

„Von Pecos hierher. Das ist immer noch umkämpftes Gebiet. Kein Wunder stellt sie solche Fragen. Sie hat wahrscheinlich ein ganz anderes Leben geführt, als wir uns vorstellen können“, überlegte April laut.

„Ganz bestimmt sogar. Sie hatten keine Zeit für solche Banalitäten wie Spaß und Freizeit“, nickte der Schotte.

„Ich kann mir auch vorstellen, dass eine Flucht von Pecos hierher kein Zuckerschlecken ist. Seine Heimat verlassen zu müssen, alles zurücklassen zu müssen. So etwas prägt“, stimmte Fireball zu. Darüber waren sie sich einig.

„Wahrscheinlich will ihr Bruder deshalb weitere Treffen zwischen euch verbieten. Und Snow hat wohl auch genug mitbekommen und versucht ihre Schwester zu beschützen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie gelernt haben, Fremden zu vertrauen“, mutmaßte April weiter. An der Verwandtschaft hatte niemand mehr einen Zweifel. Die lag nach Snows Auftritt auf der Hand.

„Das kann sein. Sie hat auch viele Fragen über das Kämpfen gestellt, es war irgendwie... seltsam. So wie eben, als sie wegen der Hierarchie in unserem Team so verwirrt war“, sagte Saber und kratzte sich am Kopf.

„Vielleicht studiert sie? Eine Freundin von mir studiert Soziologie. Die stellt manchmal Fragen ... puh, das kann dein Weltbild ganz schön durcheinander bringen. Sie stellt einfach alles in Frage. Vielleicht studiert Beth das auch“, grübelte die Navigatorin weiter.

„Hm. Vielleicht. Sie scheint wissbegierig zu sein. Interessiert ist sie auf alle Fälle.“ Saber fuhr sich mit beiden durchs Haar, stützte die Ellenbogen auf die Knie und verflocht seine Hände mit einander. Er hoffte sehr, dass er sie noch einmal sah. Er hoffte es inständig, was irgendwie absurd war, da er sie kaum kannte. Doch schon jetzt hatte sie ihn so fasziniert, begeistert und neugierig auf mehr gemacht, wie er nicht für möglich gehalten hatte. Er war vielmehr derjenige gewesen, der dies als unwahrscheinlich wegargumentiert hätte. Jetzt war er es, der sich mitten in einer unwahrscheinlichen Lage. Er fasste es nicht.

„ Man könnte ja bei ihr Zuhause vorbei schlendern. Vielleicht kann man dann auch ein, zwei Vokabeln mit ihrem Bruder tauschen?“, schlug Colt vor und der Blonde hob den Kopf und sah ihn überrascht an.

Warum war er nicht darauf gekommen? Aber es war möglich. Er wusste wenigstens die Richtung, in der er nach ihrer Wohnung suchen konnte. Damit war es nicht ausgeschlossen, dass er ihr in dem Gebiet begegnete, wenn auch die Wahrscheinlichkeit bestand, dass es eine Weile dauert. Aber, Teufel noch mal, das war es wert, wenn er dafür Antworten bekam und wusste, woran er war.
 

Sie kehrte auf Ramrod zurück und verstauten ihre Sachen. Colt und Saber zogen sich nach einer kurzen Dusche um und verschwanden zügig von Bord. Seit der Cowboy seinen Vorschlag unterbreitet hatte, hatte er ihre Gedanken beherrscht.

Fireball und April ließen sie zurück. Das Ganze war weniger ihre Angelegenheit, sie betraf mehr die beiden.

Es war bereits früher Abend, weshalb sie sich ein Taxi nahmen, dass nach Sabers Erinnerungen an den Vorabend zu der von ihm beschriebenen Kreuzung brachte. Sie wussten nicht, wie lange sie suchen mussten. Es lag allerdings auf der Hand, dass es mit Einbruch der Nacht schwieriger werden würde. Die Fahrt hatte ihnen etwas Zeit gespart.

Saber gab dem Fahrer sein Geld und sah ihm nach, als er fort fuhr. Dann sah er sich um.

Es war Nacht gewesen. Die Beleuchtung durch die Laternen war eher spärlich gewesen. Das hatte ihm, schon den ersten Hinweis auf die Gegend gegeben, auch wenn er sehr in das Gespräch mit Beth vertieft gewesen war und der Umgebung in dem Moment weniger Beachtung geschenkt hatte.

Nun sah er jene schmale Straße hinunter, in der Beth und ihr Bruder verschwunden waren. Die beiden Häuser, die sie säumten waren vor vielen Jahren wohl mal Lagerräume gewesen, die nun leer standen. Sie waren renovierungsbedürftig und schäbig, aber noch an einem Stück, wenn man einige kaputte Fensterscheiben ignorierte.

Am Ende der Straße machten er und Colt einen Park aus. So weit sie sahen, war Park ein hochtrabendes Wort für die Handvoll Baumgruppen, zwischen die man Bänke gestellt hatte und etwas, das aus der Entfernung wohl eine steinerne Tischtennisplatte sein mochte.

„Du hast sie hierher begleitet?“, fragte Colt, doch etwas überrascht. „Das hat dich nicht stutzig gemacht?“

„Es war dunkel. Ich habe nicht viel von der Umgebung gesehen“, erwiderte Saber.

„Ja, ja, möchte ich wetten.“ Colt grinste verstehend und bog auf die Straße ab. Zielstrebig steuerte er auf den Park zu und ahnte bereits, was ihn am Ende der Straße noch erwartete.

Kleine Häuser, die alle schon mal bessere Zeiten gesehen hatten, und in denen die verkrachten Existenzen einer Gesellschaft meist ihr Obdach fanden, die sozial Schwachen, denen es aus eigener Kraft und aus eigenem Antrieb nicht gelang Fuß zu fassen.

Hier wohnten Alte und Arbeitslose und einige, die sich vor dem Leben in Rauschmittel flüchteten. Natürlich fehlten hier auch die nicht, die nicht gefunden werden wollten, egal von wem. Die Tramps und Streuner, die vorübergehend einen Unterschlupf brauchten, ehe sie weiter zogen.

Colt kannte solche Gegenden aus seiner Zeit als Kopfgeldjäger.

Vor dem Park am Ende der Straße blieb er stehen und sah sich um. „Von hier aus kann's überall und nirgends sein“, murmelte er vor sich hin und spähte prüfend umher.

„ Was meinst du, ist uns Fortuna hold?“, fragte der Schotte und versuchte zu erkennen, in welche Richtung Beth und ihr Bruder vergangene Nacht wohl gegangen sein mochten.

Colt betrat den Park, oder das, was mal einer sein sollte. Ein sandiger Weg teilte ihn beinahe mittig. Mehrere Trampelpfade zogen sich über das Gras. Nur einer davon schien etwas frischer zu sein und vermochte nicht, wie die anderen, die Richtung zu verbergen, aus der jemand kam oder in die jemand ging.

Saber folgte ihm und staunte einmal mehr über die Fähigkeiten seines Scouts scheinbar problemlos einen Ort zu finden von dem er nur vage wusste, wo er sein mochte.

Colt sah sich nach seinem Boss um und winkte ihn heran. „Keine Großsuchaktion“, sagte er grinsend und wies mit dem Finger den jungen Trampelpfad entlang.

„Na, wenn du das sagst.“ Saber setzte einmal mehr sein Vertrauen in ihn.

Sie folgten den Pfad bis zum Ende. Er mündete auf einem Fußweg, führte zwischen zwei alten Mauern vorbei, die Grundstücke begrenzten. Dann traten sie auf einen kreuzenden Fußweg. Sie schauten in beide Richtungen.

Auf der Straße fuhr ein klappriger Kleintransporter. Er hopste scheppernd über ein Meer aus Schlaglöchern.

Rechts von ihnen entdeckten sie ein Schild, welches auf eine Unterführung hinwies. Davor warb eine Reklametafel für einen Urlaub auf Futurama.

„Du hast also eine heiße Spur“, grinste Saber.

„Immer doch, wenn's um ein hübsches Mädel geht“, gab er zurück und schlug aufs Geratewohl den Weg zur Unterführung ein.

Die Häuser am Rand hatten, wie alle hier, mal eine schöne Zeit gesehen. Die war nur längst vorbei.

Auf Höhe der Reklametafel weckte ein weißes Häuschen Sabers Aufmerksamkeit. Er konnte nicht sagen, warum. Vielleicht, weil seine Scheiben nicht zerbrochen und mit Pappe geflickt worden waren, vielleicht, weil sie sauber waren. Das Haus war niedrig, trotz seiner zwei Etagen, und schmal. Die Wand, welche die Fenster umrahmten, ließ kein allzu großes Zimmer dahinter vermuten.

Auch Colt lenkte seinen Blick auf das Haus. Eine schmale Einfahrt mündete neben ihm auf ein kleines bisschen Grundstück, das an einer Treppe endete. Sie führte auf einen kleinen Balkon. Sie erkannten eine Tür, wahrscheinlich der Eingang.

„Aua.“

Colt fuhr überrascht einen Schritt zurück.

„Deine Trefferquote ist makellos, Kumpel“, bemerkte Saber und trat näher auf Beth zu, die sich den Kopf rieb. Sie musste aus der Unterführung gekommen sein, hielt in der anderen Hand eine Tüte mit Lebensmitteln.

„Hallo Beth", grüßte Saber warm.

Überrascht sah sie auf, von der Reklametafel zu den beiden. Ihr Gesicht verriet, dass sie nicht erwartet hatte sie wiederzusehen, schon gar nicht so bald.

„Saber… Hallo.“ Mehr brachte sie nicht hervor.

„Ich... Wir... wollten mit dir und deiner Schwester reden.“ Saber warf einen kurzen Blick auf seinen Scharfschützen. Der schob sich den Hut zurecht und nickte ihr zu.

„Warum? Es wurde doch alles gesagt. Er wird furchtbar wütend, wenn er euch hier sieht und wir“ Sie lebten noch nicht so lange hier und sie wollte nicht wieder umziehen müssen. „ Geht einfach.“ Jetzt klang ihre Stimme fester als zuvor, aber nicht überzeugend.

„Wir möchten euch helfen, wenn das möglich ist. Aber dafür müssen wir etwas über euch wissen. Ich frage mich zum Beispiel, weshalb dein Bruder nicht will, dass wir uns treffen“, führte Saber ihr aufrichtig aus.

„Das ist nicht wichtig“, wich sie aus. „Saber, wieso wollt ihr uns überhaupt helfen? Ihr kennt uns nicht. Ist das wieder so ein ... Verantwortung und Gesellschaftsding ...wie dein Job?“

Er schüttelte den Kopf. „Nein, es ist, weil ich dich mag. Es sind persönliche Gründe. Das hat nichts mit der Verantwortung der Gesellschaft gegenüber zu tun.“

Sie wich einen Schritt zurück. „Du magst mich?“, echote sie, als hielte sie seine Worte für eine Lüge.

„Ja, das tue ich“, erwiderte er schlicht.

„Wieso?“ Sie schien Mühe zuhaben ihn zu verstehen.

„Es ist ein Gefühl. Wir haben uns bisher gut unterhalten, uns gut verstanden und auch Spaß zusammen gehabt, oder nicht? Weshalb also sollte ich dich nicht mögen?“, erwiderte er und irritierte sie einmal mehr.

„Dir haben unsere Gespräche gefallen?“, hakte sie nach.

Er nickte nur. „Ja. Es ist schön, sich mit dir zu unterhalten.“

„Hört mal, das ist ja ein nettes Pläuschchen und so, aber es bringt gerade nicht weiter“, unterbrach Colt die beiden. „Bee, kann ich hier irgendwo etwas zu trinken her bekommen?“

Es war ein Vorwand, ein plumper, aber in irgendeine Richtung würde er führen. Beth sah sich um, als prüfe sie die Umgebung.

„Er ist nicht da, also kommt mit“, gab sie für einen Moment nach. „Aber danach verschwindet ihr und kommt nie wieder“, fügte sie an, damit sie nicht auf noch mehr Ideen kamen. Sie führte sie zu dem weißen Haus, die Treppe hinauf und öffnete die Tür. Vor ihnen breitete sich eine kleine Wohnküche aus. Eine Treppe führte auf der anderen Seite auf einen kleine Dachboden und ins Erdgeschoss.

Sie stellte die Tüte auf die schmale Arbeitsplatte und holte ein Glas aus dem Schrank. Dann schenkte sie Colt Wasser ein und reichte es ihm.

Sie sahen sich inzwischen in dem Zimmer um. Die Möbel waren zweckmäßig, wiesen schon Gebrauchspuren auf. So klein der Raum auch war, er war sauber und aufgeräumt. Auf den wenigen Quadratmetern herrschte Ordnung, aber es war zweifellos klein, wenn man sich vorstellte, dass hier drei Erwachsene zusammen lebten. Alle Sauberkeit und Ordnung vermochten nicht über die Tristes zu täuschen.

„Ich möchte wissen, weshalb dein Bruder uns für schlechten Umgang hält, Beth. Er kennt uns doch gar nicht“, nahm Saber den Gesprächsfaden von zuvor auf.

„Oh, doch er kennt euch. Genau das ist das Problem“, versicherte Beth ihm und strich sich eine Strähne hinters Ohr. „Ihr würdet nicht hier stehen und mit mir reden, ihr würdet weder mich noch meine Schwester mögen, wenn ihr es wüsstet.“ Ihre Stimme klang überzeugt.

„Mann, dem müssen wir aber mächtig in die Parade gefahren sein“, mutmaßte Colt und nahm einen kräftigen Schluck.

„Woher willst du das wissen?“, bohrte Saber nach.

„Ich weiß es, das reicht. Darum hat er auch Recht. Es ist nicht gut wenn wir uns sehen.“ Sie schaute Saber an. Einverstanden schien sie mit dem Verbot nicht zu sein und sie mied es tunlichst, näher auf seine Fragen einzugehen. Aber so schnell wollte er sich nicht abwimmeln lassen.

„Warum soll es nicht gut sein? Nur weil dein Bruder das sagt? Was denkst du denn, was so schreckliches passiert, wenn wir uns sehen?“, hakte er nach.

„Oh, das wird ... explosiv.“ Sie schaute zur Seite und strich sich über den Arm. Dann richtete sie ihre großen Augen wieder auf den Schotten. „Saber, ich finde dich interessant und es ist mir ernst, wenn ich dir sage: wenn Colt fertig ist, geht.“ Ihre Augen waren unverwandt auf ihn gerichtet, als wollte sie ihn davon überzeugen, zu tun, was sie sagte.

Interessant konnte er nicht sein. Das Wort täuschte über das hinweg, was sie wohl eigentlich hatte sagen wollen. Warum sonst warnte sie ihn so eindringlich? Ein Schauer der Zuneigung durchfuhr ihn. Er trat ihr näher und beugte sich leicht zu ihr hinunter.

„Können wir uns alleine noch einmal treffen? Ich will es verstehen. Auch, warum uns dein Bruder nicht mag“, bat er sie sanft. Sie schüttelte den Kopf, aber sie zögerte merklich.

Ein Poltern von der Tür her ließ die drei zusammen fahren.

Ein leerer Wäschekorb lag am Boden, daneben stand eine erschrockene Snow.

„Oh mein Gott, was hast du jetzt wieder getan?“

„Nichts. Sie hat gar nichts getan“, erwiderte Colt. Er kam ihr entgegen und hob den Korb auf. „Snow, keine Bange. Wir wollen nur mit euch reden.“ Dabei stellte er den Korb auf den Esstisch.

„Was an ‚Lasst uns in Ruhe‘ habt ihr nicht verstanden?“, fuhr sie ihn an. „Und du? Wieso bringst du sie ausgerechnet hier her? Bist du dumm?“, herrschte sie ihre Schwester an.

„Sie waren in der Gegend. Und er ist ja nicht da. Sie wollten auch gleich wieder gehen“, versuchte sie sie zu beschwichtigen.

„Das stimmt. Beth kann nichts dafür“, versicherte der Schotte prompt.

„Mich persönlich stachelt "Lasst uns in Ruhe" ziemlich an. Vor allem, wenn es nicht von derjenigen welchen selbst kommt. Fremdbestimmt ist doof“, versetzte der Scharfschütze unbeeindruckt.

„Du bist offensichtlich doof, sonst hättest du auf das gehört, was dir gesagt worden ist. Warum seid ihr noch hier? Ich wette, sogar Beth war klug genug euch zu sagen, dass ihr gehen sollt“, parierte die weißhaarige aufgeregt.

„Weshalb putzt du Beth so runter?“ Saber baute sich vor der Gescholtenen auf. „Sie ist nicht dumm“, verteidigte er sie.

„Weil sie nun mal etwas dummes getan hat“, erklärte Snow streng. „Dafür gibt es keine Entschuldigung. Wenn ihr uns helfen wollt, dann geht und lasst uns in Ruhe. Noch ist Zeit. Noch ist er nicht da.“ Ihre Hand wies zur Tür, forderte sie auf zu gehen.

„Echt, jedes Mal, wenn ihr von ‚Ihm‘“ Er betonte das letzte Wort deutlich. „sprecht, werde ich neugierig, wer das wohl ist. Ich bin eigentlich nur da, um den Typen kennen zu lernen.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und signalisierte deutlich, dass er nicht vorhatte irgendwohin zu gehen.

Die Schwestern seufzten frustriert. Wieso taten die beiden nicht endlich, was sie ihnen sagten? Diese unsinnige Weigerung von Fremdbestimmung war gerade einfach nicht nachvollziehbar. War auch klar, dass es fraglich war ausnahmslos jedem Befehl zu gehorchen, war es hin und wieder doch notwendig einfach genau das zu tun, was einem gesagt worden war. Jetzt war ein solcher Moment. Aber wie sollte sie das den beiden Starrköpfen klar machen? Ohne sie aus der Tür zu treten?

Diese Tür öffnete sich nun knarrend und langsam traten schwere Schritte ein.

„Wie oft müssen euch die beiden jetzt noch sagen, dass ihr gehen sollt? Soll ich euch persönlich zur Tür raus treten?“ Kühl und entschlossen klangen die Worte. Ihr Sprecher war bereit, sie umzusetzen, wenn es sein musste.

„Ach du Scheiße.“ Beth und Snow stöhnten auf. Jetzt war es zu spät.

Saber und Colt richteten sich auf und musterten den Neuankömmling. Ohne Zweifel war es der gleiche Mann, den der Schotte in der Nacht zuvor gesehen hatte. Seine kühle, ruhige Stimme kam ihnen bekannt vor.

Ruhig, nicht so kühl wie beim Eintreten forderte ihr Bruder die Mädchen auf: „Snow. Beth. Lasst uns allein.“

Wortlos huschte Snow an ihm vorbei aus der Tür. Beth folgte ihr, blieb aber einen Moment lang stehen.

„Es tut mir leid“, entschuldigte sie sich.

„Schon okay.“ Der raue Klang überdeckte den Hauch von Wärme in seinen Worten. „Raus jetzt!“

Sie nickte und folgte ihrer Schwester.

„Wir sind allein, dann könne wir reden“, stellte Saber nüchtern fest.

Kapitel 6

„Jean, du... Ich hatte gehofft, die Lawine hätte dich für immer in Ötzi verwandelt“, knurrte Colt, den die Erinnerung zum Kochen brachte.

„Dann hast du vergessen, wer ich bin ... oder viel mehr, was.“ Jean-Claude schob die Kapuze zurück und gab sich klar zu erkennen. „Ich hätte es wissen müssen. Ihr Blechsterne könnt es einfach nicht lassen eure Nasen in alles reinzustecken. Wir hätten längst weiterziehen sollen.“

„Wie könnte ich das vergessen? So ein Stinktier wie du ist mir selten in meinem Leben untergekommen“, schnaubte der Scharfschütze zurück.

„Jean-Claude, ihr seid Outrider. Was sucht ihr in unserer Dimension?“, fragte der Schotte sachlich. Beth‘ Worte hallten in seinem Kopf wieder. Sollte sie ihn in diesem Moment belogen haben? War es ein Fehler ihr zu glauben? Er entschied sich, es herauszufinden. Jean-Claude würde ihn auslachen, sollte er sich irren. „Wovor seid ihr auf der Flucht? Vor euren eigenen Leuten oder vor eurem Gewissen?“

Der Gefragte lachte bitter auf. „Was glaubst du wohl? Was glaubst passiert, wenn man nach einer Mission zurückkehrt, die nicht erfolgreich war?“

„Nemesis kennt kein Erbarmen“, nickte Saber verstehend. Sie hatte also die Wahrheit gesagt. Warm breitete sich eine Welle der Erleichterung in ihm aus.

„Wir sind Soldaten. Wir haben Missionen zu erfüllen“, entgegnete der Outrider kühl und hob die Schultern. Großen Eindruck schien es nicht auf ihn zu machen.

„Das klingt für mich nicht nach Soldaten, sondern nach Werkzeugen, nach Sklaven.“ Der Schotte prüfte sein Gegenüber.

„Oh ja, darin seid ihr auch gut, auf alles herabzusehen, was nicht eurer Lebensweise entspricht. Beth mag ja naiv sein, aber sie ist nicht dumm und sie hat mir erzählt, worüber ihr euch so unterhalten habt.“ Beinahe lachte Jean-Claude, dann aber schüttelte er den Kopf. „So selbstherrlich“, meinte er, als täte es ihm leid.

„Selbstherrlich? Weshalb? Weil wir uns verteidigen? Oder weil wir in keiner fremden Dimension einfallen und deren Bewohner niedermetzeln?“ Der Recke fühlte sich angegriffen. Mehr noch, getroffen. Selbstherrlich war eine Bezeichnung, die er für sich und seine Freunde als vollkommen unpassend empfand. Er war von der Richtigkeit ihrer Missionen, ihrer Arbeit überzeugt. Sein Bild über Freund und Feind war ziemlich souverän und klar. Dass ausgerechnet Jean-Claude, der Feind, daran zu rütteln wagte, missfiel ihm in dem Moment, ganz besonders, da er es war, der ihm den Kontakt zu seiner faszinierenden Schwester Beth untersagen wollte.

Auch für Colt war klar, wer hier Freund und Feind war. Jean-Claude gehörte zu der letzteren Kategorie. Der Cowboy hatte die Ereignisse im Ski-Urlaub genauso wenig vergessen, wie Saber und es trieb seinen Puls wütend in die Höhe.

„Das sagt gerade der richtige! Du selbstgefälliges Arschloch hast unschuldige Kinder in den Krieg mit hineingezogen! Du hättest Pierre und April von einem Eiszapfen erschlagen lassen. Macht dir das Spaß, Frauen und Kinder zu traumatisieren?“, brummte er ihn düster an.

Ein dünnes, kühles Lächeln zog sich über Jean-Claudes Lippen. „Seht ihr, genau das meine ich mit selbstherrlich. Was ihr nicht versteht, ist, dass Systeme sich unterscheiden. Ein Benziner, ein Diesel, ein Hybrid oder ein Elektroauto - sie alle fahren, auf unterschiedliche Weise. Nur weil euch ein System nicht vertraut ist, muss es längst nicht ausschließlich schlecht sein. Aber natürlich machen wir alles nur zum Spaß. Wir wissen zwar nicht, was das ist, aber wen juckt das, wenn man so ein schönes Vorurteil hat. Nicht wahr?“ Ein gewisser Hohn in seiner Stimme war nicht zu leugnen.

„Eine Diktatur ist keine Demokratie und beide sind keine Monarchie. Auch bei uns Menschen gibt es unterschiedliche Systeme. Wir schaffen es dennoch, halbwegs friedlich miteinander zu leben. Das gelänge auch mit euch, wenn etwas mehr Diplomatie im Spiel wäre“, gab der Blonde darauf zurück.

„Wie kannst du nur so mit ihm reden, Saber? Als ob der irgendwas verstehen würde. Jean-Claude ist ein blinder Befehlsempfänger der Outrider! Es würde mich nicht wundern, wenn sie uns in eine Falle gelockt hätten“, knurrte Colt und presste die Zähne fest zusammen. Da war es ihm also beinahe wieder passiert. Er war schon einmal einem hübschen Phantomgesicht aufgesessen. Annabell hatte damals geschafft, ihn gegen seine Freunde aufzubringen. Geschickt hatte sie ihn manipuliert und jene Knöpfe gedrückt, bei denen er nur zu gut ansprang. Beschützer, Rebell, Unterstützer und Liebhaber – ehe er wusste wie ihm geschah, hatte er sich wiedergefunden, um ihren Finger gewickelt. Darin waren diese Frauen offensichtlich gut.

Snow war taff, hatte ihm das Gefühl gegeben, ein Mädchen zum Pferde stehlen getroffen zu haben. Sie war nicht so zielstrebig auf Körperkontakt aus gewesen, wie die rotmähnige Teufelin, aber das war wohl Teil der Strategie. Colt schnaubte getroffen.

„Natürlich, Colt. Genau so muss es sein. Ich bin ein Outrider. Da bin ich zwangsläufig wie alle anderen sein und alle anderen sind wie ich. Ihr habt nicht die leiseste Ahnung, aber dafür die lauteste Meinung. Ihr sucht den Dialog ja auch nicht gerade. In meiner ganzen Dienstzeit habe ich nicht einen Gesandten eurer Seite getroffen, der es versucht hätte uns so zur Hölle zur schicken, dass wir uns auf die Reise freuen. Also, behaltet eure Vorwürfe. Sie passen ganz gut zu euch. Sie sind der Grund, warum ich meinen Schwestern verboten habe, sich mit Star Sheriffs einzulassen. Sie wollen nicht verstehen, sie argumentieren nur eloquenter.“ Jean-Claude blieb unbeeindruckt vom Ausbruch des Scouts. Kühl und gelassen musterte er die Star Sheriffs vor sich und versuchte abzuschätzen, in wie weit ihre Anwesenheit hier tatsächlich gefährlich für ihn und seine Schwestern war. Noch war er sich nicht hundertprozentig sicher.

„Commander Eagle selbst hat den Frieden mit den Outridern angestrebt, falls du das vergessen haben solltest, Jean-Claude. Aber vielleicht hast du das nur nicht mitbekommen, weil du in einer Phantomkammer von Nemesis deine Strafe abgesessen hast. Dein Oberindianer und Jesse Blue haben einen andauernden Frieden zwischen beiden Rassen vorerst verhindert. Die neuerlichen Überfälle auf unsere Dimension tragen nicht gerade dazu bei, dass wir euch freundlicher gesinnt sind oder die Verhandlungen fruchten werden. Mir ist durchaus bewusst, dass es auch unter den Outridern solche und solche gibt. Wir haben von Commander Eagle von den Mönchen erfahren, sie haben ihm geholfen. Aber du, oder Orat oder besonders Gattler - ihr habt versucht, unsere Dimension für Nemesis Untertan zu machen. Beweise mir, dass du dich geändert hast, dann bin ich gerne bereit, meine Meinung zu ändern. Deine Schwester ist die einzige, die von uns hier ohne Vorurteile ist, denn du bist mindestens so voll damit beladen, wie wir. Hör dir an, was deine naive Schwester zu sagen hat. Sie versucht die Welt, in der sie lebt zu verstehen, und nicht, sich in ihr zu verstecken und unterzutauchen, so wie du das machst“, entgegnete der Schotte entschieden und musterte den grünhaarigen Outrider mit der gleichen Aufmerksamkeit, die der ihm und dem Scharfschützen schenkte.

Der sah kurz zur Decke hinauf um sein Grinsen zu verbergen. Ein Teil der Worte des Recken waren schichtweg lächerlich vorurteilsbeladen. Dann richtete er seinen Blick wieder auf ihn und nickte langsam.

„Da bin ich dann doch fast gewillt, dir Recht zu geben. Bis auf ein zwei Kleinigkeiten. In Haft wird man nicht gerade auf den neuesten Stand gebracht über die politischen Entwicklungen und Befehle führt auch ihr aus. Verstecken und Untertauchen sichert uns gerade das Überleben oder was meinst du, wie es der Führung gefällt, wenn die eignen, hochrangigen Leute türmen? Außerdem ist mir sehr wohl bewusst, dass ich hier kein gern gesehener Gast bin. Es ist immer noch besser, als die Alternative. Was meine Schwester angeht, scheinst du tatsächlich zu glauben, ich hielte ihre Naivität für eine Schwäche.“ Er musste es sich verkneifen aufzulachen. „Da irrst du aber. Ich beneide sie darum.“ Damit trat er von der Tür weg und gab ihnen ein Zeichen zu gehen.

„Im übrigen ist es auch an euch, euch zu beweisen, falls ihr Ernst gemeint habt, was ihr meinen Schwestern sagtet“, fügte er dann an und nickte mit dem Kopf. Die stumme Aufforderung, dass es jetzt definitiv Zeit war, dass die beiden Land gewannen.

„Ich schließe aus deinen Worten, dass du selbst mit deiner Führung nicht einverstanden bist und beschlossen hast, für dich und deine Schwestern ein besseres, friedliches Leben zu schaffen“, antwortet Saber langsam und nachdenklich. Er musterte Jean-Claude von Kopf bis Fuß. „Es ist für einen Outrider nicht einfach in der menschlichen Dimension, nach allem, was in den letzten Jahren an Scharmützeln geliefert wurde, das ist wahr“, gestand er ihm zu und nahm Colt am Arm, dankbar dafür, dass dieser nur vor sich hin kochte, aber nichts mehr sagte. „Ich meine, was ich gesagt habe. Immer noch. Wir werden helfen, solange ihr uns nicht in den Rücken fallt und du ebenfalls ernst meinst, was du gesagt hast. Hilfesuchende werden im Neuen Grenzland nicht im Stich gelassen.“ Damit verließ er das Haus, Colt folgte ihm verhalten knurrend.

Jean-Claude sah ihnen nach, wie sie die Straße entlang liefen und auf den Pfad bogen, zwischen den Grundstücken, der zum Park führte.

Er wartete, bis seine Schwestern unter der Treppe hervorkamen und zu ihm eilten. Einen Moment lang musterte er die beiden.

Sie huschten in die Wohnung zurück. Er schloss die Tür.

„Was gibt es zu Essen?“ fragte er und ließ sich auf einen der Stühle am Esstisch fallen.
 

Der Weg zu Ramrod zurück war nicht lang genug, nicht lang genug um sich zu sortieren. Die Zeit, die ihnen das Taxi geschenkt hatte, brauchten sie nun, um ihren Besuch zu verarbeiten. Aber das war nicht so leicht.

In Colt waren alle bösen Erinnerungen aufgeflammt, die er lange verdrängt hatte. Annabell und Jean-Claude hatten sie geweckt und er konnte sie nicht wieder zum einschlafen bewegen. Nein, sie waren wach und lebendig als wären sie erst gestern geschehen.

Annabell, die ihn an sah, einladend und lasziv. Sein Herz hatte zu rasen begonnen, damals vor Sehnsucht, heute vor Wut. Heute kam er sich wie ein dummer kleiner Junge vor, der es ihr allzu leicht gemachte hatte, Spielchen zu treiben. Er war eine so willige Marionette gewesen auf der Suche nach einer Beziehung. Nicht das diese lange gehalten hätten. Selbst die vielversprechendste, Robin, selbst das war zerbrochen. Am Job und, auch wenn er es eher spürte als benennen konnte, an den Beteiligten. Häufige Abwesenheit seinerseits und seine Erwartung, diese zu akzeptieren, waren das eine Problem. Fehlende Akzeptanz und die Haltung zu seinem Job war das Problem der anderen Seite. Immer wieder. Es schockierte ihn, was für ein leichtes Ziel er auf diese Weise abgab. Unabhängig zu sein war das eine, einsam war das andere. Das war schon vertrackt und schmerzhaft genug.

Dann war da noch Jean-Claude selbst. Nach ihrer Begegnung auf Pecos – und jetzt wunderte ihn nicht mehr, warum er mit seinen Schwestern aus dieser Gegend hier her gesiedelt waren, Pecos war vertrautes Terrain für ihn – hatte er gedacht, er würde ihn nie wieder sehen. Dummerweise fiel seine kleine Affäre mit Annabell in die Zwischenzeit. Colt selbst hatte sie in die Phantomzone geschickt, was Jean-Claude ihm übel genommen und an April und den kleinen Piere ausgelassen hatte. Dass er seine geschätzte Navigatorin und einen unbeteiligten dritten, ein Kind obendrein, in seine Rachepläne hineingezogen hatte, konnte Colt dem Outrider in seiner dominanten Wut nicht verzeihen. Dass der Auslöser in Annabells Mission lag, und zu wie viel Zuneigung ein Outrider gegenüber seiner Familie im Stande war, vermochte der Scout in seinem enttäuschten Zorn noch nicht zu erkennen.

Saber hingegen grübelte über die Worte des grünhaarigen Outrider-Kommandanten nach. Nemesis war also nicht gnädig mit seinen ﹰUntergebenen. Er strafte sie. Es war ﹰJean-Claude dennoch gelungen zu entkommen und mit seinen ﹰSchwestern zu fliehen. Annabell, so reimte er sich zusammen, war dabei umgekommen. Das deckte sich, auch wenn Beth den Namen ihrer Schwester nicht genannt hatte, mit ihren Worten. Das Bild war stimmig.

Hart waren die Vorwürfe, selbstherrlich, vorurteilsbeladen und uneinsichtig zu sein, den diplomatischen Weg nicht zu suchen. Alles in ihm weigerte sich, ihnen Raum zu geben. Er hatte Jean-Claude seine Meinung gesagt, doch im Augenblick war es ihm nicht möglich sich nicht auf die des Outriders einzulassen. Dazu wirkte seine persönliche Betroffenheit gerade noch zu stark. Um sich mit dem Gesagten kritisch auseinander zu setzen, musste er sich davon befreien. Im Moment war das gar nicht so einfach. Selten traf ihn etwas emotional so nachhaltig, wie die Situation, in der er sich gerade befand. Der Grund lag, er sprang ihm doch immer wieder ins Gedächtnis und unterbrach seine Gedanken, in jenen großen, fast schwarzen Augen eines weiblichen Geschöpfes, das faszinierender und anziehender war wie keines davor. Der Wunsch sie kennenzulernen, auf allen Ebenen auf denen man einen anderen nur kennen konnte, war beinahe furchterregend, vor allem angesichts der Erfahrung, die ihn eines besseren belehrte. Belehren sollte. Aber das tat sie nicht, nicht in der Form, dass er sich schleunigst aus dem Staub machte, war sie doch wahrscheinlich ein Engel der Finsternis. Er rannte nicht. Nein. Etwas in ihm hielt ihn davon ab. Waren es ihre Augen, ihr ganzes geschmeidiges und anmutiges Äußeres? War es ihr Wissenshunger und die Fragen, die weltfremden wie die forschenden, prüfenden? Oder war es die Tatsache, dass sie nicht erpicht darauf schien, ihn zu berühren, Gelegenheiten zu erzeugen und zu nutzen ihm körperlich nahe zu kommen, um ihm im nächsten Moment das Hirn wegzublasen, auf welche Weise auch immer? Lilly hatte das getan. Aber Beth? Nur einmal war eine Berührung von ihr aus gegangen und die war unverfänglich, fast unschuldig gewesen.
 

Mit solchen und ähnlichen Gedanken im Kopf fanden sie sich in Ramrods Küche wieder ohne das es ihnen bewusst wurde. Mechanisch setzte sich der grüblerische Schotte an den Tisch, während Colt noch aufgewühlt durch den Raum tigerte.

Überreste eines Eisbechers schmolzen still in Glasschälchen vor sich hin. Fireball und April saßen wortlos an dem großen schlichten Tisch. Ihr Gespräch war zum Erliegen gekommen, als die beiden eingetreten waren. Nun musterten sie schweigend und verwundert ihre Freunde. Vergessen waren die Pläne für den nächsten Tag. Vergessen waren die Pläne für den heutigen Abend. Wie Sabers und Colts Suche gelaufen war, konnten sie ziemlich sicher erahnen. Ihr Verhalten verriet es deutlich.

Aber keiner der beiden sprach. Keiner der beiden machte Anstalten dazu. Wollten April und Fireball also mehr erfahren und Genaueres wissen, blieb ihnen nur eines übrig. Sie mussten sie fragen.

„Wie lief's?“, erkundigte sich April behutsam.

„Wohl nicht so gut.“ Auch Fireballs Stimme klang vorsichtig.

„Blitzmerker“, knurrte Colt zwischen den Zähnen hervor, ließ sich aber auf die Bank fallen. Ein erster Schritt, dass er sich bald beruhigen würde. Saber dagegen schwieg grüblerisch.

„Wollt ihr uns einweihen?“, tastete sich der Rennfahrer vor.

Die Frage gelangte in das Bewusstsein des Schotten. Er sah auf, schaute, noch immer nachdenklich, zur Navigatorin und dem Rennfahrer.

„Wir haben sie gefunden. Und ihren Bruder: Jean-Claude“, erwiderte er tonlos.

An den Namen erinnerte sich die Blondine gut. So viel Vertrauen sie damals im Skiurlaub auch in ihre Freunde gesetzt hatte, wie sehr sie vor dem kleinen Pierre auch Stärke gezeigt hatte, die Lage, in der sie sich befunden hatte, hatte ihr doch das Herz verrutschen lassen. Einmal quer durch den Körper. Für den Bruchteil des Momentes, den es gedauert hatte, bis der Eiszapfen sich gelöst und Fireball sie und den Jungen darunter hervor gezogen hatte. In diesem Moment war nicht Vertrauen oder Stärke in ihr gewesen, sondern Todesangst. Ganz gleich wie allgegenwärtig ihr Job dieses Gefühl machte, so nah war sie bis dahin selten gewesen. Auch wenn sie mittlerweile mit einem Rückblick darauf damit umzugehen, bescherte es ihre immer noch zunächst einen kalten Schreckensschauer, ehe sie sich wieder gefasst hatte.

„Sicher?“ fragte sie, erschrocken, als das eisige Gefühl durch ihren Körper schoss.

„Ganz sicher! Die Visage erkenn ich doch wohl noch“, knurrte Colt bissig.

„Holla", entfuhr es ihr, dann war die Kälte verschwunden und gab ihr ihr Gelassenheit und Objektivität wieder.

„Er hat euch an einem Stück gelassen. Wie kommt's?“ Fireball runzelte die Stirn. Das passte nicht zu dem Jean-Claude, den er kennen gelernt hatte.

„Vorläufig“, presste der Schotte dunkel hervor. Er grübelte noch „Sie sind tatsächlich auf der Flucht.“

„Auf der Flucht?“ Die Informationen zu einem stimmenden Bild zusammen puzzelnd, kratze er sich am Kopf. „ Wovor?“

„Vor ihresgleichen“, schnaubte der Scharfschütze. „Wer's glaubt?“ Er konnte sich das nicht vorstellen. Zu wütend war er noch immer.

„Du schon mal nicht. Was ist mit dir, Saber. Hältst du es für möglich?“, versuchte April die beiden zu ruhigen, klaren Gedanken zu führen.

Eine Weile blieb es still. Niemand sprach. Colt starrte vor sich hin, die Miene noch immer finster. Die beiden, die auf Ramrod geblieben waren, schauten sie prüfend an. Saber grübelte, versuchte zu sortieren, was er an Wissen in der kurzen Zeit erlangt hatte.

„Nicht nur Beth hat es erzählt. Jean hat es bestätigt. Er hat von Haft in der Phantomzone gesprochen“, fasste er seine Gedanken schließlich in Worte.

„Und du glaubst einem hübschen Phantomgesicht? Wieder?“ Kaum hatte der Rennfahrer diese Fragen gestellt, spürte er Aprils Ellenbogen in seiner Seite. “Nein. Aber es klingt nicht abwegig. Ich werde das prüfen.“ Eine weitere Überlegung des Schotten, die er aussprach.

„Tu das“, riet ihm die Navigatorin und überlegte einen Augenblick lang. „aber ich denke, du glaubst ihr zu Recht. Hier werden keine Vorfälle gemeldet, die den Verdacht nahe legen, Outrider stecken dahinter.“

„Habt ihr das in der Zwischenzeit gecheckt?“ Saber hob den Kopf und sah sie halb fragend, halb verwundert an.

„Man hätte uns entweder keine Urlaub gegeben oder uns aus unserem zurück gerufen, so wie sonst immer auch. Außerdem sind wir hier nur zur Patrouille gerufen worden, nicht zu Ermittlungen, so wie sonst“, erklärte sie schlicht, wie sie auf ihre Gedanken kam. Er nickte nur. Das leuchtete ihm ein.

„Das ist trotzdem kein Beweis, dass die Outrider hier ihre Finger nicht im Spiel haben und Jean-Claudes Mitleidsgeschichte stimmt“, widersprach Colt heftig.

„Es beweist auch nicht das Gegenteil“, versuchte sie ihn zu beschwichtigen. Fireball unterstützte sie darin.

„Es beweist de facto nichts. Lasst uns abwarten, vielleicht ergibt sich ja eine Gelegenheit, den Wahrheitsgehalt der Worte zu prüfen.“

„Da frag ich mich doch, wie du das anstellen willst?“ brummte Colt. Wie konnten sie nur so tun, als übersähe er etwas. Er wusste doch ganz genau wie das lief. Er hatte es selbst erlebt. Sie alle hatten es zu spüren bekommen, hatten es ausbaden müssen. Wie konnten sie nun so seelenruhig dasitzen und fragen, beinahe, wie es ihm vorkam, als ginge sie das Ganze nichts an, als wären sie nicht betroffen. Gut, sie waren nicht betroffen, nicht wie er, aber das rechtfertigte ihre Ruhe nicht. Fireball rieb sich die Nase, während er den Scout musterte. Das würde heute Abend noch andauern.

„Wenn etwas Ungewöhnliches passiert, reden die Menschen darüber. Sollten sich hier Outrider rumtreiben, kommt es uns sicher zu Ohren“, hielt er dagegen. “Menschen lassen sich täuschen“, parierte der Scharfschütze aufbrausend.

„Ja, weiß ich. Ich kenn da zwei Exemplare“, wollte der Wuschelkopf signalisieren, dass er im Bilde war und ihn verstand. Er war nur nicht sicher, ob diese Botschaft bei Colt auch so ankam. “Es bringt nichts, jetzt etwas übers Knie brechen zu wollen.“ Saber richtete sich auf und streckte sich. Noch hatte er all sein neues Wissen nicht verarbeiten können. Doch versuchte er krampfhaft die alten Erinnerungen zurück zu drängen und ihnen nicht zu gestatten, seine Gedanken zu vernebeln. Noch wollte er glauben, er hätte sich nicht gänzlich in Beth getäuscht, auch wenn sie ihm, und das stand fest, darüber im Unklaren gelassen hatte, wer sie war.

April konnte ihm gerade zustimmen als Ramrods Abtaster Alarm schlugen. Mit einem Satz war sie auf den Beinen und eilte zu ihrer Satteleinheit und prüfte die eingehenden Ergebnisse des Umfeldscans.

„Da ist deine Gelegenheit und mein Beweis, dass sie uns hinters Licht führen“, brummte Colt und folgte der Navigatorin auf die Brücke.

Fireball und Saber schlossen sich ihm an.

„Warte doch mal ab, oder weißt du, was da gerade los ist?“, rief der Pilot des Friedenswächters, als seine Schritte den Gang entlang hallten.

„April, was hast du auf dem Schirm?“ Die Frage des Recken klang nüchtern, als wäre er in seinem gewohnten Dienstmodus, doch das täuschte. Tatsächlich hoffte er, dass Jean-Claude und seine Schwestern ihnen nicht gefolgt waren. Das würde nicht Gutes bedeuten. Es würde bedeuten, seine Hoffnung in jene großen, fast schwarzen Augen wären enttäuscht.

„Jung, hübsch, weiblich, seltsam“, vermeldete April. „Beth.“

„Nur Beth?“ hakte er nach.

„Jap. Sie ist allein. Sie steht bei der Rampe und wartet. Sonst ist nichts auf den Abtastern.“

„Öffne die Rampe, April. Ich gehe zu ihr.“

„Alles klar, Boss.“

Damit drückte sie den Knopf, der die Rampe herunter ließ.

Saber verließ die Brücke. Colt streckte den Arm nach ihn aus, um ihn zurück zu halten, doch Fireball legte ihm die Hand auf und schüttelte den Kopf.
 

Er war sich nicht sicher, was er von ihrem Erscheinen hier halten sollte. Nein, er wusste nicht, was sie hier wollte. Wie sie hierher kam war kein Geheimnis. Er konnte sich ausrechnen, dass Jean-Claude, als der Outrider den er kennen gelernt hatte, ihre Ankunft hier nicht verborgen geblieben war. Wer auf der Flucht war und tatsächlich am Schutz derer interessiert war, die ihn begleiteten, sicherte sich gegen mögliche Bedrohungen ab und war besonders empfänglich für Veränderungen an dem Ort, an dem er Zuflucht suchte. Es war ganz ohne Zweifel ratsam, mit einer gesunden Skepsis in dieses Treffen zu gehen. Während Saber die Rampe runter lief, fiel sein Blick auf die junge Frau, die an deren Ende wartete. Ihr schlanker Körper bewegte sich von einem Fuß auf den andern. Ihr blass lila Haar schwang leicht unter der Bewegung, sie strich sich eine Strähne davon hinters Ohr. Ihre großen Augen schauten umher, als suche sie was, oder wüsste nicht, worauf sie ihren Blick richten sollte. Als sie ihn bemerkte, richteten sie ihn wartend auf ihn, hielten ihn fest und folgten jedem seiner Schritte zu ihr. Es wäre gelogen, sich nicht einzugestehen, dass ihm diese Art angesehen zu werden, nicht ein warmes Gefühl bescherte und er sich nicht zu ihr hingezogen fühlt. Doch dafür war jetzt kein Platz. „Hallo, Beth“, begrüßte er sie in einem höflich-sachlichem Ton.

„Hallo Saber.“ Sie blieb stehen und nickte leicht.

„Weiß Jean-Claude, dass du hier bist?“, erkundigte er sich.

„Ja, er hat mich geschickt.“ Wieder ein leichtes Nicken. Ihre Augen prüften ihn.

„Oh, hat er? Weshalb?“ Das überraschte ihn. Der Anlass ihres Besuches war also ihr Bruder. Sie war nicht von sich aus gekommen? Oder hatte sie ihm angeboten, für ihn was auch immer zu überbringen? Warum hatte Jean-Claude sie gesandt? Welchen Plan verfolgte er damit?

„Einen Beweis erbringen, nannte er es“, beantwortete sie die Fragen, die ihm durch den Kopf schossen.

„Ich bin gespannt auf den Beweis“, murmelte er, während sie in ihrer Tasche kramte und schließlich fand.

„Es ist reicht immer nicht. Job oder nicht. Manchmal ... ist ...“ Sie wog die passenden Worte ab. „eure Definition von ‚recht‘ und ‚unrecht‘ nicht einzuhalten.“ Dann hielt sie ihm einige Geldscheine hin. Einen Fünfziger, einen zwei Zehner und genauso viele Fünfer, so weit Saber das sehen konnte.

„Ich verstehe nicht.“ Er schaute auf die Scheine, nahm sie aber nicht an.

„Das gehört dir“, erwiderte sie und kam einen Schritt auf ihn zu. „Nimm es zurück.“

Jetzt ging ihm ein Licht auf. Die erste Begegnung mit ihr an seinem ersten Urlaubstag. Es war demnach Snows weißer Schopf gewesen, dem er und Fireball gefolgt waren. Sie hatte seine Brieftasche an sich genommen, wahrscheinlich aber fallen gelassen, als sie bemerkt hatte wem sie gehörte – bis auf die Scheine, die hatte sie behalten.

Er wäre unter anderen Umstände wäre er wohl gekränkt und verärgert, aber er hatte gesehen, wie sie lebte und das machte ihm den Diebstahl nachvollziehbar. Anderen hätte er eine Predigt über die Konsequenzen gehalten, doch da sie hier war und den entwendeten Betrag zurück gab, gänzlich aufrichtig war, ersparte er sich das. Stattdessen schloss er ihre Finger um die Scheine.

„Behalt es“, sagte er rau.

„Nein. Es gehört uns nicht. Nimm es wieder zurück“, beharrte sie und entzog ihre Hand seinen Fingern, eher er sie ganz um das Geld schließen konnte. Stattdessen hielt sie es zwischen Daumen, Zeige- und Mittelfinger und schüttelte es kurz und energisch um anzuzeigen, dass sie darauf bestand, dass er es zurücknahm.

„Nimm es, bitte. Als Zeichen des guten Willens. Ihr könnt es brauchen“, bestand er seinerseits darauf, sanfter als zuvor.

Sie setzte an ihm zu widersprechen, doch dann schaute sie ihn verwundert an. „Als Zeichen des guten Willens?“ echote sie blinzelnd.

„Ihr habt einen Schritt auf uns zu gemacht, indem ihr uns das Geld zurück geben wolltet. Wir machen einen auf euch zu, in dem wir euch mit dem Geld helfen. Ich weiß nicht, was dir Jean-Claude von unserem Gespräch erzählt hat, aber für mich ist klar: Solange ihr uns keinen Grund gebt, an euren Absichten zu zweifeln, werden wir euch helfen“, erklärte der Schotte schlicht.

„Er hat gesagt, dass du so etwas sagen würdest. Dass du uns das Geld geben würdest, um uns zu helfen. Ich habe ihn gefragt, was ich dann tun soll. Er hat gesagt: ‚Gib es ihm zurück. Sie sollen nicht glauben, wir wollten sie ausnutzen.‘ Ich denke, er hat Recht damit. Also nimm es zurück.“

„Würde ich das denken, hätte ich dir das Geld nicht zurückgegeben. Ich will euch wirklich helfen. Ich werde es nicht zurück nehmen.“

„Na, schön.“ Statt die Scheine in ihrer Tasche zu verwahren, ließ sie sie fallen und trat von ihm zurück, wandte sich schon zum gehen, als ihr etwas in den Sinn kam. Sie schaute ihn prüfend an.

„Das ist keine Hilfe. Wenn wir das Geld behalten sollen, hilft das nicht. Nicht richtig. Das ist nicht ... wie sagt ihr: Gib einem Mann einen Fisch und er ist für einen Tag satt. Lehre ihn zu fischen und er ... hat jeden Tag etwas zu essen. oder so ähnlich. Jedenfalls ist das keine Hilfe. Ich weiß nicht, wie ihr das nennt, aber Hilfe ist es nicht.“

Es überraschte ihn mehr als angenehm, dass sie Hilfe so definierte und danach handelte. Sein Geld lag auf dem Beton des Parkplatzes, der am Rande Bay Backs lag, eigentlich noch ungenutztes Land war.

„Das Geld soll auch nur ein erster Schritt sein. Es soll die dringlichsten Bedürfnisse fürs erste decken. Ich meinte nicht: Nimm das Geld und geh. Ich gemeinte: Nehmt es für den Anfang. Dann können wir uns - du hast das mit dem Fischen schön erfasst – um das mit dem Fischen lernen kümmern.“

„Nein, das werdet ihr nicht. Nicht nach allem, was passiert ist.“

„Beth“, begann er sacht, konnte ihre Worte so nicht stehen lassen. Nein, er wollte sie so nicht stehen lassen. Er brachte es nicht fertig. „Wir lernen aus unseren Fehler und wir sind in der Lage zu verzeihen. Dem einen fällt es leichter, dem anderen nicht. Colt und Jean-Claude hatten schon oft miteinander zu tun, wie du weißt. Es steht viel zwischen ihnen, aber auch Colt ist in der Lage zu verzeihen.“

Langsam nickte sie. „Was denkst du, tun wir? Können wir lernen? Können wir verzeihen? Oder glaubst du, wir haben nicht die Fähigkeiten dazu?“, wollte sie wissen.

„Ich weiß zu wenig über euch. Unsere Erfahrungen mit Outridern haben wir im Krieg gesammelt, der höchst selten die besten Eigenschaften in einem hervorbringt. Aber wir wissen von den Mönchen, die Commander Eagle geholfen haben und ich habe einmal eine Outriderin kennen gelernt, die zu menschlichen Gefühlen fähig war“ Dass diese schmerzhafte Erinnerung ihm helfen konnte, ging ihm erst in diesem Moment auf. Er drängte diesen Schmerz zurück und nickte Beth zu. „Also ja, ich denke, auch ihr könnt verzeihen und nach vorne blicken.“

„Das hört sich nicht schlecht an.“

„Das ist nur logisch. Es gibt immer mindestens zwei Seiten und ich denke, in jedem steckt weit mehr, als man auf den ersten Blick zu erkennen vermag.“

„Tatsächlich. Dann lass mich wissen, was denkst du steckt in Snow, Jean-Claude und mir?“, bat sie sofort. Ihr Gesicht überzog Neugier auf die Antwort. Sie wollte seine Gedanken dazu erfahren. Einerseits interessierte sie, welche Wertungen er welchen Eindrücken und Erkenntnissen zu schrieb, andererseits war ihr – auch wenn sie nicht so recht verstand, weshalb – wichtig zu hören, dass er nicht negativ von ihr, Beth, dachte. Wie sie es vermutet hatte, nahm sich der Recke ein, zwei Momente Zeit ehe er antwortete. Als er es tat, sprach er langsam, als prüfe er seine ausgesprochenen Gedanken. „Als wir uns als Feinde gegenüberstanden, hat Jean-Claude viele Menschen in Lebensgefahr gebracht, aber er hat auch versucht, seine Schwester zu rächen. Nun versucht er, dich und Snow zu beschützen. Wir sind alte Feinde, also womöglich auch vor uns. Es ist immer schwer, alte Muster aufzubrechen und alte Erfahrungen hinter sich zu lassen. Snow scheint auf den ersten Blick jemand zu sein, der seinen Weg gehen wird. Sie hat einen ausgeprägten Sinn für die Familie, scheint mir. Und du? Du bist wissbegierig, möchtest lernen und verstehen. Ich bin neugierig auf die Person, die vor mir steht.“

„Das ist wahr. Aber wir kennen uns auch noch nicht lange. Deine Ansicht über Snow und Jean-Claude ist auch nicht sehr fundiert.“

Saber machte einen Schritt auf sie zu. „Wie sollte sie auch fundiert sein? Dafür waren die Begegnungen zu wenige, mit jedem von euch. Ich möchte euch kennen lernen und meine Meinung ändern.“

„Das muss sehr aufwändig sein, seine Meinung zu ändern. Man muss sehr viele neue Informationen sammeln, sie sorgfältig auswerten, evaluieren und dann in die vorhanden Schemata eingliedern“, nickte sie, als verstünde sie.

„Das ist sehr technisch, aber ja. Es erfordert Mut.“

„Inwiefern? Daran ist nichts bedrohliches?“ Ihre Frage war noch immer weltfremd. Für Outrider war es schwer, menschliches Verhalten zu begreifen. Es musste verwirrend sein für sie.

„Es erfordert Mut, denn wenn man zu dem Schluss kommt, dass die vorher gefasste Meinung falsch ist, muss man einen Fehler eingestehen. Kein Mensch gibt gerne zu, wenn er sich geirrt hat.“

„Weil es als Schwäche gewertet wird und mit der Empfindung von Bloßstellung einhergeht?“

„Mitunter kann es einer Bloßstellung gleich kommen. Deswegen geben Menschen ihre Fehler nicht gerne zu.“

„Ist das der Grund für deine Zurückhaltung? Dass du dich bloß gestellt fühlst? Oder dass du dich gerade noch in der Schemataerweiterung befindest?“

Wieder zeigten ihm ihre Fragen, wie sehr sie an ihrer Umwelt interessiert war und versuchte, diese zu begreifen. Er spürte einmal mehr, wie es ihn anzog.

„Tja“ Er horchte in sich hinein. „Zum einen ja, ich bin unschlüssig. Zum anderen aber auch nein, es liegt auch daran, dass ich dir nicht zu nahe treten möchte.“

Sie schaute auf den Boden zwischen seinen und ihren Füßen, dann sah sie ihn wieder an. „Du stehst sechsundsiebzig Komma acht Zentimeter von mir entfernt“, stellte sie irritiert fest.

„Beth.“ Er trat noch einen Schritt näher. „Nein, nicht wörtlich genommen. Ich meinte, ich weiß nicht, ob du mich in deiner Nähe haben möchtest. Du weißt sicher das ein oder andere über uns. Es kann doch sein, dass du Angst vor mir hast.“

„Was an dem, was ich wohl über dich weiß, könnte mir bedrohlich erscheinen? Und hätte ich nicht früher schon Angst vor dir haben sollen?“

„Da ist was Wahres dran. Obwohl ich bis dato nicht von mir angenommen hätte, ich könnte ein furchteinflößendes Auftreten haben.“ Ein leichtes Schmunzeln umspielte seine Lippen und vertrieb die Skepsis an der jungen Frau, die da vor ihm stand. Ihre Fragen signalisierten unverfälschtes Interesse und da es ihm galt, wie er einmal mehr erkannte, begann sein Herz etwas energischer zu schlagen.

Sie schüttelte den Kopf. Nein, ein furchteinflößendes Auftreten hatte er nicht. „Nun, du bist bis dato jedenfalls nicht darauf gekommen, dass ich von Anfang an Zeichen des – wie hast du es genannt – guten Willens gesandt habe. Abgesehen davon, dass ich dir nicht gesagt habe, wer ich bin, was daran liegt, dass es bisher als taktisch unklug erwiesen hat, sich als Outrider und Schwester von Jean-Claude erkennen zu geben.“

Perplex blinzelte er sie an. „Du hast...?“ Aber doch, es ergab Sinn von ihrem Standpunkt aus. Jede Frage, jede Antwort, die er als eben jenes Interesse an ihm gewertet hatte, war ihrerseits ein Signal jenes guten Willens gewesen. „Nein, bin ich tatsächlich nicht. Aber deine Zeichen sind sehr unauffällig, ich habe wohl auf etwas handfesteres gewartet. Entschuldige dafür, Beth.“ Er war nicht einmal mehr enttäuscht, darüber, dass sie ihn über ihre Herkunft im Unklaren gelassen hatte. Es war mehr als einleuchtend, so wie sie es ihm erläuterte. „Ich verstehe, was du meinst. Als Outrider in der Menschendimension ist es nicht ungefährlich.“

„Ja, ist es. Nur eins verstehe ich nicht. Was an den Zeichen war nicht verständlich? Oder hast du sie nicht beachtet, weil du dachtest, sei ein Mensch?“

„Sie waren sehr dezent. Ich war mir nicht sicher. Es gab immer wieder Momente, in denen du mich an einen Outrider erinnert hast, aber ich war mir bis zuletzt hatte ich keine Gewissheit.“

„Also war ich ehrlich“, stellte sie einen Fakt fest. Kurz presste sie die Lippen zusammen. „Ich nahm bisher an, das sei gut, um Menschen kennen zu lernen. Es war so faszinierender dich kennen zu lernen, so viel spannender als sonst.“ Ihre großen Augen waren unverwandt auf ihn gerichtet. Ernst war ihr Blick. „Aber na ja, ... dann ...“ Ihre Worte verloren sich. Langsam wandte sie sich zum gehen und senkte den Kopf. Ein seltsames Ziehen durchfuhr ihre Brust, wie in dem Moment, als Snow sie von ihm weggeschleift hatte. Leise nur, aber beständig war es.

„Ja, du warst ehrlich.“ Rasch legte er ihr seine Hand auf die Schulter. Es war eher ein Impuls, doch in diesem Moment wurde ihm klar, dass er sie so nicht einfach gehen lassen wollte und konnte. Viele Zweifel hatte sie entkräftet und so seine Gefühle für sie bestärkt. Er wollte, dass sie ihn an sah. Er wollte ihre Augen sehen. „Ebenso ehrlich, wie ich es war. Ich habe jeden Moment genossen. Es war erfrischend und ich hatte schon lange keine so schöne Gesellschaft mehr.“ Mit sanfter Bestimmtheit zog er sie zu sich herum und hoffte inständig, sie würde ihn ansehen. Jetzt. Bitte. „Wir beide sind uns einig, dass wir die Gesellschaft des anderen schätzen, nicht wahr? Weshalb versuchen wir dann nicht, das, was uns trennt, zu überbrücken?“

Zögerlich hob sie den Kopf. Ihr Blick blieb an seiner Schulter und der Beuge seines Halses hängen. „Wie stellst du dir das vor?“, fragte sie leise. Seltsam war ihr. Etwas erfüllte ihren Magen mit unbekanntem Leben. Es war verwirrend.

„Indem wir uns noch besser kennen lernen. Du und ich.“ Seine Finger strichen über ihre Wange, fuhren über die weiche, glatte Haut zu ihrem Kinn hinab. Behutsam hob er ihren Kopf an.

Beth Körper spielte verrückt, wie es schien. Das Ziehen in der Brust war verschwunden, nun hämmerte ihr Herz. Das Pulsieren in ihrer Magengegend verstärkte sich. Sie kannte diese körperlichen Reaktionen nicht, weder in ihrer Ursache noch in ihrer Bedeutung. Sie hatte, bis sie ihm begegnet war, nie derartige Symptome gehabt.

„Mir ist nicht gut, glaub ich ...“, brachte sie hervor und legte eine Hand auf ihre Brust, als könne sie das vergehende Ziehen mildern und das Herzklopfen verlangsamen. Die andere Hand legte sie auf ihren Bauch. „Mein Bauch... so komisch“, murmelte sie irritiert.

„Ist alles in Ordnung?“ Besorgt legte er einen Arm um sie. „Möchtest du dich setzen?“ Als sie nickte, ließ er sich an Ort und Stelle nieder. Er fand sich in eine halt sitzende, halb kniende Position ein und zog sie vorsichtig zu sich. Auch sie setzte sich und legte ihre Beine seitlich von sich.

„Es ist so seltsam. Mein Herz hämmert ... und es fühlt sich an, als … als… fliege … etwas durch meinen Magen.“ Selbst das Aussprechen, das Benennen der fremden Symptome half ihr nicht weiter, schuf keine Klarheit, weckte keine neue Erkenntnis.

Saber runzelte die Stirn, als sie ihren Zustand beschrieb. Was konnte sie nur haben? So plötzlich? Er ließ sich ihre benannten Symptome durch den Kopf gehen und kam schließlich nur auf zwei Erklärungen. „Entweder hast du gerade einen Herzinfarkt oder du hast Schmetterlinge im Bauch.“ Konnte das sein? Hatte sie sich in ihn verliebt? Ihre körperliche Reaktion schien sie zu verwirren, als hätte sie derartige Empfindungen noch nie gespürt. Sein Herz überschlug sich erfreut, als ihm klar wurde, dass es so unwahrscheinlich nicht war.

Tatsächlich war ihr fremd, was mit ihr passierte und seine Antwort verhalf ihr nicht zur Erkenntnis. „Was? Wie ... wie kommen denn Schmetterlinge in meinen Bauch?“, fragte sie erschrocken.

„Nein, nein, du hast nicht wirklich Schmetterlinge im Bauch. Das sagen Menschen so, wenn ein anderer Mensch in uns starke, positive Gefühle weckt, wenn er den anderen sehr gern hat, in ihn verliebt ist“, beeilte er sich, sie zu beruhigen.

„... aber ich bin ein Outrider ...“

„Ein sehr menschlicher Outrider. Ihr seid uns vielleicht ähnlicher, als wir bis dato angenommen haben“, erkannte er.

„Was mach ich jetzt dagegen?“

„Da gibt es jetzt nur zwei Möglichkeiten: Du versuchst, für diesen Menschen negative Gefühle zu entwickeln, oder du findest heraus, was passiert, wenn der Mensch, für den du diese Gefühle hast, auch so empfindet.“

Beth‘ Gedanken überschlugen sich. Ihr Körper reagierte in seiner Gegenwart so seltsam und beim Gedanken daran von ihm getrennt zu sein oder zu werden, negative Gefühle hervorzurufen, verschlimmerten sich diese Reaktionen. „Wie mach ich das …?“ Ihre Stimme verlor sich für einen Moment verunsichert. „Was passiert, wenn der Mensch auch so empfindet?“

Er hatte gehofft, dass sie das fragen würde. „Das.“ Er legte eine Hand an ihren Hinterkopf und zog sie bestimmt zu sich. Da sie sich nicht sträubte, es geschehen ließ, gab er dem Wunsch nach, der ihn oft genug in seinen Gedanken an sie begleitet hatte. Er presste seine Lippen auf ihre, fühlte ihre weichen auf seinen.

Überrascht hielt sie still und blinzelte. Die unruhigen Reaktionen ihres Körpers verschwanden. Wärme breitete sich in ihr aus. Eine unbekannte Wärme, die sie beruhigte.

„Mir ist so seltsam warm ...“, murmelte sie, als er ihre Lippen für einen Moment wieder frei gab.

„Wenn es dir nicht gefällt, höre ich auf“, bot er der Form halber an, erwartete aber nicht wirklich, dass sie sich zurück zog. Er breitete die Arme aus und empfing sie, als sie ihr Gesicht seinem wieder näher brachte. Ihr „Nein“ war kaum mehr als ein Hauch.

Saber schloss seine Arme um sie und zog sie näher. Er empfing ihren Mund zärtlich und nur so lange beherrscht, wie es dauerte, sich ihrer Wärme und Weichheit bewusst zu werden. Dann gab er seinem Wunsch nach und intensivierte den Kuss, je mehr je forschender und neugieriger sie ihm antwortete.

Er spürte ihre Hände an seinen Oberarmen. Sie griff nach ihm, als suche sie Halt.

Selten hatte ihn ein einfacher Kuss so berauscht, so betört, wie dieser nun. Er ließ sich davon leiten, öffnete seinen Mund und strich fragend mit der Zungenspitze über ihre Lippen. Als sie ihm Einlass gewährte, glitt seine Zunge ihrer entgegen. Neugierig ließ sie sich auf ihn und seine Hingabe ein, erprobte das Spiel ihrer Münder und entfachte so seine Leidenschaft weiter. Die Wärme in ihr breitete sich aus, erfüllte jede Faser ihres Körpers. So angenehm und neu, dass sie nicht das Bedürfnis hatte, den Kuss zu brechen. Sie wollte, im Gegenteil, ihn so lange wie möglich aufrecht erhalten.
 

Den Wartenden auf der Brücke wurde die Zeit lang. Während Colt die Theorie aufstellte, der Schotte wäre mittlerweile zu den Jenseitigen gewechselt, hielt April es für ein gutes Zeichen, sprachen die beiden wohl offensichtlich ausführlicher mit einander. Sie hoffte, dass dadurch Licht und Klarheit in die wirre, von miesen Vorerfahrungen überschattete Situation kam. Das Ganze sollte immerhin ihr Urlaub sein, doch der zweite von den fünf gewährten Tagen fühlte sich nun in seiner letzten Hälfte wie Ermittlungsarbeit an.

Fireball trauerte der ruhigen Zeit ebenfalls ein bisschen nach. Sie waren gestern entspannt einkaufen gegangen und hatten ihre Seele im Freibad baumeln lassen. Das Tennismatsch am Vormittag war eine nette Abwechslung gewesen und inzwischen hatte er sich mit seiner Niederlage ausgesöhnt, hatte er seinen Boss doch noch nie so verknallt erlebt wie heute. Das war schon etwas wert, es war nämlich ausgesprochen selten. Einen Dämpfer hatte das alles bekommen, als Snow ihre Schwester mit sich fortgeschleift und den Recken mit mehr Fragen als Antworten zurückgelassen hatte. Natürlich wollten er, und auch Colt, diesen Fragen auf den Grund gehen und waren also den Damen gefolgt. Das war nachvollziehbar und hatte zu einem kleinen Rundritt mit April und mit einem anschließenden Eisbecher hier an Bord geendet, so schön gemütlich. Aber damit war es nun wieder vorbei. Sabers und Colts Verfassung bei ihrer Rückkehr ließ erahnen, dass sie nun in einer Art, tja, Kultururlaub angekommen waren, Kulturschock und Shakespear würdige Dramen schienen darin enthalten zu sein. Das konnte ja nur heiter werden. Wenn Colt sich wenigstens beruhigen ließe, aber der Rennfahrer drängte zu sehr darauf und erzeugte mehr Trotz bei dem Scharfschützen als alles andere.

Kapitel 7

Es war April, die vorschlug, jemand solle nach Saber sehen und Fireball, der Colt davon abhielt in seiner aufgewühlten Stimmung loszustürmen. So knobelten sie es aus und nun stand die Blondine an der Rampe und beobachtete das Geschehen an deren unterem Ende.

Saber schien die Welt um sich herum völlig vergessen zu haben, woran eindeutig, oh so eindeutig, die junge Frau Schuld war, von der er sich scheinbar nicht lösen konnte und wollte. Hochleistungsknutsch dieser Art konnte man sonst nur im Kino sehen.

Sie fühlte sich genötigt, das zu unterbrechen, ehe Colt das ungehalten tat. Sie räusperte sich, vernehmlich wie sie hoffte. Doch nur Beth zuckte leicht zusammen, was entweder daran lag, dass sie die Navigatorin gehört hatte, oder an dem sachten Biss Sabers in die sanfte Kontur ihrer Unterlippe.

Sie musste also deutlicher werden.

„Hkm. … Alles okay bei euch?“, rief sie. Sie verfluchte gedanklich ihr Pech beim Knobel verloren und diesen Job an Land gezogen zu haben, andererseits wollte sie Colt Reaktion auf diesen Anblick nicht bis auf die Brücke hören. Sie konnte sich die lebhaft vorstellen.

Jetzt zumindest löste sich Beth von Saber und ließ ein verlegenes „Äh“ vernehmen, bei dem April sich unterdrückt grinsend fragte, ob Outrider nicht doch an Sauerstoffmangel leiden konnten.

Saber räusperte sich und drehte sich zur Navigatorn um. „Alles gut. Ist was passiert?“

April presste erneut die Lippen auf einander, um nicht grinsen zu müssen. Dass alles gut war, glaubte sie sofort. Dass ihr Boss bestimmt unter Sauerstoffmangel litt, ließ seine Frage vermuten. Ach, sie gönnte es ihm ja. Trotzdem, nein gerade deswegen, musste sie jetzt auf den Punkt kommen.

„Ich hab beim Knobeln verloren und soll schauen, wo du bleibst. Soll ich lieber Colt schicken?“, erklärte sie ihm.

Der Schotte erhob sich widerstrebend und half auch Beth auf die Beine.

„Alles, nur das nicht! Ich begleite noch Beth nachhause, dann komm ich“, erwiderte er.

„Nach Hause?“ April hob die Brauen. Jetzt da die beiden standen, entdeckte sie einige Geldscheine am Boden. Was hatte es denn damit auf sich? „Hast du deshalb schon das Geld fürs Taxi bereit gelegt?“, erkundigte sie sich und wies auf die Banknoten.

Beth presste die Lippen zusammen, nicht unbehaglich, eher ratlos, als wüsste sie nicht, was sie nun tun sollte. Saber hielt ihre Hand fest umschlossen und schien es dabei auch belassen zu wollen. Schmetterlinge und das Hämmern ihres Herzens waren verflogen. Dafür war sie von einer ihr noch unvertrauten, aber nicht unangenehmen Wärme erfüllt.

„Öhm... ja, nein... so ähnlich.“ Er hob rasch das Geld auf und schob es nachlässig in seine Hosentasche. „Ich komme gleich“, betonte er an seine Navigatorin gewandt. Sie verstand die Umschreibung, die darum bat, ihn und Beth allein zu lassen und nickte leicht seufzend.

„Boss, ich hab ja grundsätzlich nichts dagegen“, begann sie aufrichtig. „Das ist deine Entscheidung, und die respektiere ich, aber ...“

Weiter kam sie nicht. Ihre Befürchtung bewahrheitete sich, als sie Colt neben sich hörte.

„Er hat nichts gelernt. Boss, das ist ne ganz blöde Idee“, brummte er die Rampe hinunter.

„Colt, bitte.“ Saber schüttelte leicht den Kopf. Der Scout musste reden. Als ob der sich nicht selbst nicht unerheblich in eine gewisse Dame mit auberginefarbenen Augen und weißem Haar verguckt hätte. Deshalb trafen ihnen die neuesten Informationen doch so schwer. „Ich werde Beth nachhause bringen. Es wird nichts passieren und falls doch, melde ich mich.“

„Damit du dann wieder niedergeschlagen durch die Gegend läufst, als hätte dich das Phantom der Oper ins Koma gekuschelt?“ Die Anspielung war ausgesprochen dezent für das, was Colt sonst so im aufbrausenden Zustand vom Stapel lassen konnte.

„Ich gehe besser“, flüsterte Beth. Ihre Worte verhalten ungehört. Sabers Aufmerksamkeit hatte sich auf den Scharfschützen gerichtet, um ihn in die Schranken zu weisen und so seine Herzdame in Schutz zu nehmen.

„Colt, hör auf damit“, mahnte er entschieden.

„Ich hab noch ein Wort für dich, Superschwert. Eigentlich einen Namen, falls er dir entfallen ist“, erinnerte der davon unbeeindruckt. Prompt presste Saber die Zähne zusammen. Wirklich treffsicher versenkt von dem Lockenkopf, so präzise nach dem hingebungsvollen Austausch an Zuneigungsbekundungen, als hätte er eine Antenne dafür.

„Wage es nicht, Colt.“ Jetzt hatte seine Stimme einen drohenden Unterton, so dass April sich entschied zu vermitteln.

„Colt, Saber. Beruhigt euch.“ Weiter kam sie jedoch nicht.

„Und zu gucken, wie sie ihn vorführt?“

„Sei nicht voreingenommen, Colt.“

„Das kann auch mit einem Menschen passieren“, wies Saber ihn hin.

Fireball hatte sich inzwischen auch an der Rampe eingefunden und beobachtete den Schlagabtausch. Anders als Colt und Saber jedoch, bemerkte er, wie sich Betz behutsam von dem Recken löste und sich auf leisen Sohlen wie ein unerfahrenen Kätzchen davon schlich, das einer Situation vorsichtshalber entwich. Er hob die Hand und winkte ihr schmunzelnd zu. Etwas überrascht erwiderte sie den Gruß, ehe sie sich weiter davon stahl.

„Ich bin nicht voreingenommen. Ich weiß nur wie's läuft. Sobald sie kann, klebt sie bei ihrem Kommandanten und wartet auf neue Befehle“, brummte Colt überzeugt.

„Jegliche rationale Argumentation mit dir ist zwecklos, wenn du erst mal eine Meinung hast, Colt“, parierte der Schotte. Er verabscheute die Bedenken, die ihm eine objektive Betrachtung auferlegte und Colt gab denen mehr Nahrung, als sie brauchten.

„Das ist Erfahrung, Mann. Meine hieß Annabell und deine Lilly.“ Er hatte das so laut gesagt, dass es auch Beth hörte, obwohl sie sich immer weiter entfernte. Sie hielt kurz inne und sah zurück. Einen Moment musterte sie Colt und Saber von ihrem Standort aus, dann schlich sie weiter.

April schlug sich die Hand vors Gesicht. Musste Colt das aussprechen und Salz in Wunden streuen, die vielleicht doch noch nicht ganz verheilt waren? Warum bemerkte Saber nicht, dass Beth beinahe im Schatten der Bäume verschwand, die in einiger Entfernung den Parkplatz säumten?

Fireball atmete tief durch, dann entschied er sich, dem Disput einen Beitrag zu leisten.

„Also, der Grund für euren Streit verzieht sich gerade und soweit ich mich erinnere gab es da noch andere Erfahrungen wie Robin oder Sincia. Nur mal so als kleine Gedächtnisstütze für euch beide.“

Der Scharfschütze fuhr zu ihm herum und warf ihm einen vernichtenden Blick zu. „Verräter“, knurrte er und marschierte stampfend ins Innere des Friedenswächters.

Auch Saber wirbelte herum und erspähte Beth einige Meter entfernt. Er rief nach ihr und sie verharrte einige Augenblicke lang, in denen sie entschied, ob sie rennen oder bleiben sollte.

Das reichte ihm, um hinterher zu rasen.

„Beth! Warte!“ Sein Ruf war so eindringlich, dass sie stehen blieb und wartete, bis er zu ihr aufschloss.
 

„Ich frage mich, ob wir noch was kochen sollen oder ob das für heute reicht“, meinte April, ehe sie langsam dem Scharfschützen folgte.

„Ich glaub, wir haben noch Eis im Gefrierschrank“, erwiderte Fireball schulterzuckend und begleitete sie.
 

Saber ergriff ihre Hand.

„Entschuldige, Beth. Das... so wollte ich mich nicht von dir verabschieden.“

Sie hob die Schultern. „So kann ich dir noch etwas erklären“, meinte sie schlicht.

Er nickte und legte ihre Hand in seine Armbeuge. „Du erklärst mir, während ich dich nachhause begleite. Was hältst du davon?“

„Wenn du das möchtest.“

„Ich möchte es.“

Sie schlenderten die Straße entlang. Die Nacht eroberte sich das Firmament, zauberte erste Sterne darauf. Die Luft war mild und der Wind strich sanft um das Paar. Still war es. Sie hörten nur ihre Schritte auf dem Asphalt und das Spiel der Blätter im Wind. Irgendwo in der Stadt war das Vergnügungsviertel belebt. Irgendwo abseits davon begann ein gemütlicher Abend mit Freunden oder in der Familie.

„Möchtest du auch hören, was ich dir erklären möchte? Es betrifft Lilly und Annabell“, fragte sie in das friedliche Schweigen, das sie eine Weile begleitet hatte.

Er wog kurz, was das für ihn bedeuten würde. Es würde unangenehm werden, schmerzhaft womöglich, aber es konnte ihn eigentlich nur weiterbringen.

„Ich möchte es hören.“

„Lilly und Annabell waren, das weißt du sicher schon, Agentinnen unserer Seite. Wie alle weiblichen Agenten wurden sie systematisch dafür ausgebildet auf das, was bei uns Schwäche genannt wird, bei ihrem Gegenüber zur reagieren und gezielt das gegen ihn zu verwenden. Bei Colt war es sein Beschützerinstinkt - wie es Menschen nennen.“ Sie musterte ihn von der Seite. Sein Kiefer hatte sich angespannt und seine Miene dunkel verzogen. So viel also zur Zusammenfassung, nun zur Ergänzung. „Wenn in einer Familie bereits zwei Soldaten, bei mir wären dass Jean-Claude und Annabell, versagt haben, reagiert die Führung und unterbindet künftiges Scheitern. Das bedeutet, Snow musste ihre Ausbildung abbrechen und ich wurde gar nicht erst zu gelassen.“

Er nickte. Was sie über Annabell und Lilly gesagt hatte, wiederholte und bestätigte sein Wissen. Nachdenklich antwortete er ihr: „Das klingt wie ein Familienunternehmen, ist einer Agent, werden auch die anderen Agenten, bis sie versagt haben.“ Er sah auf ihr hübsches Gesicht und in ihre großen Augen. „ Eine befremdliche Vorstellung, dass auch Snow und du Agentinnen werden solltet.“

„Aber ich bin keine“, betonte sie leise.

„Ich bin froh darüber.“

Still gingen sie weiter. Es war angenehm und bedurfte keiner weiteren Worte. Vertraut fühlte es sich für den Schotten an, neu für Beth.

Als sie ihr Häuschen erreichten, zögerte er. Ausgerechnet vor der Tür eines ehemaligen Kontrahenten dessen Schwester zu küssen, hatte einen wenig anziehenden Charakter. Er schob sie unter die Treppe, durchaus in dem Bewusstsein, das er auch hier gesehen werden konnte falls Jean-Claude zu Hause war, aber es gab dennoch etwas wie Privatsphäre.

Er drückte Beth behutsam gegen die Wand und studierte mit zärtlichem Blick ihr Gesicht, legte seine Hände auf ihre Wangen.

Wieder war er es, der den Kontakt initierte, der ihre Lippen suchte und kosten wollte. Wieder begegnete sie ihm, neugierig forschend und weckte so ihrer beider Sehnsucht nach dem Mund des anderen.

Wie lange sie so standen, konnten sie später nicht mehr sagen. Sehr widerstrebend lösten sie sich von einander und wünschten sich eine gute Nacht.
 


 

Saber kam spät zu Ramrod zurück. Er war froh darum, hatte er noch Zeit mit Beth verbringen können und musste sich bei seiner Ankunft auch nicht mehr mit Colt auseinander setzen. Danach stand ihm gerade gar nicht der Sinn. Er duschte ausgiebig, ehe er sich schlafen legte, dann kroch er in sein Bett.

Fireball schlief tief und fest, schnarchte vernehmlich, aber nicht störend.

Colts Nachtruhe war unruhig. Er warf sich von einer Seite auf die andere und murmelte im Schlaf. Saber meinte, den Namen „Annabell“ gehört zu haben und entschied sich dagegen, ihn aufzuwecken und doch ein Gespräch mit ihm zu suchen. Schlimmer als der Cowboy mit aufgekratzten Wunden, war der verschlafene, müde Cowboy mit aufgekratzten Wunden.

Er schob sich seufzend unter die Decke. Er verstand es ja. Es war nicht so, dass er leise Befürchtungen, erneut in eine Falle zu tappen, nicht selbst hatte. Zumal ihre Gegenwart seine Fähigkeit sachlich und logisch zu denken durchaus einschränken konnte. Er schloss die Augen und schob die Decke zurück. Ihm war zu heiß für die Decke. Er schlief schnell ein, träumte von Beth, ihren Fragen, ihrem Gesicht, ihrem Wissenshunger und ihren Küssen. Oh ja, die Küsse.

Colts Träume waren weniger angenehm. Die Erinnerung flackerten auf, wie Bildsequenzen auf einer riesigen Kinoleinwand. Von Annabell, deren hilflose, anschmiegsame und dankbare Art, die den Beschützer in ihm so sehr angesprochen hatte, dass er bereit war seinen Job an den Nagel zu hängen und seine Freunde gleich daneben. Doch dann hatte sie ihn hinterrücks angegriffen. Es war zu einem Kampf gekommen und er selbst hatte ihr den Schuss versetzt, der sie in die Phantomzone zurück geschickt hatte.

Dann Jean-Claude, die Entführung Aprils und Pierres und das Duell, zu dem der Outrider ihn herausgefordert hatte. Eine alte Rechnung, die Schuldzuweisung Annabell auf dem Gewissen zu haben, hatte er so begleichen wollen. Colt hatte nicht verstanden, was er damit meinte, hatte nur die Bedrohung im Kopf gehabt, in der sich die beiden Geiseln befanden und kein Mitleid für seinen Kontrahenten und dessen gnadenlose Verbissenheit. Eine Verbissenheit, die er bei Snow auch bemerkt hatte.

Colt blinzelte und öffnete die Augen. Er starrte an die Zimmerdecke in der Dunkelheit. Seine Träume hatten seine Gedanken in Gang gebracht und ihn geweckt.

Snow. Das Flackern ihrer Augen, wenn sie sprach und das Grinsen, so herausfordernd, mit dem sie ihm Kontra gegeben hatte. Colt durchlebte diesen Abend in der Bar noch einmal, fühlte sich einmal mehr davon angezogen, wie taff und konterfreudig sie gewesen war. Er hatte sich ziemlich vor den Kopf gestoßen gefühlt, als sie aufgetaucht und Beth mit sich genommen hatte. Als hätten sie am Abend zuvor keine schöne Zeit gehabt. Aber da war ihm die Verbissenheit aufgefallen, die auch Jean-Claude an den Tag gelegt hatte. Verbissen. Entschlossen. Entschlossen ihre Schwester fern zu halten, von etwas, das … ja was … ? Um sie zu schützten? Ja, das lag auf der Hand. Aber sie waren doch nicht die Bösen, sie waren doch nicht der Feind.

Colt fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Doch sie waren der Feind. Für Jean-Claude und seine Schwestern waren sie der Feind. Der Gedanke wirkte tief in ihn ein, nahm sich Zeit, sich in sein Bewusstsein zu setzen und ließ ihn eine Weile nicht einschlafen.
 

Fireball und April waren am nächsten Morgen, irgendwann vor zwischen Frühstück und Mittagessen, auf den Beinen. Auf den Urlaub und für eine entsprechend entspannte Atmosphäre begann die Navigatorin Frühstück zu machen. Weil sie es lange nicht mehr hatten und den Cowboy hoffentlich aufmunterte mal wieder mit Eggs Benedict, Speck, Hash Browns und Pancakes.

Er registrierte es mit einem kaum merklichen Schmunzeln und spülte große Bissen davon mit reichlich Kaffee runter. Der Schlaf der vergangenen Nacht war kein Qualitätsprodukt. Er rieb sich die Augen an der Nasenwurzel.

Währenddessen erzählten April und Fireball von ihrem Ausritt am Vortag, neckten sich leicht dabei.

„Was hast du heute vor, Saber?“, erkundigte sich die Blondine dann.

„Ich wollte reiten gehen“, erwiderte er. Dazu hatte er auch Beth eingeladen. Allerdings hatte sie in einem zweiten Job zu tun, neben dem als Kellnerin noch als Verkäuferin in einer Bäckerei. Für die Stoßzeit bis etwa zehn Uhr morgens würde sie dort beschäftigt sein, so dass sie sich erst danach treffen konnten.

„He, das finde ich gut. Ich würde auch gern noch mal reiten gehen. Das Gelände war wunderschön“, erklärte April begeistert und stieß Fireball neben sich an. „Was meinst du? Noch eine Runde?“

Fireball hob die Brauen. „Tja, wirklich nichts gegen das Gelände und so, aber stören wir dann nicht?“ Er sah zu Saber.

„Nein, wieso? Gemeinsam hinzugehen ist das eine. Wir sehen dann dort, ob wir zusammen einen Rundritt machen“, erwiderte der leichthin.

April stimmte zu, dann musterte sie Colt. „Hey, Cowboy, kommst du mit?“, erkundigte sie sich fröhlich.

Er kaute eine Portion Egg Benedict hinunter und nickte: „Warum nicht?“ Vielleicht schüttelte er so die Schläfrigkeit ab, die hartnäckig an seinem Körper hing.
 

Die kleine Reitanlage befand sich auf der anderen Seite Bay Backs, hatte einige Pferde, die sie für Ausritte zur Verfügung stellten, ein paar Ponys für den Reitunterricht kleiner Kinder und bot außerdem Kutschfahrten an, was so altmodisch wie beliebt war.

Groß war das Gelände nicht, aber es hatte rustikalen Charme. Dicke und schlanke Baumstämme waren bearbeitet und poliert worden und fanden Verwendung als Tische, Pfeiler und Begrenzungsmöbel. Große Fensterfronten und Glastüren sorgten für reichlich Tageslicht und gaben den Blick auf sachte hüglige Wiesen und kleine Waldabschnitte frei.

An der Rezeption wurden sie gastfreundlich empfangen und dann, nach dem sie eine Gebühr für die Pferde gezahlt hatten, mit denen sie ausreiten wollten, zu den Ställen geführt.

Allmählich kam etwas mehr Leben in Colt. Er schlenderte an den Boxen vorbei und tätschelte die ein oder andere Pferdenase sacht.

Eine Fuchsstute schnaubte leicht, als hätte sie ihm etwas zu sagen.

„Na, Hottahü. Was hat dich denn geritten? Eine Rennsemmel? Mein Beileid.“ Er klopfte ihr den Hals.

Der Rennfahrer sah von der Box zu ihm. Er hatte den Hengst gefunden, mit dem er am Vortag gut zurecht gekommen war und entschied wieder für ihn. Er musterte den Cowboy skeptisch, als der mit der Fuchsstute sprach, als wären sie enge Vertraute.

„Nein, dein Hotti war das gestern nicht“, erwiderte er lahm.

Colt schüttelte den Kopf. Das war so typisch für den Wuschelkopf. Er hielt ihn noch für schlecht gelaunt vom Vortag und hatte mal wieder nicht die leiseste Ahnung, was wirklich in ihm vorging. Er fragte nicht einmal danach, weil er glaubte Recht in seiner Vermutung zu haben und so Ärger aus dem Weg zu gehen. Aber er tat ach so unvoreingenommen, wenn es um Beth ging und nörgelte, Colt sei vorurteilsbeladen. Konnte sich getrost mal an die eigne Nase fassen. Der Scharfschütze würde gern sehen, ob der Rennfahrer noch so gelassen und unvoreingenommen blieb, wenn es … tja, Jesse … oder Jean-Claude … oder sonst einem Outrider, den man optisch als gutaussehend bezeichnen konnte, gelang, April schöne Augen zu machen.

Er sah zu April, auf die er sich in solchen Momenten verlassen konnte. Der Brunch hatte ihm das bewiesen.

Wieder horchte er auf das leise Schnaube der Stute.

„Ah“, fuhr er fort. „Der Schimmel da … aha, der hat sich in die schöne Frau verliebt, die ihn gestern geritten hat? Interessant.“ Er schlussfolgerte das, weil die Navigatorin so innig dessen Hals klopfte und wirkte, als hätte sie Vertrauen zu dem Tier.

Nun sah sie zu ihm und grinste belustigt: „Ja, ich bin eben bezaubernd.“

„Da widerspreche ich nicht, obwohl ich es nicht bezaubernd sondern verhexen nennen würde“, scherzte der Wuschelkopf und zwinkerte ihr zu, wurde aber nicht mit einem Lachen oder Grinsen belohnt, weil April noch überlegte, ob und wie sie zwischen den beiden vermitteln sollte.

Inzwischen führte der Schotte einen Rappen aus der Box und kraulte dem die Nase.

„Das wird heute heiter mit euch, ich seh es schon kommen“, meinte er ohne sich sicher zu sein ob das gut oder schlecht sein würde. Es war nicht immer einfach herauszufinden, woran es lag, wenn Colt mal wortkarg blieb. Anders als der Rennfahrer konnte Saber sich allerdings zusammen reimen, dass Schlafmangel der Grund dafür war.

„Das war doch der Sinn der Sache, das es lustig wird. Oder wolltest du lieber auf Schnitzeljagd gehen?“, gab der Scout zurück und grinste schief.

„Schnitzeljagd? Wir hatten gerade erst Brunch“, witzelte April und führte ebenfalls ihr Pferd auf den Hof.

„Wenn Colt die Schnitzeljagd veranstaltet, sterben wir hungrig. Er versteckt alles so gut, dass er es selbst nicht mehr findet.“ Der Rennfahrer folgte ihnen.

„Ich hab bei euch dreien eher Angst, dass ihr euch im Wald verirrt“, erklärte Saber, während er seinen Blick zum Haupthaus mit dem Empfang gleiten ließ.

„Na, so was kann nur von dir kommen“, kam es unbeeindruckt von Colt. Dabei bot er mit einer Geste der Navigatorin neben sich Hilfe beim Aufsteigen an, die sie gern akzeptierte.

„Wenn du so viel Vertrauen in deine Navigatorin setzt, fürchte ich, wird sie dich im Wald stehen lassen“, versetzte diese schmunzelnd.

„Oh, Verzeihung, liebste April.“ Der Schotte eiste seinen Blick vom Haus los und grinste sie verschmitzt an.

„Na gut, weil wir Urlaub haben“, verzieh sie ihm postwendend. „Kommst du, Colt? Oder muss ich dich in das Eicherhörnchen verwandeln, das Fireball schon in der sieht, der kleine Blindfisch?“, fragte sie dann fröhlich und versprach sich prompt. Der Gefragte sah zu, dass er schnell in den Sattel kam. Ja, langsam wurde er wach.

„Eicherhörnchen? Die Spezies musst du mir mal zeigen, April. Colt ist ja eher die Fraktion Streifenhörnchen, stopft sich alles in die Backen, was es finden kann“, lachte der Wuschelkopf.

„Blindfische, Eicherhörnchen und flotte Bienen? Ich schätze, ich kann demnächst einen Zoo mit sonderbaren Tieren eröffnen.“ Der Recke zögerte noch, schaute immer wieder zum Haupthaus. Er schien auf etwas zu warten, nur wusste keiner seiner Kollegen worauf.

Dann ertönte eine Durchsage: „Herr Rider bitte zum Empfang. Herr Rider bitte.“

Jetzt ließ er sein Pferd los. „Ich komme gleich wieder. Das wird Beth sein.“

„Beth?“, riefen Colt und April überrascht aus.

„Ja, ich hab sie eingeladen.“ Er warf dem Scout einen ernst-fragenden Blick zu. „Was dagegen?“

Der hob die Schultern. „Ich hab mich keinen Einwand erheben hören.“

„Je mehr desto lustiger“, meinte Fireball und warf dem Scharfschützen einen Seitenblick zu.

Colt rollte die Augen. Der glaubte also immer noch, er vermute richtig.

Am Empfang lief Saber auf Beth zu. Er umarmte sie liebevoll und gab ihr einen kurzen, sanften Kuss.

„Hallo, Beth. Ist alles klar?“, erkundigte er sich.

„Sie lassen mich wegen der Gebühr nicht rein“, erwiderte sie und presste die Lippen auf einander. Den Betrag hatte sie nicht erwartet und sie konnte ihn nicht begleichen.

Er nickte verstehend und zog seine Brieftasche. „Das mach ich. Ich hab dich eingeladen“ erwiderte er, wobei er die ausstehende Summe beglich.

„Ich geb es dir zurück so bald ich kann“, versprach sie ihm, doch er schüttelte den Kopf. Zum einen wollte er nicht mit ihr vor der Dame am Empfang sprechen, zum anderen wollte er das Geld auch nicht zurück.

„Jetzt genießen wir erst einmal den Ausflug. Ich werde dir alles zeigen“, überging er geflissentlich ihr Angebot und führte sie zu seinen Freunden, die vor den Ställen warteten.

Die Begrüßung war selbstverständlich, wie man sich begrüßte, wenn man sich noch nicht so lange kannte.

Saber begleitete Beth zum Stall und überlegte dabei, wie gut seine Chancen standen sich mit ihr zurückzuziehen. Kaum hatte er sie gesehen, hatte er den Wunsch gehabt mit ihr allein zu sein. Andererseits dürfte es interessant werden zu sehen, wie dieser Ausritt für alle verlief. Er würde nicht zu lassen, dass es in Streit ausartete und dafür sorgen die Chance, die sich hier für ein weiteres gegenseitiges Kennenlernen ergab, auch zu nutzen.

Er wählte, während die junge Frau sich aufmerksam umsah, ein ruhiges, geduldiges Pferd, das sie für den Anfang reiten konnte. Steed wäre optimal für ihre erste Reitstunde gewesen, aber der stand auf Ramrod.

Also führte er den braunen Hengst aus dem Stall zu der kleinen Koppel davor und half ihr beim Aufsitzen. Sie zog sich flüssig hoch und nahm, geschmeidig wie eine Katze, im Sattel Platz. Das begann vielversprechend.

Saber führte das Pferd am Zügel und erklärte Beth, wie sie sich verhalten sollte und was sie beachten musste. Er ließ sie einige Runden im normalen Schritt reiten, damit sie sich an das Gefühl im Sattel und die Bewegungen des Tieres gewöhnen konnte. Sie war so aufmerksam und gelehrig, wie am Vortag, als er ihr eine Einführung ins Tennisspiel gegeben hatte.

Er beobachtete, wie sich ihr Körper dem Rhythmus des Hengstes bewegte, ihre Beine sich an seine Flanken drückten und ihre Finger sich in die lederne Leine verschlangen. Sein Blick verfing sich an ihrer Hüfte und der Jeans, in der sie steckte. Sie reichte ihr gerade bis übers Knie. Ihre blanken Waden wärmte die Sonne.

Er schaute wieder zum Sattel auf dem sie saß und dann weiter hinauf zu ihr, ehe ihm seine Phantasie Streiche spielen konnte.

Zwischendurch wies er das Pferd an, sein Tempo zu beschleunigen. Als es schien, dass sie sich auch im Trab gut im Sattel hielt, beendete er die kleine Einführung. Für einen kurzen Ritt würde ihr Können reichen und er wollte seine Freunde nicht länger warten lassen.

„Das machst du gut“, lobte er sie. „Wollen wir ins Gelände?“ Sie nickte einverstanden.

Er führte sie aus der Koppel zu seiner Freundin zurück.

„Sieht doch gut aus für den Anfang“, meinte April leicht hin, als die beiden sie erreichten.

„Verdächtig graziös für deinen ersten Ausritt“, stimmte auch der Rennfahrer anerkennend zu.

Sie blinzelte ihn irritiert an.

„Was ist daran verdächtig?“, wunderte sie sich.

„Er meint, du reitest für dein erstes Mal sehr gut. Man könnte meinen, du hast schon mal geübt“, erklärte der Schotte und schwang sich selbst auf sein Pferd.

Es wurde Zeit für den Aufbruch. Colts Stute begann schon zu tänzeln, als wollte sie nicht länger warten und auch April und Fireball hatten keine Einwände.

Sie verließen das Grundstück und trabten einen Pfad entlang, der über die angrenzende Wiese führte.

Die Sonne schien warm vom strahlend blauen Himmel. Der Wind kühlte nur hin und wieder die Haut. Hier war es ruhig, man konnte kaum noch die Geräusche der Stadt vernehmen. Irgendwo in der Ferne war eine andere Gruppe zu hören, die mit Kindern unterwegs war. Deren helles Lachen drang zu ihnen hinüber.

Fireball und April ritten voraus, führten die Freunde über die gleiche Route, die sie zu zweit am Vortag genommen hatten. Colt bewegte sich in der Mitte, während Saber und Beth das Schlusslicht bildeten.

Der Rennfahrer schaute sich immer wieder um, am meisten in die Richtung der Navigatorin. Er reichte ihr die Hand und sie ergriff sie gleich. Sie lächelte ihm zu.

Dem Scout wurde beinahe übel. Etwas weniger wegen des Paares an sich, eher wegen der trauten Harmonie, wenn er es auch nicht so genannt hätte, um die er sie beneidete. Er hätte sich noch mehr wie das fünfte Rad am Wagen gefühlt, hätte er gesehen, wie der Schotte nach Beth‘ Hand griff und ihre Finger sanft um schloss.

Immer wieder prüfte Saber, ob sie mit dem Ritt zurecht kam und versuchte dabei, nicht allzu sehr auf die Taille der jungen Frau zu starren und die rhythmischen Bewegungen ihrer Hüften auf dem Sattel. Es beflügelte seine Gedanken zu sehr, weshalb er begann ihr einzelne Blumen und Blüten am Wegesrand zu erklären. Ihre Aufmerksamkeit war ihm gewiss. Sie hing an seinen Lippen, wissbegierig wie ein Musterschülerin, bestrebt, jedes seiner Worte aufzunehmen und einzuprägen.

Colt kam nicht umhin sich zu fragen, wie der Ritt wohl verlaufen würde, wäre auch noch Snow anwesend. Würde sie ihre Schwester im Auge behalten, oder hätte er die Möglichkeit die weißhaarige näher kennen zu lernen. Letzteres würde ihm eher gefallen. Outrider oder nicht – sie war taff und locker in ihrem Umgang, was besonders anziehend war, da ihre Bewegungen energisch waren, wie die eines Soldaten.

Er seufzte vor sich hin.

„Was ist los, Colt?“, wandte sich der Rennfahre zu ihm um. „Ist es dir zu langsam? Wir haben Urlaub. Da geht’s auch mal gemächlicher.“

„Ja, aber eine Schnecke ist das Tier nicht, also trabt ein bisschen“, erwiderte der Scharfschütze ein wenig ungeduldig, da sie immerhin schon eine gute halbe Stunde so ruhig daher ritten

und den Kurzweil auf dem Pferderücken genossen.

Die Aufforderung kam daher nicht ungelegen. So verlegten sie sich auf das schnellere Tempo.

Beth hielt nicht nur die Zügel fest, wie Saber es ihr geraten hatte. Ihre Finger vergruben sich auch in der rauen Mähne des Pferdes. Je länger sie so ritten, desto eher gewöhnte sie sich an die neue Geschwindigkeit. Ihre Augen begannen zu leuchten und wenn sie den Schotten so ansah, beflügelte es sein Herz.

Der Ritt war beschwingt und gelöst. April jauchzte vor sich hin. Der Trab machte sie leicht und gab ihr das Gefühl von Freiheit.

„Na, Speedjunkie, ist das ein Tempo für dich?“, lachte sie dem Rennfahrer zu.

„War das die Herausforderung zu einem Wettreiten?“, fragte er, ahnte aber schon die Antwort, deshalb fügte er gleich hinzu. „Kannst du gerne haben! Was ist der Einsatz?“

„Und ob das eine war?“, gab sie zurück. „Mit einem Naturtalent wie Beth ... wir machen euch platt.“ Es war immerhin eine Möglichkeit die Herzdame des Schotten mit einzubeziehen.

Der Scharfschütze wandte sich um. Beth gab tatsächlich eine gute Figur zu Pferd ab. Sie schien mit dem Trab zu rechtzukommen, wirkte recht souverän. Es sprach wohl nichts dagegen, den Galopp zu versuchen. „Bis zur Kreuzung davon?“, schlug er vor und wies auf die Stelle, wo die Wiese in den Wald mündete. Ein breiter Sandweg kreuzte ihren Weg dort vor dem Dickicht.

„Von mir aus.“ Auch der Rennfahrer wandte sich um. „Was ist mit euch beiden?“, rief er Saber zu. „Traut ihr euch einen kleinen Sprint hinzulegen?“

Beth fügte sich dem Vorschlag. Zu reiten schien doch nicht so schwierig zu sein. Als der Recke auch noch die Strecke abschätzte, ihren bisherigen Ritt einbezog und zu stimmte, war auch sie einverstanden.

„Na dann! Auf los geht’s los!“, rief April fröhlich. „Und LOS!“ Lachend galoppierte sie davon. Fireball und Coltn folgten ihr im gestreckten Galopp.

Beth beobachtete kurz, wie die drei ihre Pferde antrieben, ehe sie ihrem Beispiel folgte. Mit dem Blitzstart, den die hingelegt hatten, hatten ihre Mühen allerdings wenig zu tun.

Der Schotte beobachtete sie. Als er den Eindruck gewann, dass die junge Frau mit dem blass lila Haar keine Schwierigkeiten hatte, trieb er auch sein Pferd an. Er schloss zu ihr auf. Sie hielt sich noch immer gut, so wagte er es, an ihr vorbei zu ziehen und Colt, der vor ihnen galoppierte, einzuholen.
 

Die Landschaft flog an ihr vorbei. Ein Ruck war durch ihren Körper gegangen als ihr Pferd abrupt das Tempo beschleunigt hatte. Instinktiv spannte sie sich an und versuchte Halt und Balance nicht zu verlieren. Je länger sie aber den vier Freunden folgte, desto schwieriger gestaltete sich die ganze Sache. Sie kam ins Rutschen, presste ihre Beine fester in die Flanken des Tieres. Der Hengst verstand die Aufforderung und beschleunigte sein Tempo weiter. Beth‘ Herzschlag beschleunigte sich alarmiert.

Beth Hände umgriffen die Zügel fester. Sie hielt sich an dem Sattel fest, aber sie glitt abwärts, Zentimeter für Zentimeter. Es gelang ihr nicht, sich wieder hinauf zu ziehen. Ihr Körper war zu verkrampft.

Kapitel 8

April jubelte bereits im Ziel und auch der Rennfahrer brachte sein Pferd etwas weiter hinter der Zielgeraden zum Stillstand.

Colt wandte sich um, um zu sehen, wie weit Saber und Beth schon aufgeholt hatten. Tatsächlich zog der Schotte gerade mit ihm gleich.

Der Blick auf die junge Frau allerdings ließ den Scout stutzen. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis er begriff, dass sie in sehr absehbarer Zeit vom Pferd gleiten würde. Bei dem Tempo würde das übel ausgehen.

Das schoss ihm durch den Kopf und im nächsten Augenblick wendete er seine Stute. Er preschte auf Beth zu und ignorierte das verwunderte „Colt, was ist los?“ des Schotten. Dafür hatte er schlichtweg keine Zeit.

Die Hufen seines Pferdes wirbelten Sand auf, als sie hart auf den Boden traten. Sie trugen ihn rasch zu der Dame in Not. Er streckte die Arme nach ihr aus und griff entschlossen nach ihr. Mit einem Ruck verhinderte er ihren Fall und zerrte sie vor sich auf den Sattel.

Dann ließ er seine Stute austraben und kam mit ihr schließlich zum Stand.

Beth atmete tief ein und aus. Ihr Körper entspannte sich. Langsam sortierten sich ihre Gedanken.

„Danke", sagte sie und sah zu ihm auf.

„Puh, bist du schräg“, murmelte der Cowboy und schaute sie prüfend an. Das war gerade noch mal gut gegangen.
 

Als der Scharfschütze ohne Vorwarnung abrupt gewendet hatte, hatte Saber bemerkt, dass Gefahr in Verzug war. Sofort hatte er sein Pferd ebenfalls gewendet und war ihm gefolgt. Er erreichte die beiden gleich darauf, mehr als nur erleichtert, dass der Lockenkopf das Schlimmste verhindert hatte.

„Alles okay bei euch?“, erkundigte er sich und warf einen prüfenden Blick auf die beiden. Beth wirkte etwas benommen, aber unversehrt.

„Sie ist nicht ganz so sattelfest, hm?“

Saber nickte leicht und rutschte aus seinem Sattel. Dann griff er nach Beth' Hand und half ihr vom Pferd des Cowboys. Behutsam führte er sie zu seinem.

„Gut. Das wird schon“, murmelte er ihr zu, während sie etwas zittrig einen Fuß vor den anderen setzt. Sie war die Bewegungen nicht gewohnt, das sah man nun. „Es war keine gute Idee, gleich in den Galopp zu wechseln.“ Mit dieser Erkenntnis hob er sie in seinen Sattel und stieg selbst wieder auf.

„Tja, darauf darfst du April hinweisen,“ bemerkte der Cowboy und wies in die Richtung, aus der die Blondine und der Wuschelkopf auf sie zu geritten kamen.

„Ich weiß, Colt. Danke für die Rettung.“ Saber hob leicht das Kinn, als Beth sich an ihn lehnte, damit sie es etwas bequemer hatte.

„Ja ja, schon gut. Hätte sie einen Kratzer, hättest du mir den Kopf runter gerissen, da kann ich sie ja nicht einfach fallen lassen“, wiegelte der ab. Dann erreichten die anderen beiden sie. „Hey, ist alles ok?“ April brachte den Schimmel zum Halten. Sie musterte die junge Frau besorgt.

„Gibt's Verletzte?“, erkundigte sich auch der Rennfahrer.

Die Betroffene versicherte gleich: „Nein, es geht mir gut, dank Colt.“

„Sie wollte ˋnen Abflug machen“, erklärte ihr Retter lapidar.

„Betonung liegt auf ‚wollte‘, nehm ich an. Also, alles heil, bis auf den Schreck“, versicherte sich der Rennfahrer.

„Warum sollte ich absichtlich fallen wollen?“

„Nicht mit Absicht, Beth. Fireball meinte, dass Colt dich vor der tatsächlichen Ausführung noch fangen konnte“, meinte April. Sie war wirklich weltfremd, dachte sich die Navigatorin. Es schien viele Dinge zu geben, die man ihr erklären musste. „Hauptsache, es ist nichts passiert“, schaltete sich Saber ein, nachdem sein Schreck und seine Sorge um Beth sich wieder in ihm beruhigt hatten. Dass sie sich so an ihn lehnte, half dabei sehr. „Ich schlage vor, wir beenden Runde gemütlich und gehen dann etwas trinken.“

Der Vorschlag fand die Zustimmung aller. So schlugen sie den Rückweg ein. Colt kehrte kurz um, um Beth Hengst zu holen und führte ihn mit sich zur Reitanlage zurück.

„Ich freu mich auf einen Eiscafe. Ihr auch?“, meinte April, während sie so den Pfad entlang ritten, den sie gekommene waren. Sie beobachtete, wie Beth sich an Saber fest hielt. Deren Blick schweifte aufmerksam umher und sie beobachtete die vier interessiert.

„Ja, ich mich auch. Das war genug Abenteuer für heute, finde ich“, stimmte Saber ihr zu.

„Scheint es aber wert gewesen zu sein“, neckte sie ihn amüsiert.

„Ja, war es.“

„Sieht ja fast so aus, als wär der missglückte Galopp Absicht von ihr gewesen“, stichelte Colt.

„Welche Absicht sollte das sein?“, fragte Beth neugierig.

„Oh, die Absicht. Na, sich an jemand bekannten zu kuscheln.“

Beth hob die Brauen. Kurz grübelte sie, dann öffnete sie den Mund. „Wer sollte das sein?“, fragte sie. Ein hauchfeines Grinsen umspielte ihre Lippen.

„Na, an wem hältst du dich denn gerade fest?“, gab der Lockenkopf zurück.

Die Navigatorin sah zu der jungen Frau zurück, erst verwundert über ihre Frage, dann aber sah sie deren zartes Grinsen und den verstohlenen Blick auf Saber und verstand. Schallend begann sie zu lachen. „Colt, sie hat einen Witz gemacht, haha.“

„Echt?“, horchte Fireball auf, währen der Scharfschütze schmollte: „Oh menno... Immer auf mich.“

„Nein, der ging auf Saber.“ April schüttelte den Kopf und klärte sie auf. „ Sie lehnt an ihm und fragt, von wem du redest, Colt. Als käme mehr als einer infrage und ganz bestimmt nicht Saber. Er hätte nur ‚He‘ sagen oder vom Pferd fallen müssen, der Gute. So hat er ihr die Pointe vermasselt.“ April lachte immer noch. Sie waren nicht auf den Gedanken gekommen, sie könne scherzen.

Saber schmunzelte vor sich hin. Beth schien sich wohl zu fühlen, auch in Gegenwart von Colt, Fireball und April. Das war vielversprechend. „Ich falle nicht so graziös“, erwiderte er nur.

„Sie auch nicht, aber sie sieht femininer aus“, meinte Colt.

„Wenn ich feminin aussehen würde, wär auch irgendwas nicht richtig.“

Fireball hob die Brauen. „Sagt, der Mann mit dem Kilt...“

Lachend ritten sie weiter und Saber erklärte Beth, was es mit einem Kilt auf sich hatte. Beide vertieften sich bald in ein Gespräch über seine Heimat und versanken in ihrer eigenen kleinen Welt.

Entspannt war der Nachmittag, ruhig und friedlich, wie Urlaubstage von vielen Menschen bevorzugt wurden.

Wie selbstverständlich kehrten sie zu Ramrod zurück.

Etwas langsam wurden die Schritte Colts, Aprils und Fireballs. Ob sie wollten oder nicht, sie zögerten Beth an Bord zu lassen. Es war immerhin das bestausgerüstete Kampfschiff des Neuen Grenzlandes und bot das ein oder andere sehr fortschrittliche Detail, das man gegen sie verwenden konnte. Diese Gedanken unterstellten Beth eine Agentin zu sein. Fireball und April tauschten einen betroffenen Blick. Dabei hatten wenigstens sie unvoreingenommen bleiben wollen.

Saber ahnte ihre Gedanken und entschloss sich, den berühmten Stier bei den berühmten Hörnern zu packen. Wollte er als Star Sheriff seinen Job gewissenhaft ausführen, musste er sie aufmerksam beobachten. Genau das tat er, als er sie an Bord führte und ihr zunächst die Brücke zeigte. Doch sie war daran nicht interessiert. Sie schaute zum Panoramafenster hinaus, kaum das er sie hinein führte und schenkte April keine Beachtung, die ihr erklären wollte, wem welche Satteleinheit gehörte.

Stattdessen schaute sie zu Saber und fragte ihn: „Ist dir schon mal aufgefallen, dass so ein Sonnenuntergang auch grüne Farbtöne aufweist?“

Er presste die Lippen zusammen und schmunzelte dann. „Komm, lass uns in die Küche gehen“, meinte er an und legte den Arm um sie. Die andern folgten erleichtert.

Sie knobelten Colt für das Kochen des Abendessens aus und machten es sich in der Küche gemütlich.

April und Fireball lehnten sich aneinander und sie ließ sich von ihm etwas über einen Rennfahrer berichten, der laut der Zeitschrift, in welcher er gerade schmökerte, Talent genug besaß, ihm mal den Titel streitig zu machen.

Saber und Beth diskutierten über einen Abschnitt aus einem Buch über die Geschichte seiner Heimat.

Colt warf den beiden Pärchen einen Blick über die Schulter zu und war froh, dass er sich mit etwas beschäftigen konnte, und wenn’s nur kochen war, sonst wäre er wohl vor Langeweile eingeschlafen. Er würde seinen Hut setzen, wäre er ihm nicht hochheilig, und darauf wetten, dass Snow etwas abwechslungsreicheres zum Zeitvertreib einfallen, oder dass sie sich für sowas sofort interessieren würde.
 

Die Nacht war herein gebrochen, wärmer als die Nächte zuvor. Die Häuser hatten die Hitze des Tages gespeichert und gaben sie nun nicht mehr frei. Mit jedem Sommertag stieg die Temperatur ein bisschen mehr. Ohne einen kühlenden Regen würde es so bleiben.

Als er durch die Straßen rannte, trieb diese Wärme ihm zusätzlich Schweiß auf die Stirn. Als ob er nicht auch ohne das schwitzte. Als ob sein Körper nicht auf Hochtouren lief. Sein Herz hämmerte ihm bis zum Hals. Seine Schläfen pulsierten. Seine Füße trugen ihn seinem Ziel entgegen. Seine Augen scannten die vorbeifliegende Umgebung, trainiert darauf innerhalb weniger Sekunden Gefahren aufzudecken. Er war geschult, sofort darauf zu reagieren, entweder ihnen zu entkommen oder sich ihnen zu stellen. So gehörte es sich für einen Soldaten. So gehörte es sich für ihn.

Er bog auf die freie Parkfläche am Rande der Stadt ab. Er wusste, dort war sein Ziel. Er hatte es bereits am Tage ihrer Ankunft bemerkt.

Er machte sich keine Gedanken darum, wie er sich bemerkbar machen sollte. Die Sensoren würden das für ihn übernehmen. Kein Zweifel.

Als er den Parkplatz zur Hälfte überquert hatte, hätte er auflachen können. Sie waren nachlässig genug gewesen, die Rampe offenzulassen. Die trauten sich ja viel zu. Was glaubten sie, wie lange man brauchte, um, wenn man von den Abtastern erfasst wurde, zur Rampe zu sprinten? Er hatte ja schon die Hälfte jener Strecke zurück gelegt.

Jean-Claude stürmte jene Rampe hinauf und hielt an deren oberen Ende für einen Moment. Wenn Ramrod mit etwas Grips zusammen gebaut worden war, dann lag in der Richtung die Brücke und in der dort die Unterkünfte. Er lief diesen Gang hinunter.

„Beth. Beth, wo bist du?“
 

Wie er es sich gedacht hatte, hatten die Sensoren eine Einzelperson angekündigt, die sich dem Friedenswächter schnell näherte. Sie vermuteten, dass es sich um Snow handelte. Sie hatte immerhin schon einmal nach ihrer Schwester gesucht. Wahrscheinlich schickte Jean-Claude sie vor, um zu vermeiden, dass er selbst entdeckt wurde. Fireball schaltete den Alarm in der Küche ab, während April aufstand.

„Ich geh mich mal um den Besuch kümmern“, bot sie an und lief auf den Flur.

Sie vernahm sofort die Schritte, die von der Rampe her in ihre Richtung liefen. Sie hallten deutlich durch den Friedenswächter. Snow schien vorauszusetzen, dass sie erwartet wurde, überlegte die Navigatorin und wappnete sich gedanklich für die Konfrontation. Sie wusste schließlich noch, wie aufbrausend Beth' Schwester sein konnte. April rannte ihrerseits los, kam aber nur wenige Schritte weit. Dann blieb sie abrupt stehen.
 

„Beth!“ Jean-Claude kam zum Halten, als er die Navigatorin auf dem Gang erblickte, auf welchen er abgebogen war. Er musterte sie kurz und kam dann mit nun ruhigen Schritten auf sie zu. Das leichte Zucken der Blondine verriet ihm, dass sie ihn nicht erwartet hatte.

„Wo ist Beth?“, verlangte er zu wissen. Seine Stimme klang fordernd.

„Wie wäre es mit einem ‚Hallo‘?“, fragte sie ruhig zurück, ehe sie klar stellte: „Beth isst mit uns zu Abend.“

Jean-Claude hob die Brauen. Schneid hatte sie ja, das gab er durchaus zu, aber die Art wie sie von seiner Schwester sprach, missfiel ihm.

„Ach tatsächlich? Wer hat das entschieden?“, wollte er wissen.

„Es war Beths eigener Wille, niemand hat sie gezwungen.“

Die Art zu antworten kannte er gut. Menschen sprachen oft so, wenn sie deutlich machen wollten, dass jemand durch den Sprecher besser behandelt wurde, als durch die Person mit der Gesprochen wurde.

„Möchtest du auch was?“, bot die Navigatorin etwas weniger energisch an.

Er unterdrückte ein spöttisches Lachen. „Ich möchte mit meiner Schwester sprechen. Würde es dir etwas aus machen, mich zu ihr zu bringen?“, erklärte er stattdessen ruhig.

Sie nickte knapp: „Komm mit.“ Damit ging sie die wenigen Schritte zur Küche zurück.

„Hey, Leute. Ich hab Jean Claude gefunden“, sagte sie, als die Tür aufging und sie eintrat.

Alle schauten auf, umso perplexer als der Genannte auch noch wie selbstverständlich eintrat und sich kurz umschaute.

Colt ließ den Kochlöffel fallen. Mit den gleichen aufmerksamen Augen wie seine Freunde beobachtete er den Outrider.

Der trat zwei rasche Schritte auf Beth zu, die ihrerseits aus der Bank schob und zu ihm eilte.

„Jean, was machst du hier?“, wollte sie wissen. Sie wirkte bestürzt bei der Frage.

Wachsam erhoben sich Fireball und Saber. „Hallo, Jean-Claude“, grüßte der Schotte ruhig.

Der Angesprochene ignorierte ihn, ignorierte sie alle. Sein Fokus war auf seine Schwester gerichtet, die vor ihm stand. Er umfasste ihr Kinn und hob ihr Gesicht an. Prüfend schaute er sie an und strich mit leichtem Druck mit dem Daumen über ihre Wange. „Geht es dir gut?“

Erst als sie ihm versicherte, dass ihr nichts fehlte, erwiderte er den Gruß des Recken ohne dabei den Blick von seiner Schwester zu lösen.

Fireball schob sich zu April vor und legte ihr demonstrativ den Arm um die Schulter.

„Lange nicht gesehen“, meinte er langsam.

„Keine Sorge, es in nicht für lange.“ Der Outrider hielt seine Augen noch immer auf das blass lila Haar Beth‘ gerichtet, als er sagte: „Wir müssen los. Snow ist nicht zu finden.“

Alle wurden hellhörig.

„Wie, nicht zu finden?“, echote Colt perplex.

„Das ist nicht deine Sache, Viehtreiber“, gab Jean-Claud zurück. Er legte seine Hand auf den Rücken zwischen die Schulterblätter seiner Schwester und schob sie sacht in Richtung der Tür. Sie ging mit ihm.

„Kann sein, aber...“ Colt wollte ihn zurück halten, aber ihm fiel nicht ein wie. Nein, eigentlich hatte er schon eine Idee, aber die brachte er nicht über die Lippen. Wie würde wohl der Erzfeind darauf reagieren, dass sich ein Star Sheriff in seine Schwester verguckt hatte, sie wenigstens interessant genug fand, um sie näher kennenlernen zu wollen? Jean-Claude hatte zunächst ein Wiedersehen verboten. Jetzt schien er jede Verbindung zwischen Saber und Beth zu ignorieren.

„Lass uns helfen, sie zu suchen. Je mehr wir sind, desto schneller finden wir sie.“ Saber sah den grünhaarigen ernst an. In einem hatte der Recht gehabt. Es war auch an ihnen sich zu beweisen. Sie hatten Hilfe versprochen. Nun war eine Chance da, zu zeigen, dass es nicht nur leere Worte waren.

Die Anwort Jean-Claudes bestätigte den Schotten.

„Natürlich. Die großen Helden. Hört auf, euch aufzuspielen“, wies er den Vorschlag ab. Seine Vorurteile ihnen gegenüber wogen ebenso schwer. Er wäre wohl mit Beth fort gegangen, wäre diese nicht stehen geblieben und hätte ihren Bruder ernst angeschaut.

„Hältst du das für klug?“, fragte sie ihn schlicht.

Jean-Claude blickte sie musternd an und seufzte. „Gut, ein Waffenstillstand“, gab er nach, „bis wir Snow zurück haben.“

Der Schotte nickte. „Also, dann. Lasst uns Teams bilden. Zweierteams?“

„Wie sollen die aussehen?“

„Du und Beth kennt Snow am besten, ihr beide solltet jeweils mit einem von uns losziehen. Colt ist ein guter Scout.“

„Auf keinen Fall. ich vertraue sie keinem von euch an. Sie ist nicht erfahren genug, um in einer eventuellen Konfrontation reagieren zu können.“

Beth nickte. Jean-Claude hatte Recht. Sie war keine Agentin. „Wenn April und ich auf Ramrod bleiben und die Gegend mit den ...“ Sie suchte nach den richtigen Worten.

„Bio, der Ausdruck, den du suchst ist: mit den Abtastern absuchen.“ Der grünhaarige sah sie flüchtig an.

„Von mir aus“, stimmte April zu. „Wir können uns mit Ramrod verteidigen.“

„Du und ich? Und Fire und Colt?“ Saber plante seine Optionen.

„Und du meinst, die beiden schaffen das?“ Skepsis schwang in der Stimme des Outriders.

Sofort schalte es von denen zurück. „Die beiden haben dir in den Hintern getreten!“

„Aber klar doch!“, versicherte der Schotte. Colt legte noch einen drauf.

„So ne kleine Suchaktion machen wir im Vorbeigehen.“

„Weder das eine noch das andere dürfte zum Erfolg führen und auf so was wie Glück würde ich mich nicht verlassen.“ Er konnte nur sein grünes Haar schütteln, verkniff es aber.

„Sag mal, Jean-Claude, gibt es da vielleicht noch etwas, über das wir Bescheid wissen sollten? Ich hab das Gefühl, wir starten hier keine Suchaktion für ein Mädchen, das einfach nur zu spät heimkommt. Gib uns mal eine Information über eure Verfolger. Ich lasse mich diesbezüglich nur ungerne überraschen“, äußerte der Recke sachlich eine Überlegung.

„Mehr als du schon erhalten hast? Ich bitte dich. Wenn ich die hätte, wäre ich nicht hier und würde mich auf das hier einlassen.“ So kühl wie die Antwort klang, bestand kein Zweifel an deren Wahrheitsgehalt.
 

Damit war alles geklärt. Eiligst brachen sie auf, auf alles eingestellt. Saber nahm sich noch Zeit sich mit einem liebevollen Kuss von seiner Herzdame zu verabschieden und ihr zu versprechen, ihre Schwester zu finden. Mit Steed, dem Fury Racer und dem Bronco Buster brachen sie auf. Jean-Claude lieh sich eines ihrer Jetpacks.

April führte Beth auf die Brücke.
 

Diesmal sah sich die junge Frau mit dem blass lila Haar genauer um. Sie beobachtete, wie April in ihre Satteleinheit glitt und ihren Computer hochfuhr. Sie tippte souverän auf den Knöpfen herum, schien genau zu wissen, was sie tat. Dabei strahlte sie eine Erfahrung aus, welche die Outriderin nur von ihrem Bruder kannte.

Wie er erkundigte sich nun auch April sachlich nach Anhaltspunkten für die Suche und gab alles, was sie von Beth erfuhr und der Suche dienlich sein könnte an die vier Männer weiter. Sie sprach knapp und sachlich, beinahe so distanziert wie Jean-Claude in solchen Momenten.

Während die Navigatorin die Informationen koordinierte, die zwischen ihr und den Suchenden hin und her flossen, schlenderte Beth zur Satteleinheit des Recken. Sie fuhr mit der Hand die obere Kontur des Metallrahmens entlang. Saber oder ihr Bruder, beide konnten ihr sicher erklären, was für ein Metall es war und warum es hier zu diesem Zweck verwendet wurde. Der Gedanke an den Schotten ließ sie nachdenklich lächeln, dann glitt sie in seinen Sitz.

Sie schaute aus dem Panoramafenster und fragte sich, wo Snow wohl sein konnte. Ob sie ihre Schwester fanden? Was würde dann passieren? Würden sie weiter ziehen? Oder bedeutete Snows Verschwinden mehr, als Beth gerade annahm? Es war ungewöhnlich, dass Snow ihrem Haus fernblieb. Was steckte dahinter?

Stille war auf der Brücke eingekehrt, die sie nicht bemerkte. April allerdings tat es und überlegte, wie sie die Stille brechen konnte. Beth fühlte sich sicher nicht wohl und es würde eine Weile dauern, bis die vier etwas fanden, mit dem sie weiter arbeiten konnten.

„Dir gefällt unser Boss“, sagte sie schließlich. „Das beruht auf Gegenseitigkeit, wie ich dir versichern kann.“

Beth zuckte leicht zusammen, als sie angesprochen und aus ihren Gedanken gerissen wurde.

„Er ist sehr ... faszinierend“, erwiderte sie sehr langsam.

„Was fasziniert dich an ihm?“, wollte April aufrichtig wissen.

„Was er sagt, was er denkt ... Er ist sehr klug. Jedes Gespräch ist interessant. Er hat so ... so goldene Haare. Bei uns hat niemand solche Haare ... Oder Augen ... seine sind so ... blau.“ Es sprudelte aus Beth heraus, während sie an ihn dachte. Ihr Blick hing noch immer am Panoramafenster.

„Du klingst überwältigt, wenn du von ihm sprichst. Das ist schön.“

„Hm, wie gesagt, er ist sehr faszinierend. Es ist gut, dass Jean das Verbot aufgehoben hat, nachdem Saber und Colt bei uns waren. Es wäre sonst ... na ja, weniger faszinierend.“

„Ach, sag das nicht. Verbotenes hat auch seinen Reiz. Was war es, das Jean-Claude dazu bewogen hat, das Verbot aufzuheben?“

Jetzt richtete sich Beth im Sitz auf und schaute zur Navigatorin hinüber, die sich zu ihr umgedreht hatte. Sie schwang ihre Beine aus der Satteleinheit und setzte sie auf den Boden. April hatte etwas seltsames gefragt, weshalb sie nun nachhakte: „Was soll an Verbotenem reizvoll sein?“

„Hm... Wir Menschen neigen zu Trotzreaktionen. Es gibt Menschen, die, wenn etwas verboten ist, es erst recht haben wollen.“

„Das scheint mir dumm zu sein. Ausgesprochen dumm sogar, denn ein Verbot zu missachten kann schlichtweg tödlich sein. Was ist der Sinn dahinter, so etwas zu riskieren, statt das Überleben zu gewährleisten?“

Überrascht weiteten sich Aprils Augen. Was für eine Frage? Sie suchte nach den richtigen Worten.

„Es gibt unterschiedliche Kategorien von Verboten. "Du darfst die Schokolade nicht haben", ist kein tödliches Verbot. "Du darfst nicht ohne Schutzanzug im All durch die Gegend fliegen" ist ein Verbot, das tödlich ist, wenn man es bricht.“

„Das kann man nicht vergleichen. Zu sagen, dass man nicht ohne Schutzanzug durchs Weltall fliegen darf, ist ein Verbot, das einen sinnvollen Zweck erfüllt - nämlich die Gewährleistung des Überlebens. Zu sagen, man darf keine Schokolade haben, ist nicht unbedingt sinnvoll, sondern vielmehr eine Demonstration von Macht und damit eher Willkür.“

„Das waren zwei Extrembeispiele, Beth. Das soll dir verdeutlichen, dass Verbote nicht alle gleich schwerwiegend oder tödlich sein können. Wir Menschen passen unsere Reaktionen an die gegebenen Umstände an. Wir überdenken auch die Gründe des anderen, weshalb es das Verbot gibt und hinterfragen es. Manche Dinge sind es sehr wohl wert, dass man sich über Verbote hinwegsetzt. Frieden oder Liebe zum Beispiel. Wenn man sich wirklich liebt, wäre man doch für immer unglücklich, wenn man sich den Vorstellungen eines Dritten beugt.“

„Du musst mich nicht über Sinn und Unsinn von Verboten belehren. Auch solltest du nicht davon ausgehen, dass ich in meinem Leben noch nie einen einzelnen Gedanken gefasst hätte. Eure Ansichten über uns sind so derart vorurteilsbeladen, dass ihr euch zu tiefst schämen solltet. Ihr baut so etwas hier“ Sie wies mit der Hand auf die Brücke ehe sie sachlich fortfuhr. „und dann sagt ihr solche Sachen. Das ist paradox und sollte euch mehr als nur unangenehm sein.“ Damit erhob sie sich aus dem Sattelmodul und schickte sich an zu gehen. Sie hatte angenommen ein Gespräch mit April wäre ein ebensolcher Austausch über den anderen wie es die Gespräche mit Saber für sie waren. Nun kam es ihr einmal mehr so vor, als sähe sich die Navigatorin dazu verpflichtet ihr die Welt zu erklären wie einem Kind. Das hielt Beth nicht für einen produktiven Austausch, weshalb sie das Interesse daran verlor. Mit der gleichen ruhigen Miene mit der sie die Blondine während des Gespräches angeschaut hatte, ging sie nun auf die Tür zu.

Betroffen verfolgte April deren Bewegungen. Sie war also nicht nur in einen Fettnapf getreten, sie hatte sich in eine Fritteuse geworfen. Das war nicht ihre Absicht gewesen. Rasch rief sie Beth nach ehe sie ganz aus der Tür war.

„Warte, Beth! Es tut mir leid. Wir haben bisher wenig private Erfahrung mit Outridern gemacht. Sie haben uns bislang den Eindruck einer Horde Lemminge vermittelt, die keinen eigenen Willen hat. Das ist neues Terrain für uns, es ist schwierig, solche Vorurteile über Nacht abzubauen“, erklärte sie sich ehrlich.

Beth wandte sich um. Noch immer war ihr Gesicht ruhig und auch ihre Stimme war unverändert sachlich. „Die Wrangler, mit denen ihr zu tun hattet, spiegeln nicht unsere Art wieder. Sie sind nicht repräsentativ und stehen nicht für die Gesamtheit unseres Volkes. Vielleicht solltet ihr eure Beobachtungsfähigkeiten verbessern. Nehmen wir meinen Bruder als Beispiel. Ja, er hat getan, was er getan hat. Aber jetzt, da ihr Gelegenheit habt, fragt ihr ihn auch nicht nach seinen Motiven - zumindest hat Colt das bei seinem Besuch nicht getan. Ja, Jean hat Befehle befolgt. Weil er ein gefühlloser, blinder Befehlsempfänger ist, wie ihr ganz klar glaubt? Oder besteht die Möglichkeit, dass er das nicht ist? Würde er, so ohne Gefühl, eine Schwester rächen wollen, eine andere suchen und die dritte beschützen wollen? Hätte jemand ohne Gefühl sich als erstes danach erkundigt, ob es ihr gut geht? Du sagst, ihr hinterfragt Verbote und doch kommt es dir wohl nicht einen Moment lang in den Sinn das Verbot meines Bruders zu hinterfragen. Was bringt dich zu der Annahme, er wolle mir mein Glück verwehren, wie du es nanntest? Hat er nicht nur versucht mich und auch Snow vor einem Feind zu schützen? Lag darin womöglich der Grund für sein Verbot? Was meinst du?“

April blieb eine ganze Weile still und ließ sich die Fragen durch den Kopf gehen. Ihre Erfahrung beruhte auf kriegerischen Auseinandersetzungen. Länger als nötig hatte niemand von ihnen sich mit ihnen befasst, sie waren darauf aus gewesen, sie in die Phantomzone zurück zu schicken um den Frieden im Neuen Grenzland zu erhalten. Ein philosophische Debatte hatten sie nicht einmal mit Jesse Blue geführt, obwohl mit ihm an einem Tisch gesessen hatten, während der Friedensverhandlungen. Wenn Beth nun sagte, dass sie Gelegenheiten ungenutzt gelassen hatten, musste die Navigatorin ihr Recht geben. Es schien zumindest ein großer Teil dessen, was sie über ihren Gegner zu wissen glaubten, war falsch. Immerhin, so hatte Beth in ihr die Erkenntnis geweckt, ein wirklich gefühlloser blinder Befehlsempfänger würde nicht fliehen oder sich auf einen Waffenstillstand einlassen um jemand zu suchen. „Natürlich nicht“, antwortete sie schließlich. „Das, was Jean-Claude getan hat und tut, das würde auch ein jeder Mensch, der etwas für einen anderen empfindet, so machen.“ Sie strich eine Strähne zurück und beschloss, ihr Wissen zu erweitern. Beth hatte von ihrem Bruder gesprochen. Dann fing sie doch bei dem an. „Was für ein Bruder ist Jean-Claude?“

Beth lehnte sich an den Türrahmen und antwortete, sachlich und ruhig. „Ihm geht die Familie über alles. Von unserer Führung hält er allerdings nicht sehr viel. Er handelt sehr gut getarnt und wenn man ihn nicht kennt, ist es wohl nicht einfach ihn zu verstehen. Alles, was er tut, tut er für uns. Er ist, wie Menschen es wohl nennen würde, sehr liebevoll und all seine Taten sind davon motiviert, dass es uns gut geht und wir beschützt sind.“

Überrascht schaute April sie an. „Das, was du erzählst, klingt nach einer heilen und tollen Familie.“

Beth hob die Schulter. „Unter diesen Umständen … kann sein.“

„Es hört sich zumindest für mich so an. Den Idealfall einer Familie wie im Bilderbuch, den gibt es nur sehr selten. Aber es ist an uns, aus dem was uns bleibt, das beste daraus zu machen.“

Die Art bitter aufzulachen hatte sie mit ihrem Bruder gemeinsam.

„Was du nicht sagst?“, entfuhr es ihr, dann presste sie die Lippen aufeinander. „Das Beste daraus machen. Du hast keine Vorstellung davon, wie oft Jean den Kopf für uns hingehalten hat, wie oft er ... für uns eingetreten ist, wie viele Strafen er für uns in Kauf genommen und ertragen hat.“ Beth schüttelte den Kopf bei der Erinnerung daran. Sie seufzte schwer. Ehe sie aber etwas sagen konnte, meldete sich April erneut zu Wort.

„Du hast Recht, das weiß ich nicht. Woher auch? Dafür kenne ich euch nicht gut genug. Aber auch du weißt nichts über die Entbehrungen, die auch wir hatten.“ Seufzend fuhr sie sich durchs Haar. „Ich hab's nicht so gemeint, Beth. Entschuldige. Aber ich möchte verstehen. Vielleicht erzählst du uns ja mal etwas über euer Leben, wenn du das möchtest.“

Beth wog ab. ‚Du weißt nichts über die Entbehrungen, die wir hatten‘. Wie oft hatte sie Menschen in Gesprächen beobachtet, die geradezu darum zu wetteifern schienen, wer es von ihnen am schwersten hatte, wem das Leben die härtesten Prüfungen auferlegte. ‚Hör auf, du weißt ja nicht wie schwer das. Du weißt ja nicht wie das ist wenn…Du hast keine Ahnung, was ich gerade durch mache…‘ Solche und ähnliche Sätze hatte sie schon oft gehört. Doch als sie April so ansah, hatte sie nicht den Eindruck in einen solchen Wettstreit geraten zu sein. Vielmehr war es eine Feststellung ihrerseits, ehe sie ihr Gespräch fortsetzte. Beth ging darauf ein.

„Frag mich was. Was möchtest du wissen?“

„Wo fang ich an? Es gibt so vieles, das ich fragen möchte. Wie habt ihr in der Phantomzone gelebt? Was ist mit euren Eltern? Warum seid ihr genau geflohen?“

Die Gefragte trat endlich von der Tür weg und schlenderte, in ihrer ruhigen Art, zurück zum Sattelmodul des Schotten. Sie setzte sich hinein, ließ ihre Füße wieder auf dem Boden daneben stehen.

„Unsere Eltern hatten eine gelungene Symbiose. Sie waren Forscher und als solche beteiligt an der Optimierung des Transdimensonsbeamen - das, was ihr als Phantomisieren bezeichnet. Als dies erfolgreich war, holte man sie ab. Annabell war damals gerade in die Ausbildung gekommen, also 16 Jahre alt. Jean war schon ein Jahr dabei. Snow war 14 und ich war 13. An dem Tag hab ich sie zum letzten Mal gesehen. Das zu meinen Eltern. Warum wir geflohen sind? Man hatte Annabell verhaftet, nachdem ihre Mission hier gescheitert war. Jean zog los, um sie zu rächen und sie so aus der Haft zu holen. Er hatte seine Aufgabe damals auf Pecos zur Zufriedenheit seiner Vorgesetzten erfüllt, deshalb ließen sie ihn ziehen. Nun, du weißt selbst, wie es für ihn ausging. Er wurde bei seiner Rückkehr ebenfalls inhaftiert. Vor nicht ganz einem Jahr gelang ihm und Annabell die Flucht. Wer bei uns flieht, der flieht so weit er kann. Also gingen wir nach Pecos. Alle. Das war sinnvoller. Die andere Frage kann ich nicht beantworten. Die ist nicht sehr präzise“, erwiderte sie sachlich, als zähle sie Fakten auf. Es schien, als distanziere sie sich davon.

„Das war sehr informativ.“ April runzelte die Stirn. Das klang nach einem sehr harten Los, welches Beth und ihre Familie da teilten. „Ich versteh den Teil mit Jean Claude, mehr oder weniger. Was ich aber gar nicht verstehe ist, wohin hat man deine Eltern abgeholt? Sie haben offenbar das Transdimensionsbeamen optimiert. Was hat man mit ihnen gemacht? Sie haben doch viel für die Outrider getan, oder?“

„Ja, das haben sie. Deshalb hat man sie weggebracht. Das machen sie immer so. Niemand weiß, was mit ihnen passiert oder wo sie hinkommen. Man sieht sie nie mehr. An dem Tag habe ich Jean zum ersten Mal kritisch über unsere Führung sprechen hören.“

„Jean spricht kritisch über eure Führung? Ich meine, ich kann es verstehen, durch das, was mit euren Eltern und eurer Schwester passiert ist. Aber ich kenne Jean-Claude so gar nicht, das ist schwer für mich gerade zu begreifen. Wie denkst du über eure Führung?“

„Natürlich kennst du ihn so nicht. Wie gesagt, er tarnt sich sehr gut. Es ist so, als würde er sich verkleiden, wenn er auf eine Mission geht oder jemand abseits unserer Familie zu tun hat.“ Sie presste die Lippen zusammen und überlegte, inwieweit es sinnvoll war April in all ihre Gedanken einzuweihen, als ehemalige Gegenspielerin ihres Bruders. „Wir sind uns einig über unsere Führung. Wir verabscheuen sie. Einzig Annabell hat vor ihrer Mission und ihrem Scheitern versucht, die Führung für sich zu gewinnen, um so eine Vorzugsbehandlung für unsere Familie zu erwirken. Nach ihrer Haft hatte sie eine andere Meinung. Ich kennen sie und Jean aus der Zeit vor der Haft, ich kenne sie danach. Ich sehe Jeans Körper und sehe jedes Mal all die Gründe, diese Führung zu ...sprengen ... zu stürzen ... zu vernichten und ihnen die gleiche Strafe aufzuerlegen, die sie für Jean und Annabell hatten.“ Nun war ihr doch die Sachlichkeit abhanden gekommen, jetzt, da sie davon berichtete. Sie räusperte sich und konnte wieder nüchtern das Gespräch fortsetzen.

„Das glaube ich dir“, erwiderte die Navigatorin mitfühlend. „Gibt es mehr in der Phantomzone, die so denken, wie ihr? Ich meine, wenn eure Führung solche Dinge tut, bleibt das doch nicht verborgen.“

„Natürlich bleibt es nicht verborgen. Es ist nicht gerade so, als würden sie sich darum bemühen, es zu verbergen. Die meisten akzeptieren es, wie es eben ist - unsere Art zu leben.“

„Ich kann mir vorstellen, es hat bestimmt auch etwas mit Angst zu tun, das Schicksal derjenigen zu teilen, die es gewagt haben, sich dagegen zu wehren“, überlegte die Blondine.

Beth sah sie erstaunt an, dann verstand sie. Ihre Ausdrucksweise hatte ihrer Gesprächspartnerin wohl vermittelt, sie würde einer Diktatur entstammen, wie sie die Menschen kannten.

„Nein, mit Angst hat das nichts zu tun, eher mit Einsicht in Notwendigkeiten. Es ist ein sehr klares System. Man weiß von Anfang an was passiert wenn bestimmte Dinge eintraten. Wir haben mit unseren knappen Resourcen auf diese Weise auch nie das Problem, dass wir mehr versorgen müssen, als wir Reserven zur Verfügung haben. Es ist also eher effizient und zielorientiert. Auf unserem Planeten ist das die Natur der Dinge“, versuchte sie das Missverständnis aufzuklären.

„Es ist logisch, aber ich fühle mich bei dem Gedanken nicht wohl“, gab April offen zu. Sie erschauderte regelrecht und schüttelte sich. „Es fehlt irgendwie an Wärme und den sozialen Aspekten, die Schwächeren der Gesellschaft zu beschützen. Ja, euer System ist klar strukturiert und geradlinig, aber ich würde mich in so einem System nicht wohl fühlen.“

„Nun, es gibt bei uns keine ‚Schwachen der Gesellschaft‘, jeder ist effizient“, begann Beth auszuführen, dann musterte sie ihre Gesprächspartnerin. Sie musste wohl erstmal das gehörte verarbeiten, so sparte sie sich weitere Auskünfte, und versuchte etwas geben, das sie beim Verstehen unterstützte, so wie es auch Beth immer wieder brauchte. Das konnte die junge Outriderin nachvollziehen. „Du bist ein Mensch und lebst in einer anderen Umwelt. Du bist an das hier angepasst. Wir sind an unser Umfeld angepasst. Wir haben eine ähnliche Physis, aber wir unterscheiden uns auch. Wir brauchen keinen Sauerstoff, dafür aber Wasser. Ihr müsst mit einer Überdosis an Hormonen zu Recht kommen. Das ist etwas, was ich mir wahnsinnig schwer vorstelle, für dich aber ziemlich sicher kein Problem ist.“

April lachte verstehend auf. Das hatte Beth gut verglichen. „Die Sache mit den Hormonen ist schwer. Zwar nicht für alle gleich, aber für uns Frauen doch schwieriger als für Männer.“ So langsam näherten sie sich einander an, stellte sie erleichtert fest, als sie fortfuhr. „Ihr seid sehr beherrscht und aus deinen Worte schließe ich, dass euer Hormonhaushalt ausgeglichen ist. Vielleicht ist das mit ein Grund für eure Reserviertheit?“

„Vielleicht ist euer wenig ausgeglichener Hormonhaushalt der Grund für eure Aufdringlichkeit?“, fragte Beth zurück. Ein hauchfeines Grinsen überzog ihre Lippen. Schon wollte April zu Protest ansetzen, dann bemerkte sie es und begann erneut zu lachen. „Oh, jetzt versteh ich. Du hast einen ziemlich trockenen Humor. Das gefällt mir.“

Beth lächelte zurück.

Kapitel 9

Steed flog über die Straßen Bay Backs. Seine Hufdüsen zischten beständig, wirbelten den Staub vom Teer, während er seinen Reiter zügig seinem Ziel entgegen trug.

Saber hielt die Zügel fest und prüfte die vorbeiziehenden Häuser. Wachsam spähte er in die Seitenstraßen, welche seinen Weg kreuzten. Die LED-Augen seines mechanischen Pferdes halfen ihm, leuchteten in dunkle Ecken, wie die Scheinwerfer eines Autos.

Neben ihm, auf gleicher Höhe, flog Jean-Claude, ebenso aufmerksam wie er. Das Jetpack war nicht ganz so schnell, wie die, die er gewohnt war, aber besser als weiter zu Fuß bei weitem nicht schnell genug zu sein und zu riskieren, dass alles misslang, was er erreichen wollte. Dass er dafür ausgerechnet mit den Star Sheriffs zusammen arbeiten musste, hatte er als minimalste Wahrscheinlichkeit außer Acht gelassen. Die Wahrscheinlichkeit, dass er seine Schwestern und sich vor ihnen verbergen musste, lag bei weitem höher und war, seiner bisherigen Erfahrung mit ihnen nach, deutlich realistischer. Dass all das nicht leicht würde, war ihm von Anfang an bewusst gewesen, doch jetzt eine Schwester suchen zu müssen, damit rechnen zu müssen, dass sie entführt worden war, weil die Führung hinter ihm und seinem Wissen her war, hatte er zu diesem Zeitpunkt nicht erwartet. Nein, er hatte damit gerechnet, dass es passieren würde, sobald es ihm gelungen war seine Schwestern an einer Universität anzumelden und sie somit Teil des öffentlichen Lebens wurden. So lange er sich darauf beschränkt hatte, möglichst wenig aufzufallen und sämtliche Spuren zu verwischen, war er davon ausgegangen, dass man ihm nicht auf die Spur kam. Es gab so viele Randgebiete, in denen die Führung sie suchen würde, ehe sie auf Bay Back kommen würde, das vergleichsweise nah an der Metropole lag. Das hätte ihm genug Zeit gegeben, die Lebensläufe seiner Schwestern so zu frisieren, dass keine Verbindung zu ihm mehr hätte aufgebaut werden können. Das alles ging schneller als er erwartet hatte. Er verfluchte sich gedanklich, sich verkalkuliert zu haben. Das hätte nicht passieren dürfen.

Verbissen konzentrierte er sich auf den Weg, bis sie endlich den Markt erreichten, in dem sie sonst einkauften.

Wo steckte Snow nur? Hoffentlich war Beth wohl auf? April würde es bereuen, würde sie ihr Wort nicht halten, so viel war sicher.

Er warf einen prüfenden Seitenblick auf seinen Begleiter, dann brach er die Stille zwischen ihnen.

„Warum war Beth bei euch?“ Er kannte die Antwort auf die Frage. Er wusste, sie fand die Star Sheriffs interessant und besonders Saber faszinierend. Es ging, dass konnte er an der Art erkennen, wie sie über ihn sprach, über eine forschende Neugier hinaus. Jean-Claude fragte nur aus einem Grund: Er wollte sehen, wie viel er auf die Worte des Blonden geben konnte.

„Wir haben uns für heute verabredet. Beth hat mir erzählt, sie würde sich für Pferde interessieren. … Sie hat wohl ein Buch über sie gelesen, aber noch keines … gesehen … ich wollte es ihr zeigen …“

Der Schotte antwortete nur sehr langsam und zeitlich verzögert. Seine Augen waren sich auf den Markt und den Parkplatz davor gerichtet. Er hatte Beth ein Versprechen gegeben, das er zu halten gedachte. Deshalb schaute er sich auf dem Parkplatz um und versuchte Anzeichen zu entdecken, die auf Snow oder eine mögliche Entführung hinwiesen. Er blickte auf leere Parkplätze, halbvolle Abfalleimer und eine Gruppe Jugendlicher, die johlend und wankend vorbeizog.

„Aha. Da du nicht richtig zu hörst, ist dein Interesse an ihr demnach hormoneller Natur.“ Diese Feststellung riss ihn aus seiner Observation.

„Wie bitte? Wie kommst du denn darauf?“

„Das sagte ich bereits. Wärst du an einer Symbiose interessiert, hättest du zugehört, wenn es um sie geht", entgegnete Jean-Claude sachlich.

„Symbiose? Wenn ich dich richtig verstehe, meinst du so etwas wie eine Beziehung. Im Moment haben wir wohl eher andere Dinge zu tun, als darüber zu reden. Aber wenn es dich so brennend interessiert. Ja, ich finde Beth ist eine sehr bemerkenswerte Persönlichkeit.“

„Symbiose, genau und da mir meine Schwester gleichgültig ist, liegt es in der Natur der Sache, dass ich keinerlei Erkundigen einziehe.“ Die Worte des grünhaarigen trieften vor Ironie.

„Kommt der große Bruder durch? Ich muss gestehen, so etwas habe ich bei einem Outrider schon lange nicht mehr gesehen. Beinahe so interessant wie Beth.“ Es war vielleicht nicht hilfreich den ironischen Vorurteilen des Outriders mit Sarkasmus zu begegnen, doch Saber hatte nicht vor alles auf sich sitzen zu lassen, was Jean-Claude ihm vorwarf. „Ich versichere dir, Jean-Claude, ich tue nichts, was deine Schwester nicht möchte“, ergänzte er dann ernst.

„Ich bezweifle das doch irgendwie. Ich werde mich mal mit ihr darüber unterhalten. Sie ist ohnehin anfälliger als Annabell es war“, bemerkte der, ohne sich auf den Sarkasmus einzulassen.

„Tu das, wenn du kein Vertrauen hast.“ Was sollte der Schotte sonst entgegnen? Jean-Claude war skeptisch, misstrauisch. Er wäre es an seiner Stelle wohl auch. Er war es jetzt noch, doch er bemühte sich zu verstehen, was seinen Gegenüber dachte. Darum erfragte er, was er nicht verstanden hatte. „Wie meinst du das? Sie ist anfälliger?“

„Als ob ich dir das sagen würde solange ich damit rechnen muss, dass du hormonell geleitet bist.“

„Die Sache mit den Hormonen macht dich fertig, wie mir scheint. Ja, Menschen haben Hormone und werden mitunter von ihnen übermannt. Sie sichern das Überleben.“ “Ich weiß, dass Menschen Hormone haben. Die haben wir auch, nur sind sie bei den meisten von uns ausbalancierter als bei euch, weshalb wir nicht zu solchen Überreaktionen neigen wie ihr. Was ihr Gefühle nennt, ist auf nichts mehr als situativen Hormonausschüttungen begründet. Mag sein das ihr so überlebt, wir schaffen das ohne das. Soll ich meine Schwester also so jemand anvertrauen, der in einem Moment - wie nennt ihr das - die große Liebe schwört, nur um zu gehen, sobald er seine Hormone wieder reguliert hat?“

„Ja, genau. Alle Menschen sind so. Wenn die Hormonausschüttung sich wieder reguliert hat, verlassen wir unsere Partner wieder. Das machen wir mit Vorliebe dann, wenn das Überleben der eigenen Spezies gesichert ist.“ Der Recke schüttelte den Kopf. Das mal zu den Vorurteilen. Es war eben leicht, alle in einen Topf zu werfen und kräftig zu rühren. „Wie läuft das bei euch so? Werdet ihr im Labor zusammengelost?“

„Au Contraire. Ich erwähnte die Symbiose bereits. Es ist das, was ihr Liebe oder auch Beziehung nennt, nur ohne die übermäßige Ausschüttung von Dopamin, Serotonin und dergleichen. Wie gesagt, im Durchschnitt sind wir da regulierter, was nicht heißt, es gäbe nicht Ausnahmen, die die Regel bestätigen.“

„Dann fahren eure Hormone nicht Achterbahn mit euch. Das klingt auf den ersten Blick einfacher, aber ich weiß nicht, ob mir das gefallen würde. Es gibt auch bei uns Ausnahmen, Menschen, die auf die Gefühle anderer nicht eingehen können, sie nicht lesen können.“

„Schön, wir haben also alle unsere Exoten. Soll ich deshalb aufhören, auf meine Schwestern zu achten? Gerade du ... Mensch der du nun mal bist, solltest meine Fragen nach deinem Interesse an meiner Schwester nachvollziehen können.“

Saber richtete seinen Blick von dem Parkplatz auf seinen Begleiter und musterte ihn. Seine Sorge um seine Schwester lag wohl in der Anfälligkeit begründet, von welcher der gesprochen hatte. Es gab also Ausnahmen unter den Outridern, die keinen ausgeglichenen Hormonhaushalt hatten? Es lag nahe die Theorie aufzustellen, dass eben diese Outrider anfälliger für menschlichere Gefühle waren. Das dürfte dann als Schwäche gewertet werden oder stellte eine Angriffsfläche dar, die Jean-Claude mit seinem Misstrauen nicht vor einem ehemaligen Feind offenlegen wollte.

„Ich habe nicht gesagt, dass ich deine Beweggründe nicht nachvollziehen kann. Ich würde dich wahrscheinlich verachten, wenn du dich nicht um deine Familie kümmern würdest, so wie ich einen Menschen verachten würde, der sich nicht um seine Familie sorgt.“

Damit richtete sich seine Aufmerksamkeit wieder auf den Platz.

Sie schritten auf Bäume zu, die am Rande des Parkplatzes standen und bei Tag Schatten auf den Gehweg warfen. Nichts. Sie umrundeten den Markt, prüften die Rampe des Warenempfangs und die Abfallboxen für Verpackungsmaterial. Jean-Claude landete und schaltete sein Jetpack ab.

„Ich frage mich, wie aufmerksam und offen bist du wirklich? Verrate mir doch den Namen, den ich für meine Schwester habe“, bemerkte der grünhaarige dabei.

„Du nennst sie Bio. Weshalb nennst du sie so? Das hat doch sicher eine Geschichte dazu.“

Etwas huschte über das Gesicht Jean-Claudes, das man beinahe für Anerkennung halten konnte. Er rang ein wenig mit sich, dann erläuterte er. „Keine Geschichte. Sie interessiert sich einfach für Biologie, für die Anatomie und das Verhalten von Lebewesen. Sie fragt nach dem, was dieses Verhalten begründet. Die meisten unserer Art interessieren sich eher für Mechanik, Technik oder Informatik in all ihren Unterkategorien.“

„Mir ist das schon aufgefallen und gerade das war es, was mein Interesse geweckt hat. Beth ist sehr wissbegierig, es ist erfrischend, ihre Sicht der Dinge zu hören.“

„Ja, ist wissbegierig.“ Jean schaute prüfend in eine Box mit gefalteten Kartonagen, schob einige zur Seite. „Sie sollte endlich studieren.“ Die Worte versanken fast in den Geräuschen, die sein Tun verursachte.

„Wie bitte?“

Jean-Claude ließ den Deckel zu fallen, dass es schepperte und sah den Schotten musternd an. Da wollte er doch mal sehen, wie ernst es dem mit seinen Versprechen und seinem Gerede war.

„Sie sollte endlich studieren.“

Der Schotte klopfte Steed auf den Hals, worauf des Mecha-Pferd seinen Kopf senkte. Er hatte keine Anhaltspunkte entdecken können, dass irgendwer aus irgendeinem Grund aufs Dach des Marktes geklettert war.

„Warum tut sie es noch nicht? Liegt es an den Kosten?“

„Eher an ihrer Biographie. Geflohen aus der Dimension des Feindes aufgrund eines ... nennen wir es genetischen Defekts der in ihrer Familie liegt? Welche Universität legt Wert darauf eine Outriderin auszubilden. Die Befürchtung, dass sie den Feind stärken ist zu groß.“

„Verstehe, das wäre so, als ob April sich an einer Phantomuniversität einschreiben würde“, nickte Saber nachdenklich.

„Sie wäre nicht dumm genug, dass direkt zu machen. Aber Umwege benötigen Zeit.“ Vielleicht könnte ein Fürsprecher den Prozess beschleunigen oder überhaupt mal anstoßen, aber wen hatte Beth dafür schon. Ihn, Jean-Claude, der auf der Most-Wanted-Hitliste sicher in den oberen Rängen rangierte.

Abermals nickte der Schotte.

„Aber Bio wird studieren“, sagte ihr Bruder fest. Er würde einen Weg finden, ihr das zu ermöglichen. Er schaltete das Jetpack an und setzte seine Suche fort, begann die Fläche hinter dem Gebäude weiter zu untersuchen.

„Du hast also einen Plan?“ Saber folgte ihm auf Steed.

„Kann ich einen Star Sheriff nicht wissen lassen.“

„Verstehe.“ Nichts legales also. Der Star Sheriff würde und müsste dagegen vorgehen.

Wortlos prüften sie das Gelände noch einige Minuten, ehe Saber feststellte: „Keine Spur von Snow.“

So sachlich er das auch bemerkte, es trieb Jean-Claudes Puls in die Höhe. Er presste die Zähne zusammen. Seine Beunruhigung war ihm deutlich anzusehen und passte zu seinen nächsten Worten. „Ich hoffe, deine vorlauten Wiesel taugen was“, knurrte er.

„Wenn es eine Spur von Snow gibt, finden wir sie“, blieb der Schotte neutral. Andere Worte würden seinen Begleiter nur weiter aufregen. Ob er auch unter einer gewissen „Anfälligkeit litt“?

„Das will ich euch raten“, raunzte der aufgebracht und beantwortete so die Überlegung des Schotten.

„Du machst dir Sorgen und du vertraust uns nicht, das ist ne miese Kombination, Jean-Claude. So schwer es auch zu akzeptieren ist, wir ziehen gerade an einem Strang. Colt und Fireball wissen, was sie tun.“

„Wir schließen zu ihnen auf. Sie muss da sein“, entschied Jean-Claude energisch und brach in Richtung der botanischen Anlage auf, in der seine Schwester Snow noch einen zweiten Helferjob hatte.

Saber schickte dessen Worten ein gedankliches „Hoffentlich“ hinterher, ehe er sich dem Outrider anschloss. Es gab für ihn keinen Grund, dessen Entscheidung zu widersprechen. Es war gut, wenn sie die Suche in diesem Gebiet unterstützten. Es war aufwändiger, die Anlage zu durchsuchen.

Er hoffte, es gelang ihnen die Vermisste zu finden. Er wollte Beth ihre Schwester zurück bringen und konnte sich lebhaft ausmalen, wie der grünhaarige Kommandant reagieren würde, sollte es ihnen nicht gelingen.

Kapitel 10

Colt und Fireball fanden die Anlage verlassen vor. Weder der Fury Racer, noch der Bronco Buster entdeckten bei ihrem Oberflächenscan Spuren von Menschen oder Outridern. Die einzige Lebensform, welche sie ausmachen konnten, abgesehen von einigen Vögeln in den Bäumen, war ein Paar sich fortpflanzender Hunde oder Dingos, falls diese sich in die Stadt verirrt hatten.

Die botanische Anlage befand sich hinter einem zentrumsnahen Park, war durch hohe Gitterzäune begrenzt. Parkplätze umringten die riesigen Gewächshäuser der Anlage. In der Nacht beleuchteten sie hohe Laternen großflächig, aber nicht gänzlich.

Colt landete vor dem Haupteingang und stieg aus.

„Nix. Nada. Niente“, stellte er fest, als der Fury Racer neben ihm hielt und der Wuschelkopf ausstieg.

„Das gibt’s ja nicht. Nicht mal die kleinste Spur“, bemerkte der. Colt presste die Zähne zusammen und brummte vor sich hin. Der Oberflächenscan hatte also immerhin ausgeschlossen, dass sich hier noch jemand befand, hatte aber keine Auskunft über Kellerräume der Anlage gegeben, auch nicht über mögliche Spuren im Inneren der Gewächshäuser. Vielleicht fanden sie einen Hinweis, wenn sie sich näher in den Gewächshäusern umsahen.

Geleitet von diesem Gedanken trat er auf die Tür zu und prüfte sie. Kaum hatte er sie berührt, sprang sie schon auf. War der letzte hier, der hätte abschließen sollen, nicht dazu gekommen? Was hatte ihn abgelenkt? War es Snows Aufgabe gewesen, die Anlage zu verschließen? War dies der erste Hinweis auf eine Entführung, versucht oder gelungen?

„Sind ja vertrauensselige Seelchen hier“, murmelte er vor sich hin.

Fireball hinter ihm zog seinen Blaster und machte ihn bereit. Die unverschlossene Tür weckte sein Misstrauen ebenfalls und mahnte ihn zur Vorsicht.

„Ich bezweifle, dass sie auch so vertrauenswürdig sind. Lass uns nachsehen, was es da drinnen zu finden gibt.“

Der Cowboy nickte und ging vor. Ohne weitere Absprache, gab der Rennfahrer ihm Deckung.

Das erste, was ihnen entgegen schlug, war feucht warme Luft und intensiver erdiger Geruch. An den Glaswänden und in der Mitte des Raumes standen große Klapptische mit Pflanztöpfen vollgestellt. In ihnen keimten unterschiedliche Pflanzen in verschiedenen Wachstumsstadien. Alles war sortiert. Auf einfachen Holzschildern waren die Namen der Pflanzen und ihr Alter angegeben.

„Ich hoffe, dass ist alles, was uns hier blüht“, meinte Fireball und schritt den Gang zwischen den Tischen entlang, den Blaster noch immer schussbereit.

Colt grinste vor sich hin. „Was bist du so nervös?“, fragte er, während er die anderen Hälfte des Raumes in Augenschein nahm.

„Ich bin nicht nervös, ich bin vorsichtig. Dir gefällt das alles hier doch genauso wenig wie mir.“

„Natürlich, du Angsthase. Aber dann solltest du es richtig machen. Du rutscht nämlich gleich aus.“ Grinsend wies er auf einen Pfütze am Boden, welche der Wuschelkopf nicht bemerkt hatte, als er aus den Glasfenstern spähte um zu prüfen, ob sich inzwischen jemand der Anlage näherte.

Jetzt stieg er vorsichtig darüber, umrundete den Tisch, sah darunter und näherte sich leise dem Cowboy.

„So nervös macht dich sonst nur April“, stichelte der weiter. Es half gegen die Anspannung. Seine Hand ruhte auf seinem Blaster, seine Augen schauten wachsam umher.

„Stimmt, aber sie macht mich anders nervös, wenn du verstehst, was ich meine.“

„Ich weiß, du hältst mich dafür, aber nein, ich bin kein Idiot. Ich verstehe sehr gut“, entgegnete der Scharfschütze mit einem bissigen Unterton.

„Ich halt dich nicht immer für einen Idioten,“ kam es halbherzig zurück, während der Japaner seine Augen auf die Tür am anderen Ende richtete und sie prüfte.

„Heute morgen ist noch nicht so lange her.“

Colt begutachtete den Tisch vor der gegenüberliegenden Tür, der er am nächsten Stand. Die Töpfe an der Kante sahen seltsam aus.

„Womit hab ich heute einen Nerv getroffen?“ Hinter der Tür, auf die der Rennfahrer sah, blieb es ruhig.

„Wenn du jetzt schon nicht mehr weißt, was du heute morgen getan hast, dann tut's mir leid, dann hast du die Idiotenkrone auf.“

Es störte den Scharfschützen, behandelt worden zu sein, als wäre er von Vorurteilen zerfressen und unfähig, sich zu beruhigen und nachzudenken, wie es der Rennfahrer am Morgen getan hatte, in dem er bis zum Ausritt die meisten Worte des Lockenkopfes ignoriert hatte. Colt störte diese latente Selbstgerechtigkeit daran und das fehlende Verständnis – ausgerechnet von einem Freund – für einen Freund.

Colt befühlte die Erdklumpen um die Pflanztöpfchen und roch prüfend daran.

„Ach, jetzt komm schon, Colt“, lamentierte der Rennfahrer. „Ich will Ruhe im Urlaub haben. Mit Ruhe ist schon seit gestern wieder vorbei, weshalb jetzt auch noch Streit? Lass uns jetzt einfach Snow finden.“

„Unheimlich entspannend, Freunde zu ignorieren, vor den Kopf zu stoßen und ihnen Sachen zu unterstellen, die sie nicht denken, so lange man nur denkt, dass sie es denken. Das trägt irrsinnig zur Erholung bei.“ Colt überprüfte die Pflanzkübelchen daneben, registrierte, wie der Rennfahrer zu ihm herüber schlich und hockte sich hin, um den Boden unter dem Tisch zu untersuchen. „Ist wirklich ein tolles Hobby, dass du da hast.“ Er runzelte die Stirn. Hier waren nur sehr leichte Spuren von Erden, verwischt, als hätte jemand es zusammen gekehrt, aber dabei eben nicht allen Schmutz beseitigt. Als hätte man versucht zu verbergen, dass die Pflanztöpfchen umgestoßen worden waren. Der gesäuberte Boden und die Erde auf dem Tisch um eben jene Behältnisse wiesen darauf hin. Nur halb hörte er dem Wuschelkopf zu.

„Du machst es einem aber auch nicht schwer, mit Vorurteilen zu kommen. Du hast gestern nach eurem Besuch bei Jean-Claude gekocht. Ich wundere mich, dass du überhaupt etwas gehört hast von dem was gesagt wurde. Ich weiß, du meinst es gut, aber Saber wird wohl wissen, was er macht, auf was er sich mit Beth einlassen will.“ Dabei glitt der Blick des Rennfahrers zu der Tür. Sie war nicht verschlossen, nur angelehnt, als wäre man in Eile gewesen und hätte nicht darauf geachtet. „Ich sag dazu wohl lieber gar nichts mehr“, fügte er schlicht an, und näherte sich der Glastür.

„Ja, spar es dir. Du hast nämlich weder Sabers noch meine Erfahrung, also halt dich zurück. Vorurteile hast du selbst genug, wie du einmal mehr bewiesen hast.“ Schwungvoll kam Colt unter dem Tisch hervor. Er war sicher, jemand hatte versucht hier Spuren zu verwischen. Ungeschickt und eilig, aber er hatte keinen Zweifel daran. Es war an dieser Kante des Tisches passiert, als jemand hier entlang gerannt war, auf die Tür zu oder von der Tür weg, auf die der Rennfahrer gerade zu strebte.

Der Scout hatte Fährte aufgenommen. Er schob sich halb an Fireball vorbei, halb vor ihn, wäre beinahe mit ihm zusammen gestoßen, als sich ihre Wege kreuzten.

„Verabschiede dich von deinem Urlaub, der ist gelaufen. Was meinst du, passiert, wenn wir Snow finden?“ Jetzt zog er seinen Blaster und nickte dem Rennfahrer zu. Dann öffnete er die Tür. Sie sicherten den Gang dahinter.

Er war leer. Blasses, spärliches Licht aus der Notbeleuchtung erhellte dürftig den weißen Linoleumboden. Die grauen, feinen Striche, die ihn unregelmäßig musterten, versuchten über Schmutzstreifen zu täuschen.

„Ich hab meinem Urlaub schon auf dem Weg hierher eine Träne nachgeweint.“ Fireball warf noch einen Blick zurück in das Gewächshaus. Kühle Luft drang vom Gang herein und kühlte die feuchtwarme Luft ein wenig. Er schritt in jenen Gang hinaus, ließ die ahnungsvoll lastenden Stille darin zurück. „Ich hoffe, wir finden Snow an einem Stück.“

Seine Schritte hallten auf dem Boden. Die Tür fiel hinter ihnen zu.

Colt lief einige Schritte voraus und kniete sich auf den Boden. Fireball hörte ihn etwas murmeln, als der Scout eine Stelle begutachtete. Es sah so aus, als hätte er etwas entdeckt. Von der Tür her, welcher er bis auf zwei Schritte nahe stand, konnte der Rennfahrer allerdings nicht erkennen, was Colts Aufmerksamkeit erregt hatte.

„He, Heulsuse, siehst du das?“, rief er ihn zu sich.

Als Fireball näher kam, erkannte er, wovon sein Freund sprach. Auf dem Linoleum, dessen unregelmäßige graue Striche trogen, waren Schlieren zu erkennen. Bräunlich Grau sahen sie im fahlen Licht aus, waren mit dem Muster des Bodenbelags leicht zu verwechseln, wenn man nicht wusste, wonach man suchte. Doch Colt hatte gut beobachtet und geschlussfolgert. Hier war jemand entlang gelaufen, der diese Schlieren hinterlassen hatte. Wenig Schmutz an den Schuhen, aber schnell unterwegs, überlegte Fireball.

„Was meinst du, Colt? Einer oder mehrere?“

Beide spähten den Gang entlang. Er fiel über die nächsten Meter stetig ab und mündete auf einer tiefer gelegenen Plattform. So erleichterte er den Transport schwerer Sachen aus dem Lager, welches an jene Plattform grenzte. Wenigstens ließen das die drei Türen vermuten, welche sie dort erkennen konnten.

Auf dem Weg dahin allerdings erkannten sie weitere Schlieren, mal näher an der Wand, mal eher in der Mitte. Sie folgten ihnen hinab.

„Mehrere. Das war wenigstens eine versuchte Entführungen, wenn sie nicht sogar gelungen war. Es war vielleicht ein Versuch. Komm mit.“

Colt beschleunigte seine Schritte und lief den Gang hinunter. Auf der Plattform blieb er stehen und sah sich um. Fireball folgte ihm dicht und schaute sich ebenfalls um. Ein Lagerraum, ein Lagerraum und eine Tür mit einem Schild, das den Zutritt verbot und auf Erstickungsgefahr hinwies.

Der Cowboy runzelte die Stirn. Wer auch immer hinter ihr her gewesen war, Snow war eine Outriderin. Es wäre doch für sie logisch, wenn sie …

„Da!“, entschied er und wies auf die Tür mit dem Verbotsschild. „Da drin werden wir fündig.“ Colt war sich dessen sicher. Für so clever hielt er Snow. Ein Mensch würde ihr dahinein nicht folgen.

Er öffnete kurz entschlossen die Tür. Der Raum vor ihm lag im Dunkel.

Die schwache Notbeleuchtung von der Plattform her ließ ihn erkennen, dass der Raum in der unteren Hälfte leer war. In der oberen durchzogen ihn dicke Rohre, Leitungen, welche mit Dämmung und silbriger Folie bezogen waren. Eine Belüftungsanlage, ein Lüftungssystem. Die austretenden Gase machten die Luft hier schlecht und kalt miefig und auch wenn nur geringe Mengen an den Rohrverbindungen entweichen konnten, machten sie einen langen Aufenthalt hier drinnen für Menschen zu einer ungesunden Angelegenheit.

„Snow?“, rief Colt in die stickige Dunkelheit.

Fireball hielt die Tür auf.
 

Die Stimme des Scouts erkannte sie sofort. Sie zögerte einen Moment. Warum waren sie hier? Hatten sie die Versuche ihres Bruders entdeckt? Oder hatte der sich tatsächlich mit ihnen in Verbindung gesetzt, als sie nicht wie gewohnt zu Hause aufgetaucht war? Beth war, das hatte sie ihr heute morgen erzählt, nach ihrer Arbeit zu einer Verabredung mit Saber gegangen. Bestimmt war er aufgebrochen um seine Schwestern zu suchen, hatte Beth bei Saber gefunden und ihr berichtet, dass sie, Snow, nicht heim gekommen war. Hatten also Colt und Saber Wort gehalten und ihm bei der Suche geholfen? Dann hieß das wohl auch, dass ihre Verfolger nicht nahe genug waren um Ärger zu machen.

„Ich bin hier“, rief sie zurück. „Ich könnte ne helfende Hand brauchen.“ Sie schob sich langsam auf dem dicken Rohr vorwärts und brachte eines ihrer Beine neben sich.

Hatte in die Richtung gesehen, aus der ihre Stimme kam. Nun trat er die vier oder fünf Schritte in den Raum zu der Stelle, an der sich eines ihrer Beine von einem Rohr herunter senkte.

Er umfasste ihren Knöchel und gab ihr so Halt.

Sie schwenkte das andere Bein nach, kam damit auf seiner Schulter zum Stehen.
 

Von der Tür her beobachtete Fireball, wie Colt der weißhaarigen vom Rohr herunter half, ihre Beine stützte und sie auf die Schultern nahm und sie anschließend auf den Boden stellte.

„Danke, Blechstern.“ Sie zwinkerte ihm zu, als sie sich den Staub von der Hose klopfte, dann fragte sie sachlich. „Wo sind Beth und Jean? Wo sind die Typen?“

„Beth ist bei April. Jean und Saber suchen ebenfalls nach dir“, antwortete der Rennfahrer, da Colt damit beschäftigt zu sein schien, das Mädchen zu beobachten.

„Ja, ich bin ein Stern in der finsteren Nacht.“ Offensichtlich flirtete er schon wieder, bemerkte der Rennfahrer mit hoch gezogener Augenbraue. Allerdings erkundigte er sich dann professionell: „Welche Typen suchen wir?“

Snow grinste ihn kurz an, ehe sie mit der gleichen Ernsthaftigkeit antwortete. „Typen, die Ärger suchen, sonst hätten sie sich das besser überlegt.“ Sie war sich offenbar nicht sicher, wer ihre Verfolger waren.

„Die haben jetzt mächtig Ärger an der Backe, weil nämlich uns an selbiger!“ Colt verließ den Raum. Sie ging mit ihm. Fireball ließ die Tür zu fallen. Sie plauzte blechern zu.

„Tatsächlich, haben sie das? Wir zählen wohl gar nicht? Nur Deko, hm?“

„Nein, schon ein wenig mehr als Deko, obwohl ich gestehen muss, dass du gut im Arm liegst.“

Okay, er flirtete eindeutig. Von der gestrigen Aufgewühltheit war nichts mehr zu spüren. Fireball fragte sich, ob die auberginefarbenen Augen und die schwungvolle Figur Snows der Grund dafür waren oder ob der Scout mehr in ihr sah.

„Weißt du, was die von dir wollten?“, wollte der gerade von ihr wissen.

„Na, ganz klar. Meinen Bruder ärgern. Ist Beth okay?“

„Das wär aber ein mieser Scherz gewesen, wenn sie deinen Bruder ärgern wollen.“

Sie erreichten das Gewächshaus. Colt öffnete die Tür und ließ sie hindurch.

„Beth ist bei April auf Ramrod, sie ist bestimmt ok“, ließ Fireball Snow wissen, war sich aber nicht sicher, ob sie ihm überhaupt zu hörte.

„Ich glaube, so helle sind sie nicht. Nein.“

Snow warf einen Blick über die Schulter zu dem Wuschelkopf, während sie das Gewächshaus durchquerte. „Bist du sicher, dass sie okay ist?“

Wieder öffnete Colt ihnen die Tür, gedanklich froh darüber, dass Snows Verfolger zumindest nicht helle genug waren um sie zu finden.

Da sie erneut nach ihrer Schwester fragte, flitzte der Rennfahrer zu seinem Fury Racer und funkte April an.
 

Aus der Ferne näherte sich das Geräusch von kleinen Düsen.

Steed trug Saber auf das Gelände zu. Jean-Claude begleitete ihn mit düsterer Miene. Rasch näherten sich beide den parkenden Fahrzeugen.

Kaum erblickte der Outrider seine Schwester kam er zu Boden, schaltete das Jetpack ab und eilte auf sie zu. Mit der gleichen intensiven Aufmerksamkeit wie zuvor musterte Jean-Claude nun auch Snow, strich ihr über die Wange und vergewisserte sich, dass sie unversehrt war. Wie zuvor schien die Welt um ihn herum nicht mehr zu existieren.
 

„Na sieh mal an der Oberheld“, begrüßte Colt den Schotten. Der landete mit seinem Mecha-Pferd und stieg ab. Er nickte dem Lockenkopf zu. Es erleichterte ihn, dass Beth‘ Schwester heil zu ihrem Bruder und ihr zurück kehren konnte. Es war also gelungen, das Versprechen zu halten. Jetzt galt es sich um die Folgen daraus zu kümmern. Jean-Claude, dass machte dessen Art beide Schwestern zu mustern deutlich, würde alles tun, um sie zu schützen. Die Frage war nur, welchen Weg er dabei einzuschlagen gedachte.

„Hey, alles klar, Boss?“, grüßte Fireball.

„Für’s erste. Ich denke aber, es geht erst los, wenn wir wissen, wer oder was dahinter steckt“, erwiderte er nachdenklich.

„Unsere Leute“, kam es synchron von beiden Outridern. Sie wandten sich zu den Star Sheriffs um.

Colt nickte verstehend. „Dann stellen wir uns ihnen entgegen.“ Mochte Annabell ihn auch ausgespielt haben, mochte Jean-Claude und er auch ihre Differenzen haben – weder Snow noch Beth hatten bisher etwas getan, dass Ähnlichkeit mit den Taten ihrer älteren Geschwister hatte. Vielmehr waren beide bestrebt, sich hier einzuleben, hatten immerhin Jobs hier. Es waren schlecht bezahlte Aushilfsarbeiten denen sie nachgingen und das taten sie. Es gab andere Möglichkeiten zu Geld zu kommen, nicht viele davon waren legal, aber sie hatten sich für keine davon entschieden. Damit verdienten sie es unterstützt zu werden.

„Dann wünsche ich höflichst viel Spaß dabei. Wir verabschieden uns, so bald wir Beth zurück haben“, erklärte Jean-Claude wenig beeindruckt.

„Danke für eure Hilfe.“ Snow machte den Eindruck, als schließe sie sich ihrem Bruder an.

„Du willst diese Idioten doch nicht etwa damit davon kommen lassen?“, brauste der Scharfschütze auf. Ruhiger, sachlich hakte der Schotte an den Worten nach. „Was habt ihr jetzt vor? Weiterziehen und woanders untertauchen?“

„Sei nicht da, wo dein Gegner ist. Das ist die älteste Regel des Kosmos.“ Der grünhaarige klang immer noch ungerührt und hob seine Schwester auf seine Arme. „Gehen wir“, sagte er belegt.

„Verstehe. Wie lange wird es dauern, bis sie euch wieder aufspüren?“ Saber konnte es nicht dabei belassen. Zu fliehen und sich erneut zu verbergen, war sicher eine Möglichkeit, aber die heutige Suche hatte gezeigt, wie fraglich das Ergebnis war. Das bedeutete, dass die Gefahr nicht abgewendet war, sie wurde nur hinaus gezögert. Außerdem würde er Beth so nicht mehr sehen können, was ihm ein kaltes schmerzhaftes Ziehen in der Brust bescherte.

„So lange ich es eben verhindern kann.“ Jean-Claude war immer noch nicht beeindruckt. Auch der Blick seiner Schwester und ihre Frage „So lange?“ schien ihn nicht aus der Reserve zu locken. „Ja!“, entschied er schlicht und wandte sich zum Gehen.

„Sie werden euch wieder finden. Ihr werdet nirgends lange genug sein, um ein normales Leben zu führen, Jean-Claude“, hielt Saber ihn abermals zurück.

„Das werden wir sehen ...“ Er hielt in der Bewegung inne. „Es ist das Sicherste, so auf die Schnelle.“

Saber presste die Lippen auf einander. Der Outrider schien im Moment keine klaren Gedanken fassen und vorausschauend planen zu können.

„Dreh den Spieß um und setz ihnen nach. Tritt ihnen so kräftig in den Hintern, dass sie keine Lust mehr haben euch nachzulaufen“, schlug Colt energisch vor.

„Sucht euch Verbündete“, unterbreitete Saber einen Gedanken.

„Schlag mit vereinten Kräften zurück“, fügte der Rennfahrer hinzu.

Jean-Claude seufzte unterdrückt und wandte sich an die Klugscheißer in seinem Rücken.

„Nachsetzen? Snow ist ihnen entkommen, aber so lange sie nicht sagen kann, wer es war und wo hin sie verschwunden sind“ Snow schüttelte den Kopf. Sie konnte es nicht. „wäre es Zeitverschwendung ziellos durch die Gegend zu rennen und an irgendwelche Spießen zu drehen. Zurückschlagen? Womit? Drei Blastern und Munition für ne Handvoll Konfrontationen? Colt, das war mehr Glück als Verstand, wie es scheint.“ Jean-Claude schüttelte den Kopf und fuhr fort. „Verbünden?“ Er sah Saber scharf an, dann Fireball. „Mit vereinten Kräften zurück schlagen? Klar, doch. Wir spielen hier Ringelpitz mit Anfassen, hm?“

Colt unterdrückte den Ausbruch, den die überheblich wirkende Kühle in ihm provozierte.

„Wie lange denkst du, kannst du Beth und Snow alleine beschützen? Noch ein Jahr? Zwei? Ich biete dir noch einmal an zu helfen, egal, wie diese Hilfe aussehen mag. Überleg es dir gut, ob du sie ausschlagen willst“, hielt der Recke sachlich dagegen.

„Nein, es ist eben nicht egal, wie diese Hilfe aussehen mag. Dazu geht es um zu viel“, schnappte Jean-Claude zurück.

„Fragen wir Beth, was sie davon hält“, mischte sich Snow mit sachlicher Ruhe in die Debatte ein. Ihr Bruder warf ihr einen bösen Blick zu. Sabers Argumente waren schlüssig. Das wusste er, er brauchte den Blonden nicht, um ihn daran zu erinnern. Er brauchte nur mehr Zeit, seine Optionen abzuwägen und dann zu planen. Er wusste schon jetzt, dass Beth jede Option favorisieren würde, die kein Abbrechen der hiesigen Zelte bedeutete. Das wiederum steigerte die Wahrscheinlichkeit, sich mit den Star Sheriffs verbünden zu müssen. Das aber war aus vielen Gründen schwierig.

Grübelnd erhob er sich mit seiner Schwester in die Lüfte und kehrte, begleitet von Colt, Fireball und Saber, zu Ramrod zurück. Welche Optionen hatte er noch?

Der Schotte hielt sich mit Steed nah hinter dem Outrider. Ihm war klar, dass er nicht jede Hilfe annehmen würde. Es war schwer für einen Outrider hier auf die Beine zu kommen. Wahrscheinlich hatte Jean-Claude die Viten seiner Schwestern frisiert, so dass nichts auf ihre eigentliche Herkunft hinwies. Damit hatte er sich der Urkundenfälschung schuldig gemacht und das dürfte nur eine von vielen Mogeleien dieser Art sein. Wenn eine Allianz mit ihnen bedeutete, dass Jean-Claude seine Schwestern entrissen wurde, würde er nicht mitspielen. Er wusste, dass er mit anderthalb Beinen im Gefängnis stand und würde es sicher nicht auf eine Beschleunigung anlegen. Ob dem grünhaarigen klar war, dass sie ihn längst den Behörden hätten übergeben müssen?

Kapitel 11

Auf dem Rückweg zerbrach Saber sich den Kopf. Es herrschten noch genug Vorurteile auf beiden Seiten, ganz gleich wie sehr sie sich bemühten, diese nicht zu zulassen. Außerdem waren die drei auf der Flucht. Wenn er ein vernünftiges Gespräch mit ihnen führen wollte, durften sie nicht den Eindruck bekommen, in die Ecke gedrängt zu werden, andernfalls wären sie wohl eher darauf aus einer vermeintlichen Falle zu entkommen, als zu verhandeln.

Die Nachtluft kühlte kaum. Die Sterne funkelten sacht. Bay Back schien zur Ruhe gekommen zu sein, nur hin und wieder konnte man Geräusche belebter Bars und Gelächter hören. Je näher sie Ramrod kamen, desto stiller wurde die Nacht.

Fireball funkte April an, meldete ihre Ankunft.

Dann parkten sie die Fahrzeuge und dirigierten Jean-Claude und Snow in die Küche, in der April und Beth warteten.

Die beiden hatten sich die Zeit vertrieben, in dem sie Sandwiches für alle gemacht hatten, wie die drei Teller bewiesen auf denen sie sie aufgestapelt hatten.

Die Geschwister eilten auf einander zu, als sie sich sahen, fast konnte man erwarten, dass sie sich umarmten, doch sie blieben voreinander stehen und schauten sich prüfend an.

„Ich dachte schon, sie hätten euch gefunden.“ Beth klang erleichtert. Offenbar wusste auch sie, was es mit dem Verschwinden ihrer Schwester auf sich hatte.

„Nein, haben sie nicht. Damit das so bleibt, gehen wir jetzt“, erwiderte Jean-Claude. Seine Stimme klang rau und entschieden.

„Können wir noch einmal darüber reden?“, fragte Snow ihn.

Beinahe erwarteten die Beobachter der Szene, dass der Bruder nun den Abmarsch befehlen würde, doch der überlegte einen Moment.

„Seid ihr sicher, dass euch niemand gefolgt ist?“, erkundigte sich April. Sie erhielt ein bestätigendes Nicken vom Rennfahrer.

Die Geschwister wanden sich zu ihnen um.

Saber, Colt und Fireball standen in der Tür um zu verhindern, dass Jean-Claude seine Worte umsetzte und sofort wieder ging. Instinktiv waren sie am Eingang zur Küche stehen geblieben und bildeten nun eine Wand.

Skepsis überzog die Gesichter der Outrider. Warum wurden sie in eine Ecke gedrängt? Es schien beinahe, als schnappe eine Falle zu.

„Wird hier gleich jemand verhaftet?“, fragte die weißhaarige misstrauisch.

Saber trat ein wenig von seinen Freunden weg und öffnete so die Wand ein Stück. Ruhig, um diese Geste zu verdeutlichen und zu signalisieren, dass sie sich hier in keiner Falle befanden, erwiderte er: „Ich gehe nicht davon aus. Aber wir haben noch etwas zu besprechen.“

„Worüber sprechen?“ wunderte sich Beth.

„Ach, haben wir das? Dann lass mal hören.“ Der Grünhaarige stellte sich vor seine Schwestern, schützend und wachsam.

„Wir wollen darüber reden, wie man Hilfe annimmt, denn die braucht ihr“, brummte Colt und der Schotte nickte bestätigend. Er appellierte an den Beschützerinstinkt in dem Bruder, welcher durch sein Handeln sichtbar wurde.

„Jean-Claude, die Sache ist zu heikel, als dass du es auf immer alleine regeln kannst“, ergänzte er den Scharfschützen.

Die Schwestern sahen sich an. „Wirklich interessant, dass Menschen immer meinen zu wissen, was andere brauchen und können“, sagte die junge Frau mit den blass lila Haaren, als teile sie eine Beobachtung mit, woraufhin die weißhaarige nickte, als wäre sie zur selben Erkenntnis gekommen.

„Ich finde es anmaßend, so eine Behauptung aufzustellen. Seit fast einem Jahr regeln wir das allein und es war passabel“, stellte Jean-Claude nüchtern fest.

„Passabel, sagst du. Wünscht du dir nicht mehr für euer Leben als dass es passabel ist?“, fragte der Recke, erneut an den Bruder appellierend, an den, der das Beste für seine Schwestern wollte.

„Heb dir deine philosophischen Reden für jemand auf, der sie hören will. Lass hören, welchen Plan du dir schon zurecht gelegt hast. Vielleicht kommen wir dann zu einem Deal“, ging der darauf ein. Er war sicher, ein Stratege wie der Captain des Friedenswächters hatte auf dem Rückweg mindestens eine Hand voll Skizzen entworfen, an denen nur ein bisschen gefeilt werden musste. Vielleicht hatte er auch schon einen Plan A.

„Noch hab ich keinen Plan, den erarbeiten wir für gewöhnlich zusammen. Fakt ist: Hier ist es nicht sicher für euch.“

„Wie wär's, wenn wir uns setzen“, schlug der Rennfahrer vor und wies zum Tisch. Dieser Eiertanz langweilte ihn und würde so bald nicht zu einem Ergebnis führen. Sollte er sich jetzt auch noch die Beine in den Bauch stehen? Wenn die drei erst saßen, würden sie auch nicht so schnell verschwinden können.

Die Schwestern setzten sich auf die Seite der Bank, die ihnen am nächsten war, aber auch am weitesten von der Tür entfernt. Jean-Claude blieb immer noch vor ihnen stehen. Saber schob sich den jungen Frauen gegenüber in die Bank. Colt und Fireball taten es ihm gleich. April lehnte sich an die Arbeitsplatte.

„Sie erarbeiten ihre Pläne also zusammen. Erstaunlich, nicht wahr? Das haben wir noch nie gemacht.“ Jean-Claude hob die Brauen abschätzig.

„Ironie? Jetzt?“ Beth hob die Brauen und reichte ihm eines der Sandwiches, dann gab sie auch Snow eines, das diese sofort hungrig zu essen begann.

Wer geglaubt hatte, Jean-Claude würde seine Schwester für die leichte Maßregelung zusammen stauchen, wurde nun das Gegenteil bewiesen. Er nahm ihr schlicht das dargebotene Sandwich ab und nickte leicht auf ihre Bemerkung.

„Pack deine Ironie ein, die darfst du wieder rausholen, wenn du mehr als Weglaufen machen willst“, knurrte Colt provoziert. Das Verhalten des Outriders war überheblich und kühl und Saber überlegte, wie er das Gespräch sachlich halten konnte. Die zuckenden Brauen, die er auch bei Fireball bemerkte, waren ihm Warnsignale für eine Eskalation. April nickte, als verstünde sie etwas. Der Navigatorin ging auf, was Beth gemeint hatte, als sie sagte, Jean-Claude handle sehr gut getarnt. Diese überhebliche Kühle konnte einen auf die Palme treiben und lenkte so gekonnt und hervorragend davon ab, was der Outrider wirklich dachte.

„Ich hab da vorweg eine Verständnisfrage: Was wollen die von euch?“, gelang es dem Rennfahrer ruhig zu bleiben, auch wenn ihn die Fassade seines Gegenübers ebenso reizte, wie Colt.

„Colt, bitte. Zieh in unsere Dimension und überlebe da. Wenn du das ein Jahr lang schaffst, kannst du solche Sprüche klopfen. Denn“ Jean-Claude wandte sich nun an den Wuschelkopf und klärte ihn auf. „es ist die Führung, welche gern hätte, dass wir zurück kommen. Snow und Beth haben ihre Aufgaben noch nicht erfüllt und ich könnte in Plauderlaune geraten.“

„Das klingt nach zweimal Arbeitslager und einmal Folter. Wahrlich keine guten Aussichten“, setzte der Schotte mit gerunzelter Stirn an, als Colt ihm ins Wort fiel.

„Von der Regierung geschickt. Dann kommt ein hübscher Satz Nachschub für jeden, den wir nachhause schicken.“

„Wie es für dich klingt und wie es wirklich ist, sind zwei verschiedene Angelegenheiten. Die Führung braucht Snow‘s Begabung für die Ernährung unseres Volkes und Beth' für die ... nennen wir es ... diplomatischen Bereiche. So neugierig wie sie auf Menschen und ihr Verhalten ist, wäre sie eine gute Unterstützung für die Planung der nächsten Angriffe. Ob Haft oder nicht, ich bin immer noch von Wert. Das bedeutet, Colt hat tatsächlich Recht. Es wird Nachschub folgen, wenn ihr unsere Verfolger zurück schickt. Vielleicht versteht er ja jetzt, warum wir uns seit wir hier sind so bedeckt gehalten haben und ... wie sagtest du so schön, Colt? nicht 'mehr als Weglaufen' gemacht haben. Das war sicherer für alle Seiten.“ Souverän waren seine Worte und nicht zu erschüttern. Der Blick des Outrider-Kommandanten musterte die Anwesenden.

„Ihr bräuchtet so etwas ähnliches wie ein Zeugenschutzprogramm, um überhaupt so etwas wie ein normales Leben führen zu können“, überlegte die Navigatorin laut.

„Zeugenschutzprogramm? Was soll das sein?“ Jean-Claude wandte ihr seinen Kopf zu und schien interessiert.

„Echt noch nie davon gehört?“ Fireball hob erstaunt die Brauen, als er für seine Freundin antwortete. „Das ist ein Programm für - wie der Name schon sagt – Zeugen. Das sind meistens das Menschen, die wichtige Informationen über schwere Verbrechen oder den Feind haben und dadurch zur Zielscheibe werden. Diese Zeugen erhalten Personenschutz, neue Identitäten, das volle Programm.“

„Es klappt nicht immer, aber oft genug können die Zeugen ein neues Leben, ein normales Leben führen“, ergänzte Saber wahrheitsgemäß. Die drei diesbezüglich im Unklaren zu lassen, wäre nicht ehrlich und stünde einer guten Zusammenarbeit im Wege. Er sah zu Beth. Mit Offenheit kam er weiter, mit der ungeschönten Wahrheit.

„Wie sollten wir? Ein Zeuge ist ein an einer Tat Unbeteiligter. So etwas gibt es bei uns nicht.“ Beth runzelte die Stirn nachdenklich. Snow nickte zustimmend und biss, wie auch endlich ihr Bruder, in das zweite Sandwich.

„Es kann auch ein Mitbeteiligter sein, jemand, der die Seiten wechseln will.“ April hoffte, dass diese Erklärung ihnen weiterhalf. Snow nickte.

Der Schotte beobachtete die drei. Sie schienen soweit entspannt, dass sie aßen. Auch ihre Fragen deuteten darauf hin, dass sie sich die Angelegenheit mit dem Zeugenschutzprogramm ernsthaft in Erwägung zogen.

„Es wird schwer sein, in einer anderen Kleinstadt lange unentdeckt zu bleiben. Das ging ein Jahr lang gut. Ein Untertauchen in der Menge wäre leichter und würde euch Zeit verschaffen bis ihr genau wisst, wie es für euch weitergehen soll.“

„Was soll das bedeuten? In der Menge untertauchen? Ein neues Leben führen? Ein ... wie hast du gesagt, April ... ein normales?“ Beth sammelte interessiert Informationen und schaute fragend erst auf Saber, dann auf die Navigatorin.

„Ja, normal im Sinne von so, wie ihr euch das vorstellt und so normal es sein kann, wenn man sich verstecken muss.“ Die Antwort half der fragenden nicht zu verstehen. Sie hob die Brauen.

Colt mischte sich in das Gespräch ein, indem er den Kopf schüttelte.

„Menge ist das Stichwort“, wies er die Outriderin hin. „Je größer die Stadt, desto mehr schräge Vögel und desto weniger fallt ihr auf. Die meisten Paradiesvögel – die unterschiedlichsten Menschen - laufen ohne Zweifel in Yuma rum.“

Die Schwestern lehnten sich zurück und ließen sich das Gesagte durch den Kopf gehen. Ihr Bruder musterte sie kauend. Straftaten, nicht nur solche die eines Zeugenschutzprogrammes bedurften, gab es in ihrer Heimat nicht. Es war schlichtweg nicht effektiv das Leben dort auf diese Weise zu stören. Auch waren sie, nach menschlichem Ermessen, zu sehr damit beschäftigt Verbrechen an der Menschheit zu begehen um neue Lebensräume zu erschließen. Hier sah es allerdings ganz anders aus. Die Menschen beschränkten sich nicht nur auf die Erhaltung der Art, sie hatten Ressourcen genug um sich um andere Dinge zu kümmern, sich untereinander zu schaden und dann Programme aufzustellen, die sogenannten Zeugen vor Verfolgung zu schützen. Er selbst hielt das für ein Luxusproblem, doch es spielte ihm womöglich in die Hände.

„Wie soll das in unserem Fall aussehen?“, fragte er daher.

„Ohne Gegenleistung wird das Oberkommando nicht für euren Schutz garantieren. Aber ich könnte mir vorstellen, dass ein oder zwei nützliche Informationen die Mittel beim KOK für neue Identitäten und die nötige Grundausstattung frei machen würde. Wir wollen euch nicht zu etwas drängen, dass ihr nicht wollt, aber leichter wäre es, wenn ihr uns etwas anbietet könntet“, erwiderte Saber.

„Wir gelten bereits Verräter“, meinte der Outrider schulterzuckend. Seine Schwester nicken bestätigend. „wenn es nach unserer Führung geht. An einer Rückkehr sind wir nicht interessiert. Also, was bedeutet das für uns? Für Snow? Für Beth?“

„ Ein neues Leben, neue Lebensläufe, ein Studium, einen Job … für euch“, zählte der Blonde auf.

Die Schwestern fuhren beinahe synchron auf. In ihren Augen funkelte etwas auf und sie sahen ihren Bruder an. Der bedeutete ihnen mit der Hand noch ruhig zu bleiben.

„Klingt verlockend“, gab er zu. Immerhin konnten die beiden auf diese Weise also studieren, was sie sich schon lange wünschten. Ihm selbst würde man die Zusammenarbeit anbieten. Sein Wissen über sein Volk wollten die Menschen sicher dazu nutzen, diplomatische Wege zu suchen. Ob das erfolgreich sein würde, wagte er zu bezweifeln, aber das war am Ende nicht sein Problem. „Wo ist der Haken? Ab wann müssen wir damit rechnen, ein Messer in den Rücken zu bekommen?“

„Kein Messer. Unsere Führung hält sich an Abmachungen“, versicherte April ihm sofort.

„Es wird ein Deal aus Leistung und Gegenleistung. Information gegen neue Identitäten. Ohne Haken“, beteuerte auch Saber.

„Aber eines sollte euch klar sein: Je besser die Info, desto besser die neue Grundausstattung für euch“, erinnerte Colt.

Schweigen entstand. Die Geschwister tauschten Blicke, aus denen ihre Gastgeber nicht schlau wurden. Sie verständigten sich über etwas, doch ihren ruhigen Gesichtern war nicht zu entnehmen, ob sie einverstanden waren oder nicht, inwieweit der Vorschlag und die Informationen dazu tatsächlich relevant für sie waren. Vielleicht überlegten sie es sich auch anders.

Saber hielt unweigerlich den Atem an. Nicht nur wäre es sicherer für sie alle, sicherer für Beth. Es bedeutete auch, dass sie nicht spurlos verschwand und er sie für lange ungewisse Zeit nicht wiedersehen würde. Bliebe sie in Yuma-City, wüsste er immer, wo er sie war. Es würde ein Wiedersehen jederzeit ermöglichen und erleichtern, wenn sie das genauso sehr wollte, wie er.

Aus dem gleichen Grund war auch Colt angespannt. Snow war anders als ihre Schwester Annabell.

Sie flirtete nicht, sie machte ihm keine schönen Augen, die Art wie sie mit ihm sprach, war unverfänglich und unkompliziert. Außerdem war sie temperamentvoll, wie er schon hatte erleben dürfen, und energisch. Sie versteckte sich nicht, sie war direkt. Er fragte sich, wohin das führen würde, aber er hätte gern Gelegenheit, es heraus zu finden.

Jean-Claude vertraute er noch nicht wirklich, aber die Ereignisse hatte ihn mehr oder weniger in ihre Arme getrieben. Er würde nicht lange fackeln und ihn ins Gefängnis bringen, wenn er nur den leisesten Verdacht bekam, der würde ihnen an den Karren fahren wollen.

Fast zuckten beide zusammen, als Jean-Claude sich räusperte. Seine Schwestern sahen ihn mit großen Augen an.

„Die beiden dürfen studieren. Mit eurer Fürsprache. Ohne das, kommen wie nicht zusammen“, sagte er in einem Ton, der mehr als deutlich machte, dass dies nicht verhandelbar war.

Er war nicht in der besten Position um Forderungen zu stellen, befand der Scharfschütze, erkannte aber, dass er bereit war wirklich alles für seine Schwestern zu tun. Er hatte Annabell rächen wollen und nun presste er alles aus seiner Lage heraus, was diese hergab, um für Snow und Beth zu sorgen. Widerwillig empfand er etwas wie Respekt für den Outrider da vor ihm.

„Wir stehen zu unserem Wort“, erklärte April unumwunden und mit einem freundlichen Nicken. „Ich werde meinem Vater gleich Bescheid geben und ihn um einen vertraulichen Termin bitten.“

„Ihr habt unser Wort und für die Universitäten unsere Fürsprache. Mehr können wir euch im Augenblick nicht bieten, aber ich bin mir sicher, dass sich in Yuma-City alles weitere zu unser aller Zufriedenheit klären lässt“, bestätigte auch der Schotte dem grünhaarigen.

Der hob für einen Moment skeptisch die Brauen, dann nickte er langsam. Erst zögerte er, als koste es ihn Überwindung, dann streckte er seine Hand in Richtung des ranghöchsten Mitgliedes der Ramrod-Crew. „Ein Mann, ein Wort?“

Der Blonde erhob sich und nahm die dargebotene Hand an. „Ein Mann, ein Wort.“

Der Händedruck war fest, bewies dem anderen jeweils die Entschlossenheit, mit der sein Gegenüber zu handeln bereit war.

Jean-Claude zog seine Hand zurück. „Dann warten wir auf den Termin“, wandte er sich an die Navigatorin. „Ihr wisst, wo ihr uns findet.“ Er klang, als schlösse er die Verhandlung ab. Sein Blick glitt zu seinen Schwestern. „Gehen wir.“

Ehe die seiner Aufforderung folgen und aufstehen konnten, hielt April sie auf. „Gib mir fünf Minuten und ich kann dir den Termin gleich geben.“ Sie lächelte freundlich. „Wartet noch so lange. Esst noch was“, bot sie an. „Ich bin gleich wieder da.“

Die Geschwister zögerten einen Moment, als wüssten sie mit der Geste nichts anzufangen.

Als Eagles Tochter hatte sie keine Schwierigkeiten, sofort Gehör beim Commander zu finden, doch was würde sie ihm sagen. Bedacht darauf, dass die Absprachen eingehalten wurden und so die Sicherheit seiner Schwester gewährleistet blieb, nahm Jean-Claude sich ein Sandwich und folgte der Navigatorn auf die Brücke. Es war förderlich, selbst vor Eagle zu treten und ihre Worte durch seine Anwesenheit bei dem Gespräch zu bestätigen.

Kaum hatte sich die Tür hinter den beiden geschlossen, erhob sich auch Fireball.

„Wollt ihr noch etwas trinken?“, bot er den Schwestern an und stellte ihnen das Wasser hin, das Beth erbat. Dann folgte er skeptisch den beiden auf die Brücke, um sicher zu stellen, dass der Outrider nicht auf dumme Gedanken kam, wenn er an Bord des Friedenswächters allein mit dessen Chefingenieurin war.

Die Schwestern blieben mit Colt und Saber in der Küche zurück.

Es dauerte nur wenige Augenblicke um zu erkennen, was für ein gute Gelegenheit sich ihnen gerade bot. Der Scharfschütze warf seinem Boss einen kurzen Blick zu, der kaum merklich nickte.

„Ich werde solange noch Steed versorgen“, meinte er dann leichthin und schob sich aus der Bank. „Möchtest du mitkommen, Beth?“

„Was ist ein Steed?“

„Steed ist mein Mecha-Pferd. Er braucht noch etwas Öl. Er freut sich bestimmt, dich kennen zu lernen.“

Rasch erhob sie sich. „Ein Mecha-Pferd? Gern.“

„Geh nicht so weit. Jean ist sicher bald zurück“, erinnerte Snow sie und schnappte sich ein drittes Sandwich, während ihre Schwester den angebotenen Arm des Schotten annahm.

„Keine Sorge. Wir sind im Hangar. Ihr kommt direkt daran vorbei, wenn ihr geht“, beruhigte er sie und führte Beth aus der Küche.
 

Steed stand still neben dem Fury Racer und dem Bronco Buster und scannte, seiner Programmierung entsprechend alle Personen, welche den Hangar betraten. Entsprechend der Ergebnisse des Scans schaltete er automatisch in Einsatzbereitschaft, Kampfbereitschaft oder einen anderen Modus. Als Saber mit Beth den Hangar betrat, fuhr Steed in den alltäglichen Betrieb und hob den Kopf in Richtung seines Besitzers. Die Daten, welche er von Beth empfing, waren nicht als Bedrohung zu werten.

Saber bemerkte es an der Art, wie die Augen seines treuen Beleiters aufblinkten. Es wirkte gegen die Zweifel, die an ihm hingen, auch wenn der Recke sich in diesem Moment dessen nicht bewusst war. In diesem Moment war er froh, dass sein Vorwand sich um sein Roboross kümmern zu müssen ihm etwas Zeit mit Beth allein verschafft hatte. Er hatte auf ihre Neugier gesetzt und gehofft, dass sie an Technik genug interessiert war, um jetzt mit ihm zugehen. Leichte Zweifel hatte er diesbezüglich gehabt, war sie doch an der Brücke gänzlich uninteressiert gewesen. Vielleicht lag es daran, dass Steed ein Pferd war. Vielleicht hatte sie seine Absicht erkannt. Was immer es war, er hatte sein Ziel erreicht.

Jetzt trat er auf das Mecha-Pferd zu und tätschelte dessen Hals. „Das ist Steed“, erklärte er dabei. „He, alter Junge, das ist Beth. Sei nett zu ihr.“

Das Ross hob seinen Kopf in ihre Richtung. Neugierig glitten ihre Finger über den Kamm, der seine Mähne war, hinunter zum Hals und auf seinen Rücken.

„Er sieht einem echten Pferd sehr ähnlich. Es ist erstaunlich.“ Sie flüsterte fast andächtig.

Steed nickte tief.

„Ja, er ist einem echten Pferd nach empfunden und hat, wie jedes Lebewesen, auch seinen eigenen Willen.“ Nicht ohne Stolz strich er abermals über dessen Hals. „Ich habe ihn schon lange. Er ist – so seltsam es auch scheinen mag – mir sehr ans Herz gewachsen.“

Es dauerte einen Lidschlag, bis sie verstand. „Er ist dir sehr wichtig. Warum?“

„Er hat mich durch viele Gefahren begleitet wie ein Freund. Auch wenn er nur eine Maschine ist…“ Steed unterbrach ihn schnaubend und bog seinen Hals von seinem Besitzer fort. Der lachte leicht und klopfte sacht an dessen Wangen. Eine Entschuldigung für die Wortwahl. „Er ist ein Teil meines Lebens“, lächelte er dann. „Er hat mir schon einige Male das Leben gerettet.“

Als wäre er mit ihm ausgesöhnt, drückte das Mecha-Pferd seinen Kopf an seine Schulter.

„Möchtest du eine Runde auf ihm reiten?“

Aufmerksam hatte sie ihm zugehört, jetzt warf sie einen kurzen Blick in Richtung der Brücke. „Wo … wohin reiten?“

„Nur eine kleine Runde hier im Gelände, wenn du das möchtest.“

„Ich möchte Jean nicht noch einmal beunruhigen“, erklärte sie ihr Zögern. „Hier im Gelände ist gut. Lass uns reiten.“

„Gern.“ Damit half er ihr auf den Rücken des Pferdes. „Ich denke, eine Runde wird reichen.“

Er bemerkte, dass sie ihn beobachtete, als er zu ihr stieg und sich hinter sie setzte. Ihre Augen leuchteten. Anders als zuvor, als ihre Augen zwar glänzten, wie sie es natürlicherweise eben taten, blitzte es nun lebhaft darin.

Er schob sich nah an sie und griff mit beiden Armen an ihr vorbei nach den Zügeln. Er gestattete sich kurz die Augen zu schließen und das Gefühl ihres Körpers an seinem, den Duft - wieder Mandelblüte - ihres Haares tief einzuatmen. Das Klopfen seinen Herzens veränderte sich, wurde sehnsüchtiger.

Steed trabte die Rampe hinunter und Beth lehnte sich leicht an Saber. Der heftige Herzschlag und das Pulsieren in ihrem Bauch verebbten. Wärme breitete sich in ihr aus. Allmählich wurde ihr das Gefühl vertraut und die Entspannung, die damit einherging.

„Steed ist ein Mecha-Pferd. Er kann doch bestimmt mehr, als ein normales ﹰPferd.“

Sie spürte, wie er nickte.

„Halt dich gut fest, Beth.“ Damit zog er leicht an den Zügeln. „Steed, auf in die Lüfte.“

Noch ehe er seine Hufen auf den Asphalt setzte, gehorchte das Ross und erhob sie in Richtung des Himmels. Sacht und stetig trug er seine Reiter empor.

Beth griff haltsuchend hinter sich. Saber hatte die Zügel in seinen Händen und über einen Sattel verfügte das Pferd nicht, so war der einzige Halt, den sie fand, an der Taille Sabers.

„Oh, er fliegt. Das ist unglaublich.“

Ihre Berührung jagte ihm einen angenehmen Schauer über den Rücken. Er löste eine Hand vom Zügel und umschlang ihre Taille. Noch ein wenig näher konnte er sie so an sich ziehen.

„Er kann auch schneller fliegen, aber ich glaube, fürs erste reicht das.“

„Wie schnell?“

Er schmunzelte in ihr Haar und legte seinen Kopf auf ihre Schulter. Mit einem leichten Ruck am Zügel brachte er seinen mechanischen Begleiter dazu, das Tempo zu erhöhen.

Sie verstärkte den Griff um seine Taille, fühlte sich sicher, auch wenn sie das nicht an Fakten knüpfen konnte. Das Tempo des Rittes, die Höhe, in der sie sich bewegten, die sternbeglänzte Nacht und der kühle Wind, den die Geschwindigkeit Steeds verursachte, erfüllten sie mit einer unbekannten Leichtigkeit. Die Wärme seiner Gegenwart war beruhigend.

„Wo bringst du mich hin?“, fragte sie, leicht lachend ohne es zu merken.

Er näherte sein Gesicht ihrem Hals. „Wohin du willst“, raunte er ihr zärtlich zu, strich leicht mit den Lippen über die Kontur ihres Ohres ehe er darüber nachdenken konnte. Ihre Nähe war berauschend, fühlte sich fantastisch an und weckte Sehnsüchte in ihm.

„Bay Back Lake“, brachte sie hervor. Es war der erste Ort, der ihr in den Sinn kam, doch selbst das hatte einige Augenblicke gedauert. Selten war sie von einer Situation so gefangen, dass sie alles um sich herum vergaß. So bald jedoch Saber bei ihr war, passierte ihr das häufiger.

Er lenkte Steed in die Richtung des Sees, den er von hier oben ohne Schwierigkeiten ausmachen konnte. Die dunkle Oberfläche schimmerte wie Brokat. Er hielt darauf zu. Er wusste nicht, was geschehen würde, wenn sie erst gelandet waren und hat etwas Mühe seine Gedanken bei der Frage im Zaum zu halten. Es war eine Verlockung schlechthin. Ein romantischer See unter dem Sternenhimmel, am Rande eines stillen Waldes in einer milde Nacht, ein Mann, eine Frau, kein Zuschauer. Bevor seine Phantasie einen Überschlag in diese Richtung nehmen konnte, fiel ein Bild in seine Gedanken.

„Na, so ein Zufall“ hallten die Worte von einst durch seinen Kopf, unschuldig scheinbar und höhnisch im Nachklang. Er schüttelte den Kopf.

Sein treuer Begleiter trug ihn zügig an das Ufer des Sees und kam sanft zu Landung.

Saber stieg ab und half auch Beth vom Rücken des Mecha-Pferdes.

Sie schritt langsam auf den See zu und sah sich um. Er selbst folgte einem Impuls und meldete Ramrod, dass er Jean-Claudes Schwester nach Hause bringen würde. Dann drehte er sich zu ihr um.

Sie hatte ihm den Rücken zugewandt und ließ ihren Blick über den See gleiten. Ihre Gestalt war schlank und sanft geschwungen. Ihr Haar wirkte schwarz im spärlichen Licht der Nacht. Es schwang sacht mit dem Wind.

Ein Bild überlagerte ihren Anblick.

Braunes Haar. Braunes Haar, das schwungvoll durch die Luft glitt, sich gleichmäßig mit ihrem Körper bewegte. Eine Hand auf seiner Brust, Fingerkuppen, die über seine Haut strichen. Ihre Miene aufmerksam. Sein eigener Atem keuchend, stoßweise. Seine Hand auf ihrem glatten Oberschenkel.

Saber schüttelte den Kopf um das Bild zu verscheuchen. Es waren die gleichen Sehnsüchte gewesen. Damals.

„Das ist unglaublich.“ Beth Stimme holte ihn endgültig in die Gegenwart zurück. Er sah sie auf sich zu kommen, geschmeidig wie eine Katze.

„Wunderschön, wie sich die Lichter auf dem See spiegeln.“ Er griff nach ihre Hand und umschloss sie sanft.

„Wir leben seit fast einem Jahr hier und ich bin heute zum ersten Mal an diesem See. Ich hab die Gäste im Freibad davon sprechen hören. Sie sagte, es sei hier romantisch.“

… „Na, so ein Zufall“ …

Er räusperte sich leicht. „Romantik liegt im Auge des Betrachters. Viele empfinden einen See bei Nacht als romantisch, andere ein Dinner zu zweit bei Kerzenschein. Ich persönlich findet den See schön, aber etwas hier finde ich noch schöner. Dich, Beth.“ Er sprach leise, wusste selbst nicht warum.

Sie schaute ihn mit großen Augen an.

… „Na, so ein Zufall“…

„Ich weiß nicht, was ich darauf sagen soll. Ich weiß nicht, was 'romantisch' ist“, erwiderte Beth genauso leise.

Er zog sie sacht näher und schlang seine Arme um sie. „Du musst gar nichts sagen.“ Seine Lippen legten sich behutsam auf ihre. Er küsste sie.

Er.

Wieder war er es, der Körperkontakt initierte. Er umfasste ihren Kopf mit einer Hand, drückte sie mit der anderen näher zu sich. Er schloss die Augen. Die Bilder verblassten. Die Stimme verklang. Noch waren sie Schatten in ihm, Ahnungen, doch etwas raubte ihnen ihre Wirkung.

Sie erwiderte den Kuss zärtlich und forschend. Ihre Hände glitten seine Arme hinauf und umfassten seine Schultern. Sie reckte sich ihm entgegen, erkundete weiter seine Lippen mit ihren, probte, testete, begierig, aber unbeholfen.

Er war es, dessen Zunge inständig um Einlass bat. Sie empfing ihn sogleich. Seine Hand glitt zu ihrer Wange. Zärtlich strich er mit dem Daumen darüber ehe seine Finger in ihren Nacken strichen und dann weiter fuhren, durch ihr Haar zu seiner anderen Hand, mit der ihren Kopf hielt.

Er musste den Kuss schließlich lösen und betrachtete ihr Gesicht. Ihre Augen flackerten irritiert.

„Was“, begann sie verwundert. „Wie machst du das? Warum passiert es immer bei dir, dass ich nicht mehr weiß, was ich sagen oder tun soll, dass einfach alles ... anders ist?“

Eine erstaunte Frage. Ein ehrliche.

„Ich weiß nicht, wie du das meinst. Aber ich weiß, dass du tiefe Zuneigung in mir hervorrufst und die möchte ich mit dir teilen. Ich möchte dich in meiner Nähe spüren, mit dir reden, dich im Arm halten. Das ist es, was ich unter Liebe verstehe.“

Das war es also. Tiefe Zuneigung nannte er das, was sie ebenso empfand. Sie wollte bei ihm sein, in seiner Nähe, mit ihm reden, ihn berühren und von ihm berührt werden, so wie er es eben getan hatte.

„Empfinden Menschen das oft? Liebe?“

„Manche. Andere empfinden es nur einmal im Leben und manche leider nie.“ Seine Hände glitten über ihre Schultern und zogen sie wieder an sich. „Die meisten Menschen wünschen sich, sich nur einmal zu verlieben und mit demjenigen den Rest ihres Lebens zu verbringen“, erklärte er und schaute zum See, dessen kleine Wellen sanft silbern glänzten.

„Hat sich dieser Wunsch für dich schon erfüllt?“

„Nein, bisher noch nicht. Leider. Aber ich hoffe, dass ich sie eines Tages finde, die eine, mit mir mein Leben teilt. Es ist schwer, als Star Sheriff, eine andauernde Beziehung zu führen.“

„Ihr seid oft unterwegs, so lange unsere Leute hier herkommen. Stört das eine potentielle Partnerin?“

„Ja, zum Einen das, zum Anderen machen sie sich auch Sorgen. Ein Soldat ist immer in Gefahr. Das ist für den Partner, der zurück bleibt, leicht zu verstehen aber schwer zu akzeptieren.“ Das war der eine Grund. Der andere war die Fähigkeit diese Abwesenheit mit der Gesellschaft anderer Personen zu füllen. Für einen Augenblick erwog er es, dies auszusprechen, doch er wollte sie nicht durcheinander bringen. Menschen stellten sie hin und wieder vor ein Rätsel mit ihrem Verhalten und sie bemühte sich darum, das nachzuvollziehen und zu verstehen. Jetzt gerade gelang es ihr nicht, wie ihre nächste Frage bewies.

„Aber ihr könntet nicht effektiv arbeiten, wenn ihr an einem Ort bleiben würdet. Es ist nicht zu viel verlangt, dass die Partnerin oder der Partner dann selbständig sein Leben fortsetzt. Wir gehen Symbiosen ein. Für Menschen klingt ‚Symbiose‘ nach Abhängigkeit oder einer reinen Zweckgemeinschaft, aber es ist eher das, was Menschen als Protokooperation bezeichnen. Das geht nicht ohne eine emotionale Zuneigung und es ist eben eine Verbindung, aus der beide einen Vorteil aus dem Zusammenleben ziehen, aber auch ohne den andern … lebensfähig sind.“

„Es gibt auch bei Menschen Beziehungen, in denen das funktioniert. Wir sind nicht lange genug an einem Ort, um über die Phase des Kennenlernens hinaus zu kommen und genug Vertrauen in der Beziehung aufgebaut zu haben, dass es funktionieren könnte.“

Beth hob den Kopf und schaute ihn prüfend an. „Das besorgt dich?“

„Ja, in manchen Momenten. Manchmal kommt auch das Gefühl von Neid auf.“

„Neid? Der Wunsch etwas zu besitzen, was ein anderer besitzt? Weil man, weil du dich nicht in einer solchen Symbiose befindest?“

„Ja, ich denke, es ist Neid auf das Glück, das andere haben.“ Ein Bild von Fireball und April kam ihm dabei in den Sinn, aber er sprach seinen Neid auf die beiden Kollegen nicht aus. „Mir ist durchaus bewusst, dass nicht alle so glücklich sind, wie sie wirken. Sie haben aber die Möglichkeit, mit einem Partner zu leben, was mir verwehrt bleibt.“ Er löste seinen Blick vom See. „Zumindest im Augenblick. Ich gebe die Hoffnung nicht auf jemand zu finden der mit mir …“ Lächelnd schaute er sie an. „in einer Symbiose leben will.“ Er gebrauchte ihren Ausdruck für eine dauerhafte Beziehung um zu signalisieren, dass er dasselbe suchte wie sie sie.

„Oh, du bist immer noch auf der Suche“, stellte sie fest. Ein eisiges Ziehen durchfuhr ihren Bauch. Es war unbehaglich, das Gegenteil von der angenehmen Wärme, die sie sonst bei ihm spürte. Sie fühlte sich an die Erfahrungen in ihrer Heimat erinnert, als mit der Volljährigkeit die Suche nach einem Partner begann. Man ging zunächst in Gespräche mit potentiellen Partnern um auszutesten, wer zu einem passte. Das engte die Auswahl ein. Dann in einem zweiten Schritt begann die physische Komponenten und führte zur endgültigen Einigung. Sie selbst war nie über die Gesprächsphase hinausgekommen, galt als wenig zielorientiert für eine erfolgreiche Symbiose. Die Ablehnung hatte sie irritiert. Nun sorgte sie sich um eine neuerliche, mehr noch, sie fürchtete von Saber zurück gewiesen zu werden. „Unter wie vielen wählst du gerade aus?“, fragte sie vorsichtig.

Er blinzelte verwirrt. „Nein, ich...“ Sein Blick verfing sich in ihren schönen Augen, groß, dunkel und offen. „Ich suche eigentlich nicht mehr. Aber es ist nicht nur meine Entscheidung, sondern auch die meiner potentiellen Partnerin. Es gehören zwei dazu.“

Das schockierte sie regelrecht. Ihre Augen weiteten sich erschrocken. Die Zustimmung des potentiellen Partners, ja, ohne die ging es auch in ihrer Heimat nicht. Aber bedeutete das …

„Du hast eine Partnerin?“

Er konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Ich hätte gerne eine“, stellte er richtig und lehnte seine Stirn an ihre. „Dich.“

Sie öffnete den Mund, schloss ihn wieder um ihn erneut zu öffnen aber keinen Ton hervorzubringen. Ihr Herz hämmerte bis zu ihrem Hals hinauf. Die Kälte schmolz in ihrem Bauch. Ihr Puls raste.

„Wieder bringst du alles durcheinander.“ Es dauerte eine Weile, bis es ihr gelang ihre körperliche Reaktion zu kontrollieren und in Worte zu fassen. „Ich bin … erleichtert“, fügte sie lächelnd hinzu.

„So, du bist erleichtert?“ Er suchte ihre Lippen, küsste sie sacht und zog sich dann nur so weit zurück, wie es sein musste damit sie sprechen konnten. „Gibst du mir eine Antwort? Würdest du dich für mich entscheiden?“

„Akzeptierst du das als ja?“, fragte sie zurück und überwand die minimale Distanz rasch. Ihr Mund strich über seinen.

„Ist mehr als akzeptabel“, murmelte er in den Kuss.

Die Erinnerung verblasste mehr. Der unnachgiebig aufmerksame Blick hinter den Gläsern der rotgeränderten Brille, die zielstrebig erschaffenen Körperkontakte, die Worte, die seine wiederholten, ohne je eigene Gedanken zu offenbaren. Die Erfahrungen, die er Lilly verdankte, verloren ihre Wirkung und eine Erkenntnis keimte auf, würde ihn bald durchdringen, erlaubte ihm aber erst einmal diesen Moment bedenkenlos zu genießen.

Er ließ sich fallen.

Mental.

Physisch.

Er zog Beth mit sich ohne die Küsse zu unterbrechen. Ihr Körper auf seinem fühlte sich wundervoll an.

Er küsste sie.

Wieder.

Und wieder.

Und wieder.

Sehnsüchtig. Hungrig.

Seine Arme hielten sie an ihn gepresst. Er strich mit seinen Händen über ihren Rücken, ihren Po, umfasste ihre Hüften und brachte sie schließlich unter sich.

Er strich ihre Taille hinauf, begann ihren Körper zu erkunden und hatte Mühe, große Mühe, inne zu halten, als sie ihm Einhalt gebot.

In dem Moment, da sie ihn zurückhielt, vernichtete sie endgültig Lillys Bann über ihn.

Kapitel 12

Kaum waren Saber und Beth aus der Küche gegangen, wog Colt seine Möglichkeiten ab. Am ersten Abend in der Bar hatten er und Snow sich wirklich gut unterhalten, sie war schlagfertig und hatte ihn mehr als einmal zum Lachen gebracht. Dann hatte sie ihn aber ignoriert, als sie ihre Schwester so … energisch … abgeholt hatte. Jetzt, als sie sie gefunden hatte, war ihr Verhalten ganz so, als hätte dieser Zwischenfall nicht stattgefunden. Er rechnete sich daher gute Chancen aus, dort anzuknüpfen, wo sie in der Bar aufgehört hatten. Er legte sich gedanklich die Worte zurecht, die er ihr sagen wollte, doch dann purzelte ihm ein plumpes „Schmeckt's?“ über die Lippen. Das konnte er doch besser.

Snow hatte eben den Happen hinunter geschluckt, an dem sie gekaut hatte und sah ihn an.

„Das Sandwich? Ja. Das da“ Deutete auf die Tür, durch die Saber und Beth verschwunden waren. „Hm, ich weiß nicht.“

Er grinste. Da war die große Schwester wieder. „Keine Sorge, Saber passt schon auf sie auf. Du hast den Schreck schon verwunden?“

Sie hob die Braue. „Genau das macht mir Sorgen. Fast genauso sehr wie deine Frage gerade. Sehe ich wie ein kleines Mädchen aus?“

„Mach dir zwei Zöpfe und frag mich das nochmal“, grinste er zurück. „Hast du mit den Blumen eigentlich den selben Umgangston wie mit den Gästen in der Bar? Ich meine, die Blümchen müssten dann ja zwangsläufig in die Höhe sprießen, wenn du mit ihnen sprichst.“

Sie lachte leicht. „Vielleicht liegt es auch daran, dass ich aufgehört habe, ihnen etwas vorzusingen“, versetzte sie verschmitzt.

„Also, ich hab gehört, dass Blumen größer werden, wenn man ihnen Hard Rock vorspielt. Ich glaub, so werden die Wurzeln irgendwann lang genug sind, um weglaufen zu können. Also kann das nur bedeuten, du singst wie die fette Frau in der Oper. Glockenhell und treffsicher.“

Jetzt lachte sie auf. „Eher wie ein Tier das man erlösen sollte.“

„Kann ich mir nicht vorstellen. Du hast mich noch nie beim Karaoke gehört“ lachte er leicht. „Wir sollten bei Gelegenheit mal herausfinden, wer von uns schlimmer singt. Ich bring dir auch ein Blümchen zur Wachstumskontrolle mit.“

„Verschone die armen Blumen. Die haben dir nichts getan.“ Ihr Grinsen verblasste ein wenig und sie legte den Kopf schief. „Ist das mit dem Karoke sowas wie das mit dem Tennisspielbei dem Beth mit euch war?“

Colt rutschte auf der Bank näher zu ihr, nahm sich dabei ein Sandwich, als täte er das nur um besser an selbiges heran zu kommen. „Beim Tennis hetzt man einem gelben Filzball nach, beim Karaoke singt man, das sind zwei verschiedene Dinge. Ich weiß gerade nicht, wie du das vergleichst. Was soll so ähnlich sein?“, fragte er dann

„Na, Beth hat ... na eben gespielt, also nichts effektives gemacht“, erläuterte sie ihm was sie meinte. Ihr Blick war interessiert auf ihn gerichtet und aufmerksam.

„Ah, jetzt weiß ich, was du meinst! Da geht mir das berühmt berüchtigte Lichtlein auf. Ja, es ist ein Zeitvertreib. Es soll Spaß machen, das ist die Hauptsache daran.“

„Spaß?“ Sie hob die Brauen. „Das ist alles?“

„Ja, mehr steckt nicht dahinter. Man verbringt Zeit miteinander und hat Spaß dabei. Es geht dabei um nichts außer das man entspannt. Naja, bis der erste von uns zu singen beginnt“, grinste er wieder. Ihre hübschen auberginefarbenen Augen leuchteten neugierig. Ihm gefiel die Art, wie sie fragte, wie sie grinste und, ähnlich wie Beth, doch auch etwas weltfremd und unbeholfen war.“

„Das soll der Sinn daran sein? Spaß haben und … entspannen? Wo ist da der Effekt?“

Ihr Bemühen zu verstehen, war ebenfalls anziehend.

„Es braucht keinen Zweck. Wenn, dann ist der einzige Zweck, dass man Zeit mit seinen Freunden verbringt. Man bricht aus dem Alltag für eine Zeit lang aus.“

Die Art nach zuhaken und die Brauen zu heben, wenn sie etwas nicht verstand, glich der ihrer jüngeren Schwester. Ihre ältere war daran nicht interessiert gewesen.

„Warum macht man etwas, wenn es keinen Zweck hat? Was meinst du mit 'aus dem Alltag ausbrechen'?“

Colt hob die Schultern. „Wir machen das gerne. Es ist wie ein kleiner Urlaub, wenn man etwas macht, was man nicht täglich macht. Es gibt wieder Kraft und genug gute Laune, um wieder monatelang mit Ramrod durch die Gegend zu gurken. Du solltest so etwas auch mal ausprobieren. Wir müssen nicht zum Karaoke. Wir können schwimmen, reiten, Tennis spielen, Volleyball spielen... Was immer dir einfällt, was du mal probieren wolltest. Sag's und wir machen es.“

Er schob sich noch etwas näher, legte einen Arm auf die Lehne der Bank und stützte lässig seinen Kopf darauf.

Damit war sie überfragt. Sie schaute ihn an und blinzelte fragend. „Was machst du für diesen ... Spaß?“, erkundigte sie sich daher.

„Ich bin auch mal gerne in der Natur, ein Ausritt ins Grüne mit dem Pferd ist entspannend. Den Schießstand empfehle ich nur bedingt, das macht nur mir Spaß.“

„Ausreiten, hm?“ Beth war heute zum Ausreiten verabredet gewesen und jetzt – obwohl es mit Technik zu tun hatte – wollte sie mit Saber sein Mecha-Pferd ansehen? Reiten schien nicht so uninteressant sein. „Tja, vielleicht hab ich mal Zeit dafür. Sag mir Bescheid, wenn du vorhast uns nicht mehr zu behandeln wie kleine Kinder, denen man erklären muss ... wie sagen Menschen immer ... wie der Hase läuft.“ Sie grinste ihn herausfordernd an.

„Bescheid.“ Es hatte keine Sekunde gedauert.

Sie grinste breiter. „Das wollen wir doch mal sehen. Hm, sag mir doch ... Wie ist das so unter einem Kommandanten wie Saber zu arbeiten? Trifft er gute Entscheidungen?“

Das Funkeln in ihren Augen begeisterte ihn.

„Wir leben noch, also ja, bisher waren die Entscheidungen gut“, gab er zurück.

„Diese ... Hierarchie hat sich also bewährt?“

„Ja, unser System funktioniert. Saber ist umsichtig.“

„Also,“ Sie nahm sich Zeit während sie ihre nächsten Worte wählte. „ich entnehme deinen Worten, dass es gar nicht so doof ist, wenn er euch ... fremdbestimmt? Fremdbestimmung kann also ... sinnvoll sein?“ Das Grinsen verschwand erst aus ihrem Gesicht, als sie den Mund zu einem tonloses ‚Huch‘ öffnete und die Hand vor den Mund legte.

Wieder haute sie ihn von den Socke damit. Genau wie am ersten Abend, schlagfertig und clever. Seine Augen blitzten begeistert.

„Jetzt bin ich ordentlich eingefahren, wie?“, lachte er. „Tja, ich schätze, in Maßen ist Fremdbestimmung ganz ok, solange ich selbst auch noch was entscheiden darf.“

Sie nickte langsam. „Hm, so wie ich gerade selbst entscheide, ob ich mich darauf einlasse, mit dir zum .. Spaß ... reiten zu gehen? Oh, wäre das nicht ein Beweis gegen die Theorie von uns als "blinde Befehlsempfänger"? Tja, irgendwie dumm, dass du es mir nicht einfach befehlen kannst, hm“, grinste sie immer noch provozierend.

Es gefiel ihm gut. Nein, sie gefiel ihm immer besser. Er war zu ihr soweit auf gerutscht, dass er jetzt Beth vorherigen Platz einnahm und beugte sich mit einem Zwinkern noch etwas näher zu ihr.

„Ich kann es dir nicht befehlen, aber ich kann dich auch einpacken und mitnehmen“, grinste er noch breiter als zuvor. „Dann bist du fremdbestimmt. Aber ich will, dass du freiwillig mit mitkommst, da sind die Chancen höher, dass du Spaß dabei hast.“

Sie beugte sich ihrerseits zu ihm. „Aber fremdbestimmt ist doof,“ stichelte sie munter.

„Eben. Also komm doch freiwillig mit. Wenn du nicht reiten kannst, ist das kein Problem, du hast den Bogen bestimmt im Nu raus.“

Sie tat, als überlege sie, schaute zur Decke, legte einen Finger an ihr hübsches Kinn und schaute dann wieder zu ihm.

„Nö,“ versetzte sie schlicht und biss schmunzelnd in ihr Sandwich.

„Nimm den Mund nicht zu voll. Ich bin so knapp davor“ Er deutete eine winzigen Abstand mit Daumen und Zeigefinger an. Sie gefiel ihm. Sie gefiel ihm immer mehr. „dich morgen aus der Bar zu stehlen, dich über meine Schulter zu werfen und einfach mit dir auszureiten. Glaub nicht, dass ich bluffe, sonst bin ich gezwungen, es dir morgen zu beweisen.“

Halb belustigt, halb neugierig gab sie zurück. „Haha, darauf lass ich es ankommen.“ Dabei fragte sie sich, ob er das wirklich tun würde.

„Verlass dich drauf. Du bist schon so gut wie gemopst. Ich hoffe, dass du morgen auch noch so grinst, dann hast du nämlich definitiv wieder Spaß“, gab er zurück und grinste.

„Ich hab was?“, stutzte sie und sah ihn verdattert an.

Ehe einer von ihnen etwas sagen konnte, öffnete sich die Tür zur Küche und Jean-Claude trat ein. Er brauchte einen flüchtigen Moment um zu erfassen, wie nah Colt und Snow zusammen saßen, während von Saber und Beth jede Spur fehlte.

„Was ist hier los? Wo ist Beth?“ verlangte er zu wissen.

„Du schon wieder da?“, entfuhr es Colt überrascht. Der Zeitpunkt hätte kaum ungünstiger sein können und die Stimme Snows Bruders kaum kühler. „Saber zeigt Beth im Hangar Steed.“

Ein knappes Nicken darauf. „Was machst du hier mit Snow?“ Misstrauen lag in seinen Worten und sein Blick ruhte wachsam auf den beiden. Es ging hier um seine Schwestern. Jean-Claude war diesbezüglich mehr als nur vorsichtig und bedacht.

„Och, ich hab ihr von meinem Karaoketalent erzählt. Nichts dramatisches. Beruhig dich“, gab Colt unbeeindruckt zurück und hätte Jean-Claude nicht empfindlicher treffen können. Seine Schwestern waren ihm mehr wert, als ein Außenstehender auch nur erahnen konnte. Das lapidare Verhalten, mit dem ihm der Scharfschütze begegnete, bewirkte daher, was bei dem sonst so sachlichen Outrider ausgesprochen selten vorkam. Er ging hoch wie ein Vulkan.

Ehe Colt auch nur die Chance hatte aufzustehen oder sonst etwas zu tun, hatte Jean-Claude ihn gepackt und am Kragen auf die Füße gerissen.

„Überleg dir gut, ob du meine Schwester anfasst“ Die Erinnerung an Annabell und das Ende, welches ihre Begegnung mit Colt genommen hatte, flammten vor seinen inneren Auge auf. „und wage nicht, Colt, wage nicht das auf die leichte Schulter zu nehmen. Das nächste Mal, werde ich nicht scheitern. Verstanden?“, zischte er den Lockenkopf vor sich an. Die Hand, die Snow ihm auf die Schulter legte und ihre Mahnung zur Ruhe blieben wirkungslos.

Colt wandte sich aus dem Griff des Wütenden und schob ihn ein Stück von sich weg. Glaubte der über seine Schwestern bestimmen zu können?

„Keine Angst, ich nehme es nicht auf die leichte Schulter. Aber ob ich deine Schwester anfasse, entscheidest weder du noch ich. Das entscheidet einzig deine Schwester, ob sie das überhaupt will“, stellte Colt entschieden und mit dem gleichen lehrerhaften Unterton klar, der den Geschwister missfiel.

Er hatte eben den letzten Buchstaben ausgesprochen, da spürte er die erbarmungslose Faust Jean-Claudes an seinem Kiefer. Im nächsten Moment flog sein Kopf zurück. Er verlor den Halt. Sein Körper fiel gegen die Bank, auf der er zuvor noch gesessen hatte. Dann sah er, wie sich Snow’s Bruder abwandte, sich anschickte den Raum zu verlassen, und Snows wunderschönes, wütendes Gesicht. Sie hatte etwas von einem Racheengel, als sie ihn fuhr: „Die hast du verdient.“

Er legte die Hand an sein Kinn und befühlte die getroffene Stelle. Sauber durchgezogen. Nicht schlecht, dass musste er zu geben, und schmerzhafter, als er zugeben wollte.

„Nehm ich als Gedächtnisstütze“, ließ er verlauten und schaute in ihre auberginefarbenen Augen. In ihnen loderte Feuer, sehr viel Feuer. Ob sie eine Vorstellung davon hatte, wie anziehend sie selbst jetzt in ihrem Zorn war? Das sprach er aber besser nicht aus, sonst hatte er ziemlich sicher die nächste Ohrfeige sitzen.

„Das nächste Mal, wenn du meinem Bruder unterstellst, er würde über mich oder Beth bestimmen, fängst du von mir eine“, erklärte sie verstimmt und ließ ihn sitzen. Sie folgte Jean-Claude zur Tür.

„Ich hab nicht vor, noch eine zu fangen“, rief Colt ihr nach und rieb noch einmal über die getroffene Stelle. Da brodelte es hinter der Fassade mehr, als man glauben mochte. Was das Temperament anging, schien Snow ihrem Bruder ähnlicher zu sein, als Beth. Oh, er würde es darauf ankommen lassen. Ganz sicher. Morgen würde er in der Bar aufkreuzen und sein Wort halten. Daran bestand kein Zweifel. Eine schöne Frau, klug, taff, humorvoll, energisch und schlagfertig in jeder Weise – nein, die ließ er nicht so einfach ziehen. Die war es wert, die Herausforderung anzunehmen, die Jean-Claude und seine Vorbehalten, ihrer beider Vorbehalte, boten, und zu sehen, was dabei rauskam. Die war es wert.

Die Geschwister hatten die Küche verlassen und strebten nun auf den Hangar zu. Es wurde Zeit Beth abzuholen und nach Hause zu gehen. Es gab noch etwas zu besprechen und schlafen war auch langsam wieder nötig.

Ehe sie den Hangar betraten, kam April ihnen entgegen gelaufen.

„He, eins noch, bevor ihr geht“, sagte sie freundlich. „Saber hat sich gerade gemeldet. Er bringt Beth nach Hause. Ihr braucht euch keine Sorgen machen.“

Einen Moment lang erwartete sie eine abfällige, abwertende Antwort, eher noch von Jean-Claude, als von Snow, irgendetwas das Missfallen an der Verbindung zwischen der jüngsten Schwester und dem Recken hinwies.

Doch Bruder und Schwester tauschten nur einen kurzen Blick.

„Danke für die Information, April“, erwiderte der grünhaarige dann und verabschiedete sich.

Die Navigatorin nickte ihm leicht zu und beobachtete, wie die beiden die Rampe hinunter liefen.
 

So eng saß seine Hose selten. Genauso selten duschte er so lange. Dafür hatte er aber auch schon lange nicht mehr so gut geschlafen und so schöne Träume gehabt. Als Beth ihn zurück gehalten hatte, waren all die vagen Erkenntnisse, die sich angebahnt hatten, in ihn gedrungen und entfalteten sich seitdem. Damit war es ihm gelungen, ihrer Bitte nachzukommen und wie der Gentleman zu verhalten, von dem immer behauptet wurde, dass er der sei. Hart war es dennoch gewesen.

Er sah an sich hinab, seufzte und drehte das kalte Wasser noch einmal voll auf.

„Saber, was treibst du da drin? Du brauchst ja länger als April.“ Fireballs ungeduldige Stimme hatte die gleiche Wirkung.

Er stellte das Wasser ab.

„Komme gleich“, rief er zurück.

„Beweg dich vorher da raus. Andere wollen auch duschen“, lamentierte der Rennfahrer auf der anderen Seite der Tür.

Saber schnappte sich ein Handtuch und schlang es um seine Taille. Die Frage „Wieso du denn?“ putzte er mit der Zahnbürste aus seinem Mund. Dann rubbelte er sich endgültig trocken und überließ dem maulenden das Badezimmer.

Er schlüpfte in seine Sachen und strich sie sorgfältig glatt.

Commander Eagle hatte sehr rasch einen Termin frei gemacht für diese Zusammenkunft. Der Anlass war zu außergewöhnlich.

April hatte ihm heute morgen mitgeteilt, dass ihr Vater diese Chance auf keinen Fall ungenutzt lassen wollte. Er hatte Jean-Claude eingeladen. Der Outrider hatte erklärt, seine Schwester Beth zu diesem Treffen mitzunehmen, wogegen der Commander keinen Einwand erhob. Außerdem sollten April, als Vermittlerin des Gespräches, Saber, als Captain der Ramrod-Crew, so wie zwei weitere Senatoren, zur Beobachtung des Gespräches und eine vertrauenswürde Prokollantin teilnehmen.

Er schloss seine braunen Stiefel, zupfte noch einmal den grauen Kragen zurecht und verzichtete auf den roten Schal, für den war es viel zu heiß.

April rief nach ihm.

Er warf noch rasch das Duschgel in seinen kleinen Reisekoffer und schloss diesen.

Ihr Abholservice war angekommen.

Die beiden eilten also die Rampe hinunter und stiegen in die wartende Limousine. Sie würde sie in nicht ganz fünf Stunden nach Yuma-City bringen. Der Chauffeur verstaute die beiden Trollis und fuhr los.

Das Gespräch war für den Nachmittag anberaumt, konnte aber lange dauern. Es war gut möglich, dass sie über Nacht in der Stadt bleiben mussten.

Fireball und Colt blieben zurück, entweder um danach zu ihnen zu stoßen oder um danach mit ihnen den Urlaub fortzusetzen. Dazu hatte Eagle sich noch nicht geäußert
 

Missmutige starrte Fireball dem verschwindenden Fahrzeug nach. Colt hatte Recht behalten. Mit der Ruhe war es vorbei, seit sie Snow gefunden hatten.

Verärgert darüber ließ er sich in seine Satteleinheit fallen und schaute aus dem Fenster.

Da lag es vor ihm, Bay Back, strahlend von der Sonne beschienen, nicht ein Wölkchen, das den Himmel trübte und so einladend.

Irgendwo auf Ramrod hörte er Colt sich fröhlich pfeifend aus dem Staub machen. Der Cowboy ließ sich nicht davon aufhalten diese weißhaarige Snow näher kennen zu lernen. Er hatte offenbar sämtliche Erfahrungen mit Annabell vergessen, denn er schien sich wie ein Schuljunge, so wie damals, aufzuführen. Hatte er nicht erst gestern betont, wie übel diese Erfahrung war und wie wenig Ahnung Fireball davon hatte? Verständnislos schüttelte er den Kopf. Aus dem sollte mal einer schlau werden. Er konnte ihn gerade nicht verstehen. Genauso wenig wie Saber. Der Schotte konnte wahrscheinlich Colts Verhalten nachvollziehen, aber dem Rennfahrer gelang es nur schwer, den sonst so rationalen, sachlichen Boss zu verstehen. Als hätte er mit Lilly einst auf einer rosaroten Wolke geschwebt, als hätte er sie eben nicht in ihre Dimension zurück schicken müssen, nachdem er ihrem Verrat auf die Schliche gekommen war. Jetzt traf er sich mit Beth, kam spät an Bord zurück und duschte in einer Zeitspanne, bei der jeder andere Mann wusste, was er davon zu halten hatte.

Innerhalb von drei Tagen schien er komplett den Verstand verloren zu haben. Ausgerechnet Saber, man stelle sich das mal vor. Was das anging, schlug Beth ihre Vorgängerinnen um Längen. Nicht, dass sie nicht hübsch war. Sie und auch ihre Schwester waren sehr attraktiv, ihr Aussehen exotisch und ihre Gestalten schlank, na fast dünn, aber schwungvoll an den richtigen Stellen. Ihre Ausstrahlung war ebenfalls anziehend, gelehrig und unbeholfen die eine, taff und schlagfertig die andere. Doch gerade Colt und Saber sollten das doch mit etwas mehr Vorsicht genießen, oder nicht? Schon klar, dass die beiden nicht Lilly und Annabell waren, aber eine Gemeinsamkeit blieb. Sie waren Outriderinnen.

Bei Outridern war doch immer Vorsicht geboten. Vorsicht, merkte er gedanklich an, nicht Vorurteile.

Es war nicht schädlich, ein wachsames Auge auf sie zu haben. Es hatte sich gestern für ihn ebenso gezeigt, als er April und Jean-Claude auf die Brücke begleitet hatte. Er selbst hatte sich zurück gehalten, nur das Gespräch beobachtet und sich nicht eingemischt. Jean-Claude war dem Commander höflich begegnet, aber mit dieser Distanziertheit, die er die ganze Zeit über an den Tag legte und die man ohne Probleme mit Überheblichkeit verwechseln konnte. Während des Gespräches war der Name Beth gefallen, als Jean-Claude erklärt hatte, dass er diese zu dem Treffen mitzunehmen gedachte. April hatte ihm einen Blick zugeworfen, den man nur schwer deuten konnte. Ihre Augen hatten geleuchtet, hatten etwas von Bewunderung gehabt, oder Erstaunen. Auf jeden Fall, das hatte der Rennfahrer genau gespürt, hatte Interesse in diesem Blick gelegen.

Seufzend erhob er sich aus seiner Satteleinheit. Wurde Zeit auf andere Gedanken zu kommen, entschied er und trabte zügig zum Hangar.

Dort warf er sich schwungvoll in den Fury Racer und beschloss, die Canyons außerhalb Bay Backs zu erkunden. Er fuhr die Rampe hinunter. Hinter ihm schloss die automatische Verriegelung des Friedenswächters diese wieder.

Mit quietschenden Reifen düste er los.
 

Kaum waren sie los gefahren, hatte die fehlende Ruhe der verkürzten Nächte seinen Tribut eingefordert und Saber in einen tiefen traumlosen Schlaf geschickt. Daraufhin hatte April, vor sich hin schmunzelnd, ein Buch aus ihrer Tasche gezogen und zu lesen begonnen.

Auf dem letzten Stück der Fahrt dann, hatte ihr Boss sich bewegt und sich gestreckt. Sie klappte ihr Buch zu und verstaute es wieder in ihrer Tasche.

„Du kommst spät zurück und duschst lange. Geht es dir gut?“, erkundigte sie sich und unterdrückte ein Schmunzeln.

Ertappt räusperte er sich. „Ja, alles in Ordnung. Ich musste den Schmutz von gestern noch gründlich abwaschen“, brachte er hervor.

Sie hob die Brauen, konnte nicht verhindern, belustig zu klingen. „Schmutz? Hast du mit Beth und Steed eine Bruchlandung gemacht?“

„Nein. Aber ich war noch verschwitzt und wollte halbwegs ordentlich bei diesem Termin aufkreuzen.“ Er hob ebenfalls die Brauen und warf ihr einen fragenden Blick zu. „Seit wann interessierst du dich für meine Duschzeiten?“

„Ich hab Fireball bis in die Küche zetern hören“, lachte sie fröhlich.

„Das glaub ich dir aufs Wort. Ungeduldig war er ja schon immer.“ Auch er musste lachen.

„Ja, ohne ihn wär's mir nicht aufgefallen.“ Sie grinste ihn an und erkundigte sich freundschaftlich. „Es läuft also gut mit euch beiden?“

„Ja, es läuft gut.“

„He, ich bin weder Colt noch Fireball. Ich werd dich nicht aufziehen, wenn du drei Worte mehr sagst.“

Saber musterte sie. Sie hatte Recht. Sie fragte nicht danach, um ihn dann aufzuziehen, sondern aus aufrichtigem Interesse.

Er streckte sich noch einmal, so gut es ging und antwortete ebenso aufrichtig: „Du hast keine Ahnung, wie dankbar ich dafür bin, dass du nicht wie die beiden bist. Aber recht viel mehr als das kann ich momentan trotzdem nicht sagen. Es läuft ganz gut mit Beth, wir verstehen uns. Ich hab das Gefühl, ihr Interesse an mir ist aufrichtig.“

Sie nickte. „Das Gefühl habe ich auch. Sie hat sich wie ein verliebtes Schulmädchen angehört, als ich sie nach dir gefragt hab.“ Als sie daran zurück dachte, stahl sich ein Schmunzeln auf ihre Lippen.

Er richtete sich auf und schaute sie neugierig an. „So, hast du das? Will ich wissen, was sie geantwortet hat?“

„Ich weiß nicht. Willst du hören, dass sie dich für faszinierend hält? Dass sie fasziniert, was du denkst und sagst? Dass sie Gespräche mit dir sehr schätzt? Oder dass“ Sie räusperte sich und gab sich Mühe Beth Worte und Tonfall genau wieder zu geben. „Er hat so ... so goldene Haare. Bei uns hat niemand solche Haare ... Oder Augen ... seine sind so ... blau.“

Geschmeichelt lächelte er vor sich hin. Wenn April ihr Zitat korrekt wiedergegeben hatte, und er bezweifelte, dass sie dabei übertrieb, dann ließ es stolz seine Brust schwellen und machte ihn im gleichen Moment auch etwas verlegen.

„Das beruht auf Gegenseitigkeit. Beth ist spannend, ihre Ansichten bringen mich zum Nachdenken und ihre Nähe berauscht mich. Ich sollte vorsichtiger und überlegter sein, aber ich kann in ihrer Gegenwart nicht anders“, gab er offen zu und erntete einen überraschten Blick von seiner Navigatorin.

„Davon merkt man aber nichts. Wenn es um die Sache geht, wie beispielsweise unser Gespräch gestern in der Küche, dann fällt das nicht auf. Du wirkst wie immer, ruhig und sachlich. Beth ebenso. Wenn man euch nicht allein erwischt hätte, wüsste man nicht, dass ihr beide auch anders könnt. Ich kann nichts verkehrtes daran finden.“

„Mit anderen im Raum geht es leichter, ja. Es ist nicht so, dass ich nicht weiß, wie ich mich zu verhalten habe, April. Es ist eher so, dass ich erfahrungsgemäß nicht zu viele Hoffnungen darin setzen sollte, dass es hält. Aber wenn ich Beth ansehe, dann denke ich, es kann funktionieren.“

„Du hast diese Erfahrungen gemacht und es tut mir leid, dass es solche waren. Aber sie sollten dich nicht lähmen. Dann bleibst du stehen und dann ... dann stehst du einfach nur dumm da. Entscheidend ist nicht, dass man hinfällt, das tun wir alle mal. Entscheidend ist, dass wir aufstehen und weiter gehen.“

Er lächelte leicht. So war April, einfühlsam und verständnisvoll, eine gute Freundin.

„Um es also in deinen Worten zu sagen: Ich stehe gerade wieder auf und gehe weiter. Es tut gut, deine Fürsprache zu haben, April. Deine Meinung ist mir wichtig.“

Erfreut lächelte sie über dieses Kompliment.

„Ich denke, du bist aufgestanden, vor einer Weile schon. Jetzt wird es Zeit, dass du weiter gehst.“ Wie aufs Stichwort kam die Limousine vor dem Hauptsitz des Kavallerie Oberkommandos zum Halt. So klopfte sie ihrem Boss aufmunternd auf die Schulter und grinste keck. „Hopp.“

Er öffnete die Tür, stieg aus, nur um ihr danach beim Aussteigen behilflich zu sein, Gentleman, wie er wohl doch war.

„Tja, dann wollen wir mal“, murmelte er und sah an dem Gebäude empor.

Hinter ihnen fuhr die Limousine fort, brachte ihr Gepäck zum Hotel. Vor ihnen glänzte der vertraute Kolos aus Stahl und Glas blendend hell.

Ob das wohl vielversprechend war?

Kapitel 13

Sie machten sich auf den Weg. Die Türen glitten für sie auf. Der rote Teppich auf dem blanken Marmor führte sie zum Fahrstuhl, vorbei an einem Empfangstisch, einem Informationsschalter und mehreren gemütlichen Sitzecken aus weichen Ledersofas und flachen Glastischen.

Mit einem unaufdringlichen Pling öffneten sich die Fahrstuhltüren. Saber ließ seiner Kollegin den Vortritt und gab anschließend die Etage ein, in welcher Eagles Büro lag.

Auch dort wurden sie von den vertrauten Räumen empfangen. Obligatorische Blumenkübel mit Palmen, weicher Teppichboden, hohe Fenster durch die die Sonne leuchtete.

Miss Stone saß, wie immer freundlich und eifrig, an ihrem Schreibtisch und lächelte, die gewohnte Höflichkeit in ihrer Miene, ihnen zu.

Gleich trat sie hinter ihrem hohen Empfangstisch hervor und führte die beiden in das Büro Commander Eagles.

Der saß hinter seinem Schreibtisch, neben ihm die beiden Senatoren und an einem eigenen Schreibtisch die Protokollantin, bereit für ihre Aufgabe.

Entsprechend formell fiel daher die Begrüßung aus und April unterließ es ihren Vater mit Daddy anzusprechen. Es wusste ohnehin jeder, wer sie war, und um den Ernst des Gespräches nicht einen Augenblick lang in Zweifel zu ziehen, verhielt sie sich als der Star Sheriff, der sie war.

„Guten Tag die Herren. Danke, dass Sie sich Zeit genommen haben.“ Auch auf den Schotten konnte man sich diesbezüglich verlassen, wie der Commander zufrieden feststellte. Die beiden ließen keinen Zweifel an ihrer Professionalität zu, wussten genau, wie wichtig ein objektiver Blick in solch einem Moment war.

„Es ist zweifelsohne eine Angelegenheit, der wir unsere volle Aufmerksamkeit schenken sollten und das am besten sofort“, begann der Commander und wollte eben die Senatoren vorstellen, als seine Sekretärin zwei weitere Gäste in den Raum führte.

Die Aufmerksamkeit der hohen Herren richtete sich sofort auf sie. Prüfend waren ihre Blicke auf den jungen Mann gerichtet. Er trug Jeans, ein dunkles Hemd und eine schwarze Sonnenbrille. Er machte einen lässigen, aber seriösen Eindruck zu dem sein grünes Haar nicht so recht passen wollte und auch die Sonnenbrille wirkte wenig höflich.

Kaum war die Sekretärin verschwunden, nahm er die Brille ab.

„Guten Tag zusammen“, grüßte er, nur halb beeindruckt von den Auszeichnungen an den Anzügen der Anwesenden.

Hinter ihm trat eine junge Frau näher. Sie trug ein schlichtes schwarzes Kleid, dessen voluminöse Kapuze einen guten Teil ihres Kopfes und auch ihres Gesichtes verbarg. Sie strich sie zurück und offenbarte ihre blass lila Wellen und ihre großen, fast schwarzen Augen.

„Hallo,“ grüßte sie ruhig.

Saber verbarg ein Lächeln. Er war davon ausgegangen, dass die beiden sich bemühten nicht viel Aufsehen zu erregen. Sie hatten ihn nicht enttäuscht. Er nahm sich einen flüchtigen Moment um sich zu gestehen, wie sehr ihm Beth in ihren schlichten Kleidern doch immer wieder gefiel und wie sie ihm, für den Augenblick in dem sie die Kapuze hinunter gestrichen hatte, den Atem verschlagen hatte.

„Gestatten Sie mir vorzustellen?“, wandte er sich an die Herren hinter dem Schreibtisch. „Jean-Claude und seine Schwester Beth.“

„Die Senatoren Weyer und Ghibli. Bitten setzten Sie sich doch“, eröffnete Eagle das Gespräch nachdem formellen Händeschütteln und wies auf die Stühle, welche vor seinem Schreibtisch bereit standen.

Weyers scharfe Züge, die die tiefen Falten in seinem Gesicht nur noch mehr betonten, überzogen sich mit einer leichten Skepsis.

„Jean-Claude? War nicht vor einiger Zeit ein Outrider dieses Namens für die Entführung Ihrer Tochter verantwortlich?“, erkundigte er sich bei Eagle.

Ehe ihr Vater eine Chance hatte, zu antworten, schaltete sich April selbst ein. „Ich weiß, Senator Weyer, es ist schwer, Vergangenes hinter sich zu lassen, aber ich kann Ihnen versichern, dass es hier um Wichtigeres als eine missglückte Entführung geht. Jean-Claude verfügt über wichtige Informationen für das Oberkommando und wird uns daran teilhaben lassen, wenn...“ Sie brach ab, als der erwähnte Outrider die Hand hob und ihren Eifer ausbremste.

Er hatte nicht vor irgendetwas schön zu reden, wie die Menschen so gern sagten. Er war hier um über Fakten zu sprechen.

„Ich habe meine Gründe für das, was ich getan habe, Senator Weyer. Ich habe auch jetzt meine Gründe hier zu sein“, erklärte er ruhig.

„Daran zweifle ich nicht. Jeder hat seine Gründe“, gab der zurück, nicht sicher, was er von diesen Worten halten sollte. Nach Reue klangen sie nicht.

„Ich würde gern etwas über Ihre Gründe erfahren, Informationen mit uns zu teilen und nicht gegen uns zu arbeiten?“, erkundigte sich Ghibli nun.

Souveränität zeichnete sich noch deutlicher in Jean-Claudes Zügen ab, als ohnehin schon. Mit der Hand wies er auf seine Schwester und Stolz war in seinen folgenden Worten zu erkennen. „Der erste Grund begleitet mich. Der zweite Grund hat im Augenblick für ein Treffen keine Zeit. Sie hört auf den Namen Snow. Beide sind sehr klug und sollten die Chance haben zu studieren, wie sie es sich wünschen.“ Dann wurden seine Züge wieder neutraler, distanzierter. „Meine Informationen betreffen unsere alte Heimat und unsere Art zu leben. Sollte sich als nützlich in Verhandlungen erweisen.“ Er hob die Braue, ehe er ergänzte. „Interessiert?“ “Ihre alte Heimat, sagen Sie. Ich nehme an, das ist die Phantomzone. Sie sind also in unsere Dimension geflohen.“ Ghibli lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor seinem Oberkörper.

„Wie nützlich die Informationen tatsächlich sind, wird sich erst noch herausstellen“, blieb Eagle bedacht. Dennoch war sein Interesse deutlich. „Ich bin überzeugt, dass künftige Verhandlungen dann friedlich sein werden, ohne Waffengewalt.“

„Ja, wir sind geflohen und nein, nicht zwingend, werter Commander. Nicht, wenn Sie nicht das Wesen von Outriden verstehen“, berichtigte der grünhaarige ihn.

„Wir streben hier alle eine friedliche Lösung des Konflikts an, das ist schließlich der Grund für diese Zusammenkunft, Commander. Jean-Claude wird mit uns zusammenarbeiten, dafür allerdings sucht er um Schutz für seine Familie an“, sah der Schotte es für erforderlich an, möglichen Missverständnissen vorzubeugen.

„Ich bin ... ich kann sein, was Jesse Blue Nemesis war. Ohne ihn wäre es nicht gelungen Sie, Commander, effektiv abzulenken, so dass wir mit dem Versprechen von Frieden unseren großen Angriff vorbereiten konnten.“

„Jesse Blue war ein Verräter, Jean-Claude“, fuhr Senator Weyer scharf dazwischen. „Ihnen ist bewusst, dass einem Verräter im schlechtesten Fall keine der beiden Parteien verzeihen wird?“

Jean-Claude war versucht abfällig zu schnauben. Es war schon erstaunlich, für wie dumm mancher Mensch sein gegenüber so hielt. Ehe er zu einer Antwort ansetzen konnte, nahm April ihm das ab. „Jesse hat Zeit seines Lebens nur seine eigenen Ziele verfolgt. Aber Jean-Claude ausführt sucht Schutz für seine Familie, auf unserer Seite.“

„Nun, wir sind Verräter. Man wird uns zurück bringen, damit meine Schwestern ihre Aufgaben erfüllen können und um mich davon abzuhalten, Gespräche wie dieses mit Ihnen zu führen. Wir eignen uns nicht für das Leben in der Heimat. Wir unterscheiden uns von unseren Leuten, wenn es auch nicht offensichtlich ist“, verdeutlichte er seine Lage und sah zu Beth, die den Mund öffnete.

In der sachlichen, ruhigen Art, mit der sie ähnliche Gespräche schon geführt hatte, begann sie nun zu sprechen: „Erlauben Sie mir, Ihnen unsere Situation zu verdeutlichen. Sie glauben vielleicht, uns drei zurück zu holen wäre einfach. Suchen, finden und in unsere Dimension zurück schicken. Aber dem ist nicht so. Unsere drei Phantomkammern wurden demontiert. Ganz gleich wer auf uns schießt, wir kehren nicht zurück. Wir sterben.“

Es gelang weder Saber noch April so recht ihre Überraschung zu verbergen. Commander Eagle entging das nicht. Er runzelte kurz die Stirn, dann wandte er sich an Jean-Claude.

„Weshalb wurden sie demontiert? Liegt es an der fehlenden Energie in der Phantomzone?“, wollte er wissen und Weyer schoss eine weiter Frage gleich hinterher.

„Mich würde interessieren, weshalb sich Outrider nicht für das Leben in ihrer eigenen Dimension eignen?“

„Nun, wie gesagt. Wir sind Verräter. Entweder man bringt uns zur Erfüllung unserer Aufgaben zurück oder wir sterben, während man das versucht. So oder so - es ist effektiv“ erwiderte der Outrider sachlich und seine Schwester ergänzte in dem selben distanzierten, Fakten übermittelnden Ton.

„Es eignen sich auch nicht alle Menschen für das Leben unter Menschen, bedenken Sie das bitte. In Bay Back gibt es so viele Orte an denen Menschen leben, die mit viel Aufwand gestaltet wurden. Trotzdem gibt es - in der gleichen Stadt - ein Gebiet in denen die Häuser fast zusammen fallen und in dem Menschen leben, die man - nach dem outriderischen Effiktivtätsprinzip - von ihrem Leiden erlösen sollte.“

„Nun, ich sehe, dass Ihnen Ihr Leben und das Ihrer Familie einiges Wert ist, Jean-Claude. Sie wissen sicher, dass ein Schutzprogramm für drei Personen nicht nur viele Geldmittel benötigt, sondern auch sonst aufwendig sein wird“, meinte der Commander und strich sich nachdenklich über den Bart. Wie nun in dieser Sache verfahren? Was war die klügste Entscheidung? Er hatte schon einiges gehört, dass ihm so noch nicht bekannt war. Er erhoffte sich noch ein wenig mehr um eine gute Entscheidung zu treffen.

„Das ist ihm bewusst, Commander“, versicherte April einmal mehr schneller als Jean-Claude oder Beth es hätten tun können. „Wir haben darüber bereits besprochen. Wären seine Informationen für uns nicht im selben Ausmaß wertvoll, würde er nicht hier stehen. Mir ist bewusst, dass Sie alle hier skeptisch sind, das waren auch wir.“

„Commander Eagle, Sie wissen aus eigener Erfahrung, dass uns Outrider ähnlicher sind, als wir das bisher angenommen haben. Jean-Claude versucht seine Familie zu beschützen. Sie alle können versichert sein, dass ihm am meisten daran gelegen sein wird, dass diese Verhandlungen zum Erfolg führen“, sprach auch Saber für die beiden.

„Jean-Claude wird uns Informationen geben, die für den weiteren Verlauf dieses Konfliktes entscheidend sind.“ Noch einmal nickte die Ramrod-Navigatorin um ihrer Fürsprache Nachdruck zu verleihen.

Jean-Claude sah die beiden mit gerunzelter Stirn an. Was dachten die sich eigentlich? Sollte das ihre Unterstützung sein oder glaubten sie nicht, dass er und Beth für sich selbst sprechen konnten? Hielten sie ihn und seine Schwester etwa immer noch für eine Art Lemminge, die ohne einen Führer aufgeschmissen war? Er wollte eben das Wort an die beiden richten und sie zurecht weisen, als seine Schwester ihm die Hand auf den Oberarm legte. Er schaute sie an. Sie schüttelte den Kopf. So wandte er sich an Eagle selbst und stellte sachlich fest: „Die Sache ist die, Commander. Dieser Krieg ... es ist wie ein Spiel, dass Sie spielen, ohne zu wissen, wie es läuft. Sie mögen Outrider als Soldaten kennen. Sie mögen glauben, zu wissen, was man Sie über uns wissen ließ. Aber das sind zwei, drei Regeln in einem komplexen Spiel das gut zwanzig Regeln hat und genauso viele Ausnahmen. Sie werden dieses Spiel, diesen Krieg, auf diese Weise nicht beenden können. Was wir Ihnen bisher gesagt haben, zeigt doch, wie viel Sie noch dazu lernen sollten, um das Spiel zu Ihren Gunsten zu drehen. Andernfalls haben Sie diesen Zustand bis in alle Ewigkeit ohne ihn je verändern zu können.“

Aufmerksam hatte der zu gehört und nun nickte er langsam. „Ich will es nicht unbedingt nur zu unseren Gunsten drehen. Mir ist viel mehr daran gelegen, für beide Parteien ein friedliches Zusammenleben zu ermöglichen“, meinte er ernst.

„Sie mögen einiges über uns durch Jesse Blue in Erfahrung gebracht haben, aber trotzdem hat Ihnen das bisher nicht den Sieg gebracht. Was sollte also uns davon überzeugen, dass wir durch Ihre Informationen Frieden herstellen können?“, fragte Chibli, offensichtlich des Hin und Her leid. Ein dünnes Lächeln umspielte die Lippen des Gefragen und er gab mit der seelenruhiger Gelassenheit zurück. „Erklären Sie mir doch bitte das outriderische Effikivitätsprinzip, das meine Schwester erwähnte.“ Abwartend hob er die Brauen.

Eine Minute verstrich ohne eine Antwort. Eine zweite folgte ihr. So sehr der Senator auch versuchte aus dem bisher gehörten sich eine Antwort zusammen zu reimen, er fand sie nicht und hob schließlich resignierend die Hände.

„Dachte ich mir.“ Jean-Claude räusperte sich. „Ich möchte noch einmal betonen, die Informationen, die ich Ihnen geben kann, werden Ihnen helfen Ihren Gegner besser zu verstehen. Ich übernehme keine Garantie für Frieden. Das liegt bei Ihnen.“ Er legte seine Hand auf die seiner Schwester und stellte die ihm wichtigste Frage. „Haben wir einen Deal?“

Kaum hatte er das ausgesprochen, nickten die anwesenden Star Sheriffs sofort.

Eagle allerdings ließ sich noch etwas Zeit. Deutlich war geworden, dass es noch viel über ihre Gegner zu lernen gab. Deutlich war auch geworden, dass es Jean-Claude aufrichtig um seine Familie ging. Das hatte die Art, wie er von seiner Schwester sprach und die Hand auf ihre legte, gezeigt. Deutlich war auch, dass sowohl seine Tochter, mitfühlend und verständnisvoll wie sie war, als auch Saber, in seiner Rationalität und Objektivität, sich sehr engagiert, leidenschaftlich sogar, für Bruder und Schwester einsetzten. Beiden vertraute er in ihrem Urteil. Chibli schien nur halb überzeugt, nicht bereit, einem Outrider nach all den Jahren zu vertrauen. Weyer wirkte ebenfalls skeptisch, eher wachsam, und bereit es auf einen Versuch ankommen zu lassen.

Eagle erhob sich und reichte Jean-Claude die Hand.

„Mein Einverständnis haben Sie.“

Es wunderte ihn einen Moment lang, dass beide Outrider sich erhoben und ihm die Hand gaben. Er hatte angenommen, Jean-Claude als das Familienoberhaupt führe die Verhandlung und vertrete so auch die Interessen seiner Schwestern. Doch Beth hatte ebenso deutlich gesprochen wie ihr Bruder als eine gleichwertige Partnerin in dieser Verhandlung, nicht nur als Begleiterin. Eagle schlug ein.

„Wir haben einen Deal. Aber wir werden Sie im Auge behalten“, bestätigte Weyer und auch Chibli betonte das ebenfalls, was Jean-Claude mit einem beiläufigen „Natürlich“ quittierte.

Damit verabschiedete er die Senatoren und die Protokollantin. Er wartete, bis sich die Tür nach ihnen schloss und wandte sich dann an die verbliebenen vier.

„Wie habt ihr euch die Details vorgestellt?“ erkundigte er sich. Er ging davon aus, dass besonders Saber sich dazu schon Gedanken gemacht hatte. Es war nicht die Art des Recken unvorbereitet zu irgendeinem Termin zu erscheinen.

Jean-Claude hob die Brauen und schaute zwischen dem Schotten und seinem Vorgesetzten hin und her. Das fand er interessant. Wie wollte er denn die Frage beantworten, wo sie sich untereinander noch nicht darüber verständigt hatten?

„Da der Ausgang dieses Gespräches nicht klar war, haben wir zunächst nur einen groben Plan, Sir. Ich schlage vor, die ersten Maßnahmen zu setzen, wenn die Zusammenarbeit schriftlich festgehalten wurde. Dieser erste Schritt kann sofort erledigt werden. Außerdem benötigen wir ein Budget, einen Rahmen in dem wir uns bewegen können, um den Plan auszufeilen oder zu verändern.“

„Primär“, meldet sich Jean-Claude zu Wort. „benötigen wir eine Wohnung für Snow und Beth nahe einer guten Universität und ihre Anmeldung in eben dieser. Ich brauch eine kleine Wohnung, nicht allzu weit entfernt von ihnen.“

Das war keine übermäßige, aber eine nachvollziehbare Forderung und spiegelte wieder, was er bereits gesagt hatte. Eagle nickte darauf.

„Wir werden dafür sorgen, dass ihr hier in Yuma eine Wohnung bekommt. Ihr werdet verstehen, dass ihr unter Beobachtung stehen werdet. Dies wird einerseits eurem Schutz dienen, andererseits uns garantieren, dass ihr uns nicht in den Rücken fallt“, erwiderte er schlicht.

„ Vater, wir werden für Jean-Claudes Familie bürgen und auch darüber wachen, dass sie sich integrieren und nicht auffallen“, versprach die Navigatorin daraufhin.

Jean-Claude schaute prüfend auf den Commander. „Was erwarten Sie von uns? Welchen Beweis sollen wir erbringen, der Sie überzeugt? Wir haben in unserem Haus ins Bay Back drei Blaster und Munition zum Nachladen. Für den Fall, unsere Leute finden uns. Möchten Sie die an sich nehmen?“

Eagle schaute ihn überrascht an. Das Vertrauen, das seine Schützlinge in die drei setzten, war immens. Der Outrider allerdings überbot das mit seinem Angebot. Eagle erinnerte sich noch gut an seine eigene Flucht. Unter keinen Umständen hätte er irgendwem seine Waffe ausgehändigt. Dass der Outrider ihm die Waffen auszuhändigen anbot, die er nachvollziehbarer Weise zum Schutz seiner Schwester benötigte, ließ das Vertrauen in diese Zusammenarbeit wachsen.

Wieder sah er den Recken an.

„Saber! Ich stelle euch ab sofort zum Schutz und zur Überwachung Jean-Claudes und dessen Schwestern ab. Organisiert die Bleiben hier und organisiert ihren Umzug so schnell wie möglich. Bis ihr alles erledigt habt, werden wir einen Vertrag ausarbeiten und noch einmal über die Details sprechen“, teilte er ihm seine Entscheidung mit. Der angesprochene erhob sich und salutierte.

„Sehr wohl, Sir.“

Auch der Commander erhob sich.

„Meldet euch, wenn ihr zurück seid oder etwas schief gehen sollte.“ Er verabschiedete Jean-Claude und Beth und hielt danach seine beiden Untergebenen zurück.

„Ich brauche nicht zu erwähnen, dass bis zur Unterzeichnung und der tatsächlichen Zusammenarbeit niemand davon erfährt.“

„Natürlich“, salutierten beide abermals, dann verließen sie das Büro.

Sie liefen auf den Fahrstuhl zu, den Jean-Claude und Beth gerade betreten hatten.

Sie sahen, wie er ihre Kapuze nahm und ihr behutsam übers Haar legte. Er flüsterte ihr etwas zu, worauf hin sie lächelte.

Dann schlossen sich die Fahrstuhltüren und verbargen die Szene, als hätte sie nicht versehentlich gesehen werden sollen.

Saber und April tauschten eine überraschten Blick. Im nächsten Moment fassten sie einen Entschluss.
 

Es war ein seltsames Gefühl diese flüchtige Geste der Zuneigung beobachtet zu haben. Selbst nach allem, was sie bisher über sie erfahren hatten, hatten sie nicht geglaubt, dass Jean-Claude seinen Schwestern so zugewandt war, wie sie es sich eben vor ihnen gezeigt hatte. Es war der gleiche Mann, der April und Pierre in Lebensgefahr gebracht hatte. Um seine Schwester Annabell zu rächen. Es war der gleiche Mann, der verboten hatte, dass Beth und Snow noch länger Kontakt zu Saber und Colt hatten. Es war der gleiche Mann, der sie aus dem Raum befohlen hatte, als die beiden nach ihnen gesucht hatten. Alles, was ihnen in diesen Momenten dominant und bestimmend vorkam, erschien in einem anderen Licht, machte seine Worte glaubhafter, bewahrheitete sie.

Es weckte in beiden den Wunsch ein Zeichen zu setzen, das ihre Unterstützung und Freundschaft signalisieren sollte. Mit Freunden würden sie nach einem solchen Tag Essen gehen, zu Feier des Tages.

Damit stand der Entschluss auch schon fest.

Sie zogen sich auf ihre Zimmer zurück und machten sich für einen solchen Abend zurecht. Es kam nicht selten vor, dass man nach einem solchen Termin zum Essen eingeladen wurde. Entsprechend waren sie vorbereitet.

April steckte ihre Haare auf und schlüpfte in das kleine Schwarze aus Chiffon, dass einfach immer passte und zu ihrer Grundausstattung gehörte.

Saber hatte für solche Fälle immer eine dunkle Hose und ein helles Hemd parat, das er je nach dem, mit wem er verabredet war, noch weiter oder enger zu knöpfte. Heute ließ er eine Knopf mehr offen. Er prüfte, einmal mehr als sonst, den korrekten Sitz seiner Kleidung und seiner Frisur. Schmunzelnd kam ihm in den Sinn, dass April ihm erzählt hatte, wie Beth von seinem Haar geschwärmt hatte. Er zupfte noch einmal an den Fransen über seiner Stirn. Eitel war er eigentlich nicht, auch wenn er auf ein gepflegtes Erscheinungsbild achtete.

Er verließ das Badezimmer, dann sein Hotelzimmer und holte April ab.

Gemeinsam mit ihr suchte er nach dem Zimmer der Geschwister und klopfte an deren Tür.
 

Verdutzt schaute Jean-Claude auf die beiden. Weder hatte er damit gerechnet Besuch zu bekommen, noch von ihnen, noch in diesem Aufzug.

April sah völlig verändert aus, wirkte elegant und … weiblicher. Sein Blick verfing sich an einem Strähnchen in ihrem Nacken. Sie hatte einen schlanken, glatten Hals und der Schwung ihrer Halsbeuge war symmetrisch und vollendet.

„Habt ihr euch verlaufen?“, fragte er nach einem Moment des Zögerns, der nicht hätte länger dauern dürfen.

„Nein, wir sind goldrichtig“, lächelte die Navigatorin.

„Wir wollen euch zum Essen einladen“, erklärte Saber schlicht, „ immerhin gibt es Grund zu feiern. Macht ihr euch fertig, dann können wir gehen.“

Jean-Claude runzelte die Stirn.

„Wer sagt das wir mit kommen wollen?“

Irgendwo aus dem Zimmer her, trat Beth an die Tür und lächelte ihnen zu. April sah sehr hübsch aus in ihrem Kleid. Wie sie ihr Haar trug, sah interessant aus. Aber Beth betrachtete sie nur flüchtig. Ihr Blickt glitt weiter zu Saber. Ihr Herz klopfte mit einem Mal schneller. In seiner Nähe tat es das sowieso, doch jetzt steigerte sich dieses Tempo noch ein wenig mehr. Die Farbe seines Hemdes ließ seinen ohnehin blauen Augen leuchten und bildete einen strahlenden Kontrast mit seinem blonden Haar. Es schimmerte wie Gold. Er wirkte … anziehend. Der Kragen ließ die kleine Kuhle zwischen seinen Schlüsselbeinen erkennen. Die Ärmel hatte er lässig aufgekrempelt, ihr Blick verfing sich an den Muskelsträngen seiner Unterarme und deren sachten Kontur.

„Ich möchte gern mit, Jean“, sagte sie sacht und löste ihren Blick von seinen Armen.

„Bio, wir…“

„Bitte.“ Sie warf ihm einen Blick aus ihren großen Augen zu. Er hatte etwas unschuldiges, bittendes. Jean-Claude hielt ihm nicht stand, er wandte sich ab, knurrte „in fünf Minuten“ und schlug die Tür zu.

Kapitel 14

„Das mit dem ‚charmant‘ sollte er noch üben“, bemerkte April.

Saber nickte. „Andererseits, wer lässt schon jeden zu sehen, wenn er sich umzieht“, gab er zurück.

Es dauerte etwas mehr als die angekündigten fünf Minuten, bis die Tür wieder aufging. Jean hatte nur das Hemd gewechselt. Beth war in ein auberginefarbenes schlichtes Kleid geschlüpft und hatte ihre Wellen zu einem lockeren Zopf zusammen gebunden.

Saber lächelte erfreut und bot ihr gleich seinen Arm an. Die kurzen Ärmel, der körpernahe Schnitt und der Saum, der eine Handbreit über dem Knie endete, passten wunderbar zu ihr. Make-up hatte sie nicht aufgelegt, aber das war auch nicht nötig, wie er fand.

„Also, wohin?“, fragte Jean-Claude zielstrebig, als wollte er diese spontane Einladung so schnell wie möglich abhaken.

„Ja. Wohin? Griechisch? Spanisch?“, wollte auch Beth wissen, als sie den angebotenen Arm annahm.

„Gibt es was, das ihr bevorzugt?“, erkundigte sich der Schotte.

„Nein, wir kennen nichts davon“, gab sie zurück.

„Wir gehen üblicherweise nicht zum Abendessen“, erläuterte ihr Bruder. Er hatte die beiden beobachtet und hielt nun, dem Beispiel des Schotten folgend, April seinen Arm hin. Es gehörte offensichtlich zu den Gepflogenheiten hier.

„Dann suchen wir ein gutes Restaurant aus, wenn es euch recht ist“, meinte Saber, seine Aufmerksam auf die schöne Frau auf seinen Arm gerichtet.

April wollte sich eben dem Paar anschließen, als sie die Geste des Outriders bemerkte. Überrascht von seiner Aufmerksamkeit bedankte sie sich und hakte ein.

„Was hältst du vom Italiener in der Keating Street? Dort ist es nicht übertrieben fein und es ist auch keine Schnellimbissbude. Das Essen dort ist gut“, schlug sie vor.

Ein kurzes Nicken von Saber stimmte ihr zu. Beth hatte keine Einwände, sie könnten sie überall hinbringen, sie würde alles probieren, was ihr aufgetischt wurde.

„Was beinhaltet... ein Italiner?“, erkundigte sich Jean-Claude und warf noch einmal einen Blick auf die Frau an seinem Arm. Sie verstand es, ihren Körper in Szene zu setzten, besser noch als Annabell. Seinen jüngeren Schwester fehlte die Zielorientiertheit hinter ihrer Kleiderauswahl, sie trugen, was ihnen bequem erschien. April hingegen hatte ganz bestimmt sehr bewusst dieses Kleid ausgesucht. Von vielen praktischen Aspekten her, wie Transportmöglichkeit und Pflege, spielten hier eindeutig auch der Effekt mit hinein, wie es ihren Körper zur Geltung brachte. Der Ausschnitt deutete gekonnt ihre Oberweite an, ohne sie freizügig zu präsentieren oder zu – wie nannten es Menschen – verschlossen zu sein. Er erregte Aufmerksamkeit. Wenn ihm das schon auffiel, ging es den Männern hier sicher nicht anders.

Oder auch nicht.

Er schaute nach vorn, zu seiner Schwester und dem Recken. Beide schienen vergessen zu haben, dass sie in Begleitung waren. Ihre Aufmerksamkeit richtete sich auf den jeweils anderen. Er schnappte Fetzen ihres Gesprächs auf, Saber erzählte ihr etwas über seine Heimat und sie hörte aufmerksam zu. Ihre Miene, so bemerkte Jean-Claude, war sanfter und strahlender als er es je gesehen hatte. Ihr Blick war nicht nur interessiert, sondern fasziniert, hing nicht nur an den Lippen des Schotten, sondern auch an dem Mann, der er war. Nicht anders sah der auf sie. Die sonst ruhigen, sachlichen Züge waren freundlicher und wärmer, sein aufmerksamer Blick ruhte auf ihr, nahm jedes Detail ihrer Erscheinung war.

Beinahe entging dem grünhaarigen bei seiner Beobachtung die Antwort der Navigatorin.

„Nun, was typisch italienisch ist. Pizza, Pasta, guter Wein, herrliche Nachspeisen“, erwiderte sie gerade, schien sich auf das Essen zu freuen.

„Pizza? Das sind diese flachen Dinger, mit Tomatensoße, Dauerwurst und Käse.“

„Ja und auch wieder nein. Die Pizza dort hat mit diesem Tiefkühlfraß nichts zu tun. Handgemacht und frisch aus dem Ofen, mit allem möglichen Belag.“

Er nickte verstehend.

„He, Bio. Wir können Pizza auch anders machen“, rief er seiner Schwester zu.

Es dauerte einige Augenblicke, bis sie sich zu ihm umdrehte. „Was?“

„April sagt, man kann auf Pizza noch etwas anders drauf legen, als das, was du immer drauf machst.“

„Oh.“ Der kleine Laut verriet, dass sie seinen Worten nur langsam folgen konnte, dann aber verstand wovon er sprach. Der Themenwechsel war recht abrupt gewesen.

Mit großen Augen sah April zwischen den Geschwistern hin und her. Es überraschte sie, wie er neue Informationen zur Kenntnis nahm und gleich mit seiner Schwester teilte. Lerneifer schien in der Familie zu liegen.

„Ich würde ja sofort mit Kochtipps aufwarten, nur leider sind unsere Kochfähigkeiten eher beschränkt“, stieg Saber auf das neue Gesprächsthema ein. „Darum kennen wir die guten Restaurants hier in Yuma.“

„Jean mach uns immer Frühstück. Das ist wirklich gut. Er macht sehr köstliche Varianten mit … Hühnerembryo.“ Der Outrider richtete sich den Kragen. Es war ihm unbehaglich, dass seine Schwester solche, eher familiären, Informationen preisgab.

Verschmitzt grinste April ihn an. „Oh, deine Schwester hat dich gerade dazu verdonnert, uns mit deinem gebratenen Hühnerembryo zu verwöhnen. Ich will wissen, ob sie wirklich so gut sind, wie sie behauptet.“

Erstaunt sah auch der Schotte aus, als er Beth anblickte. Sie lernte dazu, wenn es darum ging, Witze zumachen. Er lächelte beeindruckt und fragte sie: „Was zauberst du, außer Pizza?“

Jean-Claude sah mit gerunzelter auf die Navigatorin. „Hat sie nicht. Nicht sie hat nur von ihren Erfahrungen berichtet“, erwiderte er irritiert ehe er dem Schotten antwortete. „Bio macht ziemlich viel aus eurer Küche. Nudeln mit Tomatensoße, Fish'n Chips, gerührtes Hühnerembryo mit Kartoffeln und Spinat“, zählte er auf. „Sie probiert so ziemlich jedes Rezept aus, das sie in die Finger bekommt. Ob es nach eurem Ermessen auch gut ist, weiß ich nicht.“

Im Schein der versinkenden Sonne über der Stadt, konnte die Röte auf Beth‘ Gesicht von diesen Strahlen herrühren oder das Kompliment ihres Bruders machte sie verlegen. Es war nicht zu erkennen.

„Das möchte ich sehr gern testen, Beth“ meinte Saber leichthin und setzte den Weg mit ihr fort. Sie waren unbewusst alle stehen geblieben, es war Zeit weiter zu gehen. Immerhin lag das Restaurant gleich um die Ecke, die sie mittlerweile erreicht hatten.

„Ich werde mich freuen, wenn du bei uns isst“, antwortete sie und lächelte ihn einmal mehr an.

„Ich nehme dich beim Wort, Beth.“

April folgte nicht gleich, Jean-Claude zog unwillkürlich an ihrem Arm, als er den beiden anderen nachgehen wollte. Sie überlegte, wie sie ihm ihre Worte erklären sollte, er schien nicht verstanden zu haben, was sie gemeint hatte.

Er warf ihr im Gehen einen prüfenden Blick zu und hob die Schultern. Als er sah, wie Saber und Beth das Restaurant betraten, der Schotte ihr dabei die Tür aufhielt, tat er es ihm gleich.

Sie liefen hinter dem Paar her, bis sie einen freien Tisch fanden. Der Recke schob Beth den Stuhl zurecht, ehe er sich zu ihr setzte und einmal mehr tat es ihm der grünhaarige gleich.

Ihm fiel auf, dass Sabers Hand auf der seiner Schwester lag, als er sich setzte. Eine subtile Geste der Zuneigung.

„Jetzt haben wir so lange übers Essen gesprochen, ich habe richtig Hunger bekommen. Ich freu mich schon“, stellte April fest, stützte die Arme auf den Tisch und verflocht ihre Finger mit einander.

„Was genau ist eigentlich der Grund, aus dem ihr feiern wollt?“, erkundigte sich der Outrider beiläufig.

„Wir feiern den Teilerfolg. Ihr wurdet angehört und es gibt eine erste Einigung“, erläuterte Saber.

„Ihr feiert Teilerfolge? Warum?“

„Es lief alles gut. Wir freuen uns und wollen das mit euch teilen.“

„Ist nicht sehr effektiv, hm. Hier jetzt zu sitzen und zu essen, wenn man noch …“

„... etwas Neues lernen kann“, unterbrach Beth ihren Bruder und sah ihn mit ihren großen Augen an.

Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. „Warum kann ich keine Brüder haben“, entfuhr es ihm murmelnd.

Ein Kellner kam und reichte jedem eine Karte. Sie akzeptierten seine Getränkeempfehlung, dann zog er sich zurück.

„Du bist ein kluger Kopf, Jean, und dir ist noch nie aufgefallen, dass bei uns nicht alles effektiv ist?“, entgegnete April knapp und unterdrückte ein Seufzen. Bis zu seiner Frage hatte sich der Abend für sie angenehm entspannend angefühlt, jetzt schien das für sie dahin. „Versuch die Zeit zu genießen, auch wenn du meinst, du verplemperst sie.“ Damit schlug sie die Karte auf.

Jean-Claude rollte die Augen.

„Ich hab euch lange genug beobachtet. Von Menschen auf Pecos hab ich viel gelernt. Das heißt nicht, dass ich es gut heiße“, gab er zurück. Hatte sie schon wieder was zu nörgeln? Der Eindruck, dass Menschen ihr Gegenüber gern belehrten, schien ihm nicht unbegründet. Jesse war da ein Paradebeispiel und es schienen wirklich alle Menschen gern zu tun.

Beth beobachtete genau das Gespräch zwischen ihrem Bruder und der Blondine, während der Schotte sie beobachtete, fasziniert von ihre Aufmerksamkeit und ihrer Neugierde. Die Art, wie sie die Stirn sacht runzelte, ihre Augen hin und her blickten und ihre Brauen zuckten war unheimlich anziehend.

„Du musst auch nicht alles gut heißen. Tun wir schließlich auch nicht.“ Jetzt schnappte April sogar leicht, frustriert. Bis eben war ihr Jean-Claude ein angenehmer Begleiter gewesen, doch er schien permanent alles in Frage zu stellen und zu kritisieren, was sie taten. Das war schlichtweg unangenehm, war doch nichts schlimmes an dem was sie taten oder etwas, dass man unbedingt kritisieren musste. Sie musste das Thema wechseln, sonst würde ihre Laune sich verschlechtern und den Abend ruinieren. „Sieh mal, ob du dich für die Nahrungsaufnahme begeistern kannst“, meinte sie und nickte in Richtung der Karte, die er in der Hand hielt.

„Was mein Bruder meint, ist einfach dass:“, begann Beth ruhig und einem neutralen Ton, als spräche sie von einer Meta-Ebene. „man kann oft beobachten, dass Integration für Menschen bedeutet, dass die Neuen sich an die anpassen müssen, die schon länger an einem Ort leben. Sie müssen sie kopieren und nachahmen bis hin zur Aufgabe dessen was sie sind, während die andere Seite meint, nur ihre Art zu leben ist die einzig Wahre. Das entspricht aber nicht der Definition von Integration. Die kann nur gelingen, wenn beide Seiten auf einander zugehen, auf Augenhöhe, niemand dem anderen etwas aufdrückt, was er nicht ist und“ Sie schaute April nun direkt mit ihren offenen Augen an. „sich nicht entmutigen lässt, wenn es mal holprig wird.“

„Du hast recht, Beth“, stimmte diese ihr zu. „Integration ist ein laufender Prozess, ein gegenseitiges Geben und Nehmen, das beste aus beiden Welten zu vereinen. Es ist nicht so einfach.“

Beth presste nachdenklich die Lippen auf einander. „Vielleicht wäre es leichter - und auch effektiver - würdest du nicht die Erkenntnisse meines Bruders in Zweifel ziehen, sondern einfach nur zur Kenntnis nehmen. Die Frage, warum er sich Brüder wünschte, wäre doch auch nicht uninteressant gewesen. Natürlich wäre es noch einfacher, wenn mein Bruder seine Vorurteile auch mal zurück nimmt.“ Bei ihrem letzten Satz warf sie diesem einen strengen Blick zu, worauf hin sich dieser in die Speisekarte vertiefte.

„Du hast Recht, es wäre schon interessant zu wissen, weshalb Jean lieber Brüder gehabt hätte. Ob die wohl auch so direkt wären, wie du.“ April verbarg sich ebenfalls hinter ihrer Karte. Ob der jungen Outriderin bewusst war, wie gut sie diesen Treffer versenkt hatte?

Sie wandte sich an Saber, unschlüssig, ob sie noch etwas sagen sollte. Der schüttelte allerdings kaum merklich den Kopf und schmunzelte amüsiert.

„Es ist wie bei euch. Hab einen Streber in der Familie, dann kriegt er Prügel, weil er nicht lieber Baseball spielt. Bei uns ist es umgekehrt. Wenn du kein Streber bist, bekommst du Ärger. Aber auch bei uns hauen große Brüder kleine Schwestern aus Ärger raus ... nur kleine Brüder gucken einen nicht so an, wie es kleine Schwestern tun“, brummte Jean-Claude schließlich hinter seiner Karte hervor und nahm den Wein, der eben serviert wurde. Er genehmigte sich gleich einen großen Schluck und gab seine Bestellung auf, als er der Kellner nach fragte.

Mit den Bestellungen der anderen drei verschwand er wieder und April setzte das Gespräch an der Stelle fort, an der es unterbrochen worden war.

„Etwa mit diesem Blick?“, fragte sie und schlug ihre Augen auf die Weise auf, die Fireball am ehesten schwach machen konnte. Sie bezweifelte zwar, dass er die gleiche oder auch nur eine Wirkung bei dem Outrider hatte, aber diese Vorführung diente schließlich nur der Demonstration.

„So unterschiedlich sind wir wirklich nicht“, meinte sie schließlich und nahm ebenfalls einen Schluck von ihrem Wein.

Irritiert bemerkte Jean-Claude, wie seine Herzfrequenz anstieg und sein Puls sich beschleunigte. Er konnte ihn im Hals spüren. Mit einem weitern Schluck Wein wirkte er dagegen.

„Nicht ganz. Bio ist da ... anders ...überzeugend“, erwiderte er dann wahrheitsgemäß. Diese körperliche Reaktion hatte der Blick seiner Schwester nie bei ihm bewirkt. „Sie kann das noch besser als Snow.“

Seine Schwester beugte sich leicht zu Saber.

„Du wirkst amüsiert. Warum?“, flüstert sie.

„Dein Bruder wird weich“, raunte er zurück. Das amüsierte ihn wirklich. April hatte es geschafft ihn aus dem Konzept zu bringen, was angesichts seiner distanzierten, überheblichen Fassade erstaunlich war.

„Tja, das ist mir nicht neu.“

„Für mich schon. Das möchte ich bis zum Schluss mitverfolgen.“ Saber grinste Beth zu.

Diese lehnte sich zurück, als das Essen aufgetragen wurde und nahm danach ihr Besteck zur Hand. Sie legte es gleich wieder ab, als April ihr Glas hob und ihnen allen zuprostete. Sie erwiderte die Geste.

„Beth ist mit rationalen Argumenten unschlagbar. Nicht uns allen ist das gegeben, deswegen kämpfen manche Frauen mit anderen Waffen“, meinte sie und zwinkerte anerkennend in Richtung der Geschwister.

„Weder Bio noch Snow müssen immer rational argumentieren“, gab ihr Bruder zu und prostete zurück. Dann wandte er sich seiner Pizza zu. „Das kann ich mir irgendwie vorstellen. Ich will auch nicht immer sachlich argumentieren, das funktioniert bei meinen Jungs auch nicht immer.“ Sie pickte eine Ananas von ihrer Pizza und aß sie ehe sie sich ein Stück davon abschnitt.

„Es scheint als wüssten alle Frauen durchaus, wie sie durch kommen. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass dein Vorgesetzter sich von diesem Blick beeindrucken lässt.“

„Ich spiel auch mal gerne die 'ich bin ein Mädchen'-Karte aus. Das funktioniert auch ganz gut“, versetzte April neckisch. Den Scherz verstand Jean-Claude allerdings nicht. Er warf Saber einen scharf-prüfenden Blick zu.

„Moment. Damit da keine Missverständnisse aufkommen. Ich lasse April nichts durch gehen weil sie ein Mädchen ist oder weil sie den Welpenblick versucht“, verteidigte der sich etwas perplex.

Auch die Blondine schüttelte den Kopf. „Beruflich spiel ich weder den Blick noch die andere Karte aus. Ich bin ein Star Sheriff“, lächelte sie auch wenn sie die Reaktion des grünhaarigen verwirrte.

Er schien von diesen Beteuerungen nur halb überzeugt, legte die Gabel aus der Hand und griff nach dem Stuhl seiner Schwester. Die wirkte erstaunt, als er sie darauf näher zu sich zog.

„Ich bin der Ansicht, sowohl Mann als auch Frau sollten wissen, wann welches Verhalten angebracht ist“, meinte er dabei nüchtern.

„Keine Sorge. In der Regel wissen sowohl Mann als auch Frau, wann welches Verhalten angebracht ist“, erwiderte Saber und hoffte, Beth würde bald wieder näher zu ihm rutschen können. Die Distanz zwischen ihnen gefiel ihm so nicht.

„Ich wüsste zu gerne, wie du zu dieser Ansicht kommst, Jean. Was hat dich jetzt zu dieser Annahme gebracht?“, wollte April interessiert wissen.

„Deine Aussagen sind irritierend. Besonders, wenn man bedenkt, dass der Hormonhaushalt von Menschen unausgeglichener ist als der von uns, was euch, mehr als uns, zu Überreaktionen verleitet.

„Das hat mir Beth bereits erklärt“, nickte die Navigatorin und beugte sich neugierig leicht näher zu ihm. „Ja, wir neigen deshalb manchmal zu Überreaktionen, aber wir sind deswegen nicht an jedem und allem interessiert. Ich kann gerade nur für mich sprechen, aber ich bin da eher konservativ. In einer Beziehung sollte man treu sein und nur einen Partner haben.“

„Es gibt durchaus Menschen, die ihre Ausstrahlung anderen gegenüber, auszunutzen wissen, Jean. Aber von uns gehört niemand zu dieser Sorte Mensch. Ich persönlich halte eine monogame Symbiose, die ein Leben lang hält für ein erstrebenswertes Ziel“, fügte der Recke hinzu.

Jean-Claude hob die Brauen. „Eine monogame Symbiose, hm?“ Er ließ den Stuhl seiner Schwester los, die sofort auf ihren vorherigen Platz zurück rutschte. „Das ist wie wir leben. Polygamie bringt zu viele unvorhersehbare Einflüsse und stört daher den Ablauf und die Effizienz des Lebens. Was ist daran“ Er sah die Blondine an. „konservativ?“

Wieder in der Nähe, die so angenehm war, legte Saber seine Hand sofort wieder auf die seiner Freundin.

„Menschen sind da sehr unterschiedlich, Jean. Es gibt welche, die gar keine...“ Sie zögerte einen Moment, entschied sich dann für ihren Begriff für eine dauerhafte Beziehung. „Symbiose eingehen und sich mit abwechselnden Partnern durch das Leben schlagen. Andere finden es langweilig und wenn alle Beteiligten einverstanden sind, kann es auch schon vorkommen, dass Polygamie alltäglich ist. Aber im Grunde sind auch wir Menschen darauf aus, eine monogame und lebenslange Beziehung einzugehen. Die Ausschüttung einzelner Hormone soll das gewährleisten. Es haben sich aber viele Formen von Beziehungen in unserer Zivilisation entwickelt, eine monogame Beziehung wird daher von einigen als konservativ empfunden.“

Die Geschwister hoben die Köpfe zu einem Nicken, beinahe simultan.

„Wohlstandssituation also“, meinte Jean-Claude zu verstehen.

„Ich denke auch.“ Seine Schwester nickte, sprach eher zu ihm als zu den anderen beiden. „Legen wir die Bedürfnispyramide dieses Menschen Maslow zugrunde, bewegen wir uns aufgrund der Ressourcenknappheit im Bereich der Grundbedürfnisse - Essen, Schlafen, Fortpflanzung - und Sicherheit - Wohnen und Arbeiten.“

„Ja, das dachte ich auch gerade. Wer genug Ressourcen hat, kann sich um andere Dinge kümmern, die in dieser Pyramide weiter oben rangieren. Für uns geht es primär ums Überleben. Individuelle Bedürfnisse sind sekundär.

„Wir befinden uns durch die Abdeckung der Grundbedürfnisse weitestgehend schon in den oberen Bedürfnissen der Pyramide. Selbstverwirklichung und persönliche Freiheit sind für einige bereits wichtiger als das Wohl der Gemeinschaft“ stimmte Saber zu.

Auch April nickte. „Wir müssen uns trotz der Angriffe durch Outrier nicht überall Sorgen um das Überleben machen, gerade hier in Yuma leben die Menschen fernab der Kriegsschauplätze und können sich daher auf die Befriedigung anderer Bedürfnisse konzentrieren. Sozialer Status, und wie Saber schon sagte, Selbstverwirklichung.“

Einen Moment lang lag gegenseitiges Verständnis über ihnen und ein freundliches Schweigen.

„Nun“, räusperte sich Jean-Claude schließlich, „dass ist, was unter anderem eure Führung noch verstehen muss. Oder den Fakt mit den ausgeglichenen Hormonsystemen.“

Seine Schwester verflocht ihre Finger mit denen des Schotten. „Ich denke, wenn sie dir zuhören, werden sie ihre Vorteile daraus ziehen können“, meinte sie dabei.

„Ihr kämpft gerade darum, eure Grundbedürfnisse sichern zu können - Überleben, genügend Ressourcen dafür zur Verfügung zu stellen“, zeige die Navigatorin bereits, dass schon mal sie verstand.

„Das sollten die Regierungsmitglieder des Neuen Grenzlandes verstehen. Es gibt auch bei uns noch Regionen, die an der Deckung der Grundbedürfnisse arbeiten“, fügte Saber hinzu.

„Sehen wir, wohin es führt“. Der Outrider wollte darüber keine Prognosen aufstellen. Er schaute seine Schwester an und wechselte das Thema. „Bist du sicher, dass du Biologie studieren willst?“

Sie hob die Schultern. „Effizienter wäre es.“

„Was stünde noch zur Auswahl?“ erkundigte sich Saber interessiert.

„Mir scheint, abseits von Zoologie oder Anatomie hat sie durchaus auch ein Verständnis für Psychologie. Das könnte langfristig ebenso nützlich sein“, antwortete Jean-Claude leichthin.

Beth wirkte nachdenklich. In ihrer Heimat war die Ausbildung festgelegt, im Interesse der Führung und zum Wohle des Volkes. Jetzt hatte sie auf einmal eine Wahl. Das machte es ihr schwer, eine Entscheidung zu treffen.

„Beth hat das Zeug für beides. Es gibt Möglichkeiten, in jedes Studium reinzuschnuppern, einige Vorlesungen zu besuchen, bevor man sich entscheidet“, überlegte der Recke laut. „Vorab würde es auch Sinn machen, die Studienpläne genauer anzusehen und vielleicht danach zu entscheiden, was interessanter wäre.“

„Du könntest auch beides studieren. Es gibt einige, die das machen. Es ist aber ein enormer zeitlicher Aufwand und man muss ganz schön was auf dem Kasten haben. Man kann auch zuerst das eine und dann das andere studieren. Viele Wissenschaftler im KOK haben nach ihrem Hauptstudium angefangen, zu arbeiten und sich dann entschlossen, ein weiteres Studium neben der Arbeit zu absolvieren, weil es für ihre Forschungen vorteilhaft ist“, teilte April ihr Wissen mit.

„Bio ist sehr klug.“ So wie Jean-Claude diesen Satz betonte, wollte er wohl jedem Zweifel entgegenwirken. Unverkennbar schwang Stolz in seiner Stimme mit. Er legte seiner Schwester die Hand auf den Oberarm. „Das beraten wir noch“, meinte er nur.

Sie nickte. „Es ist aufregend, mehr als eine Option zu haben.“ Da war es wieder, das Funkeln in ihren Augen, dass Saber liebte und ihrem Bruder so neu war, aber auch so gut gefiel.

„Macht das. Es eilt nichts.“ Der Schotte lächelte vor sich hin.

„Klug und hübsch, das ist eine seltene Kombination“, schmunzelte April. „Das liegt nicht nur an den Genen, den Eltern oder der Umwelt sondern auch an der Unterstützung durch dich, dass sich deine Schwestern zu solch tollen Frauen entwickeln.“

Ungläubig blinzelte er sie an und brachte kein Wort hervor. Es war neu, Anerkennung dafür ausgesprochen zu bekommen, dann noch ausgerechnet von jemand, der mal der Feind gewesen war. Er wusste nicht, wie er das bewerten und annehmen sollte.

„Das zählte bisher nicht zwingend als positiv. Es galt eher als übermäßig. Für uns Schwestern war es allerdings mehr als angenehm“, grinste Beth angesichts der entgleisten Gesichtszüge ihres Bruders.

„Bei uns wir Zusammenhalt und Unterstützung in der Familie hoch angerechnet. Die Familie gilt bei uns als höchstes Gut“, meinte Saber.

„Damit hat sich Jean eindeutig den größten Pluspunkt bei uns gesichert. Es zeigt, wie sehr er das Wohl anderer über sein eigenes stellen kann“, ergänzte April.

Der schob den letzten Bissen seiner Pizza in den Mund und den Teller von sich. Die Worte machten es ihm nicht leichter, die Situation zu bewerten.

„Wir sollten diese Feier beenden. Es gibt noch genug zu tun, das unsere höchste Aufmerksamkeit erfordert“, rettete er sich selbst auf für ihn sicheres Terrain zurück und bemerkte nicht, wie seine Schwester ein tonlose „ich hab es dir gesagt“ an die Navigatorin richtete. Diese nickte leicht. Ja, Beth hatte nicht gelogen. Soviel hatte sie heute feststellen können.
 

Die Nacht war hereingebrochen, als sie das Restaurant verließen.

Wieder hatten die Männer den Frauen mit den Stühlen geholfen, ihnen die Tür aufgehalten und ihnen den Arm angeboten.

Auf dem Rückweg waren sie eher still.

Beth lehnte ihren Kopf an Sabers Arm, ein weiterer Moment, in dem körperliche Nähe von ihr ausging. Saber genoss es auf jeden Schritt zum Hotel zurück. Kein Schatten trübte diesen Moment.

Sie lösten ihre Nähe erst, als sie das Zimmer der Geschwister erreichten und Jean-Claude dessen Tür öffnete.

Beth zögerte, folgte ihrem Bruder nicht gleich. Seine Geste verdeutlichte, dass er es für angemessen hielt, sich für heute zu verabschieden, aber sie hatte es damit nicht ganz so eilig.

„Schlaft gut“, verabschiedete sich April von den Geschwistern und ihrem Boss.

Der Schotte nickte leicht und gab seiner Freundin einen kurzen, zarten Kuss. „Gute Nacht, Beth“, verabschiedete er sich, einerseits die Aufforderung des Outriders respektierend, andererseits seine Gefühle für dessen Schwester nicht verbergend.

„Noch zwei Minuten“, hörten sie ihn sagen. „Gute Nacht, April.“ Damit verschloss er die Tür von innen.

Als diese sah, wie Beth ihre Arme nach dem Schotten ausstreckte, beeilte sie sich auf ihr Zimmer zurück zu kommen. Obwohl sie bei den Blicken der beiden wohl davon ausgehen konnte, dass sie die beiden ohnehin nicht mehr bemerkten.

Sie fanden in die Arme des anderen, kaum das Jean-Claude die Tür geschlossen hatte.

Saber presste sie innig an sich und schloss die Augen.

„Tut mir leid. Ich kann es nicht unterdrücken“, hörte er sie an seine Schulter murmeln.

„Dafür musst du dich nicht entschuldigen. Es ist schön“, raunte er zurück und strich ihr sanft über den Rücken.

„Hmhm“, machte sie. Angenehme Wärme durchflutete sie. Sie löste sich weitgenug von ihm, um seine Lippen suchen zu können. Er kam ihr entgegen, strich sacht über ihre und brauchte nur einen Augenblick um sie seine Zuneigung spüren zu lassen, hingebungsvoll und sehnsüchtig wie die anderen Male zuvor. Dass sie ihm auf die gleiche Weise antwortete, steigerte sein Verlangen nach ihr nur weiter. Er umfasste sie fester. Die Gefahr sich hinreißen zu lassen, wurde gebannt, als aus dem Zimmer heraus gegen die Tür geklopft wurde.

Jean-Claude erinnerte diskret, aber entschieden an den Ablauf der Frist.

Vielleicht war es besser so. Bestimmt war es besser so. So ausgebremst zu werden, wie am Vorabend war deutlich härter.

Sie wünschten einander eine gute Nacht und gingen auf ihre Zimmer.
 

Abende wie der heutige waren selten.

Das war eine Untertreibung.

Wann sah man Saber schon so offensichtlich turtelnd? April verstand einmal mehr, was mit „berauschend“ gemeint hatte. So weltvergessend hatte sie ihn noch nie gesehen. Keine seiner vorherigen Beziehungen, oder das, was zu einer hätte werden sollen, hatte ihn je dazu bewogen so seine Gefühle zu zeigen. Eine höfliche Zurückhaltung war immer noch zu erkennen, immerhin hielt er nur ihre Hand und verschlang sie nicht beinahe auf offener Straße, wie andere Pärchen das durchaus taten, aber er wäre auch nie zu einem Abschiedskuss vor den Anwesenden der abendlichen Runde gekommen. Über die Kussszene, die sie vor Ramrod zu sehen bekommen hatte, begann April gar nicht erst zu sinnieren.

Interessanter als Sabers Liebesleben, und sie freute sich ehrlichen Herzens für ihn, war Jean-Claude, gab sie sich selbst gegenüber zu. Seine kühle, überhebliche Fassade hatte heute nicht nur Risse bekommen, sondern war sogar an einigen Stellen gebröckelt. Was dahinter zum Vorschein kam, hatte überhaupt nichts mit diese Fassade zu tun. Es schien sich mehr um das Gegenteil zu handeln. Hätte man sie nach ihrer ersten Begegnung mit ihm – kurz erschauerte sie kalt, als sie daran dachte – gefragt, was für ein Typ der Outrider sei, hätte sie ihn als kalt, arrogant und von sich selbst überzeugt beschrieben. Heute allerdings war er höflich gewesen, ein Gentleman ähnlich wie Saber. Er war immer noch etwas kühl und distanziert und ohne Beth hätte er wohl nicht gezeigt, wie fürsorglich er war und wie sehr ihm das Wohl seiner Schwestern am Herzen lag, aber er war durchaus auch klug und ein cleverer Verhandlungspartner, wie sie im Gespräch mit ihrem Vater und den Senatoren festgestellt hatte. Sie hatte auch fest gestellt, dass er auf sie reagierte. Oder zumindest auf das weibliche Geschlecht. Seine Musterung, als sie die beiden abgeholt hatten, war ihr nicht entgangen, genauso wenig wie die Irritation, als sie ihm im Restaurant ihren wirkungsvollsten, verführerischsten Blick zugeworfen hatte. Das war im mindesten mal schmeichelhaft. Vorurteile und Vorerfahrungen beeinflussten ihn teilweise noch sehr, was schade war, aber er war auch der Ältere der Geschwister so dass sie sich in ihm stärker gefestigt hatten. Seine Fragen hatten sie zum Teil doch aus der Fassung gebracht, doch wenn sie es recht bedachte, musste sie zugeben, dass es womöglich auch an ihren eigenen Vorurteilen lag. Würde sie nicht davon ausgehen, hätte sie es nicht erlebt, dass Outrider in eher Befehlsempfänger waren, skrupellose, überhebliche Lemminge, wäre sie von sich aus auf den Gedanken gekommen, dass sich hinter seinen Fragen ernsthaft Neugier verbarg und nicht eine indirekte Ablehnung und Kritik, die ihr vor Augen führen sollte, wie wenig Wert ein Mensch nach Ansicht der Outrider war. Vielleicht glaubte sie auch nur, dass sie diese Ansicht vertraten. Die Wrangler mit denen sie zu tun hatten, sprachen nicht zwingend für den Rest der Bevölkerung.

April seufzte und drehte sich auf die Seite. So viel stand für sie fest: Jean-Claude war ein interessanter, höflicher und kluger Mann mit dem man wirklich gute Gespräche führen konnte. Vorausgesetzt es gelang ihnen beiden in Zukunft ihre Vorurteile in den Griff zu bekommen. Fürs erste freute sie sich auf das Frühstück und die Fortsetzung dieser tiefen Dialoge.

Mit einem leichten Lächeln schlief sie ein.

Kapitel 15

Es war nicht schwer die Geschwister am nächsten Morgen im Frühstücksraum zu entdecken. Zum einen war der Raum weit und hell, durch die hohen Fenster flutete Sonnenlicht. Zum anderen waren noch nicht allzu viele Gäste da und wenn tummelten sie sich nicht am reichen, frischen Buffet sondern saßen an einem Tisch und aßen in gemütlich. Zum weiteren trugen beide die gleiche Kleidung wie beim Treffen mit Eagle.

Saber kam nicht umhin zu bedauern, dass Beth ihr hübsches Gesicht und ihr weiches, welliges Haar verbarg, auch wenn es sicherlich nicht unklug war bis die Dinge geklärt waren.

Er und April beobachteten, wie die Geschwister die Auswahl am Buffet eher unbeachtet ließen, obwohl sie groß und reichlich war. Rührei mit Speck, Würstchen, Brownies, Wurst, Käse, Müsli, Brote und Brötchen so viel man wollte, doch das einzige was die beiden interessierte, war das Obst. Melone, Erdbeeren, Äpfel, Birnen, Bananen, Trauben, Ananas und Orangen gab es reichlich. Davon bedienten sie sich und stellten jeweils zwei gefüllte Schalen, die eigentlich dem Müsli zugedacht waren, auf ihre Tablett. Orangensaft und Wasser komplettierten ihr Frühstück. Anschließend suchten sie sich einen Tisch in einer abseits gelegenen kleinen Nische.

Saber und April nickten sich zu und stellten sich ihr eigenes Frühstück zusammen. Müsli, Joghurt und einige Früchte, Rührei und Speck gesellten sich zu Kaffee und Saft. Dann steuerten die beiden den Tisch der Geschwister an und setzten sich freundlich grüßend ihnen gegenüber.

Während die beiden entspannt ihren Tag begannen, hatten es die Geschwister offensichtlich eilig, oder vielmehr, waren darauf bedacht den Tag effektiv zu nutzen. Denn gleich nach dem sie den Gruß erwidert hatten, fragte Jean-Claude. „Was gibt’s für heute?“

Saber sah von seinem Kaffee auf.

„Wir werden wie besprochen nach dem Frühstück nach Bay Back zurückfahren und alles vorbereiten“, antwortete er.

April schaute zu Beth, die gierig ihr Obst vertilgte. Von Trauben, Birnen und Apfel war nicht mehr viel übrig. Eine kleine Pfütze Saft deutete darauf hin, dass dort zuvor Ananasstücke gelegen hatten und auch eine Schale verriet, dass die dazugehörige Banane Geschichte war. Beth machte sich gerade über die zweite Schale her, die ausschließlich mit Erdbeeren gefüllt war.

„Die sehen lecker aus, Beth. Hast du Lust eine Erdbeere gegen ein Stück Melone zu tauschen?“, schlug April munter vor.

„Nein, kein Bedarf“, gab diese knapp zurück und schob die nächste Frucht in den Mund.

Erstaunt hob April die Brauen, widmete sich dann schulterzuckend ihre Frühstück.

„Wir haben uns gestern Nacht noch unterhalten. Wir kamen zu dem Schluss, dass es effektiver wäre, wenn wir uns aufteilen und keine Zeit vertrödeln. Man könnte hier schon nach einer Wohnung suchen, während die anderen sich um den Rest kümmern. Es mag euch unhöflich erscheinen, oder übertrieben hektisch, doch es geht um die Sicherheit von Bio und Snow“ meinte Jean-Claude an Saber gewandt und schob sich eine Traube in den Mund.

„Das klingt effektiv. Was schwebt dir vor? Soll April mit Beth zurückfahren und mit den anderen den Umzug vorbereiten? Ich helfe dir bei der Wohnungssuche und der Einschreibung, wenn nötig“, stieg der darauf ein.

„Nein, Bio ist sich noch sicher welche Kurse sie belegen möchte. Sie sollte hier bleiben und“ Er hielt inne und sah, wie sich seine Schwester eine seiner Erdbeeren nahm. Ihre eigenen Schale hatte sie bereits gelehrt. Er nahm sich eine heraus und schob die Schale zu ihr rüber. „Obst gibt es bei uns nur gefroren oder als Konserve. Hält einfach länger“, erklärte er knapp, ehe er fortfuhr. „Wie dem auch sei: Sie möchte sich hier genau informieren. Wir dachten, wenn du sie hier begleitest und April und ich nach Bay Back gehen, wäre das sinnvoller.“

Die beiden Star Sheriff schauten ihn einen momentlang an, als hätte er sie mit Eiswasser übergossen. Der Schotte hatte durchaus registriert, dass obwohl Jean-Claude ihn zunächst massiv in die Mangel genommen hatte, seitdem keine Einwände mehr erhob. Das war besonders gestern Abend deutlich geworden. Er hatte nicht erwartet, dass er ihm seine Schwester anvertrauen würde.

Schließlich nickte er.

April zögerte etwas länger. Auf die Erklärung zu den Erdbeeren hatte sie etwas sagen wollen, aber Jean-Claudes Vorschlag hatte ihr die Sprache verschlagen. Ein frostiger Schauer, wie immer wenn sie an ihre erste Begegnung dachte, durchfuhr sie. Der Gedanke mit ihm allein zurück zu fahren nahm unter diesem Zittern unangenehme Züge an. Sie schaute zu Saber, wollte ihn fragen, was er davon hielt, da nickte der schon. „Es ist okay für dich?“ Das klang verwunderter als sie beabsichtigte. Sie räusperte sich rasch. „Okay, dann begleite ich dich, Jean.“

„Wie gesagt, es ist sinnvoller. Es sind die Kurse, die Bio besuchen möchte. Was soll ich da bei der Einschreibung? Fehler machen?“ Jean-Claude hob die Schultern und sah sich um.

„Verstehe. Ich werde das mit Beth erledigen“, nickte Saber.

Jean-Claude fuhr fort. „Ich sage es offen und ehrlich, ich wundere mich, warum du nachfragst, April. Es erweckt den Eindruck, als wärst du mit dem Vorschlag nicht einverstanden. Falls“ Sich bei seiner Schwester versichernd, schaute er diese an. Sie nickte. „Falls unser Eindruck stimmt und du nicht einverstanden bist, stellt sich die Frage nach dem Warum?

Die Gefragte schluckte ertappt. „Ich... es tut mir leid, Jean. Ich bin eben über meine eigenen Vorurteile gestolpert, sorry.“ Unbehaglich wich sie seinen Blick aus. „Mir tut es leid. Ich habe mich bei dem Gedanken daran nur etwas unwohl gefühlt. Ich fahre natürlich mit dir zurück, Jean.“

„Aha. Ich ging, nach deinem Einsatz für meine Schwestern und mich, davon aus unser früheres ... Intermezzo wäre kein Problem für dich.“

„Die Erinnerung daran ist nicht angenehm und hat mir gerade einen Streich gespielt. Ich sollte es mittlerweile besser wissen. Es dauert leider etwas, bis schlechte Erfahrungen mit neuen, positiven im Gehirn überschrieben und ersetzt werden. Die menschlichen Synapsen arbeiten da langsam. Entschuldige dafür.“ Jetzt gelang es ihr wieder ihn anzusehen und so ihren Worten die zu der Aufrichtigkeit zu verleihen, die sie haben sollten.

Er nickte nur und sah sich noch einmal um.

„Ich schlage vor, ihr kommt nach dem Frühstück auf unser Zimmer.“

„Ja, das wird besser sein“, stimmte Beth ihm zu und nahm einen Schluck von ihrem Wasser.

„ In Ordnung.“ Saber wusste weder das Umsehen seines Gegenübers noch seinen Vorschlag zu deuten, sah aber keinen Grund diesen abzulehnen.

Auch April nickte und hob ihre Kaffeetasse vor ihr Gesicht. Sie verfluchte sich gedanklich, dass es ihr nicht gelungen war den Schreck zu verbergen. So zimperlich war sie eigentlich nicht, wollte lieber souverän und objektiv sein, ähnlich wie Saber. Das war einfach nützlicher.

Prüfend schaute Beth sie an. Interessiert fragte sie die Navigatorin: „Ist es dir unangenehm, dass das Problem offen angesprochen wurde, oder bist du unzufrieden, weil du meinst, du müsstest damit anders um gehen?“

„Bio.“ Ihr Bruder stieß sie mahnend an.

„Nein, nein, ist okay Jean. Die Frage von Beth ist in Ordnung.“ Sie biss sich auf die Unterlippe ehe sie wahrheitsgemäß antwortete. „Ich bin unzufrieden, da hast du recht. Aber mit keinem von euch, sondern ich bin mit mir unzufrieden, weil ich es besser wissen müsste. Das ärgert mich.“

Die nickte und leerte ihr Wasser. „Darf ich noch etwas fragen? Verbessert dein Ärger die Situation gerade?“

Saber und Jean-Claude schoben ihre Teller zurück, hatten ihr Frühstück beendet. Einmal mehr begeistert von ihrem Wissenshunger beobachtete der Schotte das Gespräch der beiden Frauen.

„Nein, er macht es nicht besser, Beth. Er macht es nur noch schlimmer, aber diese Reaktion ist bei vielen normal. Gerade ärgere ich mich einfach, weil ich es wirklich besser wissen sollte und auch, weil ich euch beiden so das Gefühl gebe, ich würde euch nicht vertrauen. Aber das tue ich“, antwortet die Navigatorin gerade.

„Aber Gefühl ist subjektiv. Du glaubst, dass wir glauben, dass du uns nicht vertraust. Sicher kannst du dir nicht sein, denn du hast uns nicht danach gefragt, ob es so ist. Das bedeutet, du drehst dich im Kreis. Das bedeutet, du kommst nicht vorwärts. Das bedeutet, du solltest aussteigen“, überlegte die junge Outriderin laut.

Ihr Bruder schnippte ihr leicht gegen die Schläfe. „Schreib dich in Psychologiekurse ein. Also. Gehen wir hoch? Wir sind so weit“, meinte er trocken.

April versank beinahe auf dem Stuhl gegenüber Beth. Da hatte Jean-Claude sie aus einer unangenehmen Situation gerettet. Saber half ihm dabei.

„Ja, lasst uns gehen.“

Sie erhoben sich und wandten sich zum gehen. Der grünhaarige bot der Blondine seinen Arm an, den sie dankbar akzeptierte. Es hatte etwas tröstliches, beruhigendes. Die beiden gingen zum Fahrstuhl voraus.

Beth hakte sich bei ihrem Freund ein und flüsterte irritiert. „Hab ich was falsch gemacht?“

„Nein, du hast nichts falsch gemacht.“

„Aber sie sieht ... Ich weiß nicht ... nicht gut aus?“

„Sie ärgert sich einfach. Das bringt ihre Gefühle durcheinander. Das Gelernte und das neu Erlebte passen nicht zusammen, das verwirrt.“ Saber schmunzelte leicht. „Du weißt schon, die Sache mit den Hormonen.“

Beth nickte und ließ seine Worte nachwirken.

Sie fuhren zur Etage hinauf.

April kam nicht einen Moment lang in den Sinn, sich von Jean-Claude zu lösen. Seine Geste half ihr, ihre Gedanken wieder zu ordnen und ihre Gefühle in den Griff zu bekommen. Dass er etwas kühl wirkte und nicht nachbohrte, war ihr gerade mehr als Recht.

Er löste ihre Hand aus seinem Arm, als sie das Zimmer betraten.

Beth schloss die Tür hinter ihnen und schob sich an ihnen vorbei. Die Art wie sie das tat, machte deutlich, dass sie wusste, was nun passieren würde. Sie trat zu ihrem Bett und öffnete die obere Schublade ihres Nachttisches.

Jean-Claude trat einen Schritt von Saber und April zurück, dann noch einen.

Er öffnete den Mund, als wollte er etwas sagen, dann seufzte er unterdrückt. Was immer er vorhatte, es schien ihm nicht leicht zu fallen.

Dann griff er plötzlich hinter sich und griff in seinen Hosenbund.

Unwillkürlich strafften beide Star Sheriffs die Schultern.

Der Outrider förderte zwei Blaster zu tage und richtete sie auf sie.

Dann ließ er sie um seine Finger rotieren und umschloss sie fest, als die Griffe der Waffen auf die beiden Blondschöpfe gerichtet waren.

Jetzt amten die beiden aus, bemerkten erst jetzt, dass sie die Luft angehalten hatten.

Beth trat zu ihrem Bruder und reichte ihnen eine geöffnete Dose. Sie enthielt die passende Munition.

„Ich werte das als Vertrauensbeweis“, stellte Saber fest und nahm einen der Blaster an sich.

Schweigend, weil eine Welle von Scham sie ergriff, kassierte April die zweite Waffe. Jean-Claude würde ihr also nicht in den Rücken fallen.

„Wir haben lange darüber gesprochen“, räumte der Outrider ein. „Es schien uns ein passender Beweis für unsere Absicht, auch wenn euer Commander das abgelehnt hat.“

Saber betrachtete den Blaster in seine Hand. Eagle hatte es abgelehnt, ihm die Waffe abzunehmen. Er würde seiner Entscheidung nicht widersprechen. Er reichte ihm die Waffe zurück. „Behaltet sie. Ihr solltet euch verteidigen können, wenn eure Verfolger unerwartet auftauchen.“

„Im Ernstfall hilft uns jeder Schütze. Es wird leichter sein, euch zu beschützen, wenn ihr euch verteidigen könnt“, stimmte April ihm zu.

Jean-Claude hob die Brauen. Musste man sich mit Menschen darum streiten ihnen entgegen kommen zu dürfen? Oder signalisierten sie gerade ihrerseits Vertrauen in ihn?

„Bio schießt nicht wirklich gut“, erklärte er und wandte sich zu seinem Bett um, auf dem seine Tasche schon bereit stand. „Behalt sie, bis wir in Bay Back zurück sind, April.“

„In Ordnung“, sie klang erstaunt, verstaute aber den Blaster. Sie nahm auch den, den Saber ihr reichte.

„Nehmt den auch mit. Im Fall der Fälle könnt ihr beide euch verteidigen“, meinte er.

„Dann ist alles geklärt“, stellte der Outrider fest und nahm die Munitionsdose an, die seine Schwester ihm reichte.

„Dann sollten wir uns fertig machen“, schlug Saber vor.

„Nimm dir Zeit bei der Entscheidung des Studiums. Saber berät dich gerne“, meinte April und zwinkerte ihr zu

„Ja, das wird er.“ Daran hatte sie keinen Zweifel. Dann schaute sie zu ihrem Bruder.

„Tja, dann. Gehen wir.“ Er warf die Tasche auf seine Schulter und wandte sich zur Tür. Einige Schritte machte er darauf zu, doch dann kehrte er um, ließ die Tasche zu Boden fallen und umarmte seine Schwester fest.

„Kommt gut nach Bay Back“, verabschiedete sich Saber von ihnen.

April umarmte ihn leicht.

„Viel Glück bei der Wohnungssuche, Saber. Bei der Einschreibung für die Uni hab ich keine Bedenken.“

Jean-Claude drückte seine Schwester noch einmal abschließend an sich, dann löste er sich von ihr und klopfte ihr kurz auf die Schulter. „Pass auf dich auf, Bio.“

„Mach ich.“

Er hob die Tasche wieder auf und lief zur Tür hinaus ohne sich noch einmal umzusehen.

Seine Schwester reichte noch der Navigatorin die Hand. Beide Frauen verabschiedeten sich.

Saber und Beth sahen ihnen nach, sahen April über den Flur eilen und zu Jean-Claude aufschließen. Gemeinsam bogen sie auf den Gang, auf dem das Zimmer der Blondine lag.

„Frauen umarmen ihre Vorgesetzten?“, fragte Beth.

Saber schaute auf ihre Kapuze. Wieder hinterfragte sie etwas, das ihm vollkommen normal war.

„Ich bin nicht nur ihr Vorgesetzter. Wir sind auch gute Freunde und verabschieden uns auch mit Umarmungen.“

„Aha.“ Sie schaute noch immer auf die Tür. Jetzt schwang sie langsam zu und schloss sich mit einem Plopp.

Sie fragte nicht mehr, das verwunderte ihn. Reichte ihr diese Antwort schon aus? Empfand sie etwas wie Eifersucht? Oder beschäftigte sie etwas anderes?

„Stimmt was nicht?“, erkundigte er sich behutsam.

„Hm?“ Sie klang entfernt. Langsam schaute sie ihn an. „Was soll nicht stimmen?“

„Ich weiß nicht. Machst du dir Sorgen um deine Geschwister? Oder möchtest du nicht allein mit mir hier in Yuma bleiben?“

Ihre großen Augen überschatteten sich leicht.

„Ich mache mir Sorgen. Es ist das erste mal, seit wir hier sind, dass wir räumlich so weit getrennt sind. Es fühlt“ Sie legte eine Hand auf ihr Dekolleté, wo sich ein leichtes Ziehen bemerkbar machte. „sich seltsam an. Verstehst du mich?“

„Das kann ich nachvollziehen“, erwiderte er und trat zu ihr. „Aber du bist nicht allein. Jean und Snow sind es auch nicht.“ Er nahm sie in seine Arme und strich ihr sacht die Kapuze vom Kopf.

„Hmhm“, machte sie und lehnte sich an ihn. Seine Nähe beruhigte sie.

Er hielt sie noch ein wenig. Sie würde sich lösen, wenn sie soweit war. Inzwischen stellte er gedanklich eine Lister mit Dingen auf, die heute noch zu tun waren.

Sicher hatte Eagle inzwischen die Vereinbarung in eine schriftliche Form gebracht und Rahmen und Bedingungen aufgestellt.

Am Nachmittag würde er mit ihr zum Commander gehen.

Bis dahin war es sinnvoll, auszuchecken und sie in seine Wohnung zu bringen.

Wenn sie nur eine Nacht in Yuma blieben, checkten sie meist in einem Hotel ein. War ihr Aufenthalt länger, bezogen sie ihre Wohnungen hier vor Ort. Eagles Befehl bedeutete einen längeren Aufenthalt.

Eine Wohnung für Beth und ihre Geschwister musste erst noch gefunden werden. Bis dahin war es das beste, wenn sie vorübergehend zu ihm zog. Sie konnte in seinem Schlafzimmer übernachten. Er würde auf die Couch ziehen.

Sachlich betrachtet konnte er so besser für ihre Sicherheit sorgen und er verschleuderte nicht das Budget, von dem er noch nicht mal wusste, wie hoch es war. Ein Hotel wäre kostenintensiver und schwerer zu sichern, besonders wegen der Vielzahl Gäste, die ein und auszogen.

Das war eben die sachliche Seite. Die andere war schlichtweg, dass ihm der Gedanke gefiel, sie bei sich zu haben.

Ein paar Einkäufe setzte er noch gedanklich auf die Liste.

Beth entglitt seinen Armen und begann ihre Tasche zu packen. Dann verließen das Zimmer, holten seine Sachen und checkten aus.

Er weihte sie in seine Pläne ein. Sie nickte darauf. Wie er es sich gedacht hatte, hielt sie sie für sachlich und effektiv. Sie brachen auf.
 

Fireball saß mit düsterer Miene vor seinem Kaffee. Nicht mal auf den hatte er recht Appetit.

April und Saber waren also über Nacht in Yuma-City geblieben, sonst hätte er gehört, wie sie Ramrod betreten hätten. Er fragte sich, wie das Gespräch wohl verlaufen war und was das für sie nun bedeutete. Aber, so wie er Eagle kannte, war der sicher sofort bereit, im Interesse aller Beteiligten Jean-Claude und seine Schwestern unter Zeugenschutz zu stellen. Seine Ambitionen Frieden für beide Seiten zu schaffen, waren groß und er würde nicht die kleinste Chance darauf verstreichen lassen. Damit verabschiedete sich der Rennfahrer gedanklich von seinem Urlaub. Denn da sie Jean-Claude und seine Schwestern zum Commander gebracht hatten, würde er sie als erste Kontaktpersonen zu ihrer Sicherheit ab beordern. Da hatten ihnen also einmal mehr die Outrider den Urlaub vermasselt. Wenigstens gab es bis jetzt noch keine Opfer oder Schäden zu beklagen.

Colt war auch nicht zurück gekehrt. Er hatte sich reichlich fröhlich gemeldet und verkündet, dass der Rennfahrer nicht auf ihn warten brauchte. Der Teufel, und wirklich nur der, wusste, was der Cowboy mal wieder trieb. Schürzenjäger wie er war, amüsierte er sich sicher ausgiebig und intensiv mit Snow, ähnlich wie damals mit Annabell. Fireball fragte sich missgelaunt, ob der Scharfschütze aus diese Begegnung nichts gelernt hatte, ob er sich an seine eigenen Worte an Saber nicht mehr erinnerte. Er war es schließlich selbst gewesen, der den Schotten an die beiden unschönen Erfahrungen mit Annabell und Lilly erinnert hatte. Es hatte beide damals schwer getroffen.

Seit sie Snow in dem Keller des Gewächshauses gefunden hatten, war Colt wie ausgewechselt, ganz so eben, als hätte er vergessen, was er selbst gesagt hatte. Ein Gespräch zu dem Thema hatte er abgeblockt und sehr deutlich gemacht, dass er nicht vorhatte, darüber zu reden. Jedenfalls nicht mit Fireball. Das sollte verstehen wer wollte. Er tat es nicht. Der Scharfschütze warf ihm mehr oder weniger vor, ihn nicht ernst zu nehmen, das hatte ihn schon getroffen. Außerdem hielt er ihn wohl als Ratgeber für ungeeignet. Das war aber wahrscheinlich eher etwas wie Neid. Immerhin führte der Wuschelkopf seit Jahren eine gute Beziehung mit der Navigatorin.

April. Oh, wie sehr hatte er sich auf diese entspannten Tage mit seiner Freundin gefreut. Aber seit ihnen Beth über den Weg gelaufen war, hatte sich etwas geändert. Sie war sehr interessiert an dem, was die Geschwister so sagten, versucht, Diplomatin wie sie eben war, zu vermitteln und zu verstehen. Sie vertiefte sich regelrecht darin. Es kam ihm beinahe so vor, als würde sie ihn darüber vergessen. Das war schlicht nicht angenehm. Er hoffte nur, dass das bald abebbte.

Er seufzte. Sie und Saber würden sicher bald zurück sein. Er nahm einen Schluck von seinem Kaffee.

Ramrod war beinahe bedrückend still, so ohne die anderen hier.
 

Colt spritzte sich noch eine Hand voll Wasser ins Gesicht. Dann griff er nach einem Handtuch und trocknete sich ab. Er richtete sich auf und betrachtete sich im Spiegel. An den Kanten war er angeschlagen, etwas zerkratzt und allmählich erblindend.

In ihm reflektiert sich das winzige Badezimmer hinter dem Scharfschützen. Es bestand aus einer kleinen Duschkabine, der Toilette daneben und stumpfen Kacheln, die wohl vor zwanzig, dreißig Jahren mal in irgendeiner Wohnzeitschrift als chic gepriesen worden waren. Alles war alt, aber sauber. Duschgel und Shampoo standen auf einem kleinen Regal in der Kabine, je eine Flasche für jede Person die hier lebte. Genau das, was man gerade brauchte, keine Auswahl, kein Vorrat. Das gleiche galt für die Zahnbürsten und Zahnpastatuben, die unter dem Spiegel auf dem Waschbecken standen.

Einmal mehr seit dem gestrigen Tag wurde deutlich, dass Snow und ihre Geschwister am Minimum der Existenz lebten. Ein Leben, das er kannte. In seiner Zeit als Kopfgeldjäger hatte er nicht unbedingt anders gelebt.

Genauso wenig wie er sich damals bei irgendwem beklagt hatte, beklagte sich auch Snow nicht. Sie schien damit zufrieden zu sein.

Sie …

Sie hatte ihn gestern ganz schön überrascht.

Zuerst war da die Sache mit dem Abholen zum Reiten. Er war seit dem Vormittag an der Bar gewesen, in der sie arbeitete, da sie ihm nicht gesagt hatte, welche Schicht sie hatte. Sie hatte zur Mittagszeit begonnen und war am Nachmittag fertig. Er hatte sie die Zeit über beobachten können. Dann hatte der Spaß angefangen.

Gerade hatte er bei ihr bezahlt und wollte sie zum Reithof begleiten, da entschuldigte sie sich auf Toilette zu müssen. Kaum eine Minute später sah er sie zum Ausgang flitzen. Er folgte ihr sofort. Wie ein Jäger seine Beute jagte er sie über den Parkplatz zwischen den Fahrzeugen hindurch und wirbelte sie an dessen Ende von den Füßen.

Sein „Hab ich dich“ hatte sie mit einem leichten Lachen quittiert, dass lauter wurde, als er sie auf seine Schulter warf und los marschierte.

Das war das erste, das ihn erstaunt hatte. Ihm fiel kein Mädchen ein, das nachdem es beinahe entführt worden war, noch „Hasch mich" spielte. Sie war nicht ängstlich.

Außerdem war ihr Lachen unglaublich und ansteckend.

Beim Reiten dann hatte sie ihn noch mehr von den Socken gehauen. War er schon beeindruckt, wie gut sich Beth dabei angestellt hatte, toppte Snow das gewaltig. In dem Moment, in dem sie aufgesessen hatte, hatte sie etwas wie eine natürliche Einheit mit dem Tier gebildet und war damit davon galoppiert, als hätte sie nie etwas anderes getan. Sie hatte keine Probleme mit ihm mit zu halten und er hatte sein Pferd zu Höchstleistungen getrieben. Ihre Augen hatten gefunkelt. Sie hatte gelacht, so sehr gelacht.

Es hatte ihr so gut gefallen, dass er sie nach dem Ritt noch eingeladen hatte, mit ihm im Bronco zu fliegen. Es gab nicht viele Mädchen, die sich dafür begeistern konnte und sie hatte ihn erneut perplex an die Wand gedroschen, als sie sofort zugestimmt hatte.

Sie teilte die gleiche Begeisterung für sowohl für Geschwindigkeit als auch fürs Fliegen. Es war erstaunlich. Die Frau hatte Pfeffer im Hintern und war ein Adrenalinjunkie.

Snow hatte, so würde Saber es beschreiben, den Hang dazu loszustürmen und sie zusehen wo sie ankam. Ihre Unerschrockenheit und der Wagemut, der darin steckte, hatte sie mit ihrem Bruder gemeinsam und auch mit der älteren der Schwestern, Annabell.

Je mehr Zeit sie mit ihnen verbrachten, desto deutlicher erlebte jeder die Unterschiede zwischen den Schwestern. Sie teilten einige Charakterzüge, dennoch war tendenziell Annabell eine berechnende Verführerin, Snow eine fröhliche Abenteurerin und Beth eine sanfte Beobachterin. So oder ähnlich würde Saber sie beschreiben, wenn er ihr Wissen nach dieser Zeit zusammenfassen und grob kategorisieren würde.

Aber wen interessiert Saber gerade?

Colt erinnerte sich lieber daran, dass er sie nach dem Flug nach Hause gebracht hatte, wo sie zusammen eher einen Mitternachtssnack, als ein Abendbrot verdrückt hatten. Dabei waren sie ins Gespräch gekommen. Er hatte erfahren, wie sie in der Phantomzone gelebt hatten. Sie waren auch auf das Thema Symbiose gekommen. Sie hatte ihm erzählt, dass Annabell als einzige von ihnen einen Partner gefunden hatte, kurz bevor sie zu ihrer Mission aufgebrochen war. Sie sprach sehr sachlich davon, als wäre es keine große Sache und von ihrem Standpunkt aus war es das auch nicht. Annabell, Agentin die sie war, hatte klar zwischen der Mission und ihrem Partner unterschieden und keinerlei Gewissensbisse oder ähnliches gehabt. In Colt war ein Gefühl von Kälte aufgekommen. Er war nur ein Job gewesen, während er sein Herz in ihre Treffen gelegt hatte. Dann hatte sich eine Ernüchterung in ihm gefestigt, die ihn befreite und davon entfernte. Er hatte Snow gefragt, ob sie auch eine Agentin wie ihre Schwester werden sollte, doch sie hatte ihm erklärt, dass sie dafür nie in Betracht gekommen sei, sei sie nicht neutral genug für solche Aufgaben.

Er hatte keine Schwierigkeiten gehabt, ihr das zu glauben.

Dann hatte er sie angesehen. Sie hatte noch davon gesprochen, was ihre Aufgabe geworden wäre, doch er hatte nicht mehr zugehört. Er hatte sie nur noch anstarren können, ihr weißes Haar, ihre fast auberginefarbenen Augen und ihre prallen Lippen betrachten können. Sie hatten ihn schlussendlich angezogen und er hatte der Versuchung erlegen und sie erobert. Für einen Moment hatte sie sich gegen ihn gestemmt, doch er hatte sich nicht zurückdrängen lassen und beharrlich den Kuss intensiviert. Dann war sie ihm entgegen gekommen. Unter stürmischen Küssen waren sie zur Couch getaumelt und darauf gesunken.

Dieser leidenschaftliche Austausch hatte sie beide berauscht, so bemerkten sie kaum den Schlaf, der sie befallen hatte. Es wurde ihnen erst bewusst, als sie heute morgen erwachten, auf der Couch, als ein halb auf einander, halb neben einander liegendes Knäul aus Gliedern und Körpern.

Sie hatten beide lachen müssen.

Nun stand Colt hier, hier im Bad und fuhr sich noch einmal übers Gesicht. Snow rief nach ihm.

„He, Blechstern. Frühstück ist fertig.“

Er grinste und verließ das Bad.

Kapitel 16

Jean-Claude wartete, bis April zu ihm in die Limousine gestiegen war. Der Chauffeur schloss die Tür und verstaute das Gepäck im Kofferraum.

Der Outrider schaute die Navigatorin an und fragte schließlich ruhig. „Ihr umarmt Vorgesetzte?“

Es war schwer zu sagen, ob es ihn einfach nur wunderte oder ob ein Bruder sich Sorgen darum machte, dass man seiner Schwester das Herz brach.

„Vorgesetzte nicht, aber Freunde. Zum Abschied.“

„Aha. Wir umarmen nur Familienmitglieder, also Eltern, Geschwister, eigenen Kinder, den Symbiosepartner. Die Angehörigen dieses Partners umarmen wir nicht.“

„Verstehe. Wir umarmen Menschen, mit denen uns viel verbindet, Familie und Freunde, die wie Familie sind. Es ist ganz ähnlich zu euch.“

Jean-Claude schüttelte den Kopf. „Nein, denke ich nicht. Das eine ist Blutsbande. Das andere sind Fremde oder Personen, mit denen man arbeitet. Man kennt sie zwar, aber mehr nicht.“

Sie strich eine Strähne hinters Ohr und sah ihn an. Das musste sie wohl differenzieren. „Ich würde niemand umarmen, den ich nicht kenne. Aber Saber zum Beispiel ist ein guter Freund, fast wie ein Bruder. Wir arbeiten und wohnen zusammen auf Ramrod, deshalb kennen wir uns sehr gut. Es entsteht etwas wie ein Familienverband.“

Er nickte verstehend. „Von deinem Standpunkt aus ist das wohl ganz natürlich. Wenn du die Maslow-Pyramide und unser Effektivitätsprinzip – soweit ich weiß, hat Bio dir davon erzählt – berücksichtigst, ist dir sicher verständlich, warum wir uns so verhalten, wie wir es tun. Für uns wirkt eurer Verhalten so befremdlich, wie unseres für euch. Das ist klar.“

„Ja, mittlerweile kann ich mir vorstellen, dass es für euch ineffektiv wirken muss. Vielleicht wirkt es auch, als würden wir viele … Symbiosepartner suchen.“ Sie hob die Schultern und sah ihn an. „Wie ist das bei euch? Werdet ihr einander versprochen oder so etwas?“

„Nein. Wir suchen uns unsere Partner selbst. Falls es dich interessiert … Es funktioniert in zwei Phasen ... wenn man so will. In der ersten trifft man sich und redet. So findet man raus, wer zu einem passt. Hat man sich da für“ Er hob die Schultern. „ich weiß nicht drei bis fünf mögliche Partner entschieden, beginnt die zweite Phase. Das bedeutet, die physische Komponente kommt hinzu. Am Ende entscheidet man sich dann für den, der in beiden Phasen am besten passt.“

„Das klingt sehr technisch, obwohl es vom Prinzip her nicht anders ist als bei uns. Ihr geht das nur wieder effizienter an“, lächelte sie. „Wenn man die erste Phase ernst nimmt, bleiben einem mehr Fehlgriffe erspart.“

„Ich weiß nicht, wie lange diese Phase bei euch dauert, bei uns vergeht mindestens ein halbes Jahr. Als ideal gilt eins.“

„Das ist von Mensch zu Mensch verschieden, aber körperlich wird es bei uns in der Regel schneller. Das hat wohl bei uns wieder etwas mit den Hormonen zu tun. Wir wünschen uns sehr schnell körperliche Nähe, wenn wir das Gefühl haben, die Chemie stimmt.“

„Wie kommt ihr darauf das die Chemie stimmt? Woran macht ihr das fest? Es klingt für mich, eher als wäre es eine sehr hormonelle Sache und damit ist es so unzuverlässig wie euer Hormonhaushalt selbst.“ Er hatte die Stirn gerunzelt und gab sich sichtlich Mühe, ihre Worte nachzuvollziehen.

„Das ist es auch. Wir suchen unbewusst nach jemandem, dessen Immunsystem anders ist als das eigene. Es ist für das Überleben unserer Nachkommen besser, weil sie gesünder werden. Aber ja, diese Suche über das Unbewusste ist bei uns sehr unzuverlässig.“ Sie zögerte einen Moment. Ob es wohl gut war, dieses Gesprächsthema weiter zu verfolgen? Doch er sprach so sachlich darüber, dass sie den Gedanken strich, er könnte sich davon irgendwie angemacht fühlen. Er hätte ebenso gut über das Wetter sprechen können oder die Funktionsweise ihrer Renegades. Das schien keinen Unterschied zu machen. Für sie offenbarte ihr gegenwärtiges Gespräch eine Fülle an Gemeinsamkeiten und Unterschieden, die es ihr leichter machten, das Wesen ihres Gegenüber zu verstehen. Deshalb fuhr sie fort zu fragen. „Ab wann beginnt ihr Symbiosepartner zu suchen?“

„Wenn wir volljährig sind. Das ist nach der Allgemeinbildung und vor der spezifischen Ausbildung im Alter von siebzehn Jahren.“

„Dann, darf ich dich was fragen? Hast du dann schon deine Symbiosepartnerin gefunden? Die eine, die passt?“ Bei aller Neugier, dass konnte er doch als zu persönlich auffassen. Er sah sie kurz an und schüttelte den Kopf.

„Nein, ich habe mich auf die Ausbildung konzentriert. Außerdem wurden zu dem Zeitpunkt unsere Eltern abgeholt. Ich habe mich daher um meine Schwestern gekümmert. Annabell hatte mehr Glück. Sie hatte einen Partner gefunden, als sie zu ihrer Mission aufbrach.“ Er hielt inne und legte einen Finger an seine Lippen. Das bedeutete, seine Schwester war in einer Beziehung, während es ihre Mission war den Ramrod-Scharfschützen abzulenken und zu verführen. Genug wusste er von Menschen um zu wissen, dass sie auf solche Dinge auf unterschiedliche Weise emotional getroffen reagierten. „Entschuldigung. Das war nach eurem Ermessen wohl eher unangebracht.“

Abwehrend hob April die Hände. „Nein, es ist in Ordnung, Jean-Claude. Es war sehr aufdringlich von mir, dich das zu fragen“, entschuldigte sie sich ihrerseits.

„Hm. Seltsam ist es schon.“ Den Finger noch an seinem Mund, den Arm auf die dünne Kante am Autofenster gestützt, schaute er auf die vorbeifliegenden Landschaft aus Sand und Felsen. „So spreche ich sonst nur mit meinen Schwestern.“ Er beobachtete, wie erste dünne Bäume in der Landschaft auftauchten, vereinzelt noch, aber die Ankündigung, dass sie sich Bay Back näherten. „Es mag für dich nach einer reinen Zweckgemeinschaft klingen, wenn wir von Symbiose sprechen“, begann er nach einer Weile. „Das ist nicht so. Es hängt sehr von den Partnern ab, aber sie sind durchaus liebevoll und von Zuneigung geprägt, in unterschiedlichem Ausmaß, aber so ist es“, sagte er dann und wandte sich wieder zu ihr. „Nur so zur Info, falls du dir diesbezüglich Sorgen um Saber machen solltest.“

„Ja, es hört sich für mich in der Tat eher zweckmäßig an. Aber ich habe mir bisher nicht viele Gedanken darum gemacht, dass es anders sein könnte“, gestand sie und musterte ihn. Je näher sie ihn kennen lernte, desto einfühlsamer und damit ähnlicher schien er den Menschen zu sein. „Jetzt scheint mir, ihr würdet sehr genau prüfen, mit wem ihr eine Symbiose eingeht. Die Chancen scheinen dadurch höher, für immer zusammen zu bleiben. Ich glaube nach allem, was ich in vergangenen Tagen von dir und deinen Schwestern gesehen haben, muss ich mir um Saber keine Sorgen machen. Aber irgendwie tut es mir für dich leid, dass du niemanden hast. Hast du das Gefühl, etwas aufgegeben zu haben?“

Es war erste freundschaftliche Anteilnahme, die aus ihr sprach. Es verwunderte ihn ein wenig, als er ihre Worte in diese Kategorie sortierte.

„Du meinst abgesehen von meiner Heimat und allem was ich kannte?“, fragte er zurück und hob eine Braue. Er bedauerte nicht, geflohen zu sein, weshalb er einen halb lachenden Laut von sich gab, und so seine Frage in Ironie tauchte. „Nein, nicht wirklich.“

„Ja, abgesehen von allem, was du kanntest und deiner Heimat“, nickte sie. „Irgendwann wirst du auch deine Schwestern loslassen müssen“, fügte sie dann hinzu. So distanziert ihr diese Beziehung bisher erschienen war, sie war als innig und fürsorglich enttarnt worden. So sachlich er auch sprach, es regten sich Zweifel in ihr, ob es ihm leicht fallen würde sowohl Snow als auch Beth ziehen zu lassen, wenn es mal so weit war.

Er hobt nur gleichgültig die Schultern. „Wahrscheinlich wird da jemand nachhelfen und es wird eher ihr Problem als meins“, gab er zurück.

„Das sagst du jetzt bloß so.“ Sie lächelte freundlich, glaubte, er würde sich nur nicht eingestehen, wie schwer ihn das dann mal träfe.

„Nein, es ist tatsächlich realistisch. Ich bin ein Verräter. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass unsere Leute mich finden und zurück bringen. Oder mich töten, wenn es ihnen nicht gelingt. Selbst wenn nicht, wenn euer Zeugenschutzprogramm funktioniert, wird sich hier irgendwann die Frage stellen, ob ich für das was ich getan habe, nicht doch zur Verantwortung gezogen werde. Dann sitz ich ein. Ich kenn euer Strafmaß nicht. Vielleicht für den Rest meines Lebens.“ Die Art wie er abermals die Schultern hob, machte deutlich, dass er sich diesbezüglich keine Illusionen machte.

Es schockierte April ein wenig und sie hatte das Gefühl, ihn aufmuntern zu müssen.

„Keine dieser Varianten ist eine wünschenswerte. Du bist, was das angeht, sehr realistisch. Aber ich denke, einen kleinen Hoffnungsschimmer gibt es, auch für dich. Unser Commander hält sich für gewöhnlich an Vereinbarungen, die er trifft. Du solltest auch für dein eigenes Leben etwas Hoffnung haben. Ich finde, das hast du dir verdient.“

Jetzt wandte er sich direkt zu ihr und sah sie prüfend an. „Du? Findest das?“

„Ja“, antwortete sie schlicht. „Du hast, was ich bisher gehört und mitbekommen habe, alles für deine Familie aufgegeben. Du hast es verdient, dass etwas von dieser Hingabe eines Tages zurück kommt. In welcher Form auch immer. Du magst in der Vergangenheit einige schlimme Dinge getan haben, aber du hast das auch für deine Familie getan. Das muss auch etwas wert sein.“

Er sah sie lange an, sagte aber nichts mehr.

Die Limousine trug sie über den Parkplatz auf Ramrod zu und kam zum Halt.

Der Fahrer stieg aus und auch der Outrider öffnete seine Tür. Er ließ die Navigatorin aussteigen und bot ihr seinen Arm an. Dankend hakte sie sich bei ihm ein.

Unterdessen packte der Chauffeur ihr Gepäck aus. Er stellte Aprils kleinen Trolli auf den Boden und zog den Griff in eine Höhe, in der die meisten den Koffer griffen und hinter sich herzogen. Dann legte er die Tasche des Grünhaarigen darauf und hängte einen Tragegurt so ein, dass sie nicht vom Koffer fiel.

Jean-Claude nahm mit der freien Hand diese Konstruktion und führte April auf die Rampe des Friedenswächters zu.

Die Sonne strahlte vom Himmel, wärmte die Luft und den Asphalt. Es war ein schöner Tag, ein guter Urlaubstag.

„Sind deine Kollegen an Bord?“, erkundigte sich Jean-Claude beiläufig.

„Sie sollten da sein, ja.“ Sie ließ sich von ihm begleiten und trat mit ihm auf die bereits geöffnete Rampe.

An deren oberen Ende tauchte Fireball auf. Er hatte die Limousine gesehen, nachdem die Sensoren sie angekündigt hatten, und die Rampe geöffnet in der Erwartung, nun Saber und April begrüßen zu können. Er war mehr als nur verblüfft, als er feststellte, dass der Schotte nicht zurückgekehrt war, seine Freundin dafür aber am Arm des Outriders die Rampe hinauf kam. Außerdem trug der noch ihr Gepäck. Er presste die Kiefer zusammen. Das musste ihm nicht gefallen. Das gefiel ihm nicht.

„Hi“, presste er hervor, als die beiden sich dem oberen Ende der Rampe näherten. „Hast du Saber eingetauscht? Wie ist es gelaufen?“

„Es lief gut“, erwiderte sie, schob seine knappe, rüde Begrüßung darauf, dass sie sich gestern nicht mehr bei ihnen gemeldet hatten. Das konnte sie verstehen und überging es daher. „Ist Colt da? Dann kann ich euch beide gleich auf den selben Stand bringen.“

Sie betraten den Hangar.

„Colt ist noch nicht da“, erwiderte der Rennfahrer knapp und wandte sich an den Outrider. „Kann ich dir etwas abnehmen?“, erkundigte er sich halbherzig. Er fand durchaus, dass der seine Freundin wieder abtreten könnte.

Stattdessen trennte der die beiden Gepäckstücke und reichte ihm Aprils Koffer.

„Danke“, sagte er schlicht.

Fireball zog ihm gedanklich den Koffer über. Mit einem unterdrückten Brummen wandte er sich um und trug den Koffer in Aprils Zimmer.

Als sie ihm folgten und ebenfalls den Gang betraten, lösten Jean-Claude und April ihre Arme von einander.

„Wo ist Colt?“ erkundigte sich April, während sie Fireball folgten.

„Wohl noch mit Snow unterwegs. Hab ihn seit gestern morgen nicht mehr gesehen.“

Missmutig stellte er den Koffer in Aprils Zimmer und folgte den beiden in die Küche. Irgendwie wollte er sie nicht länger als nötig allein lassen, wer wusste schon, was ihm als nächstes entging. Über den gestrigen Abend war er schon nicht informiert worden und das, obwohl da offensichtlich etwas passiert war, dass einige Dinge scheinbar grundlegend verändert hatte. Warum sonst klebte April an dem Arm eines Typen, der mal versucht hatte sie von einem Eiszapfen erschlagen zu lassen? Da stimmte doch irgendwas nicht.

„Habt ihr Durst?“, fragte er, als er die Küche betrat.

April hatte sich auf die Bank gesetzt. Jean-Claude stand neben ihr.

Jetzt lehnten beide ab.

„Wer macht bei euch eigentlich frühstück?“, wollte der Outrider dann wissen.

Der Rennfahrer konnte mit der Frage nichts anfangen. Wie kam der dann darauf? Er goss sich einen Saft ein und brummte zurück. „Der, der zuerst aufsteht.“

April warf einen irritierten Blick auf den Rücken ihres Freundes. „Meistens trifft das Saber oder mich. Wir sind am zeitigsten auf“, fügte sie dann hinzu.

„Macht ihr auch jeden Tag Hühnerembryo?“, fuhr Jean-Claude mit seinen Fragen fort.

Fireball fuhr perplex herum. „Was?“

April lachte auf. „Nein, meistens Toast und Aufstrich oder Müsli.“

„Sehr effektiv“, nickte der Outrider. Ein kleines Grinsen umspielte seinen Mund.

„Ja, in der Tat“, gluckste die Blondine.

Wenig begeistert schaute der Wuschelkopf zwischen den beiden Scherzkeksen hin und her. Sie hatten also schon Insiderwitze?

„Will mich jemand aufklären oder muss ich mir ein Wörterbuch holen?“ Fest umschloss er sein Saftglas, die Miene eindeutig nicht amüsiert.

„Ein Wörterbuch würde dir auch nicht mehr helfen.“

April hatte eben fragen wollen, was mit dem Rennfahrer los sei und ob sie nicht Colt kontaktieren sollten, als dieser mit seinem fröhlichen Ausruf zeigte, dass sich seine und Snows Ankunft mit der von Jeana-Claudes und ihrer knapp überschnitten hatte.

„Guten Morgen, ihr Lieben“, grinste der Scharfschütze in bester Stimmung. Ihm auf dem Fuße folgte Snow.

Kaum entdeckten die Geschwister einander, eilten auch auf einander zu. Ein wenig Abstand hielten sie, als sie sich gegenseitig intensiv prüfend ansehen.

Dass April die Neuankömmlinge begrüßte, entging den beiden daher ebenso wie der grimmige Gruß Fireballs.

„Geht es dir gut?“ fragte der Outrider seine Schwester rau.

„Ja. Wie geht es dir und Bio?“

Ein kurzes Nicken versicherte ihr, dass alles in Ordnung war.

„Wo habt ihr Beth und Saber gelassen? Sind sie auf der Rückreise verloren gegangen?“, erkundigte sich der Scharfschütze unverändert munter, ließ sich von der schlechten Stimmung des Rennfahrers nicht die Laune verderben.

„Das werden wir hoffentlich bald zu hören bekommen“, grummelte der Wuschelkopf ungeduldig. Ein paar Antworten wollte er endlich haben, auch wenn er befürchtete, dass die seine Laune nicht unbedingt verbessern würden.

„Saber und Beth sind in Yuma-City und kümmern sich um eine Wohnung für uns und Studienplätze für euch“, erwiderte Jean-Claude. Snows Augen leuchteten auf.

„Ja, so ist es. Die Bedingungen werden noch im Detail bearbeitet, aber die drei sind im Zeugenschutzprogramm aufgenommen“, ergänzte April erklärend.

„Das sind gute Nachrichten. Das ging ziemlich schnell“, meinte Colt.

Fireball gelang es mit Mühe nicht die Augen zu rollen. Er wähnte seine Laune endgültig im Keller, als er fragte: „Was bedeutet das jetzt für uns? Ich nehme nicht an, dass Saber alles allein organisiert.“

„Natürlich nicht. Jean und Snow werden ihre Sachen packen und sobald wie möglich folgen. Bis dahin und auf weiteres sind wir zu ihrem Schutz abkommandiert“, führte die Navigatorin sachlich aus und wünschte sich gedanklich, ihr Freund würde sich endlich wieder benehmen. Noch unfreundlicher konnte er kaum sein. Sie verstand ja, dass er wenig begeistert vom Abbruch des Urlaubes war, dennoch rechtfertigte es nicht diese Laune.

„Yeah, ich dachte schon, der Urlaub würde langweilig werden“, kommentierte er prompt sarkastisch. „Sollen wir beim Packen behilflich sein?“

„Beth wird sicher vorübergehend bei Saber wohnen,“ überlegte April und schaute Jean-Claue nachdenklich an.

„Für den Anfang wird ein Motel reichen“, meinte der und seine Schwester stimmte ihm zu.

„Ja. Wie wollt ihr die Wohnfrage sonst lösen? Lose ziehen?“

Colt grinste breit, beinahe im Kreis. Er würde seine Münze werfen, wenn es sein musste, aber den Schutz von Snow übernahm er sofort. Es bedeutete schließlich bei ihr sein zu können und das war unter keinen Umständen eine üble Sache. Auch wenn der Rennfahrer wahrscheinlich vermutete, dass einem so grinsenden Scharfschützen nicht klar sei, worum es bei der ganzen Sache ging, der Lockenkopf würde den Teufel tun ehe er zu ließ, dass jemand noch mal versuchte ihr irgendetwas anzutun.

„Das ist schnell geklärt“, meinte er darauf. „Ein Motel ist schlecht, wenn es um Personenschutz geht. Du weiß ja, wieso.“ Er sah den Outrider an, der leicht nickte. Er wog seine Optionen ab.

„April, würdest du Snow aufnehmen?“

„Wir haben nur ein Gästezimmer, Jean. Du kannst das nutzen, wenn sie lieber bei Colt bleiben möchte.“

Jean-Claude schaute seine Schwester an, die nickend zustimmte.

Fireball leerte sein Glas und stellte es in die Spüle. Der Tag war gelaufen, die kommenden auch. Hoffentlich war das Problem mit der Wohnung bald erledigt.
 

April wartete auf Nachricht von ihrem Vater. Sie hatte ihm ihre Rückkehr gemeldet und ihn wissen lassen, dass sie sich aufgeteilt hatten. Sie war sicher, ihr Boss hatte ihm das bereits gemeldet, aber der Vollständigkeit halber fügte sie dies hinzu. Außerdem ließ sie ihm die nächsten Schritte ausrichten.

Nun wartete sie auf seine Rückantwort.

Das Verhalten ihres Freundes wundert sie. Er war zunächst so offen gegenüber Snow und Beth gewesen, selbst dann noch, als sie erfahren hatten, wessen Schwestern sie waren. Jetzt allerdings war er missgelaunt und beinahe unausstehlich. Zwar hatte er Jean-Claude und Snow begleitet, wie auch Colt, um ihnen beim Packen zu helfen, doch er hatte es widerstrebend getan.

Sie wunderte sich darüber. Der vermasselte Urlaub allein konnte es nicht sein. Welche Laus war ihm wohl noch über die Leber gelaufen? Misstraute er Jean-Claude? Warum hatte er es dann nicht von Anfang an getan? Warum kam es erst jetzt auf? War er sauer, weil sie sich gestern nicht mehr gemeldet hatte? Das war sicher ihrerseits nicht sehr rücksichtsvoll ihm gegenüber gewesen, aber nachdem Essen war sie dann doch sehr müde gewesen und hatte auch ihn nicht aus dem Schlaf reißen wollen. Sie konnte ja nicht wissen, dass Colt die Nacht über mit Snow unterwegs gewesen war und der Rennfahrer sich schlichtweg zu Tode gelangweilt hatte. Nun, dafür würde sie sich später noch bei ihm entschuldigen. Trotzdem ließ sie das Gefühl nicht los, dass es noch einen Grund für sein Verhalten gab. Eifersucht schloss sie aus. Das war ganz einfach lächerlich. Wenn er tatsächlich sauer war, weil Jean-Claude sie hoch begleitet und ihr Gepäck getragen hatte, wenn er sauer war, weil sie sich bei ihm eingehakt hatte … nein, das war albern. Wenn er deshalb eifersüchtig wäre, müsste sie sich ernsthaft um ihre Beziehung Sorgen machen. Das wäre ein sehr großer Mangel an Vertrauen. Sie schloss es endgültig aus. Das war einfach nicht möglich.

Vertrauen, schoss es ihr dann durch den Sinn, war zwischen ihnen vier gestern entstanden. Jean-Claude hatte sich, wenn auch etwas widerwillig, geöffnet und das ein oder andere familiäre Detail preis gegeben. Er hatte sich sogar so weit hinreißen lassen seine Zuneigung zu seiner Schwester zu zeigen und sie vor Sabers und ihren Augen umarmt. Er hätte es mit Snow wohl auch getan, aber es war deutlich geworden, dass er, und wahrscheinlich auch Snow, sehr genau unterschieden und überlegten, wann sie wie viel von sich preis gaben. Colt und Fireball waren noch Fremde vor denen die Geschwister nicht zeigen würden, wie sehr sie an einander hingen. Das bedurfte noch etwas mehr Zeit und Austausch. Im Falle von Colt war sicher auch noch etwas Arbeit nötig um mit ihrer gemeinsamen Vergangenheit abzuschließen. Bis dahin würde Jean-Claude wohl seine kühle und distanzierte Fassade aufrecht erhalten, ihnen im Zweifel mit Überheblichkeit begegnen.

Sie seufzte leicht. Das würde sich bald geben. Es war sicher nur eine Frage der Zeit.

Ihr Com blinkte und ließ ein hellen Piepen vernehmen. Commander Eagle meldete sich, wie sie gehofft hatte. Sie nahm das Gespräch an.

„Hallo Daddy.“

Kapitel 17

Saber hatte von Eagle die Unterlagen bekommen, die er brauchte.

Danach hatten Beth und er die Kursverzeichnisse einiger Universitäten geholt die sie am Abend durchlesen würde. Dann waren sie einkaufen gegangen, ein paar Sachen und Lebensmittel, da sein Kühlschrank aufgefüllt werden musste.

Sabers Wohnung lag in einem Hochhaus nahe eines großen Parks.

Der schmale Flur führte direkt in eine quadratische geräumige Küche mit einem Esstisch für zwei Personen an einer Seite. Davor führte eine Tür ins Badezimmer und eine andere zu den Wohnräumen. Das Wohnzimmer war groß und hell, hatte breite Fenster und einer schlanken Tür, die auf einen kleinen Balkon führte. Von hier aus konnte man auf die Grünanlage sehen. Unter dem Fenster stand ein dunkler Esstisch mit sechs Stühlen. Im Zimmer selbst stand ein cremefarbenes Sofa, das einzige helle Möbelstück. Beth fuhr mit der Hand über das weiche Leder. Die Schrankwand war aus einem dunklen Holz, voll gestopft mit Büchern und einigen Fotos. Ein altertümlicher Sekretär befand sich dem Fenster gegenüber. Hier standen noch ein paar Bücher und Sabers Computer. Zwischen Schrankwand und Sekretär hingen zwei sich kreuzende Degen an der Wand, darunter ein Wappen auf einem grün-karierten Stoff. Die dunklen Hölzer, das helle Sofa, das Fenster – alles wirkte schlicht, elegant und behaglich, hatte wenig mit der praktischen Einrichtung ihres eigenen Zuhause gemeinsam.

Während sie sich noch umschaute, machte Saber im Schrank im Schlafzimmer ein paar Fächer für sie frei. Als sie eintrat, sah sie ihn neben dem Bett darin hantieren. An der anderen Wand neben dem Bett war ein Bild von einer Berglandschaft mit dichten grünen Wäldern angebracht.

Beth strich behutsam über dessen Rahmen.

„Ich macht dir im Bad noch etwas Platz, dann kannst du deine Sachen einräumen“, hörte sie ihn sagen und nickte langsam.

Er ließ sie zurück, räumte die Einkäufe in den Kühlschrank. Er hörte, wie sie sich einzurichten begann und setzte sich an seinen Computer. Schnell vertiefte er sich in seine Arbeit, konzentrierte sich auf die Suche nach Wohnungen, die den Sicherheitsansprüchen entsprachen.

Er hörte, wie sie sich aufs Sofa setzte und die Unterlagen der Universitäten durchging. Hin und wieder raschelte Papier.

Wie lange sie so saßen, jeder in sein Tun versunken, konnte Saber später nicht mehr sagen. Irgendwann meinte er aus sehr weiter Ferne eine Stimme anklagen zu hören: „Bist du immer noch nicht fertig?“

Er wandte sich um, doch Beth saß auf dem Sofa, las die Unterlagen und schien ihn nicht zu bemerken. Er schüttelte leicht den Kopf. Das Gespenst einer früheren Beziehung verschwand. Er drehte sich zu seinem Computer zurück und lächelte leicht.

Dann setzte er seine Recherchen fort, glich weiter die Universitäten mit den Sicherheitsangaben ab. Die Universitäten, die sie heute besucht hatten, erfüllten alle die Sicherheitsbedingungen. Einige waren in diesem Rahmen besser geeignet, andere erfüllten ihn nur knapp.

Er schrieb eine Nachricht an das Oberkommando und erbat einige Leute, die das Team unterstützen würden, wenn die Ramrod-Crew selbst verhindert sein würde.

Von Fireball hatte er eine Nachricht erhalten. Colt und April waren voraus gegangen, nach Yuma-City und bereiteten ihre Wohnungen auf die Gäste vor. Der Cowboy würde Snow bei sich aufnehmen, April und er deren Bruder. Die Geschwister hatten überwiegend Kleidung aus ihrem Heim mitgenommen, nur einige wenige Möbel für die neue Unterkunft. Das alles lagerte gegenwärtig auf Ramrod. Sie hatten alle Zelte in Bay Back abgebrochen und würden morgen mit dem Rennfahrer und dem Friedenswächter in die Stadt folgen.

Soweit lief alles wie es sollte.

Dann bemerkte er es. Das Aroma, das aus der Küche durch seine Wohnung zog. Jetzt drang auch Geklapper von Geschirr und Besteck an sein Ohr. Sein Magen meldete, den Wunsch nach Nahrung.

Er sah sich nach Beth um, doch ihr Platz auf dem Sofa war leer. Ihre Unterlagen waren fein säuberlich auf den Tisch davor gelegt.

„Beth? Was machst du?“

„Ich koche.“

Er speicherte seine Daten und fuhr den Computer runter. Mit wenigen Schritten war er in der Küche, sah gerade noch, wie ein Auflauf in dem Ofen verschwand.

„Was gibt es denn?“

„Du wolltest, das ich was koche. Ich dachte, ich mache Thcula.“

„Cula? Was ist das?“ Er inspizierte die Arbeitsplatte, die sie eben aufzuräumen begann. Sie verstaute die Packungen von Erbsen, Mais und Linsen im Vorrat und Milch und Käse im Kühlschrank. Verschiedene Gewürze standen noch auf der Anrichte. Saber konnte nicht von den Zutaten auf die Mahlzeit im Ofen schließen.

„Thcula. Das ist ein Auflauf aus Erbsen, Mais und roten Linsen.“

Er löste sich aus der Tür und begann den kleine Tisch zu decken.

„Aha. Ich bin gespannt wie es schmeckt.“ Darauf war er wirklich gespannt. Er hoffte, er verstimmte sich bei outriderischer Kost nicht den Magen. Kaum war ihm dieser Gedanke durch den Kopf gegangen, konnte er Colts Stimme darin hören. ‚Hehe, du solltest nicht so tun, du isst auch Haggis.‘

„Bist du fertig geworden, mit dem was du gemacht hast?“ erkundigte sich Beth.

„Ja, für heute. Ich hab das Essen gerochen und gehört, dass du kochst. Das brachte mich auf den Gedanken, dass es Zeit wäre aufzuhören und was zu essen.“ Er beobachtete, wie sie sich durch die Küche bewegte, bewunderte einmal mehr ihre geschmeidige, anmutige Art.

„Ja, das ist durchaus erforderlich“, lächelte sie und stellte das letzte Gewürzglas auf das Regal, von dem sie es genommen hatte.

„Ich habe ein paar Kurse gefunden, die jetzt angeboten werden. Das Semester läuft ja gerade, aber es gibt Vorbereitungskurse für das kommende.“

„Welche Kurse sind das? Ist was für dich dabei?“

Sie wiegte den Kopf. „An der städtischen Universität gibt es Grundkurse für Anatomie und Zoologie. Die Royal Edu bietet Anatomie und Psychologie an. Es gibt da auch einen Kurs über Anthropologie. Der klang inhaltlich sehr interessant. Wenn nichts dagegen spricht, möchte ich dahin gehen. Snow kann dort auch Kurse belegen, Agrarwissenschaft und botanische Grundlagen.“

Er nickte. Die Royal Edu war eine kleinere Universität neben einer botanischen Anlage und arbeitete für Praktika eng mit einem der Krankenhäuser zusammen. Sie lag nahe dem Zentrum. Der Campus war leicht zu überschauen und die klare Architektur bot wenige Winkel in denen jemand lauern konnte.

„Sie liegt günstig und ist übersichtlich. Im Notfall können wir schnell vor Ort sein. Wenn du also möchtest, kannst du dir diese Kurse ansehen“, erwiderte er.

Ihre Augen leuchteten auf. Dann öffnete sie den Ofen und holte die Auflaufform heraus. Sie stellte sie auf den Tisch.

Saber sah zu, wie sie das Essen auf die Teller portionierte und setzte sich. Zumindest roch es gut.

„Wenn Jean und Snow in Yuma ankommen, besprecht es am besten gleich. Ich bin sicher, ihr einigt euch.“

„Ja, ich werde mit Snow reden. Jean hat nichts dagegen, solange wir sicher studieren können.“

Sie setzte sich zu ihm und begann zu essen. Die Erbsen schmeckten mild. Der Mais war süßlich und die Linsen pikant. Die Soße war von cremiger Konsistenz und die Gewürze unterstützten die geschmacklichen Nuancen. So kannte sie das Gericht. Es war ihr gelungen.

Saber hob eine Portion der Mahlzeit auf die Gabel und beäugte es neugierig. Interessant sah es aus. Unauffällig roch er daran.

Sie beobachtete ihn irritiert, als er nicht wie sie zu essen begann und den Auflauf zunächst genau prüfte.

„Ich hätte wohl besser etwas anderes gekocht. Ich dachte, es würde dich interessieren, was wir so essen“, sagte sie leise.

„Ich bin interessiert“, versicherte er und schob die Gabel in den Mund. Er ließ das Essen wortwörtlich auf der Zunge zergehen, nahm sich Zeit, diesen neuen Geschmack aufzunehmen, ehe er es schluckte. „Ja. Schmeckt anders, aber gut. Jedenfalls besser als manches, was auf Ramrod so verzehrt wird.“

„Ich bin mir nicht sicher, ob das bedeutet, dass es dir schmeckt.“

Er konnte ihr ansehen, dass sie nicht wusste, wie sie seine Worte beurteilen sollte.

„Ja, es schmeckt mir“, lächelte er. „Der Vergleich bedeutet lediglich, dass niemand von uns wirklich kochen kann.“

Sie stieß verhalten Luft aus und schaute auf ihren Teller, nahm noch einen Happen. „Gut.“

„Was?“ Amüsiert hob er die Brauen. „Gut, dass es schmeckt oder gut, dass auf Ramrod niemand kochen kann und der Vergleich daher zu deinen Gunsten ausgeht?“

„Gut, dass es schmeckt. Dass auf Ramrod niemand kochen kann, scheint mir eher besorgniserregend. Ob der Vergleich zu meinen Gunsten aus gegangen ist, weiß ich nicht so recht. Der Maßstab kommt mir in dem Kontext nicht allzu hoch vor. Abgesehen davon sagen Menschen oft etwas, dass sie nicht meinen, damit der andere zufrieden ist.“

Er griff nach ihrer Hand. Sie schaute ihn an.

„Ich meine es so. Du hast gut gekocht“, sagte er ernst.

Jetzt lächelte sie.

„Ich könnte morgen Thcula Dea kochen. Es ist so ähnlich. Man verwendet nur statt des Mais Hackfleisch und der Geschmack ist würziger“, schlug sie vor.

„Gern.“ Er strich ihr über die Hand, ehe er weiter aß. „Morgen helfe ich dir.“

„Wenn du nicht anderweitig beschäftigt bist“, lächelte sie zurück.

„Dann erinnere mich bitte daran. Die Arbeit läuft nicht weg.“

„Erbsen auch nicht, die rollen“, scherzte sie leicht.

„Sie sind auch schwer auf die Gabel zu spießen“, gab er lachend zurück, als ihm eine davon immer wieder wegrutschte. Sie lachte mit ihm.

„Musst du noch arbeiten?“, fragte sie dann und legte ihr Besteck beiseite .

Er schüttelte den Kopf. „Möchtest du noch einen Nachtisch?“

„Nein, danke. Ich habe keinen Hunger mehr.“

„Möchtest du noch etwas machen?“

„Mich mit dir unterhalten.“

„Das klingt fantastisch.“

Er lächelte. Wann waren diese Worte je die Antwort auf diese Frage gewesen? Damit zog sie ihn noch mehr an, als sie es ohnehin schon tat. Sie hatten all die Pflichten, die es heute zu erledigen gegolten hatte, gemeinsam erfüllt. Sie hatte ihn beinahe überall hin mitbegleitet, dabei nicht einen Moment geklagt, wie viel es war. Vielmehr hatte sie, wie auch er, getan was eben getan werden musste, ganz gleich wie nüchtern und staubtrocken es war.

Jetzt räumten sie gemeinsam die Küche auf und kehrten ins Wohnzimmer zurück. Er wollte sie schon zum Sofa führen, als sie stehen blieb.

Ihr interessierter Blick war an den Degen an der Wand hängen geblieben.

Saber betrachtete sie.

„Sind das Floretts? Die mit denen man ficht, wie du gesagt hast?“, fragte sie.

Sein Herz machte einen erfreuten Satz. Obwohl er bei diesem Gespräch, als er sie am ersten Abend nach Hause begleitet hatte, den Eindruck bekommen hatte, sie lehne das Fechten als Kampfsport ab, hatte sie doch aufmerksam zu gehört. Jetzt griff sie auf, was ihn interessierte.

„Das sind Degen. Mit ihnen kann man auch fechten. Ein Florett ist meist stumpf und eher für Anfänger. Es bewahrt sie vor Verletzungen.“

„Deshalb hat es für dich nichts mit Kämpfen zu tun, weil niemand dabei verletzt wird?“, versuchte sie zu verstehen.

„Ja, das auch. Beim Sport grundsätzlich, also auch beim Fechten, gelten Regeln. In einem Kampf ist oft alles erlaubt. Es geht um das eigne Überleben. Das ist ein entscheidender Unterschied.“

Sie nickte aufmerksam.

„Woran erkennt man, ob es sich um einen Degen oder ein Florett handelt?“

Er trat an ihr vorbei und löste einen der Degen aus der Halterung. Er hielt ihr den Griff entgegen. Behutsam nahm sie ihn an, fühlte sein Gewicht und die Form, die sich in ihren Handteller schmiegte.

„Ein Florett ist leichter und hat eine eher rechteckige Klinge. Sie federt, anders als diese.“ Er wies mit dem Zeigefinger über scharf-glänzende Schneide entlang, wobei er zu ihr trat. Dicht stellte er sich hinter sie und korrigierte ein wenig ihren Finger um den Griff. Mit der gleichen Hand umfasste er ihr schmales Handgelenk und führte ihren Arm in die korrekte Ausgangsposition. Mit der anderen strich er über ihre Schultern, die Hüfte, berührte sacht ihre Oberschenkel und änderte ihre Körperhaltung behutsam in die Pose zu Duellbeginn.

Sie ließ sich gehorsam anleiten.

„Beim Duell mit einem Degen zählt jeder Treffer auf den Körper des Gegners, anders als beim Florett. Da zählen nur Treffer auf dem Oberkörper“, führte er weiter aus, rau und leise, und legte ihren freien Arm auf ihren Rücken.

Sacht strich er mit den Fingern darüber. Einmal mehr sog er ihren Duft ein und genoss ihre Nähe.

„Man trägt eine Maske, zum Schutz des Gesichtes“, raunte er ihr zu. „Das verändert die Sicht und man muss sich mehr konzentrieren.“

Seine Finger lösten sich von ihrem Handgelenk und strichen sanft ihren Unterarm entlang.

Er sollte ihr keine Lektion in irgendeinem Sport geben. Er kam ihr jedes Mal so nah. Es drohte seinen Verstand lahm zu legen. So wie jetzt.

Er schaute auf ihre Halsbeuge und die sanft schimmernde Haut, auf ihr weiches Haar, das dahinter über ihren Rücken fiel und mittlerweile vertraut nach Mandelblüte roch. Er wollte von ihrem Rücken um ihre Taille streichen, die Hand von ihrem Arm lösen und an ihr Kinn legen. Er wollte ihr Gesicht zu sich drehen und einmal mehr ihre Lippen berühren. Die Versuchung war groß, so groß. Er ahnte, wohin es führen würde, wenn er ihr nachgab.

Er spürte seinen Herzschlag bis zum Hals hinauf, sehnsüchtig und heftig.

Sie wandte ihm den Kopf zu und sah ihn mit ihren großen Augen an.

In dem Moment wurde ihm bewusst, dass er sich nicht mehr gerührt hatte. Eine Hand ruhte auf ihrem Rücken kurz über der Stelle, an der sich ihr hübscher Hintern zu wölben begann. Der Daumen seiner anderen Hand lag auf der zarten Haut ihrer Armbeuge und sein Oberkörper berührte ihre Schultern.

Ihr fragender Blick ließ seine Lippen trocken werden und beschleunigte seinen Puls noch mehr. Ein Stück nur, zwei, drei Zentimeter dann würde sein Mund auf ihren fallen. Mehr brauchte es nicht sie zu berühren und dem Rausch zu verfallen, den ihr Körper an seinem auslöste, der ihn dazu zu bringen würde ihr Nein auf Bestand zu prüfen.

Ihr Blick fragte ihn noch immer, lud ihn nicht ein.

„Du solltest dich ausruhen. Es war ein langer Tag“, brachte er hervor. Dann trat er zurück und nahm den Degen aus ihrer Hand.

Sie blieb noch einen Moment lang stehen, beobachtete ihn, wie er die Waffe wieder in der Halterung befestigte. Dann schlich sie ins Badezimmer.

Er hörte Wasser rauschen und seufzte. Dann holte er aus dem Schlafzimmer ein Kissen und eine Decke und bereitete die Couch für die Nacht vor.

Beth schlich an ihm vorbei, wünschte ihm eine gut Nacht, dann hörte er die Schlafzimmertür leise ins Schloss fallen.

Ob sie es wusste? Wusste sie, was sie in ihm auslöste? Wusste sie von der Sehnsucht, die sie regelrecht entflammte, dass er sie kaum zu zügeln wusste? Es gelang ihm sonst gut, besser als den meisten. Aber so nah bei ihr war er beinahe chancenlos.

Noch als er sich unter die Decke schob, beschäftigte ihn sein Verlangen. Er schloss die Augen und dämmerte in tiefen Schlaf. Doch auch dahin folgte es ihm, formte seine Phantasie seine Wünsche aus. Wie ein Film zogen sie sich durch seine Träume, sah er in ihre großen Augen, sah er ihren wundervollen Körper sich im Einklang mit seinem bewegen und sah er sie ihren Kopf genussvoll in den Nacken legen.

Er hörte sie seufzen, spürte die Hitze ihres Körpers an seinem, ihren Atem auf seiner Haut.

Sein Herz hämmerte.

Es war so echt, so real.

Er schlug die Augen auf.

Blinzelnd blickte er in das nächtliche Zimmer, realisierte nur langsam die Zimmerdecke über sich.

Nicht ungewöhnliches daran, so wie es sein sollte, dämmerte es ihm.

Doch etwas war nicht, wie es sein sollte. Noch traumumnebelt spürte er es.

Ein leises Seufzen drang in sein Ohr.

Er spähte in die Richtung aus der es kam.

Der Traum verflog. Saber begriff.

Neben ihm, den Kopf auf seine Brust gebettet, lag Beth.

Sein Herz hämmerte noch immer.

Er wurde sich ihres warmen Körpers, auf der Couch an seinen gepresst, bewusst. Er fühlte ihren ruhigen, stetigen Atem über seine Brust streichen. Er verriet ihm, ihren festen Schlaf.

Wieder seufzte sie.

Er atmete tief aus und richtete sich auf, so gut es möglich war ohne sie zu wecken oder sie dabei vom Sofa zu schieben.

Es war ein Traum gewesen.

Er schaute auf die Schläferin, auf den dunklen Ärmel ihres Schlafshirts und den Kontrast, den er mit ihrer hellen Haut bildete.

Kein Wunder hatte sich der Traum so real angefühlt, hatte sich der Auslöser dafür irgendwann in der Nacht zu ihm gelegt.

Was machte sie hier? Warum war sie gekommen? W…?

Er schob sich vorsichtig über sie und von seiner Schlafstatt. So wurde das nichts. Er konnte kaum einen vernünftigen Gedanken fassen, so lange der Traum noch spürbar war.

Er verschwand im Bad. Er griff nach dem Duschkopf, beugte sich zum Wasserhahn und dreht ihn voll auf. Eiskaltes Wasser ergoss sich über seinen Kopf und half, seine Körpertemperatur abzukühlen.

Dann dreht er das Wasser ab und griff nach einem Handtuch.

Was sollte er jetzt tun?

Den Rest der Nacht so zu verbringen würde nicht funktionieren. So bald er sich etwas weniger vorsichtig bewegte, warf er sie schlichtweg von der Couch. Er konnte sie nur ins Bett zurück tragen. Danach gab es nur zwei Möglichkeiten. Entweder er behielt sein Lager im Wohnzimmer oder er brach dort die Zelte ab und legte sich zu ihr. Falls er das tat, war fraglich, wie viel Schlaf er noch bekam. Aber war sie nicht zu ihm gekommen, weil sie bei ihm sein wollte?

Er grübelte noch hin und her, als er sie auf das Bett zurück trug und vorsichtig zu deckte.

Er richtete sich auf und betrachtete sie.

Sie wandte sich auf die Seite und tastete schlummernd mit der Hand über das Laken.

Saber holte Kissen und Decke aus dem Wohnzimmer.

Sie tastete immer noch.

Er legte sich zu ihr und nahm ihre Hand. Sie antwortete mit einer ungelenken Bewegung, die im Wachzustand wohl ein Streicheln war. Er lächelte leicht.

Noch immer hämmerte sein Herz, raste nicht mehr, hatte aber noch ein erhöhtes Tempo. Sehnsucht zog in seinem Bauch, erinnerte ihn daran, wie sehr er sie begehrte und doch, der Schlaf kam, friedvoll und beruhigend.

Endlich.
 

Er spürte sie neben sich, als er am nächsten Morgen erwachte. Verschlafen blinzelte er sie an.

Sie schaute ihn mit ihren großen Augen an und lächelte.

„Ich werde Frühstück machen,“ sagte sie schlicht.

Er nickte nur und streckte sich. Der Schlaf entwich seinem Körper, floh daraus, als er bemerkte, dass sie im Aufstehen innegehalten hatte und ihn an starrte.

Saber richtete sich auf. Er erkannte den Grund für ihr Starren und schob die Decke darüber, als wäre er nicht schon ertappt worden.

„Worauf regiert dein Körper?“, fragte sie leise.

„Auf dich, Beth“, brachte er hervor.

Sie nickte leicht.

Als sie das Zimmer verließ, hatte er die Antwort auf seine Fragen in der Nacht zuvor. Nein, sie wusste nicht.

Nach dem Frühstück, Beth räumte noch die Küche auf, prüfte Saber die Antworten auf seine Nachrichten.

Fireball war auf dem Rückflug mit Jean-Claude und Snow.

Senator Weyer empfahl ihm drei Star Sheriffs zur Unterstützung. Zu den Herren Garrett McLeod, Arasmus Soor und Ian Broik übersandte er deren Lebensläufe und Beurteilungen.

An der Tür meldeten sich April und Colt. Beth öffnete ihnen.

„He, guten Morgen Oberheld“, grüßte Colt fröhlich.

„Guten Morgen, Saber, guten Morgen Beth. Wie ist der Stand der Dinge?“

Der Schotte wandte sich den Neuankömmlingen zu. Er setzte sie von Fireballs Rückkehr in Kenntnis, auch von der Unterstützung, die ihnen empfohlen worden war und ihre Ergebnisse an den Universitäten. April setzte sich zu der jungen Frau mit dem blass lila Haar und ließ sich von ihr einweihen, was sie wegen des Studiums überlegt hatte. Colt beugte sich mit Saber über die Berichte über die Star Sheriffs McLeod, Soor und Broik.

Dass Senator Weyer sie ausgesucht hatte, ließ Saber vermuten, dass sie nicht gerade die aufgeschlossensten Kandidaten waren und etwas, dass der Senator für eine gesunde Skepsis gegen über Jean-Claude und seinen Schwestern erachtete, an den Tag legen würden. Sollten sie den Verdacht haben, etwas ginge nicht mit rechten Dingen zu, würden sie handeln und den Outrider sowie seine Schwestern festnehmen.

McLeod stammte, wie Saber selbst, aus den Highlands. Er war mit seinen Anfang Vierzigern der älteste und erfahrenste. Er hatte eine Frau und zwei Kinder. Ein Bruder von ihm war im Kampf gegen die Phantomwesen gefallen.

Broik zählte in die Mittzwanziger, hatte seine Freundin im Job kennengelernt. Während sie nun einen Konvoi in der Gegend von Pecos beaufsichtigte, war er hier im Einsatz. Er war Onkel zweier Neffen von schwesterlicher Seite und hatte erst kürzlich seiner Mutter eine neue Wohnung hier in der Stadt gekauft. Sein Vater, selbst einst Star Sheriff, war kurz vor der großen Schlacht gegen Nemesis und Jesse Blue gefallen, als er versucht hatte vor dem Überraschungsangriff zu warnen.

Soor entstammte einer ebenfalls patriotischen Familie von Soldaten. Seine Brüder dienten wie er selbst, sein Vater war Ausbilder im Dienste des KOK. Seine Verlobte hatte sich von ihm getrennt und war später beim Überraschungsangriff umgekommen, gemeinsam mit ihrem Bruder.

„Alle kampferfahren und … wie sagt man doch gleich?“

„Vorbelastet, Colt.“ Saber sah seine Vermutung bestätigt. Nun, gegen gesunde Skepsis konnte man keinen Einwand erheben, grundsätzlich war daran nichts verkehrt. Er erhob sich von seinem Stuhl.

„Es ist ein Termin mit ihnen angesetzt. Ich werde sie also treffen und instruieren. Nehmt ihr Fireball, Jean-Claude und Snow in Empfang. Hier sind die Papiere, die sie brachen werden.“ Damit händigte er ihnen einen großen Umschlag aus.

„Gut. Wir werden die Anmeldung an der Uni abwickeln, so bald die beiden hier sind.“ April nahm den Umschlag an. „Am besten fahren wir zu uns. Fireball wird bald da sein.“

Sie nickten und machten sich auf den Weg.

Kapitel 18

Tatsächlich war der Rennfahrer inzwischen eingetroffen und hatte den Friedenswächter auf dem Gelände des KOK abgestellt. Jetzt verließen seine Passagiere und er mit Gepäck beladen das Gelände und machten sich auf den Weg zur Wohnung, die er mit April teilte und in die sie Jean- Claude eingeladen hatte.

Es passte ihm überhaupt nicht. Auch wenn er selbst wusste, dass es keine gute Idee war, den Outrider bei Colt einzuquartieren, warum musste er zu ihnen ziehen. Er konnte genauso gut bei Saber bleiben, während Beth bei ihnen geblieben wäre. Wie war es zu dieser Einteilung gekommen? Warum war er nicht gefragt worden? Er fühlte sich übergangen.

Dass er ein wortkarger Chauffeur gewesen war, störte weder Snow noch Jean-Claude. Sie folgten ihm über das Gelände, ihre Taschen in den Händen, durch Sonnenbrille und Kapuze vor verwunderten Blicken geschützt. Sie machten sich Gedanken um ihre jüngste Schwester, waren sie seit ihrer Flucht nun zum ersten Mal von ihr getrennt. Sie war bei dem Captain des Friedenswächters sicher in guten Händen. Nüchtern betrachtet gab es keinen Grund an dem zu zweifeln, hatte er nicht umsonst den Ruf ein vorbildlicher Star Sheriff zu sein. Feind hin oder her, das musste man ihm zugestehen. Außerdem war er, trotz wachsamer Skepsis, auf sie zu gegangen, hatte die Zeichen ihres Entgegenkommens akzeptiert und überhaupt als das erkannt, was sie waren. Sie konnten ihm vertrauen. Seltsam war es dennoch, mit ihrer Schwester, nein grundsätzlich nicht mehr tagtäglich zusammen zu wohnen.

Jean-Claude hatte eine eigene Wohnung gewünscht. Es war sicherer für seine Schwestern. Falls man ihn aufspürte, waren sie wenigstens nicht da und konnten nicht in das hineingezogen werden, was ihm dann blühte. Es würde mehr Zeit brauchen, sie aufzuspüren, wenn sie woanders wohnten. Die Kehrseite war, fand man erst sie, konnte er sie nicht beschützen. Er musste sich, ob er wollte oder nicht, auf den Schutz verlassen, den man ihm zugesichert hatte. Das Interesse, dass seine Schwestern bei Colt und Saber erregten, war ihm nicht entgangen. Er war sich nur nicht sicher, wie lange es anhalten würde. So unter dem Einfluss körperlicher Reaktionen mochte es stark sein, doch wie veränderte es sich, wenn diese Reaktionen abflauten? Er hatte Schwierigkeiten das einzuschätzen, trotz seiner eigenen … Belastung, die es ihm und seinen Schwestern erheblich erschwerte, in der alten Heimat zu leben.

Snow teilte die Überlegungen ihres Bruders, ebenso wie seine Bedenken. Mehr noch, sie kannte ihn. Wenn es sein musste, wenn er keine andere Möglichkeit sah, würde er sein Versprechen brechen, die Zusammenarbeit mit dem Kavallerie Oberkommando beenden – die konnten seine Schwestern dann fortsetzen – und verschwinden. Er würde alle Verbindungen zu ihnen kappen und untertauchen, um dafür zu sorgen, dass sie sicher waren.

Sie musterte ihn von der Seite. Er würde es tun. Kein Zweifel daran.
 

In der Wohnung des Rennfahrers wurden sie von April, Colt und Beth empfangen. Verhalten begrüßten sich die Geschwister, prüften einander mit intensiven Blicken.

April überreichte ihnen die Papiere, die sie nun brauchen würden. Gleich danach brachen sie zur Universität auf, für die sich die Schwestern entschieden, und kümmerten sich dort um deren Anmeldung. Beth Vorauswahl erwies sich als gut getroffen, Snow war mit den Kursen einverstanden.

Während die Sechs damit beschäftigt waren, dass künftige Leben der drei Outrider zu organisieren damit es bald etwas wie Normalität einkehrte, stand Saber den drei Star Sheriffs gegen über, die ihn und die Ramrod-Besatzung unterstützen sollten. Man hatte ihm die Befehlsgewalt über sie übertragen.

Nun umriss er ihnen die Situation der Geschwister in knappen, sachlichen Worten.

Aufmerksam hörten sie ihm zu.

Garrett McLeods Gesicht hatte erste Fältchen und sein Drei-Tage-Bart wies erste ergraute Härchen auf. In seinen Augen blitzte es dennoch rege und heiter, als könne ihn nichts erschüttern. Er wirkte so jünger, strahlte Gelassenheit aus.

Die Mienen Ian Broiks und Arasmus Soors waren fest, beinahe ausdruckslos, wie die vieler junger Star Sheriffs, die diensteifrig auf Instruktionen warteten. Beide trugen kurzes dunkles Haar und waren gutaussehend. Arasmus Soor noch etwas mehr als sein Kollege, bildeten seine grünen Augen einen interessanten Kontrast zu seinem schwarzen Haar. Ian hatte einen schmalen Mund und ein hartes Kinn, was ihn energischer wirken ließ.

„Gegenwärtig befinden sich die drei in unserer Obhut bis eine geeignete Unterkunft für sie gefunden wurde. Wir benötigen Ihre Unterstützung, um den Schutz der Schwestern an der Universität zu gewährleisten und Jean-Claude zu begleiten“, schloss Saber seine Ausführungen ab.

Wie er erwartet hatte, äußerten sich Broik und Soor sofort, den Diensteifer, den sie ausstrahlten, unterstreichend.

„Mir erschließt sich der Sinn dahinter nicht ganz. Wir sprechen von Outridern“, ließ sich ersterer vernehmen.

„Habe ich das richtig verstanden? Wir sprechen hier von vierundzwanzig Stunden Personenschutz?“, hakte der zweite nach.

„Es sind Outrider, die mit uns kooperieren wollen und ja, es geht vierundzwanzig Stunden Personenschutz, wobei Ihnen die Tagschicht zufällt“, erklärte der Blonde souverän. Da Weyer die Empfehlung ausgesprochen hatte, hatte er mit kritischen Äußerungen gerechnet. Er hatte nicht vor, sich beirren zu lassen.

„Die Nachtschicht macht dann wer?“ bohrte Soor nach.

„Wie gesagt, sie befinden sich gegenwärtig in unserer Obhut, bis die Frage der Unterbringung endgültig geklärt ist. Daher fällt die Nachtschicht an uns.“

Ein belustigtes Zucken der Mundwinkel McLeods war zu sehen, ehe er sich äußerte. „Verstehe. Sie stellen wertvolle Informanten dar, die uns im Kampf gegen ihre Leute helfen können.“

„Wer sagt uns, dass sie uns nicht in den Rücken fallen, sobald wir für sie nicht mehr von Interesse sind?“ Ian Broik strich sich über sein kantiges Kinn.

Saber nickte dem älteren zu. „Sie sagen es. In Anbetracht der Tatsache, dass die drei keine Rückkehrmöglichkeit haben, ist Commander Eagle ebenso wie wir der Ansicht, dass sie ihr Wort halten.“

Die Andeutung genügte dem Älteren.

Auch Ian verstand. „Dann sollen wir dafür sorgen, dass sie keine Möglichkeit haben, ihre Meinung zu ändern.“ Entweder gelang es also, die angestrebte Zusammenarbeit zu begleiten, oder sie würden sie festsetzen, falls es notwendig war. Im äußersten Notfall erlaubte diese Information ihnen, sie zu töten.

„Sind die Informationen so gut, das es sich lohnt drei Verräter zu beschützen?“ fragte Arasmus Soor.

„Sie eröffnen uns die Chance auf dauerhaften Frieden. Die sollten wir nicht ungenutzt verstreichen lassen“, erwiderte der Schotte ruhig. Sein Landsmann pflichtete ihm nüchtern bei. „Wenn die Outrider sich mit Jesse Blue zusammen tun, könne wir das auch. So gleichen wir unsere Chancen aus. Warum sollten wir nicht?“ Er sah von seinen Kollegen zu seinem nun Vorgesetzten und zwinkerte dem munter zu. „Sind die Mädels hübsch?“ fragte er munter.

Saber erinnerte sich an den sanften Kuss, den er Beth zum Abschied gegeben hatte und ihre großen Augen. Nicht nur hübsch, anziehend in jeder Weise. Er hob kaum merklich das Kinn, was der ältere als Zustimmung verstand. Sein Grinsen wurde breiter.

Broik hob die Schultern. „Das ist ein Job. Selbst wenn sie aussehen, wie Miss Universum, ist mir das egal“, meinte er, als wollte er keinen Zweifel an seiner Integrität aufkommen lassen. In der gleichen Weise reagierte Soor. „Mir egal. Outrider sind sie, hübsch oder nicht.“

Saber Braue zuckte nach oben. „Soor, wenn Ihnen diese Aufgabe widerstrebt dann …“

„Nein. Ich wollte damit sagen, dass ich weiß, was mein Job ist und den erfülle ich. Hier geht’s um Personenschutz. Verlassen Sie sich auf mich.“

„Stellen Sie Ian eine der Schwestern zur Seite, dann wird das schon“, schlug Garrett amüsiert vor und sprach damit die Überlegungen des Recken aus. Es wäre in der Tat sinnvoller, Snow in seine Obhut zu geben. Sie war hübsch und taff, so weit er wusste. Sie würde sich nicht einschüchtern lassen, ihn wahrscheinlich eher aus der Reserve locken. Außerdem war Colt da und würde mit einem Kaliber wie Ian ohne Probleme fertig, falls der Ärger machen sollte. Garrett war rational und wäre daher ein guter Bodyguard für Jean-Claude. Die beiden konnten sich bestimmt gut über ihre Heimat austauschen und so einige Vorurteile weiter zerstreuen. Das würde die Zusammenarbeit weiter fördern. Arasmus teilte er gedanklich Beth zu. Ein Gefühl nur, er konnte nicht den Finger darauf legen, sagte ihm, dass er ihn besser im Auge behielt.

„Gut. Dann beginnt Ihr Dienst morgen früh um neun Uhr.“ Er übergab ihnen die Adressen ihrer Schützlinge. „Jean-Claude wird morgen zu einem Gespräch im Oberkommando erwartet. Sie begleiten Ihn, McLeod. Die Schwester werden die Universität aufsuchen. Achten Sie gut auf sie, Broik, Soor.“

Die drei salutierten dienstbeflissen und traten ab.

Saber suchte Commander Eagle auf, um Zwischenbericht zu erstatten.
 

Am Nachmittag, als sie an der Universität mit allem fertig waren, Stundenpläne, Bibliothekausweise und einige erste Bücher hatten, und die Schwestern das Gelände kennen gelernt hatten, schlenderte die Gruppe durch Yuma-City zurück.

Fireball lief voraus, wollte so bald wie möglich nach Hause und etwas abschalten. Tage mit solchen organisatorischen Dingen zu verbringen, war anstrengender als jede Patrouille, die sie flogen.

Hinter ihm liefen die Geschwister, Jean-Claude trug seinen Schwestern einige Bücher, während jede von ihnen sich schon halb in ein Exemplar vertiefte.

So bildeten der Scharfschütze und die Navigatorin die Schlusslichter.

„He Ap, Regen im Paradies?“, erkundigte sich der Lockenkopf.

„Nein, jemand weint nur dem abgebrochenen Urlaub nach.“ Sie hob die Schultern. „So bald sich alles etwas normalisiert hat, ist das vergessen.“

„Ja, bestimmt.“ Das meinte er auch so. „Dann kann ich dich sicher kurz für mich beanspruchen. Ich könnte nämlich deinen Rat gebrauchen.“

Interessiert hob sie die Brauen und schmunzelte.

„Na ja, weißt du, als wir ihre Sachen zusammen gepackt haben, da ist mir eins aufgefallen“, begann er. „Sie haben alles, was man braucht, aber wirklich nicht mehr als das. Verstehst du, was ich meine.“

April blinzelte irritiert.

„Sie haben Duschgel. Eins, nicht so wie wir, noch ein zweites offen, je nach dem. Sie haben eins für Beth, eins für Snow und eins für Jean. Sogar ich kenn mich genug aus, um zu wissen, dass das billigste Zeug ist.“

April nickte langsam. „Bescheiden und pragmatisch.“

„Luxus ist anders.“

„Was hast du jetzt vor?“

„Na, ich hab gedacht, wo sie jetzt …. Ich weiß nicht … so für den Start … es wäre doch … ich meine … so als Geste … mal …“

„Du möchtest Snow etwas zu ihrem Einzug bei dir schenken, hast an ein richtig tolles Set Duschgel, Körpercreme und Luffaschwamm gedacht und möchtest nun, dass ich dir helfe, was auszusuchen“, fasste sie zusammen.

„Ich wusste, du verstehst mich“, strahlte er zurück.

„Ich finde die Idee gut.“ Sie musterte ihn und fügte hinzu. „Kaufe am besten noch einen Korb Obst, frisches, nichts gefroren oder in Konserven. Jean-Claude hat erzählt, das es das bei ihnen nicht gab, weil Konserven eben länger haltbar sind.“

„Oh, okay. Mach ich“ grinste Colt und horchte näher an April. „Da vibriert dein Com“, stellte er fest.

„Mhm.“ Sie kramte danach und schaute auf die Nachricht, die sie erhalten hatte. „Rate wer und was?“ grinste sie den Lockenkopf an.

„Unser Superschwert kann Obst selber besorgen, aber wenn du ihm mit dem Duschzeug helfen könntest, wäre er dir sehr verbunden.“ Colt hob die Hand und sie schlug ein.
 

Am Ende kaufte sie drei Duschpflege-Sets. Fireball war ohnehin schon verstimmt, weil sie trödelte, weil sie alle trödelten, da konnte sie auch gleich noch ein Geschenk für den grünhaarigen Outrider drauf legen, das blieb sich gleich.

Vermutlich würde er – und es stellte sich später heraus, dass sie recht hatte – den Sinn nicht ganz erkennen, fragen, ob er stinke und die Geste dann mit einem höflichen Danke annehmen. Über den Obstkorb freute er sich sichtlich und diesmal kaufte sie ihm sein „Danke schön“ ab.

Fireball verzog sich grummelnd auf den Balkon ihrer Wohnung und köpfte ein Bier.

Seine Laune normalisierte sich in den folgenden Tagen wenigstens phasenweise, so wie sich verschiedene andere Dinge normalisierten.

Zum Beispiel, dass Saber neben Beth schlief, auch wenn er morgens mit derselben körperlichen Reaktion erwachte. Es gelang ihm allerdings, es vor ihr zu verbergen.

Es wurde normal, dass Colt Frühstück machte, ohne die Spiegeleier zu verkohlen, Fireball lieber bei Müsli oder Toast blieb, während April eine Schwäche entwickelte für die Varianten an Ei zum Frühstück, die Jean-Claude zubereiten konnte und die waren in der Tat sehr köstlich.

Danach traf sich der Outrider mit einigen hochrangigen Persönlichkeiten im KOK. Seine Schwestern besuchten die Royal Edu Universität, um im kommenden Semester das Studium beginnen zu können.

Die Ramrod-Crew prüfte die Wohnungsmöglichkeiten der Geschwister vor Ort. Am Ende lag die Entscheidung bei ihnen, wo die drei wohnen würden. Commander Eagle hatte es in ihre Hände gelegt. Es war eine zeitintensive Aufgabe nach der Vorauswahl am Computer nun die infrage kommenden Objekte vor Ort zu besichtigen und auch die Nachbarschaftsprofile zu erstellen war zäh, langwierig und notwendig. Niemand war damit gedient, die drei in einer Gegend anzusiedeln, in denen die eigenen Leute sie zwar nicht fanden, sie aber der Ablehnung der Nachbarschaft ausgesetzt waren. Für andere Zeugen war es leichter eine Unterkunft zu finden, da dieser Punkt für Menschen unter Menschen eine andere Gewichtung hatte. Schon am zweiten Tag in Yuma-City hatte sich Saber Jean-Claude erklärt, weshalb die Suche nach einer Wohnung den üblichen Zeitrahmen sprengen würde. Der hatte eher gelassen darauf reagiert.

„Ein Outrider hält sich erst im Verborgenen, so wie wir. Immerhin kann man dort bis zu einem Jahr untertauchen, ohne entdeckt zu werden, wie unser Bespiel zeigt. Die Strategie stützt sich auf die Tatsache, dass wir uns bei einem Bild eher an den Leuchtturm in der Mitte auffällt, als der Grashalm in der linken Ecke. Wer auch immer hinter uns her war, er geht davon aus, dass wir in anderes Randgebiet weiter gezogen sind und sucht uns da. Ehe sie darauf kommen, dass wir hierher gezogen sind, werden sie noch einen oder vier Monate brauchen – je nach dem, wer auf uns angesetzt wurde.“

Saber gab diese Auskunft weiter und die Patrouillen in den Randgebieten wurden verstärkt.

Es wurde normal, dass Garrett McLeod auf dem Weg zum Oberkommando mit Jean-Claude über alles sprach, was ihm in den Sinn kam und sich bald ein gegenseitig geschätzter Austausch auf Augenhöhe zwischen ihnen entstand. Nicht nur Militärs, auch Wissenschaftler und Forscher hatten allerlei Fragen an den Grünhaarigen und recht schnell entwickelte sich etwas wie ein Lehrplan, nach dem sie arbeiteten und sich Stück für Stück die Lebensweisen der Phantomwesen berichten ließen. Jean-Claude legte ihnen die Struktur der Umwelt dar, sprach von Rohstoffen, die gefördert und verarbeitet wurden und klamüserte ihnen die Gesellschaft und ihr Effektivitätsprinzip auseinander. Wie er erwartet hatte, waren sie davon schockiert und eine Diskussion um Einsicht in Notwendigkeiten entbrannte.

Es wurde normal, dass Ian Broik Snow neckte, wenn er nur konnte. Sie war ein hübsches Mädel, ihr Lachen ansteckend und ihre Art unerschrocken und taff. Das machte sie ihm sympathisch.

Es wurde normal, dass Arasmus Soor schweigend seine Pflicht erfüllte, wenn er Beth begleitete. Er sprach nur selten mit ihr, antwortete auf ihre Fragen, doch keiner wurde aus dem anderen so recht schlau. Hübsch oder nicht, sie wirkte seltsam auf ihn, weltfremd, teilweise hochnäsig und arrogant. Damit glich sie ihrem Bruder, so weit er wusste. Kein Sympathieträger.

Beth störte es nicht, dass er wortkarg war. Sie nahm sie als Eigenheit hin, die mancher eben besaß. So studierte sie auf dem Weg ihre Bücher um sich auf das beginnende Semester vorzubereiten. Außerdem lenkte es sie von dem unbehaglichen Gefühl ab, dass seine Blicke ihr bescherte. Prüfend waren sie, diese Blicke. Beth wusste nicht ob auch Wachsamkeit, Interesse oder Anlehnung darin lagen. Es gelang ihr nicht es einzuordnen. Ihr fehlte ein Gespräch so wie sie es mit Saber, ihren Geschwistern oder April führte und das ihr half, die Empfindungen ihres Gegenüber zu erkennen und zu verstehen.

Arasmus erinnerte sich neben ihr oft an seine Ex-Verlobte, die Outrider bei einem Überraschungsangriff getötet hatten. Sicher hätte er die Chance genutzt und sich mit ihr versöhnt, hätte diese hinterhältige Attacke nicht statt gefunden. Man konnte diesen Phantomwesen eben nur so weit vertrauen, wie man sie sah. Wahrscheinlich war es nicht so schlecht, wie er zunächst befürchtet hatte, wenn sie nun drei von ihnen in Sichtweite hatten.

Kapitel 19

Saber hatte ihr an diesem Morgen gesagt, dass er sie nicht abholen können würde. Er musste zu einer spät anberaumten Lagebesprechung und konnte nicht absehen, wie lange diese dauern würde. Er war dankbar, dass sie darauf nur nickte und überhaupt ohne Worte Entscheidungen wie diese akzeptierte. Flüchtig fragte er sich, ob sie Widerspruch nicht wagte, doch dann erinnerte er sich wieder an ihre Gespräche. Sie hatte in diesen immer offen ausgesprochen, was sie dachte. Hätte sie Bedenken an der Notwendigkeit seiner Entscheidungen, hätte sie diese geäußert.

Er küsste sie zum Abschied und war froh, einmal mehr, nicht genug Zeit zu haben um sich zu mehr verleiten zu lassen.

Arasmus erschien mit derselben, ausdruckslosen, auf den Dienst konzentrierten Miene wie jeden Tag davor. Kein Zucken darin verriet, ob er die Zuneigungsbekundung gesehen hatte oder nicht.

Sie salutierten und der Schotte vertraute Beth dem Kollegen an.

Beth sah ihm nach.

Arasmus brummte leicht und so schloss sie sich ihm an.

Ihre Schwester war heute auf dem Weg zur botanischen Anlage. Es war Teil des Kurses, den sie belegte.

So vertiefte Beth sich in den Stoff ihres ersten Anthropologie-Vorbereitungskurses.

Es begann zu dämmern, als sie die Bibliothek im Anschluss daran verließ, fasziniert, wie erklärlich menschliches Verhalten zu sein schien und wie anders der Inhalt verglichen mit einer Psychologie-Lesung war. Es würde ihr schwerfallen sich auf einen oder zwei Kurse festzulegen, zu beeindruckend waren die Themen, zu interessant, zu wissensreich. Wie sollte sie zwischen Anatomie, Psychologie und Anthropologie je entscheiden?

Sie bemerkte nur am Rande, wie Arasmus sie dirigierte. Vertieft in ihren Gedanken hatte sie kein Gespür dafür wohin sie lief. Ein um das andere Mal wäre sie beinahe gegen eine Hauswand oder eine Laterne gelaufen, dann wieder vor ein Fahrzeug, weil sie keinen Blick für die Ampel oder die Straße hatte.

Er seufzte. Diese Weib nervte, je länger er sie begleitete. Wenn sie ihn überhaupt mal ansah, wenn wie sie sich überhaupt mal umsah, stellte sie komische Fragen, wollte wissen, warum er Star Sheriff war, was ihn zu dieser Entscheidung bewogen hatte? Bewogen. Wer redete denn schon so geschwollen. Außerdem war die Frage lächerlich. Ohne Angriffe ihres Volkes bräuchte man keine Star Sheriffs. Er kam sich veralbert vor und das war die freundliche Formulierung dafür.

Es hatte nicht lange gedauert, nur drei schlappe Wochen und er war genervt. Eine grandiose Leistung. Darauf konnte sie sich ordentlich was einbilden.

Die Laternen leuchteten auf. Arasmus sah sich um. Nichts verdächtiges zu sehen, nur ein Student, der einige, nicht ganz hundert Meter hinter ihnen lief. Soor sah sich um und griff nach der Schulter der Outriderin. Wieder musste er aufpassen, dass sie nicht gegen die Laterne lief. Dabei dürfte es mittlerweile schwer werden, noch Buchstaben in ihrer Lektüre zu erkennen. Dennoch tat sie, als sie vertieft darin.

Sie blätterte eine Seite um.

„So ein Theater. Was finden die nur an euch Outridern?“, brummte Soor missmutig und holte Beth gedanklich aus dem Inhalt ihres Buches. Überrascht, weil ihr Bewacher sie ansprach, etwas vom „Finden“ sagte, hakte sie nach: „Ist was verloren gegangen?“ Mit ihren großen Augen schaute sie ihn an.

„Oh, hör einfach auf mich zu nerven,“ brummte er unfreundlich zurück.

Beth verstand nicht. „Warum soll ich dich nicht nerven? Dafür müsste ich doch zunächst etwas tun, dass dir missfällt?“, fragte sie zurück, aufrichtig bemühte zu erkennen, aus welcher ihrer Verhaltensweisen sein Unmut resultierte. Mit großen Augen sah sie ihn dabei an und sprach neutral, beinahe unbeteiligt.

Arasmus wurde wütend.

„Das tust du jeden Tag“, fuhr er sie an. „Ich schiebe und leite dich durch die Straßen als wäre ich ein Viehtreiber.“ Er packte sie am Oberarm und zerrte sie in die Seitenstraße, die auf ihren Weg mündete. Dann drückte er sie gegen die raue Wand des Gebäudes, das die Straße säumte. „Ich bin ein Star Sheriff“, stellte er ungehalten klar. „Hab wenigstens den Anstand, mich mal anzusehen. Zeig dich mal erkenntlich.“

Überrascht riss sie die Augen auf, nicht im Stande seinen Ausbruch in seiner Heftigkeit zu verstehen.

„Ich habe gelesen“, versuchte sie sich zu erklären. „Was erwartest du von mir? Wie soll ich mich erkenntlich zeigen?“ Eine ehrliche Frage, die ihm die Bereitschaft signalisieren sollte, dass sie ihr Verhalten ändern würde, um ihn zu beruhigen.

Arasmus‘ grüne Augen funkelten. Mit der freien Hand strich er ihr die Haare aus dem Gesicht. Unter seinen Fingern fühlte er ihre weiche Haut. Die seiner Verlobten, seiner Beth hatte sich auch so angefühlt. Seine Beth, die nie auf den Gedanken gekommen wäre, so dumme Fragen zu stellen, die immer wusste, was in ihm vorging. Mit ihren großen, braunen Augen hatte sie ihn stets durchschaut, war warmherzig und liebevoll. Aber seine Beth war nicht mehr. Dafür diese hier. Diese hier. Eine Outriderin obendrein. Das war nicht fair. Eisiger Zorn breitete sich in jeder Faser seines Körpers.

Er näherte sein Gesicht ihrem. Ihre Augen waren fast so groß und dunkel wie die seiner Beth.

„Wie zeigst du denn der Nachtschicht deine Dankbarkeit?“, fragte er rau.

„Nachtschicht?“ Beth versuchte sich von ihm loszumachen. Er tat ihr weh. Die raue Wand bohrte sich an einigen Stellen unsanft in ihren Rücken. „Was meinst du?“

Seine Beth war nicht mehr. Seine Beth hätte ihn nie so behandelt und dieses überhebliche Weib vor ihm tat so, als wüsste es nicht wo von er sprach. Als wäre er nicht gut genug. Aber nicht mit ihm.

Er presste sie fester gegen die Wand, gab sein Gewicht in den Arm, mit dem er sie festhielt. Mit der freien Hand fasste er den Saum ihres T-Shirts und hob ihn an. Sie würde schon verstehen. Er hatte bei Dienstantritt genug gesehen. Sie würde verstehen.

„Was darf Saber mit dir machen?“, fragte er dunkel zurück.

Sie versuchte die Hand von ihrer Kleidung zu drücken.

„Lass mich los. Du tust mir weh“, bat sie unbeholfen.

Doch er dachte nicht daran. Nein, er dachte nicht im geringsten daran. Das war für seine Beth. Das war nur fair. Eine Beth für seine Beth.

Ein Bein drückte er zwischen ihre, näherte sich ihrem Ohr und raunte ihr warnend zu. „Wenn du dich nicht wehrst, tut es nicht weh.“ Seine Hand strich fest den Stoff ihres T-Shirts zu ihren Dekolleté hinauf, entblößte ihren BH und seinen Inhalt.

Beth schrie erschrocken auf. „Das tut er nicht. Lass mich los. Lass mich los!“ Jetzt verstand sie und brachte all ihre Kraft auf um sich zu wehren, ihn von sich zu drücken, doch viel hatte sie nicht aufzubieten.

Arasmus gelang es ihr Shirt ganz auf ihr Dekolleté zu schieben und griff entschlossen nach ihrem BH.

„He, was ist da los?“

Der Ruf hielt ihn davon ab. Er warf einen Blick über die Schulter und sah den Studenten an der Mündung zu dieser Straße stehen. Im vom Laternen erhellten Dunkel erkannte er ihn an seiner Statur. Er hatte also aufgeschlossen und diese Kleine hatte spätestens jetzt mit ihrem Geschrei seine Aufmerksamkeit auf sich gelenkt.

„Hau ab. Hier gibt es nichts zu sehen“, herrschte er den Störenfried an. Dann presste er die Hand, die eben noch an ihrem BH lag, auf ihren Mund. Er brachte seinen Kopf wieder an ihr Ohr. „Schreist du bei Saber auch so?“, fragte er mokant und leise.

Beth protestierte, so gut sie konnte. Sie schüttelte den Kopf, versuchte seine Hand von ihrem Mund zu schütteln und ihn irgendwie von sich zu schieben, doch es wollte ihr nicht gelingen.

„Ich glaube, die Lady sagte, du sollst sie los lassen.“ Schritte verrieten, dass der Student näher kam. Er ließ sich nicht verscheuchen, jetzt, da er sich der Situation sicher war. Er war Zeuge eines gewaltsamen Angriffs auf eine Frau. Er konnte nicht weiter gehen, als ginge es ihn nichts an. Er musste ihr helfen. Das würde jeder tun. Er zog sein Com aus der Tasche und begann zu wählen. Notrufnummer. Standortortung des Absenders aktivieren.

„Ist keine Lady, nur ein Outrider“, bellte Arasmus zurück und versuchte die Zappelnde ruhig zu stellen. Sie wehrte sich heftig. Er verlor die Geduld.

Als eine schallende Ohrfeige durch die Seitenstraße hallte gefolgt von einem „Hör jetzt endlich auf“ , drückte der junge Mann die Kennziffer für die Tat, die er bezeugen konnte und setzt an den Notruf ab. Dann rannte er auf den Mann zu, der die Frau geschlagen hatte, und legte ihm die Hand auf die Schulter um ihn aufzuhalten.

Doch er hatte sich verschätzt. Während die Frau wie benommen zusammen sackte, fuhr ihr Angreifer herum, als er die Hand auf spürte, und versetzte ihm einen Schlag, der ihn zurück taumeln und Sterne sehen ließ. Er fand sich im Schmutz der Straße wieder und versuchte seine Sinne zu sammeln.
 

Beth durch fuhr der Schmerz jäh. Sein Schlag war hart gewesen, hatte ihr die Sinne vernebelt. Sie spürte wie ihr Körper zu Boden glitt, jetzt da Arasmus sie nicht länger hielt, versuchte, den Fall zu bremsen. Der Aufprall blieb unsanft.

Irgendwo hier in der Straße knallte es noch einmal. Sie nahm nicht wahr, woher das Geräusch kam.

Sie hob den Kopf um sich zu orientieren.

Jemand packte ihren Oberarm, als wollte er ihn zerquetschen.

„Wir beide sind noch nicht fertig“, hörte sie Arasmus an ihrem Ohr, rau vor innerer Aufruhr. Er zerrte sie hoch, ungeachtet ihres Versuches, sich dagegen zu wehren.

Dann ließ ein wütendes Grollen ihren Angreifer erstarren.

Ehe irgendwer in diese Straße begriff, was geschah, stürzte sich eine Gestalt auf Arasmus, riss ihn von Beth weg und stieß ihn zu Boden.

Verwirrt sah sie, auf die beiden Körper. Sie begannen zu ringen, wütend und erbarmungslos.

Sie erkannte in dem wilden Gemenge auf der halb dunklen Straße, Sabers helles Haar und seine breiten Schultern und griff sich an den Hals. Ihr Herz schlug bis dorthin hinauf. Er war hier. Saber war hier.

„Komm“, sprach eine Stimme sie an. Sie schaute auf. Der Student, der sich eingemischt hatte, reichte ihr die Hand und half ihr auf die Beine.

„Geht es dir gut?“ erkundigte er sich. „Der hat einen Schlag drauf …“

„Es geht schon. Danke“, erwiderte sie und strich ihre Kleidung glatt.

„Komm weg von hier.“ Er führte sie zu zur Mündung der Straße. Es gelang weder ihm noch ihr den Blick von den Männern zu lösen.

Ein tobendes Gewirr aus Armen und Beinen. Bald gewann der eine die Oberhand, bald der andere. Dann schlugen sie rasend auf den anderen ein, ließen die Fäuste auf ihn niederkrachen, als wollten sie ihn zertrümmern, zerschmettern.

„Oh, man, die schenken sich gar nichts“, brachte der junge Mann neben Beth fassungslos hervor. Hatte er es eben noch in Erwägung gezogen, die beiden Kämpfenden zu trennen, fürchtete er nun um sein eigenes Heil. Nein, das war sicher ungesund. Schon der erste Schlag, den der Angreifer der jungen Frau ihm versetzt hatte, hatte ihn als kampferprobt entlarvt. Sein jetziger Kontrahent bewies, dass er es mit ihm aufnehmen konnte.

Der Student schaute auf die junge Frau mit dem blass lila Haar. Sie schaute mit weit aufgerissenen Augen auf die beiden Kontrahenten.

„Keine Sorge“, versuchte er sie zu beruhigen, „Hilfe ist unterwegs. Ich hab den Notruf verständigt.“

Das Gefühl, das sie ergriff, kannte Beth. Zum ersten Mal verspürte sie den irrationalen Wunsch, Schaden von jemand abzuwenden, wohl wissend, dass sie weder die Fähigkeiten noch die Möglichkeiten dazu hatte, nicht in Bezug auf ihre Geschwister. Diesmal galt der Wunsch Saber, gewachsen nicht aus Sorge sondern Angst um ihn. Ein allzu menschliches Gefühl, über das Jean-Claude milde gelächelt und Annabell skeptisch geurteilt hatte. Zu emotional für einen Outrider. Doch es kam in ihr auf, ohne das sie Einfluss darauf nehmen konnte. Es trieb ihr die Tränen in die Augen und in die Stimme.
 

Arasmus gelang es den Schotten erneut auf den Boden zu drücken. Vorgesetzter oder nicht, es war ihm gleich. Blind vor Wut hob er die Faust erneut zum Schlag.

Nicht weniger rasend riss der die Arme hoch um den Angriff abzuwehren.

Dann drang ein tränengetränkter Schrei zu ihnen hinüber.

„SABER…“

Er zerriss nicht nur die Nacht, nicht nur den Kampf. Er fuhr tief ins Herz des Recken und trieb seine ungezügelte Wut in andere Bahnen.

Für einen Moment erstarrten die Kämpfenden und es reichte um mit einem gut gezielten Schlag gegen Arasmus Solarplexus ihm die Luft auf dem Körper zu pressen und ihn zusammen sacken zu lassen.

Saber kam auf die Beine und stürmte zu Beth.

Er riss sie an sich und hielt sie fest, presste sie so nah an sich wie er nur konnte. Nässe drang durch den Stoff seines Oberteils auf seine Haut.

Sie weinte.
 

Die Hilfe, die der Student gerufen hatte, traf ein, zwei Minuten später ein. Gregor, wie der Student hieß, war sehr kooperativ und informierte die Beamten sofort genau über das, was sich ereignet hatte.

Arasmus hatte sich gerade erholt, als man ihm Handschellen anlegte.

Der letzte Schlag des Schotten war heftig genug gewesen, um ihn für einige Zeit das Bewusstsein zu rauben.

Er knurrte vor sich hin, als man ihn in den Streifenwagen brachte und mit ihm davon fuhr. Der zweite Wagen, der gesandt worden war, befragte die verbliebenen.

Beth‘ Tränen beachtend und ihre offensichtliche Verstörtheit respektierend, verhielten sich die Beamten sachlich und diensteifrig. Saber versprach ihnen einen ausführlichen Bericht zu den Hintergrundinformationen, machte aber sachlich deutlich, dass er die Frau, die er immer noch im Arm hielt, umgehend nach Hause zu bringen gedachte, damit sie sich ausruhen konnte.

Er dankte Gregor für sein beherztes Eingreifen und bot ihm an, ein Taxi nach Hause zu bezahlen. Er lehnte das Taxi ab, war aber sichtlich stolz auf den Dank eines Star Sheriffs.

Als die Beamten sie nach Hause schickten, waren Beth‘ Tränen endlich versiegt. Zwei dunkle Flecken auf der Kleidung des Schotten wiesen noch daraufhin.

Er legte den Arm um sie und winkte ein Taxi heran.

Es fuhr sie rasch nach Hause.

Sie schwiegen die Fahrt über. Schwiegen noch, als der Aufzug sie auf die Etage trug, auf der er wohnte und auch noch, als sie über den Hausflur zu seiner Wohnung liefen.

Saber führte Beth ins Wohnzimmer und setzte sie behutsam auf die Couch. Er kniete sich vor sie und betrachtete ihr Gesicht eingehend.

Sie wirkte ruhig, gefasst, und vor allem, wie es schien, unversehrt.

Er strich ihr mit der Hand über die Wange, die Arasmus geschlagen hatte. Sie war nicht geschwollen. Er öffnete den Mund, kam aber nicht zum Sprechen.

Beth streckte die Hände nach ihm aus und berührte die Stelle an seiner Lippe, die durch einen Treffer aufgeplatzt war. Obwohl sie die Wunde behutsam berührte, zuckte er leicht zusammen, ob der unvermittelten Geste.

„Du bist verletzt.“ Eine schlichte Feststellung. Ihre Finger glitten von seiner Lippe hinunter zu seinem Kinn, verloren sich kurz in der Luft, ehe sie den Kragen seines Hemdes berührte und die Knöpfe zu lösen begann.

Er schluckte unwillkürlich.

„Lass mich sehen, wie sehr.“ Sie strich den Stoff auseinander und ertastete die Haut darunter. Sie spürte seinen Herzschlag.

„Dein Herz. Es schlägt sehr schnell.“

Er legte seine Hand auf ihre und hinderte sie so daran, sie weiter abwärts zu bewegen.

„Mir fehlt nichts“, brachte er hervor. „Was ist mit dir?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Du bist verletzt und dein Herz schlägt schneller als normal.“

Das tat es wirklich. Einerseits, weil Sabers Wut auf Arasmus noch nicht verebbt war und andererseits, weil ihre zärtlichen, behutsamen Berührungen jene Wünsche nach ihr entflammten und ihn schlichtweg erregten.

„Ich bin aufgebracht, darum schlägt mein Herz schneller“, erwiderte er. Besser gelang es ihm nicht es in Worte zu fassen und es beschrieb seinen Zustand dennoch treffend.

„Was bringt dich auf?“

„Was Arasmus getan hat. Wie er dich behandelt. Was er mit dir machen wollte. Er hätte dich beschützen sollen, nicht über dich herfallen.“ Saber atmete durch. Es gelang ihm, in einem ruhigen Ton zu sprechen. Es bezähmte seine Aufregung.

„Über mich herfallen.“ Beth nickte, als wäre sie nun im Stande die Ereignisse des Abends zu ordnen. Zumindest begann sie damit. „Ich habe ihn nicht verstanden. Nicht verstanden, warum er auf einmal so wütend war und was er meinte, als er von 'Dankbarkeit der Nachtschicht zeigen' sprach.“

Es war gut, dass sie sprach. Es bot ihm die Gelegenheit, die Informationen zu erhalten, die er den Beamten versprochen hatte.

„Was hat er genau gesagt?“, forschte er daher nach. Er ahnte ihre Antworten, befürchtete sie, aber sie waren für den Bericht notwendig, fehlten sie noch darin.

„Er sagte, er sei kein Viehtreiber, ich solle ihn ansehen und mich erkenntlich zeigen. Er fragte, wie ich der Nachtschicht meine Dankbarkeit zeigen würde und das es nicht weh tun würde, wenn ich mich nicht wehre“, sagte sie schlicht. Nicht zu erkennen, in wie weit sie erschüttert davon war, oder ob sie ihre Verstörtheit nun im Griff hatte. Eine sachliche Ebene schien grundsätzlich gerade hilfreich zu sein. Dennoch presste Saber die Kiefer aufeinander. Es widerte ihn an: „So was von einem Star Sheriff“, knurrte er leise. Dann besann er sich eben jener Sachlichkeit.

„Was hat er getan, bevor der Student gekommen ist?“

„Er hat mich an die Wand gedrückt. Mein Shirt hoch geschoben und sein Bein ...“ Sie hielt in der Antwort inne, als sie die Anspannung in seinem Kiefer bemerkte. Sie nahm ihre Hand von seiner Brust und legte sie an sein Kinn. Tatsächlich, sie hatte sich nicht getäuscht. Sein Kiefer fühlte sich so verspannt an, wie sein Anblick vermuten ließ. „Ich sollte nicht mehr erzählen. Es regt dich auf.“

Er entspannte sich ein wenig unter ihrer Berührung.

„Ich muss es aber wissen, Beth. Ich muss darüber Bericht erstatten. So etwas darf nicht noch einmal vorkommen.“

Kapitel 20

Sie nickte verstehend und fuhr fort. „Er hat sein Bein zwischen meine gedrängt. Ich hab geschrien. Er fragte mich, ob ich für dich auch so schreie. Ich habe nicht verstanden, was er damit meint. Ich wollte, dass er mich los lässt. Ich habe ihn gebeten, dass zu tun.“

Ihre Worte bestätigten seine Befürchtungen. Trotzdem verschlugen sie ihm für einen Moment die Sprache. Er konnte sich gut vorstellen, wie Beth in dem Augenblick geschrien hatte. Ganz sicher waren es nicht die Schreie, die er von ihr hören wollte, wenn sie zu diesem Schritt bereit war. Irgendwas musste in Arasmus Oberstübchen gewaltig schief laufen, wenn er in dem Kontext so eine Frage stellen konnte, überhaupt im Stande war eine solche Situation zu schaffen. Einfach pervers.

„Er hätte dich nicht festhalten dürfen und nichts von alledem tun oder sagen“, brachte er dann hervor. „Er war dabei, eine Straftat zu begehen. Niemand darf einen anderen gegen seinen Willen festhalten oder das tun, was Arasmus mit dir tun wollte.“

„Ich kenne das nicht. Ich verstehe es nicht“, erwiderte sie. Saber konnte sich das gut vorstellen. Es würde in ihrer Heimat einen effektiven Ablauf stören. Außerdem passte es nicht zu dem ausbalancierten Hormonhaushalt, der ihr Volk so kühl und emotionslos erscheinen ließ.

Wie sollte er es ihr erklären? Nachdenklich runzelte er die Stirn, den Blick nicht von ihrem ruhigen Gesicht lösend.

„Es gibt Regeln für das Zusammenleben von Menschen, wie bei euch. Viele davon betreffen das Verhalten anderen Menschen gegenüber. Es ist notwendig um unsere Bedürfnisse aller Art so zu kontrollieren, dass das Zusammenleben für alle gut verlaufen kann. Es gibt Menschen, die die persönlichen Grenzen anderer nicht akzeptieren. Um diese Grenzen zu schützen, gibt es Verbote, die bei nicht Einhaltung mit Strafe durchgesetzt werden. Wenn also jemand dein persönliches Wohl bedroht, dann macht er sich strafbar“, fasste er es so kurz und prägnant wie möglich für sie zusammen.

„Arasmus wird eine Strafe für sein Tun bekommen“, fügte er dann noch hinzu.

Es half ihr zu verstehen, Stück für Stück. Sie würde es wohl später besser begreifen, aber immerhin hatte sie nun einen Ausgangspunkt dafür. Daher konnte sie sich auf ihre nächste Frage konzentrieren.

„Was ich auch nicht verstehe, ist: Was dich so ... so ... wütend gemacht hat? Ich hab dich nie so ... außer dir? sagt man das so? gesehen. Es war, wegen dem was er getan hat, nicht wahr?“

Saber nickte. „Ich war in Sorge um dich, Beth. Du bist mir sehr wichtig, ich möchte nicht, dass jemand dich verletzt oder bedroht. Ich hätte dich besser beschützen sollen.“

„Ich habe mir auch Sorgen um dich gemacht. Ich wollte nicht, dass dir was geschieht“, erwiderte sie. Ihre Stimme verlor an Sachlichkeit, wurde sanfter. Ihre Hand glitt von seinem Kinn zu seinen Lippen, betastete noch einmal behutsam prüfend die kleine Verletzung daran. Ihr Blick richtete sich darauf, prüfte ebenfalls und verfing sich schließlich daran. „Ich wollte nicht, dass du verletzt wirst. Ich hab dich sehr gern.“

Die Art, wie sie es sagte, jagte ihm einen warmen Schauer durch den Körper. Seine Zuneigung wuchs an, gab sie nicht nur zu, ihm zu getan zu sein, sondern auch noch mit einer Stimme, die diese Worte zärtlich unterstrich.

Er hauchte ihren Fingerkuppen einen leichten Kuss auf.

„Dann verstehst du, weshalb ich so außer mir war. Ich hab dich nämlich auch sehr gern. Ich will nicht, dass du leidest“, erwiderte er belegt.

„Hm, ich verstehe es. Ich hatte heute ebenso große Angst um dich, wie sonst um Jean und Annabell, wenn sie auf Mission waren. Ich liebe meine Geschwister.“ Sie löste ihren Blick von seinen Lippen und schaute ihn an. Während sie sprach, wurde ihr etwas klar. Die Angst, die sie befallen hatte. Fremd war sie ihr nicht, doch hatte sie nicht verstanden, wie Saber sie in ihr ausgelöst hatte. Nun begriff sie es. „Das bedeutet: Ich liebe dich.“

Überrascht starrte er sie an. Er musste sich setzen. Hatte sie das wirklich gesagt? Hatte sie ihn bereits nach diesem Monat, den sie sich nun kannten, mit ihren Geschwistern gleich gesetzt. Er bezweifelte nicht, dass sie sie liebte. Je länger er die drei kannte, desto offensichtlicher wurde es. Doch ebenso wusste er auch, dass Outrider viel Zeit auf die Wahl ihres Partners verwendeten.

Sein Herz, das sich während des sachlichen Gesprächs beruhigt hatte, raste nun wieder in seiner Brust.

„Beth… Tust … Tust du das wirklich?“, stammelte er perplex.

„Ja, kein Zweifel,“ nickte sie schlicht, die Stimme noch immer sanft.

Nebensächlich, dass sie spüren konnte, was ihre Worte für eine Wirkung auf ihn hatten, ehe sie es sich versah, zog Saber sie sich und umarmte sie innig.

„Ich liebe dich auch", raunte er bewegt an ihr Ohr, verborgen unter ihrem weichen, welligen Haar. Mit einer Hand strich er darüber.

Vorsichtig bewegte sie sich an ihm, brachte ihren Körper in eine bequemere Position. Mit einem Bein kniete sie schon neben seiner Taille. Etwas ungeschickt schob sie nun das andere, das gefährlich nah an seinem Schritt auf dem Boden aufgekommen war, über sein Bein und kam so auf seinen Schoß.

Sie kam wieder in seine Arme, hielt sich aber so weit von ihm entfernt, wie es nötig war, um ihn anzusehen.

„Warum bist du so überrascht?“, fragte sie leise.

„Ich bin tatsächlich überrascht“, musste er zugeben. „Versteh mich nicht falsch, ich wusste, du magst mich und findest mich interessant, aber dass du mich liebst … ist …“ Er suchte nach den passenden Worten, was etwas schwerer fiel als davor, jetzt da sie so auf ihm saß. „Es entspricht nicht eurem Effektivitätsprinzip.“

„Tatsächlich entspricht es dem Prinzip gänzlich. Eine Symbiose ist keine lieblose Sache, wie das Wort euch vielleicht vermittelt. Die Symbiose meiner Eltern war sehr liebevoll, beinahe übermäßig. Es wird viel darüber diskutiert, ob das der Grund für die ... hm ... Belastung unserer Familie ist.“

„Das wollte ich damit nicht sagen, Beth. Aber ich hatte den Eindruck, dass ihr sehr genau und lange prüft, bevor ihr eine Symbiose eingeht. Wir kennen uns noch nicht lange, deshalb... Umso erfreuter bin ich, dass du meine Gefühle erwiderst.“

Sie senkte den Blick, ließ ihn zu den geöffneten Knöpfen seines Hemdes gleiten, beinahe schuldbewusst, vielleicht auch verschämt. „Denke nicht, ich würde nicht prüfen. Das tue ich so sorgfältig wie jeder von uns. Nur ist es wohl so, dass aufgrund meiner ... unserer Belastung ich ... schneller entscheide.“

„Das ist mir durchaus bewusst.“ Ihre körperliche Zurückhaltung sprach dafür, so viel war ihm klar. Er legte einen Finger unter ihr Kinn und drückte es sacht wieder nach oben. „Beth, sieh mich an“, bat er warm. „Ich möchte, dass du prüfst und nach bestem Wissen und Gewissen entscheidest. Wenn deine Entscheidung auf mich fällt, freue ich mich umso mehr“, gab er ihr die Zeit, über ihre Entscheidung nachzudenken und sie so oft zu prüfen und vielleicht auch zu bestätigen, wie sie es für richtig hielt. Es bedeutet geduldig zu sein, wo andere längst einige Schritte weiter waren, das morgendliche Begrüßungskomitee zu akzeptieren ebenso wie den erhöhten Wasserverbrauch. Aber was war das schon, wenn dafür eine Frau an seiner Seite war, die ihm mental und physisch in jeder Weise das bot, wonach er sich schon so lange sehnte, auch wenn er über den physischen Aspekt gerade nur phantasieren konnte.

„Aber das ist sie doch längst.“ Ihre Worte waren kaum mehr als ein Hauch. Ihre großen Augen schauten ihn mit der selben Zuneigung an, die in diesem Flüstern lag, und ihre Sanftheit reichte, um einen Sturm in ihm zu entfesseln. Einmal mehr.

Er presste sie an sich und küsste sie stürmisch, eroberte ihre weichen Lippen begierig. Sie kam ihm entgegen, neugierig, wie bisher, und intensiver als sonst.

Ihre Arme glitten um seinen Hals. Ihre Finger fuhren über seinen Nacken in sein Haar.

Er spürte sie an sich, ihre Rundungen an seinem Oberkörper, ihre schlanke Taille, ihr wohlgeformtes Hinterteil, ihre straffen Oberschenkel unter seinen streichelnden Händen.

Zu gern würde er ihre Haut auf seiner fühlen, dem störenden Stoff die Geheimnisse entreißen, die er noch verbarg. Doch nach den Ereignissen dieses Abends kam er sich bei diesem Gedanken wie ein Mistkerl vor.

Der Hunger in seinen Küssen verriet ihn ebenso wie die sehnsüchtigen Laute, die ihm entwichen, als er ihre Finger wieder an der Knopfleiste seines Hemdes spürte.

Behutsam lösten sie die letzten Verschlüsse und schoben den Stoff von seinem Oberkörper zurück, lösten ihn aus dem Hosenbund. Ein Prickeln lief über seine Haut, wo ihre Finger ihn berührten und er erschauerte erregt.

Ein Gedanke schob sich in sein vernebeltes Gehirn.

So fantastisch es sich auch anfühlte, so sehr es ihn auch berauschte und er sich danach sehnte, er hielt ihre Hände fest, als sie das Hemd über seine Schultern schieben wollte.

„Beth … du … musst nicht …“, brachte er hervor, sich im gleichen Moment selbst dafür verfluchend, um was er sich mit diesen Worten wohl selbst brachte.

Sie schüttelte leicht den Kopf und strich, ungeachtet seiner Worte, sein Hemd über seine Schultern, löste es zielstrebig von seinem Körper.

Er legte genießend den Kopf in den Nacken und schloss die Augen.

Ihre Finger glitten über seine Schultern zurück, über seine Brust, zeichneten die Konturen seiner Muskeln nach, zärtlich und neugierig wie ihre Küsse. Verspielt und stetig wanderten sie über seinen Körper und hielten an seinem Gürtel.

Es dauerte ein paar Lidschläge, bis er begriff, dass sie sich daran zu schaffen machte, um ihn zu öffnen.

Jeder Fähigkeit beraubt noch logisch zu denken und zu handeln, irgendetwas als moralisch richtig oder falsch beurteilen könnend, ließ Saber sich auf den Boden sinken und schlug sich die Hände vors Gesicht.

„Oh Gott“, stöhnte er auf.

Die Hände an der halb geöffneten Hose hielten inne.

„Soll ich aufhören?“ Beth‘ Irritation war greifbar.

Er riss die Augen auf und die Hände von seinem Gesicht.

„Bloß nicht!“

Mit einer Hand griff er nach ihr, fuhr in ihren Nacken und zog sie zu sich. Verlangend, beinahe fordernd eroberte er ihren Mund und hieß ihre experimentierfreudige Zunge zwischen seinen Lippen willkommen.

Unerfahren, aber neugierig forschend setzten ihre Hände an seinem Gürtel ihr Tun fort, raubten ihm den Verstand und erfüllten seine Sehnsucht .
 

Er fühlte ihren Körper nah an seinem.

Der Duft von Mandelblüte drang aus ihrem Haar in seine Nase, mischte sich mit dem Geruch ihrer Haut im Nacken.

Er umschloss sie fest, zog sie noch ein wenig enger an sich.

Ihre Worte vom Vorabend hallten noch in seinem Kopf und die Erinnerung an das, was sie getan hatte, beflügelte sein Herz.

Er strich, noch halb schlummernd über den Stoff ihres Shirts, ertastete ihre Körper darunter.

Sie schmiegte sich schlafend an ihn und tiefer in seine Arme, seufzte leise.

Er lächelte an ihren Nacken. Was sie für ihn getan hatte, sollte seinerseits nicht unbeantwortet bleiben. Es wäre selbstsüchtig von ihm, hatte sie ihn auch gestern damit überrascht. Er würde einen Weg finden, ihr …

Der Wecker schellte, rief zum Tagewerk auf.

Widerstrebend aber behutsam löste er sich von ihr. So schön der Morgen auch war, der Tag hielt eine mehr als unangenehme Aufgabe für ihn bereit. Bericht über den gestrigen Vorfall erstatten und Ersatz für Soor anfordern.

Er richtete sich auf, zum ersten Mal, seit er ihr begegnet war, ohne Begrüßungskomitee, und betrachtete die Schlafende einen Moment lang.

Der Wecker tönte erneut.

Sie blinzelte und rieb sich die Augen, dann sah sie ihn an.

„Hey“, grüßte er sie lächelnd, „magst du frühstücken?“

Sie nickte verschlafen, schob sich unter der Decke hervor und ging ins Badezimmer.

Währenddessen meldete Saber sich beim Scharfschützen und bat ihn, Broik vorbeizuschicken und Beth zur Universität mitzunehmen. Dann begann er den Bericht zu verfassen.

Beth machte ihm Frühstück, störte ihn aber nicht in seiner Arbeit.

Als ihre Schwester und deren Bodyguard erschienen, versandte Saber gerade den Bericht.

Er hatte gerade noch Zeit, sich von Beth zu verabschieden und ihr vorbereitetes Müsli, Saft und Kaffee hinunterzustürzen, ehe er selbst aufbrechen musste.

Noch zwei letzte Wohnungen galt es zu prüfen. Die Nachbarschaft war, seinen Recherchen nach, sogar einigermaßen passend.

Vielleicht waren sie endlich erfolgreich. Es wurde Zeit, auch wenn er Beth gern noch eine Weile länger bei sich hätte.
 

Die Wohnungen, die sie besichtigten, befanden sich in einem Wohngebiet nahe einer Einkaufsmeile und der historischen Altstadt, wie man den ursprünglichen Stadtkern eher scherzhaft nannte. Mit antiken Bauten konnte der Kern nicht aufwarten, es war die veraltete Architektur, der er den Namen verdankte.

Von jenem Zentrum und der Meile getrennt durch eine Parkanlage wuchs ein Quadrat aus zehnstöckigen Wohnhäusern. Jedes einzelne dieser vier bot auf jeder Etage Wohnungen mit höchsten drei Zimmern an. Bei Studenten, Wohngemeinschaften und anderen jungen Erwachsenen, die eben ins Berufsleben starteten, war dieser Gebäudekomplex sehr beliebt, waren die Wohnungen nicht allzu groß und durchaus erschwinglich. Dafür musste man einen längeren Weg zu den Universitäten in Kauf nehmen, was es den meisten Wert war.

In einen dieser Blöcke hatte Saber eine anderthalb Zimmer-Bleibe für Jean-Claude geblockt. Sie lag im obersten Stockwerk und war tatsächlich nur zweckmäßig. Die Eingangstür führte auf einen kleinen Flur. Gleich nach der Eingangstür befand sich auf der einen Seite ein winziges Badezimmer, auf der andern Seite eine Abstellkammer. Jener kleine Flur mündete in eine Wohnküche, mit einem schmalen Balkon und einer kleinen Nische, in der ein schmales Bett Platz finden würde. Sowohl von der Wohnküche als auch von der Schlafecke aus, konnte man auf den Balkon treten und weit über das Gebiet schauen.

Die Wohnung, die für die Mädchen in Frage kam, lag im Block gegenüber. Man konnte von hier auf deren Balkon schauen. Jean-Claude hatte also seine Schwestern im Blick.

Das würde ihn beruhigen, dachte sich April dabei.

Sie besichtigen diese ebenfalls. Die beiden Schlafzimmer waren klein und durch ein Bad von einander getrennt. Ein kleiner Eingangsbereich führte ihn ein durchaus geräumige Wohnküche, an die auf der einen Seite eben die Schlafräume grenzte. Denen gegenüber befand sich ein schmaler Balkon, der sich über die Länge des Raumes zog.

Beide Wohnungen waren klar geschnitten und übersichtlich, boten kaum Möglichkeiten, sich darin zu verbergen, ohne aufzufallen. Das entsprach ihren Vorstellungen sehr.

Sie nickten einander zu. Die Suche war endlich erfolgreich.
 

Dann erreichte der Ruf Commander Eagles sie. Er bat um eine sofortige Unterredung bei der auch Beth anwesend sein sollte. Saber machte sich auf den Weg sie abzuholen, ließ seine Kollegen schon einmal voraus gehen.

So eilig wie er heute morgen schon aufgebrochen war, so eilig hatte er es auch jetzt. Die Zeit seine Kollegen über die Ereignisse des Vorabends zu informieren, hatte er nicht und nun, da der Commander rief, brauchte er sie nicht mehr. Es würde sich ohnehin nun aufklären.

Als er mit Beth aus dem Aufzug trat, erhoben sich Colt, Fireball und April aus der Sitzecke neben Misses Stones Empfangstresens. Die Sekretärin führte sie in das Büro des Commanders, wirkte etwas aufgelöst und hektisch. Ihre Freundlichkeit bröckelte ein wenig. Das Telefon klingelte, ihrer Miene nach, zum unzähligen Mal.
 

Eagle erwartete sie an seinem Schreibtisch. Neben ihm saß Senator Weyer, dessen harte Züge verbargen, was er dachte.

„Schön, dass Sie alle hier sind“, begrüßte der Commander sie und wies auf die Stühle vor dem Tisch. Sie erwiderten den Gruß und setzten sich.

„Mich erreichten mittlerweile zwei Berichte zu einem ausgesprochen ungeheuerlichen Vorfall, der sich gestern Abend ereignet hat,“ eröffnete Eagle das Gespräch Es schien, als Weyers Braue leicht bei diesen Worten. „Es gibt Gesprächsbedarf.“

„Was für ein Vorfall?“, erkundigte sich April erstaunt.

„Es kam gestern Abend zu einem Übergriff auf Miss Beth Baxter“, erklärte er, wobei er den Namen der jungen Frau verwendete, der ihrer neuen Identität entsprach. „Bedauerlicherweise handelt es sich bei dem Täter um ihren Leibwächter. Saber Rider hat bereits einen ersten Bericht vorgelegt, der sich mit dem der Beamten vor Ort deckt. Ihr seid hier, weil ihr für die Geschwister verantwortlich seid. Ihr sollt nicht nur Bescheid wissen, sondern auch dafür sorgen, dass so etwas nicht mehr vorkommt.“ Dann nickte er Saber zu, der ihnen berichten sollte.

„Entschuldigt bitte. Ich bin noch nicht dazu gekommen, euch davon zu erzählen“, schickte der voraus, ehe er auszuführen begann. Er schilderte, dass die an diesem Tag anberaumte Besprechung ihn dazu veranlasst hatte, Soors Schicht zu verlängern und ihn damit beauftragt hatte, Beth von der Universität auch nach Hause zu begleiten. Als jene Besprechung zeitiger als geplant abgeschlossen war, war er den beiden entgegenkommen. Er erzählte von dem, was er gesehen hatte, was Beth und Gregor, der Student, ausgesagt hatten und gab damit inhaltlich die beiden vorliegenden Berichte wieder. Sachlich setzte er alle in Kenntnis und schloss mit den Worten: „Arasmus Soor ist abgeführt worden und befindet sich in Haft, bis die Angelegenheit vollständig geklärt ist.“

„Wie kam so jemand auf die Liste für den Personenschutz?“, wollte Colt wissen.

Fireball schüttelte den Kopf. „Einer von unsern Männern“, murmelte er unzufrieden.

April sah die junge Outriderin besorgt an. „Geht es dir gut?“, erkundigte sie sich sanft.

Ehe diese allerdings auf die fürsorgliche Geste mehr als ein dankbares Lächeln erwidern konnte, wurde die Tür aufgerissen.

Jean-Claude trat herein und sah sich um. Er prüfte die Mienen der Anwesenden. „Es ist also wahr“, stellte er fest und stürmte zu seiner Schwester. Er zog sie in seine Arme und presste sie an sich ungeachtet der Anwesenden.

„Tut mir leid, Commander“, entschuldigte sich McLeod, der dem Outrider auf dem Fuße gefolgt war. „Er war nicht aufzuhalten. Genauso wenig wie der Buschfunk.“

Unzufrieden darüber, dass sich die Nachricht so schnell verbreitet hatte, nickte Eagle und bedeutete, Garrett sich zu setzen.

„Colt hat sich die Liste mit mir angesehen. Keiner von uns hat damit gerechnet, dass jemand zu dieser Tat im Stande sein könnte, auch nicht Senator Weyer, der sie aufgesetzt hat“, setzte Saber das Gespräch fort und gab den Geschwistern so einen Moment Zeit.

Während Beth ihrem Bruder versicherte unversehrt zu sein, erkundigte sich die Navigatorin sachlich: „Nach welchen Kriterien haben Sie die Liste erstellt, Senator?“

Der zögerte einen Moment, öffnete nur den Mund.

Jean-Claude wandte sich dem Senator zu, ohne seine Schwester loszulassen. „Das würde mich aus interessieren, Senator. Meine Schwestern sollten sicher sein. Das war die Bedingung“, erinnerte er hart. Sein Kiefer, seine breiten, aufgerichteten Schultern waren angespannt und selbst Beth Hand auf seinem Arm konnte diese Spannung nicht mildern. Stattdessen sah er dunkel den Recken an. „Ich hab sie dir anvertraut. Wie konnte so etwas passieren?“

„Diese drei waren die am besten qualifizierten für diesen Job. Alle haben Erfahrungen im Krieg gesammelt und auch immer wieder Aufgaben des Personenschutzes übernommen. Sie können sicherlich verstehen, dass das Umdenken auch bei Star Sheriffs nicht so ohne weiteres funktioniert“, erklärte der gefragte Senator sachlich.

Saber schluckte den Vorwurf des grünhaarigen herunter. Er war berechtigt und er musste ihn sich gefallen lassen, so unangenehm es auch war.

„Ich konnte nicht ahnen, dass so etwas passiert, Jean. Ich habe mir selbst schon Vorwürfe deswegen gemacht. Dank der Zivilcourage eines Studenten ist nicht mehr passiert“, versuchte er sich zu verteidigen. Es klang in seinen eigenen Ohren eher schwach. Fraglich ob es den Bruder beruhigte, der so offensichtlich besorgt um seine Schwester war.

„Ich verstehe, dass Umdenken Zeit braucht“, begann der ruhig, „es entschuldigt aber in keiner Weise, dass irgendwer versucht meine Schwester anzufassen.“ Am Ende hatte er doch geschrien. „Oder zählen hormonell gesteuerte Übergriffe zum Personenschutz dazu?“ Hatte er zunächst noch Weyer angesehen, lag sein Blick bei der letzten Frage eher auf Saber.

Beth löste sich ein wenig aus den festen Armen ihres Bruders und schaute in die harten, tief geschnittenen Züge des Senators.

„Für Gregor war das Umdenken nicht so schwer“, sagte sie ruhig. „Er hat mir beigestanden, obwohl Arasmus ihm sagte: "Ist keine Lady, nur ein Outrider." Er hätte auch gehen können, aber er blieb und half.“

Weyer wich ihrem Blick aus.

„Nein, niemals gehört so etwas zum Personenschutz dazu. Wie der Name schon sagt, soll der Schutz der Person im Vordergrund stehen“, gab der Schotte sachlich zur Antwort. Es war nicht ganz so leicht, die neutrale Fassade aufrecht zu erhalten, nach allem, was in der vergangenen Nacht passiert war, vor allem zwischen Beth und ihm. Er hoffte, nichts verriet diese Ereignisse, denn es schien ihm, dass auf ‚hormonell gesteuerte Übergriffe‘ wie der Outrider es nannte, momentan die Todesstrafe stand, ganz gleich wer wann wo hin gegriffen hatte und wer wann wen nicht zurück gehalten hatte.

„Beruhig dich, Jean-Claude. Wir sind uns alle einig, dass das gar nicht geht, das war bestimmt nicht Sabers Schuld“, versuchte Fireball zu vermitteln und seinen Boss in Schutz zu nehmen.

Auch Weyer meldete sich zu Wort. „Freiwillige halten sich für diesen Auftrag in Grenzen. Outrider zu beschützen ist noch um einiges schwieriger als Zeugen.“

„Beruhigen?“, schnappte Jean-Claude prompt. „Das sagt mir ein Mensch, wie du, der nicht einen Augenblick vernünftig mit mir reden kann?“ Nicht weniger bissig reagierte er auf die Erläuterung des Senators. „Sie haben uns Ihr Wort gegeben. Wir gaben unseres. Wir halten unseres. Wenn Sie nicht im Stande sind, dasselbe zu tun, sind wir raus.“

Eagle hatte genug gesehen und gehört. Kein Zweifel an Jean-Claudes Worten und seiner Sorge um die Sicherheit seiner Schwestern. Er verhielt sich wie jeder Mensch, den der Commander kannte, der eine oder zwei Schwestern hatte und fürchtete, es könnte ihnen etwas passieren. Waren auch manche Ausführungen Jean-Claudes über das Leben in der Phantomzone seltsam fremd und kühl, so war er dennoch menschlicher, als jeder seiner Art, mit dem sie je zu tun hatten.

Er sah nicht, nach allem was er nun wusste, dass sich Saber falsch verhalten oder etwas übersehen hatte, dass er hätte sehen müssen. Er hatte zuverlässig und gewissenhaft wie immer mit dem gearbeitet, dass man ihm zur Verfügung gestellt hatte. Er war an den furchtbaren Ereignissen nicht schuld, hatte im Rahmen seiner Möglichkeiten alles getan. Es galt also, den Rahmen zu überdenken. Eagle warf einen prüfenden Seitenblick auf Weyer, dann wandte er sich an den aufgebrachten grünhaarigen.

„Wir halten unseres ebenso, Jean-Claude. Wir alle bedauern diesen Vorfall zutiefst und werden unsere Sicherheitsstandards erhöhen.“ Er glaubte nicht, dass ihn das sofort besänftigen würde und behielt mit dieser Vermutung Recht.

„Wie soll das aussehen, Commander. Wie wollen Sie so etwas in Zukunft verhindern? Denn wenn ihnen das nicht gelingt …“ Jean-Claude wollte schon eine Drohung formulieren in seiner Wut.

„Wenn ein friedliches Leben im kleinen nicht möglich ist, wird es im Großen noch weniger gelingen, Commander. Darauf wollte mein Bruder hinweisen.“

Eagle nickte. Die junge Outriderin hatte Recht. Das war die erste Hürde. Sie machte nicht nur darauf aufmerksam, sondern verwandelte auch den Zorn ihres Bruders in eine sachliche Aussage. So vermied sie sehr geschickt, dass die Situation eskalierte. Eine kluge Frau.

Charles schaute sich um ruhig um. Sein Blick fiel auf Garrett McLeod. Wann immer der Jean-Claude zum Kavallerieoberkommando begleitet hatte, schienen sich die beiden zu verstehen. Sie waren in Gespräche vertieft, so weit er es mitbekommen hatte, die auf Augenhöhe verliefen, als wären sie Freunde. Drei Unterstützer für drei Outrider hatte der Schotte erbeten und auch zugesprochen bekommen. Jean-Claude bewohnte gerade noch das Gästezimmer von Fireball und April, erinnerte er sich.

„McLeod wird die Aufgaben von Soor übernehmen. April! Fireball! Ihr teilt euch neu zu Jean-Claudes Schutz ein“, entschied Charles dann. Die Angesprochenen erhoben sich.

Jean-Claude sah zu seinem Bodyguard. Der nickte schlicht, salutierte, sah dann seine Schützling an und zwinkerte ihm mit einem versichernden Lächeln zu. Die Spannung aus Kiefer und Schultern wich und er nickte langsam.

Auch April salutierte sofort.

„Kein Problem. Das machen wir“, erklärte April diensteifrig. Fireball folgte dem Beispiel wortlos.

„Gut“, stimmte Jean-Claude knapp zu, nach dem er einen rückversichernden Blick mit seiner Schwester getauscht hatte.

Charles erhob sich und salutierte, verabschiedete die Anwesenden.

Jean-Claude führte seine Schwester hinaus und wartete dort auf den Schotten.

April folgte ihm mit einem „Warte, ich begleite dich.“ Sie blieb stehen, als sie sah, wie sich ihr Boss beeilte die Geschwister zu erreichen.

Mit wenigen Schritten war er bei ihnen und reichte dem Outrider die Hand. „Ich möchte mich noch einmal für den Vorfall bei dir entschuldigen, Jean-Claude.“

Der schaute auf die Hand, als dächte er nicht daran, sie anzunehmen. Saber ließ sich nicht beirren.

„Hast du dich bei Bio entschuldigt? Ihr ist es passiert“, brummte der zurück und strich seiner Schwester übers Haar. „Outrider oder nicht – sie ist eine von den Guten“, fügte er milder an.

„Ich weiß. Ich habe mich entschuldigt.“ Dabei schaute er auf Beth, die Hand bot er immer noch ihrem Bruder an.

„Das ist deine letzte Chance, Saber Rider. Vermassele es nicht und pass gut auf sie auf. Ich“ Jetzt ergriff er dessen Hand. „vertraue dir.“ An den letzten beiden Worten hatte er sich fast verschluckt und eher leise und widerstrebend kamen sie ihm über die Lippen. Aber dann waren sie ausgesprochen und ganz gleich, wie rasch er die Lippen wieder zusammen presste, das Geständnis konnte er nicht mehr zurück nehmen.

„Ich werde es nicht enttäuschen.“

Jean-Claude entließ seine Schwester, die gleich den angebotenen Arm Sabers annahm.

„Das hat er noch nie zu jemand gesagt, der nicht zur Familie gehört“, raunte sie ihm zu.

„Ich fühle mich geehrt“, erwiderte er ebenso leise. „Soll ich dich zur Uni zurück bringen? Du hast noch eine Vorlesung.“

Sie nickte leicht.

Garrett McLeod schloss zu ihnen auf und begleitete die beiden auf ihrem Weg.

Kapitel 21

Währenddessen hatte Fireball die Augen gerollt, mehr als nur genervt. Da stürzte sich also April gleich auf die Aufgabe und übernahm die erste Schicht bei Jean-Claude, scheinbar ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, sich mit ihm, Fireball, auch darüber abzusprechen. Sie schusterte ihm einfach mal die Nachtschicht zu.

Er stieß verstimmt Luft aus und kam auf seine Freundin zu, die ein Stück entfernt das Gespräch der Geschwister und Saber beobachtet.

„Sprichst du eigentlich noch mit mir, bevor du eine Entscheidung triffst, oder ist da jetzt Standard“, raunzte er sie an.

Sie fuhr zu ihm herum. „Wir haben einen Befehl vom Commander erhalten. Den habe ich angenommen, wie es meine Pflicht ist. Was hast du erwartet, das ich tue?“ gab sie perplex zurück, als sie so hinterrücks von ihm angefahren wurde.

„Davon redet auch keiner, das ist immerhin ein Befehl. Aber du springst auf und reißt dich förmlich darum. Du nimmst dir keine zwei Minuten Zeit, die Schicht mit mir auszumachen. Ja, entschuldige, da hatte ich mehr erwartet“ parierte er postwendend verschnupft.

April starrte ihn an. Ihre Augen weiteten sich und Wut stieg in ihr auf. Als ob er Grund hätte, ihr Vorwürfe zu machen.

„Nun, du erfüllst meine Erwartungen auch nicht gerade. Vielleicht, wenn du mal so viel Höflichkeit besitzt und das Frühstück isst, das Jean jeden Tag für uns kocht. Ich habe erwartet, dass du dich erwachsen benimmst. Vielleicht liegt es ja daran, dass ich mich nicht mit dir abspreche, weil mir dein Verhalten gegenüber Jean gehörig auf den Wecker geht und ich endlich mal die Chance auf Abstand habe. Er hat nämlich vollkommen recht. So bald er da ist, benimmst du dich unmöglich!“ Je länger sie sprach, desto mehr Frust und Wut begleiteten ihre Worte. In den vergangenen drei Wochen hatte sie das benannte Verhalten an ihrem Freund beobachtet und es hatte ihr überhaupt nicht gefallen. War Jean-Claude aus dem Haus, war er der Freund, den sie kannte und den sie sich wünschte, aber sobald ihr Schützling eintrat, verwandelte er sich in ein grummelnden Miesepeter, der einfach unerträglich war. Deshalb hatte sie oft das Gespräch mit Jean-Claude gesucht, der höflich und sachlich über dem Verhalten des Rennfahrers stand. Da der Outrider aber eben anwesend war, konnte sie Fireball auch nicht zur Rede stellen, genauso wenig wie in Anwesenheit ihrer Freunde. Sie hätte ihm nur zu gern dafür den Kopf gewaschen. Nun hatte er regelrecht darum gebeten, nun brach es aus ihr heraus.

Getroffen schnappte der jetzt: „Du willst Abstand? Warum sagst du das dann nicht? Du hättest mir dafür nicht Jean vor die Nase setzen müssen! Was denkst du dir eigentlich dabei? Soll ich Luftsprünge machen, wenn du einfach einen anderen Mann zu uns in die Wohnung einlädst, ohne mit mir darüber zu reden? Den Abstand, den du dir so dringend wünschst, hast du ja jetzt.“

Sie blinzelte und kämpfte gegen die anwachsende Wut. Seine Worte machten deutlich, dass er nicht verstand und auf einem völlig anderen Dampfer als sie unterwegs war. Aber darauf wollte sie sich jetzt nicht einlassen. Sie hatten einen Job zu erledigen. Es war keine Zeit mit ihm zu reden, wenn er schon so gereizt auf sie zu kam, war jedes weitere Wort umsonst, wie er eben bewiesen hatte. Er hörte nicht zu und platzte nur ungehalten heraus.

„Danke dafür, nachdem du den Wunsch erst geweckt hast. Ich hoffe, du bist jetzt glücklich“, presste sie hervor und wandte sich ab.

Gerade trat Jean-Claude zurück. Saber, Beth und Garrett entfernten sich. Der grünhaarige sah zu ihr, als erwarte er sie und bot ihr den Arm an. Sie nahm ihn sofort an und hakte sich unter. Er führte sie fort. „Oder ist das unpassend?“, erkundigte er sich dabei. Sie schüttelte leicht den Kopf, obwohl es tatsächlich etwas unpassend war, aber es war auch tröstlich und beruhigte sie, einmal mehr.

Wütend starrte der Rennfahrer ihr nach. Er konnte sich jede Antwort sparen. Sie würde nicht zu hören. Sie zog es mehr als offensichtlich vor, sich mit Jean-Claude zu amüsieren, statt sich darum zu kümmern, dass er vielleicht mal mit seiner Freundin ein, zwei Vokabeln getauscht hätte.

Er fluchte vor sich hin und stampfte auf seinen Fury Racer zu. Dann fuhr er zur Kartbahn, wo er dem Namen alle Ehre machte.
 

Colt hatte alles beobachtet. Das Gespräch mit Eagle, den Austausch zwischen Saber und Jean-Claude und den Streit zwischen April und Fireball – niemand schien ihn bemerkt zu haben. Man konnte gern beleidigt sein deshalb, wenn man sonst nichts besseres zu tun hatte. Für Colt allerdings war es sehr aufschlussreich gewesen.

Die Balance im Team war wichtig. Wie ernst er diesen Streit zu nehmen hatte, wusste er nicht. Auch war er nicht sicher, wie sehr sich der Schotte von diesen Worten beeinflussen ließ. Beth hatte ihm gehörig den Kopf verdreht. Schon vom ersten Moment an. Aber Saber war Saber, wie immer ruhig, analytisch und sachlich. Er ließ sich wohl von Jean-Claudes Worten nicht einwickeln. Wenn es eine Bedeutung hinter denen gab, würde Saber sie erkennen, würde erkennen, ob es Schmeichelei oder Wahrheit war. Ob es reine Berechnung war, was Jean-Claude so sagte oder tat, darüber war er sich nicht ganz sicher. Er war tatsächlich unschlüssig, es konnte sowohl das eine als auch das andere möglich sein. Die Chancen standen im berühmten Fifty-Fifty. Er brauchte noch ein paar Informationen mehr, um sich sicher zu sein.
 

Am Abend kam er zu dem Schluss, mal bei Saber vorbei zu schauen. Zum einen hatte Snow von Broik erfahren, dass es zu einer Besprechung gekommen war, die ihre Schwester betraf, und wollte nun wissen, wie es Beth ging. Zum anderen konnte er zumindest mal eine seiner Beobachtungen prüfen und gleich die Meinung des Schotten dazu hören. Dessen Objektivität und Sachlichkeit war bei der Beurteilung für den Scharfschützen wichtig. Er verließ sich darauf. So begleitete er Snow zu Saber.
 

Saber und Beth hatten eben gegessen, saßen noch am Tisch in der Küche in ein Gespräch vertieft, als Colt klopfte.

„Ich mache auf“, bot Beth an, doch Saber legte ihr die Hand auf die Schulter. Man wusste nie, wer vor der Tür stand und er wollte nichts riskieren. Dafür war sie ihm zu wichtig und die Zusammenarbeit mit ihrem Bruder würde erheblich leiden, wenn etwas ähnliches noch einmal vorkam. Er hatte dem Schotten sein Vertrauen ausgesprochen, aber das war zerbrechlich, wie der Tag heute gezeigt hatte. Eine weitere Chance würde er nicht bekommen, das hatte der Outrider deutlich gemacht.

Saber verließ die Küche und trat auf den Flur. Dann gab es auch schon Entwarnung.

Das Klopfen wiederholte sich, gefolgt von einer vertrauten, frech-fröhlichen Stimme.

„Hey, Alladin! Mach deinen Sesam auf, die vierzig Räuber warten hier draußen in der Kälte auf dich!“

Saber trat zur Tür. „Sesam öffne dich! Hallo Alladin, hallo Jeannie! Kommt doch rein.“

Snow schaute sich irritiert um. „Jeannie?“

Colt machte eine wegwerfende Handbewegung, die bedeuten sollte, dass er ihr den Zusammenhang später erklären würde.

Sie hatte ohnehin kein Gehör mehr dafür, als sie ihre Schwester erblickte. Sofort stürmte sie in die Wohnung und umarmte sie herzlich.

„Ich schwöre, ich hab nicht an der Wunderlampe gerubbelt“, versicherte der Scharfschütze an den Schotten gewandt.

„Erspar mir Details“, gab der zurück und hoffte, der Lockenkopf würde nicht in Anwesenheit der Schwestern nach solchen fragen. Die wunderschöne Erinnerung an Beth unerfahrene, aber talentierte Hände lebte in seinem Kopf auf und wie er den Scout kannte, roch der das wahrscheinlich sogar.

Tatsächlich grinste der ihn mehr wissend-verstehend als ahnungsvoll an.

„Wir dachten, wir schneien mal vorbei, zwecks Geschwisterbindung und so.“ Vertraulich legte er dem Schotten den Arm um die Schulter und grinste, wenn möglich, noch wissender und verstehender als zuvor. „Wie geht's meinem Bruder? Ist die Wasserrechnung schon explodiert?“, erkundigte er sich scheinheilig, als die Schwestern schon halb in der Küche verschwunden waren.

„Das haben wir im Griff.“

„Wir haben gerade zu Abend gegessen. Thcula Dea. Möchtet ihr auch was?“ Beth Einladung wurde von ihrer Schwester erfreut angenommen.

„Habt ihr 'nen Duschplan oder was?“ fragte Colt als sie ihnen folgten und nickte leicht auf das Angebot der jungen Frau mit dem blass lila Haar. Die begann den Tisch erst abzudecken, die Teller die sie und Saber benutzt hatten, in die Spülmaschine zu stellen, um dann für Colt und Snow Geschirr bereit zustellen.

Diese wurde hellhörig und wandte sich erstaunt an die Männer. „Duschplan? Ihr habt einen Duschplan erstellt?“

„Sozusagen. Ich gehe jeden Morgen vor Beth duschen.“

„Den Duschplan kenn ich. Den haben wir auf Ramrod auch. Wer zuerst kommt, malt zuerst und der letzte duscht kalt, aber nicht gewollt“, lachte der Lockenkopf munter. Er beobachtete, wie Beth ihnen die Mahlzeit servierte, mochte das Gericht inzwischen selbst, hatte Snow es ihm auch schon gekocht. Einen Lachanfall verkniff er sich mit Mühe, als Beth ihnen das Besteck reichte und arglos sagte: „Das stimmt nicht Saber, ich hab heute vor dir geduscht.“

Der presste ertappt die Lippen zusammen und beobachtete, nachdem sie sich bedankt hatten, wie seine Gäste zu essen begannen.

„Du kommst mit der Reihenfolge schon durcheinander, au backe“, grinste Colt kauend.

„Hat diese Verwirrung einen bestimmten Grund? Irgendwas wegen der Besprechung heute, oder dem, was angeblich gestern Nacht passiert ist?“, hakte Snow interessiert nach.

„Ähm, ja... Ich war ziemlich aufgeregt“, gab Saber langsam zu und mied den Blick in Richtung des Scouts, der sonst den Anflug jeder anderen Regung darin erkannt hätte. Er wollte ohnehin etwas trinken und schenkte sich nun auch gleich ein Glas ein, ehe er den andern etwas anbot. Dann stellte er die Saftflasche auf den Tisch und fuhr fort. „Es war gestern Abend einiges los. Ich denke, Beth sollte es dir erzählen.“

Die Schwestern tauschten verstehend einen Blick. Snow nahm sich ihren Teller und ihr Besteck, folgte Beth umgehend ins Wohnzimmer. Dort weihte sie sie in die Ereignisse ein.

„Danke, dass du Snow hergebracht hast, damit sie auf dem Laufenden bleibt.“ Mit diesen Worten setzte er sich auf den nun freien Stuhl und eröffnete das eigentliche Thema, was auch immer es, dass Colt auf dem Herzen hatte.

Es wäre sicher interessant den beiden zuzuhören. Abgesehen von den Tränen, die sie aus der Sorge um ihn geweint hatte, hatte sie recht sachlich auf alles reagiert, was sich in der Seitenstraße ereignet hatte, eher ruhig und unbeteiligt davon gesprochen. Es wäre schon interessant, ob sie es jetzt auch tat, oder ob mehr Emotionen in ihr aufkamen, da sie nicht für einen Bericht danach gefragt wurde.

„Hab ich das? Ich hab sie nur begleitet.“

„Du hast sie nicht nur her begleitet. Du hast irgendwas gesehen, über das du reden willst. Also, was ist los?“ Er sah Colt an. Gut genug kannte Saber ihn. Einen Eiertanz brauchte er nicht aufzuführen.

„Das wollte ich dich fragen. Hast du eine Ahnung, was da heute bei unserem Ramrodeigenen Paar abgegangen ist?“

„Ich weiß nicht, was du meinst.“

„Oh ja, du warst ja mit Jean-Claude und Beth beschäftigt. Fireball und April haben sich gestritten. Fireball hat ein Problem mit Jean-Claude. Du weißt nicht zufällig, welches?“

Der gefragte hob die Schultern. „Tja, Jean-Claude sagte mir, er würde mir vertrauen. Darüber ist wohl entgangen, dass jedes Paar mal Schwierigkeiten hat. Mit mir hat keiner von beiden über irgendwas gesprochen, dass schwierig wäre.“

„Okay, ich dachte nur, du weißt was. Hätte ja sein können, dass dir April mal ihr Herz ausgeschüttet hat. Sie klang ziemlich gefrustet.“

„Ich weiß nicht, ob du da nicht zu viel reindeutest. Es gibt immer auch mal weniger rosige Zeiten. Hast du mit einem von den beiden gesprochen? Hat dir einer von ihnen was gesagt?“

„Nein, April ist mit Jean Claude weg und Fireball hat den Turbo eingelegt. Hab ihn dann nicht mehr erwischt“, meinte Colt nachdenklich. „April und Jean-Claude haben recht vertraut gewirkt.“

Saber runzelte die Stirn. Gedanklich wog er ab, wie viele Sorgen er sich darum machen musste. Aber nichts von dem, was der Lockenkopf erzählte, wirkte besorgniserregend auf ihn.

„Spekuliere nicht wild in der Gegend rum. April und Jean-Claude verstehen sich gut, das weiß ich. Wenn April oder Fireball auf eine Frage nicht damit geantwortet hat, dass er oder sie unglücklich ist, dann machst du dir, glaube ich, unnötig Sorgen.“

„Du hast wahrscheinlich recht. Fireball schimpft wegen des Urlaubs wahrscheinlich immer noch.“ Das war das letzte, was April als Grund für die schlechte Laune ihres Freundes vermutet hatte, als Colt sie vor etwa drei Wochen danach gefragt hatte. Was anders kam ihm nicht in den Sinn.

Der Schotte kratzte sich am Ohr und überlegte: „Wenn er tatsächlich ein Problem mit Jean-Claude hätte, was sollte das für eins sein? Dass April sich mit ihm versteht? Sie versteht sich mit uns beiden auch ohne das es ein Thema für ihn ist.“

„Wir haben auch keinen Eiszapfen auf April fallen lassen“, bemerkte Colt trocken. „Das wird sich hoffentlich bald wieder einrenken. Oder meinst du, er schlägt irgendwie in Arasmus' Kerbe? Ich meine, was die Meinung über Outrider betrifft? Oder... Ne!“ Über sich selbst den Kopf schüttelnd aß er weiter. „Fireball mag Snow und Beth auch. Vergiss, was ich über Arasmus gesagt habe.“

Bei dem Namen kam Saber beinahe die Galle hoch. Er schluckte leicht und erwiderte ruhig. „Du warst heute dabei. Du hast Jean-Claude gesehen. Meinst du wirklich, diese Geschichte ist noch ein Thema für April? Ich war dabei, als sie sich darüber gesprochen haben. Sie ist bereit ihm zu vertrauen. Ich glaube auch nicht, dass Fireball in diese Richtung schlägt. Wir kennen ihn lange genug um das besser zu wissen.“

„Für April nicht, aber für Fireball vielleicht doch noch“, überlegte er und leerte seinen Teller. Saber konnte ihm also auch nicht weiterhelfen. Dann blieb ihm eigentlich nur noch eines. „Ich werd mit Fireball mal Mittagessen gehen, wenn sie sich nicht einkriegen. Er hat ja tagsüber jetzt nichts vor.“

„Tu das.“ Mehr gab es gerade diesbezüglich nicht zu tun. „Morgen früh ziehen die drei um. Seid ihr zwei darauf vorbereitet?“

„Hm,“, machte Colt. Begeisterung zeigte sich anders. Saber konnte es verstehen. In den wenigen Wochen, die er nun mit Beth zusammen lebte, war eine angenehme, vertrauensvolle Nähe zwischen ihnen entstanden, die ihm gut tat. Es fühlte sich nach der Beziehung an, die er sich schon so lange ersehnte. Sich vorzustellen, dass es Colt genauso ging, war nicht sehr schwer. Die Blicke, die der Lockenkopf für Snow hatte, waren deutlich und intensiv, sehnsüchtig und auch hungrig. Ein Hunger, den der Recke gut kannte, der ihm sein morgendliches Begrüßungskomitee beschert hatte und der erst gestern Abend ein wenig gestillt worden war. Als Colt bei seinem Eintritt in diese Wohnung von der Wunderlampe gesprochen hatte, hatte der Blonde es gesehen, das verlangende Glimmern.

Ein „Was?“, das Snow ausrief, ließ ein breites Grinsen auf Colts Gesicht treten, als er Saber ansah.

„Was?“, hakte er bei dem Schotten nach, dem aufging, dass Beth ihrer Schwester wohl ausnahmslos alle Ereignisse des vergangenen Abends berichtet hatte.

„Was?“, fragte er zurück. „Was glaubst du jetzt?“

„Wunderlampe?“

„Neidisch?“

„Vorfreude ist die schönste Freude …“ Ein gleichgültiges Schulterzucken folgte, überzeugte wenig.

„Soll ich was zur Wasserrechnung beisteuern?“ Um Sabers Mund wuchs ein dünnes Grinsen.

„Die Schichtzulage spült das wieder rein.“

„Sicher?“

„Ja, ja …“

„Meld dich wenn’s eng wird … also finanziell.“ Das Grinsen war ausgewachsen. Colt mied seinen Blick.

Saber stieß ihn leicht an, signalisierte, dass er verstand.
 

Es bedurfte keiner weiteren Worte, passierte wie selbstverständlich. Saber und Colt räumten die Küche auf und gesellten sich zu den Schwestern.

Wie genau sie darauf kamen, Scrabble zu spielen, wusste der Scharfschütze später nicht mehr. Es war auch nicht gerade sein Favorit unter den Spielen, aber Snow gefiel es, da es „sinnvoll“ war und so gab er nach. Bald stellte sich Ehrgeiz bei ihm ein, nicht allzu hoch gegen die drei zu verlieren. Die Schwestern kannten viele Wörter und ihre Definition, auf die nicht mal der so gebildete Schotte kam. Es war schon erstaunlich. Weder Colt noch Saber waren unglücklich über ihre Niederlage, leuchteten die Augen der jungen Frauen doch lebhaft und lachten sie mehr als einmal laut und heiter auf.

Die Atmosphäre war gemütlich und entspannt und da keiner wusste, ob und wann sie so einen Abend wieder genießen konnte, so lange den Geschwistern jemand nachjagte, gaben sie diesen Abend erst sehr spät auf.

Snow griff nach der Hand des Scharfschützen, als sie die Wohnung verließen und auf den Fahrstuhl zu strebten, hielt sie, bis sie seine Wohnung erreichten.

Ihre schlanken Finger in seinen festen geborgen, war ein schönes Gefühl. Colt hatte nicht gedacht, dass er eine so winzige Geste jemals so genießen würde. Tatsächlich verursachte sie ihm Herzklopfen und Sehnsucht. So selten sie ihn berührte, genügte ein zartes Stupsen ihrerseits um ihm einen wohligen Schauer über den Rücken zu jagen.

Der Wunsch sie zu berühren, nicht nur hin und wieder ihre unglaublich schönen und weichen Lippen zu küssen, sondern jeden Zentimeter ihrer hellen, glatten Haut, zentrierte sich immer wieder in seiner Körpermitte und auch ohne filmische Unterstützung kam ihm mehr als eine Variante in den Sinn ihr zu zeigen, was sie in ihm auslöste. Mit jeder anderen Frau, ja selbst mit ihrer älteren Schwester, hätte er diese Varianten längst praktiziert. Doch Snow signalisierte ihm keinerlei Bereitschaft dafür. Dieser Umstand machte ihn es ihm schwer, die Situation zu verstehen, in der er sich befand. Einerseits spürte er ihre Zuneigung, andererseits waren die Zeichen dafür deutlich schwächer, als die, die er sonst empfing. Er fühlte sich von ihr angezogen, mehr als von irgendeiner Frau je zuvor, doch es schien als erwidere sie diese Gefühle nicht, oder nicht so intensiv wie er.

Er genoss ihre Nähe, ihre Anwesenheit in seiner Wohnung, aber er fühlte sich beinahe unsicher, wenn es darum ging, ob er diesen Umstand richtig nutzte oder ob es Regeln gab, die er nicht kannte und die es ihm erschwerten.

Er schloss leise die Tür zu seinem Schlafzimmer. Snow’s friedlich schlafender Anblick war wunderschön und bescherte ihm selbst einen ruhigen Schlaf. Er zog sich aufs Sofa zurück und schob sich unter die Decke dort. Er schloss die Augen.

Wie ging es wohl weiter?



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Kommentare zu dieser Fanfic (3)

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Von:  MissAuditore
2020-12-22T20:37:21+00:00 22.12.2020 21:37
Hallo!
Ich habe jetzt deine Story ein zweites Mal verschlungen und bin immer noch ein Fan. Mir gefällt immer mehr das du den Fokus mehr auf Saber legst und die anderen drei nur eine Nebenrolle spielen.
Ich bin gespannt wie es weiter geht, wenn es den noch weiter geht?
Bleib gesund! Bis Bald

Von:  MissAuditore
2020-05-29T18:31:31+00:00 29.05.2020 20:31
Hallo,
endlich bin ich dazu gekommen die neusten Kapitel zu lesen.
Ich bin sehr irritiert über Jean Claude, da ich eher davon ausging das er alles mögliche unternimmt um seine Schwestern von Saber und Colt fernzuhalten. Ich bezweifle stark das er Saber oder sogar Colt als eventuelle Schwager akzeptieren würde, obwohl das sehr belustigend sein könnte.
Überrascht bin ich wirklich über die recht schnelle Annäherung zwischen Beth und Saber, aber das gefällt mir sehr gut. Er wirkt ja sonst eher bedacht, schüchtern und zurückhaltend.

Ich hoffe (trotz deiner Nachricht) doch sehr das Fireball in Aprils Freundlichkeit gegenüber Jean Claude und seinen Schwestern nichts falsches interpretiert. Vorallem da er dem Charme der weiblichen Outrider auch des öfteren unbewusst verfallen ist.

Ich hoffe auf baldige Fortsetzung. Liebe Grüße
Von:  MissAuditore
2020-05-06T08:00:08+00:00 06.05.2020 10:00
Hallo

erstmal Danke das du hier wieder Leben reinbringst. Mittlerweile habe ich fast alle SRATSS Fanfiktions min. zweimal gelesen, daher freue ich mich über neuen Content sehr!

Ich bin ehrlich gesagt kein Fan vom Charakter Saber Rider, egal ob in der Serie oder in Fanfiktions. Aber deine Story ist so großartig, dass ich ganz vielleicht Saber Rider jetzt etwas mehr mag als vorher.

Du gibst fast allen Charakteren eine neue Tiefe was im Vergleich zur Serie alle reifer/ erwachsener scheinen lässt. Trotzdessen bedienst dich an den Vorgaben aus der Serie vorallem was den Umgang der Freunde untereinander angeht.
Beim Lesen musste ich viel darüber nachdenken wie sehr das Thema "geliebter Feind" doch auch im wahren Leben stattfindet. Ich würde fast behaupten, dass dies vorallem deine Story so spannend macht. Ich meine jeder trifft irgendwann mal jemanden aus seiner Vergangenheit und sieht denjenigen in einem anderen Licht oder?!

Ich hoffe das es ganz bald weiter geht und vielleicht ist ein Happy End für Saber und auch für Colt drin.

P.S. Mir gefallen auch deine kleinen Hinweise auf die mehr als freundschaftliche Beziehung zwischen April und Fireball. Hiervon gerne mehr!

Liebe Grüße


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