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Erschütternde Erkenntnisse

von

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Rache

Vermouth saß in ihrem schwarzen Ford und beobachtete das Haus der Familie Starling. Sie krallte sich mit der linken Hand in das Lenkrad und betrachtete dann das Foto des Agenten, welches an ihrem Rückspiegel hing. Sein Gesicht war mit einem roten Kreis umrandet und verunstaltet. Sie war wütend und schämte sich zu gleich.

Ihre Schauspielkarriere hatte Jahre zuvor begonnen. Anfangs war sie jemand, an dessen Namen man sich nicht erinnern musste. Sie, ein kleiner Fisch im großen Haifischbecken. Und dann trat die Organisation in ihr Leben. Eigentlich hatte sie Anokata für ihre Pläne benutzen und ihm und seiner Organisation den Rücken kehren wollen. Aber so leicht ließ er sie nicht entkommen. Nach und nach fügte sie sich ihrem Schicksal und übernahm alle möglichen Aufträge.

Mit der Zeit wurde sie nicht nur in Amerika sondern auch Japan berühmt. Regelmäßig flog sie zwischen den Staaten und Japan hin und her, baute sich ein zweites zu Hause auf und richtete sich unter verschiedenen Namen verschiedene Wohnungen und Häuser ein. Käme es hart auf hart, hätte sie untertauchen können. Sie war sich sicher, dass nicht einmal Anokata ihren Aufenthaltsort hätte herausfinden können. Aber immer wenn sie plante die Organisation zu verlassen, ließ ihr diese eindeutige Zeichen zu kommen. Sie konnten immer ihre Pläne herausfinden und hatten überall ihre Leute.

Obwohl sie von Anfang an einen hohen Stellwert in der Organisation hatte, kannte sie nicht jedes Mitglied. Gerade die japanischen Anhänger vertrauten ihr noch nicht gänzlich. Und sie sollten recht damit haben. Insgeheim sammelte Vermouth Unterlagen gegen ihren Boss, während sie parallel Männer in den Vereinigten Staaten für die Organisation rekrutierte. Aber Anokata nahm nicht jeden. Gut zwei Drittel der Männer die Vermouth als passabel ansah, wurden umgebracht. Das restliche Drittel durfte mit niederen Aufgaben ihre Loyalität unter Beweis stellen. Anokata hielt sie an der kleinen Leine. Sie würde sich trotz allem weiterhin beweisen müssen. Vor allem jetzt.

Nachdem ihr Leibwächter sie vor einem Angriff schützte, war er auf eine tägliche Krankenversorgung angewiesen. Sowohl ihr Manager – der auch ein Mitglied der Organisation war – als auch Anokata kümmerten sich um Ersatz. Und so trat Ryan Matthews in ihr Leben. Er wurde von oben bis unten durchleuchtet und schließlich als geeigneter Kandidat für die Aufgabe ausgewählt. Er war immer in ihrer Nähe und schützte sie aus dem Verborgenen heraus. Mehrere Monate verbrachte sie mit ihm in Japan und fing an ihm zu vertrauen. Es schien, als würde er genau wissen, welche Knöpfe er bei ihr drücken musste, damit sie plauderte wie ein altes Waschweib. Aber das reden tat ihr gut. Alles von der Seele sprechen…

Dennoch ging Ryan nie auf ihre Avancen ein. Es spornte sie an und sie fühlte sich immer mehr zu dem Mann hingezogen, der sich nicht für sie interessiere – bis sie erfuhr, warum. Manche würden es einen glücklichen Zufall oder Schicksal nennen, für sie aber war es Verrat.

Sie hatte in Japan eine private Angelegenheit zu regeln und ließ Ryan bereits vorfliegen. Wäre sie nicht ungeplant zwei Tage zuvor nach New York gekommen, wäre alles anders verlaufen. Während sie im Taxi saß, ging er mit seiner Frau spazieren. Zuerst hatte sich Vermouth nichts dabei gedacht, aber als sein Kind nach seiner Hand griff, begriff sie, dass etwas Faul war. Und dann fiel sein Kartenhaus langsam in sich zusammen. Jetzt war er ihr Verdächtiger geworden und es brauchte nicht lange, bis sie seine wahre Identität herausfand. Sie spielte ihm wochenlang etwas vor, nutzte seine kurzen Abwesenheiten um seine Sachen zu durchwühlen und stellte gezielt Fragen, die sie langsam ihrem Ziel immer näher brachten. Irgendwann war sie seiner Frau nach Hause gefolgt, hatte sich verkleidet und ihr als Staubsaugenvertreter Fragen über ihren Mann gestellt. Mit einer winzigen Information hatte sie die Antworten schließlich schwarz auf weiß. Ryan Matthews war in Wahrheit FBI Special Agent Starling.

Vermouth blickte in die Einfahrt zum Haus der Starlings. Sie würde sich nicht nur um ihn kümmern, auch seine Frau hatte es verdient zu leiden. Zuerst sie, dann er. Seine Tochter sollte als Waisenkind in Furcht weiterleben. Anokata hatte ihr versichert, dass das Mädchen bei einer Freundin war und sie somit freie Hand hatte. Er würde nicht einmal mit ihr rechnen. Offiziell befand sie sich in einem Wellness-Hotel und ließ es sich gut gehen.
 

Agent Starling betrat sein Haus und hing seine Jacke an den Kleiderständer. Auf Zehenspitzen marschierte er in die Küche. „Da bin ich“, sagte er und drückte seiner Frau einen Kuss auf die Wange. „Schläft Jodie schon?“, wollte er wissen.

Die junge Amerikanerin schüttelte mit dem Kopf. „Sie wartet im Wohnzimmer auf dich. Wollte dir unbedingt noch Gute-Nacht sagen. Du kennst ja unsere Tochter. Wenn sie sich mal etwas in den Kopf gesetzt hat…“

Starling lächelte. „Die Sturheit hat sie von mir.“

„Daddy!“ Jodie kam in die Küche gelaufen und umklammerte sofort seine Beine. „Du warst heute nicht beim Abendessen“, fing sie an. „Wir haben gewartet und gewartet, aber dann hatte ich großen Hunger und hab alles von meinem Teller aufgegessen.“

Der Agent hob sie nach oben. „Gomen nasai“, antwortete er. „Das ist japanisch und heißt: Es tut mir leid“, erklärte er. „Ich bin noch ein paar Wochen in diesen Fall eingespannt. Aber wenn er erst einmal abgeschlossen ist, muss ich nicht mehr so lange weg sein.“

„Versprochen?“, wollte die Siebenjährige wissen.

Starling nickte. „Und was hör ich da, du möchtest nicht schlafen gehen?“

Jodie schüttelte sofort vehement den Kopf. „Nicht solange ich dir nicht Gute-Nacht sagen durfte.“

„Was hältst du davon, wenn du jetzt nach oben in dein Zimmer gehst, dir deine Schlafsachen anziehst und ich dann vorbei komme und dir eine Gute-Nachtgeschichte vorlese?“

„Das wäre toll!“ Die Augen des Mädchens strahlten.

Der Agent lächelte. „Das habe ich von meiner Kleinen erwartet.“ Er ließ sie wieder nach unten und Jodie lief sofort aus der Küche. „Vergiss das Zähne putzen nicht“, rief er ihr nach. Starling schüttelte den Kopf. „Unsere Kleine ist schon eine Wucht.“

„Sie weiß, wie man jemanden um den Finger wickeln kann“, antwortete seine Ehefrau. „Hast du Hunger?“

„Tierischen. Ich muss noch einmal kurz ins Arbeitszimmer. In etwa einer Stunde kommt James zur Besprechung.“ Er gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Lippen und ging nach oben.

Die Frau des Agenten stellte das Essen auf den Küchentisch und goss den letzten Rest Orangensaft in ein Glas. Morgen früh würde sie neuen kaufen.

Ein Knarzen aus dem Wohnzimmer ließ sie aufhorchen. Ohne sich der Gefahr bewusst zu sein, begab sie sich in das angrenzende Zimmer. „Liebling?“

Vermouth blickte ihr überrascht in die Augen.

„Wer sind Sie? Was wollen Sie hier?“, wollte sie wissen. „Mein Mann…“ Sie verstummte als sie die Waffe in der Hand der fremden Frau sah. Und ein Schalldämpfer. Niemand wird etwas hören, schoss es ihr in den Kopf. Oh Gott…Jodie…

„Wenn Sie nicht wollen, dass Ihnen etwas passiert, bleiben sie jetzt still“, entgegnete die Schauspielerin.

Sie erkannte die Lüge in den Augen ihres Gegenübers. Sie hatte ihr Gesicht gesehen und würde die Nacht nicht überleben, außer es geschah ein Wunder. Die junge Frau biss sich auf die Unterlippe. Sie war zwar gut, wenn es darum ging sich selbst zu verteidigen, aber wie konnte sie ihre Familie aus der Schusslinie bringen und ihren Mann warnen?

„Braves Mädchen“, gab Vermouth von sich. „Und jetzt gehen wir gemeinsam nach oben.“ Das Organisationsmitglied bewegte sich nach vorne.

Es tut mir so leid, Jodie. Die Frau des Agenten begab sich in den Flur. Würde sie jetzt nach oben gehen, würde sie ihre Tochter in Gefahr bringen. „Es tut mir so leid“, wisperte sie leise und lief in das Badezimmer im Erdgeschoss. Auch wenn es ihr Ende werden würde, musste sie nur genügend Lärm machen, damit sich ihr Mann und ihre Tochter in Sicherheit bringen konnten.

Vermouth folgte ihr und drückte ohne zu zögern ab. Ein Handtuch wurde nach ihr geworfen, dann erfolgte ein Schrei und die Frau des Agenten lag auf dem Boden in ihrer Küche. „Du dummes Ding“, antwortete das Organisationsmitglied. Sie fühlte den Puls der Toten und schüttelte den Kopf. „Wie töricht du doch gewesen bist.“

„Liebling?“ Der Agent stand im Flur der ersten Etage. „Ist alles in Ordnung?“

Vermouth richtete sich auf. „Ja, alles bestens“, imitierte sie die Stimme der Toten. „Ich hab mich nur gestoßen.“

„Ich komme gleich runter“, kam es wieder von dem Agenten, der kurz darauf in sein Arbeitszimmer zurück kehrte. Dieses Mal ließ er nur das Licht seiner Tischlampe an. Der Agent setzte sich an seinen Computer, notierte die neusten Erkenntnisse in Bezug auf die Organisation und druckte den Bericht aus. Er streckte sich. „Hoffentlich ist es bald vorbei“, murmelte er.

„Das wird es, Ryan.“

Agent Starling sah nach oben. Seine Augen weiteten sich. „Sharon…wie kommst du…“ Er stand auf und griff nach seiner Waffe.

„Das würde ich an deiner Stelle nicht tun. Du möchtest doch nicht, dass ich Jagd auf dein kleines Töchterchen machen werde.“

Der Agent knurrte. „Lass sie aus dem Spiel.“

„Unter einer Bedingung. Sag mir wo die Akten sind.“

„Im Büro“, antwortete er.

„Treib keine Spielchen mit mir“, begann sie wütend. „Du weißt ganz genau, dass ich dort meine Leute habe. Du wärst dumm, wenn du dort Akten lagern würdest. Also? Wo sind sie?“

Der Agent verengte die Augen. „Wenn ich dir sage, wo ich die Informationen aufhebe, lässt du Jodie und meine Frau dann in Ruhe?“

„Bei deiner Frau kann ich es nicht mehr versprechen“, entgegnete die Schauspielerin.

Agent Starling ließ sich unweigerlich in seinen Stuhl zurück fallen. „Du hast…du hast…sie…“

„Aber deinem kleinen Töchterchen muss es nicht so ergehen. Gib mir die Informationen und ich lass sie in Ruhe.“

Der Agent schluckte. „Sie sind im Keller“, murmelte er. „Der Zugangscode ist 1-6-0-5.“ Er würde ihr alles geben, wenn sie Jodie nichts antäte. Eigentlich schien Vermouth Kinder zu mögen, aber was würde sie tun, würde sie Jodie auf dem Flur oder im Haus antreffen? Starling hoffte inständig, dass seine Tochter in ihrem Zimmer bleiben und warten würde.

„Danke sehr. Du bist ein schlauer Mann, du weißt, dass ich zurück komme und dein Kind jagen werde, wenn deine Informationen falsch waren“, antwortete Vermouth und drückte ab. „Jetzt brauch ich dich aber nicht mehr.“

Der Agent sackte in sich zusammen und rutschte vom Stuhl.

„Sayonara“, murmelte sie. Jetzt war es vollbracht, jetzt war sie von ihm befreit. Sie ging zu ihm, nahm ihm seine Brille ab und drapierte sein Gesicht in die richtige Position. Die Brille war eine Trophäe, die sie immer an diesen Verrat erinnern sollte.

Langsam öffnete sich die Tür des Arbeitszimmers. Ein kleines Mädchen, mit Teddybären in der Hand, blickte mit großen Kulleraugen auf die Schauspielerin. „Wer sind Sie?“

Vermouth war überrascht, fing sich aber schnell. „Das ist ein großes Geheimnis. Ich kann es dir nicht verraten….“

„Das ist Papas Brille“, kam es von dem Mädchen.

„Oh. Entschuldige“, sagte sie. „Hier, nimm sie.“

Jodie sah zu ihrem Vater. „Was ist mit ihm? Ist er eingeschlafen?“, fragte sie in ihrer kindlichen Art. „Dabei hat er mir eine Gute-Nachtgeschichte versprochen.“

„Es tut mir leid. Bleibst du an seiner Seite, bis er wieder aufwacht?“

„Ja“, nickte Jodie und lief zu ihm. Sie setzte sich neben ihren Vater. „Können wir die Tischlampe anlassen? Ich habe Angst im Dunkeln.“

„Natürlich“, antwortete Vermouth. In dem Licht würde das Mädchen die Verletzungen ihres Vaters nicht wahrnehmen.

Langsam verließ die Schauspielerin den Raum und ging nach unten. Aus dem Wohnzimmer holte sie ihre Tasche und einen Kanister mit Benzin. Danach ging sie in den Keller. Die Kombination stimmte und als sie die vielen Akten sah, war sie überrascht. Hatte Starling so viel über sie und die Organisation herausgefunden? Mit den Fingerspitzen strich sie über den Ordnerrücken. Sie hatte keine Zeit um die Informationen zu prüfen und tränkte die Räume mit Benzin. Sollten sie doch wissen, dass die Organisation dahinter steckte. Es wäre ihnen eine Lehre und ein Versprechen zugleich.

Vermouth verließ den Keller und bereitete auch das Erdgeschoss entsprechend vor. Sie warf einen Blick auf die Treppe und zögerte. Die Schauspielerin zog ihr Handy heraus und wählte die Nummer die sie einst auswendig gelernt hatte. Es war ihnen verboten diese zu speichern und in der Anrufliste zurück zu lassen.

„Wie weit bist du?“, wollte die Stimme am anderen Ende der Leitung wissen.

„Fertig. Warum hast du mich belogen? Das Kind ist hier“, zischte sie.

„Hast du etwa Skrupel? Bring es zu Ende!“

Bevor Vermouth etwas erwidern konnte, wurde aufgelegt. Sie sah ein weiteres Mal nach oben und verfluchte den Tag. Zwei Treppenstufen auf einmal nehmend, begab sie sich in den oberen Flur und öffnete die Tür des Arbeitszimmers.

Jodie hockte weiterhin neben ihrem Vater und döste. Etwas in ihr hatte sich geregt.

„Jodie?“, fragte die Schauspielerin leise.

Das Mädchen setzte sich richtig auf und rieb sich die Augen. „Mhm…wo ist meine Mama?“, wollte sie leise wissen.

„Sie schläft“, antwortete Vermouth. „Was hältst du davon, wenn wir deine Eltern schlafen lassen und ihnen morgen einen Tag nur für sich allein lassen?“

„Und was ist mit mir?“, fragte das Mädchen.

„Du kannst heute Nacht mit zu mir kommen. Ich hab eine große Wohnung.“

Jodie überlegte. „Papa sagt, ich darf nicht mit Fremden mit gehen.“

„Aber ich bin keine Fremde, ich bin eine Freundin deines Papas. Wollen wir ihn wecken und fragen?“, kam es von der Schauspielerin.

„Au ja“, sagte Jodie sofort. Sie sah zu ihrem Vater hoch. „Papa…“, begann sie und rüttelte an seiner Hose.

„Du darfst ruhig mit ihr gehen“, antwortete Vermouth mit der Stimme ihres Vaters. „Sie wird auf dich aufpassen. Sei ein braves Mädchen und tu, was sie dir sagt, ja?“

„Jaaaa“, kam es von Jodie. Sie stand auf und nahm ihren Teddybären. In der anderen Hand hielt sie immer noch die Brille ihres Vaters. „Ich komm morgen wieder. Versprochen. Dann kannst du mir die Gute-Nachtgeschichte vorlesen.“

„Das werde ich. Schlaf gut, ich hab dich lieb.“

„Ich hab dich auch lieb, Papa“, sagte das Kind und umarmte ihren Vater.

Vermouth schluckte. Dafür würde Anokata bezahlen. Irgendwann. „Gehen wir.“ Sie ging wieder zur Tür und als Jodie ihr folgte, marschierte sie nach draußen zu ihrem Wagen. Vermouth setzte das Mädchen nach hinten. „Warte hier. Ich muss noch meine Tasche holen.“

Jodie nickte und legte sich auf die Rückbank. Sie schlief schnell ein.

Vermouth ging zurück zum Haus, zog eine Schachtel Streichhölzer hervor und zündete eines an. Sie betrachtete die Flamme, ehe sie das Streichholz in den Hausflur warf. Sofort setzte sich das Feuer in Gang und folgte den Spuren des Benzins. Die Schauspielerin lief zurück zu ihrem Wagen und setzte sich auf den Fahrersitz. Sie warf einen flüchtigen Blick auf Jodie, ehe sie los fuhr. Das würde sie Anokata erklären müssen.

Der Auftrag

Shuichi betrat das Büro seines Vorgesetzten und setzte sich auf den freien Stuhl vor dem Schreibtisch. Er lehnte sich nach hinten und ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. In den letzten zwei Jahren saß er mehrmals auf dieser Seite – er wurde gelobt, aber auch für sein Handeln getadelt. Und dennoch war er immer noch ein wichtiges Mitglied des FBIs. Er konnte nicht nur gut kombinieren, er war auch ein tadelloser Scharfschütze.

Der Schreibtisch war übergroß und relativ aufgeräumt. Eine einzige Akte lag auf ihm. Sie quillte beinahe über. Einige Zettel und Bilder lugten heraus. Wie jeder FBI Agent warf auch Akai einen interessierten Blick auf die Unterlagen. War es ein neuer Fall? Fragen zu einem alten Fall? Oder gab es in der Akte einen Zusammenhang zu dem Verschwinden seines Vaters? Wie sehr hätte er jetzt den Inhalt gekannt. Aber Black konnte jeden Moment wiederkommen.

Shuichi verengte die Augen. Vor einigen Wochen hatte er erstmalig mit James darüber gesprochen. Allerdings war er sich sicher, dass dieser die Vorgeschichte seiner Familie bereits kannte. Vor etwa 17 Jahren wurde sein Vater in einen Mordfall verwickelt und nie wieder gesehen. Lediglich seine Mutter erhielt eine Abschiedsnachricht und die Bitte ins Ausland zu fliehen. Kurz darauf hatte er selbst Japan verlassen und war in die Staaten gekommen um zu studieren. Aber insgeheim verfolgte er den Plan beim FBI aufgenommen zu werden und das Verschwinden seines Vaters aufzuklären. Egal wie – selbst wenn es mit dem Fund der Leiche enden würde.

Seine Familie hatte er zuletzt vor einigen Jahren bei einem gemeinsamen Urlaub in Japan getroffen: Seinen kleiner Bruder Shukichi, der immer noch zu ihm auf sah, und Masumi, seine kleine Schwester – das Mädchen, das er erst dort kennen lernte und die ihn die ganze Zeit über nur zum Lächeln bringen wollte. Seine Mutter Mary war von seinen Plänen alles andere als begeistert gewesen und hätte ihn lieber zu Hause gewusst. Aber es hatte nichts gebracht. Er war hier.

Aber auch nach all der Zeit ließ er seine Familie nicht aus den Augen. Seine Mutter und seine kleine Schwester lebten nach wie vor ein sorgloses Leben in England. Sein Bruder Shukichi kehrte nach Japan zurück und wurde Shogi-Spieler mit dem Spitznamen Taiko Meijin. Akai war recht stolz auf seinen kleinen Bruder, der früher immer einen zerstreuten Eindruck machte.

Allerdings hatte er noch mehr Familie, wie er vor Kurzem in Erfahrung brachte. Jeder Bewerber musste einen Hintergrundcheck über sich ergehen lassen. Wann immer man wollte, konnte man sich das Ergebnis ansehen. In der Hoffnung, mehr über das Verschwinden seines Vaters herauszufinden, sah er sich den Bericht an. Akai war überaus überrascht, als er von seinen Verwandten in Japan erfuhr. Leider hatte die Recherche des FBIs nicht viel ergeben. Seine Tante und sein Onkel waren Jahre zuvor verstorben. Nur ihre Tochter war noch übrig. Sie studierte und hatte, wie es schien, kein aufregendes Privatleben. Er war neugierig und setzte alle Hebel in Bewegung um an ihre Adresse und Telefonnummer zu kommen.

Ihr erstes Gespräch verlief alles andere als gut. Kaum, dass er bei ihrer Familie ansetzte, wimmelte sie ihn ab. Ich habe keine Familie, hatte sie beinahe in den Hörer geschrien und aufgelegt. Tage später wurde er von einer unbekannten Nummer kontaktiert. Es war Akemi. Sie hatte sich scheinbar Zugang zu einem zweiten Telefon verschafft und warnte ihn vor einer weiteren Kontaktaufnahme. Sofort schrillten alle Alarmglocken bei ihm. Warum hatte sie ihn angerufen? Nur um das zu sagen? Er ahnte, dass mehr dahinter steckte. Aber bevor er das Gespräch in die richtige Richtung lenken konnte, legte sie auf. An ihre letzten Worte erinnerte er sich bis heute.

„Sie haben mich gefunden…die Männer in Schwarz…“, flüsterte sie leise in den Hörer. „Ich muss jetzt auflegen. Komm nicht her.

„Sie sind sicher, dass Sie keinen Kaffee wollen?“

Die Stimme von James riss ihn aus seinen Gedanken. „Danke, nicht nötig“, antwortete der junge Agent. „Sie wollten mich sprechen“, begann er.

James setzte sich auf seinen Stuhl und stellte die Tasse Kaffee vor sich. „Bitte entschuldigen Sie, dass ich Sie warten ließ“, sagte er. „Ich möchte mich zudem bei Ihnen bedanken, weil Sie mir vor Kurzem von Ihrer Familiengeschichte erzählt haben“, fügte er an.

Shuichi nickte. Eigentlich hatte er gar keine andere Wahl gehabt. Das FBI war die zentrale Sicherheitsbehörde der Vereinigten Staaten. Alle Agenten waren für die Verfolgung und Verhinderung von bundesrechtlichen Straftaten zuständig – soweit keine spezielle Zuständigkeit anderer Strafverfolgungsbehörden gegeben war. Als Nachrichtendienst betrieb das FBI zudem die Vorfeldaufklärung möglicher Bedrohungen und unterstützt andere Ermittlungsbehörden – auch durch Spionagetätigkeiten. Insgesamt umfasste ihr Tätigkeitsbereich mehr als 200 verschiedene Verbrechenstypen. Ihre oberste Priorität war die Bekämpfung und Verfolgung von Terrorismus, Drogenhandel, Gewalt- und Wirtschaftsverbrechen. Allerdings besaß das FBI nur im Inland Befugnisse. Etwas, dass sich mit der Zeit veränderte. Seit dem ersten Weltkrieg operierte das FBI auch im Ausland und unterhielt mit einer Unterabteilung einen der wichtigsten Auslandsgeheimdienste der USA. Erst Jahre später - nach dem zweiten Weltkrieg - wurden die Auslandsbefugnisse auf das CIA übertragen. Seit dieser Zeit war das Verhältnis zwischen dem FBI und dem CIA gespannt und konfliktgeladen. Allerdings gab es immer noch Agenten des FBIs die mit jenen des CIAs sympathisierten.

Und das wollte Akai eigentlich mit seinem Gang bei Black erreichen. Einen Kontaktnamen beim CIA. Nur ließ sich James nicht so schnell darauf ein, diese Information weiter zu geben. Stattdessen nahm er ihn mit in sein Büro und fühlte dem Agenten auf den Zahn. Black wusste genau, welche Fragen er stellen musste.

Als die Sprache auf die Männer in Schwarz kam, zeigte sich der Agent sehr interessiert und untersagte Akai jeden Kontakt zum CIA. Black wollte sich selbst darum kümmern und sich melden, wenn es soweit war. Seit jeher schien ihm der ältere Agent aus dem Weg gegangen zu sein. Jeden Tag saß Shuichi angespannt in seinem Büro und wartete auf eine Nachricht. Und jetzt schien es soweit zu sein. Ohne es zu wollen, ballte er die Faust und spannte seinen Körper an.

„Habe ich Ihnen eigentlich schon von einem meiner schlimmsten Aufträge erzählt?“

Akai schüttelte den Kopf.

„Es ist knapp 20 Jahre her“, fing er an und nippte an seinem Kaffee. „Es war mein erster großer Auftrag und ich war sehr aufgeregt. Mein Partner musste mich immer wieder beruhigen und…eigentlich war er derjenige, der sich in die Schusslinie brachte. Wir sollten uns um eine Geheimorganisation kümmern. Sie hatten innerhalb von kurzer Zeit sehr viel Geld erbeutet. Wir bekamen erst mit, dass es sie gab, weil eines ihrer Opfer Hilfe bei uns suchte. Nachdem wir eine Person identifizieren konnten, gab sich mein Partner als ihr Leibwächter aus. Er sammelte Informationen und…“ James brach ab.

Shuichi versuchte sich zu entspannen. „Alles in Ordnung, Sir?“

Black nickte. „…und flog auf. Sie hatten seine wahre Identität herausgefunden und ihn und seine Frau ermordet. Von seiner Tochter fehlt bis heute jede Spur, aber wir nehmen an, dass sie nicht mehr am Leben ist. Eine Leiche haben wir nie finden können. Das Haus…brannte bis auf die Grundmauern ab und alle Informationen wurden zerstört. Wir haben die Zielperson auch noch nach der Tat beobachtet, aber es brachte nichts. Sie war sauber und…ist mittlerweile verstorben. Über einen gewissen Zeitraum haben wir die Tochter der Zielperson beobachtet, aber...“ James schüttelte den Kopf. Ein Zeichen, dass es auch dabei keine Informationen gab.

„Ich verstehe“, gab Akai von sich. Aber er verstand noch nichts.

„Unsere Zielperson flog regelmäßig nach Japan. Ihre Tochter hingegen war bisher nur einmal dort. Die Person, die mein Partner Agent Starling damals beschattet hat, war Schauspielerin und in beiden Ländern bekannt. Natürlich haben wir daher auch Japan ins Auge unserer Ermittlungen gefasst, aber die Spuren schienen sich nur auf die Vereinigten Staaten zu belaufen. Deswegen haben wir Handlungen in Japan sofort eingestellt.“

Akai schluckte. Jetzt kam der interessante Abschnitt.

„In unseren regelmäßigen Gesprächen erwähnte Agent Starling die Männer in Schwarz. Aber er konnte nicht viel über sie herausfinden und auch unsere Suche blieb ergebnislos.“

Shuichi verkrampfte. „Sie vermuten, dass die Männer in Schwarz von damals, die Männer in Schwarz sind, von denen meine Cousine gesprochen hat?“

James nickte. „Natürlich haben wir keinen Beweis, aber ausschließen können wir es auch nicht. Dafür ist die Ähnlichkeit viel zu groß.“

„Ich verstehe“, murmelte der Agent. „Und was haben Sie jetzt vor?“

„Wir werden den Fall von damals wieder aufnehmen.“ Black räusperte sich. „Allerdings werden wir das CIA nicht darüber informieren. Das heißt, wir unterliegen strengster Geheimhaltung, wenn wir im Ausland ermitteln.“

Shuichi nickte. „Ich werde ermitteln.“

James schmunzelte. Keine Frage, sondern eine Feststellung von Akai. Nichts anderes hatte er erwartet. „Agent Akai“, begann er. „Wie Sie wissen, haben wir im Ausland keine Befugnisse.“

„Ja, das weiß ich.“

„Das heißt, wir verstoßen gegen das geltende Recht. Wenn Sie erwischt werden, wird das FBI alles leugnen. Man wird Sie als Sündenbock benutzen. Ihre Karriere können Sie dann vergessen.“ James räusperte sich. „Allerdings bleibt uns nichts anderes übrig, als das Risiko einzugehen. Wir müssen ermitteln. Momentan ist Ihre Cousine unser einziger Anhaltspunkt.“

„Sie wird uns nicht so einfach helfen“, entgegnete er. „In den beiden Telefonaten hat sie alles versucht, damit ich sie in Ruhe lasse. Allerdings vermute ich, dass ich Ihre beste Chance bin. Wir sind verwandt und wenn ich meine Trümpfe richtig ausspiele, wird sie mit mir reden. Ich glaube nicht, dass einem anderen Agenten dies gelingt.“

Black runzelte die Stirn. „Agent Akai, das könnte man Ihnen als Erpressung auslegen. Ich verstehe ja, dass Sie in diesem Fall unbedingt ermitteln wollen.“

„Das wollte ich damit nicht sagen“, entgegnete Akai. „Ich habe nur aufgezählt, welchen Vorteil es hätte, wenn ich ermitteln kann. Und ja, Sie haben Recht, ich möchte diesen Fall übernehmen.“

„Agent Akai, ich kann natürlich verstehen, dass Sie uns unterstützen wollen, aber bedenken Sie, dass Sie Familie haben. Ich habe schon einmal gesehen, wie eine Familie auseinander gerissen wurde.“

„Machen Sie sich darum keine Sorgen“, fing Akai an. „Meine Mutter und Schwester sind in England und dort in Sicherheit. Beide sind sehr geübt, was Selbstverteidigung angeht. Wenn etwas schief geht, müssen Sie jemanden dorthin schicken. Mein Bruder ist zwar in Japan, aber ich kann ihm aus dem Weg gehen. Keiner aus meiner Familie wird wissen, dass ich mich in Japan aufhalte. Und von meinem Vater wissen Sie ja auch…“ Shuichi sah ihn an. „Außerdem glaube ich nicht, dass Sie ausreichend japanisch sprechende Agenten haben, die dort arbeiten könnten. Ich bin somit Ihre beste Wahl.“

James ließ ihn zappeln und schwieg.

„Wie Sie wissen, verschwand mein Vater vor etwa 17 Jahren. Er war damals in Amerika. Von meiner Tante und meinem Onkel weiß ich nichts. Wenn meine Familie in irgendeinem Zusammenhang zu den Männer in Schwarz steht, muss ich ermitteln. Und wenn diese Organisation in den letzten Jahren gewachsen ist, könnte ich, als Scharfschütze, ihre Aufmerksamkeit auf mich ziehen.“ Shuichi sah ihn an. „Ich bin mir darüber im Klaren, was ich verlieren kann. Und ich gehe dieses Risiko ein.“

„Wir dachten uns schon, dass Sie nicht so leicht mit sich reden lassen.“

„Das heißt?“ Shuichi verengte die Augen.

„Sie werden fliegen“, fing er an. „Sie müssen mit Ihrer Cousine Kontakt aufnehmen und die Männer in Schwarz ausfindig machen. Wenn diese Geheimorganisation noch immer existiert, werden Sie versuchen sich einzuschleichen. Aber vergessen Sie nicht, dass Ihr Leben wichtiger ist. Wenn Sie feststellen, dass Sie aufgeflogen sind, kommen Sie zurück. Sie werden nichts tun, was die Operation gefährdet oder das Leben anderer beeinträchtigt. Und wenn Sie es doch müssen, nehmen Sie vorher mit uns Kontakt auf und lassen sich die Handlung bestätigen. Wir werden versuchen, die potentiellen Opfer in Sicherheit zu bringen und durch Doubles zu ersetzen. Außerdem werden Sie mit uns regelmäßig in Kontakt stehen. Sie werden uns alles mitteilen, was Sie in der Zwischenzeit erfahren. Ich möchte nicht noch einmal, dass Wissen vernichtet wird und wir mit leeren Händen dastehen.“

„Wann geht es los?“, wollte der Agent wissen.

„In einer Woche. Sie werden eine neue Identität bekommen und die Hintergrundgeschichte lernen. Sie werden morgen das Team kennen lernen. Einige Agenten werden schon eher nach Japan fliegen, andere später. Wir wollen kein Risiko eingehen.“

Shuichi nickte. „Klingt gut.“

James sah ihn an. „Akai, bitte seien Sie vorsichtig. Wir wissen nicht, mit wem wir es zu tun haben. Wenn diese Geheimorganisation tatsächlich noch existiert, könnte sie gefährlicher geworden sein.“

„Machen Sie sich um mich keine Sorgen“, fing er an. „Ich weiß, was ich tue.“

Ankunft in Japan

Eine Woche war eigentlich viel zu wenig Zeit um sich für diesen Auftrag vorbereiten. Shuichi aber nahm die Herausforderung liebend gerne an. Nur so konnte man wachsen. Sein Vorgesetzter – James Black - hatte das Ziel klar und präzise definiert. Akai sollte sich – falls es sie wirklich gab - in die Organisation der Männer in Schwarz einschleusen und dort Informationen sammeln. Wenn es machbar war, sollte er an die hohen Tiere der Organisation herankommen, auch wenn er dafür gegen seine Moralvorstellungen verstoßen musste. Der Auftrag war ohne eine zeitliche Frist angesetzt gewesen. Natürlich würde der FBI Agent nicht von heute auf morgen eine Spur finden. Agierten sie zu schnell, zögen sie alle Aufmerksamkeit auf sich. Es musste langsam von Statten gehen – auch wenn sich Akai für diese Zeit von allen Freunden und Bekannten verabschieden musste. Offiziell wurde der FBI Agent Shuichi Akai an einen anderen Standort versetzt, während er in Japan als Dai Moroboshi tätig war.

Das FBI hatte lange an der Hintergrundgeschichte von Dai Moroboshi gesessen. Die Person, die sie kreierten, durfte nicht zu perfekt sein. Er musste Ecken und Kanten haben. Und dafür würde der Agent selbst sorgen. Die letzten Tage hatte er damit verbracht sich das Profil seiner Scheinidentität einzuprägen und dessen Handlungen nachzuvollziehen.

Dai Moroboshi hatte einiges mit ihm gemeinsam, aber es gab auch sehr viele Unterschiede. Sie hatten beinahe die gleichen Vorlieben und Abneigungen. Dai war wie er 28 Jahre alt, ein guter Schütze und trank gerne Bourbon. Aber die Unterschiede waren gravierender. Dai besaß keine Geschwister und auch keine intakten Familienverhältnisse. Er war Einzelkind – soweit er wusste und im Kinderheim aufgewachsen. Über seine leiblichen Eltern war nichts bekannt. Er hatte sich aber auch nie für diese interessiert. Zudem besaß Dai nur die japanische Staatsangehörigkeit, war aber schon mehrfach im Ausland gewesen. Dai hatte nur eine normale Schulbildung genossen – kein Studium, keine Weiterbildungen. Sein weiteres Wissen hatte er sich angelesen. Zudem hatte Dai seit er 16 Jahre alt war verschiedene Nebenjobs durchgeführt - vom Tellerwäscher bis zum Maler und noch vieles mehr. An Erfahrung mangelte es ihm somit nicht. Zudem war Dai kein Kind von Traurigkeit. Dispute regelte er gern mit seinen Fäusten. Wurde jemand auf ihn aufmerksam, verschwand er oder ließ das Opfer als Sündenbock dastehen.

Später wurde Dai Moroboshi von den Selbstverteidigungsstreitkräften angeworben. Diese stellten die japanischen Streitkräfte dar, die nach Ende des zweiten Weltkrieges und nach der Besatzungszeit aufgebaut wurden. Gemäß Artikel 9 des Verfassungsgesetzes war es Japan untersagt eine Armee zu unterhalten, da diese auf Krieg als ein Mittel zur Beilegung internationaler Streitigkeiten verzichten müssen. Allerdings durften die Japaner bewaffnete Streitkräfte zur Selbstverteidigung ihres Landes rekrutieren. Dai war mehrere Jahre für die Streitkräfte tätig, ehe er sich für den Ausstieg entschied. Es war seine eigene Entscheidung und offiziell war ihm die defensive Haltung der Streitkräfte ein Dorn im Auge.

Seit diesem Zeitpunkt hielt sich Dai mal hier, mal da auf. Er blieb nie lange an einem Ort und wenn es ihm langweilig wurde, verschwand er. Sein Lebenslauf war löchrig und mit weiteren Nebenjobs gespickt. Vorwiegend hielt er sich auf dem Schießübungsplatz auf und arbeitete an seiner Treffsicherheit.

Durch einen Bekannten von James Black - der ihm einen Gefallen schuldete - wurde Dai Moroboshi offiziell ins japanische System eingespeist. Seinen Führerschein würde er in wenigen Wochen per Post an seine neue Wohnung geschickt bekommen. Ebenso verhielt es sich mit der Krankenversicherungskarte. Während dieser Zeit musste Akai unbedingt die Füße still halten und durfte keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Ein falscher Schritt und seine falsche Identität wäre aufgeflogen. Wer wusste schon, wie viel Macht die Männer in Schwarz besaßen?

Wenn Sie erwischt werden, wird das FBI alles leugnen. Man wird Sie als Sündenbock benutzen. Ihre Karriere können Sie dann vergessen.

Shuichi dachte an die Worte seines Vorgesetzten. Etwas anderes hatte er nicht erwartet. Aber sie waren ihm einen Schritt voraus. Unter Dais Namen hatten sie eine Wohnung gemietet und Geld auf das gefälschte Konto transferiert. Die Bankkarte würde er hoffentlich in seinem Briefkasten finden. Parallel dazu hatte er alle wichtigen Unterlagen aus den Staaten mitgenommen und würde sie an einem sicheren Ort aufbewahren. Die Miete für seine Wohnung in den Staaten trug das FBI, während sein Gehalt auch weiterhin überwiesen wurde. Nur im äußersten Notfall würde der FBI Agent mit dieser Karte Geld abheben.

Vor seinem Abflug hatte James ihn erneut instruiert und gefragt, ob er wisse, worauf er sich einließe. Trotz der aufrichtigen Sorge in der Stimme seines Vorgesetzten, ahnte er, dass das FBI etwas vor ihm verbarg. Sie gingen viel zu geplant vor, besonders in Angesicht der kurzen Zeit. Es musste mit dem Fall von Agent Starling in Verbindung stehen.

Shuichi hatte im Archiv des FBIs herum geforscht und die alten Akten gefunden. Sie waren alle von James erstellt worden – nur von ihm. Kein Wunder, wenn man bedachte, dass sein Partner Agent Starling das Attentat nicht überlebte. Aus den Berichten ging hervor, dass alle gesammelten Unterlagen bei dem Brand des Hauses vernichtet wurden. Es war nichts mehr übrig, was auf die Organisation der Männer in Schwarz hinwies. Keiner wusste, was Agent Starling noch alles herausgefunden hatte. Black hatte zwar alle Treffen sicherheitshalber dokumentiert, aber nichts Belastendes dabei festgestellt. Kein Wunder, dass das FBI wieder bei null war. Oder nicht?

Nach dem Attentat wurden lediglich Mutmaßungen angestellt. Nicht einmal die Spurensicherung konnte noch feststellen, ob eingebrochen wurde oder ob die Familie den Täter ins Haus ließ. Es wurden zwei Leichen gefunden. Eine im Badezimmer – Mrs. Starling und eine im Wohnzimmer – Agent Starling. Anhand der Position des Körpers und der verbliebenden Gegenstände befand sich der Agent zum Zeitpunkt seines Todes im Arbeitszimmer. Nachdem die Böden dem Feuer nicht mehr stand halten konnte, verschob sich der Tatort nach unten. Allerdings wiesen beide Leichen Einschussstellen. Nach Aussage der Spurensicherung mussten Agent Starling und seine Frau nicht leiden. Sie waren unverzüglich tot. Aber keiner wusste, was mit der Tochter der Familie passiert war. Ihre Leiche wurde nicht gefunden. Es blieb offen, ob sie dem Feuer entkommen konnte und draußen umher irrte oder ob sie von dem Attentäter mitgenommen wurde. Mehrere Teams hatten die Gegend nach dem Mädchen durchsucht, in Krankenhäusern, bei der Polizei und sogar in Kinderheimen und beim Jugendamt nachgefragt. Alles erfolglos. James Black hatte selbst jahrelang nach dem Kind gesucht. Nach einem Jahr war die Suche auf ganz Amerika ausgeweitet worden und danach auf das nähere Ausland. Parallel hatten die Techniker Bilder von Jodie in unterschiedlichen Altersstufen angefertigt, diese aber auf Anweisung von Black und zum Schutz des Kindes wieder vernichtet. Es schien, als hätte sein Vorgesetzter die Suche noch immer nicht aufgegeben. Wer konnte es ihm verdenken? Sie war die Tochter seines Partners. Die einzige Überlebende des Massakers. Und solange keine Leiche gefunden wurde, bestand noch Hoffnung. Müsste er ihren Fall kurz und knapp beschreiben, wäre sie eine Art Schrödingers Katze.

Akai kannte das Gedankenexperiment von Erwin Schrödinger aus seinem Studium. In diesem Szenario befand sich in einem geschlossenen Kasten eine Katze sowie ein instabiler Atomkern in Form eines radioaktiven Präparates. Sobald eine Strahlung freigesetzt wurde, löste ein Detektor in Form eines Geigenzählers die Freisetzung von Giftgas aus. Solange man aber nicht in den Kasten hinein sah, konnte die Katze beide Zustände haben – tot oder lebendig. Damit wollte Schrödinger seinerzeit quantenmechanische Zustände beschreiben.

Hätte Akai mehr Zeit gehabt, hätte er sich den Fall von damals noch genauer angesehen. Aber die Vergangenheit durfte die Zukunft nicht beeinflussen. Er musste sich auf das hier und jetzt konzentrieren. Und das hieß: Die Männer in Schwarz zu infiltrieren.

Shuichi beobachtete die Menschenmenge. Vor allem die Touristen liefen wie aufgeschreckte Hühner von einer Seite auf die andere. Dass sie vorab noch durch die Zollabteilung am Flughafen mussten, schien ihnen vorher nicht bewusst gewesen zu sein.

Es war Jahre her, seitdem der FBI Agent seiner Heimatstadt einen Besuch abstattete. Und dennoch beschlich ihn das Gefühl, dass sich nichts verändert hatte. Trotzdem musste er aufpassen, dass er seinem Bruder nicht zufällig in die Arme lief. Aber er hatte vorgesorgt und sich bereits online über den Stadtteil, in dem Shukichi lebte, informiert. Mit Glück würde er die Begegnung umgehen können. Ansonsten müsste er sich eine Ausrede einfallen lassen und hätte mit Pech seine Mutter und Schwester auch noch hier.

Shuichi folgte der Menschenmenge nach draußen und stellte sich an die Bushaltestelle. Er beobachtete das rege Treiben und musste über das Handeln der potentiellen Touristen nur den Kopf schütteln. Während die Einheimischen erst die Insassen des Busses ausstiegen ließen, versuchten sich die Touristen sofort rein zu zwängen. Es war eine typische Handlung aus dem Westen. Angst, dass man sonst nicht mitgenommen wurde. Er zahlte sein Ticket und hievte seinen Koffer in den Bus. Viel durfte er nicht mitnehmen. Das notwendige würde er nachkaufen und je nachdem, um was es sich handelte, die Rechnung dem FBI weiter leiten. Shuichi setzte sich nach hinten und schloss die Augen. Jetlag. Er hasste es, aber er konnte im Flugzeug einfach nicht schlafen. Jetzt zeigte sich sein Fehler. Er würde entweder jetzt oder später in der Wohnung in einen komatösen Tiefschlaf fallen und mitten in der Nacht aufwachen.

Beinahe hätte er seinen Ausstieg verpasst. Akai sprang hoch, schnappte sich seinen Koffer und verließ den Bus. In seiner Eile hatte er die junge Frau beinahe umgerannt – passend zu seinem Profil als Dai.

„Entschuldigung“, sie verbeugte sich und stieg in den Bus.

Shuichi nickte, beobachtete aber ihren Weg durch den Bus, ehe dieser abfuhr. Er verengte die Augen. Das war sie also. Seine Cousine. Akemi Miyano.

Akai kannte ihr Gesicht von Bildern her. Sie aber jetzt in der Realität zu sehen, hatte schon etwas Eigenartiges an sich. Sie war Familie und doch so unbekannt. Der Zufall sprengte seinen Plan. Eigentlich wollte er sie erst in einem Monat treffen. Aber vielleicht würde sie sich auch gar nicht mehr an ihn erinnern.

Shuichi schüttelte den Kopf. Er durfte sich nicht zu viel Gedanken machen. Keine Ablenkung. Es war einfach nur ein glücklicher Zufall – mehr auch nicht. Akai nahm den Koffer und zog diesen zu dem Wohnblock. Vor der Haustür blieb er stehen und studierte die Namen der anderen Mietparteien. Er betätigte die Klingel zur Wohnung des Hausmeisters.

„Ja, bitte?“, ertönte es.

„Moroboshi“, fing Akai an.

„Kommen Sie rein.“

Shuichi hörte den Summton und drückte die Wohnungstür auf. Die Tür zur Hausmeister-Wohnung ging unverzüglich auf und ein Mittvierziger blickte ihn an. Er musterte ihn und ging Sekunden später auf den Agenten zu. „Das sind Ihre Schlüssel. Sie müssen mit dem Fahrstuhl zur vierten Etage hoch fahren. Wenn Sie mit irgendwas Probleme haben, stehe ich zu jeder Tages- und Nachtzeit zur Verfügung.“

Akai nickte und steckte den Schlüsselbund ein. Er ging auf den Aufzug zu und betätigte den Knopf. Als die Aufzugstur aufging, stieg er ein und fuhr nach oben. Shuichi sah sich auf dem Flur um. In jeder Etage wohnten drei Parteien. Die Wohnungen rechts und links schienen größer zu sein – für Familie. Die mittlere Wohnung war für alleinstehende Personen gedacht. Es machte ihm nichts aus, immerhin würde er nur zum Schlafen und gelegentlich zum Schreiben der Berichte herkommen. Akai schob den Schlüssel am Bund in das Schloss und betrat seine neuen vier Wände.

Das FBI hatte dafür gesorgt, dass sie bereits möbliert und auf einen Mann seines Alters zugeschnitten war. Shuichi ließ seinen Koffer im Flur und sah sich dann um. Auf der linken Seite lag das Badezimmer. Klein, aber passabel und mit Dusche. Auf der rechten Seite war ein kleiner Abstellraum mit Sicherungskasten. Langsam schlüpfte der Agent aus seinen Schuhen und betrat den großen Wohnraum. Direkt zu seiner Linken fand er die Küche vor. Shuichi öffnete die Schränke und den Kühlschrank, während er im Kopf bereits eine Einkaufsliste zusammen stellte. Der allgemeine Wohnraum war sehr groß bemessen. In der Hälfte des Raumes gab es eine Trennwand, die ihm bis zur Hüfte reichte. Die eine Seite der Wand war mit einem Schreibtisch und Stuhl ausgestattet. Auf der anderen Seite befanden sich die Wohnwand mit Fernseher sowie eine Sofaecke mit Tisch. Von dort kam man in das kleine Schlafzimmer. Bett und Schrank. Ausreichend für den FBI Agenten. Shuichi war sich sicher. Hier würde er es noch einige Zeit aushalten können. Er leckte sich über die Lippen. Der Auftrag hatte begonnen.

Aller Anfang ist schwer

Shuichi setzte seinen Plan in die Tat um. Er hielt sich zurück und fiel nicht auf. Seinen ersten Monat nutzte er um sich mit seinem ehemaligen Heimatland wieder vertraut zu machen. Die japanische Mentalität war anders als die der New Yorker. Während seiner Zeit in den Staaten hatte er einige Traditionen abgelegt, an die er nun wieder erinnert wurde. Ein großer Unterschied waren die Umgangsformen der Japaner. So wurden Schuhe vor dem Betreten einer Wohnung – egal ob es sich dabei um die eigene oder um eine fremde Wohnung handelte – eines Tempels oder eines Restaurants ausgezogen und Hausschuhe angezogen. Dabei achteten die Eigentümer oder die Mieter der Wohnung auf ausreichende Fußbekleidung. Zum anderen lagen den Japanern ihre Mitmenschen sehr am Herzen. Die Straßen wurden frei von Müll gehalten und der Straßenverkehr wurde strengstens beachtet. Dass jemand bei einer roten Ampel über die Straße lief, kam nur sehr selten vor. Außerdem ließen die Japaner ihre Mitmenschen erst aus Bussen und Zügen aussteigen, ehe sie selbst einstiegen. Bei einer Erkältung oder einer anderen Krankheit wurden Atemschutzmasken getragen und persönliche Befindlichkeiten nach hinten gestellt. Auch wenn man unangekündigten Besuch bekam, blieb man stets höfflich und lud die Person ins Wohnzimmer ein. Sofort wurden Getränke wie Tee, Wasser oder Kaffee sowie Kleinigkeiten zum Naschen aufgetischt. Die Arbeitszeiten der Japaner lagen bei rund 12 Stunden pro Tag und wenig Urlaubstagen. Die Kinder lernten oder machten ihre Hausaufgaben bis spät in den Abend, ehe sich ihr Rhythmus am nächsten Tag wiederholte.

Aber es gab auch Schattenseiten. Einige Japaner lebten diese offen aus, andere im Geheimen. Das Vorhandensein bestimmter Etablissements war oftmals als offenes Geheimnis bekannt gewesen.

Im vergangenen Monat hatte Akai beide Seiten von Tokyo kennen gelernt. Sein Leben fand nahezu am Abend und in der Nacht statt, weil er die Männer in Schwarz so einschätze. Er besuchte regelmäßig verschiedene Bars und führte Gespräch mit Gästen und den Barkeepern. Wann immer es ging, ließ er unterschwellig Kommentare zum japanischen Schul- und Verteidigungssystem fallen. Manchmal diskutierte er mit einigen anderen Männern und nahm an der einen oder anderen Schlägerei teil. Sollten die Männer in Schwarz auf ihn aufmerksam werden, wüssten sie, dass er nicht zimperlich war. Dass bisher noch niemand mit ihm Kontakt getreten war, musste kein schlechtes Zeichen sein. Eine Organisation, die seine Mitglieder wahllos auswählte, war nicht vertrauenswürdig. Mit den ganzen Hintergrundprüfungen und Observationen würde es sowieso noch eine Weile dauern. Nur wurde er bislang nicht beobachtet.

Als das größte Problem stellte sich allerdings das FBI heraus. Er hatte von Anfang an mit offenen Karten gespielt und sein geplantes Vorgehen anhand eines Zeitstrahls vorgestellt. Zudem hatte er mit seinen Vorgesetzten ausgemacht, dass es regelmäßige Berichte und unter Umständen persönliche Gespräche geben würde. Damit hatte er ein tägliches oder wöchentliches Update nahezu ausgeschlossen. Allerdings schien es James Black anders verstanden zu haben. Direkt nach seiner Ankunft musste er diese telefonisch bestätigen. Eine Woche später wollte das FBI den aktuellen Ermittlungsstand wissen. Dass er nicht viel zu berichten hatte, freute seine Vorgesetzten nicht. In der zweiten Woche hatte er seinem Arbeitgeber klar gemacht, dass der dauerhafte Kontakt zum FBI – auch wenn er über eine sichere Nummer und Leitung lief – nur Probleme mit sich bringen würde. Letzten Endes verständigten sie sich auf monatliche Aktualisierungen des Ermittlungsstandes.

Parallel musste er sich auch noch um die erste Kontaktaufnahme zu seiner Cousine kümmern. Er hatte Akemi beobachtet und kannte ihren ungefähren Tagesablauf. Einmal die Woche ging sie morgens in das Schwimmbad ihres Fitnessstudios und schwamm ihre Bahnen. An einem anderen Tag lief sie morgens ihre fünf Kilometer-Runde.

Da sie gerade ihr Studium abgeschlossen und frisch in einer Bankfiliale angefangen hatte, achtete sie sehr auf Pünktlichkeit und arbeitete oft noch nach Feierabend. Ihre Abendplanung war dementsprechend nicht vorhanden. Was Akai allerdings am meisten störte, war die Tatsache, dass sie an manchen Wochenenden wie vom Erdboden verschluckt war. Er konnte nie sagen, ob sie am Samstag oder schon am Freitag verschwand. Eines aber war sicher: Er konnte ihre Spuren nie nachverfolgen. Und dann gab es auch wieder die Wochenenden, wo sie ihre Wohnung nur zum Einkaufen verließ und sich sonst einigelte. Viele Freunde schien sie nicht zu haben.

Dass irgendwas nicht stimmte, war dem jungen FBI Agenten bereits aufgefallen. Die schwarz gekleideten Männer, die Akemi ebenfalls beobachteten, taten ihr übriges. Allerdings arbeiteten sie stümperhaft, da auch Akemi ihre Anwesenheit bemerkt hatte und sich entsprechend verhielt. An der Existenz der Männer in Schwarz bestand kein Zweifel mehr. Aber handelte es sich auch um die gleiche Gruppierung, die Agent Starling und seine Familie auf dem Gewissen hatte? Eines war ihm von Anfang an klar gewesen. Er arbeitete an etwas Großem und auch wenn es ihm leid tat, Akemi war der Schlüssel zu ihren Machenschaften.

Shuichi schloss seinen Spind und legte sich das Band mit dem Schlüssel um das Handgelenk. Er betrat den Duschraum und ließ das Wasser auf sich niederprasseln, ehe er in die Schwimmhalle ging. Akai warf einen flüchtigen Blick auf die Uhr. Akemi würde in frühestens 30 Minuten in die Halle kommen, so wie sie es immer tat. Shuichi sprang in das Wasser und schwamm ein paar Bahnen. Hin und her. Nach einer halben Stunde hievte er sich am Beckenrand nach oben und sah in das überraschte Gesicht von Akemi. Ihre Reaktion war nicht ungewöhnlich, immerhin traf sie sonst zu dieser Uhrzeit niemanden im Schwimmbad. Das war auch der Grund, warum sie morgens überhaupt herkam. Einfach nur Ruhe haben. Vor allen Menschen.

Shuichi nickte ihr zur Begrüßung zu, ehe er das Schwimmbad durch die Herrenumkleide verließ. Er öffnete seinen Spind und begann sich abzutrocknen. Er schmunzelte. Alles lief nach Plan. Akai zog sich an und trocknete seine Haare. Er musste nur noch ausharren, bis Akemi mit ihrem Morgenprogramm fertig war. Akai schnappte sich seine Sporttasche und ging nach oben in den Fitnessbereich, wo er sich an die Bar setzte und einen Smoothie zu sich nahm. Eine halbe Stunde später machte er sich auf den Weg Richtung Ausgang. Er zog sein Handy aus der Hosentasche und tippte auf dem Display herum. Als er gegen eine Person stieß, ließ er das Handy absichtlich fallen.

Erschrocken zuckte Akemi zusammen. „Tut mir leid, das wollte ich nicht“, sagte sie sofort und hob das Handy auf. „Ich war in Gedanken und…“ Sie stockte.

Shuichi griff nach seinem Telefon. „Sie können nichts dafür“, begann er. „Ich hab nicht auf meine Umgebung geachtet.“ Er musterte sie. „Ist alles in Ordnung mit Ihnen?“

Akemi nickte. Sie hatte sich wieder gefangen. „Bitte entschuldigen Sie“, kam es erneut von ihr. „Sie waren doch vorhin auch im Schwimmbad.“

Akai nickte. „Manchmal brauch ich ein paar ruhige Bahnen, ehe ich hier oben mit meinem Programm beginne. Sie scheinen es wohl ähnlich zu machen. Ich hoffe aber, ich habe Sie dort unten nicht zu sehr erschreckt.“

Sofort schüttelte die junge Frau den Kopf. „Nein nein…so war das nicht“, entgegnete sie. „Ich hatte mich nur gewundert, jemanden im Wasser vorzufinden. Wie Sie schon sagten, dort unten ist es zu dieser Uhrzeit immer ruhig. Ich bin es einfach zu sehr gewöhnt, im Schwimmbad alleine zu sein.“ Akemi sah auf ihre Armbanduhr. „Oh, es tut mir leid, ich muss jetzt wirklich los.“

„Aber natürlich“, gab der Agent von sich. „Darf ich Sie als Entschuldigung zu einem Kaffee einladen?“

Akemi zögerte. Sie sah sich um. Danach blickte sie wieder den Agenten an. „Eigentlich hab ich Sie angerempelt und müsste Sie einladen…“, murmelte sie. „Wie wäre es um 13 Uhr im Café Poirot?“

„Gerne.“
 

Akemi saß nervös im Café und starrte regelmäßig auf die Uhr an ihrem Handgelenk. Hatten ihn die Männer in Schwarz überprüft, abgefangen und umgebracht? Die Organisation hatte aus ihrer Anwesenheit nie einen Hehl gemacht. Sie zeigten sich immer dann, wenn sich Akemi in Sicherheit wähnte. Sie ließen sie regelmäßig wissen, wer am längeren Hebel saß. Spurte sie nicht, bedrohten sie das Leben ihrer jüngeren Schwester.

Vor einigen Jahren hatte sich Akemi für ein Leben in der Organisation und ein Arbeiten für diese entschieden. Insgeheim ging es ihr aber darum, ihre Schwester zu befreien und ihr ein eigenes Leben zu ermöglichen. Während sie selbst ganz normal aufwuchs, wurde Shiho frühzeitig ins Ausland gebracht und besuchte dort die renommiertesten Schulen und die Universität. Die Organisation hatte früh das Potential ihrer Schwester erkannt und da ihre Eltern Ärzte waren, war es nicht ungewöhnlich, dass auch Shiho in die Wissenschaft gedrängt wurde.

Shiho glaubte zwar, dass sie ihr Leben liebte und selbst Entscheidungen treffen konnte, aber die Wahrheit sah ganz anders aus. Die Organisation schwebte über ihnen wie ein Damokles Schwert. Dabei wollte Akemi doch nur eines: Shiho sollte ihr eigenes Leben leben. Was mit ihr selbst war, war egal. Zwar hatte Akemi ihr eigenes Leben bekommen, aber es fühlte sich nicht als solches an. Sie war unvollständig und musste auf jede Handlung achten. Jeder Mensch mit dem sie sich gut verstand und der für die Organisation ein Risiko darstellte, wurde nach und nach aus ihrem Leben eliminiert. Die Organisation ging dabei sehr behutsam vor. Akemi hatte eines gelernt: Jeder, der in der Organisation etwas zu sagen hatte, trug Schwarz. Sie nannte sie zwar insgeheim die Männer in Schwarz, aber sie kannte auch weibliche Mitglieder. Und mit denen war nicht zu spaßen…

„Bitte entschuldigen Sie die Verspätung.“ Shuichi setzte sich ihr gegenüber.

Akemi sah nach oben. Sie musste sofort lächeln. „Das macht doch nichts. Ich bin auch noch nicht so lange hier“, antwortete sie.

Shuichi nahm die Karte und sah rein. „Können Sie etwas empfehlen?“

„Das kommt auf Ihren Geschmack an“, fing sie an. „Der Kaffee und die Sandwiches sind sehr gut.“

Shuichi legte die Karte zur Seite. „Eines muss ich noch Fragen“, sagte er. „Verraten Sie mir Ihren Namen?“

Die junge Frau schmunzelte. „Akemi. Akemi Miyano.“

„Dai Moroboshi“, stellte sich der Agent vor. „Freut mich, Akemi Miyano.“

„Und gehen Sie oft in das Fitnessstudio?“, wollte sie von ihm wissen.

„Nicht so oft wie ich sollte. Das Schwimmbad nutze ich noch seltener. Dafür laufe ich hin und wieder draußen und ich trainiere regelmäßig meine Fähigkeiten in Jeet Kune Do.“

„Sie machen Kampfsport?“

„Eigentlich handelt es sich dabei um Selbstverteidigung. Aber im Zweifel kann man das Gelernte auch anwenden um zu kämpfen.“

„Was darf ich Ihnen bringen?“ Der Kellner sah die Beiden an.

„Einen Kaffee“, antwortete Akai. Er sah zu Akemi. „Und Sie?“

„Für mich auch.“

Der Kellner verschwand wieder.

„Wie kamen Sie zu Jeet Kune Do?“, wollte Akemi wissen.

„Ich fing in meiner Jugend damit an“, erzählte der Agent. „Als Waisenkind musste ich schon früh lernen mich zu verteidigen. Und als ich von den Selbstverteidigungsstreitkräften angeworben wurde, konnte ich diese Kampfkunst noch besser trainieren.“

Akemi sah ihn überrascht an. „Oh.“

„Mhm? Alles in Ordnung?“, fragte Akai. „Ich bin kein Schläger, falls Sie das glauben. Ich lass mich einfach nur nicht so schnell unterzukriegen.“

„Nein nein“, sie hob beschwichtigend die Hände. „Das wollte ich damit nicht aussagen. Ich war nur überrascht.“ Was für eine Ironie. Kaum lernte sie jemanden abseits der Organisation kennen und es war jemand, der scheinbar ganz gut in diese hineinpasste. Oder arbeitete er bereits für sie? „Darf ich fragen, was Sie beruflich machen?“

Akai ließ sichtlich den Kopf hängen. „Mit der Frage hab ich nicht gerechnet“, gestand er. „Ich mach das, was gerade anfällt. Irgendwie habe ich bisher nichts gefunden, wo ich es länger ausgehalten habe. Aktuell fahre ich für eine kleine Supermarkt-Kette Bestellungen aus. Und Sie?“

„Ich arbeite für eine Bank“, antwortete Akemi. „Aber Sie sollten mir dazu keine Fragen stellen. Mein Studium ist gerade einmal ein paar Wochen her und die Stelle habe ich über einen Bekannten bekommen. Jetzt muss ich mich beweisen und alle Abläufe verinnerlichen.“

Shuichi nickte verstehend.

„So, Ihre beiden Kaffees.“ Der Kellner stellte die Tassen auf den Tisch. „Kann ich sonst noch etwas bringen?“

„Nein, danke“, kam es zeitgleich von Beiden.

Akemi musste daraufhin kichern.
 

Vermouth lag in ihrer Badewanne und nahm einen Schluck aus ihrem Weinglas. Die letzten Tage hatte sie mit Dreharbeiten ihres neuen Films verbracht. Jetzt konnte sie endlich wieder ausspannen und sich anderen Tätigkeiten widmen. Vermouth schloss die Augen und ließ sich langsam nach unten in das Wasser gleiten. Als ihr Handy anfing zu klingeln, seufzte sie auf und richtete sich wieder richtig auf. Sie griff nach dem Handy, welches auf der kleinen Ablage neben der Wanne lag und nahm das Gespräch entgegen. „Ja?“

„Es ist bald wieder so weit.“

Die Schauspielerin verdrehte die Augen. „Ich weiß“, begann sie. Sie musste nicht jedes Jahr daran erinnert werden.

„Ich verlass mich auf dich, Vermouth.“

„Natürlich. Wie jedes Jahr“, antwortete sie.

Das Gespräch wurde beendet und Vermouth seufzte erneut auf. Es war das gleiche Spiel wie in den letzten Jahren. James Black hatte die Suche nach Jodie offiziell abgeschlossen, setzte allerdings zweimal im Jahr erneut dabei an. Er ging alle Unterlagen und Hinweise ein weiteres Mal durch und suchte neue Spuren. Zu Jodies Geburtstag und zum Todestag ihrer Eltern, welcher gleichzeitig der Tag ihres Verschwindens war, war Vermouth für die Ablenkung zuständig. Sie spielte verschiedene Rollen und führte das FBI an der Nase herum. Und bald würde es wieder soweit sein. Vermouth wusste genau, was sie dieses Mal tun würde.

Jodie

Akemi schlüpfte aus ihren Schuhen und hing ihre Jacke an den Garderobenständer. Anschließend kramte sie ihr Handy aus der Handtasche und ging damit ins Wohnzimmer. Auf dem Weg war sie darauf bedacht, nicht in die Kameras zu schauen, die die Organisation im Laufe der letzten Jahre in ihrer Wohnung angebracht hatte. Nach und nach hatte sie ihre Plätze zufällig entdeckt. Zwei im Flur, zwei im Wohnzimmer, eine in der Küche, eine im Badezimmer und eine ihrem Schlafzimmer. Zudem gab es in jedem Zimmer ein Abhörgerät. Die Organisation hatte seinerzeit schlampig gearbeitet und Spuren hinterlassen. Dennoch hätte sie diesen Eingriff in ihr Privatleben nicht einmal der Polizei melden können, da nur drei Szenarien danach möglich waren:

Szenario eins: Die Organisation brachte sie um.

Szenario zwei: Sie brachten den Polizisten um, bei dem sie ihre Aussage machte und ließen diese verschwinden.

Szenario drei: Sie würden ihre Aussage von Anfang an verschwinden lassen und ihr drohen.

Da sie sich selbst für die Organisation entschied, kam nichts für sie in Frage. Seitdem achtete Akemi penibel darauf, was sie in ihrer Wohnung machte und sagte.

Die junge Frau ließ sich auf das Sofa fallen, legte das Handy neben sich und schloss die Augen. Manchmal war die Arbeit in der Bankfiliale anstrengend und manchmal fühlte sie sich unterfordert. Sie musste mit Kunden kommunizieren, Konten eröffnen, Geldbewegungen bearbeiten und Privatunternehmer betreuen. Auf der anderen Seite durfte sie Kaffee kochen, Unterlagen vorbereiten und ihre Ideen den Vorgesetzten präsentieren. In regelmäßigen Zeitabständen – die nicht auffielen - transferierte sie Geld auf ein Konto der Organisation oder versuchte selbst welches abzuzweigen um sich und ihre Schwester aus der Organisation raus zu kaufen. Der Organisation hatte sie ihre Position in der Bank zu verdanken. Sie sagten ihr, was sie wann zu tun hatte und wann sie untertauchen musste. Aber wenn sie aufflog, stand sie alleine da. Die Organisation bestimmte seit Jahren aus dem Untergrund ihr Leben und lenkte sie auf den richtigen Weg.

Akemi biss sich auf die Unterlippe. Sie hasste die Organisation und ihre Machenschaften. Auch wenn sie nur für die Geldbeschaffung zuständig war, lag sie oft mit schlechtem Gewissen die ganze Nacht wach. Sie war einfach nicht geschaffen für ein Leben in der Organisation. Aber welche andere Wahl hatte sie schon? Nur so war ihr der Kontakt zu ihrer kleinen Schwester erlaubt. Akemi würde die Zeit durchstehen müssen. An wen hätte sie sich auch wenden können? Aus sicherer Quelle wusste sie, dass die Polizei bereits infiltriert war. Jeder konnte auf der falschen Seite stehen.

Aber wenigstens hatte sie jetzt jemanden kennen gelernt, dem sie anfing zu vertrauen. Dai war ein einzigartiger Mann. Er hörte ihr zu und machte ihr Mut, wenn sie nicht weiter wusste. Auch wenn sie ihm nicht von der Organisation erzählt hatte, ahnte er, dass etwas im Argen lag. Auch er hatte festgestellt, dass sie beobachtet wurden, tat aber so, als wäre es das normalste der Welt. Dai hatte sie bereits darauf angesprochen, woraufhin Akemi abblockte. Er hatte nicht weiter gebohrt und stattdessen den Arm um sie gelegt.

Ihre anfängliche Angst hatte Akemi bei Seite geschoben. Seit zwei Monaten hielt die Organisation die Füße still. Akemi deutete dies als gutes Zeichen, da ihre früheren Freunde bereits in viel kürzerer Zeit von der Bildfläche verschwunden waren. Das mit Dai konnte noch etwas Großes werden. Allein bei dem Gedanken an ihn musste sie lächeln. Sie hatte sich verliebt.

Das Klingeln ihres Handys holte Akemi aus ihren Gedanken. Sie öffnete die Augen und sah auf das Display. Mit einem Lächeln nahm sie das Gespräch entgegen. „Shiho.“

„Hallo Akemi“, fing die Wissenschaftlerin an. „Hast du gerade etwas Zeit für mich?“

„Natürlich“, antwortete Akemi. „Für dich hab ich immer Zeit. Ist etwas passiert?“

„Bei mir ist alles in Ordnung. Und bei dir?“

Akemi wirkte überrascht. „Bei mir auch. Was machen deine Forschungen?“

Shiho seufzte. „Die Forschungen laufen wie geplant. Ich denke, ich bin auf einem guten Weg. Aber du weißt ja…ich kann dir nicht mehr dazu sagen.“

„Jaja…wie immer…“, sagte die junge Frau. „Ich kenn die Leier schon, aber ich bin froh, dass es so gut bei dir läuft. Glaubst du, du hast bald…ihren Auftrag erledigt?“

Shiho schwieg.

„Shiho?“

„Entschuldige“, fing sie an. „Das ist eine schwere Frage. Ich glaube, dass meine Forschungsergebnisse erst der Anfang sind.“

Akemi schluckte. „Das habe ich mir schon gedacht“, murmelte sie.

„Akemi?“, fragte Shiho leise. „Ich habe Gerüchte über dich gehört.“

Sie wirkte verhalten. „Welche Gerüchte?“

„Dass du dich mit jemanden triffst.“ Shiho wartete einen Moment. „Akemi, du weißt, wie es bei ihnen läuft. Sie werden ihn überprüfen und wenn sie zu dem Schluss gelangen, dass er nicht der Richtige für dich ist, werden sie…“

Akemi sah auf den Fußboden. „Ich weiß“, flüsterte sie. „Aber wir sind nicht zusammen. Wir haben uns erst vor zwei Monaten kennen gelernt. Wir gehen Essen, trinken mal einen Kaffee zusammen oder gehen auf ein Straßenfest…wir mögen uns einfach“, antwortete sie.

„Vielleicht wäre es besser, wenn ihr euch nicht mehr sehen würdet.“

„Shiho“, begann Akemi. „Ich weiß, du machst dir nur um mich Sorgen, aber ich weiß, was ich tu. Und Dai tut mir wirklich gut. Vielleicht lernst du ihn auch irgendwann mal kennen…wenn sie es erlauben.“

„Mhm…ja vielleicht…“, murmelte Shiho. „Akemi? Es kann sein, dass ich an einen anderen Standort versetzt werde.“

Akemi schluckte. „Was? Aber warum?“

„Es ist noch nicht sicher“, begann Shiho. „Das Equipment dort soll viel besser sein. Wenn ich mehr weiß, sage ich es dir.“ Shiho wartete einen Moment. „Akemi? Das sollte dich jetzt nicht aus der Bahn werfen. Es tut mir leid. Lass uns über etwas Positives reden. Triffst du dich heute noch mit diesem Dai?“

„Ja, wir sind nachher in einem amerikanischen Café verabredet. Wusstest du, dass es eines im Bezirk Shinjuku gibt? Wir haben es vergangene Woche entdeckt.“ Akemi versuchte fröhlich zu wirken, aber in Wahrheit machte sie sich Sorgen.

„Nein, wusste ich nicht“, antwortete Shiho. „Akemi? Bitte sei vorsichtig, wenn du mit ihm ausgehst.“

Sie lächelte. „Das bin ich doch immer.“
 

Akemi betrat das Café und sah sich um. Schnurrstracks ging sie zu dem Tisch an dem Dai saß. „Die Verspätung tut mir leid“, fing sie an. „Ich hab noch mit meiner Schwester telefoniert und danach bin ich kurz eingeschlafen.“ Den möglichen Standortwechsel des Labors ihrer Schwester ignorierte sie erst einmal. Noch war nichts entschieden und wer hatte gesagt, dass sie dann Tokyo verließ?

Shuichi sah sie überrascht an. „Du hast eine Schwester?“, fragte er.

Akemi setzte sich. „Ja, sie ist ein paar Jahre jünger als ich und Wissenschaftlerin. Aber wahrscheinlich könnte ich dir gar nicht so viel über ihre Arbeit erzählen, weil ich die Hälfte nicht einmal selbst verstehe“, schmunzelte sie. „Leider muss Shiho immer so lange arbeiten, aber irgendwann stell ich sie dir vor. Du wirst sie sicher mögen.“

Akai nickte. Jetzt hatte er also noch eine zweite Cousine von der er nichts gewusst hatte. Selbstverständlich hatte der Agent über Elena und Atsushi Miyano recherchiert. Beide waren Ärzte und hatten ihre Praxis aufgegeben um im Bereich der Wissenschaft tätig zu werden. Irgendwann waren sie bei einem Laborunfall getötet worden und hinterließen ihre Tochter Akemi. Shiho wurde nirgends erwähnt. Allein durch diese neue Erkenntnis hatte sich sein Auftrag bereits gelohnt. „Seht ihr euch oft?“

„Nicht so oft, wie ich es will, aber ja“, entgegnete sie. „Hast du schon bestellt?“ Akemi wies auf die Menükarte.

„Ich hab auf dich gewartet, aber ich weiß, was ich will“, sagte der Agent. „Wie war dein Tag?“

„Lang“, antwortete sie und sah sich die Gerichte an. „Ich bin den ganzen Tag von einem Raum in den nächsten gelaufen. Alle meine Kunden hatten Sonderwünsche, aber das gehört eben zum Job.“

Akai nickte. „Du hättest unser Treffen ruhig absagen können. Das versteh ich. Oder ich wäre zu dir gekommen.“

Akemi lächelte. „Nicht so schlimm. Ich hab mich doch auf heute Abend gefreut. Und bei dir? Hat sich schon jemand auf deine Bewerbungen gemeldet?“

Shuichi schüttelte den Kopf. „Ich hab ein paar potentielle Arbeitgeber angerufen, aber keiner hatte Bedarf. Ich mach es einfach wie immer. Ich nehm, was kommt und schlag mich durch.“

Akemi sah ihn mitleidig an und legte ihre Hand auf seine. „Das wird schon. Ich könnte ja mal in der Bank fragen, ob irgendwo ein Fahrer gesucht wird.“

„Lieber nicht“, antwortete Akai. „Sei mir nicht böse, aber ich denke, es ist keine gute Idee, wenn wir jeden Tag privat und beruflich aufeinander hocken.“

„Äh…ja…du hast recht“, stimmte Akemi zu und sah wieder in die Karte. „Hm…was nehm ich denn?“

Prompt stand auch schon der Kellner an ihrem Tisch. „Haben Sie schon gewählt?“

„Für mich einen großen schwarzen Kaffee und das American Steak.“ Akai sah zu Akemi. „Du kannst dir ruhig Zeit lassen.“

„Für mich einen kleinen Kaffee mit Milch und Zucker und den Chicken Burritto“, antwortete Akemi. „Hab ich das richtig ausgesprochen?“, wollte sie von Akai wissen.

Shuichi nickte. „Das wird dir bestimmt schmecken.“

„Wenn nicht, darfst du es aufessen und ich nehm einfach Eiscreme. Bei Eiscreme kann keiner etwas Falsch machen“, gab sie von sich.

„Das können wir gerne so machen“, lachte der Agent.

„Akemi?“

Die Gefragte sah nach oben. „Jo…jodie…“, sagte sie überrascht.

„Was machst du denn hier?“, wollte die Blondinne wissen. „Das ist ja ein Zufall.“

Akemi nickte. „Wir sind zum Essen verabredet. Und du?“

„Ich bin hier öfters“, log Jodie. „Und hab mir etwas zum Abholen bestellt.“ Jodie sah zu Akai. „Akemi, willst du uns nicht vorstellen?“

Die junge Frau schluckte. „Dai, darf ich vorstellen, dass ist Jodie eine…Bekannte von mir. Jodie, das ist Dai.“

„Hallo Dai“, erwiderte Jodie.

„Hallo“, gab dieser von sich.

Jodie wandte sich wieder Akemi zu. „Es ist wirklich lange her.“

Akemi nickte erneut. „Ja…wirklich lange…“

„Weißt du was, du solltest morgen Abend ins Blue Parrot kommen. Wir feiern dort meinen Geburtstag und wir können ein wenig reden. Über alte Zeiten und so was“ Jodie sah auf Akai. „Und bring doch deinen Freund mit.“

„Oh…wir sind nicht…“, murmelte Akemi.

„Schon gut, du musst mir nichts erklären“, sagte Jodie beschwichtigend. „Ich mach mich mal auf den Weg nach Hause, sonst wird mein Essen noch kalt. Dai? War mir eine Freude. Wir sehen uns dann morgen, ja?“, fügte sie an und verließ das Lokal.

Akemi sah zu Shuichi. „Bitte entschuldige mich“, entgegnete sie und lief Jodie nach. „Jodie, warte.“

Die Angesprochene blieb stehen und drehte sich um. „Was ist denn?“

„Du bist hier doch nicht zufällig“, meinte die Brünette. „Bitte…lasst Dai in Ruhe. Er hat nichts getan…ich hab ihm nichts erzählt, ich schwöre. Du musst mir das glauben.“

Jodie kicherte. „Dai…hm…was ihn angeht…“ Sie dachte gespielt nach. „Ich finde, er hat eine sehr interessante Vita. Findest du nicht auch? Er kann Jeet Kune Do und ist ein guter Schütze. Wenn er mit dem Gesetz in Konflikt kommt, weiß er wie er sich raus winden kann. Er hinterlässt keine Spuren. Kein Wunder, dass er irgendwann von den Selbstverteidigungsstreitkräften angeworben wurde. Wenn du mich fragst, war abzusehen, dass er nach einer ganzen Weile ihre defensive Haltung nicht mehr vertreten kann. Dass er gerade keiner geregelten Arbeit nach geht, kann auch ein Vorteil sein. Ich finde, damit kann man arbeiten.“

Akemi wurde blass. „Ihr…ihr wollt…dass er für euch arbeitet“, murmelte sie. „Nein…Jodie, bitte…das darf nicht…Dai darf nicht…Jodie, ich flehe dich an…“

„Mach dir nicht ins Hemd, Akemi“, begann die Blonde. „Wenn er nicht will, akzeptieren wir das natürlich. Aber es würde uns sehr freuen, wenn er Interesse hätte. Also bring ihn morgen mit…ansonsten kann ich für nichts garantieren. Wenn es nach mir geht, wäre es mir egal, aber du weißt ja, wie die anderen sein können.“

„Jodie“, wisperte Akemi. „Dai ist kein schlechter Mensch…er…“ Sie schüttelte den Kopf. „Ihr dürft ihn nicht in diese Sache mit hinein ziehen.“

Jodie verdrehte die Augen. „Du weißt wie ich, dass das nicht meine Entscheidung ist. Ich kann lediglich meine Meinung abgeben, aber ob sie das genau so sehen, steht in den Sternen geschrieben.“ Jodie lächelte. „Sieh es doch positiv, Akemi. Wenn er für uns arbeitet, könnt ihr zusammen sein und du musst nichts vor ihm verstecken. Selbstverständlich wenn du in Tokyo bleibst.“

Akemi sah sie schockiert an. „Was?“

„Rede mit deiner Schwester, okay?“ Jodie sah sie an. „Und jetzt entschuldige mich bitte.“

Akemi schluckte. Sie ging wieder in das Lokal und setzte sich an ihren Platz. „Entschuldige.“

Akai beobachtete sie. „Alles in Ordnung? Du siehst blass aus?“

„Ja…es geht mir gut“, murmelte sie leise. „Würde dir…morgen passen, damit wir kurz bei Jodies Feier reinschauen? Ich weiß, du kennst dort niemanden, aber…“ Akemi brach ab.

„Ich würde gerne morgen mit dir dort hingehen.“

Geburtstagsfeier

Über seine viel zu langsame Reaktion hatte sich Shuichi den ganzen Abend geärgert. Jodie war aus dem Nichts aufgetaucht und genau so schnell wieder verschwunden. Gerade als er sein Handy griffbereit hatte, hatte sie sich aus seinem Blickfeld entfernt. Und da Akemi ihr bereits folgte, konnte er nur abwarten. In Akemis Abwesenheit hatte er die ganze Zeit über Jodie gegrübelt. Die Akte über Agent Starling war dick und enthielt auch alte Kinderfotos seiner Tochter. Die blonden Haare, die Brille, der Name und ihr Geburtstag waren ein erstes Indiz. Dass sie ihren Namen nicht geändert hatten und ihr Geburtstag am gleichen Tag war, wie der Todestag ihrer Eltern und wie ihr Verschwinden, schien reine Ironie zu sein. Oder es war Absicht der Organisation, um dem FBI zu zeigen, wer am längeren Hebel saß. War die Jodie, die er gerade kennen lernte, die Tochter des verstorbenen Agenten, dann hatte ihnen die Organisation sehr lange auf der Nase herumgetanzt. Für einen Zufall kamen viel zu viele Hinweise parallel auf. Aber es waren nur Hinweise. Mehr nicht. Vielleicht war sie auch eine Fremde, die seine Reaktion prüfen sollte?

Nachdem Akemi zurück an ihren Platz kam, hatte der Abend abrupt geendet. Sie war weniger gut gelaunt und wollte nur noch nach Hause. Akai hatte keine andere Wahl gehabt, als auf sie Rücksicht zu nehmen. Schweigend brachte er sie nach Hause und verabschiedete sich bis zum nächsten Abend. Der FBI Agent hatte ein ungutes Gefühl bei der Sache. Hatten sie ihn beobachtet und gewusst, worauf die Mission abzielte und deswegen Jodie geschickt? Oder war sie wirklich für das Anwerben von neuen Mitgliedern zuständig?

Gern hätte sich Shuichi die Strecke zum Blue Parrot angesehen, aber er spürte die Verfolger in seinem Nacken und änderte daher nichts an seinem Alltag. So musste er die Recherche in abgespeckter Version durchführen. Das Internet hatte allerdings nicht viel zu bieten gehabt. Das Blue Parrot wurde vor einigen Jahren von Jii Konosuke gekauft und zu einer Poolbar umgebaut. Konosuke war selbst jahrelang Billardspieler und hatte diese Sportart seinen Gästen in der Bar zur Verfügung gestellt. In den Staaten hatte Akai selbst mehrere Male sein Können unter Beweis gestellt, aber er glaubte nicht daran, dass die Organisation nur spielen wollte.

Shuichi öffnete das Handschuhfach seines Wagens und überprüfte den Inhalt. Seine Waffe – die lediglich der Sicherheit diente – befand sich unangerührt dort, wo er sie zurück ließ. Skeptisch sah er in den Rückspiegel. Die Personen, die für die Beschattung zuständig waren, machten ihre Sache schlecht. Aber wenigstens war er so auf der Hut vor ihnen.

Akai verengte die Augen. Warum hatte Jodie ihn eingeladen? Wollte sie ihn in die Organisation holen oder würde der Abend sein Ende einläuten? Langsam öffnete der Agent die Fahrertür und stieg aus. Er marschierte auf Akemis Wohnblock zu. Als sie ihm entgegen kam, blieb er überrascht stehen. „Wollte gerade bei dir Klingeln“, gab er von sich.

„Ich hab deinen Wagen gesehen“, begann sie. „Und da dachte ich, dass ich gleich runter komm“, fügte sie an und umarmte ihn plötzlich. „Dai“, wisperte Akai.

Der Agent drückte sie leicht an sich. „Alles in Ordnung?“ wollte er wissen.

Akemi nickte. „Ja…Entschuldigung…“ Sie löste sich von ihm.

„Wollen wir dann?“

„Gern.“ Akemi folgte ihm zu seinem Wagen. „Noch einmal danke, dass du heute mit kommst. Ich kann aber verstehen, wenn dir so etwas nicht behagt. Du musst das nicht wegen mir machen. Ich könnte verstehen, wenn du lieber zu Hause bleiben würdest.“

„Schon gut“, antwortete Akai und öffnete die Wagentür „Ich lern gern deine Freunde kennen.“

Akemi zuckte zusammen. „Freunde…“, murmelte sie leise.

„Hab ich etwas Falsches gesagt?“, wollte Akai wissen.

Akemi schüttelte sofort den Kopf und stieg ein. Shuichi tat es ihr gleich, schnallte sich an und fuhr los. „Akemi?“

Sie sah aus dem Fenster. „Ja?“

„Du kannst mit mir über alles reden. Ich kann Geheimnisse für mich bewahren.“

„Dai“, wisperte sie leise. „Ich…das mit Jodie und mir…ist kompliziert…“

„In wie fern?“, wollte der Agent wissen und achtete auf die Straße. „Seid ihr keine Freunde mehr?“

„Mhm…“, murmelte Akemi und wandte sich wieder ihm zu. „Weißt du…es ist schon Jahre her“, begann sie. „Nach dem meine Eltern gestorben sind, kamen Shiho und ich in eine Pflegefamilie. Shiho war noch ein Baby und die Familie wohnte in einem anderen Bezirk. Dadurch hab ich von heute auf morgen all meine Freunde verloren. Jodie kam ein paar Wochen später in die gleiche Pflegefamilie. Wir haben immer zusammen gespielt.“ Akemi lächelte leicht.

„Sind ihre Eltern auch gestorben?“, fragte der Agent.

„Nicht das ich wüsste“, entgegnete Akemi. „Sie wurde zu einer Bekannten der Familie geschickt, aber ihre Eltern kamen sie nie holen. Die Bekannte ist irgendwann nach Japan ausgewandert und konnte Jodie nicht einfach so zurück lassen. Da ihre Eltern kein Interesse mehr an ihr hatten, kam Jodie auch hier her. Allerdings…es lief wohl nicht so gut und Jodie wurde in einer Pflegefamilie untergebracht.“

„Verstehe“, murmelte Akai. „Ihr habt bestimmt viel Zeit miteinander verbracht.“

„Das kommt drauf an…In den Ferien wurde Jodie weggeschickt, ich weiß bis heute nicht wohin. Sie kam immer sehr verändert zurück und nach neun Jahren…verschwand sie ganz. Man wollte mir nicht sagen, wo sie ist. Ich habe sie dann einige Jahre später wieder getroffen. Wir wollten in Kontakt bleiben…aber die Realität sah anders aus. Das letzte Mal habe ich sie vor einem halben Jahr gesehen…und gestern.“

„Mhmm…verstehe“, sagte Shuichi. „Dann wird es Zeit, dass ihr eure Freundschaft wieder aufnehmt.“

Die junge Frau nickte. „Ich vermute, wir haben mittlerweile vollkommen andere Interessen. Das ist natürlich in Ordnung.“

„Aber?“

„Aber ich mach mir Sorgen um sie. Auch wenn Jodie nahezu hier aufgewachsen ist, halten sie viele für eine Ausländerin. Ich kenne viele Japaner, die damit nicht klar kommen. Ich will einfach nicht, dass Jodie ihnen das übel nimmt“, log sie. In Wahrheit hatte sich Jodie durch die Organisation verändert. Sie bekam Aufträge und führte diese immer zur vollsten Zufriedenheit durch - auch wenn sie über Leichen gehen musste. Und das machte Jodie so gefährlich. Akemi konnte das Ausmaß des Abends noch nicht absehen. Sie biss sich auf die Unterlippe. „Dai?“

„Ja?“

„Bitte…lass uns nach Hause fahren“, murmelte sie.

„Geht’s dir nicht gut?“, wollte der Agent wissen.

„Ich…“ Akemi schluckte. „Jodie kennt…ein paar Typen, die…mit denen du nichts zu tun haben willst…“, wisperte sie.

„Mhm…“ Akai sah in den Rückspiegel. „Sind das die, die uns immer beobachten?“

Akemi sah ihn überrascht an. „Du…du weißt…“

Der Agent nickte. „Ich hab sie bemerkt. Sie verfolgen dich auf Schritt und Tritt. Seitdem wir uns treffen, sind sie auch hinter mir her.“

„Dai…“ Akemi kamen die Tränen. „Ich wollte dich nicht in Gefahr bringen…es tut mir leid…es tut mir so leid…durch mich sind sie jetzt auf dich aufmerksam geworden…“

„Schon gut, ich kann mich verteidigen“, sprach er.

„Dai…du verstehst nicht…“

„Akemi“, fing er ruhig an. „Mach dir um mich keine Sorgen.“

„Oh Dai…“

Shuichi parkte den Wagen. „Wir sind da.“

Akemi sah aus dem Fenster. „Wir sind da“, wiederholte sie. „Dai…bitte, wenn es gefährlich wird…dann verschwindest du, ja?“

Der Agent nickte und stieg aus. „Lass uns rein gehen.“

Akemi folgte ihm und betrat das Blue Parrot. Leise Musik spielte und es hatten sich mehrere Grüppchen gebildet. Akemi erkannte Mitglieder der Organisation – alle in Schwarz gekleidet. Aber unter ihnen befanden sich auch Fremde – Freunde oder Bekannte von Jodie.

Sofort kam das Geburtstagskind auf die beiden zu. „Akemi, Dai“, begrüßte sie sie. „Wie schön, dass ihr gekommen seid.“

„Herzlichen Glückwunsch“, entgegnete Akemi und umarmte ihre ehemalige Freundin.

„Herzlichen Glückwunsch“, gab der Agent von sich.

„Danke. Habt ihr Durst? Die erste Runde geht auf mich.“

„Bourbon“, antwortete der Agent.

„Für mich bitte nur Wasser“, sagte Akemi.

„Mhm…ein Mann der Geschmack hat“, sagte Jodie schmunzelnd. „Ich bring euch die Getränke gleich. Mischt euch ruhig unters Volk. An jedem Tisch findet ihr etwas zu Knabbern“, kam es von Jodie, ehe sie an den Tresen ging.

„Danke“, murmelte Akemi und sah zu Dai.

„Kennst du hier alle?“, wollte der Agent wissen.

Akemi sah sich um. „Nur ein paar Leute“, gestand sie.

„Man könnte fast meinen, dass wir auf einer Trauerfeier sind…“

Sie nickte. „Sie tragen immer schwarz“, murmelte sie. „Jeder der etwas zu sagen hat…Schwarz wie die Nacht…“

„Akemi?“

Die Gefragte sah zu ihm. „Entschuldigung…vergiss, was ich gesagt habe…“

Akai legte seine Hand auf ihre Schulter. „Atme tief durch. Es ist alles gut.“

Akemi tat, was er vorschlug. „Danke…jetzt geht es mir besser.“ Sie lächelte. „Wollen wir uns unter Jodies Freunde mischen?“

„Gern“, nickte der Agent und folgte Akemi.

Eine Stunde später kam Jodie wieder zu den Beiden. „Amüsiert ihr euch?“, wollte sie wissen.

„Ja, aber wir werden wohl gleich gehen“, antwortete Akemi.

„Jetzt schon? Das ist schade, aber in Ordnung“, sagte Jodie.

Ein, in schwarz gekleideter, Mann kam auf die drei zu. Er ließ Akai nicht aus den Augen. „Verschwindet.“ Es war an Jodie und Akemi gerichtet.

„He!“, kam es sofort von Akai. „Das geht auch freundlicher.“

Gin verengte die Augen. „Oh, da will sich also einer einmischen“, kam es von ihm. „Entweder du bist mutig oder dumm. Aber was solls. Gehen wir doch mal nach draußen. Mal sehen, ob du dann deine Klappe immer noch so weit aufreißt.“

„Von mir aus“, gab Akai gelassen von sich.

„Dai…“, wisperte Akemi und hielt sich an seinem Arm fest.

„Mach dir um mich keine Sorgen.“ Er löste sich aus ihrem Griff. „Ich bin gleich wieder zurück“, fügte er an und folgte Gin nach draußen.

Gin stand mit dem Rücken zu ihm. Er lachte. „Eines muss man dir lassen, du hast keine Angst vor einer Herausforderung.“

Akai verschränkte die Arme vor der Brust. „War es das jetzt oder kommt da noch was?“

Der Mann in Schwarz drehte sich um. Akai sah in den Lauf seiner Waffe. Er hatte sich keinen Millimeter bewegt.

„Nicht schlecht“, sprach Gin. Es hatte ihm imponiert. „Du fürchtest dich nicht.“

„Warum sollte ich?“, kam es von Akai. „Wenn du mich umbringen willst, spielt es keine Rolle ob ich mich wehre oder nicht.“

Gin steckte seine Waffe zurück in die Manteltasche und leckte sich über die Lippen. „Ich geb dir einen aus.“

Akai folgte ihm zurück in das Lokal und setzte sich an den Tresen.

„Dai“, murmelte Akemi. Sie wollte zu ihm, aber Jodie hielt sie zurück.

„Bourbon“, bestellte Akai.

Gin nahm neben ihm Platz. „Gin“, sprach er und wandte sich wieder dem Agenten zu. „Wie ich höre, gehst du derzeit keiner festen Arbeit nach.“

„Die Arbeitslage ist momentan nicht einfach.“

„Du hast interessante Fähigkeiten“, fing Gin an. „Was hältst du davon, wenn du sie für uns einsetzt?“

Akai bekam sein Getränk und blickte in sein Glas. „Ich weiß nicht einmal was ihr macht.“

Der Mann in Schwarz schmunzelte. „Das findest du noch heraus. Dein Lebenslauf spricht für sich. Du bist nicht zimperlich und wenn es sein muss, handelst du.“

„Wenn das Geld stimmt, mache ich beinahe alles“, antwortete Akai. „Kinder sind tabu.“

„Ein Mann mit Prinzipien“, spottete Gin. „Aber das gefällt mir. Wir geben dir einen Tag Bedenkzeit. Lass dich von Akemi über unsere Arbeit aufklären. Aber ich warne dich. Ein Fehler und wir pusten dir das Hirn weg.“

„Ich mache nie Fehler.“

Gin nahm einen Schluck von seinem Getränk und schwieg.

„Wie kann ich euch kontaktieren?“

„Wir melden uns schon bei dir, wenn die Zeit reif ist.“
 

James starrte auf den Fernseher. Chris Vineyard hatte spontan zu einer Pressekonferenz geladen. Mehrere Reporter waren extra angereist und warteten Stunden in der Hotellobby, ehe man sie in den Tagungsraum ließ. Chris saß neben ihrem Manager und blickte in die Kamera.

„Vielen Dank, dass Sie alle so spontan zu unserer Pressekonferenz gekommen sind“, begann der Manager. „Wir sind hier, weil Miss Vineyard eine wichtige Ankündigung für Sie alle hat.“ Er sah zu ihr. „Chris.“

Die junge Schauspielerin nickte. „Vielen Dank für Ihr Erscheinen“, fing sie an. „Wie Sie wissen, bin ich in die Fußspuren meiner Mutter getreten. Bereits zu ihren Lebzeiten wurden wir oft miteinander verglichen. Wie Sie sicher verstehen können, war der Tod meiner Mutter nicht leicht für mich. Und auch wenn mein Leben weiterging, stand ich immer noch in ihrem Schatten. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, ich liebe das Schauspielern, aber jetzt ist eine Zeit gekommen, in der ich an mich denken muss. Aus diesem Grund habe ich mich entschieden, die Schauspielerei für eine Weile an den Nagel zu hängen. Ich bitte um Ihr Verständnis.“

Es herrschte Schweigen.

„Sie haben jetzt die Möglichkeit, Ihre Fragen an Miss Vineyard zu stellen.“

Akemis Entscheidung

Wie ein Häufchen Elend saß Akemi an ihrem Küchentisch und nippte an ihrem Morgenkaffee. Ihre Laune war in den Keller gesunken und es machte keinen Spaß morgens aufzustehen, wenn der Wecker klingelte. Seit sie in der Organisation war, hatte sich Akemis Leben drastisch verändert. Mit der ständigen Überwachung konnte sie leben – wie zuvor auch schon. Aber das sie sich so sehr in ihr Privatleben einmischten, ging einfach nicht.

Selbstverständlich wäre alles viel einfacher, wenn Dai ebenfalls für die Organisation tätig wäre, aber sie wünschte sich für ihn ein normales Leben. Eines, das sie sich auch ersehnte und an dessen Erfüllung sie arbeitete. Aber es schien, als würden ihr immer wieder Steine in den Weg gelegt werden. An den gestrigen Abend wollte sie gar nicht erst denken. Der Großteil von Jodies Gästen gehörter zur Organisation. Und als Dai schließlich mit Gin raus ging, stand ihr der Schrecken ins Gesicht geschrieben. Ihr Herz schlug schneller als sonst. Die Minuten, die er bei Gin verbrachte, waren die Schlimmsten in ihrem Leben. Sie kamen ihr wie Stunden vor und durch Jodie, die sich an Smalltalk versuchte, wurde es nicht leichter. Erst als Dai wieder zurück kam, bekam sie wieder Farbe im Gesicht. Allerdings saß er noch eine gute halbe Stunde mit dem Organisationsmitglied am Tresen. Worüber sie sprachen, hatte Dai ihr nicht erzählt. Aber Akemi konnte es sich bereits denken. Da die Organisation auf ihn aufmerksam geworden war und er noch lebte, konnte es nur eines bedeuten: Sie wollten, dass er die Drecksarbeit für sie übernahm.

Akemi kannte Teile aus Dais Vergangenheit. Sie hatte nie danach gefragt, aber er hatte es von sich aus erzählt. Während er ehrlich zu ihr war, hatte sie ihm die Organisation und ihre Zugehörigkeit verschwiegen. Hätte sie sich ihm von Anfang an anvertraut, hätte er möglicherweise den Kontakt zu ihr abgebrochen und wäre dann nicht in ihre Fänge geraten. Auch wenn es für sie selbst schlimm gewesen wäre, wäre er wenigstens am Leben. Aber jetzt musste sie sich regelmäßig Sorgen machen, dass er in eine unangenehme Situation gebracht wurde - und nicht mehr zu ihr zurück kam.

Als ihr Handy klingelte, stellte Akemi die Kaffeetasse auf den Tisch ab und sah auf das Display. Ein Bild ihrer Schwester blickte sie an und Akemi nahm das Gespräch entgegen. „Shiho?“, fragte sie überrascht.

„Ja, ich bins. Stör ich dich?“, wollte die Wissenschaftlerin wissen.

„Nein, aber nicht doch“, sagte Akemi. „Ist alles in Ordnung? Du rufst sonst nie so früh an.“

„Mir geht’s gut“, begann sie. „Mach dir nicht immer so viele Sorgen um mich. Ist bei dir alles in Ordnung? Ich habe da so ein Gerücht gehört.“

Akemi wurde hellhörig. „Was hast du gehört?“

„Nicht wirklich viel.“ Shiho seufzte leise auf. „Ich hab gehört, sie rekrutieren gerade jemand Neuen. Als ich mehr wissen wollte, verwies man mich auf dich.“

Akemi schwieg.

„Akemi?“, fragte Shiho leise. „Ist es Dai?“

Die junge Frau schluckte. Ihr kamen die Tränen. „Ja, sie finden wohl, dass er ganz gut zu ihnen passt…wir haben vorgestern zufällig Jodie getroffen“, erzählte sie. „Sie lud uns zu ihrem Geburtstag ein. Weil Dai nicht wusste, was ich weiß, hat er natürlich zugestimmt mich zu begleiten. Ich hatte gehofft, dass auch ein paar normale Menschen unter den Gästen sind, aber…“

„Aber was?“, wollte die Wissenschaftlerin wissen.

„Der Mann…ist sofort zu ihm gegangen und…sie waren draußen…danach saßen sie am Tresen zusammen und…das wars…ich habe Angst…“

„Ach Akemi“, murmelte Shiho. „Es tut mir so leid…“

„Was soll ich denn machen, Shiho? Ich hab mich in ihn verliebt, aber wenn er für sie arbeitet…und wahrscheinlich wird er mehr machen müssen, als ich…ich weiß nicht, ob das überhaupt eine Zukunft hat…Vielleicht darf er mich dann gar nicht mehr sehen…oder wenn ihm was passiert…ich…“

„Akemi“, wisperte die Wissenschaftlerin. „Ich wünschte…ich könnte dir helfen.“

„Ich bin froh…das du für mich da bist. Meinst du…wir könnten uns mal zum Essen treffen?“

Shiho schwieg.

„Schwester?“

„Akemi“, fing die Jüngere an. „Ich hab dir doch erzählt, dass sie überlegen meine Forschungen zu verlegen?“

Akemi schluckte. „Ja…“

„Die Pläne sind nun konkret geworden. Meine Forschungen werden nach Aomori verlegt.“

„Aomori…“, wiederholte Akemi. Aomori lag etwa neun Stunden Autofahrt oder sechs Stunden Bahnfahrt von Tokyo entfernt. Nur mit einem Flugzeug war die Reise erschwinglich und in kurzer Zeit machbar. Allerdings würde ihr die Organisation die vielen Reisen nicht gewähren. „Und wann…musst du dort sein?“

„Schon morgen.“

„Morgen?“, murmelte Akemi. „Aber…wieso schon morgen?“

„Sie wollen, dass ich so schnell wie möglich die Arbeit wieder aufnehme. Deswegen fliege ich morgen früh hin. Eine Wohnung haben sie mir bereits besorgt.“

Es herrschte Stille.

„Akemi?“

Akemi wischte sich die Tränen weg. „Entschuldige…das kommt nur so plötzlich…ich…“

„Es tut mir leid, Akemi, aber du weißt, dass ich nicht einfach absagen kann.“

„Meinst du…ich könnte mitkommen? Aomori hat schließlich auch Banken…die Organisation kann mir sicher da eine Stelle besorgen.“

„Bist du dir sicher, Akemi? Du müsstest dein Leben hier in Tokyo aufgeben und…Dai.“

„Du bist meine Familie, Shiho“, entgegnete sie. „Familie ist wichtiger.“

„Ach Akemi…“

„Ich werde nachher mit Dai sprechen. Bestimmt finden wir eine Lösung.“
 

Akai sah auf sein Handy und runzelte die Stirn. Können wir uns heute Abend bei mir treffen? Ich muss mit dir reden. Akemi. War das ein gutes Zeichen oder ein schlechtes? Er hatte Akemi absichtlich nicht auf die Organisation angesprochen, falls es nur ein Test war um ihre Loyalität und seine Verschwiegenheit zu prüfen. Er steckte das Handy weg und sah auf Akemis Haustür. Gleich würde er hoffentlich an mehr Informationen kommen. Akai betätigte die Klingel und wartete. Wenige Sekunden später ging die Haustür auf.

„Dai.“ Akemi lächelte. „Komm doch rein.“ Sie wirkte nervös.

Akai nickte und ging an ihr vorbei. Er zog sich die Schuhe aus, schlüpfte in die bereitgestellten Hausschuhe und hing seine Jacke an den Garderobenständer.

„Danke, dass du gekommen bist.“

„Natürlich“, entgegnete der Agent. „Deine Nachricht hat sich dringend angehört. Ist alles in Ordnung?“

„Geht schon“, murmelte Akemi und ging in das Wohnzimmer. „Dai…gestern Abend…“

Akai folgte ihr. Er war bereit. „Gestern Abend“, wiederholte er. „Es war interessant deine Freunde kennen zu lernen.“

„Sie sind nicht meine Freunde“, kam es sofort von der jungen Frau. „Ich mein…Jodie kenn ich schon länger, aber die Anderen…ich würde es nicht als Freundschaft bezeichnen. Außerdem…“

„Außerdem?“ Shuichi setzte sich auf das Sofa und Akemi tat es ihm gleich.

„Die Männer…die, die immer Schwarz tragen…ich kenne sie seit meiner Kindheit. Sie passen…irgendwie auf mich auf…aber sie können auch gefährlich sein. Ich arbeite seit einiger Zeit für sie…vorher musste ich das noch nicht, aber um…meine Schwester sehen zu können, habe ich diesen Weg eingeschlagen. Ich erledige ein paar Kleinigkeiten für sie. Aber wenn…sie wütend werden, sind sie zu allem bereit. Das hast du auch gestern Abend festgestellt“, sprach sie ruhig. „Ich weiß nicht, worüber der Mann mit den grauen, langen Haaren mit dir gesprochen hat, aber ich habe eine Vermutung. Dai…falls sie dich anwerben wollen…“ Akemi brach ab. „Wenn du ablehnst…bringen sie dich um“, flüsterte sie.

„So was habe ich mir bereits gedacht“, entgegnete der FBI Agent.

„Wir können hier in Ruhe sprechen. Ich hab für den Notfall immer ein Störgerät zu Hause. Es ist jetzt gerade aktiv…sie können uns also nicht abhören.“

Akai sah sie überrascht an. „Sie hören dich ab?“

Die junge Frau nickte. „Deswegen bin ich immer darauf bedacht, was ich sage und was ein anderer sagt, wenn er hier ist. Und ich weiß, wo sie die Kameras haben und kann diese unter Umständen für einen Moment außer Kraft setzen. Aber wenn es zu lange dauert, werden sie misstrauisch. Wahrscheinlich haben sie dir auch eine Wanze untergejubelt, um sicher zu gehen, dass das Gespräch gestern Abend richtig war.“

„Sie oder du?“

Akemi schluckte. „Du…du hast…“

„Ich war über deine Umarmung sehr irritiert und ich bin nicht auf den Kopf gefallen. Natürlich wusste ich, dass du mir eine Wanze in die Tasche gesteckt hast.“ Shuichi verschränkte die Arme. „Keine Sorge, ich hab deine Wanze bereits entsorgt. Weder diese Jodie noch ein anderer Gast auf ihrer Feier haben mir eine Wanze zugesteckt.“

„Das war nur zu deiner Sicherheit“, kam es sofort von ihr. „Falls sie dir was tun. Das musst du mir glauben…bitte…Dai…ich würde nie etwas tun, was dich in Gefahr bringen könnte. Ich…“, sie brach ab, ehe sie ihm ihre Liebe gestanden hätte.

„Ich glaube dir“, entgegnete er.

Akemi rückte zu ihm heran. „Dai…sie werden dir keine andere Wahl lassen…du wirst für sie arbeiten müssen…aber…“ Akemi sah auf den Boden.

„Aber was?“

„Ich hab dir doch von meiner Schwester erzählt?“

Akai nickte.

„Sie ist Wissenschaftlerin und arbeitet für diese Männer. Ihre Forschungen laufen sehr gut und daher…soll sie nun versetzt werden. Sie zieht nach Aomori. Dai…ich hab sie jahrelang nicht sehen dürfen…ich kann nicht zulassen, dass sie wieder so eine räumliche Grenze zwischen uns ziehen. Deswegen…“ Akemi schluckte. Sie wischte sich ihre aufkommenden Tränen weg. „Dai, ich werde…ich habe mich entschieden…ich werde sie begleiten. Ich werde auch nach Ao…Aomori ziehen. Ich habe schon…mit ihnen gesprochen. Sie werden mir dort eine Arbeit besorgen und…“ Akemi sah ihn weinerlich an. „Ich weiß…wir kennen uns noch nicht so lange…aber willst du nicht mit mir gehen? In Aomori sind sie nicht so aktiv, wie hier…du könntest sie dort auch unterstützen…und du wärst in Sicherheit. Dai…“

Shuichi sah sie an. „Es tut mir leid, Akemi“, begann der FBI Agent. „Ich mag dich wirklich sehr und du bist eine sehr nette Frau, aber wie du schon gesagt hast: Wir kennen uns noch nicht so lange.“

„Dai“, wisperte Akemi.

„Und aus dem Grund werde ich nicht mit dir nach Aomori gehen. Ich bleibe gern weiterhin mit dir in Kontakt, aber mehr ist zwischen uns auch nicht.“ Er musste sie abweisen, um sie nicht in Gefahr zu bringen. Jetzt wo er sich mit einem Fuß in der Organisation befand, sollte sie lieber an einem anderen Ort in Sicherheit sein.

Akemi schluckte. „Ich will nicht, dass dir etwas Passiert.“

Akai lächelte. „Mach dir keine Sorgen um mich. Ich kann auf mich aufpassen. Unkraut vergeht nicht.“

Sie versuchte zu lächeln. „Und du würdest tatsächlich mit mir in Kontakt bleiben?“

Der Agent nickte.

„Und glaubst du…dass wir uns auch treffen können…wenn ich wieder zurück komme…?“, wollte sie leise wissen.

„Das sollte kein Problem sein“, entgegnete Akai.

Akemi sah ihn erleichtert an.

„Und jetzt schau nicht so betrübt. Wenn du nach Aomori gehst, wird dein Leben bestimmt um einiges einfacher werden. Du hast dort deine Schwester und bestimmt lernst du bald einen netten jungen Mann kennen.“

Akemi schluchzte. „Dai…“

„Es ist in Ordnung, Akemi“, sagte er und stand auf. „Es ist besser, wenn ich jetzt gehe.“

Akemi sah zu ihm hoch. „Leb…“

„Nein, kein Leb wohl, es ist ein Auf Wiedersehen.“

Die junge Frau lächelte leicht. „Ich liebe dich“, flüsterte sie leise und sah ihm nach.

Shuichi zog sich im Flur seine Schuhe und die Jacke an. Er verließ das Wohnhaus und genehmigte sich eine Zigarette. Akai steckte seine Hände in die Jackentaschen und machte sich auf seinen Heimweg. Die Dunkelheit hatte bereits eingesetzt, aber das machte ihm nichts aus. Dunkelheit hatte seine Vor- und Nachteile. Man konnte schnell verschwinden, wenn es sein musste.

Akai war insgesamt eine halbe Stunde unterwegs und bekam den Kopf frei. Er hatte Mitleid mit seiner Cousine. Er mochte sie und wollte, dass sie glücklich war. Aber er liebte sie nicht. Und es war ernst gemeint, dass sie in Aomori in Sicherheit war. Wenn seine Recherchen stimmten, würde sie in Aomori ein viel ruhigeres Leben führen als in Tokyo. Das war gut, denn damit hatte sie eine Überlebenschance und sie würde ihm nicht im Weg stehen.

Shuichi blieb vor der Tür zu seinem Wohnungsblock stehen. „Ich hab nicht mit dir gerechnet“, sprach er ehrlich.

„Ich bin immer für eine Überraschung gut“, erwiderte Jodie. „Ich hoffe, du hast eine Entscheidung getroffen.“

„Hab ich.“ Er ging auf sie zu. „Ihr könnt froh sein, dass ihr mich jetzt hab.“

Jodie schmunzelte. „Bist du nur selbstsicher oder überheblich?“

„Finde es doch heraus.“ Akai zog seinen Schlüssel hervor und öffnete die Tür. „Was willst du trinken?“

„Sherry“, antwortete Jodie.

Neues Mitglied

Jodie betrat die Wohnung des FBI Agenten. Sie zog sich ihre Jacke aus und hing sie auf den Garderobenständer im Flur.

Shuichi tat es ihr gleich. „Ins Wohnzimmer geht es hier entlang“, sagte er und wies auf den Raum.

Mit ihrer Handtasche und ohne sich die Schuhe auszuziehen, ging Jodie in den besagten Raum. Ihre Neugier zeigte sie offen und spähte, wann immer es ging, in die angrenzenden Räume. „Ganz schön minimalistisch“, entgegnete sie. „Mhm…aber dafür hast du ein großes Wohnzimmer. Mir gefällt die Abtrennung zwischen Arbeitsbereich und richtiger Ruhezone.“ Mit den Fingerspitzen strich Jodie über die Trennwand in der Mitte. Sie ging ihr bis zur Hüfte. Auf der einen Seite des Raumes standen Schreibtisch, Stuhl und Laptop. Die andere Seite wurde geziert durch eine Wohnwand mit Fernseher sowie Sofaecke mit Tisch. Er hatte keine Dekoration, keine Blumen und keine Fotos von Verwandten oder engen Freunden. Es gab nichts, was auf ein Privatleben hinwies.

„Ich kam schon immer mit wenig klar und das hat sich jetzt auch nicht geändert“, antwortete Akai. „Das Leben ist kurz und wenn Chancen auftreten, muss man sie nutzen. Manchmal bedeutet es auch, dass man umziehen muss. Je weniger Sachen einen an die Wohnung oder Stadt binden, desto leichter ist der Schnitt.“

Jodie schmunzelte. „Das ist natürlich ein gutes Argument.“ Sie setzte sich auf das Sofa und stellte ihre Tasche neben sich. „Und wo versteckst du deinen Alkohol?“

„An einem sicheren Ort“, kam es sogleich von ihm. „Mach es dir schon mal gemütlich.“ Shuichi ging zurück in den Flur und zog sein Handy heraus. Er öffnete die Galerie und sah sich die Fotos an. Zum Glück hatte der Agent Jodie rechtzeitig erkannt und das Handy in seiner Jackentasche vorbereitet. Lediglich das Schießen der Fotos wurde zu einem Problem, da er nicht wissen konnte, ob der Winkel und das Licht ausreichend waren. Shuichi wischte ein Bild nach dem anderen weg. Dann aber hatte er eines gefunden, welches Jodies Gesicht relativ gut darstellte. Er lächelte und steckte das Handy wieder ein. Dann ging er in die Küche und holte die Flasche Sherry aus dem Küchenschrank. Selbstverständlich hatte er an Jodies Geburtstag darauf geachtet, was sie und was der fremde Mann tranken. Denn bei einem war er sich sicher gewesen: Einer der Beiden würde ihn aufsuchen.

Akai nahm zwei Gläser aus einem anderen Schrank und begab sich zurück ins Wohnzimmer. Er stellte die Gläser auf den Tisch und öffnete die Flasche mit dem Sherry. „Ich hoffe, die Sorte schmeckt dir“, sagte er und füllte beide Gläser gleich voll.

Die junge Amerikanerin nahm ihr Glas und sah hinein. „Das hoffe ich auch“, sprach sie und schwenkte das Glas, sodass die Flüssigkeit im Inneren für einen kurzen Moment rotierte. „Aber denk ja nicht, dass du mich abfüllen könntest.“ Sie nahm einen Schluck und wirkte nachdenklich.

„Ich doch nicht“, kam es von dem Agenten. „Schmeckt es?“

„Kann man trinken.“

Akai musste Grinsen. „Eines muss ich dir lassen, dein japanisch ist wirklich gut.“

„Du meinst für eine Ausländerin?“, konterte Jodie.

Akai hob beschwichtigend die Hände nach oben. „Ich wollte dir nicht zu nahe treten.“

„Bist du nicht. Ich werde seit meiner Kindheit mit diesen Vorurteilen konfrontiert. Mittlerweile habe ich mir ein dickes Fell zugelegt und messe komischen Sprüchen oder Anfeindungen nur wenig Bedeutung bei.“

„Seit deiner Kindheit“, murmelte der FBI Agent. „Das tut mir leid…“

„Muss es nicht“, sprach sie. „Ich bin hier aufgewachsen und wurde dementsprechend auch zweisprachig erzogen. Deswegen hörst du auch kaum Dialekt heraus.“

„Das erklärt es natürlich“, entgegnete Akai.

„Sonst noch Fragen über mich?“, wollte Jodie herausfordernd wissen.

„Einige, aber die behalte ich noch für mich. Ich bin mir sicher, du wirst mir jetzt nicht alles erzählen, was ich wissen will.“

Jodie grinste. „Schlauer Junge“, sagte sie und nippte an ihrem Glas. „Dann reden wir jetzt mal Tacheles. Wie hast du dich entschieden?“

„Eine Entscheidung, ohne zu wissen, worauf man sich einlässt, sollte nie grundlos getroffen werden. Vor allem dann nicht, wenn sie über Leben und Tod entscheidet.“

„Grundlos“, wiederholte Jodie und legte den Kopf schief. „Was hat Akemi dir über uns erzählt?“

„Nichts“, antwortete der Agent. Es war die Wahrheit. Immerhin hatte er sie nicht danach gefragt.

„Was für ein braves Mädchen. Und was vermutest du, was wir machen?“

„Ich denke, ihr arbeitet hauptsächlich im Untergrund. Natürlich seid ihr gut organisiert und lasst euch nicht erwischen. Wahrscheinlich so etwas wie Geldbeschaffung, Spionage und Personen aus dem Weg räumen, die euch gefährlich werden könnte.“ Gin hatte etwas in der Art angedeutet. Und dass die Organisation bereit war zu töten, hatte er am eigenen Leib erfahren.

„Das ist fast richtig“, antwortete Jodie ruhig. „Die meiste Zeit gehen wir alle einer geregelten Arbeit nach. Wir wissen natürlich auch, dass du momentan keine richtige Stelle hast. Aber mach dir darum keine Sorgen. Wenn du für uns arbeitest, kümmern wir uns darum. Danach musst du nur noch ein paar kleine Aufträge für uns übernehmen. Selbstverständlich wirst du dafür entlohnt.“

Shuichi verschränkte die Arme. „Wie hoch ist die Entlohnung?“

„Das kommt auf den Auftrag an. Aber mach dir nichts vor. Es ist nicht immer Geld.“ Jodie nahm einen weiteren Schluck aus ihrem Glas. „Wenn du für uns tätig bist, solltest du keine Skrupel haben. Alles Weitere erfährst du erst später.“

„Du erzählst mir das alles gerade so, als hätte ich eine Wahl.“ Akai nahm einen Schluck aus seinem Glas.

„Mhmm?“

Akai verengte die Augen. „Wenn ich hier und jetzt ablehne, wirst du mich erschießen, weil ich zu viel weiß. Ich habe deinen Revolver am Holster am Unterschenkel bemerkt. Und da du deine Tasche nicht im Flur liegen gelassen hast, wird sich auch dort eine Waffe befinden. Und natürlich musst du keine Angst haben, dass ich euch nur bespitzel, weil du sicherlich ein Störsignal in deiner Tasche hast. Damit kann nichts, was gesagt wird, aufgenommen werden.“ Shuichi lehnte sich nach hinten. „Aus diesem Grund habe ich doch nur noch die Möglichkeit mit Ja zu antworten.“

„Ich muss sagen, du beeindruckst mich immer wieder. Und glaub mir, das haben noch nicht viele geschafft.“ Jodie schmunzelte. „Aber anhand deiner Vita hab ich auch mit nichts Anderem gerechnet.“ Dennoch gab die Organisation ihren Mitgliedern und auch ihren potentiellen Mitgliedern gern das Gefühl, dass sie die Entscheidungsgewalt hatten. Aber in Wahrheit waren die Entscheidung und ihre Konsequenzen schon lange gefallen.

„Ich habe es bereits gestern gesagt: Kinder sind tabu.“

„Auch wenn du es wahrscheinlich nicht glauben kannst: Bei uns gibt es viele Mitglieder, die sich an verschiedene Regeln halten müssen. Kinder werden nur im äußersten Notfall in einen Auftrag involviert. Wenn wir können, vermeiden wir ihre Anwesenheit oder ihre Verletzung. Das bedeutet aber nicht, dass sie nicht in ihrer Kindheit rekrutiert und auf ihre künftige Arbeit vorbereitet werden.“

„So wie es bei Akemi und ihrer Schwester war?“, fragte Akai.

Jodie sah ihn überrascht an.

„Ich kann eins und eins zusammen zählen.“

„Gut, falls du dann keine weiteren Fragen hast, wären wir fast fertig.“

Shuichi beobachtete sie. „Meine Entlohnung“, begann er. „Du sagtest, es gibt nicht nur Geld. Was kann ich mir darunter vorstellen?“

„Wenn du alles richtig machst und uns die Polizei vom Hals hältst und natürlich nicht in ihre Fänge gerätst, kannst du unter Anderem einen neuen Wagen bekommen, eine andere Wohnung, neue Elektronik…alles was das Herz begehrt.“

„Und wenn ich einen Fehler mache und erwischt werde, lasst ihr mich als Sündenbock da stehen…“

Jodie kicherte. „Mach dir darum mal keine Sorgen. Du wirst keine Möglichkeit haben, um als Sündenbock da zu stehen. Bevor du etwas sagen kannst, wirst du erledigt.“

„Das heißt, ihr habt die Polizei infiltriert?“

Jodie antwortete nicht darauf.

„Verstehe“, murmelte er.

„Jetzt tu doch nicht so, als würde dir die Arbeit für uns etwas ausmachen. Ich kenne dein Profil. Du bist nicht gerade zimperlich.“

„Ist das so?“

Jodie trank ihr Glas leer. „Ich werte das als eine Zusage.“ Sie stand auf.

„Und wie geht es jetzt weiter?“, wollte der Agent wissen.

„Wir melden uns in den nächsten Tagen oder Wochen bei dir. Dann bekommst du einen Probeauftrag und wir sehen weiter. Also halte dich bereit.“ Jodie nahm ihre Tasche und öffnete diese. Sie zog ein Handy, welches in einem Taschentuch gewickelt war heraus und legte es auf den Tisch. „Das ist erst einmal deines. Pass gut darauf auf. Wenn du es verlierst oder wenn es in falsche Hände gerät, haben wir ein Problem.“ Jodie ging in den Flur. „Man sieht sich.“ Sie nahm ihre Jacke und zog diese an.

Shuichi sah ihr dabei zu und nickte. „Bis bald.“

Akai schloss die Tür hinter ihr und begab sich zurück in das Wohnzimmer. Sein Blick fiel auf das Handy. Er war sich sicher, dass die Organisation nun damit begonnen hatte ihn auch in der Wohnung zu überwachen. Da er Jodie für mehrere Minuten alleine ließ, konnten sich überall Abhörgeräte und Kameras befinden. Er musste in den nächsten Tagen vorsichtig sein, was seine Wortwahl und seine Handlung anging. Danach konnte er sich auf die Suche nach den Geräten machen.

Der Agent setzte sich auf das Sofa und zog sein eigenes Handy hervor. Er strich über das Display und suchte das Foto von Jodie heraus. Anschließend prüfte er seine E-Mails und begann mit dem Entwurf einer neuen Nachricht.

Habe nun direkten Kontakt zur Organisation. Unsere Kommunikation wird deswegen noch weiter eingeschränkt sein. Werde überwacht und abgehört. Bitte schauen Sie sich das angehängte Foto an. Kommt Ihnen die Frau bekannt vor? Shuichi schickte die Nachricht ab und wartet. Einerseits musste er das FBI frühzeitig über neue Erkenntnisse informieren. Auf der anderen Seite hatte er auch die Verzweiflung in der Stimme seines Vorgesetzten bemerkt, als dieser von Jodie sprach. Mit dem Foto wollte er zumindest für eine kleine Hoffnung sorgen. Außerdem musste er selbst wissen, ob die Möglichkeit bestand, dass sie das vermisste Kind war. Es hätte Einfluss auf seine Vorgehensweise, auch wenn er das Black gegenüber nie zugeben würde.

Es dauerte nicht lange, da klingelte das Telefon. Er nahm das Gespräch entgegen. „Moroboshi.“

„Black hier“, kam es von James. „Ich habe gerade das Foto gesehen. Die neusten Erkenntnisse machen mir Sorgen. Die Frau könnte tatsächlich die Tochter von Agent Starling sein. Ich denke, es ist am besten, wenn ich auch nach Tokyo komme und mir die Frau ansehe.“

Shuichi verengte die Augen. „Nein, ich bin an einer Befragung zu meinem Telefonanbieter nicht interessiert“, sagte er.

„Ich weiß, Sie finden die Idee nicht gut“, begann Black. „Aber…“

„Nein, danke.“ Shuichi legte auf und schüttelte den Kopf. „Nervensägen“, sagte er und rief erneut das E-Mail Programm auf. Bitte unterlassen Sie einen weiteren Kontaktversuch in der Kürze der Zeit. Kommen Sie unter gar keinen Umständen nach Japan. Wenn ich mehr über die Frau herausfinde, lasse ich Sie es wissen. Dann können Sie herfliegen. Vorher nicht. Shuichi legte sein Handy auf den Tisch und nahm das Handy der Organisation. Er strich über das Display und rief zuerst das Telefonbuch auf. Alle Kontakte waren chiffriert und die Nummern ergaben keinen Sinn. Akai runzelte die Stirn. Wem das Handy vorher wohl gehörte?
 

Jodie ging die Straße entlang und schmunzelte. Sie hatte bereits den halben Weg hinter sich gebracht und freute sich schon auf die neue Zusammenarbeit. Generell mochte sie es neue Mitglieder zu rekrutieren und sie einzuarbeiten. Es war eine Abwechslung zu dem, was sie sonst bei der Organisation tat.

Als Amerikanerin in Japan hatte sie es nie leicht gehabt und die Organisation machte sich ihren Status schon früh zu nutze. Viele japanische Geschäftsmänner standen auf exotische Frauen. Jodie musste nur ihre Reize richtig ausspielen und schon hatte sie die Männer in der Hand und die Organisation ihr Geld. Zahlten sie hingegen nicht, wurden ihre Verfehlungen entweder Publik gemacht oder sie hatten ein Loch zwischen den Augen.

„Du schaust so glücklich aus.“

Jodie ging auf die junge Frau zu. „Chris“, sagte sie und umarmte die Angesprochene. „Ich wusste gar nicht, dass du kommen wolltest.“

„War auch ganz spontan“, antwortete die Schauspielerin.

„Spontan? Ich hab deine Pressekonferenz gesehen. Du willst dich also zu Ruhe setzen?“

„Ruhe…Pause…ist doch fast das gleiche. Außerdem werde ich hier gebraucht.“ Sie schmunzelte. „Und? Willst du mir nicht verraten, warum du so glücklich bist?“

„Wir haben Frischfleisch“, begann Jodie. „Und du weißt, wie gern ich mich um die Neulinge kümmer.“

Vermouth kicherte. „Vor allem, wenn sie sich als totale Pfeifen herausstellen?“

„Es ist halt mal was anderes.“ Jodie sah sie an. „Ich bin auf dem Weg nach Hause. Hast du Lust auf einen Absacker?“

„Du weißt doch, dass es besser ist, wenn wir nicht zu viel Zeit zusammen verbringen. Ich bin immer noch eine Person des öffentlichen Lebens. Mich kennen auch viele Japaner und wenn Publik wird, dass ich hier bin…sie werden nur wieder spekulieren und glauben, ich würde irgendwo einen neuen Film drehen.“

„Ja…die Leier kenn ich“, murmelte Jodie. „Wenn man uns zusammen sieht, fangen die Reporter mit ihren Nachforschungen an. Zwei Amerikanerinnen im gleichen Alter, die sich gut verstehen, beide Blond sind…Am Ende unterstellen sie uns noch, dass wir Geschwister sind und im schlechtesten Fall finden sie eine Verbindung zur Organisation.“

„Bingo“, log die Schauspielerin. Viel schlimmer wäre es, wenn das FBI ihnen auf die Spur kam und Jodie nach all den Jahren fand. Vermouth hatte die Pressekonferenz absichtlich auf den Tag von Jodies Verschwinden gelegt, sodass die Agenten abgelenkt werden würden. Sie hatte eine befreundete Schauspielerin in ihr Haus in Colorado eingeladen und die Agenten, die sie eigentlich überwachten, geschickt ausgespielt. Jetzt saßen diese vor dem Haus und warteten. Sie würden große Augen bekommen, würden sie merken, dass die Schauspielerin schon lange vorher untergetaucht war. „Aber mach dir mal keine Sorgen. Ich werde einfach in eine andere Rolle schlüpfen und schon steht unserem Kaffee nichts im Wege. Irgendwann wächst Gras über meine Arbeit und ich kann auch hier ganz normal in ein Café gehen.“

„Gut, so machen wir das“, nickte Jodie. „Und wenn du mal einen Auftrag hast und Unterstützung brauchst, weißt du ja, wo du mich findest.“

„Glaub mir, darauf komm ich zurück“, entgegnete Vermouth.

Erstes Date?

Shuichi öffnete die Haustür. „Jodie“, sagte er ruhig. In seinem Inneren freute er sich über ihre Anwesenheit. Wie sie es angekündigt hatte, musste der Agent mehrere Wochen warten, ehe sich die Organisation wieder bei ihm meldete. Fünf Wochen konnten lang sein, wenn man jeden Tag eine Nachricht oder einen Besuch von ihnen erwartete. Wahrscheinlich gehörte es zu ihrer Art neue Mitglieder zu rekrutieren. Es hätte ihn nicht gewundert, hätten sie einen noch viel gründlicheren Hintergrundcheck bei ihm vorgenommen und dann seine Reaktion auf die Wartezeit beobachtet. „Komm doch rein.“ Shuichi stellte sich etwas abseits.

„Danke. Hast du gerade Zeit? Ich lad dich auf einen Bourbon ein.“

Shuichi musterte sie. „Klar.“ Er schlüpfte in seine Schuhe und zog seine Jacke an. Hatte er doch einen Fehler begangen und seine Zugehörigkeit zum FBI war aufgeflogen? Würde er bald bei den Fischen schlafen? Akai verließ die Wohnung und folgte Jodie nach draußen.

„Mein Wagen steht fast vor der Tür“, entgegnete sie und machte sich auf den Weg zu ihrem weißen Peugeot. Jodie öffnete die Türen und stieg auf der Fahrerseite ein.

Akai sah sich um. Nachdem er sich sicher genug war, nahm er auf der Beifahrerseite Platz. Er legte den Sicherheitsgurt an und blickte sie an. „Besprecht ihr all eure Aufträge bei einem Glas Alkohol?“

Jodie startete den Motor und fuhr los. Sie versuchte zu lächeln, aber ihre Mundpartien hatten sich kaum bewegt. „Kommt auf den Auftrag an“, begann sie. „Ich habe keine guten Nachrichten für dich.“

„Mhm…“ Akai verschränkte die Arme. „Inwiefern?“

„Es gab in den letzten Tagen ein paar kleine…Unstimmigkeiten. Aus diesem Grund müssen wir die Füße still halten.“

„Aha“, gab der Agent von sich. „Und warum willst du dann mit mir etwas Trinken fahren?“

„Eigentlich wollte ich es dir erst beim Getränk sagen, aber egal.“ Jodie sah zu ihm. „Ich dachte mir schon, dass du deswegen ein wenig deprimierter sein würdest und wollte dich etwas Aufmuntern.“

„Du kannst ja ganz schön nett sein“, kam es von Akai.

„So bin ich eben…manchmal…“

„Und wo geht’s hin?“

„Ich mag die Bar im Tokyo Tower. Warst du schon mal dort?“

„Vor langer Zeit“, antwortete Akai und sah aus dem Fenster. Spielte sie nur mit ihm oder hatte sie etwas ganz anderes vor? Shuichi konnte sie nur schwer einschätzen. Akemi hingegen war für ihn wie ein offenes Buch. Anhand ihres Gesichtsausdruckes wusste er was sie dachte. Jodie aber besaß ein richtiges Pokerface. Mal war sie nett, dann wieder nicht. Er setzte ein gezwungenes Lächeln auf – eine Reaktion die er auch von Dai erwarten würde.

„Du wirkst nicht glücklich“, sagte Jodie.

„Natürlich nicht“, fing er an. „Ich halte mich für einen Auftrag bereit und es kommt einfach nichts. Stattdessen willst du mit mir einen Absacker trinken gehen. Und jetzt sagst du mir, dass ich weiter warten muss…“

„Ach komm, es hätte dich schlimmer treffen können. Du hast wenigstens eine nette Begleitung dabei.“

„Nichts gegen dich, aber…“

„Jaja, schon klar…ich kenn die Leier und nehm es dir nicht übel. Dafür spendierst du mir aber die erste Runde.“

„Eh?“ Akai sah sie überrascht an. „Von mir aus.“

Nach 20-minütiger Autofahrt parkte Jodie ihren Wagen in einer naheliegenden Tiefgarage. Sie stieg aus. „Bist du eigentlich immer so wortkarg?“, wollte sie wissen.

„Es kommt auf die Situation an.“ Akai war ebenfalls ausgestiegen und stand ihr nun gegenüber. Er sah sich um. Ein ungutes Gefühl breitete sich in ihm aus. Gänsehaut lief über seinen Rücken. Irgendwas war im Busch. Er wusste nur nicht was es war. Er musste auf jeden Fall auf der Hut sein und sich auf seinen Instinkt verlassen.

Sie verließen zusammen die Tiefgarage und gingen die letzten Meter zu Fuß. Jodie wirkte wie ausgewechselt, als sie sich in die Reihe stellte. „Triffst du dich oft mit Jemanden hier?“, fragte Akai.

„Hm?“ Jodie schmunzelte. „Hin und wieder, aber meistens kann ich die Aussicht nicht genießen.“

„Verstehe“, murmelte er. Es ging nur schleppend voran. Person für Person. Akai war froh, als sie sich nach rund 30 Minuten endlich im Aufzug befanden. Kaum, dass sich oben die Türen öffneten, verließ die Amerikanerin den engen Raum und ging zur Glasscheibe.

Jodie strahlte.

Shuichi schluckte. Was davon echt und was gespielt war, konnte der Agent nur erahnen. Da sie für die Organisation arbeitete, konnte sie ihre wahren Gefühle und Absichten gut verschleiern. Und doch hatte ihr Blick etwas Magisches.

Shuichi stellte sich neben sie und steckte die Hände in die Jackentasche. „Sightseeing steht wohl nie auf deinem Programm.“ Es war eher eine Feststellung und keine Frage.

Jodie nickte. „Ich hab anderes zu tun. In den meisten Fällen ist mein Begleiter…naja egal…“, murmelte sie.

Sie wirkte für einen Moment sehr verletzlich. Akai hatte das Bedürfnis den Arm um sie zu legen und sie zu trösten. Er ließ es sein und wechselte das Thema. „Wo war die Bar in die du gehen wolltest?“

Jodie sah zu ihm hoch. „Hier entlang“, sagte sie und machte sich auf den Weg. Gerade als sie den Eingang erreichten, klingelte ihr Handy. Jodie blieb stehen und holte es aus ihrer Handtasche. „Na toll“, murmelte sie als sie auf den Display sah. Sie stellte sich etwas abseits und nahm das Gespräch entgegen. „Ich bins“, meldete sie sich. „Ja…ja, aber…woher…was? Nein…ich mein…ja…ja gut…“ Jodies Stimme schwenkte von ruhig auf aufgeregt und von aufgeregt auf wütend.

Shuichi beobachtete sie nachdenklich.

„Ich habe doch…ja…jetzt warte! Verdammt…“ Jodie seufzte. „Tut mir leid…ja, ich habe verstanden…ich kümmer mich drum…bis dann…“ Jodie legte auf und schob das Handy zurück in die Handtasche.

„Schlechte Nachrichten?“, fragte der Agent.

„Komm mit.“ Jodie ging zurück zur Aussichtsplattform. „Hideaki Onbu.“ Jodie wies auf den Mann. „Er ist Sportreporter und…hat ein wenig zu tief gegraben.“

„Und du sollst ihn jetzt von der Bildfläche verschwinden lassen?“, fragte er leise.

„Nein“, antwortete Jodie. „Sie wissen, dass du mit mir hier bist. Sie wollen…dass du dich darum kümmerst.“

Akai sah sich um. „Hier sind zu viele Menschen“, gab er von sich. In dem Moment klopfte ihm ein fremder Mann auf die Schulter. Er hatte sein Basecap tief ins Gesicht gezogen und drückte Akai einen Gitarrenkasten in die Hand. Ehe der Agent reagieren konnte, war der Fremde auch wieder verschwunden. Er schaute auf den Gegenstand in seiner Hand. Natürlich konnte er sich denken, was er im Innenraum vorfinden würde. „Hast du einen Plan?“, wollte er von Jodie wissen.

Auch Jodie sah sich um. „Ich habe die Anweisung dir nicht zu helfen. Aber eines solltest du bedenken: Wir müssen auch wieder rauskommen.“

„Lass das nur meine Sorge sein“, antwortete er selbstsicher. „Hier gibt es doch zahlreiche Mitarbeiter-Räume. Ich muss nur einen finden, der nach draußen führt. Von dort aus habe ich die beste Position, wenn er mit dem Aufzug nach unten fährt. Wahrscheinlich wird in diesem Moment im Aufzug ein Notsignal abgesetzt, aber damit er behandelt werden kann, müssen sie die Fahrt bis ganz nach unten antreten. Den Moment müssen wir nutzen und runter fahren. Da wir keine großen Taschen dabei haben und sie nicht damit rechnen, dass der Täter so schnell die Flucht versucht, werden sie uns mit größter Wahrscheinlichkeit gehen lassen“, flüsterte er ihr den Plan zu.

„Hört sich gut an. Ich hoffe, du bist so ein guter Schütze wie man munkelt.“

Akai schmunzelte. „Das werden wir sehen. Ich suche jetzt den Raum und wenn Onbu früher runter fahren will, hältst du ihn auf. Sobald ich die richtige Position gefunden habe, klingel ich dich an. Dafür müsstest du mir natürlich noch deine Nummer geben. Wenn alles nach Plan geht, kontaktiere ich dich nicht.“

„Schau in deinem Telefonbuch nach. Ich müsste an Position 42 stehen.“

„42? Die Antwort auf alles?“

Jodie grinste. Vielleicht.“

„Gut“, nickte der Agent. „Ich begeb mich dann auf die Suche“, sagte er und marschierte los. Es dauerte nicht lange, bis er einen Raum fand, der nicht abgeschlossen war. Akai ging rein und zog die Kapuze seiner Jacke tief ins Gesicht. Er durchquerte den Raum bis er am anderen Ende durch die nächste Tür schritt. Er lief eine Treppe nach oben und ging durch die nächste Tür. Shuichi befand sich nun im Freien auf den Konstruktionsteilen des Towers. Ein schmaler Steg verband die einzelnen Abschnitte. Akai suchte die beste Position und als er sie gefunden hatte, zog er ein paar Handschuhe aus seiner Jackentasche. Er streifte sie über die Hände und öffnete den Gitarrenkoffer. Fingerabdrücke an der Tasche würde er noch erklären können, aber nicht die an der Waffe. Sorgsam baute der Agent das Scharfschützengewehr zusammen. Ein resigniertes Seufzen kam über seine Lippen. Er hatte schon früher Menschen in den Tod geschickt – böse Menschen. Es gehörte zu seiner Arbeit, genau wie dieser Moment. Aber jetzt musste er einen Unschuldigen aus dem Leben reißen. Und warum? Weil er zu viel wusste. Aber was konnte er tun? Das FBI informieren?

Nein, sie wären viel zu spät hier. Die japanische Polizei einschalten? Auch das war nicht möglich, denn dann wäre sein Leben schneller zu Ende, als das er Organisation sagen konnte. Akai blickte durch das Zielfernrohr seines Gewehrs. Zuerst beobachtete er die Zielperson, dann richtete er den Blick auf Jodie. Sie stand an der Glasscheibe und sah nach draußen. Ihr Blick wirkte traurig und melancholisch zugleich.

Akai schluckte. Er schüttelte den Kopf. Er durfte keine Ablenkung zulassen. Leicht nervös schwenkte er das Zielfernrohr wieder auf die Zielperson. Shuichi wartete eine weitere halbe Stunde, dann erst machte sich Onbu auf den Weg zu den Aufzügen. Akai spannte alle Muskeln an und legte den Finger an den Abzug. Er war bereit bis zum Äußersten zu gehen.

Onbu betrat mit einigen anderen Menschen den Aufzug. Die Türen schlossen sich und das Gefährt begab sich auf den Weg nach unten. Nur wenige Sekunden später drückte Akai ab. Die Zielperson sackte in sich zusammen. Die Menschen im Fahrstuhl wurden panisch. Eine Person drückte auf den Notruf-Knopf und der Aufzug blieb prompt stehen.

Shuichi baute das Scharfschützengewehr schnell auseinander und legte die Teile wieder in den Gitarrenkoffer. Er nahm den Koffer und lief in das Innere des Towers. Die ganze Zeit über war er darauf bedacht gewesen, sein Gesicht nicht in eine der Kameras zu drehen. Shuichi begab sich an den Hinterausgang der Bar und stellte dort den Gitarrenkoffer ab. Dann klopfte er zweimal gegen die Tür und verschwand in der Menge.

Akai richtete die Kapuze seiner Jacke und machte sich auf die Suche nach Jodie. Sobald er sie erspähte – blonde Frauen in Japan waren selten – zog er sie an sich. „Wir müssen verschwinden“, flüsterte er ihr ins Ohr.

Jodie nickte. „Bist du fertig?“

„Ja, lass uns gehen. Mittlerweile müsste unten das Chaos ausgebrochen sein. Sie werden höchstwahrscheinlich jeden, der den Tower verlassen will, überprüfen. Wir müssen trotzdem versuchen einen Weg zu finden.“ Shuichi zog sie mit sich zum Aufzug.

„Entschuldigung?“

Der Agent blickte den Mitarbeiter des Tokyo Towers an. „Ja, bitte?“

„Es gibt unten momentan ein paar Schwierigkeiten. Die Fahrt nach unten verzögert sich daher ein wenig. Ich bitte um Geduld.“

Shuichi runzelte die Stirn. „Wissen Sie, was passiert ist?“

„Dazu kann ich zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Auskunft geben.“

Wie aufs Kommando öffneten sich die Türen des zweiten Aufzuges. Akai und ein paar andere Menschen stiegen ein. Shuichi drückte Jodie erneut an sich. „Spiel mit“, flüsterte er ihr ins Ohr.

Jodie ließ ihn machen. Sie sah aus der Scheibe des Aufzuges. Die Sirenen waren bereits zu hören. Nachdem sich unten die Aufzugstür öffnete, erblickten sie eine Menschentraube, die sich um Onbu gebildet hatte.

Ein Mitarbeiter kam auf sie zu. Shuichi war zu allem bereit gewesen. „Hatten Sie einen schönen Aufenthalt? Vielleicht möchten Sie ja den Souvenir-Laden besuchen?“

„Ein anderes Mal“, antwortete Akai und marschierte mit Jodie nach draußen. In diesem Moment parkte der Krankenwagen auf der Straße und ein Team von Sanitätern stieg aus. Schweigend ging der Agent zurück zur Tiefgarage und lehnte sich gegen den Wagen. „Und? Wie war ich?“, wollte er wissen.

„Willst du das jetzt ausdiskutieren? Wir sollten zuerst verschwinden.“

„Ach bitte“, fing Akai an. „In dem Scharfschützengewehr waren nur Platzpatronen. Selbstverständlich ist es möglich, dass bei der Geschwindigkeit des Schusses jemand tödlich verletzt wird, aber unter den Umständen wäre eben etwas ganz Anderes unten los gewesen.“

Jodie schmunzelte. „Wann hast du gemerkt, dass es ein Test war?“, wollte sie wissen. Sie öffnete die Wagentür und stieg ein.

Shuichi nahm auf der anderen Seite Platz. „Das erste Mal hatte ich einen Verdacht, als du mich allein hast gehen lassen. Gerade bei meinem ersten Auftrag für euch, hätte ich erwartet, dass ihr mich auf Schritt und Tritt überwachen würdet. Aber du hast mir freie Wahl gelassen. Außerdem habe ich dich von draußen beobachtet. Du hattest keine Angst, dass wir erwischt werden könnten. Ich nehme an, du trägst deine Waffe immer bei dir? Hätte ich Onbu wirklich erschossen, wären unsere Taschen auf jeden Fall kontrolliert worden.“

„Ich hätte ihnen auch die dumme Amerikanerin vorspielen können“, entgegnete Jodie ruhig. „Das zieht und dadurch lassen sie ihr eigentliches Ziel aus den Augen.“

„Mag sein, aber wäre er wirklich tot, hätte es hier schon lange von Polizisten gewimmelt. Man hätte uns nie so einfach gehen gelassen. Und wie ich schon erwähnt habe, war das Gewehr nur mit Platzpatronen gefüllt. Der Unterschied ist nur minimal, aber wenn man sich mit seiner Waffe auskennt, erkennt man den Gewichtsunterschied. Ich nehme an, dass jemand den Gitarrenkoffer wieder an sich genommen hat.“ Shuichi schnallte sich an und verschränkte die Arme. „Außerdem denke ich nicht, dass ihr solche Aufträge spontan vergebt. Gerade Onbu, der eine Person des öffentlichen Interesses ist, hat einen engen Zeitplan. Ihr musstet also seine Abläufe gekannt haben. Also nehme ich an, dass Onbu für euch arbeitet und das Opfer gespielt hat, damit ihr meine Reaktionen und Handlungen überwachen könnt. Wahrscheinlich trug er irgendeine Verstärkung am Kopf und wurde gut geschminkt. Wie bin ich?“

Jodie schmunzelte und startete den Motor. „Recht gut. Aber eines hast du nicht bemerkt.“

„Hm?“

„Wir haben die Kameras entsprechend manipuliert und dich die ganze Zeit aus jedem Winkel aufgenommen. Aber mach dir keine Sorgen, die Aufnahmen haben wir auf unseren Servern gesichert und die offiziellen Bilder bereits überspielt. Niemand wird mitbekommen, was du heute getan hast. Im Übrigen, Onbu arbeitet nicht für uns. Aber die Wahrheit dahinter wirst du noch erfahren…irgendwann.“ Jodie zwinkerte ihm zu.

Zweifel

Da er nicht wusste, ob er seine Stimme unter Kontrolle haben würde, hatte er den restlichen Weg geschwiegen und nach vorne auf die Straße geblickt und den Nachrichten im Radio gelauscht. Wie er es ahnte, wurde der Vorfall nirgends erwähnt.

„Bis zum nächsten Mal“, hatte er hervorgebracht, als er aus Jodies Wagen stieg und sich anschließend in Richtung seiner Wohnung begab. Nachdem er sie betrat, hing er seine Jacke an den Garderobenständer und zog eine Schachtel mit Zigaretten aus der Innentasche hervor. Mit einem leisen Seufzen ging der Agent in die Küche und holte ein Glas sowie eine Flasche Bourbon heraus. Er befüllte das Glas und bemerkte erst jetzt das Zittern in seiner Hand. Shuichi sah auf diese und versuchte es unter Kontrolle zu bringen. Als dies nicht auf Anhieb gelang, nahm er das Glas und die Schachtel mit den Zigaretten und ging auf seinen Balkon. Sofort zündete sich der Agent eine Zigarette an und blickte in die Ferne.

Er brauchte den ruhigen Moment um nachzudenken. Beinahe hatte er einen unschuldigen Mann umgebracht. Und warum? Weil es die Organisation verlangte. Und weil er nicht auffliegen durfte.

In der Kürze der Zeit hatte er keine andere Möglichkeit gefunden und bei diesem perfiden Spiele mitgemacht. Auch wenn es Platzpatronen waren und er sehr schnell einen Test vermutete, konnte sein Handeln verheerende Folgen haben. Aus der Distanz waren selbst diese gefährlich. Und wenn die Organisation wollte, dass Onbu starb, dann starb er auch.

Shuichi nahm einen Schluck aus seinem Glas. Im Büro von James hatte er sich großspurig gegeben und so getan, als hätte er keine Probleme damit, zu handeln wie ein Mitglied der Organisation. Aber in Wahrheit war es nur eine Fassade um den Auftrag durchführen zu können. Doch was sollte er machen, wenn weitere Morde auf der Tagesordnung standen und er sie ausführen musste? Natürlich könnte er das FBI informieren, die Leute in Sicherheit bringen lassen und so tun, als wäre der Auftrag erledigt. Aber wie lange würde er mit der Methode durchkommen? Würden sie ihn möglicherweise sofort durchschauen? Und was wäre, wenn das FBI nicht rechtzeitig zur Stelle sein würde? Dass ein Auftrag so spontan vergeben wurde, konnte er sich nicht vorstellen, aber vielleicht würden sie ihn noch weiter testen? Akai nippte erneut an seinem Glas. Wahrscheinlich hatte er keine andere Wahl, als die Bürde auf sich zu laden und sein ganzes Leben daran denken zu müssen. Aber es war für das Gute. Denn wer auch immer hinter der Organisation stand, er musste zur Rechenschaft gezogen werden.

Shuichi ließ seinen Blick schweifen. Er dachte an Jodie und wie sie vom Tower aus die Stadt beobachtete. Hatte sie auch Zweifel an ihrer Arbeit oder gab es etwas Anderes was sie beschäftigte?

Was sie jetzt wohl macht?, fragte sich der FBI Agent und sah in die bräunliche Flüssigkeit in seinem Glas.

Jodie saß derweil im Blue Parrot und blickte gedankenversunken in ihr halbgefülltes Glas Sherry. Es gab etwas, das sie störte – sehr störte. Jodie konnte allerdings nicht sagen, was genau es war. Dai hatte seinen Test mit Bravur bestanden und keinen Moment versucht zu diskutieren. Wie bereits erwartet, war er zwar über die Spontanität überrascht, stellte sich aber schnell auf die neue Situation ein. Ohne zu Zögern hatte er die Zielperson erledigt – zumindest glaubte er das. Und dennoch haftete ein Hauch eines Zweifels an der jungen Amerikanerin. Irgendetwas übersah sie. Irgendwas war im Busch. Irgendwas.

Chris setzte sich zu ihr an den Tisch. „Wie hat sich der Neue geschlagen?“, wollte sie wissen.

Jodie sah nach oben. „Mhm? Sag du es mir“, begann sie. „Immerhin warst du seine Zielperson.“

„Sagen wir es mal so: Es ist gut, dass Onbu ein beleibteres Kerlchen und entsprechend füllig im Gesicht ist.“ Vermouth schmunzelte. „Dadurch war es mir möglich, alle wichtigen Vitalpunkte die zum Tod führen könnten, entsprechend auszustatten und für meine Sicherheit zu sorgen. Allerdings war es trotzdem ein wenig schmerzhaft, als er mir in den Kopf geschossen hat. Die Kopfschmerzen werde ich wohl noch ein paar Tage haben.“

Jodie nickte. „Verstehe. Und die Beweise hast du bestimmt auch verschwinden lassen…“

„Aber natürlich. Hältst du mich für einen Anfänger?“, entgegnete Chris. „Die Leute die mit mir im Aufzug waren, nahmen nur an, dass mein Kreislauf verrücktspielte. Und selbst wenn es jemand öffentlich macht, keiner kann mich damit in Verbindung bringen. Das Projektil habe ich auch verschwinden lassen. Und das Einschussloch im Fahrstuhl ist nicht so groß. Es wird dennoch auffallen, aber sie werden nicht wissen, wodurch es hervorgerufen wurde.“

„Gut“, nickte Jodie.

„Du hast deine Rolle auch sehr gut gespielt“, fing sie an. „Jeder hätte dir die überraschte Frau abgenommen, als du angerufen wurdest. Aber auch danach warst du recht gut und hast dich auf die Situation eingestellt. Du hast viel von mir gelernt.“

„Und trotzdem hast du nie gewollt, dass ich mich schauspielerisch betätige. Angebote von japanischen Regisseuren hatte ich genug...“

„Mit gutem Grund“, sagte Vermouth. „Egal. Zurück zu Dai.“

„Dai wusste, dass er Onbu nicht wirklich ausgeschaltet hat. Vermutlich, weil er ahnte, dass es der Testauftrag war.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Aber er hat sich wirklich gut geschlagen und den Auftrag zu unserer Zufriedenheit ausgeführt.“

„Und wenn man bedenkt, von wo er den Schuss abgefeuert hat…und das bei einem fahrenden Aufzug…jeder andere Schütze müsste den Hut vor ihm ziehen. Es war eine gute Idee ihn zu rekrutieren.“ Vermouth leckte sich über die Lippen. „Und es wird Korn, Chianti und Calvados anspornen noch besser zu werden.“

„Bestimmt.“

Vermouth legte den Kopf schief. „Und trotzdem siehst du nicht gerade glücklich aus“, kam es von der Schauspielerin, „Na komm, welche Laus ist dir über die Leber gelaufen?“

Jodie seufzte. „Du kennst mich zu gut“, begann sie. „Ich weiß auch nicht, was es ist. Irgendwie hab ich so ein komisches Gefühl bei ihm.“

„Mhm?“ Vermouth überlegte. „Wenn das so ist, sollten wir ihn noch einmal testen. Es wurde doch noch gar nicht entschieden, in welchem Gebiet wir ihn einsetzen wollen.“

Die Amerikanerin nickte. „Was schwebt dir vor?“

„In zwei Wochen findet die Geburtstagsparty von Randall Watanabe statt. Ich sorge dafür, dass du und Dai dort sein können. Dann kann er ja mal zeigen, wie viel Hirn in ihm steckt und versuchen etwas Geld für uns aufzutreiben.“

Jodie nippte an ihrem Glas. „Randall Watanabe? Ist das nicht der Schwiegersohn von diesem Immobilienmogul? Yuma Watanabe?“

Vermouth grinste. „Genau der. Randall kam vor zehn Jahren nach Japan und verliebte sich in Suri Watanabe. Schon nach kurzer Zeit gaben sie ihre Verlobung bekannt, allerdings musste er laut Ehevertrag den Nachnamen seiner Frau annehmen. Randall zweigt regelmäßig kleinere Geldsummen vom Firmenkonto ab und transferiert diese auf sein Konto.“

„Das Geld kann er auch gleich uns geben“, sagte Jodie. „Also in zwei Wochen…gut. Ich werde mir parallel zur Vorbereitung für den Auftrag noch einmal Dais Hintergrund ansehen und ihn beobachten.“

Die Schauspielerin schmunzelte. „Wenn du dich erst einmal in etwas verbissen hast…“
 

Akai mochte diese Art der Spontanität nicht. Ohne zu wissen worum es ging, konnte er sich nicht vorbereiten und keinen Plan erarbeiten. Und leider schien das die Organisation auszunutzen. Jodie hatte ihm gegen Mittag in einer Nachricht mitgeteilt, dass sie am Abend zusammen zu einer Geburtstagsfeier gehen würden. Und egal, was sie dieses Mal wollten, er würde seine Sache gut machen – erneut – egal wer die Zielperson dieses Mal war. Akai nahm auch an, dass es sich um einen weiteren Test handelte und sah der Sache locker entgegen. „Erzähl mir etwas über die Zielperson“, sagte er und achtete auf die Straße.

„Randall Watanabe ist der Schwiegersohn vom Immobilienmogul Yuma Watanabe. Er kam vor etwa zehn Jahren nach Japan im Zuge eines Austauschjahres der Universität. Dort lernte er Suri Watanabe kennen und lieben. Zumindest ist es das, was öffentlich gemacht wurde.“

„Du glaubst nicht daran, dass ihre Liebe echt ist?“

Jodie sah zu ihm. „Es ist schon auffällig, wenn man sich nach fünf Monaten Beziehung gleich verlobt und drei Monate später heiratet. Wobei letzteres wahrscheinlich Yuma Watanabe organisierte. Naja egal. Yuma war aber nicht dumm und ließ Randall einen Ehevertrag unterschreiben. Aufgrund dessen musste Randall den Nachnamen Watanabe annehmen. Weitere Einzelheiten des Vertrages sind uns nicht bekannt. Allerdings wissen wir, dass Randall immer wieder kleinere Geldsummen vom Firmenkonto abzweigt und diese auf sein Konto transferiert.“

„Mhm…verstehe…“, murmelte Akai. „Und aus welchem Grund will die Organisation, dass wir ihn ausschalten?“

Die Amerikanerin schmunzelte. „Wer sagte, dass wir ihn ausschalten sollen?“

Akai sah sie überrascht an. „Wir sollen nicht?“

„Das war letztes Mal der Auftrag, aber dieses Mal schnüffeln wir einfach nur etwas rum und schauen, wie wir an das Geld kommen.“

„Verstehe“, gab Akai ruhig von sich. „Mhm…was da wohl los ist?“ Der Agent sah auf die Absperrung der Straße. Sofort kam ein Streifenpolizist zu ihrem Wagen. Akai ließ die Scheibe herunter. „Ist etwas Passiert?“

„Nur ein Unfall“, entgegnete der Polizist. „Bitte umfahren Sie die Strecke.“

Shuichi sah an ihm vorbei und nickte. „In Ordnung.“ Er legte den Rückwärtsgang ein und wendete den Wagen. „Dauert wohl noch eine Weile, ehe wir da sind.“

„Kein Problem“, antwortete Jodie. „Wir müssen nicht pünktlich sein.“

Shuichi brauchte für den Weg zehn Minuten länger. Als er in die Auffahrt blickte, bog er nicht ab.

„Was wird das?“

„Mir ist das dort zu voll“, gab er von sich. „Wir parken gleich in der Nähe“, fügte er an und stellte seinen Wagen am Straßenrand ab. „Siehst du, machen andere auch. Uns wird also keiner abschleppen.“

„Gut“, sagte Jodie. „Ich will diesen Abend auch nicht abgeschleppt werden.“ Sie stieg aus und machte sich mit dem Agenten auf den Weg zum Anwesen der Watanabes. Während Akai nur eine schwarze Stoffhose, sein schwarzes Hemd und eine Jacke trug, hatte Jodie ein langes und elegantes rotes Kleid mit Spaghettiträgern und einem nicht allzu tiefen Ausschnitt an. Ihre Haare hatte sie mit Hilfe eines Lockenstabes zu kleinen Locken gedreht.

Der Sicherheitsmann stellte sich Ihnen in den Weg. „Ihre Einladung?“

„Natürlich“, kam es von Jodie. Sie zog die Einladung – die sie von Chris bekam – aus ihrer Handtasche heraus und zeigte sie vor.

Der Mann nickte und ließ beide durch. Akai sah sich um. Die Feier war bereits in vollem Gange. Der Raum war prunkvoll ausgestattet. An der einen Wand wurde ein Buffet aufgebaut und mehrere Kellner liefen mit Getränken herum und baten sie den Gästen an.

„Da.“ Jodie wies auf ein Pärchen. „Das ist Randall Watanabe. Neben ihm steht Suri.“

„Gut“, fing Akai an. „Lass mich raten, ich muss den Plan machen und du siehst nur zu?“

Jodie schmunzelte. „Fast richtig. Wir arbeiten dieses Mal zusammen.“ Sie sah sich um. „Es sind noch zu viele Menschen hier. Wir brauchen eine Ablenkung, damit sich einer von uns oben umsehen kann. Alle verwerflichen Unterlagen werden sich in seinem Arbeitszimmer, wahrscheinlich in einem Safe, befinden. Wenn es keiner mitbekommt, haben wir genug Zeit. Oder wir warten bis Randall genug getrunken hat um Fehler zu begehen.“

Akai sah sie überrascht an. „Fehler wie dich anzugraben?“

„Ja, das wäre möglich. Dann müsstest du nur Fotos machen und wir können ihn damit erpressen. Damit alles glatt geht, sollten wir den zweiten Teil unserer Aufgabe nicht heute durchführen.“

Shuichi nickte. „Erst Informationen sammeln und ihn Tage später damit konfrontieren.“ Akai blickte sich ein weiteres Mal um. „Es stehen zwei Sicherheitsmänner an der Tür. Einer ist draußen im Garten und es würde mich nicht wundern, wenn sich unter den Gästen Sicherheitsmänner in zivil befinden.“

„Dann stellt sich jetzt also die Frage, wie wir unbemerkt nach oben kommen.“ Jodie überlegte. „Später am Abend gibt es draußen noch ein Feuerwerk. Wenn alle in den Garten gehen, können wir uns oben umsehen.“

„Gut“, sagte der Agent. „Dann hol ich uns etwas zu Trinken. Bestimmte Wünsche?“

„Ahhhhhhh!“

Der Schrei hallte durch den gesamten Raum.

Sofort machte sich Unruhe zwischen den Gästen breit. Zwei Sicherheitsmänner in zivil liefen sofort in Richtung der Küche.

„Das sollten wir nutzen“, flüsterte Jodie.

Akai hielt ihren Arm fest. „Warte.“ Der Sicherheitsmann am Eingang hielt sich die Hand ans Ohr. Er lauschte den Anweisungen über Funk, schloss die Tür und stellte sich davor.

„Was ist da los?“, wollte die Amerikanerin leise wissen.

„Schauen wir mal.“ Shuichi machte sich ebenfalls auf den Weg in die Küche.

Ein Sicherheitsmann stellte sich ihm in den Weg. „Sie können hier nicht durch.“

„Was ist passiert?“, wollte der Agent wissen.

Der Sicherheitsmann schüttelte den Kopf. Shuichi blickte an ihm vorbei. Eine Mitarbeiterin des Servicepersonals saß auf dem Boden. Ihr Gesicht war blass.

„Wir haben die Polizei informiert. Sie sind auf dem Weg. Wir prüfen parallel, ob die Leiche zum Servicepersonal gehört.“ Der zweite Sicherheitsmann blickte auf Akai. „Oh.“

„Es wurde jemand umgebracht?“

„Bitte bleiben Sie ruhig“, begann der Sicherheitsmann. „Wir haben alles unter Kontrolle.“

Akai verengte die Augen. Gehörte das zum Test? „Ja…natürlich…“, gab er murmelnd von sich und begab sich wieder zu Jodie.

„Was ist passiert?“, wollte die Blonde wissen.

„Es wurde jemand umgebracht“, flüsterte Akai. „Also? Was erwartet ihr von mir?“

„Tja…“, fing Jodie an. „Auch wenn du es nicht glauben willst, wir haben nichts damit zu tun. Wenn die Polizei hier auftaucht, haben wir ein Problem.“

„Dann sollten wir versuchen zu verschwinden“, entgegnete er. „Zur Haustür raus wird verdächtig wirken. Den Garten können wir auch nicht nutzen.“

„Vielleicht einen Hinterausgang oder wir nutzen jetzt den Moment und gehen nach oben.“

Shuichi sah sie überrascht an. „Und wenn sie uns beim Durchsuchen finden, wirkt das nicht verdächtig?“

Jodie schüttelte den Kopf. „Nein, zur Flucht. Wir können irgendwo runter klettern.“

„Versuchen wir es.“

Gerade als sich die Beiden auf den Weg machen wollten, ging die Haustür auf und mehrere Polizisten kamen in den Raum. „Bitte entschuldigen Sie die Störung“, fing Sato an. „Ich weiß, Sie möchten alle wissen, was passiert ist. Ich versichere Ihnen, dass für Sie keine Gefahr besteht. Bitte bleiben Sie ruhig und halten sich für unsere Befragungen bereit.“

„Stimmt es, dass jemand umgebracht wurde?“, rief jemand rein.

Wataru Takagi sah irritiert in die Menge. Es bildeten sich Grüppchen. Einige Personen diskutieren über die Absichten des Mörders, andere wirkten verängstigt und eine andere Gruppe spekulierte über das Opfer. „Bitte…wir können zum jetzigen Zeitpunkt noch nichts sagen. Verhalten Sie sich ruhig und halten sich für weitere Fragen bereit.“

„Zu spät“, murmelte Jodie. „Was willst du jetzt machen?“, wollte sie von Akai wissen.

Akai fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. „Dann müssen wir diesen Mord eben lösen, damit wir raus können.“

Informationsbeschaffung

Akai blickte sich im Raum um und runzelte die Stirn. Er musste unbedingt ermitteln und den Täter finden, ehe die Polizei seine falsche Identität auffliegen ließ – falls sie je dahinter kämen. Aber auf sein Glück wollte er sich nicht verlassen. Durch Akemi wusste er, dass die Polizei bereits durch die Organisation infiltriert wurde. Daher brauchte er zuerst einen Verbündeten in dem gesamten Szenario – einen Polizisten, der nichts zu verlieren hatte oder den Ruhm ernten wollte.

Die Atmosphäre war aufgeladen und steigerte sich, je mehr Zeit verging. Die ersten Gäste begannen unangenehme Fragen zu stellen und tauschten untereinander die heikelsten Theorien aus. Dass sie den Raum, aber vor allem das Haus, nicht verlassen durften, war das i-Tüpfelchen. Akai beäugte sie alle akribisch, immerhin musste einer der Täter sein.

Ein Team bestehend aus mehreren Polizisten und Männern von der Gerichtsmedizin machte sich sofort auf den Weg in die Küche. Die anderen Polizisten verteilten sich im Raum und begannen damit den Gästen alle möglichen Fragen zu stellen: Wer waren sie? Wo waren die Personen als der Schrei ertönte? Durch welche Umstände erhielten diese eine Einladung für die Feier? Haben die Gäste etwas Verdächtiges gesehen?

Zudem verglichen die Polizisten die Anwesenden mit Bildern auf ihren Handys. Aber sie mussten sich auch den Fragen der Menge stellen und versuchte sie anschließend mit billigen Metaphern zu beruhigen.

Sehr merkwürdig, dachte sich der Agent und sah zu Jodie. „Du bleibst am besten hier und tust nichts! Wenn du versuchst rauszukommen, nehmen sie dich in den Fokus ihrer Ermittlungen. Egal ob du etwas getan hast oder nicht. Wenn sie dich befragen, mach nichts, was uns auffliegen lässt“, fügte er hinzu.

Jodie sah ihn überrascht an. „Was denkst du eigentlich von mir? Ich mach den Job nicht erst seit gestern“, kam es von ihr.

Der Agent zuckte mit den Schultern. „Ich kenn dich eben noch nicht so gut“, antwortete er und legte seine Hand auf ihren Kopf. „Schon gut. Ich weiß doch, dass du nichts machen würdest, was unseren Auftrag gefährden würde“, flüsterte er ihr zu.

Jodie schluckte leicht verlegen und blieb verwirrt auf der Stelle stehen. Shuichi hingegen umging mittlerweile die Polizisten im Raum und begab sich in Richtung der Küche.

Der Sicherheitsmann von vorhin stellte sich ihm in den Weg. „Sie können hier nicht durch“, wiederholte er mit tiefer Stimme erneut.

Shuichi sah an ihm vorbei. „Ich muss mit einem der Polizisten sprechen.“

Der Sicherheitsmann verschränkte die Arme. „Bitte haben Sie Geduld bis jemand zu Ihnen kommt“, fing er an. „Ich darf niemanden durchlassen.“

„Dann holen Sie einen Polizisten raus.“

Der Sicherheitsmann überlegte skeptisch. „Bedaure…“

„Was geht hier vor?“ Takagi kam aus der Küche und steckte sein Notizbuch in die Jackentasche. Er musterte den Agenten.

„Bitte entschuldigen Sie, Inspektor. Dieser Mann wollte in den Raum und unbedingt mit einem Polizisten sprechen. Entsprechend Ihrer Anweisungen habe ich niemanden durchgelassen.“

Takagi nickte verstehend. „Ich bin Inspektor Takagi. Was kann ich für Sie tun, Herr…?“

„Dai Moroboshi“, stellte sich Akai kurz vor. „Ich bin gerade dabei mich als Privatdetektiv selbstständig zu machen und möchte Ihnen daher meine Hilfe anbieten. Bitte verraten Sie mir doch, was passiert ist.“

Takagi sah sich hilfesuchend um und räusperte sich. „Ich fürchte, dass ich zum jetzigen Stand der Ermittlungen noch nichts sagen kann. Ich muss Sie um Ihre Geduld bitten. Bitte gehen Sie zurück zu den Anderen.“

„Inspektor“, begann der Agent. „Ich kann verstehen, dass Sie keine Zivilisten zur Unterstützung in Ihren Fall involvieren wollen und ich möchte Ihre Arbeit bestimmt nicht kritisieren, aber…“ Akai sah zu den versammelten Gästen. „…die ersten Gäste haben ihre Handys bereits zur Hand. Watanabe ist eine Person die der Öffentlichkeit mehr als bekannt ist. Viele Gäste stehen ebenfalls in der Öffentlichkeit. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis der erste Reporter von dem Todesfall erfährt. Sie sollten allerdings auch nicht ausschließen, dass einer der Gäste für die Zeitung, das Fernsehen oder einen Internet-Blog arbeitet und die neusten Nachrichten schon in die Welt posaunt hat. Wenn ich mir das hier so ansehe…könnte es sein, dass es draußen einen Tumult geben wird.“

Takagi schluckte.

„Sie wissen, was das heißt, nicht wahr? Wenn der Mord nicht schnell genug gelöst wird, führen Sie den Täter nachher durch eine Menschenmenge an Fotografen, Reportern und anderen Schaulustigen nach draußen. Ist das wirklich das, was Sie wollen?“

„N…nein…“, murmelte Takagi. „Sie…sie glauben…Sie können uns wirklich…helfen?“, wollte er leise wissen.

„Wenn Sie Zweifel haben, können Sie mich ja überprüfen“, konterte Akai in der Hoffnung, dass nichts geschehen würde. „Aber wir wissen beide, dass das viel Zeit in Anspruch nehmen wird. Bis dahin könnten wir Ihren Mörder schon gefunden haben.“

Takagi ließ den Kopf hängen und sah aus dem Augenwinkel zu Miwako Sato. Sie war seine Angebetete und machte sich gerade Notizen in ihrem Buch. Auch wenn sie eine der wenigen Frauen im Präsidium war, hatte sie viele Verehrer. Jeder wollte mit ihr zusammenarbeiten und zeigen, was in ihm steckte. Auch wenn ihm eine Zusammenarbeit mit Akai widerstrebte, wollte er sich auch einmal behaupten und zeigen, was in ihm steckte.

„Wenn Sie möchten, halten wir unsere Zusammenarbeit geheim“, entgegnete Akai. „Sie erzählen mir einfach alles was sie wissen und wenn ich eine Ahnung habe, gebe ich die Informationen an Sie weiter. Mit meinen Informationen können Sie sich dann vor Ihrer Kollegin profilieren.“ Akai blickte zu Miwako.

Takagi wurde sofort rot. „Das ist nicht…“ Er hob beschwichtigend die Hände. „Das ist nicht…wie Sie…glauben…ich…ich…“

„Schon gut. Sie müssen mir nichts erklären“, sprach der Agent. „Hauptsache Sie konzentrieren sich auf die Ermittlungen.“

Takagi ließ den Kopf hängen. Bin ich so leicht zu durchschauen?, fragte er sich selbst. „In Ordnung“, nickte er. „Aber Sie halten sich wirklich zurück und überlassen mir die weitere Befragung der Gäste, sofern dies notwendig ist.“

Akai schmunzelte. „Ich bin mit Ihren Bedingungen einverstanden“, sagte er, auch wenn diese eigentlich von ihm stammten. „Jetzt möchte ich zuerst wissen, wer das Opfer war und was genau in der Küche passiert ist.“

Inspektor Takagi seufzte leise und zog sein Notizbuch heraus. Zwar wusste er alles, was in diesem stand, aber es gab ihm einen gewissen Halt. „Das Opfer war ein Mann von athletischer und muskulöser Statur. Auf seinen Armen hatte er mehrere Tätowierungen. Eines davon war ein Wolf und die anderen hatten eine tribal-artige Struktur, die sich über den gesamten Arm erstreckte. Außerdem wurde die Leiche nur mit Unterhose und Socken bekleidet gefunden.“

Akai nickte verstehend. „Von der Statur her, ist mir niemand aufgefallen. Kann es sein, dass das Opfer zum Service-Personal gehört?“

Der Inspektor schüttelte den Kopf. „Die Frau, die das Opfer gefunden hat, hat ausgesagt, dass ihr der Mann fremd ist. Herr Watanabe hat wohl darauf bestanden, dass alle Mitarbeiter nur kurze Haare tragen, damit diese weder ins Essen noch ins Getränk fallen. Seine Gäste seien wohl sehr pingelig. Das Opfer allerdings trägt längeres Haar. Zum Sicherheitsteam gehört er auch nicht.“

„Mhm…“ Akai grübelte. „Was war die Todesursache?“

Wataru wandte den Blick ab, sah nach links, dann nach rechts, nach hinten und anschließend wieder zu dem Agenten. Es gab glücklicherweise keinen der sein Handeln beobachtete. „Der Gerichtsmediziner schätzt, dass die Todesursache Ersticken infolge von Strangulation war. Die Würgemale an seinem Hals sind ein erstes Indiz dafür. Anhand der Dicke und der Abdrücke am Hals könnte eine Metallkette dafür in Frage kommen. Genaueres kann natürlich erst nach einer ausführlichen Untersuchung gesagt werden.“

„Dann haben Sie die Mordwaffe also noch nicht gefunden“, schlussfolgerte Akai.

Takagi nickte. „Es gibt noch ein weiteres Problem bei der Leiche. Ihr Gesicht ist entstellt. Das erschwert selbstverständlich die Identifizierung der Person.“ Takagi räusperte sich. „Außerdem fehlt ihm die rechte Hand. Das Verletzungsmuster weist auf eine Schädigung post mortem hin.“

Akai verengte die Augen. „Die Hand wurde erst nach seinem Tod entfernt? Das heißt, der Tote muss etwas gehabt haben, was für den Täter wichtig war…“, murmelte Akai. „Das entstellte Gesicht nach dem Mord, lässt darauf schließen, dass die Tat nicht geplant war. Entweder der Täter konnte seinem Opfer nicht mehr in die Augen schauen und schämte sich, oder das Gesicht wurde nur wegen der Identifizierung entstellt.“ Takagi nickte verstehend, während Akai die Arme vor der Brust verschränkte. „Wir sollten uns noch zwei wichtige Fragen stellen: Erstens, wie kam das Opfer in das Haus und zweitens, ist der Täter ein Gast oder auch ein Fremder?“

„Mhm…“, gab Takagi von sich. „Das Sicherheitspersonal ließ nur Gäste mit Einladung hinein.“

„Genau so wie ich“, fing er an. „Soweit ich weiß, begannen die Feierlichkeiten gegen 19 Uhr. Bringen Sie bitte in Erfahrung wann mit den Vorbereitungen begonnen wurde. Möglich, dass Opfer oder Täter in diesem Zeitraum in das Haus eindrangen.“

„Ich werde das sofort überprüfen lassen“, sagte der Polizist.

„Wenn Sie neue Erkenntnisse haben, tauschen wir uns wieder aus“, sagte Akai und verschwand in der Menge.

Takagi blieb verwirrt zurück.

„Und?“ Jodie kam mit zwei Gläsern Wassern zu ihm. „Du hast doch bestimmt Durst“, fügte sie hinzu und reichte ihm ein Glas. Sie nippte anschließend an ihrem.

„Mord“, gab Akai leise von sich und zog Jodie zur Seite. „Das Opfer ist noch nicht identifiziert. Sein Gesicht wurde post mortem entstellt. Außerdem fehlt seine rechte Hand. Ebenfalls post mortem entfernt. Die Todesursache war Strangulation mit einer Kette aus Metall…oder ähnlichem.“

Jodie runzelte die Stirn. „Ist das Opfer einer der Gäste?“

„Davon ist nicht auszugehen. Das Opfer war wohl recht muskulös und besaß mehrere Tätowierungen auf dem Arm.“ Akai sah sich um. „Ich kann mir irgendwie nicht vorstellen, dass einer der Gäste darauf zutrifft. Außerdem hätte sich eine Begleiterin bereits gemeldet, wenn jemand fehlen würde.“

„Man muss nicht zwingend mit Begleitung erscheinen“, warf Jodie ein.

„Natürlich nicht. Aber auf solche Veranstaltungen alleine zu kommen, ist ein Fauxpas den sich keiner leisten wird. Und wenn es ein Gast wäre, hätte der Täter ihn nicht entkleiden müssen.“

„Er war entkleidet?“

Akai nickte.

„Und wenn der Täter ein Fremder ist und nun die Sachen des Opfers trägt?“, wollte sie wissen.

„Möglich, aber ich habe da eine ganz andere Vermutung. Außerdem schließt die Polizei auch aus, dass Opfer und Täter Gast auf dieser Feier sind. Der Polizist hat dazu zwar nichts gesagt, aber die Art und Weise wie sie hier vorgehen, lässt darauf schließen. Außerdem verschweigt die Polizei etwas. Ich muss noch herausfinden, was es ist.“

„Mir ist aufgefallen, dass die Polizisten nur die Männer befragen und ihre Gesichter mit Fotografien auf ihrem Handy vergleichen“, entgegnete Jodie. „Ein paar Gäste spekulieren auch, dass das Opfer in den Autounfall von vorhin verwickelt.“

Akai wurde hellhörig. „Ach ja…die Straßensperrung. Die ist auf einen Autounfall zurück zu führen…“, murmelte er nachdenklich. „Das Opfer könnte also von dort hierhergekommen sein.“

„Vielleicht hat Watanabe den Eindringling in seinem Haus gefunden und versehentlich umgebracht?“

„Mhm…“

„Oder es gibt doch eine andere Todesursache, die noch nicht ermittelt wurde?“, fragte Jodie. „Aber wenn der Täter nicht hier unten bei den Gästen ist, kann das doch nur heißen, dass er sich oben aufhält“, fügte sie murmelnd hinzu.

„Wir können uns nur nicht oben umsehen, aber ich kann den Polizisten dazu bringen, dass er das macht.“ Shuichi sah zur Tür. „Der Polizist kommt wieder. Ich geh ihm entgegen, damit er nicht auf die Idee kommt deine Personalien zu überprüfen. Und Jodie?“

„Ja?“

„Mach keinen Unsinn. Geh nicht auf eigene Faust nach oben.“

„Ich doch nicht“, gab die Amerikanerin von sich und sah ihrem Partner nach.

„Inspektor? Was haben Sie herausgefunden?“

„Die Vorbereitungen für die Feier laufen seit 17 Uhr. Das Sicherheitspersonal war erst um 18:15 Uhr vor Ort. Zu diesem Zeitpunkt haben sie nur die Familie und das Service-Personal rein- und raus gelassen. Für die Zeit zwischen 17 und 18:15 Uhr hätte jeder ins Haus kommen können.“

„Ich verstehe“, sagte Shuichi. „Die Einfahrt müsste dann auch offen gewesen sein…gibt es Überwachungskameras?“

„Es gibt welche. Wir haben Herrn Watanabe bereits um die Aufnahmen gebeten…“

„Was verschweigen Sie mir?“

Takagi seufzte leise. „Das Haus ist von einer hohen Hecke umgeben. Die Kollegen konnten an einer Stelle ein großes Loch finden. Von der Größe her, käme eine Person dort durch. Wir können davon ausgehen, dass dies der Eingang für unser Opfer war.“

„Oder der Täter ist durch dieses Loch geflohen.“

„Das können wir auch nicht außer Acht lassen“, murmelte Takagi. „Allerdings“, er brach ab.

„Allerdings hätten Sie ihn dann möglicherweise bereits gefunden, da ihre Leute wegen dem Autounfall in naher Entfernung ihre Positionen bezogen haben.“

Takagi schluckte.

„Wann ereignete sich der Autounfall?“

„Etwa gegen 17:30 Uhr…“

„Sie sind kurz darauf dort eingetroffen?“

„Die Kollegen waren gegen 18:15 Uhr dort. Da Fremdeinwirkung nicht ausgeschlossen werden konnte, wurden auch wir vom Morddezernat gerufen.“

„Morddezernat“, wiederholte Akai.

Takagi schluckte ein weiteres Mal.

„Jetzt verstehe ich, warum Sie vorhin so schnell hier sein konnten. Gut.“ Akai leckte sich über die Lippen. „Möchten Sie meine Theorie zu diesem Fall hören oder erzählen Sie mir selbst die ganze Wahrheit darüber?“

neuer Ruhm

Inspektor Takagi blickte den Agenten irritiert an. „Was…was meinen Sie?“, wollte er wissen und kratzte sich anschließend verlegen an der Wange.

„Mir müssen Sie nichts vormachen, Inspektor“, kam es von Akai. „Ich habe bereits durchschaut was hier gespielt wird. Sie müssen mir also nichts mehr vormachen. Ich kenne die Wahrheit.“

Takagi schluckte. „Ich glaube nicht, dass Sie…das so meinen…“, murmelte der Polizist.

Shuichi sah in die Menge. „Ich habe jetzt endlich verstanden, warum Sie so schnell hier sein konnten. Für alle Außenstehenden sah es natürlich so aus, als würden Sie die Ermittlungen genau nach Standardprozedere durchführen. Aber eigentlich haben Sie diese nur sehr stümperhaft absolviert, weil Sie sowohl Täter als Opfer bereits kannten. Ihnen ging es nur darum den Ort, wo sich der Täter versteckt hält, ausfindig zu machen.“

„Ich glaube…Sie haben da etwas…Falsch verstanden…“, gab der Polizist von sich.

„Das glaube ich nicht“, sagte Akai ruhig. „Gut, dann werde ich Ihnen meine Gedankengänge in Ruhe erklären und dabei auf folgende Fragestellungen eingehen: Wo sind die Tatwaffe und der Täter? Warum wurde das Gesicht des Opfers entstellt und seine Hand post mortem entfernt? Wie kamen Täter und Opfer in das Haus? Warum war die Polizei so schnell vor Ort? Und was natürlich auch wichtig ist: Was ist vor einigen Stunden beim Autounfall passiert? Warum wurde das Morddezernat in Wirklichkeit zum Autounfall gerufen? Warum darf niemand die Küche betreten? Und warum werden die männlichen Gäste mit Bildern verglichen?“ Shuichi sah wieder zu ihm. „Ich weiß, es sind sehr viele Fragen, aber ich kann sie alle beantworten. Haben Sie einen bestimmten Wunsch mit welcher Frage ich anfangen soll?“, wollte der Agent wissen.

Takagi schüttelte den Kopf. „N…nein…“, murmelte er und nahm den Agenten etwas zur Seite. „Erzählen Sie…was Sie glauben zu…wissen…“

„Gern“, nickte Akai. „Dann werde ich erst einmal chronologisch vorgehen und mit dem Autounfall beginnen. Was wissen wir? Der Autounfall ereignete sich gegen 17:30 Uhr. Bis die Polizei vor Ort war, war es bereits 18:15 Uhr. Sie haben die umliegenden Straßen umgehend abgeriegelt und alle Autofahrer umgeleitet. Ich gehörte auch dazu und selbstverständlich habe auch ich versucht einen Blick auf den Unfall zu werfen. Als das nicht klappte, habe ich den Umweg in Kauf genommen, um hierherzukommen. Ich hätte dieses Ereignis eigentlich gar nicht aufgerollt, hätten Sie mir nicht erzählt, dass das Morddezernat ausgerückt ist. Seien wir doch mal ehrlich, auch wenn Fremdeinwirkung nicht ausgeschlossen werden kann, Sie wären doch nie so schnell vor Ort gewesen. Zuerst wären normale Streifenpolizisten ausgerückt, dann hätte die Spurensicherung den Tatort untersucht und erst danach wäre das Morddezernat involviert worden. Aber in der Praxis sah es anders aus. Das heißt für mich, dass hinter dem Unfall mehr steckt, als man auf den ersten Blick annehmen mag. Zuerst dachte ich natürlich an das Offensichtliche: Sie wurden über einen Mord im Auto informiert und sind daher direkt zum Tatort gefahren. Aber ich habe diese Idee sehr schnell verworfen.“

Takagi hörte aufmerksam zu, ließ aber bereits die Schultern resignierend hängen.

„Sie möchten also immer noch nichts dazu sagen? Gut, dann mache ich weiter“, kam es von Akai. „In dem Autounfall war ein Gefängnistransporter involviert. Zum Unfallhergang möchte ich allerdings so wenig Spekulationen wie möglich anstellen, aber ich gehe davon aus, dass die zu transportierenden Häftlinge Mörder waren…nein, sind. Sie nutzten den Unfall und flohen.“ Er sah Takagi an. „Das ist auch der Grund, warum die Polizei so schnell hier war. Sie haben draußen die ganze Zeit über nach den Häftlingen gesucht…und sie nicht gefunden. Nachdem der Anruf des Sicherheitspersonals einging, haben Sie sofort die Annahme gezogen, dass die gesuchten Männer hier sind und sich verstecken. Selbstverständlich hatten Sie auch Angst, dass weitere Morde auf ihre Kappe gehen würden.“ Akai verengte die Augen. „Ist meine Schlussfolgerung korrekt?“

Der Polizist seufzte leise auf. „Ja…in allen Punkten“, gab er von sich. „Normalerweise werden um diese Uhrzeit keine Gefängnistransporte durchgeführt…allerdings haben wir die Kollegen in Tottori damit unterstützen wollen. Ein Flug war ihnen zu unsicher, daher sollten wir auf diesem Weg die beiden Männer nach Tottori bringen…aber dann kam es zu diesem Unfall. Die genauen Ursachen sind uns noch unbekannt“, murmelte er. „Ein Kollege kam dabei ums Leben, der Andere befindet sich mittlerweile im Krankenhaus. Wie sind Sie darauf gekommen, dass es zwei Personen sind?“, wollte Takagi wissen.

„Anhand Ihrer Erzählungen“, antwortete der Agent. „Das Opfer war ein Mann von muskulöser Statur mit mehreren Tätowierungen auf dem Arm. Eines davon war ein Wolf und die anderen hatten eine tribal-artige Struktur, die sich über den gesamten Arm erstreckte“, wiederholte Akai. „Das waren doch Ihre Worte.“

„Ja, aber…bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Wie konnten Sie auf Häftlinge und Gefängnistransport kommen?“

„Mir ist natürlich klar, dass man Tätowierungen nicht so pauschalisieren kann. Meines Wissens nach gibt es in Japan nur wenige Geschäftsmänner die eine derartige Statur besitzen und tätowiert sind. Selbstverständlich ist es nicht unmöglich. Nun ja, verraten Sie mir doch bitte, warum Sie niemanden in die Küche ließen? War es, weil das Opfer so bekannt ist, dass jemand seine Tätowierung hätte erkennen können oder weil Sie Angst hatten, dass Chaos ausbricht und Sie die Gäste nicht mehr beobachten könnten?“

„Beides“, murmelte Takagi. „Wenn jemand das Opfer durch die Tätowierung erkannt hätte…und diese Nachricht nach außen dringen würde…“ Takagi schüttelte den Kopf. „Das wäre eine Katastrophe. Keiner würde der Polizei sein Vertrauen entgegen bringen, immerhin würden sie diesen Fehler uns anlasten…und wenn…das Chaos ausbricht, könnte der zweite Mörder diese Fluchtmöglichkeit ausnutzen.“

„Verstehe. Das Opfer, also der Mörder war durch seine Taten sehr präsent in den Medien. Naja, egal…soll mich an dieser Stelle nicht interessieren.“ Akai verschränkte die Arme vor der Brust. „Dann wären wir bei der Frage wie die beiden Mörder in das Haus gelangten. Nun ja, die Antwort ist einfach. Nach der Flucht aus dem Wagen sind sie umher geirrt und haben die Vorbereitungen für die heutige Feier mitbekommen. Über den direkten Eingang hätten sie das Haus nie betreten können. Die Gefahr, dass sie erkannt werden und jemand die Polizei rief, war zu groß. Ebenso wollten sie nicht Gefahr laufen durch die offensichtlichen Kameras aufgezeichnet zu werden. Aus diesem Grund haben Sie das Loch in der Hecke genutzt. Sie sollten jetzt herausfinden, ob Watanabe ein Komplize ist und das Loch von Anfang an als Fluchtmöglichkeit geplant war oder ob es die beiden Mörder selbst zu verschulden hatten.“

Takagi runzelte die Stirn. „Das prüfen wir nach.“

„In Ordnung“, entgegnete Akai. „Dann klären wir jetzt die restlichen Fragen: Wo sind Täter und Tatwaffe? Warum wurde das Gesicht entstellt und warum wurde die Hand entfernt?“ Shuichi sah seinen Gegenüber an. „Kommen Sie drauf?“

Der Inspektor schüttelte verlegen den Kopf.

„Die Antwort auf diese Fragen ist genau so einfach, wie auf die vorherigen. Wir wissen bereits, dass der Mörder der zweite Häftling ist. Beim Transport wurden die Hände beider Häftlinge durch Handschellen aneinander gekettet. Eine Flucht würde ihnen damit Probleme bereiten. Nun ja…nachdem beide Männer hier waren, wird einer von ihnen die Kontrolle verloren haben oder sie hatten einfach einen Streit“, erklärte der Agent. „Was nun stimmt, müssen Sie den Täter fragen, wenn Sie ihn gefunden haben. Das Opfer wurde von seinem Mithäftling erdrosselt. Er nutzte dazu die Metallkette, die sich an den Handschellen befindet. Leider habe ich die Küche nicht gesehen, daher kann ich nur Vermutungen anstellen: Sie haben zuerst versucht die Metallkette zu entfernen, möglicherweise mit einer elektrischen Säge, wie sie in vielen Küchen zu finden ist. Sie sind allerdings daran gescheitert. Der Täter wurde wütend und brachte seinen Mithäftling um. Danach nahm er die elektrische Säge und entfernte die Hand des Toten. Was hat er dadurch gewonnen? Er konnte den Handschellen entkommen. Zwar wird er diese nicht komplett los, aber er hat mehr Bewegungsfreiheit gewonnen. Anschließend hat er das Gesicht des Opfers entstellt um die Identifizierung zu erschweren. Wahrscheinlich nahm er an, dass die Polizei länger brauchen würde und eine Verbindung nicht sofort sehen würde. Zusätzlich entfernte er die Kleidung des Opfers, da man diese mit einem Gefängnis in Verbindung gebracht hätte. Die Kleidung hat er wahrscheinlich bei sich.“

Takagi nickte verstehend.

„Oder er hat sie bereits ausgetauscht. Sie sollten sich die erste Etage ansehen. Vielleicht hat er Kleidung des Gastgebers an und sich unter die Gäste gemischt. Deswegen haben Sie jede männliche Person mit Bildern abgeglichen. Sie wollten nicht, dass der Mörder entkommen kann. Wie mach ich mich, Inspektor?“, wollte Akai wissen.

Takagi ließ den Kopf erneut hängen. „Sie haben wieder Recht…zumindest nehmen wir an, dass der grobe Ablauf so war“, murmelte er. „Aber wir wissen noch immer nicht, wo er ist.“

„Wie schon erwähnt, sollten Sie sich die erste Etage ansehen. Wenn er dort nicht ist, schauen Sie doch einfach mal in die Garage. Wäre ich der Täter würde ich sofort einen Fluchtweg suchen. Für mich kämen der Kofferraum eines Autos oder ein Versteck weiter oben in Frage. Natürlich wird der Täter nervös sein, aber er wird auch die Wartezeit in Kauf nehmen, wenn er entkommen kann.“

„Ich…wie haben Sie das alles so schnell herausfinden können?“, fragte Takagi.

„Ganz einfach, Herr Inspektor. Ich habe meine Umgebung sorgfältig beobachtet und wahrgenommen, was um mich herum passiert ist. Danach war es sehr einfach die richtigen Schlussfolgerungen zu treffen.“

„Ach so“, gab Takagi von sich.

„Wenn Sie möchten, können Sie meine Theorie bei Ihren Kollegen vorstellen. Ich hoffe, Sie finden den Täter schnell.“

„Aber…ich kann doch nicht für Ihre Schlussfolgerungen den Ruhm ernten.“

„Machen Sie sich darum keine Gedanken. Ich mag es nicht im Rampenlicht zu stehen und es kommt mir gelegen, wenn Sie mich aus der Presse heraus halten.“

„Äh…“ Takagi kratzte sich am Hinterkopf. „Ja, natürlich.“ Er verbeugte sich. „Vielen Dank für Ihre Hilfe. Wenn ich mal etwas für Sie tun kann…“

„Da gibt es tatsächlich etwas“, fing Akai an. „Meine Freundin fühlt sich nicht mehr sehr wohl hier, seitdem der Mord geschehen ist. Würden Sie uns bitte erlauben das Gebäude vorzeitig zu verlassen? Ich möchte sie nach Hause bringen.“

„Äh…ja…natürlich“, nickte der Inspektor. „Ich gebe es an das Sicherheitspersonal weiter.“

„Danke.“ Akai sah noch einmal in Richtung der Küche und machte sich dann auf den Weg zu Jodie. Sie hatte sich in das Szenario eingefügt und stand mit mehreren Gästen zusammen.

„Kann ich dich sprechen?“, wollte Akai wissen.

Jodie nickte. „Bitte entschuldigen Sie mich“, verabschiedete sie sich und folgte dem Agenten. „Wie sieht es aus?“

Shuichi schmunzelte siegessicher. „Man kann sagen, dass ich den Fall gelöst habe...wobei Fall ein großes Wort ist. Ich habe einfach nur die Zusammenhänge erkannt und der Polizei das gesagt, was sie eigentlich schon selbst gewusst haben: In den Unfall vorhin war ein Gefängnistransporter verwickelt. Das Opfer in der Küche war einer der Häftlinge. Sie suchen noch den zweiten Mann, werden ihn aber schnell finden.“

Jodie verzog das Gesicht. „Du hast dich ins Rampenlicht…“

„Nein“, unterbrach er sie. „Ich habe dafür gesorgt, dass mein Name nirgends auftauchen wird. Man wird glauben, dass sich dieser Polizist in den Fall reingehängt hat und am Ende den Mörder finden konnte.“

„Gut“, gab Jodie von sich.

„Wir können gehen.“ Akai schob sie in Richtung der Tür. „Ich weiß, wir haben einen anderen Auftrag“, flüsterte er in ihr Ohr. „Aber die Polizei wird sich gleich in der ersten Etage umsehen und wenn wir etwas gegen Watanabe versuchen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er es der Polizei meldet. Was das angeht, möchte ich kein Risiko eingehen. Ich nehme die Entscheidung auf meine eigene Kappe.“ Shuichi sah sie an. „Und werde Sie selbst dem Boss mitteilen, wenn du mir sagst, welche Nummer im Adressbuch zu ihm gehört. Für dich werden sich keine Konsequenzen ergeben.“

Jodie schmunzelte. „Mach dir darum keine Sorgen“, entgegnete sie. „Während du dich mit dem Polizisten unterhalten hast, habe ich einen Anruf bekommen. Wir sollen uns so schnell wie möglich zurückziehen.“

Shuichi nickte. Insgeheim ärgerte es ihn, dass er noch immer nicht an die Nummer des Bosses heran kam.

„Du siehst frustriert aus“, gab Jodie von sich.

„Es ärgert mich nur, dass mein Auftrag so in die Hose ging“, antwortete er.

Sie kicherte. „Mach dir darum mal keine Sorgen. Der Boss weiß, was du heute getan hast und dass du damit von uns ablenken wolltest. Er wird deine Leistung sicher honorieren.“

Akai sah sie gespielt überrascht an. „Was? Der Polizist arbeitet auch für die Organisation?“, wollte er leise wissen. Natürlich wusste er, dass sie ihn abhörten. Aus diesem Grund hatte er jedes Wort mit Bedacht gewählt.

„Nein, du Dummerchen.“ Jodie zwinkerte. „Das wirst du noch früh genug erfahren.“

In der Hitze des Gefechts

Auch Wochen später blieb Jodie dem Agenten gegenüber skeptisch und suchte nur nach seinen Fehlern. Aber sie fand nichts. Dai führte jeden Auftrag ohne Probleme oder Zweifel durch. Er verstand sich mit seinen jeweiligen Partnern und achtete darauf wenig freundschaftliche Bande zu knüpfen. Selbst Gin zeigte sich durch die neue Errungenschaft der Organisation von seiner besten Seite. Und würde sich Dai tatsächlich weiter hocharbeiten, hatte er schon potentielle Partner in der Hinterhand. Dennoch blieb ein Hauch von Zweifel an der Amerikanerin haften. Was das Problem war? Das wusste Jodie nicht einmal selbst. Es war ein Gefühl welches sich nicht abschütteln ließ, egal was sie tat. Nachdenklich sah sie in ihren Milchshake und rührte diesen mit dem Strohhalm um.

„Immer wenn wir uns treffen, bläst du solch einen Trübsal.“

Jodie sah nach oben. „Mhm? Mir geht’s gut“, antwortete sie.

„Das hoffe ich doch.“ Chris sah sie nachdenklich an. „Na komm, erzähl! Was ist dieses Mal los?“

Jodie seufzte leise auf. „Es ist wegen Dai.“

Chris verdrehte sofort die Augen. „Ich dachte, dass das Thema nun endgültig durch ist? Du hast ihn doch ausreichend getestet oder irre ich mich da?“

„Du hast ja recht“, murmelte Jodie. „Er hat seine Aufträge mit Bravour gemeistert. Zuerst musste er sich sehr spontan um Onbu kümmern, danach hätte er eigentlich Watanabe um etwas Geld erleichtern sollen. Letzteres hat leider nicht funktioniert, da sich zwei Geflohene eines Gefängnistransportes bei Watanabe aufhielten und die Polizei in Alarmbereitschaft gewesen war. Allerdings hat Dai dafür gesorgt, dass die Polizisten schnell wieder verschwinden. Wir sind zwar kurz darauf auch verschwunden aber danach hatte Dai noch mehrere Ideen, wie wir trotzdem an das Geld kommen…“

„Das klingt sehr danach, als würde er seine Aufträge unter jeden Umständen absolvieren wollen. Und so was stört dich?“

„Nein, das stört mich natürlich nicht“, gab Jodie von sich.

Vermouth nippte an ihrem Kaffee. „Ich hab ihn im Übrigen auch überprüft. Denk aber nicht, dass ich an dir zweifel. Ich dachte nur, dass meine Kontakte bei Weitem besser sind als deine.“

Jodie wurde hellhörig. „Und? Was hast du herausgefunden? Hat er Dreck am Stecken?“

„Den Üblichen“, kam es von Vermouth. „Ein paar Schlägereien…ein paar Geschwindigkeitsüberschreitungen…Peanuts“, fügte sie hinzu.

„Verstehe…“

„Es ist nichts, was für uns problematisch wäre.“

Jodie nickte verstehend.

„Das war nicht das, was du hören wolltest?“

„Doch eigentlich schon“, entgegnete Jodie. „Ich weiß doch auch nicht warum ich mich so auf ihn eingeschossen habe. Mich stört etwas an ihm, aber ich kann dir nicht sagen, was es ist. Ich weiß, du verstehst das nicht…ich hab ja nicht einmal einen Beweis…und der Boss wird sich schon dabei etwas gedacht haben…“

„Richtig“, nickte Chris. „Und du solltest die Entscheidungen unseres Bosses nicht in Frage stellen.“

„Ich reiß mich zusammen“, versprach Jodie und nahm einen Schluck von ihrem Milchshake.

„Das wollte ich hören“, sagte die Amerikanerin. „Und wenn es nicht besser wird, geh einfach mit ihm ins Bett.“

Jodie verschluckte sich und hustete. „Was? Wie kommst du auf diese abstruse Idee?“, wollte sie aufgeregt wissen.

Vermouth zuckte mit den Schultern. „Du sagst doch selbst, dass du nicht weiß, was dich an ihm stört. Vielleicht hast du auch einfach nur Interesse an ihm und kompensierst es damit, dass du dir ein Problem einbildest. Von daher, geh mit ihm ins Bett. Wenn das Gefühl danach weg ist, weißt du, was das Problem war.“

Jodie schüttelte den Kopf. „Das kann ich nicht machen.“

„Was hast du zu verlieren?“, wollte Vermouth wissen. „Etwas Spaß täte dir auch gut.“

„Ich habe Spaß.“ Jodie verengte die Augen. „Du weißt selbst, dass es besser ist, wenn es keinen Mann in meinem Leben gibt.“

Chris verdrehte die Augen. „Du sollst ihn ja nicht gleich heiraten. Es geht nur um Spaß.“ Sie beobachtete Jodie. „Wobei…aus Spaß kann sehr schnell ernst werden.“

„Sag ich doch.“ Jodie nahm einen weiteren Schluck aus ihrem Glas. „Für mich ist es besser, wenn ich alleine bleibe. Du kennst meine Aufgaben und einen eifersüchtigen was-auch-immer kann ich nicht gebrauchen.“

Vermouth nickte. „Deine Opfer würden das sicher nicht gern sehen, wenn er bei eurem Essen auf einmal auftaucht. Andererseits…“ Sie dachte gespielt nach. „…ist Dai momentan ein Favorit vom Boss. Vielleicht könntest du dadurch ein anderes Aufgabenfeld bekommen.“

Jodie ahnte worauf sie anspielte. War es ein Test? Oder war sie wirklich besorgt? Als Amerikanerin in Japan hatte man einen besonderen Status. Gerade reiche Geschäftsmänner mochten ausländische Frauen und Jodie wusste, wie man seine Reize richtig ausspielte. Danach war es ein leichtes gewesen. Aber diese Tätigkeit hatte auch ihre Nachteile. Manche Männer gingen zu weit oder versuchten sie im Nachgang zu nötigen. Doch Jodie wusste sich zu wehren und hatte genügend Sicherheitsvorkehrungen getroffen. „Momentan bin ich mit dem zufrieden, was ich mach“, log sie.

„Ich hab gehört, du hast heute Abend den nächsten Auftrag?“

Die Amerikanerin nickte.
 

„Das Kleid steht Ihnen wirklich sehr gut.“

Jodie lächelte. „Danke“, sagte sie ruhig und sah an sich runter. „Ich hatte Angst, dass es etwas zu freizügig ist.“ Sie atmete mehrfach ein und aus, wodurch sich ihr Brustkorb hob und senkte.

Takeru Miyamoto – Geschäftsleiter eines Pharmakonzerns – errötete bei diesem Anblick. „Es…es lässt genügend Spielraum für Interpretationen.“ Er war zwar verheiratet, aber es lief nicht gut in der Ehe und Geld hatte er obendrein.

Die Amerikanerin schmunzelte. „Dann ist ja gut.“ Sie sah wieder zu ihm. „Ich weiß, es kommt etwas Plötzlich, aber würden Sie mich nach Hause fahren?“

Miyamoto sah sie überrascht an. „Aber natürlich“, nickte er. „Ich hab die Rechnung bereits beglichen“, fügte er an und stand auf.

„Danke“, lächelte Jodie und stand ebenfalls auf. Ihr langes blaues Kleid schmiegte sich perfekt an ihren Körper und sorgte für die notwendige Aufmerksamkeit. Er hielt ihr den Arm hin und Jodie hackte sich nur zu gerne bei ihm ein. „Es muss toll sein, jeden Tag ein solches Essen genießen zu können.“

„Naja…man gewöhnt sich an alles“, antwortete er und ging nach draußen. „Irgendwann werden die gleichen Sachen auf Dauer langweilig.“

Die Amerikanerin nickte. „Das kannte ich bisher nur beim Sport“, kicherte sie. „Zweimal die Woche das gleiche Programm...naja aber was macht man nicht für seinen Körper?“

Aus dem Augenwinkel musterte er sie. „Als ob Sie das nötig hätten.“ Kurz danach räusperte sich Miyamoto und zog die Schlüssel seines Autos heraus. Er öffnete die Tür und hielt diese für Jodie auf.

„Vielen Dank“, sprach sie lächelnd. „Einen Gentleman trifft man selten.“

Miyamoto lief um den Wagen herum und nahm auf dem Fahrersitz Platz. „Dann fahre ich Sie jetzt mal nach Hause“, fügte er an und legte seine Hand auf Jodies Oberschenkel. „Wir können es uns noch bei Ihnen etwas…Gemütlich machen.“

„Ich halte das für keine gute Idee“, sagte die Amerikanerin und schob seine Hand weg.

„Jetzt hab dich nicht so“, kam es von ihm. Er verriegelte die Türen und legte seine Hand erneut an ihren Oberschenkel. „Wir sind ungestört und meine Frau muss nichts von uns erfahren. Ich würde mich auch erkenntlich zeigen.“ Seine Hand fuhr immer weiter nach oben und schon den Träger ihres Kleides zur Seite. Er beugte sich zu ihr und Jodie hatte Mühe sich ihn vom Leib zu halten.

„Ich hab Nein gesagt.“

„Ist das dein ernst?“ Sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich. „Du lässt dir von mir das Essen bezahlen und jetzt zierst du dich so?“ Er drückte ihr einen Kuss auf die Lippen. Hart und fordernd.

Das Klopfen an der Fensterscheibe sorgte dafür, dass er inne hielt. Takeru setzte sich ordentlich hin und richtete seine Krawatte. Er entriegelte die Türen und öffnete diese. „Kann ich…“

Sofort wurde er aus dem Wagen gezogen und blickte in die kühlen Augen des FBI Agenten. „Sie haben doch gesehen, dass die Frau das nicht will.“

„Lassen Sie mich los. Das ist meine Freundin…wir haben nur herum gealbert.“

Jodie verdrehte die Augen. Na toll, sagte sie zu sich selbst und steckte die kleine Kamera, die sie bereits vorab im Aschenbecher versteckt hatte, wieder ein. Sie stieg aus und beobachtete Dai. „Bitte…lassen Sie…ihn los…ich will nur…noch nach Hause…“, schluchzte sie gespielt.

Akai verengte die Augen und drückte Miyamoto gegen seinen Wagen. „Das wird noch ein Nachspiel haben“, zischte er und ließ ihn los. Er ging zu Jodie. „Ich rufe Ihnen ein Taxi“, spielte er mit.

Jodie nickte zaghaft.

„Verschwinden Sie oder ich ruf die Polizei“, sagte er zu Miyamoto, der die Beiden wie angewurzelt beobachtete. „Hier entlang.“ Er wies Jodie den Weg.

Die Amerikanerin ging neben ihm und beobachtete den Wagen ihrer Zielperson. Miyamoto fuhr mit quietschenden Reifen los und als er sich nicht mehr in ihrem Sichtfeld befand, verfinsterte sich Jodies Blick. „Was sollte das?“

„Danke, dass du mich da rausgeholt hast, Dai. Oh bitte, Jodie“, gab er übertrieben von sich. „Du hast dich in Gefahr befunden und da konnte ich doch nicht warten.“

Jodie seufzte. „Idiot“, knurrte sie. „Das war alles geplant. Ich hatte eine Kamera versteckt und hätte mich in wenigen Sekunden selbst befreit. Jetzt können wir das Geld vergessen.“

Akai sah sie ernst an. „Sag mir nicht, dass das deine Aufgaben sind.“

„Gut, ich sag es nicht“, kam es von Jodie. „Wo steht dein Wagen?“

„Mhm?“

„Wenn du mir schon den Auftrag vermasselt hast, kannst du mich nach Hause fahren.“

Akai seufzte. Auch er war auf ihr Schauspiel hereingefallen und trotzdem tat sie ihm leid. Jetzt glaubte er ihren sehnsüchtigen Blick am Tokyo Tower zu verstehen: Sie wurde gezwungen ihren Körper zu verschachern, damit die Organisation an Geld kam. „Entschuldige, aber das konnte ich nun wirklich nicht wissen.“ Shuichi ging zu seinem Wagen und öffnete die Türen.

Jodie nahm auf dem Beifahrersitz Platz. „Jetzt weißt du es ja. Misch dich nicht noch einmal ein.“ Jodie stockte. „Woher wusstest du überhaupt wo ich bin?“, wollte sie wissen.

Shuichi stieg ebenfalls ein und fuhr los. „Das wusste ich nicht. Ich war hinten am Kino verabredet“, log er. „Als ich nach Hause wollte, habe ich euch gesehen. Ihr wart eine ganze Weile im Wagen und ich hatte ein ungutes Gefühl. Als ich näher kam, sah ich, wie er dich bedrängte.“

„Verstehe“, murmelte Jodie und steckte den Speicherstick der Kamera in ihr Handy. Sie spielte das Video ab. „Mhm…man sieht nicht zu viel…“

„Und jetzt? Erpresst ihr ihn damit?“

„Was glaubst du, wie wir sonst an Geld kommen?“ Jodie seufzte. „Aber auf dem Video ist zu wenig belastendes Material drauf. Die Frage ist, ob wir so überhaupt etwas von ihm sehen werden.“

Der FBI Agent schluckte. „Hat der Boss dir aufgetragen, dass du so die Aufträge erledigst?“

Jodie sah aus dem Fenster. „Schau mich doch mal an: Ich bin Amerikanerin. Die japanischen Männer sind einfach gestrickt und es reicht, wenn sie es versuchen.“

„War da mal einer dabei, der zur Polizei gehen wollte?“

„Ja.“

„Und was ist mit ihm…“ Akai brach ab. „Oh…natürlich, es gibt ihn nicht mehr.“ Er parkte den Wagen und stieg aus.

Jodie zuckte mit den Schultern. „So ist das Leben. Du musst mich nicht hoch bringen. Ich komm alleine klar.“

„Passt schon“, gab er von sich und zog eine Packung Zigaretten heraus. Er zündete sich eine an und ging neben Jodie zum Wohnblock. „Weiß der Boss, wie du das Geld besorgt?“, wiederholte er seine Frage.

„Ja“, antwortete die Amerikanerin, während sie die Augen verdrehte. „Er begrüßt diese Art und Weise, weil sie sehr effektiv ist.“

„Und was ist mit dir?“, wollte Shuichi wissen und warf den Zigarettenstummel auf den Boden.

Jodie öffnete zaghaft die Haustür des Wohnblockes und ging mit ihm die Treppen nach oben.

„Jodie?“

Sie betrat schweigend ihre Wohnung.

Shuichi schloss die Tür hinter sich. „Jodie? Was ist los?“, wollte er wissen.

„Was ich mache, ist meine Sache.“ Sie legte ihre Tasche zur Seite.

„Aber wenn du…“ Er brach ab und folgte ihr ins Wohnzimmer. „Jodie…“

„Was willst du eigentlich von mir, Dai?“, fragte die Amerikanerin etwas lauter. „Du tauchst auf dem Parkplatz auf und spielst dich als mein Retter auf. Und dann diese merkwürdigen Fragen.“ Jodie verengte die Augen und bugsierte ihn zum Sofa. Sie stieß ihn darauf und stützte sich mit dem Knie zwischen seinen Beinen ab. Sie stand über ihn gebeugt und beobachtete ihn skeptisch. „Wer bist du wirklich, Dai? Spionierst du uns aus? Arbeitest du für die Polizei? Die Sicherheitspolizei? Brauchst du belastbares Material?“, wollte sie wissen und riss in einem Ruck sein Hemd auf.

Kein Abhörgerät, ging es Jodie durch den Kopf. Hatte sie sich vertan und die Zeichen falsch gedeutet. Fragte er nur aus Interesse? Oder weil er sich wirklich Sorgen machte? Sie schluckte und betrachtete seinen halbnackten Oberkörper.

Akai richtete sich leicht nach vorne. Sein Gesicht kam ihrem immer näher und irgendwann spürte sie seinen warmen Atem neben ihrem Ohr. „Wenn ich ein Spion wäre, würde ich mich besser anstellen“, hauchte er ihr zu.

Jodie spürte die aufsteigende Wärme. Eine Gänsehaut legte sich auf ihren Körper und als sie glaubte, dass es gleich vorbei war, begann er sie leidenschaftlich zu küssen. Und sie erwiderte.

Der Tag danach

Ihre Kleidung lag verstreut zwischen Wohnzimmer und Schlafzimmer. Während sich sein Oberteil im Wohnzimmer, seine Hose im Flur, ihr Kleid und ihre Unterwäsche im Schlafzimmer auf dem Boden befanden, lagen sie eng miteinander umschlungen im Bett. Dass sie es überhaupt in das Schlafzimmer und in Jodies Bett geschafft hatten, grenzte schon an ein Wunder. Sie waren beinahe gegen jede Wand gestoßen und hatten Mühe nicht direkt übereinander herzufallen – obwohl sie die Finger nicht mehr voneinander lassen konnten. Obwohl Beide jede Entscheidung in ihrem Leben durchdachten, ihnen die Konsequenzen ihres Handelns immer bewusst gewesen waren, gaben sie sich in jenem Moment nur ihrer Leidenschaft, ihrer Begierde und ihren Gelüsten hin. Irgendwann waren sie verschwitzt zurück ins Kissen gesunken.

„Du solltest besser nach Hause fahren“, hatte Jodie leise gemurmelt.

„Mhm…“, war die Antwort des Agenten. Aber er bewegte sich keinen Millimeter und legte stattdessen seinen Arm um die junge Amerikanerin. Obwohl es ihrem selbst eigentlich widerstrebte, robbte Jodie zu ihm und schmiegte sich an seinen warmen Körper. Es dauerte nicht lange bis sie erschöpft, aber auch mit einem Hauch von Glück nebeneinander eingeschlafen waren.

Akai wurde als erster wach. Er öffnete langsam seine Augen und starrte an die Decke. Danach ließ er seinen Blick durch den Raum gleiten. Er brauchte einen Moment ehe er realisierte, dass er in einem fremden Schlafzimmer war. Shuichi sah zu Jodie und lauschte für einen kurzen Moment ihrem ruhigen Atem. Er lächelte, machte dann aber wieder ein ernstes Gesicht. „Es tut mir leid“, sagte er leise zu ihr.

Der Agent schluckte. Er war zu weit gegangen. Viel zu weit. Seine Aufgabe war es die Organisation zu infiltrieren und jetzt lag er neben einem Mitglied im Bett. Allerdings bestand das größte Problem in der Tatsache, dass er Jodie wirklich mochte. Sie hatte etwas Besonderes an sich. Wenn sie wollte, konnte sie eiskalt wirken und dann war sie wiederrum sehr verletzlich. Akai dachte zurück an ihren Auftrag am Tokyo Tower. Durch das Fernglas seines Scharfschützengewehrs hatte er ihren sehnsüchtigen Blick das erste Mal zu Gesicht bekommen. Und jetzt wusste er noch mehr über ihre eigentliche Aufgabe bei der Organisation. Es wurde ihm eng um die Brust. Sie wurde benutzt und egal was man von ihr verlangte, sie hatte bestimmt jeden Auftrag zur Zufriedenheit des Bosses erledigt. Aber er würde nicht aufgeben. Er würde seinen Auftrag ausführen und die Organisation zur Strecke bringen. Und dann würde er dafür Sorge tragen, dass sie mit einem ganz normalen Leben beginnen konnte. Mit oder ohne ihm.

„Mhm…“, gab Jodie leise von sich und kuschelte sich in ihre Bettdecke.

Der Agent setzte sich langsam auf und schob die Decke zur Seite. „Schlaf weiter“, hauchte er ihr entgegen und stand auf. Akai suchte seine Sachen zusammen und fand das letzte Kleidungsstück im Wohnzimmer. Er schlüpfte in seine Boxershorts und sah sich dort um. Es war das erste Mal, dass er in ihrer Wohnung war. Er musste schmunzeln. Jodie hatte bei ihrem ersten Besuch bei ihm die klinische Einrichtung bemängelt, lebte aber genauso.

Aber eines durfte er nicht vergessen: Sie war ein Mitglied höheren Ranges und konnte möglicherweise über sein Leben oder seinen Tod entscheiden. In ihrer Gegenwart war er immer auf seine Wortwahl bedacht. Durch Akemi wusste er, dass die Organisation auch ihre eigenen Mitglieder überwachte. Ob Jodie auch beobachtet wurde? Akai blickte sich um, aber spontan konnte er keine Kamera ausmachen. Nichtsdestotrotz suchte er schweigend ihr Badezimmer auf und stieg unter die Dusche.

Langsam wurde auch Jodie wach. Sie rieb sich die Augen und öffnete diese anschließend. Die junge Amerikanerin gähnte herzhaft und sah sich um. Als sie realisierte, dass bis vor wenigen Minuten jemand neben ihr lag, setzte sie sich erschrocken auf und drückte die Bettdecke eng an ihren Körper. Sie war stets darauf bedacht, dass niemand mit zu ihr nach Hause kam und wenn doch, übernachtete dieser Jemand nicht bei ihr. Zudem hatte sie genau das gemacht, was Chris‘ ihr geraten hatte. Jodie erinnerte sich an jede Berührung und an das, was sie dabei empfand. Sie bekam eine Gänsehaut und seufzte leise auf. Jodie sah sich um. „Wenigstens gibt es keinen peinlichen Morgen danach“, sagte sie zu sich selbst und stand auf. Aus der Kommode holte sie ein frisches paar Unterwäsche und zog diese an. Danach nahm sie ein Shirt und eine alte Sporthose aus ihrem Schrank und streifte sich diese über. Jodie atmete tief durch. Ein neuer Tag, sprach sie zu sich selbst und verließ ihr Schlafzimmer. Stück für Stück sammelte sie ihre Sachen vom Boden und brachte sie zurück in das Schlafzimmer. Als sie wieder zurück in den Flur kam, hörte sie das Rauschen der Dusche. Die Amerikanerin zuckte zusammen. Es wird doch peinlich…

Sie atmete tief durch und ging in die Küche. Jodie setzte eine Kanne mit frischem Kaffee auf und wartete. Es dauerte nicht lange, bis Akai diesen Raum betrat. „Morgen“, sagte er.

„Morgen“, antwortete die Amerikanerin leise. Was ist nur in mich gefahren?, fragte sie sich selbst. Sie hatte alles was sie sich in den letzten Jahren aufgebaut hatte, mit einer Nacht zerstört.

„Alles in Ordnung?“, wollte er wissen.

Sofort nickte sie. „Hör zu, Dai“, begann Jodie. „Die gestrige Nacht…ich erwarte nichts von dir, okay?“

Der Agent sah sie skeptisch an und verschränkte die Arme vor der Brust. „Mach dir darum mal keine Sorgen. Ich erwarte auch nichts, allerdings wäre ein Kaffee ganz nett.“

„Du willst Kaffee?“ Sie wirkte skeptisch.

Der Agent zuckte mit den Schultern. „Es ist wirklich in Ordnung, Jodie“, fing er an. „Du bist mir nichts schuldig und du musst dir keine Sorgen machen, dass ich unsere Nacht als Druckmittel gegen dich verwende.“

Jodie nickte und füllte zwei Tassen mit der schwarzen Flüssigkeit. „Ich hab nichts in der Art gedacht, falls es dich beruhigt.“ Sie schob ihm eine Tasse hin. „Ohne Milch und Zucker?“

Akai schmunzelte. „Stimmt genau.“ Er nahm das heiße Getränk und setzte sich an ihren Küchentisch.

Jodie beobachtete schweigend sein Tun.

„Setz dich doch auch“, sagte er. „Es geht dir nicht so gut, nicht wahr?“, wollte er wissen.

„Was meinst du?“, fragte Jodie und setzte sich ihm gegenüber.

„Mit dem was du tust.“

„Mir geht’s gut“, antwortete Jodie ruhig. „Ich weiß was ich tu und wie ich mich aus brenzligen Situationen befreien kann. Das macht mir nichts aus.“ Sie versuchte fröhlich zu wirken. „Das war doch das, was du wissen wolltest…“

Und trotzdem hatte der Agent das Gefühl, dass sie log. „Gut zu wissen“, gab er von sich. „Wenn du trotzdem mal jemanden zum Reden brauchst, weißt du wo du mich finden kannst. Ich verurteile niemanden.“

„Passt schon.“

Akai nickte und nahm einen Schluck aus seiner Tasse. „Ich sollte noch ein wenig hier bleiben.“

Jodie verschluckte sich und hustete. „Was? Das ist nicht dein ernst“, entgegnete sie.

„Du warst gestern Abend ohne Auto unterwegs. Daraus schließe ich, dass dich der Mann von gestern sicherlich von zu Hause abgeholt hat. Wenn er so ist, wie ich ihn einschätze, wird er dir früher oder später hier auflauern. Auch wenn du dich selbst verteidigen kannst, möchte ich dich in Sicherheit wissen.“

Jodie wirkte überrascht. „Dai…“, begann sie ruhig. „Das ist wirklich nicht notwendig. Wie ich schon sagte, ich kann auf mich aufpassen.“ Sie nahm einen Schluck von ihrem Kaffee und schloss die Augen. „Außerdem hat er mich nicht von hier abgeholt.“

Nun war es Shuichi dem die Überraschung ins Gesicht geschrieben stand.

„Wie du ja richtig bemerkt hast, habe ich so etwas nicht zum ersten Mal gemacht. Natürlich ist mir relativ schnell bewusst geworden, dass mich die Männer auch von zu Hause abholen oder nach Hause bringen werden. Daraufhin habe ich vorgesorgt und unter falschem Namen die ein oder andere Wohnung angemietet. Oftmals nutze ich auch die Wohnungen von anderen Mitgliedern.“ Jodie lächelte. „Sollte Miyamoto mich heute früh zu Hause aufsuchen wollen, wird er sein blaues Wunder erleben.“ Sie kicherte. „Die Wohnung gehört nämlich einer älteren Frau und wenn er rein will, kann er sich gern umsehen. Es weist dort nichts auf mich hin.“

Shuichi sah sie erstaunt an. Dann musste er auch lächeln. „Du bist wirklich sehr gut vorbereitet.“

„Sag ich doch.“ Jodie stellte die Tasse ab. „Man muss auf alles vorbereitet sein, ansonsten kann man seinen Auftrag nicht erledigen.“

„Dann habe ich wohl wirklich keinen Grund um noch länger hier zu bleiben“, entgegnete er.

„Sieht so aus.“ Jodie beobachtete ihn und legte den Kopf schief. „Aus welchem Grund würdest du denn noch bleiben wollen?“, fragte sie.

Akai schmunzelte. „Als ob du das nicht wissen würdest.“ Er musterte sie auffällig.

Jodie lachte. „Du bist wirklich direkt, das muss man dir lassen. Wenn das so ist…“ Sie grinste. „Lass uns doch öfters ein wenig…Spaß haben. Wir könnten es auch Stressabbau bezeichnen.“

„Stressabbau also…“, wiederholte der Agent. „Ich unterstütze dich gerne beim Stressabbau.“

„Das wollte ich hören“, gab Jodie scherzend von sich. Sie stand auf und stellte die Tasse in die Spüle. „Ich will dich ja nicht rauswerfen, aber…“

Akai hob beschwichtigend die Hände. „Schon gut. Ich hab nicht angenommen, dass du mich den ganzen Tag bewirten würdest.“ Er stand auch auf. „Wenn du doch einmal Probleme haben solltest, hast du ja meine Nummer.“

„Klar, ich komm darauf zurück“, log sie. „Wobei ich sie eher für den Stressabbau benutzen werde.“

„Soll mir recht sein.“ Der Agent ging in den Flur und schlüpfte in seine Schuhe und seine Jacke. Jodie folgte ihm und wartete. Akai hob zum Abschied die Hand. „Also dann…man sieht sich.“

Jodie nickte und blickte ihm nach.

Shuichi sah sich auf dem Hausflur um und verengte den Blick. Langsam machte er sich auf den Weg nach unten und ging zu seinem Wagen. Er blieb stehen, zog eine Zigarette aus der Jackentasche und zündete diese an. Dann öffnete er die Wagentür und steckte sein Handy in die Freisprechanlage. Wenige Sekunden später entfernte er sich langsam von seinem Wagen und begab sich in eine kleine Gasse, die in der Nähe von Jodies Wohnung lag. Akai beschleunigte seinen Gang und passierte eine Ecke.

Sein Verfolger beschleunigte ebenfalls seinen Schritt. Als er allerdings um die Ecke bog, blickte er auf eine Betonwand. Er runzelte die Stirn und als er hinter sich ein Rascheln vernahm, zog er seine Dienstwaffe. Agent Camel blickte in die kühlen Augen von Shuichi Akai.

Akai war definitiv schneller und Camel sah zusätzlich in den Lauf einer Waffe. Er selbst hielt diese noch auf den Boden gerichtet. Camel schluckte. „Ich…ich…“ Man merkte, dass er mit der schnellen Reaktionsfähigkeit seines Kollegen nicht gerechnet hatte.

„Wer sind Sie und was wollen Sie von mir?“, wollte Akai wissen.

„Agent Akai…ich…ich bin…Agent Camel“, stellte er sich ruhig vor.

Akai fixierte den fremden Agenten mit den Augen. Sofort blickte er sich um. Hatte ihn jemand gehört? „Sind Sie verrückt?“, fragte er sofort. „Möchten Sie, dass meine Tarnung auffliegt?“, fügte er hinzu und steckte seine Waffe weg.

Auch Camel folgte seinem Beispiel und legte seine Hände über seinen Mund. „Entschuldigen Sie…daran hab ich nicht gedacht…“, murmelte er und sah sich panisch um. „Ich…“

Akai seufzte. Hatte ihm das FBI wirklich einen Anfänger geschickt? Er machte ein paar Schritte aus der Gasse heraus und sah sich erneut um. Akai drehte sich wieder zu ihm. „Sie haben Glück, dass das Handy in meinem Wagen ist und man uns gerade nicht abhören kann. Also? Was wollen Sie hier?“

Camel schluckte. „Age….Black hat mich hergeschickt. Er macht sich Sorgen um Sie. Es geht auch um eine Frau…ich glaube…er möchte wegen ihr auch herkommen“, entgegnete der Agent.

„Was?“ Akai wurde lauter. „Das müssen Sie ihm ausreden. Wenn er herkommt, könnte alles was ich mir aufgebaut habe, zusammen brechen. Sie ist noch nicht soweit um die Wahrheit zu erfahren.“ Mittlerweile war er sich sicher, dass Jodie die Tochter eines FBI Agenten war. „Ich muss mich tiefer in die Organisation begeben und sie aufhalten. Danach kann Black herkommen.“

„Ich glaube, Black findet das nicht so gut“, gestand Camel. „Ich habe mitbekommen, dass er schon früher vor hatte Sie aufzusuchen. Er hat es aber wegen dem Auftrag nicht getan.“

„Und so soll es auch bleiben.“ Akai verschränkte die Arme. „Das erklärt aber nicht, was Sie hier machen.“

„Ich soll erst einmal Ihre Kontaktperson sein. Mein Berichtsweg führt direkt zu Agent Black“, antwortete Camel.

Aufgeflogen

Vermouth beobachtete Jodie und schmunzelte.

„Hab ich was im Gesicht?“, wollte die Amerikanerin wissen.

Vermouth schüttelte den Kopf. „Mit deinem Gesicht ist alles in Ordnung“, begann sie. „Ich hab nur das Gefühl, dass du so verändert wirkst.“

„Mhm?“ Jodie sah sie überrascht an. „Wenn sich jemand verändert hat, dann doch wohl eher du. Bei dir kann man ja mit allem rechnen, aber dass du dir hier gleich eine Wohnung kaufst…selbst mich hat das überrascht.“ Jodie blickte durch den Raum. Die Einrichtung hatte mehr gekostet als das, was sie in sechs Monaten verdiente.

„Irgendwann muss man ja sesshaft werden“, gab die Schauspielerin von sich. „Zwar hat das Leben im Hotel seine Vorteile, aber irgendwie fühlt man sich doch beobachtet, wenn man kommt und geht.“

Jodie nickte. „Das verstehe ich. Dann willst du hier jetzt länger bleiben?“

Vermouth lehnte sich nach hinten. „Ich habe lange darüber nachgedacht“, sagte sie. „Und ich glaube, ich mach es mir hier wirklich gemütlich...zumindest für eine Zeit. Und wenn ich die Wohnung nicht mehr brauche, kannst du sie haben.“

„Ich würde mich freuen, wenn du bleibst“, antwortete Jodie. „Und was hast du wegen der Schauspielerei vor?“

„Das ist kein Problem“, entgegnete Vermouth. „Ich hab genug angespart. Wenn es danach geht, müsste ich nie wieder arbeiten. Und wenn es doch Angebote gibt, leitet mein Manager die weiter. Vermutlich werde ich auch hier ein paar kleine Rollen annehmen. Also mach dir um mich mal keine Sorgen. Und jetzt…“ Sie funkelte sie an. „…genug der Ablenkung. Kommen wir wieder zu dir. Was hat sich in den letzten Wochen geändert?“

„Mhm?“ Jodie sah sie überrascht an. „Was meinst du mit geändert?“

„Du wirkst einfach so verändert. Sonst warst du immer nachdenklich und verunsichert. Heute aber bist du…fröhlicher und ausgeglichener.“

„Mhm…? Ist das so?“, murmelte Jodie fraglich. „Keine Ahnung…ist mir wohl noch gar nicht so wirklich aufgefallen.“

Chris beobachtete sie. „Eine meiner besonderen Fähigkeiten ist es genau zu wissen, wann etwas im Busch ist. Und bei dir ist definitiv etwas im Busch. Also? Erzählst du es mir freiwillig oder muss ich tiefer bohren?“ Sie dachte gespielt nach. „Fangen wir mit einer leichten Frage an. Erzähl mir doch mal von Dai. Was macht er so?“

„Dai?“ Jodie grübelte. „Er hat seine letzten Aufträge mit Bravour gemeistert. Wie ich mitbekommen habe, soll er jetzt das Scharfschützenteam verstärken.“

„Wirklich?“ Vermouth kicherte. „Dann werden sich unsere drei Freunde ja freuen.“

„Höre ich da ein wenig Spott heraus?“

„Nur ein kleines bisschen“, schmunzelte die Schauspielerin. „Aber vielleicht spornt es die Drei an.“

Jodie nickte. „Was hast du eigentlich für Probleme mit den Dreien?“

„Ich? Gar keine.“

Jodie sah sie skeptisch an. „Und das soll ich dir glauben?“

„Na gut…wenn du so fragst…Calvados mag mich und würde mir jeden Wunsch erfüllen. Das ärgert Chianti, weil sie Calvados mag. Naja und Korn…der mag Chianti und weil sie mich nicht mag, mag er mich auch nicht…purer Kindergarten, wenn du mich fragst. Aber soll mir recht sein, solange ich meine Aufträge erfüllen kann.“

„Du nimmst das ja locker“, murmelte Jodie.

Vermouth zuckte mit den Schultern. „Was soll ich sonst machen? Ich muss ja auch sehen, wo ich bleibe. Hoffen wir mal, dass sich Dai ihnen nicht anpasst und nicht genau so negativ wirkt. Das wäre gar nicht gut für seinen Charakter.“

„Ach was…“, winkte Jodie ab. „Dai wird sich schon nicht verändern, nur um ihnen zu gefallen. Das ist einfach nicht seine Art.“

„Ach ja?“ Chris schmunzelte. „Du scheinst ihn ja mittlerweile recht gut zu kennen. Wo bleibt denn deine sonst passive Haltung ihm gegenüber?“

„Die hab ich abgelegt“, antwortete Jodie. „Ich glaube, du hattest recht. Ich wollte die ganze Zeit irgendeinen Fehler finden, den es gar nicht gibt. Wahrscheinlich wollte ich einfach nicht wahrhaben, dass Akemi zufällig jemanden gefunden hat, der so gut zu uns passt. Aber wie ich schon gesagt habe, er hat jeden Auftrag mit Bravour durchgeführt und sich nichts zu Schulden kommen lassen. Also habe ich entschieden, dass ich nicht weiter nachhacken werden.“

Vermouth sah sie interessiert an. „Ach wirklich?“ Sie begann zu Grinsen. „Du bist also nicht mit ihm ins Bett gestiegen?“

Jodie wurde etwas verlegen. „Wie kommst du auf diese Idee?“, wollte sie wissen. Sie redete zwar gern über ihre Aufträge, aber ihre privaten Angelegenheiten wollte sie am liebsten geheim halten.

„Mhm? Ja…wie nur? Ich würde mal sagen, weil sich dein Verhalten ihm gegenüber so verändert hat. Außerdem…“ Sie schmunzelte. „…habe ich mir Sorgen um dich gemacht und ihn daher auch ein wenig beobachtet. Ich wollte sichergehen, dass du dich nicht in Gefahr gibst. Und was musste ich feststellen? In den letzten Wochen habt ihr euch recht häufig getroffen und ihr habt die Wohnung des anderen erst am nächsten Morgen wieder verlassen.“ Vermouth lächelte süffisant. „Wenn ihr nicht miteinander im Bett wart, was habt ihr dann die ganze Nacht gemacht?“

„Du…du hast uns…gesehen?“, fragte Jodie leise. Sie zögerte. „Und…weiß das auch…“

„Keine Sorge, es weiß sonst niemand. Du weißt doch, Geheimnisse sind bei mir sicher“, antwortete sie. „Dann stimmt es also? Du und Dai?“

„Ähm…naja…was soll ich dazu sagen…? Wahrscheinlich hattest du recht, als du meintest, dass ich Interesse an ihm habe.“

„Gut, hab ich es mir doch gedacht“, grinste sie. „Und? Wie ist er so?“

„Chris!“

„Was denn? Das ist eine berechtigte Frage. Ich muss doch wissen, ob du in guten Händen bist.“

Jodie überlegte gespielt. „Sagen wir es mal so…wir können seit ein paar Wochen die Finger nicht voneinander lassen.“

„So so…aber solange du dich nicht in ihn verliebst, kannst du tun und lassen was du willst.“

„Mach dir keine Sorgen. Ich weiß, dass Gefühle verboten sind. Und außerdem…habe ich nicht solch ein Interesse an ihm.“

„Gut. Dann hab weiterhin deinen Spaß mit ihm.“ Sie zwinkerte ihr zu.
 

Jodie zog die Jacke enger an sich und lief die Straße entlang. Ihr Blick blieb bei dem etwas korpulenteren Mann haften. Den hab ich doch irgendwo schon einmal gesehen…

Sie schüttelte den Kopf und betrat ein kleines Geschäft. Dort stöberte sie in der Auslage und ging mit einigen Sachen in die Umkleide. Sie zog sie nach einander an und betrachtete sich im Spiegel.

„Ja, das nehm ich“, sagte die Amerikanerin zu sich selbst und trennte den Stapel in die Ablage Kaufen und Nicht Kaufen. Anschließend zog sie sich wieder um und ging zum Bezahlen an die Kasse. Draußen streckte sie sich und schlenderte den Weg weiter. Hab ich es mir doch gedacht.

Der Einkauf war eine Möglichkeit um die Veränderung der Umgebung wahrzunehmen und sich auf die Situation einzustellen. Jodie bog in eine Straße und blieb stehen. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und wartete einen Moment. Sobald der korpulentere Mann ihr folgte, fixierte sie ihn mit ihrem Blick. „Wer sind Sie und was wollen Sie von mir?“ Jodies Stimme war tief und streng.

Agent Camel erschrak. „Ich? Ich will nichts von Ihnen. Sie haben da etwas…falsch verstanden“, versuchte er die Situation mit Stammeln zu retten. „Ich wollte gerade in den Laden da hinten.“ Camel wies auf das Sportgeschäft.

Jodie sah dorthin. „Aha…dann ist es nur ein Zufall, dass Sie mich die ganze Zeit über beobachtet haben? Und in den letzten Tagen habe ich Sie auch mehrfach in meiner Nähe gesehen. Ich will Ihnen ja nicht zu nahe treten, aber Sie sollten eine Sache wissen: Ich glaube nicht an Zufälle“, entgegnete sie und steckte die Hände in die Jackentasche.

Camel schluckte. „Ich…“ Er sah resigniert nach unten. „In Ordnung, ich sage Ihnen die Wahrheit. Aber Sie dürfen mich nicht verurteilen. Ich kann da wirklich nichts dafür.“

„Dann lassen Sie mal hören“, kam es von Jodie.

Camel atmete tief durch. „Sie sind mir schon vor einigen Tagen in meinem Lieblingsdiner aufgefallen. Ich habe hier noch nicht viele Ausländer gesehen und da dachte ich…naja wie soll ich sagen…“ Camel sah betroffen auf den Boden. „Ich dachte…ich könnte Sie etwas näher kennen lernen…Eigentlich…habe ich versucht den Mut aufzubringen…Sie zu fragen, ob wir einen Kaffee trinken…wollen. Ich weiß ja, ich bin kein Athlet…aber ich bin ein netter Kerl.“

Jodie sah den Agenten überrascht an. „Sie wollen mich kennen lernen?“, fragte sie ungläubig.

Agent Camel nickte. „Ja…ich weiß…wahrscheinlich bin ich nicht Ihr Typ…aber ich würde mich wirklich sehr freuen, wenn Sie mir eine Chance geben würden. Nur einen Kaffee...“

Die Amerikanerin blieb trotzdem skeptisch. „Mhm…“ Sie musterte ihn. Es konnte gut angehen, dass er tatsächlich Interesse an ihr hatte. Aber trotzdem konnte Jodie die Geschichte nicht gänzlich glauben. Sie hatte viele Geschäftsmänner um ihr Vermögen gebracht und besaß immer noch die pikanten Aufnahmen. Und auch wenn die Organisation jene Personen umbrachte, die damit drohten die Polizei aufzusuchen, konnte es immer noch jemanden im Geheimen geben. Vielleicht war der Mann, der ihr gegenüber stand, von einem ihrer Opfer geschickt worden und sollte nun ihre Schwachstelle herausfinden. Jodie konnte es nicht riskieren, musste aber die wahren Hintergründe in Erfahrung bringen. „Es tut mir wirklich leid“, begann Jodie ruhig.

Camel seufzte. „Das muss es nicht.“ Er hob beschwichtigend die Hände nach oben. „Ich bin es gewohnt, abgewiesen zu werden…naja…wenigstens habe ich es versucht…und kann mir nichts vorwerfen. Jetzt…werde ich mich nicht immer fragen, was wäre wenn…“

„Tut mir wirklich leid“, entgegnete Jodie ruhig. „Sie werden schon jemanden finden. Aber jetzt müssen Sie mir nicht mehr nachlaufen, ja?“

Der Agent nickte sofort eifrig. „Natürlich…ich wollte Sie nicht erschrecken.“

Jodie lächelte gespielt. „Danke.“ Sie ging an ihm vorbei. „Und bitte nehmen Sie mir die Abfuhr nicht übel“, fügte sie hinzu und schob eine kleine Wanze in seine Jackentaschen.

Camel blickte ihr irritiert nach. „Oh man“, sagte er zu sich selbst und ließ den Kopf hängen. Er hatte es ein weiteres Mal vermasselt und wurde bei seiner Beschattung entdeckt, aber wenigstens konnte er sich herausreden. Dennoch seufzte der Agent und machte sich auf den Weg zu seiner Wohnung. Hoffentlich würde sie Akai nichts davon erzählen.

Jodie steckte sich derweil einen Kopfhörer ins Ohr und ging auf direktem Weg nach Hause. Der arbeitet bestimmt für eines meiner Opfer. Vielleicht ein Privatdetektiv, der sich gerade erst selbstständig gemacht hat oder ein übereifriger Polizist, sagte sie sich selbst. Ich bin mal gespannt, was ich alles mitbekomme.

Sie schmunzelte und betrat ihre Wohnung. Jodie legte ihre Tasche auf den Boden im Flur und ging in ihr Wohnzimmer. Aus dem Schrank zog sie ein Weinglas sowie einen Rotwein heraus. Jodie schenkte sich großzügig ein und setzte sich auf das Sofa. Sie schloss ihre Augen und lauschte den Schritten ihrer neuen Zielperson. Eigentlich mochte die Amerikaner keine Beschattungen. Sie dauerten immer lange und man konnte nebenbei nichts anderes machen. Im Fernsehen wurden sie immer spannender dargestellt, als es die Realität hergab. Aber warum beschwerte sie sich? Sie saß zu Hause im Warmen und wenn ihr Glück sie nicht verließ, hatte sie heute noch ihre Antwort. Jodie gähnte herzhaft. Nicht einschlafen, befahl sie sich selbst.

Das Klingeln eines Telefons riss sie aus ihren Gedanken. Jodie öffnete sofort die Augen und realisierte, dass sie das Handy des Mannes hörte. Jetzt wird’s interessant, dachte sie.

„Agent Camel, hier.“

Jodie wurde hellhörig. Agent? Ein Agent? In Japan? Sie runzelte die Stirn. Hatte er möglicherweise Urlaub oder war sein Aufenthalt aus einem bestimmten Grund gewesen? Sie verengte die Augen. Hatten andere Länder von der Organisation Wind bekommen? Oder waren sie in Wahrheit hinter Chris her?

Camel seufzte. „Es tut mir leid, Sir. Sie hat meine Anwesenheit bemerkt“, begann Camel. „Aber ich konnte mich herausreden. Sie glaubt, ich hätte mich ein wenig in sie verguckt. Ich bin mir sicher, sie hat meine wahren Absichten nicht bemerkt“, erzählte er. Für einen Moment herrschte Stille. „Agent Akai wird seinen verdeckten Einsatz weiterhin ausüben können. Er hat sich seit meiner Kontaktaufnahme vor einigen Wochen nicht mehr gemeldet. Ich vermute, dass seine Tätigkeiten bei der Organisation der Grund dafür sind. Allerdings…“ Camel brach für mehrere Sekunden ab. „…ich mache mir Sorgen um ihn. Ich habe bereits in der Vergangenheit mit ehemaligen verdeckten Agenten zu tun gehabt. Einige von ihnen konnten Realität und Einsatz nicht mehr unterscheiden. Ich mache mir Sorgen, dass er zu sehr in seiner Rolle als Dai Moroboshi aufgeht.“

Ich mache mir Sorgen, dass er zu sehr in seiner Rolle als Dai Moroboshi aufgeht. Jodie hörte den Satz ein weiteres Mal in ihren Gedanken. Sie ließ ihr Glas mit dem Wein auf den Boden fallen. Agent Akai. Dai Moroboshi.

„Dai…“, wisperte Jodie.

Gefühlsausbruch

…in seiner Rolle als Dai Moroboshi…

Nahezu apathisch zog sich Jodie den Kopfhörer aus dem Ohr und legte ihn langsam auf den Wohnzimmertisch. Der Schock stand ihr ins Gesicht geschrieben. Sie war blass und atmete schwer. Jodie kämpfte mit ihren Gefühlen. Sie hatte sich immer geschworen, der Organisation nicht zu viel zu zeigen, nicht zu viel von sich preiszugeben und schon gar nicht vor ihnen zu weinen. Das Weinen hatte sie nach all der Erfahrung der letzten Jahre komplett aus ihrem Leben gestrichen. Aber jetzt? Jetzt war sie auf gutem Wege, dass alle Dämme rissen. Jodie kämpfte mit den Tränen. Dais Verrat saß tief, tiefer als sie es sich hätte je vorstellen können. Jodie legte ihre rechte Hand auf ihren Brustkorb. Sie musste sich zusammenreißen um das Zittern zu unterdrücken. Empfand sie vielleicht doch mehr für Dai und wollte es nur nicht zugeben? Sie schluckte. Das durfte nicht sein.

Jodie schüttelte vehement mit dem Kopf. Sie hatte die Situation noch immer nicht gänzlich verstanden. Zwar waren die Worte klar und verständlich, aber dennoch wollte sie sie nicht glauben. Nicht einfach so. Es ergab keinen Sinn. Die Organisation – mehrere Mitglieder – hatten ihn ausgiebig überprüft und seine Vergangenheit auf den Kopf gestellt. Es gab keinen Anlass, ihn für einen Verräter zu halten und scheinbar war er ihnen doch durchs Netz gegangen. Wie konnte es nur möglich sein, dass Dai gegen sie arbeitete? Warum? Und was hatte er vor? Was waren seine Absichten? Hatte er von Anfang an alles geplant oder war das alles nur ein großer Zufall?

Dai hatte nicht nur ihr Vertrauen, sondern auch das der Organisation missbraucht und gab möglicherweise wichtige Informationen weiter. Sie alle hatten ihn in ihrer Mitte aufgenommen und keinen Hauch von Zweifel verspürt. Und jetzt bekamen sie die Retourkutsche. Selbst wenn er erst am Anfang seiner Ermittlungen steckte, er musste zur Rechenschaft gezogen und sein Leben beendet werden. Ein für alle Mal. Mit Dai würden sie ein Exempel statuieren und alle anderen verdeckten Ermittler oder mögliche Verräter in ihre Schranken weisen.

Wenn du trotzdem mal jemanden zum Reden brauchst, weißt du wo du mich finden kannst.

Seine Worte waren eine Lüge. Alles, was er ihr je erzählte, war auf Lügen aufgebaut. Er hatte einen Moment ihrer Schwäche ausgenutzt und sich dabei langsam in ihren Kopf und in ihr Herz geschlichen. Ja, sie war selbst schuld, weil sie es zugelassen hatte. Er konnte Dinge sehen, die andere nicht sahen und er gab ihr das Gefühl, dass sie nicht mehr alleine war. Er hatte von Anfang an ihre Schwachstellen genauestens unter die Lupe genommen und musste nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Er gab ihr das Gefühl, endlich sie selbst zu sein. Aber jetzt wo Jodie wusste, dass er nur mit ihr gespielt hatte, machte sie das unglaublich wütend. Sie ärgerte sich. Sie hatte von Anfang an ein komisches Gefühl bei ihm gehabt und schob es letzten Endes auf ihr Interesse an ihm zurück. Jetzt machte alles einen Sinn. Wieso hatte sie einfach so aufgegeben und nicht weiter recherchiert? Wieso hatte sie auf ihren Körper, aber nicht auf ihr Gehirn gehört? Es wäre ihre Schuld, würde die Organisation nun fallen.

Wenn ich ein Spion wäre, würde ich mich besser anstellen.

Jodie ballte die Faust. Sie schämte sich, weil sie seine Anspielung nicht auf Anhieb verstanden hatte. Es war wie ein Geständnis, aber nach all ihrer mühevollen Suche nach Beweisen gegen ihn, hatte er sie doch überzeugt. Es konnte nur ein gut durchdachter Plan sein, sie schickten jemanden in ihre Mitte, der genug Selbstbewusstsein besaß, damit er jeden beeindrucken konnte. Wahrscheinlich lachte er sie nach ihren gemeinsamen Nächten aus und prahlte damit, sie regelmäßig im Bett zu haben.

Es war eine Schmach für sie. Er hatte einfach jeden um den kleinen Finger gewickelt und nutzte jeden für seine Pläne aus. Er spielte Katz und Maus mit ihr. Nur mit dem Unterschied, dass er das Spiel ganz klar für sich entschied. Bis jetzt. Die Amerikanerin wurde von Wut durchströmt. Er hatte sie und ihre Gefühle – die sie so sehr zu unterdrücken versuchte - verletzt. Verletzt, weil sie auf ihn reingefallen war und sich selbst in dieser Situation wünschte, dass alles nur ein furchtbarer Albtraum war. Sie musste nur aufwachen, aber insgeheim ahnte Jodie, dass die Aussage der Wahrheit entsprach: Dai Moroboshi war ein Verräter.

Er arbeitete als Agent für die Gegenpartei und hatte – wie andere zuvor auch – das Ziel die Organisation zur Strecke zu bringen. Gelänge es ihm, würde jeder seine gerechte Strafe erhalten. Einige hatten es tatsächlich verdient und allein der Gedanke daran gefiel ihr. Dennoch würde sie selbst nicht den Rest ihres Lebens hinter Gittern verbringen.

Mit einer Handbewegung wischte Jodie den Kopfhörer vom Tisch. Sie schäumte vor Wut und brauchte einen Moment um sich wieder zu beruhigen. Sie durfte nicht übereilen und keine spontanen Handlungen durchführen. Wie sollte sie am besten Vorgehen? Wie lange würde sie warten müssen, ehe sie Dai bestrafen konnte? War sie überhaupt in der Lage zu warten? Andererseits musste sie die Füße still halten. Es stand Aussage gegen Aussage. Dai würde sie als Lügnerin bezeichnen und auch wenn sie bereits länger für die Organisation tätig war, würde der Boss unschlüssig sein. Sie wäre das eifersüchtige Mitglied, welches Dai seinen neuen Ruhm nicht gönnte.

Jodie biss sich bei dem Gedanken auf die Unterlippe. Nicht nur der Boss, auch ein paar andere hochrangige Mitglieder der Organisation schätzten Dai und würden für ihre Behauptungen Beweise fordern. Wenn sie nur welche hätte…oder wenn sie das Gespräch aufgezeichnet hätte…

Jodie schüttelte den Kopf. Jetzt war nicht die Zeit um sich über ihren Fehler zu ärgern. Sie brauchte andere Fakten. Fakten und Beweise. Und wenn sie alles beisammen hatte, würde sie ihn auffliegen lassen. Aber was dann? Jeder von ihnen würde sich über ihren Fehler ärgern und jeder würde derjenige sein wollen, der Dai das Leben nahm. Alle würden ein Stück vom Kuchen abhaben wollen. Alle.

Jodie verengte die Augen. Das durfte sie nicht zulassen. Nicht die anderen würden es sein. Sie würde Dai zur Strecke bringen. Sie würde ihm den Gnadenstoß verpassen und in sein Gesicht schauen. Sie würde die letzte Person sein, die er lebend zu Gesicht bekam, ehe er seine Augen für immer schloss.
 

Jodie atmete mehrfach tief ein und aus. Du schaffst das, machte sie sich selbst Mut. Aber innerlich war sie ein Wrack. Sie hatte sich zwei Tage lang in ihrer Wohnung verschanzt und war alle Begegnungen mit Dai, sowie ihre Notizen zu seinem Hintergrundcheck noch einmal durchgegangen. Sie suchte nach Ungereimtheiten oder Hinweisen, die ihn entlarvten. Sie fand aber letzten Endes nichts um ihn auffliegen zu lassen. Dais Geschichte war wasserdicht. Am Ende hatte sie nur noch eine Möglichkeit: Flucht nach vorne.

Sie musste sich normal verhalten und abwarten. Irgendwann würde er einen Fehler begehen oder sich ihr anvertrauen, weil die Last zu groß wurde um sie auf einer Schulter zu tragen. Vielleichtwürde sie auch den anderen Agenten wiedertreffen und ihn in die Mangel nehmen können. Aber wo sollte sie suchen?

Da machte es mehr Sinn, wenn sie Dai direkt aufsuchte. Jodie wusste, dass das schwer werden würde, aber sie hatte von Chris gelernt und würde sich nicht so einfach unterkriegen lassen. Das hieß auch, dass sie weiterhin Interesse an ihm vorgeben musste. Zögerlich betätigte Jodie die Türklingel und wartete. Wenige Sekunden später stand sie dem Verräter gegenüber. Sie riss sich zusammen und versuchte an die guten Momente in ihrem Leben zu denken.

„Jodie.“ Akai lächelte. „Komm doch rein“, fügte er hinzu und machte einen Schritt zur Seite.

Jodie nickte und betrat die Wohnung des Agenten. Sie sah sich um und legte ihre Tasche auf den Boden, ehe sie die Jacke an den Garderobenständer hing. „Hast du mich vermisst?“, wollte sie süffisant wissen.

„Das hab ich tatsächlich“, gestand Akai. „Ich habe mir bereits gedacht, dass du einen wichtigen Auftrag gehabt haben musst. Deswegen wollte ich nicht stören und dir nicht in die Quere kommen.“

Jodie nickte erneut und ging in sein Wohnzimmer. „Ich brauchte eine Weile um wieder einen klaren Gedanken zu fassen.“ Es war wichtig der Lüge einen Hauch von Wahrheit einzuverleiben. Nur so konnte man falsche Tatsachen ins richtige Licht rücken.

„War es so kompliziert? Oder gefährlich? Hat dir der Kerl irgendwas getan?“

Jodie sah zu ihm. „Mhm?“ Sie schüttelte den Kopf. „Entschuldige, ich bin irgendwie nicht bei der Sache.“

Der Agent ging zu ihr. „Ist schon gut“, begann er. „Wenn du darüber reden willst, bin ich da. Soll ich uns was zu trinken holen?“

„Gern“, murmelte Jodie und ging an das Fenster. Sie sah nach draußen und seufzte leise auf. Hatte er sich wirklich nur für ihren Tagesablauf interessiert oder wollte er wieder Informationen erhalten? Jodie verengte die Augen. Jetzt reiß dich zusammen, mahnte sie sich selbst.

„Alles in Ordnung?“ Shuichi stellte zwei Tassen und eine Flasche auf den Tisch. Er ging zu Jodie und legte seine Hand an ihren Rücken. „Wenn es dir nicht gut geht…“, fing er an.

Jodie drehte sich abrupt um. „Alles in Ordnung. Ich bin einfach etwas müde. Wahrscheinlich hätte ich nicht herkommen sollen.“

„Oder du bist gerade deswegen hergekommen?“, wollte er ruhig wissen.

„Mhm?“

„Um mich zu sehen, mein ich“, hauchte er gegen ihre Lippen.

Eine Gänsehaut legte sich auf Jodies Körper. Sie küssten sich heiß und innig. Sie spürte jede Berührung von ihm. Sie genoss es und ihr Körper reagierte sofort darauf. Jodie wollte eindeutig mehr – wie die Wochen zuvor auch.

Shuichi drückte sie an sich und hob sie langsam nach oben.

„Was wird das?“, flüsterte Jodie.

Shuichi schmunzelte und trug sie in sein Schlafzimmer. „Ich dachte…wir machen es uns hier gemütlicher“, antwortete er. „Ein wenig Entspannung“, fügte er hinzu und setzte sie auf das Bett. Wieder fing er an sie zu küssen.

Jodie keuchte leise auf. Er spielt nur mit dir, schoss es ihr auf einmal durch den Kopf. Mit einem Mal versteifte sie sich und drückte Akai von sich weg. Er landete unsanft auf dem Boden und sah Jodie irritiert an.

Jodie schluckte. Er spielt nur mit dir, sagte sie sich erneut. Danach lacht er sich über dich schlapp, weil du ihn wieder nicht durchschaut hast. Mehrere Gedanken dieser Art kreisten in ihrem Kopf herum. Wieder verspürte Jodie diese unheimliche Wut.

„Jodie?“ Akai hatte sich etwas aufgerichtet. „Ist alles in Ordnung bei dir?“

Sie blickte ihn an. Verletzt und wütend. Ehe sie sich versah, war ihre Fassade eingestürzt und Jodie saß rittlings auf ihm. Aus ihrem Knöchelholster zog sie die kleine Waffe – ihre Colt Model 1908 Vest Pocket – und richtete diese auf das Gesicht des Agenten.

Akai schluckte. „Jodie“, begann er ruhig. „Was soll das?“, wollte er wissen.

„Halt den Mund“, schrie sie. „Alles was du sagst, ist eine Lüge. Alles…“

Shuichi atmete ruhig ein und aus. Er zeigte keine Angst.

„Das hier ist kein Test, Dai“, entgegnete die Amerikanerin. „Ich kenne die Wahrheit. Ich weiß, dass du die Organisation infiltriert hast, um sie zu zerstören. Ich weiß, dass du ein Agent bist und ich weiß auch, wer dein Kontaktmann ist. Aber nicht mit mir. Du glaubst, du mir was vormachen? Nein…ganz und gar nicht. Ich werde…ich werde…“

„Was wirst du, Jodie?“, fragte der FBI Agent.

Jodie schluckte. Wie konnte er in dieser Situation so ruhig bleiben? Glaubte er, sie hatte keine Beweise? Oder war er sich seiner Sache so sicher? „Du fühlst dich sicher, weil mir keiner glauben wird. Aber das macht nichts“, erklärte sie. „Ich werde mich jetzt um dich kümmern und wenn ich dich erschießen muss, dann ist das kein Problem. Du vergisst wer ich bin, ich weiß, wie ich deine Leiche verschwinden lassen kann.“

„Du wirst mich nicht erschießen“, sagte der Agent wieder mit ruhiger Stimme.

„Ach ja? Das glaubst auch nur du“, kam es sofort von Jodie. „Du wirst gleich sehen, dass ich das mache…ich mache es….ich mache es…“

Akai schüttelte den Kopf. „Und warum weinst du dann?“, wollte er wissen.

„Ich weine nicht“, gab Jodie von sich. „Ich weine nicht…“

Shuichi legte seine Hand an ihre Wange und wischte die Tränen weg.

„Lass das…“, wisperte sie. „Ich weine…nicht…ich…“

„Lass uns in Ruhe über alles reden, ja?“, fragte Akai.

Jodie schüttelte den Kopf. „Ich kann das nicht“, murmelte sie und stand langsam auf. „Ich kann…nicht…ich…“

„Jodie, das…“ Shuichi erhob sich ebenfalls.

„Sei still“, schrie sie ihm entgegen. Sie schloss die Augen und schüttelte den Kopf. Als sie sie wieder öffnete und in das Gesicht des Agenten blickte, machte sie einen Schritt nach hinten. „N..nein…“, fügte sie leise hinzu und lief aus dem Zimmer und aus der Wohnung.

Abgehört

Alles lief wie in Zeitlupe ab: Jodie lief langsam an ihm vorbei, raus aus dem Zimmer. Er hatte versucht ihren Arm zu greifen, bekam ihn aber nicht mehr zu fassen. Im nächsten Moment hörte er das Schlagen der Haustür.

Nun musste er die Trümmern beseitigen und den Tatsachen ins Gesicht sehen: Sie kannte die Wahrheit. Zuerst hoffte er, sie würde ihn nur ein weiteres Mal testen, aber sehr schnell wurde er eines besseren belehrt. Sie wusste, dass er log, dass er ein Agent und sein einziges Ziel die Zerstörung der Organisation war. Während ihres Treffens, hatte er kein einziges Mal bemerkt, dass sie die Wahrheit kannte. Sie benahm sich wie immer – bis zu dem Moment wo sie ihn von sich stieß. Mit einem Mal war alles anders. Ohne mit der Wimper zu zucken, zog sie ihre Waffe und richtete sie auf ihn. Und auch wenn er ruhig geblieben war, gingen ihm die verschiedensten Gedanken durch den Kopf. Er hatte sogar ein wenig Angst.

Akai versucht mit ihr zu reden, ihr die Wahrheit zu sagen, aber sie wollte nicht hören. Und dann fing sie an zu weinen. Stumm und verletzt. Es brach ihm beinahe das Herz sie so zu sehen. Aber was konnte er schon tun? Er war es, der ihr das antat.

Wenige Sekunden danach war alles vorbei. Noch immer hatte er die Situation nicht gänzlich realisiert und stellte sich die gleichen Fragen: Woher wusste sie, dass er ein Agent war und sich in die Organisation einschlich, um diese zu Fall zu bringen? Hatte er einen Fehler begangen und sie auf seine Spur gebracht? Hatte sie die ganze Zeit über etwas geahnt und weiterhin heimlich gegen ihn ermittelt? Oder war alles nur ein großer Zufall?

Akai ballte die Faust. Sein Lebenslauf als Dai Moroboshi war von mehreren Personen beim FBI perfekt ausgeklügelt worden und beruhte auf Halbwahrheiten. Wenn es nicht anders ging, konnte er sich mit seiner falschen Identität identifizieren und die gleichen Schlussfolgerungen ziehen. Er hörte auf seinen falschen Namen und ließ seine Vergangenheit hinter sich. Nachdem die Organisation auf ihn aufmerksam wurde – Akemi sei Dank – erledigte er jeden ihrer Aufträge mit Bravour und voller Zufriedenheit. Selbstverständlich erkannte er die vielen verschiedenen Testszenarien und die Organisation wäre dumm, würden sie ihn von Anfang an wie ihres gleichen behandeln. Mit der Zeit lernte er ein Mitglied nach dem anderen kennen und bekam ihr Vertrauen geschenkt – zumindest sollte es den Anschein machen. Während ihrer Zusammenarbeit waren sie gezwungen einander zu vertrauen und auf sich aufzupassen, aber hieße es Er oder Du würde sich jeder für sich selbst entscheiden. Es war normal, dass sie einem Neuling nicht so schnell blindlings vertrauten, aber er würde sich hocharbeiten und irgendwann die Drahtzieher kennenlernen.

Irgendwann.

Jetzt schien alles vorbei zu sein. Seine Arbeit zerbrach zu einem Scherbenhaufen. Aber nicht nur seine Arbeit war der Gefahr ausgesetzt. Akai hatte früh gelernt, dass die Organisation keine Zeugen hinterließ. Mit seinem Leben würde es möglicherweise auch bald vorbei sein. Leider war Jodie schwer einzuschätzen.

Noch wenige Minuten zuvor hätte er geschworen, dass niemand aus der Organisation die Wahrheit kannte, aber jetzt? Und wem hatte sie von ihrer Entdeckung erzählt? Eigentlich war Jodie kein Mensch, der spontan oder aus purem Affekt handelte, aber sie war voller Enttäuschung. Und eines wusste Akai ganz genau: Enttäuschung und Verrat zogen Rache mit sich. Und wollte man Rache handelte man nicht immer rational. Verletzter Stolz machte Menschen anfällig für Fehler, aber auch für erfinderische Ideen. Und er wusste nicht, zu was Jodie noch alles in der Lage war.

Der FBI Agent biss sich auf die Unterlippe und begab sich in den Flur. Er schlüpfte in seine Schuhe und griff nach seiner Jacke. Er lief aus der Wohnung und sah sich auf der Straße um. Jodies Wagen war nirgends zu sehen. War sie allerdings ohne Auto unterwegs, wäre die Chance groß sie einzuholen. Wenn er nur wüsste, welchen Weg sie gegangen war. Es gab drei unterschiedliche Möglichkeiten den Wohnblock zu erreichen. Die erste führte zu einer befahrenen Straße mit Bushaltestelle. Die anderen beiden lotsten einen immer tiefer in den Wohnkomplex und nach mehreren Ecken und Gassen kam man auch dort zur Straße. Die Chance, dass sie direkt zur Bushaltestelle lief, war groß. Aber Akai kannte sie und wusste, dass sie nicht nur eine Wohnung bewohnte. Wenn sie sich zu seiner Überprüfung in der Nähe einquartiert hatte, würde er sie nicht so schnell finden.

Der FBI Agent musste der Wahrheit ins Gesicht blicken: Jodie war weg und er in Gefahr. Doch er würde nicht einfach nur rumsitzen und auf sein Ende warten. Er würde handeln und sich für das Äußerste bereit machen. „Verdammt“, murmelte Akai leise. Sein Boss wäre nicht glücklich über die neusten Ereignisse. Aber wer konnte es ihm verdenken? Auch Akai ärgerte sich maßlos darüber. Aber vielleicht war es für Schadensbegrenzung nicht gänzlich zu spät. Er zog aus seiner Jackentasche ein Handy heraus. Es war ein älteres Modell und gehörte zu seinem Leben als FBI Agent, was hieß, dass es abhörsicher war. Akai wählte die Nummer seines neuen Kollegen. „Wir müssen uns treffen“, fing er an. „Bahnhof Shinjuku, in einer Stunde“, fügte er hinzu und legte auf.

Mit schnellen Schritten machte sich Akai wieder auf den Weg in seine Wohnung. Im Schlafzimmer angekommen, packte er eine Tasche mit wichtigen Utensilien. Er würde vorbereitet sein, sollte es zum Äußersten kommen und auch dann, wenn er verschwinden musste.

Eine Stunde später saß Shuichi auf einer Bank am Bahnsteig und beobachtete den einfahrenden Zug. Menschen stiegen aus, Menschen stiegen ein. Einige versuchten im letzten Moment ihren Anschluss zu bekommen, andere blieben enttäuscht stehen. Mit dem Fuß tippte er nervös auf dem Boden – was eigentlich nicht seine Art war.

„Entschuldigen Sie die Verspätung“, murmelte Agent Camel und setzte sich neben ihn.

„Mhm…“, gab Akai von sich. „Wurden Sie verfolgt?“, wollte er wissen. Auch wenn er es nicht offen sagte, hielt er Camel für einen Grünschnabel, jemanden, der noch nicht allzu viel Erfahrung mit verdeckten Einsätzen oder Operationen außerhalb der Basis hatte.

„Nein“, antwortete Camel sofort. „Ich bin extra zweimal einen Umweg gefahren…nur um sicher zu gehen.“ Er lächelte. „Mir ist keiner gefolgt.“

Akai nickte. „Sie weiß Bescheid.“

Camel sah ihn irritiert an. „Was? Sie haben es ihr gesagt?“, fragte er sofort. „Wie kommen Sie nur dazu...?“ Er versuchte seine Aufregung zu unterdrücken und merkte erst spät, dass seine Hände zu Fäusten geballt waren.

„Ich habe es ihr nicht gesagt“, entgegnete Akai. „Sie hat es selbst herausgefunden und mich vorhin damit konfrontiert. Wie sie es herausfinden konnte, weiß ich nicht.“ Akai verschränkte die Arme. „Das Problem ist, dass ich nicht weiß, was sie jetzt machen wird. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie es Niemanden erzählt hat, aber…Sie sollten sich auf das Schlimmste gefasst machen und Ihre Koffer schon mal packen.“

Camel schluckte. „Ich…“, murmelte er leise. „Ich glaube…ich…es könnte…meine Schuld sein“, gestand er.

Akai verengte die Augen. „Wie meinen Sie das? Was haben Sie mit Jodie zu tun?“

Agent Camel seufzte leise auf. „Ich habe nicht nur den Auftrag bekommen, Ihr Kontaktmann zu werden. Ich sollte auch…Jodie beobachten. Sie hat es allerdings bemerkt…aber ich habe mich als Verehrer ausgegeben. Es tut mir leid…ich habe wirklich gedacht, dass sie mir geglaubt hat…ansonsten hätte ich es Ihnen schon lange erzählt.“

Akai sah auf den Boden. Jetzt ergab alles einen Sinn. „Jodie wurde seit ihrer Kindheit in der Organisation darauf trainiert, dass der Feind überall lauert. Sie vermutet hinter jeder Person jemanden, der ihr etwas antun will. Von dem Moment, wo sie Sie bemerkt hat, hatten Sie keine Chance mehr.“

Camel schluckte ein weiteres Mal. „Es ist…meine Schuld“, wisperte er. „Aber ich weiß trotzdem nicht…wie sie herausfinden konnte, dass wir zusammen arbeiten. Seitdem ich sie getroffen habe, hatten wir weder persönlichen noch telefonischen Kontakt miteinander.“

Akai wurde hellhörig. „Toilette, sofort!“ Blitzartig stand Akai auf und machte sich auf den Weg zu den Kabinen.

Überrascht folgte ihm Camel. „Was haben Sie vor?“, wollte er wissen.

„Hatten Sie die gleichen Sachen an, als Sie Jodie trafen?“

Camel schüttelte den Kopf. „Nur die Jacke.“

„Dachte ich es mir doch“, sagte der FBI Agent und suchte die Jacke seines Kollegen ab. In der Jackentasche wurde er schließlich fündig.

„Was machen Sie da?“

„Gefunden“, kam es von Akai. Er hielt seinem Kollegen die kleine Wanze hin. „Sie hat Sie abgehört.“ Shuichi warf das Abhörgerät auf den Boden und trat drauf. „Das habe ich mir bereits gedacht. Jodie hat Ihnen die Geschichte des Verehrers von Anfang an nicht geglaubt und Ihnen daher die Wanze untergejubelt. Wenn Sie danach mit Black über die Arbeit telefoniert haben und mein Name fiel, wird sie es mitbekommen haben.“

Camel machte den Mund auf. Es kam kein Wort über seine Lippen.

„Bleiben Sie locker“, entgegnete Akai ruhig. „Jetzt ist es eh zu spät.“

„Ich…ich…“, stammelte Camel. „Ich weiß nicht…wann sie…ich habe auf alles geachtet…wirklich…sie hatte…“

„Lassen Sie es gut sein“, sprach Shuichi. „Wie schon gesagt, Jodie ist geübt im Umgang mit potentiellen Feinden. Sie haben Glück, dass sie Ihnen nur diese Wanze unterjubelt hat. Es hätte bei Weitem schlimmer kommen können. Zum Beispiel könnten Sie jetzt mit den Fischen schwimmen.“

„Sie nehmen das ja leicht“, gab Camel leise von sich. „Die Frau weiß…wer Sie sind.“

„Das mag sein, aber die Frage ist, ob sie es jemanden erzählt hat. Wenn nicht, würde ich mich mit spontanen Handlungen verdächtig machen. Ich kann also nicht verschwinden. Allerdings sollten Sie zurück in die USA reisen.“

„Ich…ich muss Black anrufen.“

„Wenn es das ist, was Sie wollen…“ Akai steckte die Hände in die Hosentaschen. „Sagen Sie ihm, dass ich meinen Auftrag nicht abbrechen werde. Ich kenne die Gefahr, aber ich muss trotzdem mit Jodie reden.“
 

Vermouth saß an ihrem Küchentisch und aß einen Keks. Sie legte ihre Kopfhörer vor sich hin und schrieb eine Notiz auf einen Zettel. Die Schauspielerin schmunzelte. „Jetzt bin ich gespannt was du als Nächstes tust, Jodie“, sagte sie ruhig und schloss die Augen. Bereits bei ihrem zweiten Treffen mit Jodie installierte sie eine besondere Software auf deren Handy.

Ihr Boss machte sich Sorgen und gerade zum Jahrestag von Jodies Entführung, ließ er die Amerikanerin genauestens Überwachen. Je älter Jodie wurde, desto größer wurde die Gefahr, dass sie nicht mehr für die Organisation tätig sein wollte. Durch das aufkommende Interesse an Dai Moroboshi wurden aber auch die Sorgen von Vermouth immer größer. Männer hatten bereits in der Vergangenheit einen großen Einfluss auf eine Frau. Würde er von Jodie verlangen, zusammen die Organisation zu verlassen, würde keiner ihre Reaktion vorhersehen können.

Es war zudem normal, dass jedes Mitglied bespitzelt wurde. Jeder kannte die Software auf den Telefonen, die jedes Gespräch aufzeichnete. Allerdings wussten nur die wenigen, dass die Techniker der Organisation an neuen Technologien forschten. So hatten sie erst vor Kurzem eine Software entwickelt, die das gesprochene Wort aufnahm, wenn man nicht telefonierte. Sie nahm wenig Speicherplatz ein, besaßen kein Bildschirm-Icon und die Aufnahmen wurden auf einem separaten Telefon gespeichert. Jeden Abend hörte Vermouth die Dateien ab und bereitete sich genauestens auf die Treffen mit Jodie vor. Aber nicht nur das: Sie erfuhr jede Neuigkeit und die Wahrheit über Dai Moroboshi.

Vermouth leckte sich über die Lippen, als ihr Telefon klingelte. Sie nahm das Gespräch entgegen. „Chris hier“, sprach sie.

„Hast du Neuigkeiten für mich?“

Anokata. Der Boss. „Alles wie immer“, entgegnete Vermouth. „Sie haben Jodie noch immer nicht gefunden“, log sie.

„Sehr gut“, entgegnete der Boss ruhig. „Behalte sie trotzdem im Auge. Ich möchte kein Risiko eingehen. Mein Informant in den Staaten hat bestätigt, dass das FBI auch in diesem Jahr nach ihr gesucht hat. Dieser Black lässt einfach nicht locker.“

„Das dachte ich mir“, sagte Chris ruhig. „Durch die Pressekonferenz und meiner Ankündigung mit der Schauspielerei aufzuhören, habe ich sie überrascht. Ein paar Agenten stehen immer noch vor dem Haus, wo ich angeblich wohne“, fügte sie an. „Machen Sie sich keine Sorgen, ich habe alles unter Kontrolle. Wenn sie Jodie hier finden, werde ich mich höchstpersönlich darum kümmern.“

„Ich möchte dieses Mal, dass du keine Fehler machst.“

Vermouth verdrehte die Augen.

„Du weißt was ich meine“, gab er von sich. „Du hättest das Kind damals nicht mitnehmen dürfen. Sie ist ein Risikofaktor.“

„Und doch hat sie einige Aufträge für uns erledigt.“

„Sollte etwas schief gehen, bin ich bereit ihr Leben ohne mit der Wimper zu zucken, zu opfern.“

„Natürlich“, entgegnete Chris.

„Wir sprechen uns ein anderes Mal.“ Er beendete das Gespräch.

Vermouth grinste. „Sicher“, sagte sie süffisant in den Hörer. Es wird bald interessant werden, sprach sie zu sich selbst.

Überraschender Besuch

Shuichi saß in seinem Wohnzimmer und starte auf das leere Word-Dokument auf dem Bildschirm. Die Jalousien waren heruntergelassen und nur das Licht der Schreibtischlampe und des Computers erhellten das Zimmer. Wann immer es ging, schrieb er alles nieder was er über die Organisation in Erfahrung brachte und schickte es an seine Vorgesetzten in den Staaten. Er würde nicht den gleichen Fehler machen wie Agent Starling und sein Wissen für sich behalten. Aber heute brachte er kein einziges Wort aufs Papier. Er hatte eine Blockade und das nur, weil er sie wieder sah.

Es waren drei Wochen vergangen seitdem Jodie ihn mit ihrem Wissen konfrontierte. Drei lange Wochen in denen er fast täglich versuchte sie telefonisch zu erreichen. Entweder sie drückte ihn weg, ließ es lange klingeln oder schaltete ihr Handy aus. Er hatte es sogar in ihrer Wohnung versucht, aber selbst wenn das Licht im Inneren brannte, öffnete sie die Haustür nicht. Es war unmöglich mit Jodie zu reden, geschweige denn sie zu sehen. Aber er musste es unbedingt versuchen – auch wenn die Möglichkeit bestand, dass sie ihn erschießen würde.

Akai füllte sein Glas mit Bourbon und nippte daran. Auch wenn er Jodie noch gar nicht so lange kannte, hatte er ihren Zwiespalt schon frühzeitig bemerkt. Er hatte gewusst, dass sich Jodie nie freiwillig für ein solches Leben entschieden hätte und hätte sie die Wahl, würde sie aussteigen. Allerdings schien sie selbst noch nicht wirklich zu wissen, was sie wollte und sein Verrat machte es nur noch schlimmer.

Außerdem gab es noch das Problem, dass er Jodie sehr mochte – auch wenn er es eigentlich gar nicht durfte. Die Organisation war ein Auftrag, private Bande zu knüpfen war ein Fehler. Aber wenn er konnte, würde er Jodie sicher in die Staaten bringen und ihr dabei helfen, sich mit der Vergangenheit ihrer Familie auseinander zu setzen.

Wenn.

Er konnte Jodie noch immer nicht wirklich einschätzen. Seit drei Wochen hatte sich nichts in der Organisation verändert. Aber hieß das auch, dass sie die Wahrheit der Organisation verschwieg? Oder wurde er von der Organisation nur in Sicherheit gewogen? Egal was es war, Akai würde sich nicht verstecken. Dennoch ließ er in den letzten Wochen seine Umgebung nicht aus den Augen. Er war vorbereitet, wenn sie ihn hinterrücks attackieren würden. Wenigstens dann…

Ausgerechnet zur Mittagszeit war er ihr begegnet. Sie saß mit einem fremden Mann in einem Café und schien fröhlich zu sein. Ein Auftrag. Das hatte er sich immer wieder gesagt und trotzdem starrte er sie durch die Scheibe an. Für einen kurzen Moment dachte er daran, das Café zu betreten und sie anzusprechen. Doch er rührte sich nicht. Und dann sah sie aus dem Fenster. Ihr schockiertes Gesicht sprach Bände. Schnell wich Jodie seinem Blick aus und konzentrierte sich wieder auf ihren Gegenüber.

Akai seufzte leise auf. Er fragte sich was passiert wäre, wäre er geblieben. Wie hätte sie reagiert, wenn er sich einfach dazu setzte, sie ansprach oder draußen wartete?

Hätte.

Ein einfaches Wort, aber es machte nicht ungeschehen was passiert war. Hätte sich Agent Camel nicht so einfach austricksen lassen, wäre alles beim Alten und er müsste nicht hinter jeder Ecke eine Verschwörung vermuten oder sich an das traurige Gesicht von Jodie erinnern. Shuichi schloss seine Augen. Er durchlebte den Augenblick ein weiteres Mal. Hätte er die Zeichen nur eher erkannt…

„Ich habe mir bereits gedacht, dass du einen wichtigen Auftrag gehabt haben musst. Deswegen wollte ich nicht stören und dir nicht in die Quere kommen.“

Jodie nickte und ging in sein Wohnzimmer. „Ich brauchte eine Weile um wieder einen klaren Gedanken zu fassen.“

„War es so kompliziert? Oder gefährlich? Hat dir der Kerl irgendwas getan?“

Jodie sah zu ihm. „Mhm?“ Sie schüttelte den Kopf. „Entschuldige, ich bin irgendwie nicht bei der Sache.“

Der Agent ging zu ihr. „Ist schon gut“, begann er. „Wenn du darüber reden willst, bin ich da. Soll ich uns was zu trinken holen?“

„Gern“, murmelte Jodie und ging an das Fenster.

„Alles in Ordnung?“ Shuichi stellte zwei Tassen und eine Flasche auf den Tisch. Er ging zu Jodie und legte seine Hand an ihren Rücken. „Wenn es dir nicht gut geht…“, fing er an.

Jodie drehte sich abrupt um. „Alles in Ordnung. Ich bin einfach etwas müde. Wahrscheinlich hätte ich nicht herkommen sollen.“

„Oder du bist gerade deswegen hergekommen?“, wollte er ruhig wissen.

„Mhm?“

„Um mich zu sehen, mein ich“, hauchte er gegen ihre Lippen.

Sie küssten sich heiß und innig. Shuichi drückte sie an sich und hob sie langsam nach oben.

„Was wird das?“, flüsterte Jodie.

Shuichi schmunzelte und trug sie in sein Schlafzimmer. „Ich dachte…wir machen es uns hier gemütlicher“, antwortete er. „Ein wenig Entspannung“, fügte er hinzu und setzte sie auf das Bett. Wieder fing er an sie zu küssen. Jodie keuchte leise auf. Mit einem Mal versteifte sie sich und drückte Akai von sich weg. Er landete unsanft auf dem Boden und sah Jodie irritiert an.

„Jodie?“ Akai hatte sich etwas aufgerichtet. „Ist alles in Ordnung bei dir?“

Sie blickte ihn an. Verletzt und wütend. Plötzlich saß Jodie rittlings auf ihm. Aus ihrem Knöchelholster zog sie die kleine Waffe und richtete diese auf das Gesicht des Agenten.

Akai schluckte. „Jodie“, begann er ruhig. „Was soll das?“, wollte er wissen.

„Halt den Mund“, schrie sie. „Alles was du sagst, ist eine Lüge. Alles…“

Shuichi atmete ruhig ein und aus. Er zeigte keine Angst.

„Das hier ist kein Test, Dai“, entgegnete die Amerikanerin. „Ich kenne die Wahrheit. Ich weiß, dass du die Organisation infiltriert hast, um sie zu zerstören. Ich weiß, dass du ein Agent bist und ich weiß auch, wer dein Kontaktmann ist. Aber nicht mit mir. Du glaubst, du mir was vormachen? Nein…ganz und gar nicht. Ich werde…ich werde…“

„Was wirst du, Jodie?“, fragte der FBI Agent.

„Du fühlst dich sicher, weil mir keiner glauben wird. Aber das macht nichts“, erklärte sie. „Ich werde mich jetzt um dich kümmern und wenn ich dich erschießen muss, dann ist das kein Problem. Du vergisst wer ich bin, ich weiß, wie ich deine Leiche verschwinden lassen kann.“

„Du wirst mich nicht erschießen“, sagte der Agent wieder mit ruhiger Stimme.

„Ach ja? Das glaubst auch nur du“, kam es sofort von Jodie. „Du wirst gleich sehen, dass ich das mache…ich mache es….ich mache es…“

Akai schüttelte den Kopf. „Und warum weinst du dann?“, wollte er wissen.

„Ich weine nicht“, gab Jodie von sich. „Ich weine nicht…“

Shuichi legte seine Hand an ihre Wange und wischte die Tränen weg.

„Lass das…“, wisperte sie. „Ich weine…nicht…ich…“

„Lass uns in Ruhe über alles reden, ja?“, fragte Akai.

Jodie schüttelte den Kopf. „Ich kann das nicht“, murmelte sie und stand langsam auf. „Ich kann…nicht…ich…“

„Jodie, das…“ Shuichi erhob sich ebenfalls.

„Sei still“, schrie sie ihm entgegen. Sie schloss die Augen und schüttelte den Kopf. Als sie sie wieder öffnete und in das Gesicht des Agenten blickte, machte sie einen Schritt nach hinten. „N..nein…“, fügte sie leise hinzu und lief aus dem Zimmer und aus der Wohnung.

Er seufzte erneut. Als es an der Tür klingelte, wurde aus seinen Gedanken gerissen. Shuichi sah auf die Uhr. Es war spät. Er versteifte sich. Stand jemand von der Organisation vor seiner Tür? Akai verengte sofort die Augen. Sie würden sicher nicht diesen Weg wählen, außer es war eine Falle. Der Agent stand auf und ging in den Flur. Er war für alles bereit. Er öffnete die Tür. Die Anspannung wich, als er in Jodies Gesicht blickte. Aber war das auch ein gutes Zeichen?

„Jodie“, begann er ruhig.

„Kann ich rein kommen?“ Sie sah müde und erschöpft aus.

„Natürlich.“ Akai trat zur Seite und ließ sie rein.

Jodie zog ihre Jacke aus und hing sie an seinen Garderobenständer.

„Möchtest du etwas Trinken?“

Jodie schüttelte den Kopf und ging in sein Wohnzimmer. Shuichi folgte ihr und setzte sich auf das Sofa. Auch wenn er es nicht zeigte, war er nervös. Jodie stellte ihre Tasche auf den Boden und nahm ebenfalls Platz. Sie faltete die Hände ineinander und dann schwiegen sie sich an. Keiner war auf das Treffen vorbereitet. Keiner wusste, was er dem Anderen sagen sollte. Keiner kannte die Regeln für eine solche Konversation. Minuten später ergriff Jodie das Wort. „Wir können frei reden“, fing sie an. „Ich hab ein Störsignal in der Tasche.“

Der FBI Agent nickte. „Wird es nicht auffallen?“

„Du weißt, was meine Aufgaben in der Organisation sind. Viele betuchtere Geschäftsmänner könnten mit Wanzen oder Kameras ausgestattet sein. Wenn ich also ein Störsignal benutze, fällt es kaum auf. Außerdem wissen sie, dass wir uns hin und wieder privat Vergnügen. Und wenn ich mal vergessen das Störsignal zu deaktivieren, ist es kein Weltuntergang.“

„Ich verstehe.“

„Ist Dai dein richtiger Name?“

Er schüttelte den Kopf.

„Dachte ich mir“, murmelte sie. „Wäre er es, hättest du gewusst, dass du die Mission nicht überlebst. Ich werde dich nicht nach deinem richtigen Namen fragen“, entgegnete sie.

Shuichi wirkte überrascht. „Jodie, ich…“

Jodie krallte sich mit der Hand an ihrer Hose fest. „Ich habe es keinem gesagt.“ Sie sah nach unten. „Noch nicht.“

„Dafür danke ich dir. Ich weiß, du musst mich nicht schützen. Und ich weiß auch, dass mein Leben vorbei ist, wenn die Organisation die Wahrheit erfährt. Aber…“

„Aber?“

„Was ist mit dir? Wenn du es ihnen nicht sagst…“

Jodie zuckte mit den Schultern. „Dann werden sie mich auch umbringen“, antwortete sie. „Aber das Risiko gehe ich ein. Ehe ich mich entscheide, habe ich noch ein paar Fragen an dich. Nenn es meinetwegen Verhör…“

„Auch wenn ich es nicht muss, werde ich dir alle Fragen wahrheitsgemäß beantworten.“ Er würde es zumindest versuchen und die Antworten so gestalten, dass er das FBI nicht verriet.

„Danke“, wisperte die Amerikanerin. „Wer ist dein Auftraggeber?“

„Das FBI.“

Jodie schluckte. „Das FBI ist in Amerika tätig, sie können nicht…“

„Dürfen und machen sind zwei paar Schuh“, entgegnete Akai. „Außerdem besteht der Verdacht, dass ein paar Amerikaner ebenfalls Mitglied in der Organisation sind. Wir vermuten auch, dass sie in den Staaten bereits an Einfluss gewonnen haben.“

„Deswegen bist du hier…um uns zur Strecke zu bringen…“

„Richtig“, nickte der Agent. „Als Japaner war es für mich am einfachsten Mitglied zu werden. Wir waren uns von Anfang an im Klaren, dass der Auftrag nicht in paar Wochen erledigt ist und dass es wichtig ist, die Hintermänner zu bekommen.“

„Ich hatte von Anfang an bei dir ein komisches Gefühl“, murmelte sie leise. „Aber du hast jeden Hintergrundtest bestanden.“

Akai nickte. „Mein Lebenslauf wurde von fähigen Agenten erstellt und ein Teil Wahrheit steckt auch darin. Außerdem war ich bereit für diesen Auftrag alles zu tun.“

Sie nickte verstehend. „Dann war kein Zufall, dass ich…das wir…du weißt schon…“

„Das Ziel war es durch Akemi Einstieg in die Organisation zu bekommen. Sie selbst weiß nicht, dass ich für das FBI tätig bin, was auch gut ist. Dass wir uns trafen, war purer Zufall.“ Shuichi sah sie an. „Ich habe dich nicht benutzt, Jodie, unsere gemeinsame Zeit gehörte nicht zu meinem Auftrag. Und alles was ich dir in den privaten Stunden gesagt habe, entsprach der Wahrheit.“

„Okay…“, murmelte sie leise und biss sich auf die Unterlippe. „Dann sollte ich jetzt besser gehen. Ich habe meine Antworten.“

„Wirst du mich verraten?“, wollte er wissen.

Jodie schluckte. „Ich…“ Sie brach ab.

„Jodie?“

„Ich kann…nicht…ich weiß nicht…warum…aber ich kann nicht…“

Shuichi schenkte ihr ein Lächeln. „In Anbetracht der Lage ist es wichtig, dass ich dir noch etwas erzähle. Eigentlich sollte es mein Boss machen.“

Jodie wurde hellhörig. „Du willst mich ausliefern…“ Sie stand sofort auf.

„Was? Nein.“ Shuichi erhob sich ebenfalls und legte die Hände an Jodies Schultern. „Entschuldige, dass hatte sich falsch angehört. Wir können mit ihm telefonieren…du musst dafür nicht in die Staaten…Ich werde dafür sorgen, dass du heil aus der Sache raus kommst. Ich verspreche es dir.“ Er würde sein Versprechen einhalten. Komme was wolle.

„Warum? Warum soll ich mit ihm reden?“

Jetzt musste es raus. Und vielleicht war es auch gut so, weil sie endlich zu ihren Wurzeln finden könnte. „Ich habe gehört, dass dich deine Eltern als kleines Kind bei Freunden ließen und nie wieder abholten. Ich…mein Boss glaubt, dass du das entführte Kind eines Agenten bist. Deswegen sollte er dir die ganze Geschichte erzählen.“

Jodie wurde blass. „Was? Was sagst du da?“, fragte sie leise. „Das kann nicht…“ Jodie sank zusammen. „Meine Eltern…“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich hab damit abgeschlossen.“

„Ich weiß, es ist lange her“, fing Akai an. „Und zum jetzigen Moment können wir uns nicht sicher sein, aber die Indizien sprechen eine deutliche Sprache.“

Jodie verkrampfte. „Ich…ich..“

„Ich kann verstehen, wenn dir das zu viel ist. Wenn du noch nicht dazu bereit bist, musst du nicht mit ihm reden.“

„Ich…ich will ihn treffen“, wisperte sie leise. „Ich will…dass er mir dabei ins Gesicht sieht…ich will seine Reaktion sehen…“

„Bist du dir sicher?“

Die Amerikanerin nickte. „Ja…ich will endlich die Wahrheit wissen.“

Schatten der Vergangenheit

Jodie spielte auf dem Sofa im Wohnzimmer. Sie hatte immer noch das Kleidchen an, das sie in der Schule trug und hielt sich gerade noch so wach. An fast jedem Abend kam ihr Vater sehr spät nach Hause. Manchmal schlief sie dann tief und fest und sah ihn nicht einmal am nächsten Morgen. Aber dann gab es auch Zeiten in denen er die Familie überraschte und zum Abendessen da war. Wie so oft wollte sie auch heute auf seine Heimkehr warten. Sie hatte sich selbst geschworen wach zu bleiben, aber langsam überkam sie die Müdigkeit. Die junge Amerikanerin gähnte herzhaft und nahm ihren Teddy in den Arm. „Papa soll schnell nach Hause kommen“, murmelte sie leise und bedrückt. Sie vermisste ihn. Er brachte sie nur noch selten in die Schule, holte sie noch seltener ab und wenn es ein Fest gab, versprach er zu kommen. Oft musste sich Jodie später von ihrer Mutter trösten lassen, wenn es ihr Vater doch nicht mehr schaffte. Aber sie wusste, dass er einer wichtigen Arbeit nachging und – in den Augen eines Kindes – die Welt rettete. Daher verzieh sie ihm seine Unpünktlichkeit.

Minuten später hörte sie das Knarzen der Haustür. Langsam kletterte Jodie von dem Sofa herunter und lief aufgeregt in den Flur. Er war gekommen. Doch ihr Vater war nirgends zu sehen. Enttäuscht ging sie zur Haustür. Als sie die Schuhe ihres Vaters und seine Jacke am Garderobenständer sah, erstrahlte ihr Gesicht. „Papa ist wieder da“, sagte sie zu sich selbst. Sie war voller Freude und lief sofort in die Richtung der Küche.

„Da bin ich“, sagte Agent Starling und drückte seiner Frau einen Kuss auf die Wange. „Schläft Jodie schon?“, wollte er wissen.

Die Amerikanerin schüttelte mit dem Kopf. „Sie wartet im Wohnzimmer auf dich. Wollte dir unbedingt noch Gute-Nacht sagen. Du kennst ja unsere Tochter. Wenn sie sich mal etwas in den Kopf gesetzt hat…“

Starling lächelte. „Die Sturheit hat sie von mir.“

Jodie blieb vor dem Eingang der Küche stehen. Behutsam legte sie ihren Teddy auf den Boden und kicherte. „Gleich wird Papa überrascht sein“, sagte sie leise zu dem Bären. Sie kicherte aufgeregt. „Daddy!“ Jodie kam in die Küche gelaufen und umklammerte sofort seine Beine. „Du warst heute nicht beim Abendessen“, fing sie an. „Wir haben gewartet und gewartet, aber dann hatte ich großen Hunger und hab alles von meinem Teller aufgegessen.“

Der Agent hob sie nach oben. „Gomen nasai“, antwortete er. „Das ist japanisch und heißt: Es tut mir leid“, erklärte er. „Ich bin noch ein paar Wochen in diesen Fall eingespannt. Aber wenn er erst einmal abgeschlossen ist, muss ich nicht mehr so lange weg sein.“

„Versprochen?“, wollte die Siebenjährige wissen.

Starling nickte. „Und was hör ich da, du möchtest nicht schlafen gehen?“

Jodie schüttelte sofort vehement den Kopf. „Nicht solange ich dir nicht Gute-Nacht sagen durfte.“

„Was hältst du davon, wenn du jetzt nach oben in dein Zimmer gehst, dir deine Schlafsachen anziehst und ich dann vorbei komme und dir eine Gute-Nachtgeschichte vorlese?“

„Das wäre toll!“ Die Augen des Mädchens strahlten.

Der Agent lächelte. „Das habe ich von meiner Kleinen erwartet.“ Er ließ sie wieder nach unten und Jodie lief sofort aus der Küche. „Vergiss das Zähne putzen nicht“, rief er ihr nach.
 

Unruhig wälzte sich Jodie in ihrem Bett hin und her. „Mhm…“, murmelte sie. „Nein…nicht…“, gab sie ein weiteres Mal von sich. Langsam bildeten sich Tränen in ihren Augen.
 

Jodie saß in ihrem langen Nachthemd auf dem Bett und wartete. Ihr Märchenbuch lag direkt vor ihr. Die Seite war bereits aufgeschlagen und Jodie betrachtete die Bilder in der Geschichte. Sie kannte jedes ihrer Kinderbücher beinahe auswendig. Manchmal – wenn ihre Eltern dachten, sie würde schlafen – übersprangen sie beim Vorlesen ein paar Seiten. Dann schlug Jodie sofort die Augen auf und rügte ihre Eltern für dieses Verhalten. Sie lachten zusammen und die Geschichte wurde komplett vorgelesen.

Jodie wippte hin und her. Heute ließ sich ihr Vater viel Zeit. „Mensch, Papa“, murmelte sie leise zu sich selbst und kletterte aus ihrem Bett. Wieder nahm sie ihren Teddybären an sich und verließ das Zimmer. Sie sah Licht im Arbeitszimmer ihres Vaters und setzte ein schmollendes Gesicht auf. Er arbeitete wieder, anstatt ihr eine Geschichte vorzulesen.

Energisch ging Jodie zum Arbeitszimmer. Sie lugte langsam durch den geöffneten Türspalt. Dann blickte ihr die fremde Frau in die Augen.

„Wer sind Sie?“, wollte Jodie leise wissen.

„Das ist ein großes Geheimnis. Ich kann es dir nicht verraten….“

„Das ist Papas Brille“, kam es von dem Mädchen.

„Oh. Entschuldige“, sagte sie. „Hier, nimm sie.“

Jodie sah zu ihrem Vater. „Was ist mit ihm? Ist er eingeschlafen?“, fragte sie in ihrer kindlichen Art. „Dabei hat er mir eine Gute-Nachtgeschichte versprochen.“

„Es tut mir leid. Bleibst du an seiner Seite, bis er wieder aufwacht?“

„Ja“, nickte Jodie und lief zu ihm. Sie setzte sich neben ihren Vater. „Können wir die Tischlampe anlassen? Ich habe Angst im Dunkeln.“

„Natürlich“, antwortete Vermouth.

Langsam verließ die Schauspielerin den Raum und ging nach unten.

Jodie hockte Minuten später weiterhin neben ihrem Vater und döste.

„Jodie?“, fragte die Schauspielerin leise.

Das Mädchen setzte sich richtig auf und rieb sich die Augen. „Mhm…wo ist meine Mama?“, wollte sie leise wissen.

„Sie schläft“, antwortete Vermouth. „Was hältst du davon, wenn wir deine Eltern schlafen lassen und ihnen morgen einen Tag nur für sich allein lassen?“

„Und was ist mit mir?“, fragte das Mädchen.

„Du kannst heute Nacht mit zu mir kommen. Ich hab eine große Wohnung.“

Jodie überlegte. „Papa sagt, ich darf nicht mit Fremden mit gehen.“

„Aber ich bin keine Fremde, ich bin eine Freundin deines Papas. Wollen wir ihn wecken und fragen?“, kam es von der Schauspielerin.

„Au ja“, sagte Jodie sofort. Sie sah zu ihrem Vater hoch. „Papa…“, begann sie und rüttelte an seiner Hose.

„Du darfst ruhig mit ihr gehen“, antwortete Vermouth mit der Stimme ihres Vaters. „Sie wird auf dich aufpassen. Sei ein braves Mädchen und tu, was sie dir sagt, ja?“

„Jaaaa“, kam es von Jodie. Sie stand auf und nahm ihren Teddybären. In der anderen Hand hielt sie immer noch die Brille ihres Vaters. „Ich komm morgen wieder. Versprochen. Dann kannst du mir die Gute-Nachtgeschichte vorlesen.“

„Das werde ich. Schlaf gut, ich hab dich lieb.“

„Ich hab dich auch lieb, Papa“, sagte das Kind und umarmte ihren Vater.
 

Jodie schreckte aus ihrem Schlaf hoch. Sie schwitzte und atmete schnell und unruhig. „Das war nur ein Traum“, sagte sie zu sich selbst. Sie schluckte und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Was war das?“, wollte sie leise wissen.

Jodie sah auf ihre Bettdecke und schloss die Augen. Sie sah die gleichen Bilder vor sich. „Nein…nein…nein…“ Die Amerikanerin schüttelte den Kopf. Das war nicht echt. Die Bilder waren eine Lüge.

Jodie zog ihre Beine an sich heran und legte die Hände auf ihren Kopf. „So war das nicht…“, wisperte sie leise. „So war das nicht…“, wisperte sie. „…sie haben mich…nicht geliebt…nein…nein…nein…“
 

Jodie weinte bitterlich. Das kleine Mädchen hielt ihren Teddybären im Arm und schüttelte den Kopf. „Ich will zu meiner Mama und meinem Papa…“

Vermouth rollte mit den Augen. „Das geht jetzt nicht“, antwortete sie.

„Ich will…zu Mama…und zu Papa…“

Die Schauspielerin seufzte. Sie kniete sich zu Jodie. „Jodie, hör mal“, fing sie an und legte ihre Hände auf die Schultern des Mädchens. „Wir hatten doch zwei gute Tage zusammen, nicht wahr?“

Jodie schniefte und nickte. „Aber jetzt…mag ich nach Hause. Bitte…bring mich zu Mama und Papa. Sie sollen mich abholen.“

„Das ist nicht so einfach“, begann Vermouth ruhig. „Weißt du, Jodie, deine Mama und dein Papa hatten dich sehr, sehr, sehr lieb, aber manchmal reicht das nicht aus. Deine Eltern möchten, dass du fortan bei mir bleibst.“

Das kleine Mädchen schüttelte den Kopf und drückte ihren Teddy ganz fest an sich. „Ich mag zu Mama und Papa.“

Vermouth seufzte ein weiteres Mal. „Jodie, hast du mir zugehört?“, wollte sie mit ruhiger Stimme wissen.

Jodie nickte.

„Deine Eltern möchten, dass du bei mir bleibst. Du wirst leider nicht mehr zu ihnen nach Hause gehen.“

„Dann sollen sie es mir selber sagen“, gab Jodie trotzig von sich.

„Das geht nicht“, fing die Schauspielerin an. „Sie wollen nicht mehr mit dir reden.“

Jodie schluckte und sah Vermouth mit geröteten Augen an. „War…war…ich böse?“, fragte sie leise. „Haben Mama und Papa mich nicht mehr lieb?“

Der Schauspielerin brach es beinahe das Herz. Trotzdem musste sie in ihrer Rolle bleiben. „Das stimmt leider. Deine Eltern möchten nicht, dass du nach Hause kommst.“

Jodie schluchzte.

Vermouth atmete tief durch. „Wir werden wegziehen. Ich bringe dich zu Freunden. Bei ihnen wird es dir gut gehen.“

Jodie sah sie verunsichert an. „Du willst…mich auch nicht?“, wisperte sie leise.

„Darum geht es doch nicht, Jodie. Ich kann dir kein richtiges zu Hause bieten. Und meine Freunde haben bereits zwei Kinder. Du wirst dich sicher gut mit ihnen verstehen.“

Jodie schluchzte.
 

Jodie hielt ihre weiterhin Beine umschlungen. Sie hatte vieles aus ihren ersten Lebensjahren vergessen, Dinge verdrängt und auf falsche Wahrheiten vertraut. Als sie Jahre später Fragen nach ihren leiblichen Eltern stellte, bekam sie immer die gleiche Antwort: Sie haben dich nie geliebt und bei einer Freundin ausgesetzt. Wir wissen nicht wo sie sind.

Und Jodie wollte die falschen Wahrheiten glauben, da der Schmerz der Wirklichkeit viel stärker gewesen wäre. Sie wollte nicht vor ihren Eltern stehen und abgewiesen werden – auch wenn dies bedeutete, dass sie nicht wusste, wo sie überhaupt herkam und was passiert war. Sie kannte keine Verwandten, keine Freunde und konnte nicht einmal die Sprache.

Mit der Zeit führte sie wieder ein normales Leben – zumindest machte es den Anschein. In Wahrheit aber fragte sich das kleine Mädchen, was es falsch gemacht hatte. Und irgendwann erinnerte sie sich gar nicht mehr. Die Vergangenheit war Vergangenheit. Sie hatte das Aussehen ihrer Eltern vergessen und selbst jetzt waren die Gesichter ihrer Eltern verschwommen.

Dennoch träumte sie eine lange Zeit davon, eines Tages nach Hause zu kommen und ihre Eltern im Wohnzimmer vorzufinden. Sie würde zu ihnen gehen, in den Arm genommen werden und eine Entschuldigung bekommen. Ihre Eltern würden sie loben, weil sie zu einer jungen Frau herangewachsen war und dann würden sie alle zusammen in die Heimat zurück kehren. Alles würde gut werden. Aber es war nur ein Traum. Eine Illusion.

Selbst jetzt fühlte sich Jodie noch fremd in Japan. Die Menschen zeigten auf sie, beobachteten sie und tuschelten offen über sie. Nur wussten sie nicht, dass Jodie alles verstand und der Harmonie wegen schwieg. Und dann war da noch Sharon. Am Anfang war sie ihr Halt, aber dann entfremdete sie sich immer mehr von ihr. Schließlich begann sie für die Organisation zu arbeiten. Anfangs waren es kleine Aufgaben, dann durfte sie immer eigenständig arbeiten. Aber eines war immer gleich: Sie wurde beobachtet.

Manchmal plante Jodie die Organisation zu verlassen. Aber das ging nicht. Wer einmal in ihren Fängen war, würde nie wieder losgelassen werden – außer man wählte den Tod. Sie hatte oft Sehnsucht nach einem normalen Leben, einem Leben ohne die Aufträge, ohne die Beobachtungen – einfach nur nur Normalität. Erst als Dai in ihrem Leben auftauchte, wurde manches erträglicher und sie hoffte auf eine zweite Chance.

Jodie seufzte leise auf und wischte sich die Tränen weg. Jetzt war nicht die Zeit um in der Vergangenheit zu schwelgen und sich damit auseinanderzusetzen. Sie stand auf und zog aus ihrem Kleiderschrank ihre Kleidung für den heutigen Tag. Mit frischen Sachen ging sie in ihr Badezimmer, wusch sich, putzte sich die Zähne und zog sich um. Jodie kämmte sich ihr Haar und betrachtete ihr Spiegelbild. Man sah ihr an, dass die Nacht nicht erholsam gewesen war. Aber Jodie würde das Treffen mit James Black – dem Vorgesetzten von Dai - nicht versäumen. Komme was wolle. „Du schaffst das“, sagte sie zu sich selbst, als es an der Tür klingelte.

Langsam machte sich die Amerikanerin auf den Weg dorthin. Sie atmete tief durch und öffnete die Haustür. „Dai“, gab sie murmelnd von sich. „Du bist früh dran…“

„Guten Morgen, ich hoffe, das ist kein Problem.“ Shuichi musterte sie. „Geht es dir gut?“, wollte er wissen. „Du siehst etwas blass aus.“

Jodie versuchte zu lächeln. „Nur schlecht geschlafen...gemischt mit Nervosität…“

„Du musst nicht nervös sein“, entgegnete er. „Ich werde die ganze Zeit bei dir bleiben, außer du schickst mich raus. Bist du bereit?“

Sie nickte. „Fahren wir los.“

Ruhe vor dem Sturm

Obwohl es mitten in der Nacht war, saß James noch immer am Computer und studierte die Akte über den Vorfall von vor 20 Jahren, bei dem sein Partner und dessen Frau ums Leben kamen. Jedes Jahr fühlten sich dessen Geburtstage und der Todestage wie die reinste Qual an. Und dann war da noch die Tochter seines Partners – Jodie. Die kleine Jodie. Sie war gerade erst sieben Jahre alt und musste die Tragödie mit ansehen. Wo sie war wusste niemand, sodass sie seit dem Vorfall als vermisst galt. Manche Agenten spekulierten bereits, dass sie Tod war und dass die Organisation ihre Leiche verschwinden ließ. Und das nur um dem FBI einen Hauch von Hoffnung zu geben, sie suchen zu lassen und ihre Verzweiflung zu beobachten.

James ballte die Faust. In regelmäßigen Abständen verspürte er Melancholie, Traurigkeit, Schuld aber auch Zorn auf sich selbst. Noch immer kam es ihm vor, als wäre die Tat erst gestern gewesen. Er selbst war an jenem Abend zum Informationsaustausch im Hause der Starlings eingeladen und hatte sich auf dem Hinweg extra viel Zeit gelassen, damit sein Partner Jodie ins Bett bringen konnte. Eigentlich war es ungerecht, dass ausgerechnet sein Partner – der Familie hatte – diesen brisanten Auftrag erledigte und James nur als Kontaktmann fungierte und die Lage beobachtete. Gerade in seinem Job war es nicht selten, dass nur wenige Minuten über Leben und Tod entschieden. Oft fragte er sich, was passiert wäre, wäre er eine halbe Stunde eher beim Haus gewesen. Würden Starling und seine Frau dann leben? Würde Jodie zu Hause sein und ein behutsames Leben führen? Oder wäre etwas ganz anderes passiert?

James seufzte leise auf. Er war zu spät gekommen. Das Haus stand in Flammen. Es loderte überall und jeder Versuch in das Gebäude zu kommen, wurde von der Hitze bestraft. James hatte sofort die Feuerwehr gerufen, war mehrfach ums Haus gelaufen und hatte nach den Bewohnern gerufen. Aber es war zu spät. Nachdem der Brand Stunden später gelöscht war, blickte er auf die Trümmer des Hauses. Alles war zerstört und nachdem die ersten Überreste gefunden waren, sackte der FBI Agent in sich zusammen. Der Schock saß ihm tief in den Knochen. Er hatte sofort gewusst, dass das Feuer drei Leben nahm und dass es kein Unfall war.

Erst als die Spurensicherung nur die Überreste von zwei Erwachsenen vorfand, keimte ein klein wenig Hoffnung in ihm auf. Jodie lebte und sie war irgendwo dort draußen. James wusste, dass die Hoffnung sehr gering war, da man bei der Organisation mit allem rechnen musste. Dennoch hatte er sich sofort auf die Suche nach dem Mädchen gemacht und ein Bild von ihr an alle Dienststellen in New York verschickt. Anschließend hatte er die Bahnhöfe und Flughäfen informiert und sich selbst an Orte begeben, wo Jodie hätte auftauchen können – sofern sie nicht entführt wurde. Es gab noch weitere Optionen: Jodie hatte sich in Sicherheit gebracht und sich vor Angst irgendwo versteckt. Dann würde sie am nächsten Tag, spätestens am übernächsten Tag zurück zum Haus kommen. Oder aber die Organisation – eher der Täter – würde zurück an den Tatort kehren und sein Werk bewundern. Für das alles hatte er sicherheitshalber ein Team von Agenten vor dem Grundstück positioniert.

Aber Jodie blieb wie vom Erdboden verschluckt, weswegen James den Suchradius ausweitete und ganz Amerika nach ihr durchforsten ließ. Später begann er seine Fühler in der ganzen Welt auszustrecken. Natürlich alles heimlich, damit der Feind sie nicht erneut wegbringen konnte. Zudem hatte er weitere Kontakte zu Waisenhäusern, Schulen, Krankenhäusern und Ämtern. Sobald dort ein Mädchen, auf dessen Beschreibung Jodie passte, auftauchte, würde er sofort gerufen werden. Leider identifizierte er in all den Jahren immer wieder Mädchen, die nicht Jodie waren. Mit jedem Jahr schwand die Hoffnung immer mehr und er musste die Suche offiziell beenden. Die Akte wanderte als ungelöst ins Archiv. Aber trotzdem gab er die Suche nicht auf. Das konnte er nicht. Auch wenn die Ermittlungen ins Leere liefen, er war es seinem Partner schuldig.

James seufzte ein weiteres Mal leise auf. Er hatte die letzten Jahre Sharon Vineyard und später ihre Tochter Chris Vineyard regelmäßig beobachtet und versuchte selbst im Ausland ihren Schritten zu folgen. Allerdings hatte es die Schauspielerin immer wieder geschafft ihre Spuren zu verwischen und führte scheinbar ein normales und sorgloses Leben. Trotzdem hatte James ein ungutes Gefühl bei ihr, immerhin war sie der Auftrag seines Kollegen. Doch ohne Beweise musste er die Füße still halten. Ausgerechnet nachdem sie eine Spur zur Organisation in Japan hatten, gab die Schauspielerin ihr Ausscheiden aus dem Show-Geschäft bekannt. Er hatte zwar Agenten zur Beobachtung an ihr Haus geschickt, aber es war nur eine Frage der Zeit bis sie von der Bildfläche verschwinden würde. Und wenn Agent Akai keine neuen Hinweise fand, hatte die Organisation gewonnen. Wieder.

James zog seine Brille von der Nase und rieb sich den Nasenrücken. Wieder war ein Tag vergangen an dem er der Wahrheit ins Auge sehen musste. Wieder war er keinen einzigen Schritt weiter gekommen. Er setzte die Brille wieder auf und schloss die Akte auf dem Computer. Gerade als der Agent den Computer herunterfahren wollte, bemerkte er den kleinen Briefumschlag an seinem Mail-Programm. Er runzelte die Stirn. Eigentlich war es nicht ungewöhnlich, dass man ihm auch zu so später Stunde schrieb, aber es lag etwas in der Luft. James konnte es spüren. Wenige Sekunden später öffnete er sein Mail-Programm und rief die eingegangene Nachricht auf. Er blinzelte und las die Nachricht wieder und wieder. „Habe nun direkten Kontakt zur Organisation. Unsere Kommunikation wird deswegen noch weiter eingeschränkt sein. Werde überwacht und abgehört. Bitte schauen Sie sich das angehängte Foto an. Kommt Ihnen die Frau bekannt vor?“, murmelte der FBI Agent.

Ein mulmiges Gefühl breitete sich in ihm aus. James atmete tief durch und fuhr anschließend mit dem Mauszeiger über den Anhang. Er mahnte sich selbst zur Ruhe, aber sein Herz schlug schneller und schneller. Seine Hand zitterte, als er mit einem Doppelklick das Foto öffnete. Das Herz blieb ihm beinahe stehen. Die junge Frau auf dem Bild ähnelte der Ehefrau seines Partners: das gleiche blonde Haar, der gleiche Blick und auch vom Alter passte es. „Jodie“, wisperte James. Er sah auf die Bildunterschrift und ihm stockte der Atem. „Jodie Saintemillion…“, las er vor. Konnte das wirklich sein? Hatte die Organisation die ganze Zeit über Katz und Maus mit ihnen gespielt und Jodie unter ihrem richtigen Namen in einem anderen Land leben lassen? War das ihre Rache? Verhöhnten sie ihn die ganze Zeit? Sofort legte er seine Hand über den Mund. Er konnte sich nicht annähernd vorstellen welche Qualen Jodie erlebt haben musste oder was sie im Auftrag der Organisation tun sollte.

James tippte wenige Sekunden später mit den Fingern auf dem Tisch. Er musste sie sehen und mit ihr reden. Er musste ihre Stimme hören und sie kennenlernen. Sofort nahm der Agent sein Handy und wählte die Nummer seines Kollegen.

„Moroboshi.“

„Black hier“, kam es von James. „Ich habe gerade das Foto gesehen. Die neusten Erkenntnisse machen mir Sorgen. Die Frau könnte tatsächlich die Tochter von Agent Starling sein. Ich denke, es ist am besten, wenn ich auch nach Tokyo komme und mir die Frau ansehe.“

Shuichi verengte die Augen. „Nein, ich bin an einer Befragung zu meinem Telefonanbieter nicht interessiert“, sagte er.

„Ich weiß, Sie finden die Idee nicht gut“, begann Black. „Aber…“

„Nein, danke.“ Shuichi legte auf.

Wie vor den Kopf gestoßen, starrte James auf das Telefon. Tief in seinem Inneren wusste er, dass Akai abgehört wurde und die Geschichte des Telefonanbieters erfand. Dennoch gewann seine Euphorie über den besonderen Fund und er wählte ein weiteres Mal die Nummer seines Kollegen. Bevor er auf das Icon am Handy drückte, hielt er einen Moment inne. Kurz darauf fand er die nächste Nachricht in seinem Posteingang. „Bitte unterlassen Sie einen weiteren Kontaktversuch in der Kürze der Zeit. Kommen Sie unter gar keinen Umständen nach Japan. Wenn ich mehr über die Frau herausfinde, lasse ich Sie es wissen. Dann können Sie herfliegen. Vorher nicht“, las er leise.

Der FBI Agent biss sich auf die Unterlippe. Wie sollte er nach dieser Nachricht nur die Füße still halten? Sofort durchforstete James die Akten der FBI Agenten, die sich derzeit in keinem aktiven Auftrag befanden.
 

James sah aus dem Fenster in seinem Hotelzimmer. Er hatte einen phänomenalen Ausblick auf den Tokyo Tower und über die gesamte Stadt. Aber das war nicht der Grund warum er die weite Reise auf sich genommen hatte.

Dabei hatte es ganz anders begonnen. Es war so vieles schief gegangen, nachdem Akai endlich in der Organisation Fuß fassen konnte. Seine wahre Identität flog viel zu schnell auf und sie mussten täglich fürchten, dass der Agent mit seinem Leben dafür bezahlte. Zum Glück gab es auch noch Agent Camel, der weiterhin ein Auge auf seinen Kollegen hatte und James regelmäßig über den aktuellen Stand auf dem Laufenden hielt – auch wenn es seine Schuld war, dass Akai in Furcht leben musste.

Die Situation war kritisch und sie konnten von Glück reden, dass es noch so ruhig blieb. James hatte nicht damit gerechnet, dass Akai so schnell bei ihm anrief. Und dann war er noch von dessen Bitte um ein Treffen überrascht. Erst als er hörte, dass es Jodies eigene Idee war, keimte wieder ein klein wenig Hoffnung in ihm auf. Selbstverständlich hatte er den nächstmöglichen Flug nach Tokyo gebucht und seine Koffer gepackt. Neben seinen persönlichen Sachen, hatte er aus seinem Keller alte Fotoalben und andere Erinnerungen an die Starling ausgegraben und mitgebracht. Er würde Jodie jede Frage beantworten, allerdings gab es noch ein Thema, welches er nur ungerne anschnitt. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit sehr groß war, dass es sich bei ihr um die verschwundene Tochter handelte, musste dies erst bestätigt werden. Eine einfache Speichelprobe würde ausreichen. Das FBI besaß von den zahlreichen Routine-Untersuchungen seiner Agenten genug Probenmaterial, um es mit Jodies DNA abzugleichen. Und wenn sich ihre Identität bestätigte, würde er sie mit offenen Armen in Empfang nehmen und ihr den Ausstieg aus der Organisation ermöglichen.

James lächelte leicht. Er hatte so viele Fragen an die junge Frau, aber er wusste, dass er mit ihr geduldig sein musste, immerhin hatte sie erst vor einigen Tagen von dieser Möglichkeit erfahren. Langsam begab sich James in den Flur seines Zimmers und schlüpfte in seine Schuhe und zog seine Jacke an. Gerade als er das Zimmer verlassen wollte, klingelte sein Handy. James zog es aus der Hosentasche und blickte auf das Display.

„Mhm…“, murmelte er überrascht und nahm den Anruf entgegen. „Black, hier“, sagte er.

„Ich bins“, begann Akai ruhig. „Sind Sie schon unterwegs?“, wollte er wissen.

„Noch nicht“, fing der Agent an. „Ich habe mich gerade fertig gemacht und noch überlegt, ob ich jetzt schon alte Familienfotos mitbringen sollte.“

„Hm…“, kam es von Akai. „Ich glaube, das ist keine gute Idee. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, aber wenn Sie gleich mit Bildern ankommen, wird sich Jodie überrumpelt fühlen. Sie braucht eine Weile um diese Neuigkeit zu verdauen und sich mit der Vorstellung die Tochter eines FBI Agenten zu sein, anzufreunden. Außerdem…“ Akai seufzte. „…Es tut mir wirklich leid, dass ich Ihnen diese schlechte Nachricht überbringen muss. Jodie fühlte sich heute noch nicht bereit für das Treffen. Ich weiß, die Idee kam von ihr aus…aber sie braucht noch einen Tag. Ich finde es daher besser, wenn wir unser Treffen auf morgen verschieben.“

„Oh“, sprach James leise.

„Ich möchte Jodie ungern zu etwas zwingen, was sie nicht möchte. Oder haben Sie für morgen Ihren Rückflug gebucht?“

Black runzelte die Stirn. „Nein nein…das ist schon okay“, gab er von sich. „Ich war nur überrascht, dass es jetzt doch Probleme gibt. Aber Sie haben natürlich recht. Wenn Jodie noch nicht bereit ist, sich mit mir zu treffen, dann werden wir nichts erzwingen. Ich seh mir heute einfach ein wenig die Stadt an.“

„Das ist eine gute Idee“, fing Akai an. „Am besten Sie gehen zum Tokyo Tower. Von dort aus haben Sie einen fantastischen Blick über die Stadt.“

„Das hört sich verlockend an“, antwortete Black. „Sind Sie sich sicher, dass Jodie morgen zu dem Treffen auch wirklich bereit ist?“

„Das kann ich nicht genau sagen“, meinte Shuichi. „Ich vermute, sie schindet jetzt etwas Zeit um sich nicht mit der Realität auseinander zu setzen. Möglich, dass sie morgen ebenfalls um einen Aufschub bittet. Ich werde mein bestes geben, damit wir das Treffen morgen durchführen können.“

James nickte verstehend. „Gleiche Zeit, gleicher Ort?“, wollte er wissen.

„Selbstverständlich.“

Countdown

Langsam öffnete sich die Tür des Arbeitszimmers. Ein kleines Mädchen, mit Teddybären in der Hand, blickte mit großen Kulleraugen auf die Schauspielerin. „Wer sind Sie?“

Vermouth war überrascht, fing sich aber schnell. „Das ist ein großes Geheimnis. Ich kann es dir nicht verraten….“

„Das ist Papas Brille“, kam es von dem Mädchen.

„Oh. Entschuldige“, sagte sie. „Hier, nimm sie.“

Jodie sah zu ihrem Vater. „Was ist mit ihm? Ist er eingeschlafen?“, fragte sie in ihrer kindlichen Art. „Dabei hat er mir eine Gute-Nachtgeschichte versprochen.“ Auf einmal wirkte das Mädchen traurig.

„Es tut mir leid. Bleibst du an seiner Seite, bis er wieder aufwacht?“

„Ja“, nickte Jodie und lief zu ihm. Sie setzte sich neben ihren Vater. „Können wir die Tischlampe anlassen? Ich habe Angst im Dunkeln.“

„Natürlich“, antwortete Vermouth. In dem Licht würde das Mädchen die Verletzungen ihres Vaters nicht wahrnehmen.

Langsam verließ die Schauspielerin den Raum und ging nach unten. Aus dem Wohnzimmer holte sie ihre Tasche und einen Kanister mit Benzin. Danach ging sie in den Keller. Die Kombination stimmte und als sie die vielen Akten sah, war sie überrascht. Hatte Starling so viel über sie und die Organisation herausgefunden? Mit den Fingerspitzen strich sie über den Ordnerrücken. Sie hatte keine Zeit um die Informationen zu prüfen und tränkte die Räume mit Benzin. Sollten sie doch wissen, dass die Organisation dahinter steckte. Es wäre ihnen eine Lehre und ein Versprechen zugleich.

Vermouth verließ den Keller und bereitete auch das Erdgeschoss entsprechend vor. Sie warf einen Blick auf die Treppe und zögerte. Die Schauspielerin zog ihr Handy heraus und wählte die Nummer die sie einst auswendig gelernt hatte. Es war ihnen verboten diese zu speichern und in der Anrufliste zurück zu lassen.

„Wie weit bist du?“, wollte die Stimme am anderen Ende der Leitung wissen.

„Fertig. Warum hast du mich belogen? Das Kind ist hier“, zischte sie.

„Hast du etwa Skrupel? Bring es zu Ende!“

Bevor Vermouth etwas erwidern konnte, wurde aufgelegt. Sie sah ein weiteres Mal nach oben und verfluchte den Tag. Zwei Treppenstufen auf einmal nehmend, begab sie sich in den oberen Flur und öffnete die Tür des Arbeitszimmers.

Jodie hockte weiterhin neben ihrem Vater und döste. Etwas in ihr hatte sich geregt.

„Jodie?“, fragte die Schauspielerin leise.

Das Mädchen setzte sich richtig auf und rieb sich die Augen. „Mhm…wo ist meine Mama?“, wollte sie leise wissen.

„Sie schläft“, antwortete Vermouth. „Was hältst du davon, wenn wir deine Eltern schlafen lassen und ihnen morgen einen Tag nur für sich allein lassen?“

„Und was ist mit mir?“, fragte das Mädchen.

„Du kannst heute Nacht mit zu mir kommen. Ich hab eine große Wohnung.“

Jodie überlegte. „Papa sagt, ich darf nicht mit Fremden mit gehen.“

„Aber ich bin keine Fremde, ich bin eine Freundin deines Papas. Wollen wir ihn wecken und fragen?“, kam es von der Schauspielerin.

„Au ja“, sagte Jodie sofort. Sie sah zu ihrem Vater hoch. „Papa…“, begann sie und rüttelte an seiner Hose.

„Du darfst ruhig mit ihr gehen“, antwortete Vermouth mit der Stimme ihres Vaters. „Sie wird auf dich aufpassen. Sei ein braves Mädchen und tu, was sie dir sagt, ja?“

„Jaaaa“, kam es von Jodie. Sie stand auf und nahm ihren Teddybären. In der anderen Hand hielt sie immer noch die Brille ihres Vaters. „Ich komm morgen wieder. Versprochen. Dann kannst du mir die Gute-Nachtgeschichte vorlesen.“

„Das werde ich. Schlaf gut, ich hab dich lieb.“

„Ich hab dich auch lieb, Papa“, sagte das Kind und umarmte ihren Vater.

Vermouth schluckte. Dafür würde Anokata bezahlen. Irgendwann. „Gehen wir.“ Sie ging wieder zur Tür und als Jodie ihr folgte, marschierte sie nach draußen zu ihrem Wagen. Vermouth setzte das Mädchen nach hinten. „Warte hier. Ich muss noch meine Tasche holen.“

Jodie nickte und legte sich auf die Rückbank. Sie schlief schnell ein.

Vermouth ging zurück zum Haus, zog eine Schachtel Streichhölzer hervor und zündete eines an. Sie betrachtete die Flamme, ehe sie das Streichholz in den Hausflur warf. Sofort setzte sich das Feuer in Gang und folgte den Spuren des Benzins. Die Schauspielerin lief zurück zu ihrem Wagen und setzte sich auf den Fahrersitz. Sie warf einen flüchtigen Blick auf Jodie, ehe sie los fuhr. Das würde sie Anokata erklären müssen.

Die Schauspielerin seufzte leise auf. Durch den Rückspiegel warf sie einen weiteren Blick auf Jodie. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Eine Handlung aus Affekt gehörte nicht zu ihrem Portfolio und trotzdem hatte es das Mädchen irgendwie geschafft, dass sie ihre Prinzipien über Bord warf. Vermouth hoffte inständig, dass niemand aus der Organisation ihren Fehler mitbekam.

Sie sah wieder nach vorne auf die Straße. Es dauerte nur wenige Minuten bis sie die Sirenen der Feuerwehr hörte. Sharon wurde hellhörig. Wurde sie etwa bei der Flucht gesehen? Aber wie sollte das gehen? Sie hatte die ganze Zeit auf alles geachtet und den Schutz der Dunkelheit genutzt. Schwarze Kleidung, Haare nach oben gesteckt und die Mütze tief ins Gesicht gezogen. Es gab keine Zeugen. Die Starlings waren tot und konnten nichts ausplaudern.

Dennoch würde sie in den nächsten Tagen vermehrt die Nachrichten überprüfen und sich aus der Öffentlichkeit zurückziehen. Vermouth fuhr das Haus an, welches sie nur sehr selten bewohnte und von dessen Existenz niemand wusste. Niemand außer ihrem Boss.

Sie parkte den Wagen und hob Jodie vom Rücksitz. Langsam und vorsichtig brachte sie das Mädchen in das Haus und legte sie ins Bett in der oberen Etage. Vermouth sah ihr einen kleinen Moment zu, schüttelte dann den Kopf und ging nach unten. Die Schauspielerin seufzte ein weiteres Mal und setzte sich auf das Sofa. Sie zog den Laptop – der sich unter dem Wohnzimmertisch befand – heraus und fuhr ihn hoch. Sofort recherchierte sie die letzten Stunden und wunderte sich nicht, dass es der Brand bereits in die Medien geschafft hatte. Vermouth verschränkte die Arme vor der Brust und tippte mit dem Fuß auf dem Boden. Als ihr Handy klingelte, zog sie dieses aus der Handtasche heraus. Sie sah auf das Display und seufzte ein drittes Mal.

Anokata. Ihr Boss.

Sein Timing war wieder einmal grandios. Die Schauspieler nahm das Gespräch entgegen. „Boss…“, fing sie an.

„Hast du deinen Auftrag erledigt, Vermouth?“, wollte er wissen.

Vermouth war überrascht. Anokata wusste, dass sie immer jeden Auftrag zu seiner vollsten Zufriedenheit erledigte. Bisher hatte er noch kein einziges Mal nachgefragt und ihr immer vertraut. Aber scheinbar hatte sie dieses Vertrauen verloren. Wodurch auch immer war ihr unbekannt. „Selbstverständlich“, antwortete sie. „Der Agent ist tot und alle seine Akten über mich und uns, sind vernichtet. Es gibt nichts, was uns in Verbindung damit bringt“, fügte sie an.

Der Boss nickte verstehend, auch wenn sie es nicht sehen konnte. „Was ist mit dem Kind?“

Vermouth schluckte. „Kein Risiko für uns.“

„Hast du sie in den Flammen zurück gelassen?“, wollte er wissen.

Sharon ballte die Faust. Die Fragen kamen gezielt, weswegen sie ahnte, dass er die Wahrheit kannte. „Wie schon gesagt, sie ist kein Risiko.“

„Du hast sie also nicht getötet, Vermouth“, zischte er. „Du wirst weich, alte Freundin.“

Sharon verengte die Augen. „Sie ist noch ein Kind“, kam es von ihr. „Sie weiß nichts über uns und ist keine Gefahr. Ich werde sie morgen wegbringen und dann…“

Er unterbrach sie sofort. „Du wirst sie wegbringen? Und wohin?“, fragte er. „Sie hat dein Gesicht gesehen. Kinder sind viel aufmerksamer und aufnahmefähiger als ein Erwachsener. Wenn es dazu kommt, dass sie befragt wird, wird sie dich identifizieren. Damit ist sie unser aller Untergang.“

„Boss, sie…“ Vermouth biss sich auf die Unterlippe. „Wir müssen das Kind nicht töten. Wir machen sie zu einer von uns.“

Anokata schwieg.

„Boss?“

„Rede nur weiter. Ich will hören, was du zu sagen hast.“

„Das FBI wird das Mädchen suchen, aber wir haben gute Kontakte. Wir bringen sie außer Landes. Einige unserer Leute ziehen das Mädchen wie ihr eigenes Kind auf und wenn sie alt genug ist, erledigt sie ein paar Aufträge für uns. Sollte uns das FBI Jahre später auf die Spur kommen, werden sie beschämt feststellen, dass die Täterin die Tochter ihres Kollegen ist. Wir schlagen zwei Fliegen mit einer Klappe. Wir werden ein neues Mitglied haben, welches wir von Anfang an selbst formen können. Sie wird tun, was wir wollen und nichts hinterfragen. Gleichzeitig verhöhnen wir das FBI.“

Anokata überlegte. „Du bist für sie verantwortlich. Wenn sie etwas ausplaudert, ziehe ich dich zur Rechenschaft. Macht sie einen Fehler, machst du einen Fehler. Hast du das verstanden?“

„Natürlich“, entgegnete die Schauspielerin ruhig.
 

Jahrelang konnte sie sich problemlos im Ruhm sonnen und ihre Privilegien genießen. Aber das war nicht immer so. Die Drohung ihres Bosses hatte seine Wirkung nicht verfehlt und Vermouth lebte in ständiger Angst. Angst, dass Jodie einen Fehler machte oder den falschen Menschen vertraute. Das Mädchen war eine tickende Zeitbombe. Sie weinte viel und wollte immer zu ihren Eltern zurück. Es war nur eine Frage der Zeit, bis das FBI auf sie aufmerksam werden würde.

Auch wenn Chris zu ihrer Entscheidung von damals stand, hätte sie mittlerweile ganz anders gehandelt. Aber das Mädchen hatte es ihr nie leicht gemacht.
 

Jodie weinte bitterlich. Das kleine Mädchen hielt ihren Teddybären im Arm und schüttelte den Kopf. „Ich will zu meiner Mama und meinem Papa…“

Vermouth rollte mit den Augen. „Das geht jetzt nicht“, antwortete sie.

„Ich will…zu Mama…und zu Papa…“

Die Schauspielerin seufzte. Sie kniete sich zu Jodie. „Jodie, hör mal“, fing sie an und legte ihre Hände auf die Schultern des Mädchens. „Wir hatten doch zwei gute Tage zusammen, nicht wahr?“

Jodie schniefte und nickte. „Aber jetzt…mag ich nach Hause. Bitte…bring mich zu Mama und Papa. Sie sollen mich abholen.“

„Das ist nicht so einfach“, begann Vermouth ruhig. „Weißt du, Jodie, deine Mama und dein Papa hatten dich sehr, sehr, sehr lieb, aber manchmal reicht das nicht aus. Deine Eltern möchten, dass du fortan bei mir bleibst.“

Das kleine Mädchen schüttelte den Kopf und drückte ihren Teddy ganz fest an sich. „Ich mag zu Mama und Papa.“

Vermouth seufzte ein weiteres Mal. „Jodie, hast du mir zugehört?“, wollte sie mit ruhiger Stimme wissen.

Jodie nickte.

„Deine Eltern möchten, dass du bei mir bleibst. Du wirst leider nicht mehr zu ihnen nach Hause gehen.“

„Dann sollen sie es mir selber sagen“, gab Jodie trotzig von sich.

„Das geht nicht“, fing die Schauspielerin an. „Sie wollen nicht mehr mit dir reden.“

Jodie schluckte und sah Vermouth mit geröteten Augen an. „War…war…ich böse?“, fragte sie leise. „Haben Mama und Papa mich nicht mehr lieb?“

Der Schauspielerin brach es beinahe das Herz. Trotzdem musste sie in ihrer Rolle bleiben. „Das stimmt leider. Deine Eltern möchten nicht, dass du nach Hause kommst.“

Jodie schluchzte.

Vermouth atmete tief durch. „Wir werden wegziehen. Ich bringe dich zu Freunden. Bei ihnen wird es dir gut gehen.“

Jodie sah sie verunsichert an. „Du willst…mich auch nicht?“, wisperte sie leise.

„Darum geht es doch nicht, Jodie. Ich kann dir kein richtiges zu Hause bieten. Und meine Freunde haben bereits zwei Kinder. Du wirst dich sicher gut mit ihnen verstehen.“

Jodie schluchzte.
 

Vermouth sah in den Spiegel und schüttelte den Kopf. Warum dachte sie ausgerechnet jetzt an die Vergangenheit?

Jodie war schon immer eine tickende Zeitbombe. Bei ihrem ersten Auftrag tat sie der Schauspielerin leid und suchte Rat bei ihr. Aber was sollte sie ihr sagen? Du bist Amerikanerin, nutz es aus? Oder hätte sie ihr die Flucht und ein sorgloses Leben ermöglichen sollen? Nein, das war nichts, was der Boss für sie geplant hatte. Als Amerikanerin war man in Japan etwas Besonderes und viele Männer wollten dieses besondere Etwas für sich haben. Jodie musste lernen wie man sich in der Welt behauptet. Und entgegen aller Erwartungen erfüllte sie jeden Auftrag zur vollen Zufriedenheit der Organisation. Aber je älter Jodie wurde, je mehr sie ihren Eltern ähnelte und je selbstständiger sie agierte, umso wütender wurde Vermouth. Jodie wurde immer noch vom FBI gesucht und auch wenn sie keine Familie mehr hatte, gab es trotzdem Menschen denen sie wichtig war.

Und was hatte Chris?

Nichts außer ihren Identitätswechsel.

All die Jahre strengte sie sich an die Nummer eins beim Boss zu sein. All ihre Privilegien hatte sie sich hart erarbeitet und war dabei über mehr Leichen gegangen als das es Nudeln in der Tüte gab. Doch egal was sie tat, es hatte nie ein Ende. Ihr Boss erinnerte sie zudem regelmäßig an seine Drohung. Macht sie einen Fehler, machst du einen Fehler.

Ihr Leben war von Jodies Handeln abhängig und langsam wurde sie es leid, immer wieder nach der Amerikanerin sehen zu müssen.

„Tut mir wirklich leid, Jodie“, sagte sie zu ihrem Spiegelbild. „Aber du hast, wie dein Vater, die falsche Seite gewählt und jetzt sichere ich mir mein Überleben“, fügte sie an und steckte ihre Waffe in die Jackeninnentasche.

Ein weiteres Mal beobachtete sie sich im Spiegel und zupfte an ihren Haaren. „The Show must go on“, sprach sie ruhig. „Showdown.“

Was wäre wenn...

Jodie lag in ihrem Bett und sah nach oben an die Decke. Aus dem Augenwinkel schielte sie allerdings andauernd zu ihrem Wecker auf dem Nachttisch. Sie hatte noch fünf Minuten ehe der schrille Ton erklingen würde und sie aufstehen musste. Jodie schloss die Augen und versuchte an etwas Anderes zu denken. Und kaum das sie langsam wieder wegdämmerte, klingelte der Wecker. Seufzend griff sie nach ihm und stellte ihn aus. Jodie setzte sich langsam auf, gähnte herzhaft und ging anschließend ins Badezimmer. Als sie mit dem Zähneputzen fertig war, begab sie sich wieder in ihr Zimmer und zog sich an. Das junge Mädchen betrachtete sich im Spiegel und kämmte ihr blondes Haar von einer Seite auf die Andere. Anschließend zupfte sie mit den Fingern an ihren Haaren herum. Warum konnte sie bloß nicht schwänzen?

„Jodie!“

Das Mädchen ließ den Kopf hängen, schnappte sich ihre Schultasche und ging aus ihrem Zimmer. Nur langsam schritt sie die Treppen nach unten.

„Jodie!“

„Ich bin nicht taub, Dad“, gab sie von sich und schlüpfte im Flur in ihre Schuhe. Sie nahm ihre Jacke vom Garderobenständer und sah ihren Vater an. „Kann ich heute nicht zu Hause bleiben?“

„Du weißt, dass das nicht geht“, antwortete der Agent ruhig.

Jodie seufzte theatralisch. „Aber die mögen mich alle nicht“, fing sie an. „Sie sehen immer nur die Tochter eines FBI Agenten in mir…und eine Petze.“

Der FBI Agent musterte seine Tochter. „Wir wissen beide, dass das nicht der Wahrheit entspricht. Und jetzt schau nicht so.“ Er strich ihr über die Wange. „Ab heute beginnt ein neues Schuljahr für dich. Du wirst sehen, es wird besser als das vorherige werden. Versprochen.“

„Schlimmer ist auch kaum möglich“, gab Jodie von sich und ging nach draußen. Auf das morgendliche Frühstück verzichtete sie immer häufiger und nutzte die Zeit zum längeren Schlafen. Ihr Vater war damit zwar nicht glücklich, folgte ihr aber kommentarlos zu seinem Wagen und öffnete die Tür.

„Kann ich nicht zu Fuß zur Schule gehen? Oder selber fahren? Ich hab doch auch dein Führerschein…“

„Ich bin nicht blöd, Jodie“, entgegnete Starling. „Und jetzt steig ein.“

Jodie nahm auf dem Beifahrersitz Platz. „Das ist so peinlich“, murmelte sie leise. „Alle anderen in der Schule haben schon ihren eigenen Wagen oder dürfen selbst auf dem Weg fahren…und ich werde noch von meinem Papa in die Schule gebracht. Kannst du mich nicht wenigstens zwei Straßen vorher raus lassen? Ich verspreche auch, dass ich wirklich in die Schule gehe. Du kannst meinen Lehrer McAllister anrufen, wenn du mir nicht glaubst.“

Agent Starling setzte sich auf den Fahrersitz, schnallte sich an und startete den Motor. Er sah nach vorne auf die Straße und rollte los. „Eine Straße vorher, ok?“

Jodie wirkte nicht glücklich.

„Ich kann mein Angebot auch zurückziehen.“

„Nein…ach Dad…“, sagte Jodie leise. „Na gut…eine Straße vorher.“

Agent Starling nickte und fuhr los.

„Vielleicht…könnte ich ja…die Schule wechseln?“, fragte Jodie leise nach.

„Jodie.“ Der Agent seufzte leise auf. „Das Thema hatten wir doch. Ein Schulwechsel kommt nicht in Frage. Du wirst in diesem Jahr bestimmt Freunde finden“, fügte er an. „Was ist denn mit dieser Amber? Sie hat dich doch in den Ferien besucht.“

„Ja, schon…und sie gehört zu den Coolen. Und ich…“, Jodie sah an sich runter. „Und wenn sie in der Schule so tut, als würde sie mich gar nicht kennen?“

„Dann lässt du sie auch links liegen. Jeder der nicht erkennt, was für ein großartiges Mädchen du bist, hat deine Freundschaft nicht verdient.“

„Das musst du sagen, weil du mein Vater bist“, gab sie trotzig von sich.

Agent Starling lachte und parkte den Wagen am Straßenrand. „Ganz genau der bin ich. Und jetzt raus mit dir.“

Jodie nickte. „Hab dich lieb, Daddy.“ Sie stieg aus dem Wagen und verabschiedete sich winkend von ihrem Vater. Etwa zwanzig Minuten vor dem Unterrichtsbeginn kam Jodie gedankenversunken in der Schule an. Als sie auf den Eingang zuging, spürte sie die vermeintlichen Blicke ihrer Mitschüler. Als sich Jodie umsah, waren alle Schüler in rege Unterhaltungen vertieft. Sie schüttelte den Kopf und versuchte sich ihre Unsicherheit nicht anmerken zu lassen.

Auf dem Weg zu ihrem Spind sah Jodie einen Jungen aus dem Sekretariat kommen. Er sah auf seinen Unterrichtsplan und anschließend zu einer Lehrerin. „Wie komme ich am besten zu den Räumen?“

„Sie müssen…“, begann Mrs. Cooper ehe sie Jodie erblickte. „Miss Starling, guten Morgen. Kommen Sie doch bitte zu uns.“

Jodie nickte und gesellte sich zu den Beiden. „Guten Morgen“, sagte sie ruhig. „Was gibt es denn?“

„Wir haben einen neuen Schüler.“ Mrs. Cooper wies auf Dai. „Das ist Mr. Dai Moroboshi. Er geht seit heute in ihren Jahrgang und ich glaube, Sie haben auch einige Fächer zusammen. Bitte zeigen Sie ihm doch die Schule und die Räumlichkeiten, ja? Ich verlasse mich auf Sie.“

„Ähm…“, murmelte Jodie und blickte zu Dai. „Ja…ist gut.“

„Danke.“ Dai sah sie an und wartete bis die Lehrerin wieder im Büro verschwunden war. „Entschuldige, dass sie dich dazu verdonnert hat.“

„Kein Problem“, antwortete Jodie. „Zeig mir mal deinen Stundenplan.“ Jodie nahm ihm diesen direkt aus der Hand. „Mhm…“

Dai sah ihr wartend zu.

„Du hast einen recht übersichtlichen Stundenplan. Mrs. Cooper hatte ihm übrigen recht. Wir haben ein paar Fächer zusammen. Hier, schau mal.“ Jodie hielt den Plan so, dass er mit rein sehen konnte. „In jedem Kasten steht ein Fach in seiner Abkürzung. HIS für Geschichte, CHEM für Chemie und so weiter. Direkt darunter findest du das Kürzel des Lehrers. McA steht beispielsweise für McAllister. Am schwarzen Brett unserer Schule, welcher direkt neben dem Sekretariat hängt, findest du alle Kürzel. Du kannst mich aber natürlich auch gerne fragen.“

Dai nickte verstehend.

„Unter dem Lehrerkürzel findest du den Raum. Im besten Fall hast du mindestens zehn Minuten für den Raumwechsel. Allerdings gibt es viele Lehrer, die die Hausaufgaben erst nach dem Klingeln bekannt geben und dann musst du hetzen. Besonders schlimm wird es, wenn alle Schüler gleichzeitig auf dem Flur den Raum wechseln wollen. Manchmal spürst du dann den einen oder anderen Ellbogen in der Seite. Und pass auf, dass du nicht hinfällst. Da achtet dann keiner mehr auf dich und wenn du Pech hast, trampelt dir der ein oder andere Mitschüler auf die Hand oder auf andere Stellen…“

„Das krieg ich schon hin“, antwortete Dai.

„Im Übrigen verzeihen es dir die Lehrer, wenn du in der ersten Woche noch zu spät kommst. Ab der zweiten Woche sind sie nicht mehr so gnädig mit dir. Die Pläne werden aber meistens so konzipiert, dass die Räume nah beieinander liegen. Manchmal musst du trotzdem laufen, zum Beispiel wenn du ein naturwissenschaftliches Fach hast. Die Räume dafür befinden sich in der ersten Etage.“

„Verstehe.“ Dai wirkte nachdenklich. „Laut Plan hab ich gleich Geschichte.“

Jodie nickte. „Ich auch. Schau mal, Mathe, Geschichte, Chemie und Sport haben wir zusammen. In deiner ersten Woche kann ich dich vor deinen Räumen abholen und zu den Richtigen bringen.“

„Macht dir das auch nichts aus? Nur weil du von Mrs. Cooper dazu verdonnert wurdest, musst du das nicht machen.“

„Ach was, das geht schon in Ordnung. Ich bin eigentlich immer recht schnell, wenn es darum geht von einem Raum in den Nächsten zu kommen.“

„Dann ist ja gut. Aber wenn du wegen mir zu spät kommst, lassen wir das.“

„Versprochen“, sagte Jodie. „Hast du schon einen Spind?“

„Ja, Nummer 332.“

„Gut, dann müssen wir in den westlichen Trakt gehen.“ Jodie sah auf die Uhr. „Und danach müssen wir in Raum 3-04. Das sollten wir schaffen. Dann folge mir mal.“ Jodie marschierte los. „Hier unten sind auch die Räume für Erdkunde, Geschichte und Mathe. Hast du schon deine Bücher bekommen?“

„Die soll ich in der Pause abholen.“

„Okay. Kriegen wir hin. Dann wollen wir mal den ersten Schultag im neuen Jahr überleben.“
 

Den ersten Schultag hatte Jodie ohne Komplikationen überstanden und verließ das Schulgebäude. Ihr neues Jahr hatte genau so angefangen wie das alte Jahr endete: Ohne Freunde. Aber vielleicht würde es mit Dai anders werden, auch wenn eine große Kluft zwischen Ihnen bestand. Immer wenn sie ihn den Mitschülern vorstellte, wurde er freudig in ihrer Mitte aufgenommen. Er – nicht sie. Dabei gehörte sie beinahe zum Schulinventar.

Jodie kniete sich nach unten und schnürte sich den offenen Schuh zu.

„Hey.“

Das Mädchen sah nach oben. „Oh, hey.“ Sie stand auf. „Und wie fandest du deinen ersten Schultag?“, wollte sie wissen.

„Hätte schlimmer ausgehen können“, antwortete der Junge und streckte sich.

„Ja, das kenn ich“, entgegnete Jodie ruhig. „An manchen Tagen fiebert man dem Schulschluss nur noch entgegen.“ Jodie sah sich irritiert um.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte Dai nach.

„Mhm…ja…klar…“

Der Junge hob die Augenbraue. „Du siehst aber nicht danach aus.“

„Eigentlich ist es nichts“, fing Jodie an. Sie zog ihr Handy aus der Tasche und strich über den Display. „Keine Nachricht“, murmelte Jodie. „Komisch…“

„Ist wirklich alles in Ordnung?“

„Moment“, sagte Jodie und wählte die Nummer ihres Vaters. Es meldete sich aber nur die Mailbox. „Hey Dad, ich bins. Du stehst nicht vor der Schule…ich werde jetzt nach Hause gehen. Bis gleich“, sprach sie und sah zu Dai. „Normalerweise holt mich mein Vater immer von der Schule ab.“

Dai sah sie fragend an.

„Nicht das was du denkst. Ich bin kein Papakind oder so. Mein Vater arbeitet….fürs FBI und er hat ein paar Feinde, deswegen bringt er mich immer zur Schule und holt mich auch ab.“

„Wurdest du denn schon einmal bedroht?“

„Nicht direkt“, fing Jodie an. „Ich wurde schon einmal vor der Schule beobachtet, aber ehe etwas Passieren konnte, griff das FBI ein. Seitdem ist alles ruhig, doch mein Vater macht sich ständig sorgen.“

„Verstehe“, kam es von Dai. „Soll ich dich nach Hause bringen?“

Jodie dachte kurz nach. „Nur wenn es kein Umweg für dich ist.“

„Ach was…dann seh ich mich hier etwas in der Nachbarschaft um.“ Dai lächelte. „Also? Wohin müssen wir?“

„Hier entlang“, sagte Jodie und machte sich auf den Weg. Als sie etwas mehr als eine halbe Stunde später vor ihrem Elternhaus stand, traute Jodie ihren Augen nicht. „Nein…“, wisperte sie leise.

Dai schluckte. „Verdammt“, murmelte er leise. Er zog sein Handy aus der Tasche und rief die Feuerwehr.

Die Flammen loderten überall.

„Nein, nein, nein….“
 

Jodie schreckte auf. Sie atmete schnell und war blass um die Nase.

„Alles in Ordnung?“, wollte Akai wissen und sah nach vorne auf die Straße.

Die junge Amerikanerin nickte. Sie sah wieder aus dem Fenster. „Ich bin wohl etwas eingedöst und hatte…einen komischen Traum.“

„Willst du mir davon erzählen?“, wollte der FBI Agent wissen.

„Das war so eine Art Was-wäre-wenn-Traum“, gab Jodie von sich. „Wir beide waren…ich glaube in den Staaten…ja, wir waren in den Staaten…und sind dort zur Schule gegangen. Es war der erste Tag nach den Sommerferien und du warst der Neue. Ich hab sogar von meinem Vater geträumt…er hatte zwar kein Gesicht, aber ich weiß, dass er es gewesen ist“, erzählte sie. „Weil er mich nach der Schule nicht abgeholt hat, hast du mich heimgebracht…und dort stand das Haus meiner Eltern in Flammen.“ Jodie schluckte. „Dann bin ich aufgewacht…aber ich hatte so ein mulmiges Gefühl gehabt.“

„Das war nur ein Traum“, sagte Akai. „Nicht die Wirklichkeit.“

„Ich…ich weiß“, murmelte Jodie. „Er…er war FBI Agent und…die Flammen…vielleicht war das ja so eine Art…Unterbewusstsein, das mir etwas sagen will…vielleicht…bin ich damals ja…tatsächlich entführt worden und hab dann alles…vergessen“

„Mhm…“, fing Akai an. „Das könnte natürlich sein, aber du solltest dich jetzt nicht fertig machen. Du warst damals noch ein Kind und hattest keine andere Wahl. Du musstest mit ihr gehen und irgendwann musstest du die ganzen Lügen glauben. Ich seh dir auch an, dass du nervös bist, es würde jeder verstehen, wenn du das Treffen absagen willst.“

Jodie schüttelte den Kopf. „Nein…keine Absage. Ich will endlich die Wahrheit wissen. Ich kann so nicht weiterleben.“

„In Ordnung.“ Akai lächelte und parkte den Wagen. „Wir sind da.“ Er stieg aus und sah zum Restaurant. „Bereit?“

Jodie atmete tief durch. „Bereit“, antwortete sie.

Interessiert beobachtete Agent Camel in seinem Wagen das geschehen und runzelte die Stirn. Das Treffen ist doch auf Morgen verschoben worden…, sagte er sich und zog das Handy heraus. Wenn ich Black jetzt anrufe, hält er mich für verrückt…vielleicht kundschaften die Beiden nur den Ort aus… Camel steckte das Handy wieder in die Tasche und wartete.

Flucht

Zusammen mit Jodie betrat der FBI Agent das Restaurant. Er sah sich im Raum um und runzelte die Stirn. „Black ist noch nicht da“, sprach er zu Jodie.

Jodie sah auf ihre Uhr am Handgelenk. „Wir haben ja noch ein paar Minuten“, murmelte sie sichtlich nervös. „Vielleicht braucht er noch etwas Zeit.“

„Kann sein“, gab Akai von sich. „Warte hier kurz“, fügte er hinzu und ging zu einem Kellner. „Ich habe einen Tisch für drei Personen reserviert. Der Name lautet Akai.“

„Einen Moment, bitte.“ Der Kellner ging an die Bar und blätterte im Reservierungsbuch. „Ah, da haben wir es ja“, murmelte er und ging zurück zu Akai. „Kommen Sie bitte mit.“

Shuichi winkte Jodie zu sich heran und folgte dem Kellner. Er setzte sich auf den Platz, von dem er am besten den Eingangsbereich beobachten konnte. Jodie setzte sich neben ihn.

„Möchten Sie bereits etwas zu Trinken bestellen?“

Akai sah Jodie an. „Wasser?“

Die junge Amerikanerin nickte.

„Bringen Sie uns bitte eine große Flasche Wasser und drei Gläser.“

„Selbstverständlich“, sagte der Kellner und ging.

Jodie blickte Akai an. „Jetzt werde ich immer nervöser, je später er kommt…“

„Mach dir nicht zu viel Sorgen“, entgegnete der FBI Agent. „Wenn du dich unwohl fühlst, können wir es immer noch abbrechen.“

Jodie schüttelte den Kopf. „Wie schon gesagt…ich zieh es jetzt durch“, sagte sie. „Wenn ich während des Treffens feststelle, dass es mir nicht gut geht, breche ich ab, okay?“

„In Ordnung“, nickte der FBI Agent. Wenige Minuten später betrat James Black das Restaurant und sah sich um. „Da ist er“, gab Akai von sich. Er stand auf und nickte seinem Vorgesetzten zu.

James ging zu den Beiden und musterte Jodie. „Oh mein Gott“, wisperte er. „Sie sehen…sehen…genau so…genau so aus wie…“ Er schluckte.

Jodie stand auf und reichte ihm die Hand. „Hallo, ich bin Jodie Saintemillion“, stellte sie sich gezwungenermaßen vor. „Ich hab gehört, Sie haben bereits ein Bild von mir gesehen?“

Der Agent nickte. „Das habe ich. Aber in Natura ist diese Ähnlichkeit…“, murmelte er. „Bitte Entschuldigen Sie, ich hab mich noch gar nicht richtig vorgestellt. Ich bin James Black, ich komme aus Colorado und bin für die ganze Operation verantwortlich. Agent…Dai hat die ganze Zeit in meinem Sinne gehandelt. Bitte setzen Sie sich doch wieder, meine Liebe.“

Die junge Amerikanerin nickte und setzte sich.

„Bitte haben Sie keine falsche Scheu. Ich glaube, Sie haben bestimmt viele Fragen an mich.“

Jodie nickte. „Ich würde gern wissen, was damals passiert ist“, begann sie. „Ich meine…wie kam es, dass ich entführt wurde und hier aufgewachsen bin?“

Der FBI Agent seufzte leise. „Sie kommen gleich zur Sache…das haben Sie von Ihrer Mutter“, sagte er. „Nun gut, dann versuche ich es verständlich zu erklären“, fing er an. „Ihr Vater wurde als Ryan Matthews zum Leibwächter der Schauspielerin Sharon Vineyard. Wir hatten bereits damals vermutet, dass sie einen hohen Stellenwert in der Organisation hat und haben Ihren Vater daraufhin mit diesem Auftrag betraut. Mittlerweile wissen wir auch, dass die Schauspielerin ein amouröses Verhältnis zu Ihrem Vater anstrebte und wütend über dessen Ablehnung war. Irgendwann hat sie Ihren Vater mit Ihnen und Ihrer Mutter gesehen und beschloss Rache zu nehmen. Sie stattete Ihrer Mutter in Verkleidung mehrere Besuche ab und fand so heraus, dass Ihr Vater für das FBI arbeitete. Zudem nutzte sie ihre Besuche um den Haustürschlüssel zu entwenden und nachzumachen. Damit war es für sie ein Einfaches an dem Tag ins Haus zu kommen. Es ist der Tag an dem Sie nun Ihren Geburtstag feiern“, erzählte er. „Ihre Eltern hatten keine Chance gegen sie...“, fügte er deprimiert hinzu.

Jodie schluckte. „Aber…aber warum hat sie…mich verschont und mitgenommen?“

„Die Schauspielerin wollte kein unschuldiges Kind umbringen. Aus diesem Grund hat sie Sie verschont und mitgenommen. Sobald Sie außer Reichweite waren, zündete sie das Haus an. Die Flammen loderten hell…und sie zerstörte alles, was man mit der Organisation in Verbindung bringen würde. Wahrscheinlich wollte sie durch die Flammen auch das Verbrechen an Ihren Eltern verschleiern. Wer weiß das schon genau…als ich ankam, war alles bereits viel zu spät gewesen. Aber es gab noch Hoffnung, denn die Spurensicherung fand nur zwei statt drei Leichen.“

Akai warf Jodie einen Blick zu.

„Schon gut“, murmelte sie leise und legte ihre Hand auf seine. „Ich brauch die Antworten.“ Sie sah wieder zu Black. „Wie ging es danach weiter?“

„Das FBI hat sehr lange nach Ihnen gesucht. Zuerst in New York, dann in ganz Amerika und letzten Endes im ganzen Land. Für das FBI gab es nur zwei Möglichkeiten. Entweder Sie wurden entführt und weggebracht oder sie wurden getötet und weggebracht.“

„Und jetzt wurde ich gefunden“, murmelte Jodie. „Beim Feind meines Vaters.“

James nickte. „Was natürlich für das FBI ein doppelter Tritt in den Hintern ist.“

„Ich verstehe“, sagte Jodie leise. „Es war also eigentlich nur ein Zufall, dass man mich jetzt in Japan gefunden hat…“

„Ja, es war zwar bekannt, dass die Schauspielerin auch in Japan aktiv war, aber dennoch war es nicht möglich Sie zu finden. Und als Dai anrief und das Treffen ausmachte, konnte ich nicht anders. Jodie, wenn Sie die Organisation verlassen wollen, werden wir Ihnen dabei helfen. Und wenn nicht…“

„Wenn nicht, erschießen Sie mich dann?“, fragte die Amerikanerin.

„Natürlich nicht.“

„Ich habe einige Sachen gemacht, die nicht zu verzeihen sind. Rein rechtlich gesehen, muss ich dafür bestraft werden.“

„Wir würden selbstverständlich einen Deal mit Ihnen aushandeln. Informationen gegen die Organisation und dafür erhalten Sie Ihre Freiheit.“

Jodie dachte nach.

„Lassen Sie sich ruhig Zeit mit der Entscheidung. So etwas trifft man nicht einfach so.“

„Dürfte ich noch ein paar Fragen stellen?“, kam es von Jodie.

„Natürlich.“

Jodie lächelte. „Warum hast du mich damals wirklich gerettet, Vermouth?“

Die Schauspielerin schmunzelte. „Ich habe gewusst, dass du mich trotz Verkleidung erkennen würdest.“

Akai verengte die Augen und fuhr mit der linken Hand in seine Jackentasche.

„Das würde ich an deiner Stelle lassen“, gab Vermouth von sich. „Natürlich habe ich vorgesorgt und meinen guten Freund Calvados mitgebracht. Wenn du es auch nur versuchst, wird er wahllos einen Gast umbringen.“

Shuichi zischte wütend und sah sich um.

„Ist das alles nur ein Spiel für dich?“, wollte Jodie wissen. „Du kommst hier her, setzt dich gemütlich zu uns an den Tisch und willst reden?“

Die Schauspielerin zuckte mit den Schultern. „Dir ist doch klar, dass du der Organisation nicht entkommen kannst. Und wenn du es doch versuchst, bringen wir dich um.“ Sie sah zu Akai. „Deinen Freund vom FBI natürlich auch.“ Sie kicherte. „Schon eine gewisse Ironie, dass wir beide auf FBI Agenten hereinfielen. Allerdings hatte ich den Mumm gehabt ihn zu töten.“

Jodie schluckte.

„Och bitte, Liebes, du hast doch die Geschichte gehört. Und dieses Mal habe ich dich nicht angelogen. Dein Vater hat sich tatsächlich als mein Leibwächter in mein Leben geschlichen. Weil er meine Avancen ablehnte, befeuerte mich dies umso mehr. Im Vergleich zu dir, habe ich allerdings sofort gehandelt und den Boss informiert.“

„Und deswegen meine Familie umgebracht“, wisperte sie.

„Er musste eben für seine Lügen büßen. Deine Mutter war ein Kollateralschaden.“

„Und ich? Warum hast du mich damals wirklich mitgenommen?“

„Auch das war die Wahrheit, Jodie. Du warst noch ein Kind, unschuldig. Und auch wenn ich es wollte, konnte ich dich damals nicht in den Flammen zurücklassen. Also hatte ich keine andere Möglichkeit und musste dich mitnehmen. Eigentlich wollte ich dich ein paar Tage später irgendwo am Straßenrand aussetzen, aber der Boss forderte deinen Tod. Und weil ich so ein Gutmensch bin, schlug ich vor, dass du für uns arbeiten könntest. Natürlich hat er dem sofort zugestimmt.“

„Aber…sie haben nach mir gesucht“, kam es von Jodie.

„Das haben sie. Sie haben jeden Stein nach dir umgedreht, aber wir waren natürlich besser und haben dich nach Japan gebracht. Es war ganz einfach.“

„Wie?“

„Du hast ein Beruhigungsmittel, eine schwarzer Perücke und Kontaktlinsen bekommen. Danach haben wir deine Leiche überführt und niemand hat etwas bemerkt. Mit der Zeit haben wir dir eingeredet, dass dich deine Eltern nicht haben wollten.“

„Aber…dann musste ich diese Aufträge machen, weil das Teil deiner Rache war?“

„Ich gebe zu, das war nicht so geplant“, entgegnete die Schauspielerin. „Der Boss hat die Entscheidung getroffen. Und seien wir mal ehrlich. Als Amerikanerin kannst du hier am besten deine Reize einsetzen.“

Jodie schluckte. „Ich dachte…wir wären so etwas wie Freundinnen…“

Vermouth verdrehte die Augen. „Och Gottchen“, fing sie an. „Am Anfang hatte ich Mitleid mit dir, auch als du die Aufträge bekommen hast. Aber weißt du, was mir geholfen hat, dich nicht zu mögen?“

Jodie sah sie stumm an.

„Dein Fehler wäre auch mein Fehler gewesen. Ich durfte andauernd hinter dir aufräumen. Du dachtest, dass du alle Aufträge gemeistert hast, aber in Wahrheit war ich dafür verantwortlich. Und wenn der Boss von deiner kleinen Liaison mit dem Agenten erfährt, tötet er auch mich. Daher musste ich euch zuvorkommen.“ Sie lächelte. „Und ich dachte, ich bin so nett und erzähle dir vorher die ganze Wahrheit“, fügte sie süffisant hinzu.

Shuichi sah sie ernst an. „Was ist mit meinem Boss?“

„Ach der? Das war einfach. Ich hab mich am Telefon als Du ausgegeben und das Treffen verschoben. Er hat nicht einmal daran gedacht, dass das eine Falle war.“

„Aber…“, gab Jodie leise von sich. „Wie hattest du davon erfahren? Ich hab extra bei dem Treffen mit Dai ein Störsignal dabei gehabt.“

Vermouth kicherte. „Ach du dummes Mädchen. Glaubst du wirklich, wir haben nur diese Methoden? Dein Handy und die Handys anderer Mitglieder haben eine bestimmte Software, die im Hintergrund alle Gespräche aufzeichnet. Auch die, die du führst, wenn du nicht telefonierst. Und sie hat noch einen weiteren Vorteil: Ein Störsignal kann ihr nichts anhaben.“

Jodie sah sie schockiert an. „Aber…aber…“

„Du hattest deine Chance gehabt deine Haut zu retten, Jodie, aber du hast leider versagt.“ Vermouth blickte zu Dai. „Hättest du ihn damals erschossen, hätte ich nie an deiner Loyalität gezweifelt. Jetzt ist es zu spät.“

„Und was hast du mit uns vor?“, wollte der FBI Agent wissen. „Weder du noch Calvados werdet uns hier erschießen. Für eure Verhältnisse wäre das doch zu auffällig.“

„Das stimmt. Spätestens wenn man euch identifiziert, werden Fragen aufkommen. Deswegen werdet ihr Beiden jetzt schön aufstehen und nach draußen gehen.“ Vermouth stand auf. „Oder soll ich ungemütlich werden?“

Jodie stand langsam auf. Shuichi tat es ihr gleich. Er suchte immer noch einen Ausweg.

„Und jetzt bitte raus. Ihr geht vor.“

Jodie sah wieder zu Shuichi. „Tu was sie sagt“, entgegnete der Agent und ging langsam aus dem Restaurant.

„So ist es brav“, gab Vermouth von sich.

„Du hast einen Fehler gemacht, Vermouth“, sagte Shuichi ruhig.

„Hm? Ach wirklich? Das seh ich nicht so.“

„Die Fenster des Restaurants befinden sich auf der anderen Seite. Dein Schütze müsste die Position wechseln und das ist mit einem Scharfschützengewehr so schnell nicht möglich.“ Er lächelte, drehte sich dann um und schlug der Schauspielerin mit der Faust ins Gesicht. „Normalerweise schlage ich keine Frauen, aber du siehst ja aus wie ein Mann“, fügte er hinzu. Shuichi nahm Jodies Hand und lief mit ihr zu seinem Wagen.

Sekunden später fing Vermouth an auf die beiden zu schießen und ihnen nachzulaufen.

Shuichi öffnete die Wagentür und stieg ein. Als Jodie neben ihm Platz nahm, fuhr er mit quietschenden Reifen los. Er sah zu ihr. „Alles in Ordnung? Bist du getroffen?“

„Nur ein Streifschuss“, murmelte Jodie und schnallte sich an. „Wo fahren wir hin?“

„Weg“, antwortete der Agent, aber die Schüsse ertönten immer noch. „Verdammt…die werden nicht Ruhe geben, bis sie uns haben“, murmelte er.

„Fahr an den Hafen“, gab Jodie von sich. „Sie haben dort…zwei Lagerräume, die unbewacht sind. Den Code…kennen nur höhere Mitglieder, aber ich hab ihn…mal mitbekommen. Wir können dort den Wagen wechseln und…bestimmt finden wir auch etwas, um unsere Identität zu verschleiern.“

Akai nickte. „Und sie werden nicht auf die Idee kommen, dass wir direkt in ihre Arme fahren“, sprach er.

„Du musst deinem Boss Bescheid geben“, kam es von Jodie. „Er muss ebenfalls verschwinden und vorsichtig sein.“

„Das mach ich gleich“, sagte Shuichi ruhig. „Seit zehn Minuten gaben sie keine Schüsse mehr auf uns ab.“

„Vielleicht haben sie uns verloren?“ Jodie sah nach hinten. „Niemand hinter uns.“

„Wir sollten trotzdem aufmerksam bleiben. Sie könnten uns trotzdem hier vermuten.“ Akai bog auf das Hafengelände. „Wo geht’s lang?“

„Du musst erst einmal gerade aus, dann an der zweiten Lagerhalle rechts und an der dritten Halle schließlich links.“

„In Ordnung.“ Akai sah besorgt zu ihr rüber. „Hältst du durch?“

„Klar“, antwortete Jodie.

Gerade als Shuichi abbiegen wollte, wurde er von einem Wagen gerammt. Er driftete nach hinten und nahm den Weg geradeaus. Es fielen weitere Schüsse. Einer traf den hinteren Reifen. Shuichi krallte seine Hände ans Lenkrad und versuchte das Auto unter seiner Kontrolle zu halten. Als der zweite Schuss in den Reifen abgefeuert wurde, wurde es immer schwerer für den Agenten. Irgendwann verlor er doch die Kontrolle.

Der Wagen überschlug sich.

Abschied

Irritiert hatte Andre Camel das Auftauchen seines Vorgesetzten im Restaurant beobachtet. Hatte er sich doch in dem Tag geirrt und das Treffen fand jetzt statt? Camel runzelte die Stirn und nahm sein Handy heraus. Er wählte die zuletzt eingegangene Nachricht und las sie sich durch. Es gab keinen Zweifel. Das Treffen wurde auf den morgigen Tag verschoben. Aber warum waren jetzt alle schon da?

Camel hatte ein ungutes Gefühl bei der Sache. In Amerika konnte er sich immer auf sein Bauchgefühl verlassen, aber seit er in Japan war, kam er sich wie ein Anfänger vor. Dennoch musste er erneut mit Black sprechen und wählte die Nummer seines Vorgesetzten. Nach einem kurzen Gespräch war beiden Agenten die Situation klar: Akai lief in eine Falle.

Sie mussten einen kühlen Kopf bewahren und einen günstigen Augenblick abwarten, um den Agenten aus dieser heiklen Situation zu retten. Zunächst wollte sich der echte James Black auf den Weg zum Restaurant machen und dann die Lage bewerten. In der Zwischenzeit sollte Camel das Geschehen weiterhin beobachten und Bericht erstatten, sobald es brenzlig wurde. Kaum dachte er an das Worst-Case-Szenario, kamen Akai und Jodie aus dem Restaurant. Hinter ihnen befand sich der falsche Black und innerhalb der nächsten Minuten wurde das Feuer auf das ungleiche Paar eröffnet. Ehe Camel reagieren konnte, liefen Akai und Jodie zum Wagen und fuhren mit quietschenden Reifen los. Der falsche Black hingegen zog sein Handy hervor, wählte eine Nummer und lief auf die Parkplätze zu. Er stieg in seinen Wagen und fuhr dem Agenten hinterher.

Camel startete ebenfalls den Motor und fuhr los. Er wählte die Nummer seines Vorgesetzten und steckte das Handy in die Freisprechanlage. „Camel hier“, fing er an. „Die Lage ist außer Kontrolle geraten. Agent Akai flieht mit der Frau. Ich fahre Ihnen hinterher und sammel Sie unterwegs auf.“
 

Wie in einem schlimmen Traum drehte sich der Wagen auf dem Asphalt und landete letzten Endes auf dem Dach. Der Airbag hatte die Beiden auf ihren Sitz gepresst und fiel Sekunden später in sich zusammen. Allein durch den Sicherheitsgurt hingen sie kopfüber auf ihren Plätzen.

Shuichi stöhnte leise auf. „Jodie…?“, fragte er und öffnete seine Augen.

Sie reagierte nicht.

Sein Kopf schmerzte und die Platzwunde am Hinterkopf hörte nicht auf zu bluten. Bis auf ein paar Schrammen im Gesicht und an den Händen sowie der Wunde am Hinterkopf, war er mit dem Schrecken davon gekommen. „Jodie…sag doch was…“, wisperte er leise. Langsam löste der Agent seinen Sicherheitsgurt und stützte sich mit den Armen ab, um aus der kopfüber hängenden Stellung zu kommen. Er musste unbedingt aus dem Wagen raus, Jodie retten und mit ihr verschwinden.

„Mhm…“

Akai sah zu Jodie. „Jodie? Hörst du mich?“, wollte er wissen.

„Mhm…“, stöhnte Jodie ein weiteres Mal. Sie öffnete langsam ihre Augen und brauchte einen Moment um die Situation zu erfassen. Nicht nur ihr Kopf, auch ihr gesamter Körper schmerzte. „Was…was ist…passiert?“

„Der Wagen hat sich überschlagen“, erklärte Akai. „Wir müssen hier raus. Wer weiß, wo sie gerade sind und wann sie…bei uns sind.“ Er sah zu ihr und atmete tief durch. „Kannst du deinen Gurt lösen? Du musst dich dann sehr schnell mit den Armen abstützen, damit du nicht nach vorne fällst. Falls du eine Gehirnerschütterung hast, wirst du einen Moment brauchen, damit die Übelkeit aufhört. Danach musst du so schnell wie es geht aus dem Wagen klettern.“

„Ich versuch es“, antwortete Jodie und löste langsam ihren Gurt. Sie stützte sich mit den Armen ab und kniete auf der Innenseite des Daches. Jodie atmete schwer und schloss die Augen.

Akai versuchte sich weiter zu orientieren. Die Karosserie seines Wagens war verbeult, die Türen teilweise eingedrückt und die Fenster gesplittert. Überall lag Glas herum, aber dies würde seine kleinste Sorge sein. Akai betätigte den Türgriff auf seiner Seite und sah zu, wie die Tür aufsprang. „Kannst du deine Tür öffnen?“, wollte der Agent wissen. „Jodie? Jetzt sag doch was.“

„Ich…arbeite…daran“, murmelte die Gefragte und betätigte langsam den Türgriff. Die Tür ging zwar auf, aber Jodies Kraft reichte nicht mehr aus, um diese gänzlich aufzudrücken.

Akai zwängte sich nach draußen und blieb auf allen Vieren. Er wischte sich das Blut, welches an seiner rechten Schläfe entlang lief, weg. Shuichi atmete tief durch und stand langsam auf. Er brauchte erneut einen Moment um sein Gleichgewicht zu finden und wischte sich anschließend den Schweiß von der Stirn. Augenblicklich waren wieder alle seine Sinne geweckt. Gefahr lag in der Luft. Akai sah sich unverzüglich um. Sie standen hier wie auf dem Präsentierteller und konnten aus jeder Richtung angegriffen werden. Befand sich der Schütze hingegen auf dem Dach, hätte ihr letztes Stündlein geschlagen. Sie konnten aber auch nicht einfach in eine Richtung laufen und auf ihr Glück setzen. Aber eines war klar: Sie mussten unbedingt verschwinden und verarztet werden.

„Jodie?“, fragte Akai leise und erhielt erneut keine Antwort. Er ging um den Wagen herum und kniete sich hin. „Jodie“, sagte er ihren Namen ein weiteres Mal und öffnete ihre Tür. „Jodie…was…?“

„Ich brauch…nur einen Moment“, gab sie leise von sich. „Tut mir leid…ich…“

„Dir muss nichts leidtun“, entgegnete er ruhig. „Versuch ganz langsam aus dem Wagen zu klettern. Geht das?“

„Ich…versuchs…“, murmelte sie.

Shuichi sah ihr zu. Er war froh, dass kein Öl aus dem Wagen auslief und damit die Wahrscheinlichkeit für ein Feuer gering gehalten wurde. Würde hingegen ein Schuss fallen, konnte er für nichts garantieren. Als Jodie endlich die Freiheit erlangte, half Akai ihr beim Aufrichten. „Geht’s?“

Sie nickte, obwohl es nicht der Wahrheit entsprach. Jodies Jacke war blutdurchtränkt und auch ihr Bein war in Mitleidenschaft gezogen worden. Ihre Schusswunde blutete weiterhin und die Kopfschmerzen wollten nicht aufhören.

„Gut“, gab Akai von sich und sah nach oben. Ob der Scharfschütze Calvados bereits auf einem der Dächer Position bezogen hatte? Oder hatten sie noch etwas Zeit? Akai brauchte einen Plan und das am besten schnell.

„Dai“, fing Jodie leise an. „Du musst…hier so schnell…wie möglich…weg…“, wisperte sie.

„Die Frage ist, welchen Weg wir am besten nehmen.“ Er sah nach hinten. „Die Schüsse kamen zwar von dort hinten, aber soweit ich das abschätzen kann, ist uns der Wagen nicht weiter gefolgt. Mir stellen sich zwei Fragen: Wo haben sie Stellung bezogen und waren sie zusammen im anderen Auto? Darum mache ich mir später Gedanken. Kommt dir hier etwas bekannt vor?“ Shuichi überlegte. „Ich frage mich, wie sie uns so schnell finden konnten. Eigentlich hatten wir sie abgehängt und trotzdem scheinen sie geahnt zu haben, dass wir hierher unterwegs sind.“

„Peilsender“, murmelte die Amerikanerin. „Entweder am Auto oder…sie hat ihn uns vorhin untergejubelt“, fügte sie hinzu. „Calvados ist ein exzellenter Schütze, aber er ist auf die Distanz spezialisiert“, erzählte sie. „Sie wird ihn auf dem Dach in Position gehen lassen.“ Jodie sah sich um. „An ihrem Lagerhaus werden sie uns…vielleicht erwarten. Am besten ist es, wenn du…wenn du die Wege zwischen den Lagerhäusern und Containern…nimmst. Geh nicht immer geradeaus…lauf Umwege, dann kommst du zur Straße.“

„Wir“, entgegnete Akai und legte seine Hände an ihre Schultern. „Du glaubst doch nicht, dass ich dich hier allein zurücklasse. Ich weiß, dass unsere Chancen sehr gering sind und je länger wir hier bleiben und nichts tun, desto schneller finden sie uns“, fügte der Agent hinzu. „Also? Wohin gehen wir?“

Jodie lächelte. „Dai“, sprach sie leise.

„Shuichi“, antwortete er. „Nenn mich, Shuichi.“

Sie nickte. „Ich…ich hab dich vorhin angelogen“, begann sie leise. „Die Kugel hat mich nicht nur gestreift…Ich bin dir jetzt…“

„Schh…“ Er legte seinen Zeigefinger auf ihre Lippen. „Das hab ich doch bemerkt“, fügte er hinzu und brachte sie mit einem Kuss zum Schweigen. Als er ihn wenige Sekunden später löste, strich er ihr über die Wange. „Ich lass dich sicher nicht zurück.“

„Du musst“, gab Jodie von sich. „Ansonsten überlebt keiner von uns. Dai…nein, Shuichi…du hast bessere Chancen als ich. Und…vielleicht schaffe ich es auch raus. Aber…dafür müssen wir uns für die Flucht trennen. Wenn wir unterschiedliche Richtungen einschlagen…“

Akai schluckte. Sagte sie ihm gerade Lebewohl? „Du versprichst mir, dass du nicht hier bleibst und dich opferst, ja? Ich will, dass du ebenfalls versuchst zu entkommen.“

Jodie nickte. „Natürlich“, fing sie an. „Ich nehme einen anderen Weg. Auch wenn meine Wunde schmerzt…ich werde mich in einem der Lagerhäuser verschanzen und dort warten, bis die Luft rein ist. Wenn ich…sicher bin, dass hier keiner mehr ist, melde ich mich bei dir. Ansonsten musst du morgen früh herkommen…dann beginnen wieder die Arbeiten und…sie werden nicht zuschlagen…“

„Warum habe ich nur das Gefühl, dass du mir gerade Lebewohl sagst?“, wollte er wissen.

Jodie schüttelte den Kopf. „Mach dir darum keine Sorgen…wir werden uns wiedersehen. Und jetzt geh. Sie werden bald hier sein.“

Shuichi löste sich von ihr. Er hatte kein gutes Gefühl bei der Sache, aber Jodie hatte Recht. Gingen sie zusammen, hatten sie keine Chance. „Ich tu das wirklich nicht gerne…“

„Ich weiß“, murmelte die Amerikanerin. „Geh jetzt…bitte…sonst…“

Der Agent machte ein paar Schritte nach hinten, dann lief er auf ein Lagerhaus zu. Ehe er in dem Gang zwischen den Häusern verschwand, blickte er sich zu Jodie um, lief dann aber weiter.

Sie humpelte vom Wagen weg. Die Anstrengung war ihr ins Gesicht geschrieben. Wenige Sekunden später wurde der Unfallort durch das Scheinwerferlicht eines anderen Fahrzeuges erhellt. Vermouth – die die Maske von James Black bereits entfernt hatte – stieg aus.

„Du bist hier ja ganz allein.“ Vermouth sah sich um.

Jodie schluckte. „Wenn…wenn du mich erschießen willst, dann tu es. Ich hab keine Angst.“

„Natürlich hast du keine Angst. Du bist schließlich bei uns aufgewachsen“, gab die Schauspielerin von sich. „Und wenn ich einen falschen Schritt mache, erschießt mich dann dein FBI Agent oder hat er dich hier allein gelassen?“

„Er wird…die Organisation vernichten. Du und die anderen…ihr werdet eure gerechte Strafe erhalten.“

Vermouth lachte. „Das hat bisher keiner geschafft. Warum glaubst du, dass ausgerechnet er es schaffen kann?“

Jodie machte einen Schritt nach hinten. Ein Schuss fiel. Sie taumelte und bemerkte das rote Mal an ihrem Brustbereich nicht. Sekunden später fiel der zweite Schuss und Jodie ging zu Boden.

„Sayonara.“
 

Als der erste Schuss fiel, blieb Akai stehen. Der Schuss hallte in seinem Kopf nach und seine Augen waren geweitet. Er machte sich sofort auf den Weg zurück. Als er dem Unfallort immer näher kam, wurde er langsamer. Auch wenn seine Sorge um Jodie groß war, musste er sich an den Feind heranpirschen und nicht überstürzt handeln.

Akai zog seine Waffe heraus. Der Lauf war durch den Unfall etwas gebogen, doch es stellte kein Problem dar, wenn er den neuen Flugwinkel der Kugel miteinkalkulierte. Dann würde seine Waffe ihren Dienst nicht versagen.

Für Shuichi verging eine gefühlte Ewigkeit, ehe er am Unfallort wieder ankam. Er drückte sich gegen die Wand des Lagerhauses und sah den beiden Frauen zu.

Der erste Schuss hatte Jodie verfehlt, dennoch verlor sie beinahe das Gleichgewicht und taumelte. Shuichi machte einen Schritt nach vorne, stoppte dann aber und hielt nach Calvados Ausschau. Dann sah er den roten Punkt auf Jodies Brust.

Calvados.

Akai biss sich auf die Unterlippe. Gerade als er seine letzten Reserven mobilisierte, fiel der zweite Schuss und Jodie ging zu Boden. Shuichi sah dem Szenario geschockt zu. Es lief wie in Zeitlupe ab und er hatte das Gefühl, sich nicht bewegen zu können.

Akai atmete schwer. Im nächsten Moment spürte er eine Hand auf seinem Mund und jemand schlug ihm in den Nacken. Er fühlte die Benommenheit, hielt sich aber noch auf den Beinen. Doch je mehr Zeit verstrich, desto schwerer wurde es für ihn und schließlich hatte er keine andere Wahl als nachzugeben.

Shuichi spürte, wie er vom Ort des Geschehens weggeschleift wurde. „N…nein…“, murmelte er. Er wurde auf die Rückbank eines fremden Wagens gelegt und realisierte erst dann, wer ihn soeben aus der misslichen Lage befreit hatte.

Ihn - nicht sie. Sie kümmerten sich nicht um Jodie. Sofort ergriff ihn die Angst, doch sein Körper hatte nicht mehr die Kraft um darauf zu reagieren. Er bewegte sich nicht. „Jo…jo…die…?“

James Black sah betroffen drein. Er schüttelte den Kopf. „Wir kamen zeitgleich mit Ihnen am Unfallort an und haben nur gesehen, wie Miss Sta…Saintemillion niedergeschossen wurde“, fing James an.

„Ein Eingreifen in dieser Lage wäre für uns kein Vorteil“, fügte Camel hinzu. „Wir…wir müssen der Wahrheit ins Auge sehen.“

Black sah auf den Boden. „Wir können leider nichts mehr für sie tun. Ich glaube nicht, dass sie…dass sie…“ Seine Stimme versagte, aber Akai wusste genau, wie der Satz enden sollte. …dass sie den Schusswechsel überlebt hat…

Shuichi schloss die Augen und schüttelte den Kopf. „Jo…die…“, sagte er noch ein letztes Mal, ehe er bewusstlos wurde.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Es ist geschehen! Erschütternde Erkenntnisse ist abgeschlossen. Ich hoffe, die Geschichte hat euch gefallen.
Aber keine Sorge, es geht weiter: Fremder Feind Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (16)
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Von:  Shu_Akai
2021-01-16T17:32:03+00:00 16.01.2021 18:32
Also das Jodie in der Wohnung von Vermouth ist, hätte ich jetzt nicht gedacht. Das Vermouth dann Jodie die Wohnung überlassen will, macht die das dann aus Nettigkeit oder mit Hintergedanken?
Ich weiß nicht, wer mir da mehr Angst macht, Jodie oder Vermouth, wenn die sich so gegenseitig ausfragen.
Aber ich musste so lachen, als du so die “Dreiecksbeziehung” rund um Vermouth beschrieben hattest.
Jodies Haltung gegenüber Dai hat sich deutlich verbessert. *grins*
Boah, Vermouth hat voll ins Schwarze getroffen. 😂😂
Sind Jodie und Dai jetzt eigentlich zusammen? *hoffen*
Wenn ich nicht wüsste, das Vermouth für die schwarze Organisation arbeitet, könnte man glatt meinen, das sich sich um Jodie sorgt und wie eine kleine Schwester behandelt.

Ich musste bei dem Wort “korpulent” lachen. 😅 Ich hätte jetzt nicht gedacht, das Agent Camel so schnell auffliegt, dann war er ja bei seiner Beschattung nicht gerade erfolgreich gewesen. *facepalm* erinnert mich komplett an DC. 😅
Okay, wie viele Männer hat Jodie um ihr Vermögen gebracht? 😱
Die Organisation dein Freund und Helfer. 😅
Irgendwie kann Camel einen leid tun.
Merkt man das nicht, wenn man eine Wanze untergeschoben bekommt?
Rotwein ist immer lecker. 😍😍
Naja die Beschattung müsste Jodie eigentlich nicht machen, oder?
Ach du scheisse, jetzt ist Shuichi wirklich aufgeflogen, das ist garnicht gut. 🙈



Von:  Shu_Akai
2020-10-25T13:24:29+00:00 25.10.2020 14:24
Hier nochmal omg. 😍😍😍😍 Meine Fantasie geht gerade mit mir so richtig durch. *kicher*
Aww, so süß, die passen wirklich gut zusammen, nur wie viel Shuichi das mit seinem Job als FBI Agent vereinbaren?
Du hast meine Hoffnungen komplett zerstört, das Shuichi und Jodie zusammen kommen. 😅
Also das mit dem Kaffee war richtig gut gewesen. 😂😂
So wie Jodie dann ihre Arbeit ausführt und vorbereitet, hat es doch dann auch was gutes.
„Stressabbau“ 😂😂 Der war gut.
Wie hat Shuichi so schnell bemerkt, das er verfolgt wird?
Es ist dann auch noch Agent Camel. 😂😂 Ich muss sagen, das er ja Glück gehabt hatte, das Shuichi nicht gleich abgedrückt hatte.
Wieso hat James denn nun Agent Camel dahin geschickt? Das ist wirklich komisch. 😓🤔🙈

Antwort von:  Varlet
29.12.2020 20:09
Danke für deinen Kommentar,
will ich wissen, was du dir vorstellst? *vorsichtshalber wegrück* :D nur nen Scherz.

Das ist die Frage, wie Shu es mit seiner Aufgabe vereinbaren wird. Es wird nicht einfach werden.
Stressabbau ist wichtig *nick* und wenn die beiden so den Stress abbauen, warum nicht :D

wenn Shu Black über Jodie erzählt hat, könnte James ja Sorge haben, dass Shu seiner Arbeit nicht mehr nachgehen kann. Daher schickte er Camel...mal sehn ob es dieses Mal besser ausgeht, als beim letzten Mal
Von:  Shu_Akai
2020-10-25T13:01:48+00:00 25.10.2020 14:01
Also wenn Dai sich so gut anstellt, dann sollte es für Jodie doch kein Probleme sein, es einfach zu akzeptieren, oder?
Wieso achtet Dai darauf, keine freundschaftliche Bande zu knüpfen, abgesehen davon, das er sie infiltriert hat? 😅
Also wenn Chris schon die Augen verdreht, dann muss Jodie ja oft von ihm gesprochen haben. 😂😂
Okay, so oft wie Dai nun getestet wurde, ist es doch gut für ihn.
😂😂 Ich musste gerade so lachen, als Chris gesagt hat, das Jodie mit ihm schlafen soll. War das ernst gemeint?
Jetzt bin ich gespannt, was Jodies Aufgaben in der Organisation sind.
Okay, jetzt will ich lieber nicht mehr wissen, wie Jodie der Organisation hilft. 😱😓
Ganz ehrlich, ich hab da schon Angst um Jodie bekommen.
😂😂 Oha. *freu* Der Retter in der Not! 😍😍 Yes, das ist mal eine coole Aktion von Shu. Er hätte ihm ruhig einen Kinnhaken geben können.
Ich musste gerade voll lachen, als Shuichi für Jodie gesprochen hat, das war so gut gewesen. 🤣🤣🤣
😂😂😂 Ich weiß jetzt nicht ob ich weinen oder lachen soll, wenn die Organisation so schnell die Verräter eliminiert, oder die die singen wollen.
Omg 😍😍😍😍😍😍😍😍 Das ist nicht dein Ernst? Du meinst an so einer geilen stelle einen fiesen Cliffhanger. 😓😭 Aber immerhin weiß Jodie jetzt, das Dai kein „Spion“ ist.
😍😍😍 Lass mich raten, die zwei haben die Nacht gut verbracht. *schwärm*
Antwort von:  Varlet
29.12.2020 20:07
Danke für deinen Kommentar,
naja wenn er sich mit jemanden aus der Orgi anfreunden würde, würde er ja nur schwer gegen die Person ermitteln können. Und vllt hätte er dann Mitleid oder würde - was ich nicht denke - die Beweise anders aussehen lassen.

Ja, das hat sie wohl. Jodie war ja oft bei ihm und hat ihn vielen Tests unterzogen. Aber die hat Shu ja mti Bravur bestanden. Klar hat Vermi das ernst gemeint *lach* Und ich kann Jodie auch raten, das sie es tut :D

Jodie fand seine Einmischung wohl nicht so gut. Aber damit muss sie leben .

Jep, du weißt doch, manchmal muss ich meine fiese Ader durch die Cliffhanger ausleben und so kann jeder sich selbst ausmalen was passiert. Vielleicht platzt auch jemand rein und Jodie und Shu müssen unterbrechen? Wer weiß, wer weiß...ach ja, das nächste Pitel weiß es :D:D
Von:  Shu_Akai
2020-10-22T22:43:04+00:00 23.10.2020 00:43
Ich muss sagen, von dem Kapitel bin ich richtiggehend baff.
Alleine wie Shuichi den Fall so schnell aufklären konnte und wie präzise er das gemacht hat. Ich ziehen meine imaginären Hut. 😅🙈
Auch finde ich es gelungen, wie du den Gefängnistransporter mit eingebaut hast. 👍
Also Inspektor Takagi kann sich von Shuichis Denkweise eine Scheibe abschneiden. *hust* Sagt die, die den Fall auch schwer fand. 😭😭 Aber so, wie Shuichi das erklärt hat, was es Hammer.
Und so kann man dann schneller als die anderen Gäste aus dem Anwesen verschwinden. 😂
Ich finde Inspektor Takagi müsste Shuichi so richtig dankbar sein. 😁💪
Okay, ich finde es gruselig, das die Organisation so schnell weiß, was sich da abgespielt hat.
Wie wird Shuichi denn belohnt werden?
Ich hätte schon gar nicht mehr daran gedacht, das sie Shuichi weiter abhören. 🙈😅

Antwort von:  Varlet
29.12.2020 20:04
Danke für deinen Kommentar,
Shu ist halt super. Der durchschaut gleich alles und er weiß auch immer, wann er wo ansetzen muss, um auf die Lösung zu kommen.

Ja, wobei ich auch nicht finde, dass Takagi so blöd ist. Der kann auch schon was, aber ist manchmal zu schüchtern für seinen Beruf. Ich glaube, Takagi ist ihm auch dankbar und Shu wird den Ruhm bestimmt der Polizei überlassen. Ansonsten würden sowohl er, als auch vllt die Orgi in den Medien auftauchen und das will ja keiner.

Die Orgi lässt halt nicht locker und Shu ist ja auch erst neu, da Vertrauen sie ihm noch nicht so schnell
Von:  Shu_Akai
2020-10-22T22:05:03+00:00 23.10.2020 00:05
Ich denke, das FBI hat Dais Identität gut durchdacht, oder?
Okay, wenn sogar die Polizei von denen Infiltriert ist, dann ist man ja gar nicht mehr sicher und dann weiß man ja auch nicht, wem man trauen kann. 😱
Oha, das die Gäste nicht komplett ausgerastet sind, ist ein wahres Wunder.
Tja, wenn die Polizei fragen stellt, müssen die sich ja auch mit Gegenfragen abfinden. 🤣
Seit wann vergleicht die Polizei die Gesichter?
*schwärm* *kreisch* Shuichi kann seine Hand auch auf meinen Kopf tun. 😍😍😍😍
Aww, wie süß, das Jodie dabei nicht rot wurde, ist schade. 😅
😂😂 Ich muss sagen, wie Shuichi seine Lüge in eine Wahrheit verpacken kann, ist schon amüsant.
Das war mal voll ins Schwarze getroffen, ich kann mir Inspektor Takagi wirklich so vorstellen. 😂😂
Alleine der Gedanke, einer Leiche noch eine Hand abzutrennen, ist geschmacklos und ein entstelltes Gesicht. Da haben die Gerichtsmediziner keinen schönen Anblick.
Ich finde es aber lustig, wie Shuichi einfach die Zügel in die Hand nimmt und Takagi nach seiner Pfeife tanzt, ohne das er es merkt. 🤣🤣
Okay, den Autounfall den es gegeben hatte, hatte ich voll vergessen. 🙊
Oha, wie wusste Shuichi, das Takagi ihn etwas verschweigen wollte?
Ja, der gute Inspektor Takagi weiß irgendwie nie, wann er den Mund halten soll. 😂😂
Ich blicke in dem Fall noch nicht mal durch und weiß nicht, wer der Mörder ist. 😓🤔
Aber ich finde es gut, das du in dem Kapitel ein Mordfall mit eingebaut hast. 🙌



Antwort von:  Varlet
29.12.2020 20:01
Danke für deinen Kommentar,
klar haben sie das. Aber wo Menschen arbeiten, da passieren auch Fehler, das ist einfach so. Es braucht nur eine Kleinigkeit sein.
Das ist halt alles gehobene gesellschaft, die rasten nicht so schnell aus *lach*
Seit die Polizei einen bestimmten Hinweis hat würde ich sagen.

Ja, ich fand die Szene auch so süß und hab echt überlegt, ob ich Jodie nicht rot lassen werde, aber ich habs dann sein lassen. Das wäre noch zu früh :D

Das stimmt, in der Gerichtsmedizin möchte ich auch nicht arbeiten. Wobei ich glaube, dass gerade solche Fälle bzw. Opfer eher selten sind und das eigentlich nur in Filmen, Büchern etc. dargestellt wird.

Jep, den Unfall gab es wirklich. Ich hab schon in dem Pitel vorher alles für den jetzigen Fall vorbereitet *gg* Ich glaubs onst wär ich auch zu spontan, wenn ich mir im Nachgang überlegen müsste, was ich alles Hinweis nehmen könnt.

Aber Shu wäre nicht Shu, wenn er nicht schon eine Idee hätte, was passiert ist. Die wird er uns auch sicher sehr bald präsentieren
Von:  Shu_Akai
2020-10-22T15:24:16+00:00 22.10.2020 17:24
Okay, also wenn das nicht in den Nachrichten gebracht wurde, hat dann die Organisation wirklich die Finger im Spiel.
Aber es waren doch nur Platzpatronen, wie kann es dann sein, das die auch gefährlich werden?
Naja, was tut man nicht alles, um einen Auftrag zu bekommen. ^^‘
Nein, ich würde es nicht großspurig nennen, sondern selbstbewusst. XD
Ich stelle es mir jetzt schon schwer vor, wie Shuichi das durchzieht. ^^’
Ui, ist Shuichi dabei sich in Jodie zu verlieben, oder ist es, das er wegen seinem Job an sie denkt?
Juhu, das Blue Parrot wird wohl zu Jodie Stammbar, oder? *freu*
Also war Vermouth Onbu in Verkleidung gewesen, krass. 🤣🤣
Okay, mit welchem Projektil wurde dann geschossen, wenn es nicht so auffallen wird?
Na gut, dann war es doch Chris gewesen, die Jodie angerufen hat. 😅
Wow, wie du auf das Wort ausgeschaltet kommst, ist klasse!
Das finde ich krass, das in Shuichi wirklich einer der besten.
Oh oh, wenn Jodie Lunte gerochen hat, wäre es nicht gut.
Sowas nennt man das wirklich Spontanität, wenn die Organisation so vorgeht.
Kommt Chris durch ihre Beziehungen in der Filmbranche an die Karte, oder durch die Kontakte durch die Organisation? 😅
Und kaum ist man auf so einer Veranstaltung, schon geschieht ein Mord. 🤣🤣
Und ich dachte ernsthaft, das die was damit zutun haben und testen wollen, wie er reagiert.
Wird das nicht auffällig, wenn Shuichi versucht, den Mordfall zu lösen?

Antwort von:  Varlet
29.12.2020 19:56
Danke für deinen Kommentar,
ja, die Orgi ist schuld *nick nick* egal was ist, es ist immer die Orgi :D

Wer weiß, was zwischen Shu und Jodie laufen wird, das musste schon selbst rausfinden. Ich musste das Blue Parrot einfach nehmen, weil es den DC Bezug hat und ich glaub Kogsi geht da auch oft einen heben oder?

Ja, Chris ist diejenige, die die Karten besorgt hat. Da hat wohl Jodie doch nen Riecher, dass Shu etwas zu verbegen hat.
Man könnte fast meinen, dass Shu auch so nen Pech hat, wie ein gewisser anderer DC-Chara. Aber so kann er mal zeigen, was er kann :D

Selbst wenn, ich denke, Shu kriegt dsa hin, sich da rauszureden
Von:  Shu_Akai
2020-10-22T14:00:10+00:00 22.10.2020 16:00
Jetzt weiß ich, wieso du bei der Überschrift ein Fragezeichen gesetzt hattest. ^^’
Oha, ich finde es schon eine lange Wartezeit, immerhin ist es ja was großes.
Die Organisation hatte ihn doch schon richtig durchgecheckt, oder?
🤣🤣🤣 Bei den Fischen schlafen. 🤣🤣 Ich musste gerade voll an den Film Der Pate denken.
Also wenn man jeden Auftrag bei einem Glas Alkohol bespricht, kann das doch auch gut sein.
Haha, sowas ist doch wirklich eine nette Geste von Jodie. Man könnte wirklich meinen, das Shuichi es schwer hat, sich wie sein Pseudonym Dai zu verhalten, oder kommt es mir nur so vor?
😂😂 Einen Absacker trinken, der war gut.
Was meinte Shuichi mit dem Satz “Nichts gegen dich”?
Erst nach 30 Minuten in den Fahrstuhl zu kommen, da muss die Schlange ja wirklich voll gewesen sein. 😱
Also ich glaube nicht, das Jodies Gesichtsausdruck gespielt ist.
Okay, wer hat Jodie jetzt angerufen? Bei Chris wäre sie ja nicht so an die Decke gegangen. 🙈
Wie bist du auf den Namen Hideaki Onbu gekommen?
War der Typ Calvados, der Shuichi den Koffer gegeben hat, oder irgendeiner aus der unteren Hierarchie? 😅
Wieso ist Jodie erst in Position 42?
Wer kommt schon auf die Idee Handschuhe mitzubringen, wenn es draußen nicht kalt ist?
Oha, wie schnell kann man ein Scharfschützengewehr an und abbauen, ohne das es auffällt? Aber hätte das Visier nicht geblendet, wenn die Sonne geschienen hätte?
Ist das Standard, das man dann gegen die Tür klopft, wenn der Auftrag fertig ist?
Wie kann man den merken, das da im Gewehr Platzpatronen gewesen sind?
Ich muss unbedingt weiterlesen. 😍😍
Antwort von:  Varlet
29.12.2020 19:50
Danke für deinen Kommentar,
findest du? Was ich so gelesen hab, ist das je nach Zeit sogar noch wenig :D

Ja, das haben sie, aber es kann ja immer etwas hinten runtergefallen sein und man sieht was nicht oder man erkennt einen Hinweis nicht als diesen an.

Ja, er hat es etwas schwer, immerhin ist es auch das erste Mal, dass er verdeckt ermittelt und dann auch noch unter einer anderen Identität.
Am Telefon war jemand von der Orgi :D
Auf den Namen bin ich spontan gekommen.
Ich fands lustig, dass Jodie die Nummer 42 im codierten Handy bekommen hat. 42 ist ja die Antwort auf alles *gg*

Shu k ann das schnell. Der macht das sicher auch, wenn man ihn nachts die Augen verbindet und weckt und trifft dann immer noch ins Ziel :D
Shu merkt alles. Er kennt sich da ja auch aus ^^
Von:  Shu_Akai
2020-10-21T19:35:39+00:00 21.10.2020 21:35
Ich finde es ja lustig, wie Jodie ihre Neugierde zeigt und wie du die Wohnung so schön beschreibst. Da fühlt man sich gleich mitten drin.
Okay, das stimmt, so wie Shuichi das sagt, ist da was wahres dran.
Oha, wie hat Shuichi so schnell ein Foto geschossen, ohne das es auffällig geworden ist?
Blöde Frage, aber schmeckt Sherry? 😅
Ich würde Jodie ja als nett bezeichnen, aber das die jetzt so loslegen kann, da sehe ich die nun in einem anderen Licht. 🙈
Ich weiß nicht wieso, aber ich musste lachen, als Jodie gesagt hatte, das alle eine regelte Arbeit nachgehen. Das hätte ich jetzt nicht gedacht.
*Hand heben* Die können mir auch ruhig eine Arbeit beschaffen. 🤣🤣
Also das sich jetzt sogar die schwarze Organisation an „Regeln“ hält, wenn man es so sagen kann, das verwundert mich jetzt.
Wäre das irgendwie nicht Bestechung, was die Organisation dann macht?
Wie hat Shuichi die Waffe bemerkt?
Ui, wie schnell Black auf eine Email reagiert, ich hätte jetzt eher damit gerechnet, das er auch per Email antwortet.
Und wie gut die Kommunikation abläuft, ich musste so lachen.
Wie kann das sein, das die Kontaktdaten im Handy chiffriert sind?
Okay, so Jodie so eine Freundschaft zu Jodie pflegt, finde ich aber schön, dafür das die nicht weiß, was damals wirklich passiert ist.
War der letzte Satz von Vermouth jetzt eine Drohung, oder ein Versprechen? Ich bin verwirrt, soll ich Vermouth nun Vermouth nennen, oder Chris? 🙈
Antwort von:  Varlet
29.12.2020 19:37
Danke für deinen Kommentar,
ich finde, Beschreibungen der Umgebung oder der Räume gehören einfach dazu. Wie soll man sich sonst vorstellen, wo jemand ist? Wenns natürlich direkt aus dem Anime / Manga übernommen wird, dann verzichte ich auch darauf, weil da weiß man ja wie es aussieht ^^

Shu schafft das. Der hatte sicher das Handy schon gezückt gemacht :D
Ich kann dir leider nicht sagen, ob Sherry schmeckt, ich hab noch keinen getrunken *lach*

Man darf natürlich nicht vergessen, dass Jodie in der Orgi aufwuchs, daher handelt sie auch anders als man denken würde.
Ich glaube nicht, dass du willst, dass dide Orgi dir eine Arbeit beschafft.

Wahrscheinlich halten sich nicht alle an die "Regeln". Und Gin erst Recht nicht, und wahrscheinlich dehnt Vermouth die Regeln auch immer aus, wie es ihr am besten passt :D

Wieso sollten die Nummern nicht chiffriert sein? Die gehen halta uf Nummer sicher, damit man nicht sofort entdeckt, wer geschrieben hat

Bei Vermouth ist alles möglich :D Du darfst sie nennen wie du willst, meinetwegen auch "du da" :D
Von:  Youdid
2020-01-06T06:19:40+00:00 06.01.2020 07:19
Ein großes Lob für Erschütternde Erkenntnisse. 😁 Mir hat die Story sehr gut gefallen. Ich fande die Abwechslung, dass Jodie in der Orga aufgewachsen ist sehr interessant.
Das "böse" Ende war eine echte Überraschung. Aber gerade das hat mir sehr gut gefallen. Es kann ja nicht immer ein Happy End geben. Ich bin schon auf deine nächste FF gespannt 😊
Antwort von:  Varlet
06.01.2020 19:19
Danke für deinen Kommentar.
Ich muss sagen, ich wollte auch immer eine Geschichte schreiben, wo mal Jodie "die Böse" ist. Und das Ende hatte ich schon im Kopf als ich die Geschichte anfing. Ich bin froh, dass es so geklappt hat, wie ich es vorhatte :D
Von:  Shu_Akai
2019-09-15T15:09:57+00:00 15.09.2019 17:09
*Winken* Hallo 👋, diesmal schaffe ich es wohl vor Dir, ein Kommentar zu hinterlassen. *grinsen*
Der Titel passt perfekt zum Kapitel und arme Akemi. 😭😭
Aber dagegen wehren kann sie sich ja nicht und weiß sie eigentlich, das Dai ihr Cousin ist?
Man könnte fast meinen, das Jodie genauso viel Einfluss hat wie Vermouth, oder?
😂😂 Immerhin hat Jodie versucht, Akemi abzulenken, das zeigt doch, das Jodie gar nicht so schlimm sein kann. *hoffen*
Also kann man sagen, hätte Akemi mit offenen Karten gespielt, denkt sie, das er von ihr Abstand genommen hätte? Nein, das glaube ich nicht. Immerhin hat er ein Auftrag auszuführen. 🙈
Obwohl die Geschwister einen großen Altersunterschied haben, sorgen sie sich umeinander 👍
😂😂 Die Organisation fängt an mir zu gefallen, besorgen die eigentlich jeden eine Wohnung, so wie Shiho? Oder machen die das nur bei höheren Mitgliedern? 😅
Aww süß! 😍😍 Mal schauen, was die Organisation dazu sagt, das Akemi ebenfalls nach Aomori will.
Dafür, das Akemi Dai alles erzählt, wirkt er aber sehr gefasst.
Wow! Ich bin baff, ich hätte jetzt nicht damit gerechnet, das Akemi ihm eine Wanze untergejubelt hat. Ganz ehrlich, wie hat sie das geschafft?
Also das die Organisation doch zustimmt, damit hätte ich jetzt wirklich nicht gerechnet. 😅
Autsch 😂😂 so eine Abweisung, muss für Akemi ziemlich hart sein, schließlich hat sie sich ja in ihn verliebt.
Lässt du Akemi auch töten, wie im Anime? *neugierig sein*
Den letzten den Dai gesagt hat, ist so süß. 😍😍😍 *schwärm*
Hat er ihr Liebesgeständnis eigentlich gehört und es ignoriert?
Omg. Ein richtiges aufeinandertreffen mit Jodie! Wie geht es weiter? Und was will Jodie mit Shu alles besprechen?
Wird Shu James Black Bescheid geben, wegen Jodie?
Ich freue mich schon auf das nächste Kapitel und wünsche dir einen schönen Sonntag.

LG

Shu_Akai 😁😊









Antwort von:  Varlet
15.09.2019 18:01
Danke für deinen Kommentar, habe mich sehr darüber gefreut.

Akemi weiß nicht, das Dai ihr Cousin ist. Ob sie sich mit dem Wissen dann in ihn verliebt hätte? Hm...wer weiß :D
Es sieht nur so aus, als hätte Jodie was zu sagen. In Wahrheit sieht das aber ganz anders aus.

Akemi weiß ja nicht, dass sie Akais Auftrag ist ;) Nein, ich werde Akemi nicht sterben lassen. Zumindest nicht, das ich wüsste. Aus dem Grund hab ich ja auch eingebaut, das sie mit Shiho erstmal weg geht :D

Akemi hat dihm die Wanze untergejubelt, als sie ihn umarmt hat. Aber das hat Akai natürlich durchschaut *gg* Akai ist halt super.

Ja, Dai hat das Liebesgeständnis gehört, aber ignoriert. So wars auch besser, sonst hätte sie sich noch geschämt oder wäre im Boden versunken.

Hm...was will Jodie von Shu?
Wir James erfahren, dass Jodie lebt?
Ist Jodie die Jodie, die James sucht?
Fragen über Fragen...aber es gibt ja noch das nächste Kapitel *kicher*
dir auch einen schönen Restsonntag und guten Start in die Woche


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