Zum Inhalt der Seite

Der Teufelsgeiger

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Prolog

"Und was willst du Punk für uns spielen? Schlagzeug? E-Bass? Vielleicht gleich Synthesizer?

"Violine."

"Ach ja?" Deutliche Überraschung stand in seinen Augen geschrieben.

Ich sagte nichts weiter, trat vor die Jury und öffnete den echtledernen Geigenkasten, der über die Jahre spröde geworden war. Meine Finger strichen über das Holz des Instrumentes und ich lächelte sanft. Dann hob ich sie nebst dem Bogen heraus.

"Das..!"

"Ja, das ist eine", meinte ich nur und setzte dann mein Kinn auf den Kinnhalter. Sie war bereits vom Einspielen gestimmt, dennoch strich ich über die Seiten und lauschte den Tönen. Sie zeichneten sich in den perfekten Farben ab. Rot, gelb, grün und hellgrün. G, d, a und e.

"Ich hoffe Mozart ist mehr in ihrem Sinn als Synthesizermusik." Ich grinste die Jury an und begann ohne ein weiteres Wort zu spielen.

Die Augen geschlossen, ließ ich meine Finger auf den Seiten tanzen, bis die Farben vor meinen Augenliedern tanzten und ich mich ihrem Klang ganz hingeben konnte.

Warm umhüllte mich das Rot der F-Dur-Klänge.

Als die letzten Töne der Sonate ausklangen, ließ ich die Augen geschlossen, bis die letzte Farbe verblühte und senkte erst dann mein Instrument.

Eigentlich wollte ich die Augen gar nicht wieder aufschlagen. Ich wollte weiter in meiner Musik versinken, aber immerhin war das hier eine Prüfung.

Die Männer vor mir sagten kein Wort

"Das war...wow…" Er schien nach Zustimmung unter seinen Nachbarn zu suchen und bekam diese auch mit leichten Nicken angedeutet. " Ich bin überrascht, dass Sie so gut sind. Es bewerben sich nur sehr wenige bei uns, die nicht bereits zuvor auf einer aufs Musische ausgelegten Schule waren. Sie haben eine staatliche besucht, wenn ich das den Unterlagen richtig entnehme und Ihre Noten in Musik sind nicht einmal herausragend. Trotzdem muss ich sagen, auch wenn es natürlich auch von den anderen Prüfungen abhängt, haben Sie wohl gute Chancen auf einen Platz an unserer Schule. Sie erhalten in den nächsten Wochen per Post die Zu- oder Absage, Abarai-san. Und was den Antrag auf ein Stipendium angeht, werde ich wohl meine Empfehlungen aussprechen. Auch wenn mich ein derartig kostbares Instrument dann ein wenig verwundert."

"Ich erhielt sie von meinem Lehrer, als er seinem Krebsleiden erlag, sie hat vor allem symbolischen Wert für mich. Und vielen Dank für ihre Empfehlungen."

Ich drehte mich bereits um, als ein Anderer das Wort erhob. "Abarai-san, haben Sie ein absolutes Gehör?"

Ich stoppte. "Ich höre Farben", erklärte ich dann und schmunzelte über die zu beobachtende Reaktion. "Synästhesie!", stieß einer der Männer sogar überrascht aus.

"Und, nur um ihr Bild über den Punk aufrecht zu erhalten." Ich legte noch einmal die Geige an und begann dann eine eher schrille, moderne Hip-Hop-Variation vorzuspielen. Die Farbformen waren viel rauer als die sanften Übergänge bei Mozart, aber für mich hatte diese Art Musik einen ganz anderen Reiz.

"Ich muss ja schließlich mein Image wahren, dass ich mir mit den Tattoos so mühevoll aufgebaut habe." Damit verstaute ich die Geige in dem weichen Futter, löste die Spannung des Bogens und verstaute ihn ebenfalls.

"Einen schönen Tag noch." Ich griff den Koffer und die Lederjacke und verließ dann den Raum. Vor der Tür warteten noch einige andere nervöse Seelen, in der Hoffnung einen Platz an der Shinōreijutsuin-Akademie für Musik zu bekommen und so irgendwann vielleicht zu den renommiertesten Musikern der Welt zu gehören.

Violett

"Renji, wo bleibst du denn? Die Pause ist ja schon fast wieder vorbei, Mann!"

"Sorry, Jungs, ihr kennt mich doch. Wenn ich anfange zu spielen, muss schon die Erde beben, damit ich wieder aufhöre."

"Es gab ein Erdbeben?", scherzte es aus dem hinteren Bereich des Probenraums von Grimmjow. "Hol deine Geige" - "Violine" - "…was auch immer, raus und lass uns anfangen." Er unterstützte seine Worte mit einem kleinen Schlagzeugsolo.

Ich grinste sie an, öffnete den Geigenkasten und nickte. "Von mir aus kann es los gehen."

"Wi…willst du dich nicht erst einspielen?", stotterte Izuru aus seiner Ecke. Er wirkte immer viel zu unschuldig, um mit uns zu spielen. Er schien soviel besser zu seiner klassischen Musik zu passen.

"Was glaubst du, was er die letzte halbe Stunde gemacht hat, 'zuru?" Das Quietschen, das von dem Blonden kam, ließ mich grinsen.

"Vergewaltige den Kleinen wann anders, Pedo!", kommentierte Grimmjow Gins Hand auf Izurus Hintern und ich musste  ihm zustimmen. Gin war der einzige von uns der schon im vierten Jahr war, aber er hatte von Anfang an ein Auge auf den blonden Jungen geworfen, der zwar ebenso wie Ichigo und ich dieses Halbjahr an die Schule gekommen war, aber trotzdem war das kleine Genie  noch 2 Jahre jünger als wir.

"Lasst uns einfach anfangen", beendete Ichigo es, bevor die beiden sich prügeln konnten, was schon oft genug passiert war.

Die Musik, die wir spielten, blitzte forsch und scharfkantig vor meinen Augen und doch glichen ihre Muster nicht denen der modernen Elektro- und Synthesizermusik. Es waren Schlieren von Violine, Flöte und Vibraphon, die der Musik ihre Sanftheit zurückgaben und ich musste zugeben, dass ich mich immer mehr dafür begeistern konnte, was wir hier taten, auch wenn ich auf Ichigos Vorschlag eine Band zu gründen, die Klassik und Moderne kombinierte, erst skeptisch reagiert hatte.

Und trotzdem war das Farbenbild nicht perfekt, es fehlte etwas. Und ohne Ichigos Stimme damit abwerten zu wollen - Er sang wirklich gut - wusste ich, dass es eine  andere Stimme war, die das Muster vervollständigen würde. Ein Sänger oder vielleicht eher eine Sängerin, wenn ich die Tonhöhen betrachtete, die zu fehlen schienen. Doch wie sehr ich auch meine Augen oder wohl eher Ohren offen hielt, schien keine Stimme in das Bild zu passen.
 

"Tschau, Leute, bis Donnerstag dann."

"Jo, bis dann, Grimm, viel Glück bei der Prüfung." Damit verschwand der blauhaarige Schlagzeuger und ich blieb mit meinen besten Freunden zurück. Shuuhei und Ichigo waren noch dabei die Noten einzusammeln, während ich meinen Bogen fettete und dann die Spannung löste.

"Er wird sowas von durchfallen", lachte der Orangehaarige dabei auf.

"Ohja, das wird er. Niemand ist besser am Schlagzeug als er, aber Musikgeschichte wird ihn noch umbringen."

"Er lernt ja auch nie." Ich verschloss den Geigenkasten und lachte mit den anderen beiden über unseren Kumpel, dann kam ich zum Klavier, hinter dem Ichigo wieder Platz genommen hatte. "Ich hab eine Freistunde, ihr?"

"Positiv", kam es von Shuuhei, der sich einen Stuhl heranzog. Ichigo war in fast allen meinen Kursen, so erübrigte sich meine Frage bei ihm.

"Ich hab gehört, du schreibst an einem neuen Song, Ichigo?"

"Ja, aber er ist für Ukitake-senseis Unterricht, also Klassik."

"Lass hören", forderten Shuuhei und ich unison und ich beobachtet, wie Ichigos Finger über die Tasten huschen. Es klang gut, was er spielte, das Orange war durchgehend warm und die Melodie floss dahin, bis plötzlich-

Ich zuckte und unterbrach Ichigo sofort. Er hatte sich nicht verspielt, diese ganze Passage brach mit der vorherigen Melodie und das auf eine furchtbare Art. "Das kannst du so nicht machen, Ichigo."

Sie sahen mich beide überrascht an. "Was kann er nicht machen?"

"Ja, was kann ich nicht machen?" Er hatte zu spielen gestoppt.

"Das so spielen."

"Es klang doch gut", beschwerte sich Shuuhei.

"Du brichst mit dem Cis alles auf. Hast du vor die Tonart zu wechseln?" Das war natürlich möglich, aber…

"Nein, wie kommst du darauf?"

"Spiel noch mal das letzte Stück." Er wiederholte es und wieder zuckte der grüne Blitz über meine Augenlieder. "Das meine ich. Nimm da das C."

Skeptisch spielte er es noch einmal und änderte den einen Ton und das ganze Stück stimmte wieder, das merkten auch die beiden anderen Jungs.

"Du hast recht." Er sah überrascht zu mir auf. "Wie machst du das, Renji? Ich meine, ich habe doch schon ein fast perfektes Gehör, aber du findest jedes Mal Fehler in meinen Stücken."

Ich zuckte die Schultern. Ich hatte ihnen nicht erzählt, dass ich Farben hörte und so sollte es auch bleiben.

"Manchmal glaube ich, du verschweigst uns was, Mann", beschwerte sich Shuuhei.

"So ein Unsinn, Jung-"

Agnus dei, qui tolis peccata mundi, miserere nobis.

Mein Kopf zuckte herum. Das Agnus dei klang aus einem benachbarten Raum herüber.

Violett. Völlig und durchgehend violett. So unglaublich klar, dass ich zuerst an meiner eigenen Wahrnehmung zweifelte.

Ich hatte noch nie so klares violett in einer Stimme gehört. Selbst die besten Sänger hatten leichte Verfärbungen in ihrer Stimme. Sie waren keine Seiten, die man perfekt stimmen konnte, doch diese Stimme schien genau das zu sein. Perfekt auf die Töne abgestimmt, die sie hervorbrachte. Es war als würden die Stimmbänder in all den Tönen nicht im Geringsten zittern.

Ich musste mich wie ein Zombie benehmen, als die Stimme ihre Bilder in meinen Verstand malte, aber noch nie hatte sich b-Moll so gut in meinen Ohren angehört.

"Renji, Mann, was ist denn los mit dir?" Erst die Hand meines Kumpels auf meiner Schulter hatte mich zurückgeholt. "Seit wann stehst du auf Klassik?"

"Das war perfekt! Ich habe noch nie jemanden so klar singen hören." Ich blickte zu den beiden zurück und konnte ihre Verwirrung nicht verstehen. "Die Stimmfarbe war so gleichmäßig. Ich habe noch nie so ein Violett gesehen!" Diese Stimme hatte mich völlig durcheinander gebracht.

"Renji, was laberst du da? Violett?"

"Ich glaube jetzt dreht er durch, Ichigo. Hey, Erde an Monsieur Teufelsgeiger. Was laberst du?"

Dann verstummte der letzte Ton im Nachbarraum und ich konnte mich zumindest etwas von der Farbe lösen. Zumindest genug, um zu realisieren, was ich den Jungs gerade erzählt hatte. Klasse, Renji, das hast du toll gemacht.

Ich seufzte und drehte mich zu ihnen um, wobei ich wohl relativ entschuldigend aussah. "Es nennt sich Synästhesie", erklärte ich dann, doch sie sahen mich völlig verständnislos an.

"Synäste-was? Ist das ne Krankheit oder so? Gehst du völlig ab, wenn du Bachs Agnus dei hörst oder sowas in der Art?" Shuuhei lachte über seinen eigenen Witz, wirkte aber doch besorgt, Ichigo ebenso.

"Nein." Ich musste auch etwas lachen, die Vorstellung war so absurd. "Es ist sozusagen eine Kopplung zweier Sinne aneinander. In meinem Fall Ohren und Augen. Einfach gesagt: Ich sehe die Töne, die ich höre als Farben vor mir."

Jetzt sahen sie mich zweifelnd an, anscheinend hin- und hergerissen, ob ich sie wirklich nicht mehr alle hatte oder ihnen die Wahrheit erzählte. "Wie, du siehst Töne?", fragte Ichigo.

"Es ist schwer zu erklären." Ich suchte nach einem anschaulichen Weg, kam ich doch nicht länger darum herum, es in Worte zu fassen. Dann ging ich zum Klavier. "Kommt mal mit." Ich war kaum in der Lage Klavier zu spielen, aber ich wusste zumindest, wo welcher Ton lag, also sollte ich es daran demonstrieren können.

"Erstmal ist davon zu unterscheiden, ob wir von Tönen oder Akkorden bzw. Tonleitern und Harmonien sprechen. Die Töne sind etwas unklarer, wenn sie in einer Harmonie zusammenstehen, aber als einzelne Töne sind C rot, Cis dunkelblau, D gelb, Dis magenta, E blassgrün, F dunkelrot, Fis hellblau, G orange, Gis pink, A hellgrün, Ais violett und H türkis." Ich spielte jeden Ton vor, während ich die Farbe vor meinen Augen benannte und dabei ab und an zögerte, weil mir die passende Farbe nicht einfallen wollte.

"Die Akkorde allerdings dem Quintenzirkel folgend, mit C-Dur begonnen rot, orange ,gelb, grün, weißlich blau, hellblau, blau, violett, lila, altrosa oder sowas, bräunlich und dunkelrot." Auch hier spielte ich so gut es ging die Akkorde, tat mich aber deutlich schwerer dabei.

"Er meint das ernst, oder?" Shuuhei sah Ichigo sprachlos an, der nickte nur.

"Das heißt, wenn ich irgendeine Taste spiele, kannst du mir nur an der Farbe sagen, um welchen Ton es sich handelt?"

Ich nickte: "Ja, das kann ich."

"Das will ich probieren." Er scheuchte mich zur Seite und ich folgte gehorsam. Dann würde er mir vielleicht glauben. Als er einen Ton anschlug, war es orange, das meine Augen sahen und ich musste darüber lächeln, weil es so gut zu seinen Haaren passte. "G", sagte ich dann. "Von der Tonhöhe wohl ein eingestrichenes."

"Unglaublich." Ein weiterer Ton. Gelb. "Ein D. Kontraoktave würde ich sagen."

"Das gibt's doch nicht!" Er spiele einen Akkord. Grün. "A-Dur."

"Shuuhei, hörst du das? Er kann sie tatsächlich erkennen! Welche Farbe hat Alle meine Entchen?" Wie um mir eine Chance zu geben es zu hören, spielte er tatsächlich dieses Kinderlied, doch ich antwortete sofort. "Es ist in C-Dur geschrieben, also hauptsächlich rot, aber bei so einfachen Melodien kommen die einzelnen Töne noch sehr leicht hervor."

"Hör auf dich so zu freuen, Ichigo, du kannst das doch auch erkennen ohne Farben zu sehen", erinnerte Shuuhei den Blonden an sein absolutes Gehör. Er schien mir nicht recht zu glauben.

"Ich kann nicht mehr tun, als es euch zu sagen. Ob ihr mir glaubt oder nicht, ist eure Sache."

Ichigo war hin und weg von dem Gedanken und ich war eigentlich doch ganz froh, es ihm jetzt endlich  erzählt zu haben.

"Sind dir so auch die Fehler in den Stücken aufgefallen?"

Ich nickte. "Das Stück vorhin war ganz in Orange, aber das Cis hat das Bild gestört. Wie ein grüner Blitz könnte man sagen."

"Das ist so cool. Wie klingt die Musik unserer Band?"

Das war eine schwierige Frage. "Das ist schwer zu beschreiben, Ichigo. Bunt, würde ich sagen. Kontrastreich. Die klassischen Elemente sind sehr sanft, aber die elektronische Musik macht das Ganze sehr grob in den eigentlichen Formen. Vielleicht kannst du es mit den Visualisierungen beim Windows Media Player vergleichen", versuchte ich es in Worte zu fassen.

"Das würde ich zu gerne einmal sehen! Gibt es so etwas wie perfekte Musik für dich? Eine die ein perfektes Bild erzeugt?"

Noch mehr schwere Fragen. "Definitionssache. Es gibt Musik, die es schafft ein beinahe konstantes Bild vor meinem inneren Auge aufzuzeigen. Ich finde das nicht besonders aufregend, aber du könntest es wohl perfekt nennen, wenn ein Lied das schafft."

"Verstehe. Du musst mir unbedingt mal beschreiben, wie es genau aussieht, wenn wir spielen."

Ich zögerte einen Moment, dann sprach ich es aus: "Unvollständig."

Wie vor den Kopf geschlagen sah er mich an. "Was, wieso das? Soll das heißen, sie sieht für dich nicht gut aus?" Wütend war er aufgestanden und hatte grob auf die Tastatur gefasst. Ein sehr unangenehmer Klang. Wahrscheinlich eine Art dreckiges Matschbraun.

"Es scheint ein Element zu fehlen, aber ich konnte bis jetzt noch keinen Finger darauf legen", beschwichtigte ich ihn schnell.

Er schien enttäuscht: "Heißt das, wir sind schlecht?"

"So ein Unsinn", mischte sich Shuuhei ein. "Wir klingen gut! Das sagen auch andere!" Er schien wütend über diese Aussage zu sein.

Ichigo sah mich dennoch fragend an.

"Shuuhei hat recht, es klingt gut. Das hat gar nichts damit zu tun. Auch unvollständige Bilder können enorm schön sein."

Er schien beruhigt und ich war froh darüber. Ichigo lag diese Band sehr am Herzen.

Dann wechselte Hisagi plötzlich das Thema. Ob er inzwischen überzeugt war oder nicht, konnte ich in seinem Blick nicht erkennen. "Und der Junge eben hat violett gesungen?", fragte er dann ernst und ich sah ihn überrascht an. Ein Junge? Das war doch eindeutig Sopranlage gewesen! "Was ist daran denn besonders? Wenn b…Moll? immer violett ist?"

Shuuheis Auffassungsvermögen war beeindruckend wie eh und je. "Das ist ganz leicht, wenn jemand singt, dann ist ein Ton nie so klar, wie wenn ihn ein Instrument spielt. Es ist ein bisschen als würde die Farbe zittern. Je nachdem, wie gut jemand ist, ist die Farbe manchmal auch ganz unsauber. Bei anderen wackeln nur die Ränder. Aber diese Töne waren alle völlig klar. So klar wie wenn Ichigo sie auf dem Klavier anschlägt. Sowas habe ich noch nie gehört."

Das schien ihm einzuleuchten, dennoch wirkte er noch immer etwas grimmig, als er nickte.

"Wichtiger, Shuuhei, du hast gesagt es war ein Junge, der das gesungen hat! Ein Contratenor? Weißt du, wer das war?" Ich musste diesen Jungen unbedingt kennenlernen!

"Natürlich weiß ich, wer das war, aber Renji, vergiss es! Das war Byakuya Kuchiki, der Star dieser Schule, wenn du so willst. Er ist ein Jahr über mir, aber der Name sagt dir doch bestimmt etwas." Der Name Kuchiki ließ bei mir wirklich die Glocken läuten.

"Kuchiki wie die Opernsänger?"

"Genau wie die. Das ist der  Familienerbe. Soujun Kuchiki war sein Vater, bevor er bei diesem tragischen Unfall umgekommen ist. Alle haben große Erwartungen in ihn gelegt. Er hatte sozusagen von Geburt an einen Platz an dieser Schule."

"Aber?" Mir war nicht so klar, warum er im Perfekt sprach.

"Aber… alle dachten er schmeißt es als Jugendlicher hin. Als Kind war er landesweit bekannt und hat in den größten Opern mitgesungen, aber als er aus den Kinderrollen herausgewachsen war, hat er alles geschmissen."

"Ich versteh nicht ganz. Er ist doch hier und er hat perfekt gesungen." Das war mir wirklich nicht klar.

"Dann kam der Unfall seiner Eltern", mischte Ichigo sich ein. Er lehnte über dem Klavier. "Die Medien haben sich gerade zu auf ihn gestürzt. Hast du nie die Klatschdokumentationen gesehen, die sich mit den Eskapaden seiner Teenagerzeit beschäftigt haben? Man könnte sagen, er ist ein richtiger Rebell. Nicht, dass man dem Schnösel davon heute noch etwas anmerken könnte."

Ich hatte nie viel mit Medien zu tun gehabt, da ich die meiste Zeit bei meinem Violinenlehrer zu Hause verbracht hatte und der nicht einmal einen Fernseher besaß. Entsprechend folgte ich ihren Erklärungen aufmerksam.

"Richtig. Dann verschwand er einfach wieder. Ein Jahr später hat er sein Debüt als Contratenor gemacht. Jetzt singt er seit Jahren in den Opern, in denen er als Kind gesungen hat, die Hauptrollen. Er war berühmt lange bevor er an die Schule kam, aber er ist das perfekte Aushängeschild für den Rektor. Entsprechend ist er ein reiner Einserschüler und hält uns alle für unter seiner Würde. Er ist sowieso fast nie hier. Nur zu den Prüfungen und ab und an mal für ein, zwei Unterrichtsstunden. Schlag es dir aus dem Kopf, auch nur mit ihm zu sprechen, geschweige denn irgendetwas anderes mit ihm zu tun, woran auch immer du da dachtest. Er wird nicht mit dir sprechen. Außer vielleicht du kommst seiner kleinen Schwester zu nahe, aber das hat noch niemand heil überstanden."

Ich hob eine Augenbraue. Heil überstanden?

"Es heißt, er verfällt dann zurück in das Ich seiner Jugendzeit."

Also war er doch nur ein Mensch. Dann sollte ihm auch mit sprechen beizukommen sein. "Ich muss dann los", meinte ich also und bemerkte den Blickwechsel hinter meinem Rücken nicht, als ich meinen Geigenkoffer griff.

"Renji, ich mein's ernst. Lass es bleiben. Was erhoffst du dir überhaupt?"

Aber ich antwortete nicht, sondern winkte nur noch zum Abschied, bevor ich den Raum verließ.

Die Stunde wäre gleich vorbei und dann würde ich ihn einfach ansprechen, doch überrascht stellte ich fest, dass er den Raum bereits verlassen hatte und von einer ganzen Gruppe Mädchen abgefangen wurde. Langsam näherte ich mich und hörte dabei Einiges mit.

"Das war so fantastisch." - "Du erreichst Töne, von denen ich nur träumen kann." - "Ich hab gehört, du kannst sogar die Königin der Nacht singen." - "Nur wegen dir hab ich angefangen in die Oper zu gehen." - "Ich möchte auch einmal so singen können." - "Du bekommst bestimmt wieder volle Punktzahl." - "Stimmt es, dass du schon Angebote aus anderen Ländern bekommen hast?" - "Oder dass du in einem Film mitmachen sollst?" Sie schienen sich beinahe in Ekstase zu reden und ich befürchtete schon, dass eine von ihnen gleich kollabieren würde. Der Mittelpunkt ihrer Gespräche schien aber mehr als nur entnervt.

"Ich muss jetzt gehen. Ich habe noch eine Probe." Er schob sich zwischen den Mädchen hindurch, nicht unbedingt sanft, aber keine schien es ihm übel zu nehmen. Sie schienen viel mehr froh, dass er sie berührt hatte. Als wäre er ein Popstar oder sowas.

Skeptisch folgte ich ihm mit dem Blick, bis ich beschloss zu ihm aufzuschließen. Die Mädchen waren zurückgeblieben und tuschelten angeregt. Ich konnte ihr Verhalten beinahe nachvollziehen, wenn ich an das violett dachte.

Ich holte ihn im Hauptflur ein. Er war ganz schön zart gebaut, bemerkte ich überrascht. Zart aber ziemlich groß und er hatte eine seltsame Art der Anmut an sich. Sein schwarzes Haar glänzte, seine Haut war hell und seine Augen waren, wenn ich es vorhin richtig erkannt hatte, extrem tief. Und wenn ich mich nicht irrte, waren unter dem dunklen Hemdstoff mehr Muskeln verborgen, als die wenig breiten Schultern vermuten ließen.

Was er auf jeden Fall hatte, war eine ganze Menge Arroganz. Dafür musste ich ihn nicht einmal ansprechen.

"Was willst du? Wenn dich deine Freundin verlassen hat, tut mir das sehr leid, ich kann daran aber auch nichts ändern, also verschwinde." Er sah mich nicht einmal an, aber seine Worte hätte wohl auch ein Blick nicht erklärt.

"Mich hat niemand verlassen", meinte ich deshalb ein wenig fragend.

"Was willst du dann? Ich hab keine Zeit, also raus mit der Sprache."

"Ich hab dich singen gehört-"

"Du und tausende Andere."

"Ich bin Synästhesist-"

"Dann geh und mal einen Regenbogen." Er ließ mich wieder nicht aussprechen.

"Jetzt lass mich doch mal ausreden! Ich habe noch nie jemanden so singen hören wie dich. Du hast jeden Ton so unglaublich… farbintensiv ausgedrückt!"

"Das ist mein Job. Ich brauche keine Komplimente."

Gott, wie konnte jemand so überheblich sein?

"Stimmt es, dass du die Königin der Nacht singen kannst?"

"Jeder kann die Königin der Nacht singen, wenn er genug übt."

Das nahm ich einfach mal als Ja.

"Ich will, dass du dich von mir begleiten lässt."

"Ich singe nur Klassik."

"Ich spiele Klassik." Ich deutete auf den Violinenkasten in meiner Hand. Den Teil mit der Band ließ ich mal unter den Tisch fallen. Einen Schritt nach dem nächsten.

"Vergiss es. Mach dir erst mal einen Namen." Wir hatten das Gebäude inzwischen verlassen und er eilte mit ebenso schnellen Schritten wie zuvor auf ein schwarzverspiegeltes Auto zu. Bevor es losfuhr, öffnete er noch das Fenster und sagte: "Wenn du es schaffst, dass ich deinen Namen oft genug höre, um ihn mir zu merken, überleg ich es mir noch einmal."

Scouts und gehaltene Versprechen

"Als Gruppe könnt ihr das vergessen. Aber ich will dich noch einmal hören… und dich, allein." Der Scout sprach mit einer routinierten Kälte in der Stimme und ich war erstaunt, als sich sein Finger auf mich richtete. Noch erstaunter war ich jedoch, als sich der Finger auf Kira richtete, und er selber schien noch um einiges überraschter.

"W…was?", stotterte er. Beinahe panisch sah er sich um und wie erwartet landeten die türkisenen Augen alsbald auf Gin. Manchmal war es wirklich niedlich ihn zu beobachten.

Der Weißhaarige kam zu dem Kleineren nach vorn und grinste dann ein wenig.

"Na los, Kleiner, ab mit dir." Die Hand des Silberhaarigen an seinem Hintern ließ den Blonden aufquietschen, aber er folgte trotzdem nicht sofort der Aufforderung. Das war überraschend. Normaler Weise genügte ein kleiner Schubs in die richtige Richtung von seinem -inzwischen war wohl Lover der angemessene Ausdruck- und Izuru würde augenblicklich folgen. Diesmal jedoch klammerte er sich an ihm fest. "A…aber, Gin…!"

"Ab mit dir, das ist deine Chance." Er schob ihn von sich. Sein Blick undeutbar wie eh und je. Manchmal fragte ich mich, ob wenigstens Kira seine Augenfarbe kannte…

Als dieser immer noch keine Anstalten machte sich zu bewegen, ging ich zu ihm und warf einen Arm um seine Schultern. "Na los, Wunderkind. Oder willst du, dass ich anfange?"

"N…nein", stotterte er wieder und sah mich aus großen Augen an. Anscheinend hatte er wirklich Angst nach mir zu spielen.

"Dann ab mit dir. Der Herr hat nicht ewig Zeit. Außerdem macht dir doch niemand etwas auf der Querflöte vor. Begeistere ihn, damit Gin stolz auf seinen kleinen Schützling sein kann."

"Wie alt bist du, Junge?", fragte der Scout dann, der das Schauspiel anscheinend gelangweilt beobachtet hatte.

"Se…sechzehn. Bald siebzehn", antwortete der Junge zögerlich, während er nach vorn trat, die Querflöte fest in der Hand haltend, vielleicht etwas fester als nötig.

Der Scout hob eine Augenbraue: "Das ist sehr jung. Wie kommt es, dass du bereits einen Abschluss hast?"

"Mhh… also… ich …ich habe zwei Jahre übersprungen… aber…. Musik war immer meine große Leidenschaft… also…"

"Ich verstehe. Spiel was immer du magst." Nachdenklich betrachtete er den Blonden vor sich, der zögernd die Flöte an die Lippen setzte. Kira war extrem gut auf allen Instrumenten, die er spielte, ob es nun die Trompete, die Klarinette oder das Saxophon war, aber ich hatte selten jemanden so wie ihn Querflöte spielen sehen. Das Instrument schien mit seinem Körper zu verschmelzen und die Töne, die er ihm entlockte, waren glasklar und so zart wie er selbst. Nur war er leider ebenso schüchtern wie er begabt war.

Ich trat ein Stück zurück, um ihn nicht noch mehr zu verunsichern, konnte jedoch sehen, dass seine Finger zitterten.

Hinter mir flüsterte Grimmjow Gin etwas zu. "Hey, sag mal, ist er mit seinem Mund auch so gut, wenn's zur Sache geht oder ziert er sich da?"

Gin trat ihm auf den Fuß und Grimmjow stieß einen schmerzverzerrten Laut aus, mit dem er Kira so sehr erschreckte, dass er stockte, bevor er überhaupt begonnen hatte.

"Er ist minderjährig, Grimmjow!"

"Ist ja gut, ist ja gut, musst ja nicht gleich nach mir treten."

Ich sah die beiden mahnend an. "Ihr verunsichert ihn nur, seid endlich still!"

Dann begann Izuru zu spielen und alle wurden automatisch still.

Ich schloss die Augen, während er spielte und malte mir die Bilder im Geiste aus. Es war enorm beruhigend ihn zu hören, doch dann unterbrach der Scout ihn plötzlich: "Von deinem Spiel her würde ich dich jeder Zeit zu der Show schicken, aber dein Selbstvertrauen ist das Problem. Wenn du jedes Mal zu zittern anfängst, weil hinter dir jemand steht, kann dich niemand brauchen. Änder etwas daran."

Er wandte sich kurzer Hand ab und sah mich an. "Jetzt du."

Ich fand es etwas harsch, wie er mit Kira umging und wollte mich gerade für ihn einsetzen, als der Kleine selbst mir zulächelte und ein leises Viel Glück aussprach. Anscheinend war er weniger empfindlich als ich erwartet hatte und so ließ ich es bleiben, hob Geige und Bogen und trat etwas vor. Da er mir ebenso wenig ein Genre nannte, setzte ich einfach an ohne mich für ein Stück zu entscheiden. Es ging um junge Talente, also warum Stücke von Männern spielen, die seit Jahrhunderten tot waren?

Es war mein eigenes Stück, dem ich mich mit jedem Ton mehr hingab. Ich stieg mit ihm in seine Höhe, fiel über die Dissonanzen und hob sie in sanften Bewegungen wieder an. Es war wie ein Tanz für mich. Wie der Tanz eines Raubvogels auf der Jagd nach Beute.

Er unterbrach mich nicht, ebenso wenig sprach er, als ich geendet hatte.

"Mann, Renji, was war das?!", brach Grimmjow dann die eiserne Stille. "Wo lernst du sowas?"

"Du bist wirklich ein Teufelsgeiger, Mann."

Ich lachte. "So ein Unsinn, Jungs."

"Hier", durchbrach der Scout mein herzliches Lachen und hielt mir einen Zettel hin. Sei pünktlich zum Soundcheck."

Er griff seinen Aktenkoffer und verließ den Raum. Ich starrte das Papier in meiner Hand nur an. Ichigo hatte vorgeschlagen mit der Band an dem Scouting teilzunehmen, das einem einen Platz bei der öffentlichen Show zum Semesterende besorgen konnte. An diesen Shows nahmen normaler Weise die Besten der Abschlussklassen teil. Es war ein Versuch dort Manager zu finden, die eine weitere Karriere möglich machen würden. Gin hatte von Anfang an angemerkt, dass wir keine Chance hatten, aber wir hatten mehr aus Spaß an der Freude trotzdem teilgenommen und jetzt hielt ich eines der so viel umkämpften Teilnehmerformulare in der Hand.

Auch wenn es noch nur um die Vorstellung zum Halbjahresende ging, war das doch der erste Schritt für die eigentliche Aufführung im Sommer.

Im Raum war es still geworden.

"Renji, du hast es geschafft!", rief Ichigo dann plötzlich.

"Das müssen wir feiern! Auf unsern Teufelsgeiger!"

"Und das als Erstsemestler, unglaublich."

Plötzlich waren sie alle wieder da. Kira warf sich vor Freude sogar um meinen Hals. Grimmjow brach mir beinahe die Schulter als er zuschlug und ich? Ich hatte es noch nicht so wirklich realisiert.
 

"Byakuya-nii-sama, ich möchte dir jemanden vorstellen."

Der Angesprochene drehte sich nur langsam um und ich hätte beinahe gelacht, als ich den unterschwelligen Hass in seinem Blick wahrnahm. "Rukia, du bist wieder da, wie schön."

"Das ist-"

Ich unterbrach sie: "Na, ist mein Name bekannt genug? Hast du ihn oft genug gehört, um ihn dir zu merken?"

"Abarai Renji", antwortete er langsam und noch immer so hochmütig wie bei unserem ersten Treffen. "Man nennt dich auch den Teufelsgeiger."

Zwischen uns baute sich eine Art Anspannung aus, die ich selber nicht genau erklären konnte, aber sie weckte ein Bedürfnis in mir, ihn zu besitzen.

"Rukia, Großvater hat mich gebeten, dich zu ihm zu schicken, wenn du wieder da bist." Er nahm die Augen nicht von mir, während er mit seiner Schwester sprach und noch bevor diese ihre Zweifel, die mit einem Aber begonnen hatten, aussprechen konnte, fügte er hinzu: "Ich werde mich solange um deinen Gast kümmern."
 

"Du willst also etwas von meiner Schwester? War das der Grund, warum du mich angesprochen hast?"

Sein Blick hatte sich verändert. Der Hass, der eben noch so unterschwellig gewesen war, brannte sich jetzt in mich und ich konnte nicht an mich halten vor Lachen. "Das ist also der Byakuya, vor dem sich alle so fürchten? Ich hab ihn mir bedrohlicher vorgestellt."

Urplötzlich lag eine Hand an meinem Kragen und er zog mich, obwohl er kleiner war, daran nach oben. Seine Kraft war beeindruckend und mein Grinsen verschwand von meinen Lippen.

"Beruhig dich, Mann, ich bin schwul." Beschwichtigend hob ich die Hände. "Sie hat mich nach der Show angesprochen und mir erzählt, dass du ihr Bruder bist und so etwas. Wir haben gemeinsam angestoßen. Als ich ihr gesagt habe, dass ich gerne mit dir sprechen würde, man dich ja aber nie erwischt, hat sie angeboten, mich mit hier her zu bringen."

Die Skepsis in seinen Augen, wandelte sich langsam wieder zu Zorn und der Stoff meines Hemdes ächzte etwas unter seinem Griff. Was war denn jetzt wieder los?

"Sie mag dich! Wehe du tust ihr weh!"

"Eben hast du mich noch dafür umbringen wollen, dass ich etwas von ihr wollen könnte und jetzt willst du, dass ich ihr nicht wehtue? Entscheide dich mal!"

"Ich will, dass es meiner Schwester gut geht. Wenn du sie berührst, werde ich dich erledigen, wenn du sie zum Weinen bringst, ebenso." Seine Drohung zischte er beinahe, bevor er mich losließ. Ich nahm es locker.

"Also um das Anfassen brauchst du dir echt keine Sorgen zu machen. Auch wenn ich blasse Haut und schwarze Haare in letzter Zeit extrem attraktiv finde." Ob er die Anspielung verstehen-

"Kein Interesse."

Wow, das war harsch.

Ich erholte mich schnell von dem Korb - eigentlich hatte ich ihn sowieso erwartet - und lächelte dann wieder.

"Da wir das jetzt geklärt haben. Du konntest dir meinen Namen merken."

Ich musste gar nicht weitersprechen. "Wir treffen uns am Dienstag, nach der 4. Stunde in Probenraum 3. Willst du etwas Bestimmtes?" Er sah mich ziemlich genervt und eher unwillig an. Ich war ein wenig überrascht. Anscheinend stand er zu seinem Wort.

Ich griff eilends in meine Tasche und zog die Notenblätter heraus. "Schau es dir mal an." Ich gab ihm die Blätter. "Sonst bleibt uns ja immer noch die Königin der Nacht." Ich lachte. Er nicht. Völlig ernsthaft betrachtete er die Noten, die ich auf dem Papier festgehalten hatte, doch bevor er etwas sagen konnte, kehrte Rukia zurück und beanspruchte meine Aufmerksamkeit für sich.

Schwules Tanzen und französisches Gebrabbel

„Ah, Re…renji.“ Seine Stimme schickte mir eine Gänsehaut den Rücken hinab. Sie war genau wie das b-Moll damals, klar und rein. Und das war nicht nur seine Stimme, auch sein Körper schien genau so klar zu sein, wie der Ton damals. Seine Haut war so zart, dass ich mich beinahe nicht traute ihn zu berühren, doch darunter konnte ich die Muskeln spüren, die ich zuvor nur erahnt hatte und die sich deutlich zeigten, als er sich mir jetzt entgegen streckte und die Finger in meine Schultern bohrte.

Sein Körper erbebte unter mir. Er spannte scheinbar jeden Muskel an und warf den Kopf in den Nacken, als er noch einmal laut aufstöhnte.

Und ich-

Schweißgebadet erwachte ich, mein Blick noch ganz verwaschen von der Erregung, die ich gerade gespürt hatte und die sich jetzt gerade wieder zurückzog.

Ich wischte mir über Stirn und Augen und seufzte laut.

Verdammt man, das konnte doch nicht wahr sein! Ich war doch nicht mehr in der Pubertät und hatte Sexfantasien über meinen Schwarm!

Doch meine Boxershorts erzählten da eine andere Geschichte und ich konnte nicht verleugnen, dass ich gerade von dem jungen Opernsänger geträumt hatte, von dem ich schon seit Wochen nicht mehr die Augen lassen konnte. Und das nicht einmal zum ersten Mal. Ehrlich gesagt häufte sich das in letzter Zeit viel zu sehr. Und das obwohl er mir deutlich gesagt hatte, dass er absolut kein Interesse an mir hatte.

DringDring, ging mein Wecker dann plötzlich neben meinem Ohr los und erschreckte mich halb zu Tode.

Richtig, ich hatte heute ja noch ein Treffen.
 

"Jo, Mann, schön, dass du da bist." Ich schlug mit Grimmjow ein und stieß dann Schulter gegen Schulter mit ihm zusammen. Ebenso begrüßte ich Hisagi und auch Ikkaku. Nnoitra war zumindest für den zweiten Teil einfach zu groß und so stießen nur unsere Fäuste gegeneinander. Seinen kleinen Freund kannte ich kaum, also lächelte ich ihm nur zu. Tesla war sein Name, oder? Ich musste immer an Physik denken, wenn ich ihn ansah. Das war doch eine komische Einheit, oder? Ach, war ja auch egal.

"Ich dachte, du wolltest jemanden mitbringen", merkte Hisagi dann an und sah sich fragend um, da ich allein gekommen war.

"Ja, er sagte, dass er selber hier herkommt, weil er noch zu tun hatte, aber er sollte bald hier sein."

"Es gibt noch andere Traceure in Karakura? Ich dachte wir hätten inzwischen alle zusammen", fragte Ikkaku dann. Da er nicht auf die Shino ging, hatte ich ihm noch nicht erzählen können, dass ich jemanden mitbringen würde. Allerdings wussten auch Grimm und Shu nur, dass ich jemanden mitbringen würde und nicht, wen. Was vermutlich auch besser so war. Mir würde sowieso keiner abkaufen, dass er Traceur war.

"Er ist ziemlich lange nicht mehr gelaufen", erklärte ich ausweichend.

"Und dann willst du ihn direkt auf ein Industriegelände lassen?" Hisagi sah mich skeptisch an.

Ich zuckte die Schultern. "Er meinte, dass er es sich zutraut." Das war immerhin das Wichtigste, auch wenn er kaum kräftig genug aussah, um auch nur irgendeine Wand hochzukommen. "Hast du die Strecke vorbereitet?", fragte ich und blickte zu dem kahlen Jungen vor mir, der dies hatte tun wollen - und besser nie erfahren würde, dass ich ihn im Geheimen so nannte, denn sonst würde er mehr als wütend werden.

"Klar, 10 Schleifen pro Farbe. Ich habe rot, gelb und violett. Nnoi wollte gerne mitmachen, ich hoffe das ist in Ordnung." Er hielt mir die drei farbigen Stoffstücke entgegen und ich griff das rote ebenso wie das violette. Von dem gelben ließ ich brav die Finger. Es war Nnoitras Farbe: "Klar, einer mehr oder weniger macht ja keinen Unterschied."

"Wow, das ist ja mal ein Auto", murmelte der kleine Begleiter von dem Mann, der nach dem gelben Band griff und folgte hinter mir auf der Straße einem Wagen mit den Augen. "Was macht denn so ein Auto in einer so heruntergekommenen Gegend?“

Und - ich ahnte es bereits, bevor ich mich umdrehte - der Aufmerksamkeitspool verschob sich augenblicklich, denn das Auto, eine schwarze Limousine mit abgedunkelten Fenstern, hielt direkt vor uns am Bordsteinrand.

Ich bemerkte, dass sich Nnois Blick deutlich verfinsterte.

Dann öffnete sich die Tür und ein junger Mann im schwarzen Anzug trat heraus. Er sagte gerade noch etwas, anscheinend zu dem Fahrer, dann richtete er sich auf und blickte die Gruppe skeptisch an, bis seine Augen an mir hängen blieben. „Ich bin hier, also bringen wir es zu Ende“, meinte der Neuankömmling nur und griff dann seine Krawatte und zog sie sich vom Hals: „Ich habe nachher noch einen Termin.“ Genauso zog er sich das Jackett aus und warf es auf seine Tasche am Boden. Dann knöpfte er sein Hemd auf. Einen Moment hielt ich den Atem an, doch darunter kam nicht Haut, sondern ein weißes Muskelshirt zum Vorschein.

Ich sagte gar nichts und auch sonst keiner, bis mich Grimm plötzlich an der Schulter packte: „Byakuya Kuchiki? Renji, was? Meinst du das ernst?“

„Ich… das ist schwer zu erklären… lass es ihn einfach versuchen, okay?“

Ich drehte mich wieder um und sah, dass Byakuya sich fingerlose Handschuhe überzog und die Haare zusammenband. „Also, wie läuft es ab?“

„Wir haben Bänder verteilt. 10 Stück.“ Dann streckte ich ihm die beiden verbliebenen Farben entgegen. „Nnoitra läuft noch mit.“ Ich deutete auf den Riesen hinter mir.

„Dann fangen wir doch an.“ Er streckte noch seine Schultern und blickte kühl wie immer zu uns hinüber, als er das violette Band aus meiner Hand zog.

Langsam nickte ich und blickte zu Nnoitra, der immer noch mehr als skeptisch wirkte: „Fangen wir an“, sagte auch er und machte sich dann auf zum Startpunkt vor der Mauer.

Ich wandte mich noch einmal an Byakuya: „Unser Deal steht?“

„Ich werde nicht verlieren.“ War seine Antwort, dann folgte er Nnoitra.

„Grimm, gibt’s du uns das Startsignal?“ Ich wandte mich noch einmal an den Blauhaarigen, der zwar unwillig aussah, aber zustimmte. Dann zog ich die fingerlosen Lederhandschuhe an und machte mich bereit zum Laufen.

Ein Pfiff und das Rennen begann. Die Mauer hoch und dann trennten sich unsere Wege. Ein jeder hatte seine eigene Strecke, aber jede war etwa gleich schwer.

Mich führte der Weg über einen Stahlträger, wo ich das erste rote Tuch griff und ohne Mühe auch die nächste Wand erreichte, daran empor kletterte und mich an der Dachkante nach obenzog. Über die Schräge hoch erreichte ich den Dachfirsten, der in einer ebenen Fläche mündete. Ich übersprang eine Lücke  zwischen zwei Gebäuden und griff dann nach dem zweiten Band. An einem Gittergerüst kletterte ich empor und dann seitlich daran weiter, um das dritte Band von den Metallstäben abzureißen. Irgendwo hinter dem Gitter sah ich Nnoi, der sich auf einem anderen Dach abrollte und ebenfalls ein weiteres Band griff, ließ mich davon aber nicht nervös machen.

Als ich mich nach dem nächsten Band umsah und es an einem weiteren Stahlgerüst entdeckte, zögerte ich. Von Gitter zu Gitter springen, konnte ziemlich unangenehm enden und ich wagte es einen Moment lang nicht. Aber meine Handschuhe sollten eigentlich genug Schutz bieten, beschloss ich und drückte mich hart von dem Turm ab und packte das Metall des zweiten Gitters, das trotz  der Handschuhen hart in meine Fingergelenke schnitt. Kurz verzog ich etwas das Gesicht, kletterte dann aber weiter empor.

Ich entdeckte den Schwarzhaarigen unter mir, der mich bei meinem Sprung beobachtet hatte nicht, kletterte an dem Gitter seitwärts und um die Ecke, wo ich Band 4 ablöste.

Über das Gitter weiterkletternd erreichte ich mühelos die nächste Ebene und lief weiter und rutschte dann die verglaste Fensterschräge hinunter. Am Boden rollte ich mich ab und stand dann wieder auf.

Das nächste rote Band entdeckte ich auf der anderen Seite einer metallenen Röhre und so lief ich mit flinken Schritten hinüber ohne auch nur einen Blick nach unten zu riskieren.

Auf der anderen Seite begegnete ich das erste Mal einem der anderen, denn direkt neben dem roten Band war ein violettes an eine Metallstange gebunden und Byakuya kam im selben Moment wie ich dort an, seine Finger waren aber weitaus flinker darin den Knoten zu lösen als meine eigenen.

Er sagte kein Wort, aber sein Blick lag dennoch auf mir und das wunderte mich etwas. Kurz dachte ich, dass seine Hand mich berühren würde, denn sie verharrte noch an der Stange, obwohl er das Band bereits fest hielt und ich blickte ihm in die Augen, doch da drehte er sich bereits um und lief in die Richtung davon, aus der ich gerade kam.

Er war flink und wirkte so leicht in seinen Bewegungen, dass ich den Blick nicht von ihm lassen konnte, während ich das Band ab knotete. Das war Nummer fünf. Es blieben also noch einmal genauso viele.

Ich kletterte wieder eine Wand empor, sammelte ein weiteres Band ein und kletterte dann an einem Geländer entlang zum nächsten Stück Stoff. Dann sprang ich von dort auf einen weiteren Vorsprung und lies mich an der Wand hinunter.

Ich blieb ein ganzes Stück Strecke einfach auf dem Boden, dann eine Treppe nach oben, wo ich noch ein Band ablöste und dann bis nach ganz oben aufs Dach lief.

Das vorvorletzte Band landete in meiner Hosentasche und jetzt ging mein Weg wieder abwärts zum Ziel. Nummer 9 riss ich von der Stange ab, indem ich die Wand empor lief ohne wirklich zu klettern. Es genügte und ich lief über das Dach auf das Ziel zu.

Ich sah mich nicht um, wo meine beiden Konkurrenten waren, sondern rutschte die Dachschräge hinunter, kam auf dem Boden auf und griff dort auch das letzte Band, das das Ziel markierte.

Die Jungs jubelten und schlugen mir auf die Schulter, dann streckte sich eine Hand neben mir aus und zarte Finger schlossen sich um den violetten Stoff. Er schwieg, als er den Knoten löste und sein Blick zeigte keine Emotion, als ich ihn ansah.

„Das war so schnell, Mann!“, rief Hisagi aus, anscheinend nicht nur beeindruckt von mir, sondern auch von dem bitter schauenden Jungen neben mir.

Ich wollte ihn gerade ansprechen, als mit einem dumpfen Laut auch der letzte Läufer aufkam. „Willst du mich verarschen, Ikkaku?!“

Ich blickte zu dem Glatzkopf hinüber, der sich ein Grinsen anscheinend kaum verkneifen konnte, als Nnoitra ihn so harsch anfuhr, und dann brach er einfach in Lachen aus. „Du musstest ja die gelben Bänder nehmen.“

„Du wusstest, dass ich die gelben Bänder nehmen würde!“, herrschte der Größte der Gruppe ihn daraufhin an.

Ich war etwas verwirrt von dem Gespräch, dann lachte Ikkaku erklärend: „Du hast dich wirklich genial zusammengefaltet. Und viel erstaunlicher: Du bist tatsächlich durchgekommen!“

Und dann musste ich auch lachen, denn ich wusste genau, von welcher Stelle des Geländes er sprach. Es gab ein Loch in einer Wand, durch das man sich kaum durchzwängen konnte, selbst wenn man nicht 2 Meter groß war, aber der Umweg war enorm lang, den es brauchte, um auf die andere Seite der Wand zu gelangen. Anscheinend hatte Ikkaku Nnoitra genau dort entlang gelenkt. Was enorm fies war, aber ich konnte es mir dennoch nicht verkneifen zu lachen, auch nicht, als der Verarschte begann den Missetäter zu verfolgen.

Und auch die anderen Jungen lachten mit mir, alle bis auf Byakuya.

„Ihr wusstet davon“, richtete sich Nnoitra dann aber anklagend an die ganze Gruppe und alle lachten noch lauter.

„Natürlich! Außer Tesla hätte da vermutlich keiner ohne Probleme durchkommen können. Der Anblick war zu genial.“ Grimmjow grinste. „Obwohl dein Gast auch ganz schön gelenkig ist, Renji.“

Dieser selbst war aber anscheinend nicht allzu erfreut über dieses Lob und reagierte nur mit seiner üblichen Kälte und Arroganz darauf.

„Und anscheinend muskulöser als er aussieht. Ich hätte nicht gedacht, dass er sich so mühelos an dem Vorsprung hochziehen würde.“

Nnoitra war zurückgekehrt, hielt Ikkaku aber im Schwitzkasten fest, während dieser sprach. „Ich meine schau ihn dir doch mal an, er ist so ein Spargeltarzan.“ Das war Nnoitra, der anscheinend auch mit angesehen hatte, wovon Ikkaku gerade sprach.

Ich bemerkte, dass Byakuyas Blick sich bei diesen Worten noch einmal deutlich verfinsterte und diesmal konnte ich das auch ziemlich gut nachvollziehen.

Doch ich konnte dem Schwarzhaarigen nicht meine Meinung sagen, denn stattdessen öffnete sein kleiner Begleiter den Mund: „Natürlich ist er das, Nnoitra. Erinnerst du dich nicht mehr an die Oper, die wir gesehen haben? Mit der Klasse? Er hat die Hauptrolle gespielt“ Doch bevor er genau erklären konnte, was in einer Oper singen mit Kraft zu tun hatte, unterbrach Nnoitra ihn mit gerunzelter Stirn. „Was für eine Oper?“ Und das brachte Tesla plötzlich völlig aus dem Konzept. „Letzten Monat, mit der Klasse. Du musstest dir doch extra noch ein Hemd besorgen, um nicht rausgeworfen zu werden“, wollte er seinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen und es war beinahe zu witzig, es zu beobachten, denn Nnoitra konnte sich anscheinend nicht im Geringsten daran erinnern.

„Ich wette, er ist eingeschlafen“, lachte Grimmjow laut auf und ich musste ebenfalls grinsen, weil es so wahrscheinlich war, dass es stimme, auch wenn ich Byakuya genau ansah, dass er das alles andere als witzig fand.

„Ach, du meinst dieses furchtbare Gejodele? Dieses französische Gebrabbel?“, schlug Nnoitra dann vor.

„Italienisch“, korrigierte ich ihn seufzend und konnte darüber nur den Kopf schütteln. Er war so unsensibel und ich mochte gar nicht mehr zu Byakuya blicken, den hier ein Seitenhieb nach dem anderen traf.

„J…jedenfalls“, versuchte der blonde Junge zu seinem eigentlichen Thema zurückzukommen: „Er hat auch getanzt und hat die Tänzerinnen scheinbar mühelos hochgehoben.“ Seine Augen strahlten sichtlich beeindruckt, vielleicht, weil mit seiner Größe etwas Derartiges unmöglich war, vielleicht auch wirklich darauf aus, Byakuya jetzt ein Kompliment zu machen, nachdem ihm soviele Beleidigungen zuteil geworden waren.

Nnoitra konnte sich einen weiteren dummen Spruch über die nun scheinbar geglätteten Wogen jedoch trotzdem nicht sparen. „Tanzen? Ballett oder was noch schwuleres?“

Es war Zufall, dass ich das leicht schmerzvolle Zucken bemerkte, dass durch Tesla ging und ich konnte mich dem Gedanken nicht verwehren, dass der Kleine doch mehr als ein Freund für unseren 2-Meter-Mann sein wollte. Vielleicht schloss ich aber auch zu schnell von mir auf andere, denn ich war immerhin ziemlich schwul und ging damit auch ziemlich offen um.

Nicht dass ich mir deshalb Nnoitras Worte zu Herzen genommen hätte. Anders als der zweite Schwarzhaarige, den ich eingeladen hatte, anscheinend. „Dann werde ich jetzt mal schwul tanzen gehen“, zischte er nämlich ziemlich kühl und blickte mich noch einmal kurz an, bevor er sein Hemd aufhob und es sich mitsamt Krawatte und Jackett über die Schulter legte: „Ich werde Montag da sein, wie versprochen.“ Diese Worte richteten sich an mich, bevor er sich von uns abwandte, um zu gehen.

„Jetzt hast du ihn verjagt, Tesla“, grinste der eigentlich schuldige Nnoitra, wobei er genau wusste, dass es natürlich seine Schuld war und nicht die seines Freundes.

Ich konnte darüber nur die Augen verdrehen und wollte noch einmal mit Byakuya  sprechen, doch der drehte sich von alleine noch einmal zu uns um und erklärte dann ziemlich gereizt: „Ehrlich gesagt, war er der einzige, von dem ich heute nicht beleidigt wurde.“ Und der anklagende Blick dabei galt auch mir.

Ich seufzte nur: „Hey, warte, Mann.“ Dann folgte ich dem seidigen schwarzen Haar, das hinter ihm her durch die Luft wehte.

Ich winkte den vier Zurückgelassenen noch über die Schulter zurück zu und bremste dann neben dem Ziel meiner Bestrebung ab. „Ignorier Nnoi, er kann überhaupt nicht freundlich mit irgendwem sprechen.“

„Das habe ich gemerkt.“ Dann schwieg er bereits wieder und zog ein ziemlich teuer aussehendes Smartphone aus der Jackettasche. Anscheinend hatte er nicht vor mit mir zu sprechen.

„Gehst du wirklich tanzen?“

„Wir haben noch eine Probe für unser französisches Gejodele, ja. Und da gehört das Frauen hochheben dazu und auch das tanzen.“ Ich bemerkte, dass er eine Beleidigung außenvorließ und konnte mir nicht verkneifen, mich zu fragen, wieso.

„Und was ist mit dem schwul?“, hakte ich deshalb nach, bevor ich mich zurückhalten konnte. Und jetzt stoppte er und senkte auch das Mobiltelefon wieder. Sein Blick war undeutbar, als er mich ansah: „Ich wollte dich nicht beleidigen“

Und das überraschte mich deutlich. Er wusste, dass ich schwul war, ja, das hatte ich ihm immerhin selbst gesagt, aber nach dem Korb damals hätte ich nicht damit gerechnet, dass er sich darum Sorgen machte.

„Oder dir andernfalls falsche Hoffnungen machen.“

Darüber musste ich grinsen und lachte sogar leicht. „So verzweifelt bin ich ja nun auch nicht.“ Auch wenn ich zugeben musste, dass ich ziemlich verzweifelt war, denn Sexfantasien über irgendwen hatte ich wirklich lange nicht mehr gehabt und genau die häuften sich in letzter Zeit ja etwas zu sehr.

„Dann ist ja gut. Hast du Lust es dir anzusehen?“ Ich blinzelte einige Male überrascht. Lud er mich gerade ein, ihn zu begleiten?

Und dann antwortete ich schnell, bevor er es sich anders überlegen konnte: „Nur wenn ich dich danach zum Essen einladen darf.“ Er erwiderte meine Geste, blinzelte und nickte dann langsam und das obwohl ich meine Absicht mit ihm zu flirten nicht verhehlt hatte.

„Gut“, stimmte er zu und ich erahnte sogar ein Lächeln auf seinen Lippen. Er deutete mit dem Kopf in Richtung Straße, wo das schwarzverglaste Auto bereits stand.

Eine Bühne für zwei

„Wir nehmen ihn mit“, erklärte er kurz, bevor er sich auf den Rücksitz schob und mich hinter sich herwinkte.

Ich war… überrascht… könnte man zumindest sagen. Meine Mutter fuhr einen alten Toyota Starlet und auch andere in meinem Freundeskreis fuhren entweder mit den Öffentlichen oder hatten irgendwelche alten Gebrauchtwagen, aber dieses Auto war anders. Mal von dem vermutlich erheblich höheren Preis abgesehen. Es war einfach enorm elegant und verdammt geräumig. Vermutlich genau das, was mein bei Byakuya Kuchiki erwarten sollte.

Ich zog die Tür hinter mir zu und schnallte mich an. Neben mir öffnete der Schwarzhaarige gerade seinen Zopf und fuhr mit den Fingern hindurch, um die Strähnen von einander zu trennen, obwohl sie gar nicht zusammenhingen. Es wirkte viel mehr als würden sie durch seine Finger fließen.

Dann betrachtete er zuerst das Hemd in seiner Hand und dann sein Muskelshirt, legte die Stirn in Falten und warf Hemd und Jackett zwischen uns auf den Sitz. Ich musste lachen: „Was war das denn?“

Überrascht blickte er mich an. „Was war was?“

„Hast du gerade ein Muskelshirt einem Hemd vorgezogen?“ Vorhin war das erste Mal, dass ich ihn überhaupt jemals ohne Hemd gesehen hatte und ich war davon ausgegangen, dass er ohne Hemd und Krawatte das Haus gar nicht erst verließ.

Einen Moment sah er immer noch verwirrt aus und ich machte mir bereits Gedanken, ob ich ihn gerade beleidigt hatte, als auch er lachte. „Ich muss mich zur Probe eh umziehen, also warum mich in dieses gesteifte Ding zwängen?“

Ich lächelte, weil er anscheinend wirklich viel weniger steif war als man dachte.

Dann hielt der Wagen bereits vor seinem Ziel. Mir war kaum aufgefallen, dass wir überhaupt losgefahren waren, aber anscheinend hatten wir einiges an Zeit tot geschlagen und ich war ehrlich gespannt auf das, was ich jetzt mit ansehen würde.

Ich kannte die Oper bisher ehrlich gesagt nur von außen, aber sie war genau, wie ich sie mir von diesem Anblick her vorgestellt hatte: Groß und pompös, rot und golden und… historisch zu irgendeiner Epoche gehörend, die viel zu viele verdrehte Ornamente benutzt hatte … und anscheinend auf Blumen stand.

Ich folgte Byakuya durch das Gebäude.

„Wir proben jetzt die ersten Male auf der großen Bühne mit dem neuen Stück. Heute geht es nur um eine Szene. Damit wir die Raumlinien kennenlernen und sich diejenigen, die es noch nicht gewohnt sind, an die Akustik des Orchesters gewöhnen können.“

Ich schloss zu ihm auf: „Was für ein Stück ist es denn?“

Er nannte mir den Titel, aber ehrlich gesagt konnte ich nicht das Geringste damit anfangen und hatte mehr aus Höflichkeit gefragt als aus wirklichem Interesse.

„Es ist tatsächlich hauptsächlich eine Ballettprobe heute.“

Wir verließen schon bald den Teil des Gebäudes, der für das Publikum zugänglich war, was ich daran merkte, dass der rote Teppich aufhörte und es immer weniger ausgeschmückt aussah. Aber es war enorm spannend all die Nebenbühnen und Umkleiden zu sehen.

Dann kamen wir an unserem Bestimmungsort an und ich blinzelte einige Male überrascht. Ich konnte in den Zuschauerraum blicken und das war das einzige, was mir verriet, wo wir wirklich waren. Für jemanden, der kaum oft genug vor der Bühne gesessen hatte, war der Anblick von hinter der Bühne noch überraschender. Es standen soviele Dinge überall herum, der Raum war so groß, Technik, Beleuchtung, anscheinend Requisiten und alles Mögliche, aber keine Menschen.

„Wir haben noch ein wenig Zeit“, erklärte er, nachdem er anscheinend meinem Blick gefolgt war. „Wenn du magst, zeig ich dir noch ein paar Sachen, bevor ich mich warm mache. Das Orchester sollte dann auch bald kommen, ich kann mir vorstellen, dass dich das vielleicht etwas mehr interessiert als ständig wiederholte Ballettszenen.“

Aber ich schüttelte nur den Kopf. „Ich find gerade das interessant, ehrlich gesagt. Wie es in einem Orchester abläuft, weiß ich, aber ich muss zugeben, dass ich mir nicht recht vorstellen kann, wie eine Ballettprobe aussieht.“

Er nickte. „Gut, dann werd ich mich kurz umziehen. Schau dich ruhig um, fass nur besser nichts an.“

Ich blickte ihm nach, wurde dann aber bald allein gelassen und beschloss mir die Bühne anzusehen. Sie war soviel größer als sie aussah, wenn man im Publikum saß, aber vielleicht lag es auch am fehlenden Vorhang.

Vorne an der Bühne ging ich in die Knie und berührte die Ausbuchtungen, in denen wohl früher Kerzen gestanden hatten, die Ausbuchtung für die Souffleuse.  Anscheinend war diese Oper tatsächlich schon sehr alt und ich ließ meinen Blick weitergleiten, in den Orchestergraben, geschützt durch ein dünnes Netz. Dann stand ich auf und sah die Treppen abwärts und ich war einfach beeindruckt davon, dass Byakuya es gewohnt war auf dieser Art von Bühnen zu stehen, vor all diesen Menschen zu singen, die sich über die Ränge und in den Logen erstreckten und so gar nicht nervös wurde. Es war soviel größer als alles, auf dem ich je aufgetreten war. Noch soviel größer als die Auftritte nach dem Scouting und Byakuya war auf dieser Bühne aufgewachsen und ich war mir sicher, dass alles, was er tat, perfekt sein musste, weil er an sich perfekt war.

„Okay“, hörte ich ihn dann hinter mir und ich drehte mich wieder zu ihm um.

Und…wow, das waren enge Klamotten. Schwarz schloss sich der Stoff der Leggins um seine Beine, ebenso schwarz ein Oberteil um seinen Oberkörper. Nur weiße Stulpen und Schuhe hoben sich von dem dunklen Outfit ab und ein weißer Schal, den er in der Hand hielt und mit den Schuhen auf einem Stuhl ablegte, bevor er barfuß weiter auf die Bühne trat.

Ich kam auf ihn zu und stellte dann eine Frage, die mir schon lange auf der Zunge lag: „Wie lange hast du das gelernt?“

„Ballett?“ Er blickte zu mir auf und bewegte dann die Schultern etwas, anscheinend um sich gleich warm zu machen. Ich nickte. „Gut 15 Jahre würd ich sagen.“ Und ich starrte ihn nur an. 15 Jahre? Er war 19, wenn ich mich nicht völlig irrte. 15 Jahre, das hieß, dass er mit 4 angefangen hatte, aber er hatte doch alles geschmissen zwischenzeitlich, wie jung sollte er denn damals gewesen sein? Oder war es ihm wortwörtlich in die Wiege gelegt worden?

„Hast du jemals getanzt?“

Ich blickte wieder zu ihm auf, machte er sich gerade warm? Es wirkte eher als ob er sich verbiegen wollte, aber wahrscheinlich streckte er nur seine Arme oder etwas in der Art. Ich folgte ihm mit dem Blick. Er hielt sich an einer Stange fest und begann dann damit, seine Füße in unterschiedliche Positionen zu bringen und dann in die Knie zu gehen? Oh man, vermutlich gab es da einen Namen für, aber ich hatte keine Ahnung davon.

„Nein, ich hab mal Basketball gespielt, aber nachdem ich Parkour für mich entdeckt hatte, hab ich nie wieder irgendetwas anderes ausprobiert, außer laufen, springen und klettern. Vielleicht noch Muskeltraining, aber tanzen, nein, weder Standard noch irgendetwas anderes. Ich muss sagen, ich fand es auch immer schwul.“

Er blickte mich überraschend an, was seltsam aussah, weil er, während er das tat, ein Bein auf die Stange gelegt hatte und sich darauf lehnte. Eine Position, die mir schon den Magen umdrehte, wenn ich nur daran dachte, mich selber darin zu befinden. „Aber du bist…“

Ich unterbrach ihn: „Klar, aber es geht darum, ob man sich so benimmt. Wenn ich sage, Balletttanzen war für mich immer schwul, dann heißt das viel mehr, dass es für mich bedeutet, seine Sexualität zur Schau zu stellen. Die negative Art schwul zu sein. Mehr so… naja, sowas in Richtung Schwuchtel oder Transe.“ Es war schwer so etwas einem Mann zu erklären, der den Sport machte, über den man solche Vorurteile hatte, aber er schien es nicht schlecht aufzunehmen. Er nickte es sogar ab, während er seine Beine weiter streckte.

„Und stimmt es? Sind Balletttänzer schwul?“, fragte ich nach, als ich mich zu ihm begab und mich auf die Stange lehnte.

„Nein, nicht mehr als Fußballer oder Basketballer oder Traceure auch.“

Dann nahm er den Fuß wieder auf den Boden herunter und bei der nächsten Übung wurde mir schon vom Zusehen schlecht. Von Grauen erfüllt sah ich mit an, wie er sich an der Stange hochzog, sich auf die Zehenspitzen stellte und genau diese dann immer abwechselnd abknickte.

„Oh Gott“, konnte ich mir nicht verkneifen und er sah mich überrascht an, dann blickte er an sich runter und lachte. „Alles eine Sache des Trainings.“ Und ich konnte mir nicht verkneifen darüber zu lächeln, einfach weil er so viel weniger steif sein konnte, freundlich, lustig und offen, wenn er denn wollte. Und es machte mich glücklich, dass er sich mir gegenüber so verhielt, weil es eine Vertrautheit widerspiegelte, die mich glücklich machte.

So in Gedanken beobachtete ich ihn einfach weiter bei seinen Übungen. Er streckte seine Beine, machte einige Schritte auf den Zehenspitzen und dehnte seine Muskeln, bis mich plötzlich eine Erkenntnis wie ein Schlag traf. „Warte mal, dann kannst du Spagat?“

„Klar“, meinte er, etwas überrascht von der plötzlichen Frage, aber sonst ganz entspannt, während er sich auf den Boden setzte und die Beine gespreizt durchstreckte, nur um dann seine Fußspannen zu greifen und sich daran nach vorne zu ziehen, bis er beinahe mit dem Oberkörper auf dem Boden lag.

„Drückst du mich nach vorne?“ Er deutete an, dass er meinte, dass ich seinen Oberkörper noch weiter zum Boden drücken sollte und zögerlich legte ich die Hände auf seine Schulterblätter, um genau diese Bitte zu erfüllen. Ich war ganz vorsichtig, aus Angst ihm wehzutun, aber ich stieß einfach nicht auf einen Widerstand, nicht bevor er mit dem Oberkörper völlig auf dem Boden ankam.  Ein Anblick, der ebenso seltsam wie beeindruckend war, weil er es so mühelos tat als gäbe es nichts Leichteres.

„Lass mich einfach noch etwas warm werden, dann zeig ich es dir.“

Er drückte sich gegen meine Hände zurück und ich gab etwas nach, bis er sich letztlich wieder aufsetzen konnte. Dann legte er noch einmal kurz den Kopf auf jedes Knie und stand dann auf.

„Tut es nicht weh?“, hakte ich nach und konnte einfach nicht glauben, dass es anders sein sollte oder überhaupt anders sein konnte.

Ich war nicht unbeweglich, wahrscheinlich sogar gelenkiger als die meisten anderen Jungen in meinem Alter, weil ich bei Parkour ja doch ab und an in die seltsamsten Positionen kam, aber meine Beine in einen 180° Winkel zu bringen, erschien mir einfach unmöglich. Auf keinen Fall machbar, egal wie viel Mühe ich mir gab, nicht ohne Schmerzen.

„Solang du es langsam angehst und dich vorher genug aufwärmst, nicht, nein, dann tut es nicht weh. Es zieht maximal ein bisschen.

Wie um mir den Wahrheitsgehalt seiner Worte zu beweisen, ließ er sich abwärts gleiten – wieder völlig mühelos –, bis seine Beine flach auf dem Boden aufkamen und er von dort unten zu mir aufsah.

„Das ist so krass“, murmelte ich kopfschüttelnd und konnte die Augen nicht von ihm lassen, auch nicht, als er sich schon wieder erhob. Er schien skeptisch über meine Worte, lächelte dann aber doch etwas dankbar, anscheinend nahm er es als Kompliment.

Dann probierte er sich wieder an einigen Schritten, die ich nicht benennen konnte und ich war wieder einfach nur beeindruckt davon.

„Ich hätte nicht gedacht, dass Ballett so gut aussehen könnte. Und gar nicht tuntig.“ Ich grinste ihn an und er verdrehte mit einem Lächeln die Augen: „Danke.“

Letztlich beendete er seine Übungen, diesmal anscheinend komplett, denn er richtete sich auf und sah mich an: „Probier es einmal aus.“

Überrascht blinzelte ich ihn an und wich dann erst einmal einen Schritt zurück: „W...wie? Ich meine, was?“ Er sprach doch nicht etwa von einem Spagat, oder? Das er schien mir nicht sonderlich reizvoll und auch dieses Fußding drehte mir schon beim Gedanken daran den Magen um.

„Na los.“ Er griff meine Hand und zog mich näher: „Zieh die Schuhe aus und dann probieren wir ein paar Sachen aus.“

Ich blickte eher verängstigt zu ihm, kniete mich aber langsam hin, um meine Schuhe zu öffnen: „Wovon genau sprechen wir?“ Auch meine Stimme zeigte, dass ich nicht allzu überzeugt von der Idee war und Byakuya lachte darüber, was ich ihm ehrlich gesagt doch etwas übel nahm, aber dann erklärte er sich selbst: „Ich wird dir nicht weh tun, versprochen. Ich zwinge dich weder in den Spagat noch in sonst irgendwelche Positionen, für die du nicht die entsprechende Übung hast. Und schon gar nicht auf Spitze.

Ich musste zugeben, dass ich erleichtert war und jetzt traute ich mich auch wieder aufzustehen. Mit dem Fuß kickte ich meine Schuhe zur Seite und lächelte aufmunternd. Wie schlimm konnte es schon werden?

„Gut, beim Ballett geht es ganz viel um Körperspannung und um Grundpositionen, aber wir versuchen uns einfach mal an einem Plié oder einem Grande Plié.“

Pli…je? Das war jetzt wirklich französisch, oder?

Da ich jedoch noch weniger Ahnung von französisch hatte als von Ballett allgemein, erwartete ich einfach weitere Erklärungen und Anweisungen, denn er würde schon wissen, wovon er sprach.

„Nimm die Hacken zusammen und dann musst du die Füße auf eine Linie bringen.“ Wie immer mühelos machte er mir vor, was er wollte, brachte die Füße in eine 180° Position und sah mich an.

Ich verzweifelte bereits daran. An sich war die Fußstellung kein Problem, aber mein Gleichgewichtssinn machte einfach nicht mit, er versagte einfach und wie ein betrunkener wedelte ich mit den Armen, weil ich weder stürzen noch die Füße anders stellen wollte.

Doch dann legten sich plötzlich schlanke Finger um meine Arme und stützten mich: „Du musst die Knie schon ein bisschen anwinkeln, wenn du sie durchstreckst, wirst du nur fallen.“

Und kaum hatte ich diesem Hinweis Folge geleistet, war es plötzlich ganz leicht.

Doch Byakuyas Hände verließen ihre Position nicht und das sendete eine wohlige Wärme über meinen Körper. Kurz schloss ich einfach die Augen und genoss es. Ich spürte seine Wärme in meinem Rücken, spürte seine Bewegungen und nahm sogar ganz leicht seinen Geruch wahr.

„Und jetzt gehst du langsam in die Knie.“ Er sprach leise als wäre er direkt an meinem Ohr, aber er sprach deutlich und er hielt meine Arme hoch, während er hinter mir anscheinend genau diese Bewegung vollführte, sodass ich ihr beinahe automatisch folgte. Es war ganz leicht, als hätte ich nie etwas anderes getan, aber das lag vermutlich allein an seiner Nähe und seiner Führung. Und so folgte ich ihm auch wieder nach oben.

„Genau so. Und jetzt noch einmal, aber tiefer.“

Wieder folgte ich einfach seiner Bewegung und glich ebenso mühelos wie zuvor auch jetzt mein Gleichgewicht aus. Nicht dass ich glaubte, dass das wirklich mein Verdienst war – Nein, ich war mir sicher, dass ich Ballett so ziemlich gar nicht beherrschte –, aber trotzdem wollte ich diesen Moment nicht enden lassen.

Aber genau das geschah, als wir wieder hochkamen. Viel zu schnell ließ er meine Arme los und trat von mir zurück. „Sehr gut.“

„Ich sah garantiert aus wie ein Sack voll Reis“, stellte ich augenverdrehend fest und grinste aber. „Ich fürchte für diesen Sport habe ich nicht die richtigen Voraussetzungen.“

Er ließ die Aussage unkommentiert im Raum stehen und ich drehte mich einfach zu ihm um: „Aber eine Sache würde ich trotzdem gerne probieren.“ Ich grinste ihn an. Es war eine spontane Idee, aber ich wollte sie wirklich gerne durchsetzen.

„Und was?“, hakte er nach, wahrscheinlich hatte auch er gemerkt, dass ich keine Ahnung von Ballett hatte und er schien meiner Idee eher etwas skeptisch gegenüber zu stehen.

„Na ja, wenn du mühelos die Tänzerinnen hochheben konntest, sollte ich dich jawohl auch hochheben können, oder?“

Er sah mich kurz überrascht an, lächelte dann aber und schüttelte den Kopf, bevor er einfach seufzte und dann nickte: „Na gut, du musst einfach meine Hüften greifen und mich hochheben, okay? Um den Rest kümmere ich mich.“ Er deutete an, wo genau ich meine Hände hinlegen sollte und ich vermutete mal, dass er mit "dem Rest" die benötigte Körperspannung meinte, aber ganz sicher war ich da nicht.

Er ging ein Stück zurück Richtung Wand und ich drehte mich ihm komplett entgegen und wartete ab. Ihn jetzt fallen zu lassen, wollte ich nicht riskieren. Immerhin waren wir uns ja gerade anscheinend näher gekommen.

"Bereit?" Er suchte meinen Blick und ich nickte.

Mit wenigen leichtfüßigen Schritten überwand er die Entfernung zwischen uns, dann sprang er ab und wie aus Reflex schlossen sich genau in diesem Moment meine Finger um seine Hüften. Es war leicht ihn hochzuheben, weil er sich ja selbst vom Boden abgedrückt hatte, aber umso schwerer ihn oben zu halten, als die Erdanziehungskraft ihn genau auf diesen zurückholen wollte. Aber er war mir genau dabei eine ziemliche Hilfe. Völlig steif hielt er sich über mir und blickte auf mein Gesicht, mit einem Lächeln auf den Lippen. Und ich erwiderte den Blick einfach, ebenfalls lächelnd und verlor mich selbst in den grauen Augen.

Bis plötzlich mein Arm dem Gewicht nachgab und ich ihn nicht mehr halten konnte.

Ich reagierte schnell und zog ihn dicht an meinen Körper, damit er nicht fallen konnte und dann war er plötzlich - noch halb über mir - mit seinem Gesicht direkt vor meinem, seine Lippen nur Zentimeter von meinen entfernt und sah mich an. Er wich mir nicht aus und für ein Moment war es als wäre die Welt um uns gestorben. Es gab nur uns beide und eine Anziehung zwischen uns die nichts mit der Schwerkraft zu tun hatte. Ich bewegte mich ihm nicht entgegen, stattdessen kam er mir aus eigenem Antrieb heraus plötzlich näher und ich konnte mein Glück gar nicht fassen, weil er-

"Byakuya!" Es war die tiefe Stimme eines Mannes, die uns unterbrach, bevor es überhaupt etwas zu unterbrechen hätte geben sollen, aber die Stimmung war augenblicklich ruiniert und Byakuya drückte sich von mir weg.

"Jii-sama." Er ließ mich stehen und trat an mir vorbei und auch ich drehte mich um. Sein Großvater?

Der Mann zwischen den Stuhlreihen war groß gewachsen, sein langes, ordentlich fallendes Haar und ebenso sein gleichmäßig gestutzter Bart waren vom Alter weiß gefärbte und doch hatte das Alter sonst anscheinend wenig Effekt auf ihn gehabt. Natürlich, seine Haut war gezeichnet von seinen Lebensjahren, aber er stand völlig aufrecht und er wirkte nicht weniger stolz als sein Enkel. Und nicht nur das ließ eine gewisse Ähnlichkeit erkennen - Von der Haltung als hätte er einen Stock verschluckt wollte ich gar nicht erst anfangen -, denn auch wenn sein Gesicht weniger feine Züge hat und sein Kinn breiter wirkte, waren es genau dieselben grauen Augen unter ernst zusammengezogenen Brauen und auch er hatte eine Eleganz und Leichtigkeit an sich, von der ich nur träumen konnte.

"Du hast es wieder getan, nicht wahr?!" Ich war überrascht davon, wie harsch seine Stimme war, als er mit seinem Onkel sprach. "Wie oft habe ich dir gesagt, dass du diesen Unfug lassen sollst?! Ich dachte du wärst vernünftig geworden! Wir stehen kurz vor einer Premiere, du kannst es dich nicht leisten, dich zu verletzen."

"Parkour ist nicht gefährlicher als Ballett solange man -" Doch dann schien er plötzlich seine Haltung zu ändern und nahm sich zurück. "Es tut mir leid, ich habe mich hinreißen lassen. Es wird nicht wieder vorkommen." Er senkte den Kopf und gab das erste Mal seit ich ihn kannte klein bei.

Vor Überraschung kam mir nicht mal in den Sinn, meinen Lieblingsport zu verteidigen und so stand ich schweigend daneben.

"Das will ich auch hoffen." Er kam noch einmal näher zur Bühne und sah mich dann direkt an: "Wer ist das?"

Und bevor ich den Mund aufmachen konnte, antwortete Byakuya bereits: "Ein Junge aus der Schule. Er hat sich für die Probe interessiert und ich habe ihn eingeladen zuzusehen. Er ist mit Rukia befreundet."

Der Blick der Mannes war so skeptisch, so abwertend, dass ich die Stirn beinahe kraus gezogen hätte, aber da war sein Interesse anscheinend schon wieder verloren gegangen. "Sorg nur dafür, dass er niemanden ablenkt."

"Natürlich, Jii-sama."

Und damit drehte der weißhaarige Mann uns bereits wieder den Rücken zu und wollte gehen, als ein junger Mann, vielleicht Mitte 20 auf ihn zu eilte. "Kuchiki-sama." Zu leise, um etwas zu verstehen, sprach er mit dem Mann, der anscheinend auch das Oberhaupt dieser Oper war. Und ich interessierte mich auch nicht dafür, sondern blickte zu Byakuya neben mir. Seine Haltung hatte sich noch einmal völlig verändert. Er hatte die ganze Zeit eine gewisse Steife beibehalten, aber jetzt war er wieder viel härter geworden, ernster und es war kein Lächeln mehr auf seinen Lippen zu sehen. Und das machte mich enorm unglücklich, wenn ich ehrlich war.

Als die beiden wieder auseinander gingen, war der Blick des Großvaters finster und er wendete sich direkt an Byakuya: „Einer der Solisten im Orchester fällt aus.“ Anscheinend ein ziemlich großes Problem, das einiges über den Haufen warf, denn die Gesichter waren düster und sehr angespannt. Und diese Anspannung ging auch auf Byakuya über.

„Kann nicht Tanaka-san für ihn einspringen?“, schlug der junge Mann vor, aber sein Vorgesetzter schüttelte sofort den Kopf.

„Yuge-san wäre vermutlich der Einzige, der es übernehmen könnte, aber auf ihn können wir ebenso wenig verzichten. Es sind einfach zu viele Violinensolos in diesem Stück. Wir können auf niemanden verzichten.

Und in dem Moment, in dem sich mein Gesicht verfinsterte, hellte sich das des jungen Opernsängers auf: „Haben wir noch eine Geige hier?“

„Nein, Bykakuya, nicht, ich-“

Ich spürte den skeptischen Blick auf mir liegen, als mich der ältere Mann musterte, dann aber bereits zustimmte: „Ja, haben wir. Spielt er Violine?“

„Ja, aber ich meine es ernst, ich bin kein Orchestermensch. Ich kann nicht gut vom Blatt spielen und…“

Ehrlich gesagt wollte ich nur lieber zusehen, was aber nicht hieß, dass meine Aussagen erlogen waren. Ich konnte nicht gut vom Blatt spielen, das war schon immer so. Früher hatte ich deshalb die Noten alle auswendig gelernt, heute improvisierte ich über die Noten, aber es fiel mir einfach schwer, mich sosehr an Andere anzupassen, wie es das Spielen in einer Gruppe erfordert hätte. „Ich denke wirklich nicht, dass ich das tun sollte.“

Ohne auf mich zu achten, schickte er das junge Orchestermitglied mit einer einfachen Handbewegung weg und sagte dann mehr zu Byakuya als wirklich zu mir: „Wir haben ja wohl keine Wahl.“



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Rege
2020-02-09T12:04:08+00:00 09.02.2020 13:04
Heya!
Eine so geniale Geschichte.
Farben zu sehen beim Spielen würde so vieles erleichtern!
Ich hasse es jedes mal meine Gitarre neu zu stimmen.
Aber es geht hier nicht darum, sondern um die Story.
Sie ist sehr schön geschrieben.
Es ist sogar die erste Bya|Ren die ich lesen mag.
Einfach weil sie so angenehm und sachlich ist.
Ich freue mich darauf, wenn es weitergeht!


Zurück