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Cursed or not

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Betrachtet die ersten beiden Kapitel als Vorgeschichte zur eigentlichen Haupthandlung.
Ich habe lange mit mir gehadert, diese Geschichte hochzuladen. Schreibt mir doch, ob es eine gute oder eine schlechte Idee war. Komplett anzeigen
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Song zum Kapitel: One More Light - Linkin Park

"You're worried about me after everything I've done?" Dean zu Castiel 11x01 Komplett anzeigen

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Verflucht - Ein Fall in Salem


 

Verflucht

Ein Fall in Salem

"Saving people, hunting things, the family business."

Dean
 

Massachusetts war kühl zu dieser Jahreszeit. Eine raue Brise fegte durch die Straßen Salems und zerrte an den letzten Blättern, die noch verzweifelt an ihren Bäumen festhielten. Doch früher oder später würden auch sie fallen. Ein Wind gemacht um Häuser errichtet aus Karten einstürzen zu lassen.
 

Die Luft schmeckte nach Salz, Meer und Weite. Das Aroma der See, ein Gruß des nahen Ozeans, herb und lockend zugleich. Ein Kontrast, eine Ambivalenz zum Grau der Stadt. Es roch nach nassem Laub und ein wenig nach Abgasen. Die Frische des letzten Regens schon fast wieder verflogen, gerade noch spürbar wie eine langsam verblassende Erinnerung.
 

Das tief blecherne Röhren eines veralteten Motors zerriss die trügerische Ruhe dieses Spätnachmittags. Ein Echo längst vergangener Zeit. Die kleinen Steine auf dem bröckligen Asphalt knirschten, während der Wagen am Straßenrand hielt, und die Türen gaben ein quietschendes Geräusch von sich, als sie geöffnet wurden. Kurz darauf wurden sie wieder zugeschlagen, beinahe sanft.
 

Zwei Männer waren ausgestiegen. Jeans, Boots, Flanellhemden, Lederjacke. Jäger. Der Wind griff in die langen braunen Haare des Größeren und wehte sie ihm ins Gesicht. Ein Sonnenstrahl, der sich durch die dichte Wolkendecke und den Hochnebel gekämpft hatte, glänzte im dunklen Lack des 67’er Chevrolet Impalas, bevor auch er wieder verschwand als wäre er nie da gewesen. Der Kleinere der beiden blinzelte zum Himmel hinauf, dann als wollte er einen Gedanken vertreiben, schüttelte er sein blondes Haupt und bedeutete seinem Begleiter ihm zu folgen.
 

*
 

„Agents Novak und Lokhard, FBI.“

Der Größere richtete seine kürzlich angelegte Krawatte.
 

Flüchtig betrachte der Officer die ihm gezeigten Marken. „Sie kommen wegen der ungeklärten Todesfälle?“
 

„Erzählen Sie uns alles, was Sie darüber wissen.“
 

„Es sind fünf bisher, gefühlt fast einer in jedem Monat seit Anfang des Jahres.“ Es ist Oktober, dachten sich die Jäger. „Todesursache unbekannt“, fuhr der Beamte fort. Kurz zögerte er. „Anfangs haben wir es noch für Altersschwäche gehalten, aber es starben auch jüngere Männer. Alle waren Geistliche, Priester, Bischöfe, Mönche.“
 

„Und alle starben in Klöstern oder Kirchen nahe Salem?“
 

„Ja, hier in der Stadt oder im Umkreis.“
 

„Können wir den zuletzt Verstorbenen sehen?“
 

„Natürlich, folgen Sie mir.“
 

*
 

Es war kühl hier unten. An der Decke sirrten die Neonlampen. Der Körper eines Mannes zeichnete sich unter einem weißen Laken ab, aufgebahrt auf dem metallenen Tisch der Pathologie.
 

„Das hier ist er“, sagte der Detektive und deckte das Laken soweit auf, dass Kopf und Brust des Toten freigelegt waren. „Die Obduktionsergebnisse.“ Der Größere der beiden ‘Agents‘ nahm die dargereichte Akte entgegen.
 

„Würden Sie uns bitte allein lassen“, bat der Kleinere in einem Ton, der nicht wie eine Bitte klang.
 

„Natürlich.“ Der Polizeibeamte strich sich über seinen Schnauzbart und ging.
 

Während der eine die Aufzeichnungen der Pathologin studierte, betrachtete der andere eingehend die Leiche. Mitte vierzig, vielleicht etwas jünger, das war schwer zu sagen. Der Mann hatte sich gut in Form gehalten, für einen Diener der Kirche. Die nunmehr fahle Haut seines ebenmäßigen Gesichts war glatt rasiert. Eine kurze Strähne seines dunkelbraunen Haares war ihm in die Stirn gerutscht. ’Agent Novak‘ schluckte. Etwas irritierte ihn an diesem Mann.
 

„Sam, du schaffst das auch allein hier, oder?“
 

„Klar, was ist los?“
 

„Nichts. Ich muss nur kurz raus.“ Und damit war er auch schon durch die Tür geeilt.
 

„Dir wird doch sonst nie schlecht, Dean“, rief der jüngere Mann ihm etwas stichelnd hinterher.
 

*
 

Als dieser nach einer Weile auch wieder ins Freie trat und begierig die vergleichsweise frische Luft einsog, traf er seinen Begleiter telefonierend an. „Ich muss jetzt auflegen, Cas. War gut dich zu hören.“
 

„Er hat dich angerufen, deswegen bist du so schnell weg? Was wollte er?“
 

„Nichts. Ich habe ihn angerufen.“
 

„Weswegen?“
 

Der Kleinere bedachte sein Gegenüber nur mit einem vernichtenden Blick, der ihm klar machen sollte, dass er es mit seiner brüderlichen Neugier zu weit getrieben hatte, und ging nicht weiter darauf ein. „Also was hast du herausgefunden?“
 

Nichts. Auch nicht in der Wohnung des letzten Opfers, ein Priester. Auch nicht am Fundort der Leiche. Keine Hexenbeutel, kein Schwefel, keine Ausschläge des EMFs. Lediglich ein Augenzeuge berichtete von soetwas wie Krampfanfällen.
 

*
 

Staubkörner tanzten im Licht der untergehenden Sonne, das durch die hohen Buntglasfenster fiel, als die beiden Jäger die Kirche betraten. Der Geruch von Weihrauch, brennenden Kerzen und altem Holz lag in der Luft und hüllte sie ein sobald die schwere Flügeltür geschlossen war. Die geschnitzte Figur eines Heiligen sah anklagend auf sie herab. Eine Frau erhob sich aus den knarrenden Bänken, bekreuzigte sich und ging.
 

Der Zeuge war ein schmächtiger Mann, der sicher schon seit Jahrzehnten hier arbeitete. Sein Gesicht war durchfurcht und wettergegerbt. Zeugnisse längst vergangener Tage eines langen Lebens. Bittersüß sickerte Wehmut in die andächtige Ruhe dieses Ortes und veränderte nur für ein paar Sekunden Deans Ausdruck. Lächeln fiel schwer bei dem Gedanken, dass sie dieses Alter niemals erreichen würden.
 

„Ich habe die Kirche gereinigt, da sah ich ihn beten, in aller Herrgottsfrühe“, begann der Küster, „Dann auf einmal fing er an zu zittern. Er ist umgekippt auf den Boden, hat sich gewunden und geschrien… Es war grauenhaft! Ich habe den Notarzt gerufen, aber als der kam, war Pater Nicolai bereits tot.“
 

„Ist es für ihn ungewöhnlich gewesen sich so früh in der Kirche aufzuhalten?“, fragte ‘Agent Lokhard‘.
 

„Ja, normalerweise ist nie jemand da, wenn ich vor der Morgenandacht sauber mache.“
 

„War sonst noch jemand vorort?“, wollte ‘Agent Novak‘ wissen, der soeben von seinem Streifzug durch das Kirchenschiff zurückgekehrt war. Nach den üblichen ‘ungewöhnlichen Vorkommnissen‘ fragten sie gar nicht erst. Kalte Stellen, seltsame Gerüche und flackernde Lichter waren an spirituellen Orten wie diesem nicht gerade Raritäten.
 

„Ich glaube schon… Eine Frau in der letzten Reihe. Aber sie war schon weg als der Krankenwagen kam. Vielleicht habe ich sie mir nur eingebildet.“
 

*
 

Auch an den vier anderen Tatorten fanden sich Indizien, dass eine weitere Person anwesend gewesen war. Berichte über eine dunkle Gestalt im Schutz der Schatten, ein offenes Fenster, eine angelehnte Tür, leise davoneilende Schritte. Die Spur führte sie nach einem langen Besuch im Stadtarchiv zu den Hexenprozessen von Salem, deren Opfern und einer alten Zeichnung.
 

„Sieh dir das hier an.“ Sam fegte den Staub vom Ledereinband einer alten handschriftlichen Prozessakte. „Im Alter von vier oder fünf Jahren wurde Dorcas Good zusammen mit ihrer schwangeren Mutter der Hexerei angeklagt. Einige Dorfbewohner hatten behauptet, das Kind sei geistesgestört und habe sie wiederholt gebissen, als wäre es ein Tier. Nach einem kurzen Verhör wurde sie für schuldig befunden und inhaftiert. Sie gab angeblich zu, eine Hexe zu sein und gesehen zu haben, wie ihre Mutter sich mit dem Teufel verbündet habe. Sie sagte aus, dass ihre Mutter ihr eine Schlange geschenkt hätte, die zu ihr gesprochen und Blut aus ihrem Finger gesaugt hätte. Ihre Mutter Sarah Good gebar im Gefängnis eine Tochter namens Mercy, die jedoch kurz nach der Geburt, wahrscheinlich durch Unterernährung und aufgrund der harten Haftbedingungen verstarb. Sarah Good wurde für schuldig befunden und am 19. Juli 1692 gehängt. Dorcas war fast neun Monate lang inhaftiert, bis sie im Dezember 1692 freigekauft wurde.“ (1)
 

Sam blätterte weiter durch die Archive und stellte fest: „Danach verliert sich ihre Spur. Keine weiteren Aufzeichnungen, keine Todesurkunde. Nur diese alte Zeichnung, die sie angeblich als junge Frau zeigen soll.“ Er drehte das vergilbte Blatt Papier um. „Aber Moment, das kann nicht sein. Die Zeichnung ist von 1855…“
 

„Vielleicht ein Zahlendreher oder verwischte Tinte.“
 

„Nein, schau selbst“, er reichte seinem Bruder das Dokument. Und tatsächlich…
 

„Also, was ist sie? Ein rachsüchtiger Geist?“
 

„Geister sind für gewöhnlich an einen Ort oder Gegenstand gebunden“, gab der Jüngere zu bedenken.
 

*
 

Der Augenzeuge des letzten Vorfalls identifizierte mit etwas ‘Nachhilfe‘ schließlich die Frau auf dem Bild als diejenige, die er in der Kirche gesehen hatte. Dorcas Good. In der Stadt lebte eine Dorothy Good.
 

Ein kleines Haus in einem abgelegenen Bezirk. Efeu wuchs bis zu den Dachziegeln hinauf und verbarg die alte Holzfassade fast vollständig. Gespickt von hohen Eichen und Obstbäumen, die sich unter ihrer purpurnen Last krümmten, lag ein Garten, den man wohl am ehesten als naturbelassenen bezeichnen konnte. Dort suchten sich wilde Blumen ihren Weg ins Licht zwischen Brombeeren und Sträuchern. Im hohen Gras stimmte eine Grille ihr letztes Lied an zu den melodischen Klängen eines Windspiels, die von irgendwo herüberwehten.
 

Eine junge Frau öffnete ihnen die Tür. Helle Haut, graue Augen, unscheinbar bis auf ihr dunkles wirres Haar. Violette und blaue Vergissmeinnicht waren hineingeflochten. Der sanfte Duft von Kräutern umhüllte sie. Ihr schlichtes Kleid wehte im kühlen Wind, der durch die geöffnete Tür ungebeten in ihr Haus kam. Fröstelnd zog sie ihre olivfarbene Jacke enger um ihren dünnen Körper. Sie war einer dieser Menschen, deren Schönheit man erst auf den zweiten Blick erkannte. Und sie hatte große Ähnlichkeit mit der Frau auf der Zeichnung. Nein, sie sah exakt so aus.
 

„Dorothy Good?“
 

„Ja. Wer sind Sie? Was wollen Sie?“
 

„Agents Novak und Lokhard, FBI. Wir ermitteln im Fall des verstorbenen Paters. Dürfen wir hereinkommen?“
 

„Nein, stellen Sie ihre Fragen hier draußen“, antwortete sie überraschend harsch.
 

„Sind Sie mit einer Dorcas Good verwandt? Vielleicht auch schon sehr weit zurückliegend?“
 

Ihr Gesicht verfinsterte sich. „Es gab nie eine Dorcas Good.“ Und damit schlug sie den Jägern die Tür vor der Nase zu.
 

*
 

„Sie ist es.“ Dean war sich sicher. Er hatte einbrechen und die Frau konfrontieren wollen, aber Sam hatte ihn überredet, sie vorerst zu beschatten. Nun warteten die Jäger im Wagen in der Nähe ihres Hauses versteckt hinter einigen Wachholderbüschen.
 

„Das wissen wir nicht.“

Die Sonne ging bereits unter. Sam fröstelte. Das war das Problem mit alten Autos, keine Standheizung. Dean griff nach hinten zur Rückbank und reichte ihm eine Wolldecke.
 

„Sie hat den selben Familiennamen, einen ähnlichen Vornamen und sie sieht genauso aus. Das sind doch wirklich ein paar zu viele Zufälle.“
 

„Also mal angenommen, sie hat es irgendwie geschafft so lang zu leben …“
 

„Hexe“, fiel der Ältere ihm ins Wort.
 

Sam machte eine Pause, dachte nach. Das konnte man ihm ansehen, dieser nach innen gerichtete konzentrierte Blick. Er grübelte zu viel, machte sich zu viele Gedanken über Dinge, die man nicht wissen sollte, fand der Blonde.
 

„Wieso jetzt, Dean?“
 

„Hm?“, er verstand nicht worauf sein Bruder hinaus wollte.
 

„Wieso rächt sie sich erst jetzt für den Tod ihrer Mutter und das, was ihr angetan wurde?“
 

„Keine Ahnung“, Dean zuckte mit den Schultern, „Wer kann schon wissen, was im Kopf dieser Verrückten vorgeht.“ Hexen, er hasste sie. Sie machten alles kompliziert. Die Vermutung beschlich ihn, dass dieser Fall sie mehr beschäftigen würde als er sollte. Eine dunkle Vorahnung, dass er Spuren hinterlassen würde.
 


 

"It doesn't matter what you are. It only matters what you do."

Sam
 

1) Quelle Wikipedia

Vergeltung - Ein Mädchen namens Dorothy


 

Vergeltung

Ein Mädchen namens Dorothy

"I know how my story ends. It's at the edge of a blade or the barrel of a gun."

Dean
 

Die Sonne war längst untergegangen und nichts hatte sich getan. Keine Besucher, keine Schreie, keine ungewöhnlichen Vorkommnisse. Sie hätten doch gleich handeln sollen. Diese Warterei ging ihm auf die Nerven. Dean wippte mit dem Fuß auf die Bodenplatte seines Babys. So sehr er es auch liebte in ihr zu sein… Nein, Moment, stopp, das hörte sich irgendwie falsch an. Doch die alte Lady würde wohl für immer seine einzige Gefährtin auf Dauer sein, die einzige Konstante. Mit Ausnahme seiner Familie natürlich. Sam. Und dann war da noch Castiel, aber der zählte nicht. Cas war einfach… Cas. Der war eine Kategorie für sich. Er hatte in keine von Deans bisherigen Schemata gepasst. Nicht nur irgendein Engel, nicht nur irgendein nützlicher Kampfgefährte, nicht nur irgendein Freund. Also war er einfach Cas.
 

„Dean, da tut sich was!“ Sam knuffte ihn in die Seite. Der Ältere war so in Gedanken gewesen, er hatte gar nicht bemerkt, wie sich eine dunkle Gestalt aus dem unbeleuchteten Haus geschlichen hatte. Das kam dabei heraus, wenn er nachdachte, wenn er zu viel Zeit dafür hatte.
 

„Ernsthaft? Zufuß?“ Seine Begeisterung hielt sich in Grenzen.
 

„Hast du ein Auto bei ihr gesehen?“, fragte Sam rhetorisch, „Also ich nicht.“
 

Leise stiegen sie aus dem Wagen und ließen ihn dort stehen. Die Nacht roch nach welkem Laub und nassen Straßen. In der Ferne bellte in Hund. Dunkle Wolken hatten sich über das Firmament gelegt und verschluckten auch noch das letzte kärgliche Licht der Sterne. Nebel war vom Meer kommend aufgezogen und machte ihre Kleidung unangenehm klamm. Die Schwaden legten sich in wallenden Fetzen um das Geäst der Bäume, die sich in die Finsternis streckten als ob sie sie willkommen hießen. Die beiden Männer bogen um eine Straßenecke und folgten der Gestalt unbemerkt durch finstere Gassen bis zu einer Kirche. Steil ragte ihr Glockenturm in den nächtlichen Himmel, als würde sie ihre Hand ausstrecken, auf ewig unergriffen, zu Stein geworden, erstarrt und unbeweglich. Einsam in ihrem ungehörten Hilferuf.
 

Dean entsicherte seine Pistole und trat gefolgt von seinem Bruder durch das schwere Flügeltor. Die Scharniere quietschten. Es dauerte eine Weile bis sich ihre Augen an die Dunkelheit im Inneren gewöhnt hatten. Man sah kaum die Hand vor Augen, aber Beleuchtung jeglicher Art wäre zu riskant gewesen, die Gefahr entdeckt zu werden zu groß. Ihre Schritte hallten im Gang wider. Es war kalt. Irgendwo schlug mit einem lauten Knall eine Tür zu. Die beiden Jäger fuhren zusammen und wandten sich in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war, ihre Schusswaffen im Anschlag, ihre Körper angespannt, die Muskeln kampfbereit. Da, ein schwaches Licht. Sie spähten durch den Spalt einer angelehnten Tür zum Kantoreisaal. Im Schein einiger Kerzen zeichnete Dorothy Good Runen an die Holzvertäfelung einer Wand.
 

Triumphierend warf Dean seinem Bruder einen Blick zu. „Siehst du, ich hatte doch recht“, schien er zu sagen. Ein freudloses Grinsen zierte seine Lippen. Sam schüttelt nur ergeben den Kopf. In einer Abfolge von Handzeichen, die wohl nur Brüder unter sich verstehen konnten, besprachen sie ihr weiteres Vorgehen.
 

Die alten Dielen knarrten unter ihren schweren Schuhen, als die Jäger vorsichtig die Tür zum Saal aufstießen und mit vorgehaltenen Schusswaffen eintraten. Sie waren schnell, effektiv und leise. Jahrelanges Training seit frühester Kindheit. Wachsam sahen sie sich im Raum um, scannten jeden dunklen Winkel mit den Augen ab. Wo war die Frau? Eben war sie doch noch genau dort vor der Mauer gewesen. Zu spät registrierten die Winchesters, dass die Hexe sie von Anfang an bemerkt haben musste. Sie wurden gegen eine Wand geschleudert. Dean hörte Knochen brechen. Er hoffte, dass es, was auch immer es war, zu ihm und nicht zu seinem Bruder gehörte.
 

„Ihr wollt mich aufhalten?! Ich dachte, ihr Jäger jagt Monster“, hörten sie sie rufen. Echtes Unverständnis schwang in ihrer Stimme. „Die haben mich dazu gebracht gegen meine eigene Mutter auszusagen! Die haben mich verkauft für 50 Dollar. Aber zuerst musste ich zusehen, wie meine kleine Schwester verhungert. Sie war ein Baby!“

Die junge Frau kämpfte mit sich. Es war unschwer zu erkennen, dass es sich für sie so anfühlen musste, als sei all das erst vor Tagen geschehen und nicht vor Jahrhunderten. Trauer, Angst und Wut spiegelte sich in ihrem Blick. So viel Wut.
 

„Du hättest nichts tun können, du warst selbst noch ein Kind, es war nicht deine Schuld“, versuchte Sam sie mit erhobenen Händen zu beschwichtigen. Seine Pistole war über den Boden gerutscht und lag nun einige Schritte entfernt. Und so war er schutzlos im Angesicht der Gefahr. Noch ein wenig benommen musste er ihr zugestehen, dass sie ihren eigenen Überraschungseffekt gegen sie verwendet hatte.
 

„Dann haben sie meine Mutter getötet! Sie hat niemandem etwas getan! Aber die haben sie hingerichtet!“, redete sie sich mehr und mehr in Rage. Die dunklen Haare standen ihr wirr vom Kopf ab und ihr Kleid flatterte im Luftzug. „Diese Scheinheiligen wollten nur vertuschen, dass einer von ihnen sie gefickt hat! Also zeige ich allen, wie triebgesteuert sie in Wahrheit sind. Ich will zusehen, wie sie an ihren eigenen Regeln verrecken.“
 

„Die Menschen, die dir das angetan haben, sind schon lange tot.“ Sam gab nicht auf. „Und ich bin mir sicher, sie haben ihr Strafe bereits erhalten, Dorcas.“
 

Ihr Gesicht verfinsterte sich. „Das ist nicht mein Name!“, spie sie aus, „Ich heiße Dorothy! Die hatten nicht mal den Anstand meinen richtigen Namen zu verwenden! Nein, sie haben sich einen neuen ausgedacht, um zu zeigen wie wertlos ich bin!“
 

Das Licht der Kerzen flackerte unstet und warf springende Schatten an die Mauern. Eine gefährliche Anspannung ließ die Luft um sie herum sirren. Ein falscher Schritt und das war’s, das war den Jägern klar. In diesem Zustand war sie unberechenbar.
 

„Du warst erst vier Jahre alt, nicht wahr?“, lenkte Dean ihre Aufmerksamkeit auf sich.
 

Sie schluckte, ihr Blick glitt in weite Ferne. Dann als hätte sie eine Entscheidung getroffen, straffte sie entschlossen ihre Schultern. „Damals konnte ich nichts tun, aber jetzt kann ich es.“
 

Sam war derweil aufgestanden und wollte sich ihr nähern, doch sie bemerkte ihn. Im letzten Moment gelang es Dean seine Waffe zu erreichen, die einen Meter neben ihm auf dem Boden lag. Als sie das sah, presste sie ihre Hand auf die Runen. Ein gleißend heller Lichtblitz zuckte durch den Raum und es war als würde ein Stromschlag durch Deans Körper fahren. Seine Knie gaben nach.
 

„Dean!“ Zu sehen wie sein Bruder zu Boden ging und sich nicht mehr rührte, versetzte Sam in Angst und Schrecken. Reglos lag er da. Der Jüngere schrie und wand sich, doch es gelang ihm nicht sich zu befreien. Irgendetwas hielt ihn mit aller Kraft an die Wand gedrückt.
 

Schmerzerfüllt stöhnte Dean auf. Sein Schädel pochte. Er war mit der Schulter irgendwo aufgeschlagen, sie fühlte sich taub an. „Sam? Bist du okay?“, war das Erste, was er mühevoll über seine Lippen brachte.
 

Zittrig versuchte Dean sich aufzusetzen. Jede Bewegung tat verdammt weh. Er versuchte seinen Bruder anzusehen, um sich zu überzeugen, dass es ihm gut ging. Doch der starrte nur zu der jungen Frau hinüber. Erstaunen stand auf sein Gesicht geschrieben. Ihr Gesicht dagegen war zu einer Fratze verzerrt.
 

„Dean, sie hat Angst vor uns…“, flüsterte er.
 

„Das sollte sie auch“, antwortete der Ältere grimmig.
 

„Nein, sieh doch, sie hat nur Angst.“

Und tatsächlich, obwohl die Jäger klar in der Defensive waren mit der Wand im Rücken, sprach die Furcht aus ihr. Wie ein in die Ecke gedrängtes Tier stand sie da, bereit zu einem erneuten Angriff, die Möglichkeit zur Flucht bereits ausgeschlossen vor so langer Zeit.
 

„Wir sind nicht wie die“, richtete Dean sodann das Wort an die junge Frau.
 

„Es wird sich bald zeigen was für ein Mensch du bist“, versicherte sie ihm.
 

„Ich weiß, wie es ist in diesem Alter seine Mutter zu verlieren.“

Bring deinen Bruder so schnell du kannst nach draußen und sieh nicht zurück! Jetzt! Dean, lauf! Die Stimme seines Vaters angsterfüllt. Die Hitze auf seiner Haut, er spürte sie noch immer. Der Moment, in dem er aufgehört hatte ein Kind zu sein.
 

„Du glaubst du bist wie ich? Das bist du nicht!“ Sie trat einen Schritt näher und betrachtete eingehend den blonden Mann vor sich. Ihr Blick ging ihm durch und durch. „Du hattest etwas, das ich nie hatte. Ich kann ihn auf deiner Seele sehen.“ Unbewusst fasste Dean sich an seine linke Schulter.
 

Eine Erkenntnis traf Sam und eine Idee formte sich. Was wenn sie es doch gehabt hatte? „Wer hat das gemalt?“ Er hielt ihr die Zeichnung aus dem Stadtarchiv entgegen.
 

„Ich weiß es nicht! Ich erinnere mich nicht…“, wehrte die Frau ab.
 

„Versuch es. Wer hat dich gemalt?“ Sam ließ nicht locker.
 

Sie starrte auf die Abbildung ihrer selbst. Schwarze Kohle auf vergilbtem Papier, die Strichführung achtsam, weich im Detail, beinahe hingebungsvoll. Die Dorothy auf dem Bild schenkte dem Zeichner ein Lächeln, das ihrem Antlitz ein undefinierbares Leuchten verlieh, Ausdruck ihrer Zuneigung. Ihre Augen weiteten sich, als eine lang vergessene Erinnerung in ihrem Geiste aufflammte. „Jim… Sein Name war Jim…“
 

„Wer war er? Wer war er für dich?“, fragte der Jäger sanft.
 

„Ich… Wir…“, gebrochen übertönte ihre Stimme kaum das Klopfen von Sams Herz, „Wir haben uns geliebt…“
 

„Dorothy, deinem Körper mag die Zeit nichts anhaben können, aber dein Gedächtnis… es… es zerfällt Stück für Stück. Zuerst war es nur das letzte Jahrzehnt, nicht wahr? Dann das letzte Jahrhundert, dann die letzten zwei.“ An all das Gute, das ihr nach ihrer Gefangenschaft widerfahren war, erinnerte sie sich nicht mehr. Übrig geblieben war nur das verängstigte Kind, dem die Mutter weggenommen wurde.
 

„Ich werde alles vergessen… Ich werde Jim vergessen…“ Bestürzung und Trauer einer Frau, die alles verloren hatte, ihre Würde, ihre Familie, ihren Glauben, ihre Liebe und nun auch noch diese eine gute Erinnerung.
 

„Irgendwann kommt der Moment, da ist es genug. Vielleicht ist es Zeit für dich zu gehen.“
 

Dorothy zückte ein Messer und trat auf Sam zu. Dean machte einen Satz nach vorn, bereit den vermeintlichen Angriff abzuwehren, bereit sein Leben für das seines Bruders aufs Spiel zu setzen.
 

Doch die Frau streckte ihre Hand aus. „Schon gut, es ist wahr. Und ich bin froh, dass all das endlich vorbei ist. Aber ihr werdet mir dabei helfen müssen“, sagte sie gefasst mit einer Klarheit und Tapferkeit, die selbst die Jäger erstaunte. Der Stolz einer gebrochenen Frau.
 

Sie wollte dem Jüngeren das Messer geben. Es war eindeutig, was sie von ihm erwartete. Sie wollte, dass er sie tötete, dass er ihr ein Ende bereitete. Jedoch hielt Dean sie zurück: „Nein, lass mich das tun.“
 

Darüber schien sie nicht überrascht und nickte knapp. Ein letztes Mal richtete sie sich an den Größeren: „Sam, vergiss nie, dass sich manche Monster noch daran erinnern, wie es ist menschlich zu sein.“
 

„Und wenn nicht, werde ich sie daran erinnern“, sagte dieser und schenkte ihr ein bestätigendes Lächeln.

Böse Dinge zu tun machte Menschen nicht automatisch zu bösen Menschen, daran hatte Dorothy ihn erinnert. Selbst Vampire konnten sich gegen das Töten entscheiden. Selbst Geister konnten Frieden finden. Selbst Dämonen konnten geheilt werden. Jeder war es wert gerettet zu werden, aber nicht jeder konnte gerettet werden.
 

„Viel Glück dabei…“, murmelte sie, wandte sich zu Dean und legte ihm das Messer in die Hand. „Ich habe geahnt, dass du dich so entscheiden würdest.“ Schließlich glaubte der ältere Winchester, dass er längst verdorben war, die Seele seines Bruders aber konnte noch gerettet werden. Und dabei begriff er nicht, dass er selbst bereits gerettet war.
 

Sie sah ihm in die Augen. „Auch deine Zeit wird irgendwann kommen, Dean Winchester.“
 

Er sah zurück in die ihren. „Ich weiß, und ich werde bereit sein.“
 

„Du schon, aber wird auch er es sein?“ Es war unklar, wen sie damit meinte. Schon lange war es nicht mehr bloß eine Person, die Dean etwas bedeutete.

Vielleicht erwartete sie keine Antwort oder vielleicht kannte sie sie bereits, denn sie stieß hervor: „Na mach schon, kein Grund es hinauszuzögern.“
 

Langsam drehte Dean die Stichwaffe in seiner Hand. „Hast du Angst?“
 

Sie antwortete nicht, doch er konnte es in ihren sturmgrauen Augen sehen. Er legte ihr eine Hand auf die Schulter, eine Geste, die sie beruhigen sollte. Oder ihn selbst? Das hier war mehr als aktive Sterbehilfe. Der Jäger war es gewohnt zu töten und doch musste er sich überwinden, das zu tun, was getan werden musste. Dieses Mädchen hatte zwar schlimme Dinge getan, aber hinter ihrer Fassade aus Tapferkeit lag tiefe Trauer um das, was gewesen war, und große Furcht vor dem, was kommen würde.
 

„Ich werde es schnell machen.“ Dean wollte nicht, dass sie litt. „Denk an etwas Schönes.“
 

Ihre Augen weiteten sich, als er die Klinge zwischen ihre Rippen stieß. Ein gequälter Laut verließ ihre Kehle. Ihre Knie gaben nach und er fing sie auf. Sie versuchte ihn anzusehen, doch die Augenlider vor ihren suchenden Pupillen flatterten. Sie lag in seinen Armen, ihre Muskeln verkrampften sich, der Schmerz ließ ihren Körper erbeben. „Dorothy, lass los…“
 

„Wohin werde ich gehen?“, keuchte sie erstickt. Das Sprechen fiel ihr schwer. Blut lief in einem dünnen Rinnsal aus ihrem Mund. Ihre Finger krallten sich in seine Jacke.
 

„Ich weiß es nicht…“ Er wünschte, er hätte ihr eine Antwort geben können. Er nahm ihre Hand und hielt sie während sie zum letzten Mal ausatmete. Da war etwas in ihren Augen, im Moment des Todes, Erlösung. Dann war sie still. Dean sank neben ihrem leblosen Körper zu Boden. Seine blutbesudelten Hände hörten nicht auf zu zittern.
 

Sam kniete sich neben seinen Bruder und wollte ihn in seine Arme ziehen, doch der stand abrupt auf und ging, verließ den Raum, verließ das Gebäude, ließ die Hilflosigkeit zurück.
 

Begierig sog der Blonde die kühle Nachtluft in seine Lungen. Bloß fort von dieser Kirche. In der Nähe fand er einen Bottich mit Regenwasser. Sein Abbild, gebrochen widergespiegelt in den kräuselnden Wellen des Wassers, blickte ihm erschöpft und leer entgegen, als er seine Hände in das kühle Nass tauchte, das Blut abwusch und sein Gesicht damit benetzte.
 

„Dean, du wurdest von einem Fluch getroffen“, richtete der Jüngere mit Bedacht das Wort an ihn.
 

„Mir geht es gut, ich fühle mich wie immer“, antwortete dieser knapp, dem sorgenvollen Blick seines Bruders ausweichend.
 

Sam seufzte. „Als ob das ein gutes Zeichen wäre.“
 


 

"I don't care what happens to me. I never really have."

Dean 13x20
 

Verkannt - Des Pudels Kern


 

Verkannt

Des Pudels Kern

Sam: "It's good to see you smile."

Dean: "Well, I said I needed a big win. We got Cas back. That's a pretty damn big win."

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Schweigend kehrten die beiden Jäger zurück zu Dorothys Haus, der Impala stand noch immer dort. Dean war nicht nach Reden zumute. Er konnte nicht behaupten, dass die Ereignisse der vergangenen Stunden spurlos an ihm vorüber gegangen waren. Eisern starrte er geradeaus und versuchte an nichts zu denken. Einerseits war er dankbar, dass Sam ihm Zeit gab, andererseits wollte er nicht, dass man Rücksicht auf ihn nahm. Denn so lief es nun mal, und man machte weiter.
 

Die Nacht neigte sich ihrem Ende entgegen und die Stadt begann langsam zu erwachen. Schon erstarkte ein feiner Silberstreifen am Horizont. Frühestmöglich wollten sie aus ihrem Motelzimmer auschecken, um sich rasch auf den Rückweg zum Bunker machen zu können und herauszufinden womit sie es bei dem Zauber zu tun hatten. Sie waren lang genug an diesem gottverdammten Ort gewesen.
 

Gerade waren sie im Begriff ins Auto zu steigen, fort von dem efeubewachsenen kleinen Haus, fort von dem abgelegenen Bezirk, fort von Salem, als Sam fragte: „Rufst du ihn an oder soll ich?“
 

„Wieso?“ Dean hatte in seiner Bewegung innegehalten und sah nun verständnislos herüber.
 

„Er wird wissen wollen, was passiert ist. Das würdest du auch“, antwortete der Größere mit einem vielsagenden Blick.
 

„Sam, es ist nichts.“ Ungeduldig drehte er den Autoschlüssel zwischen seinen Fingern. Er wollte endlich nachhause und in sein eigenes Bett, davor vielleicht noch ein kühles Bier und danach eine schöne Tasse heißen Kaffee. Wann war er so häuslich geworden? Womöglich freute er sich auch denjenigen wiederzusehen, den sie zurückgelassen hatten.
 

„Alle Opfer sind am Morgen nach einer Neumondnacht gestorben. Vielleicht werden erst Wochen später Symptome bei dir einsetzen.“ Sie wussten noch immer nicht, was die Runen bedeuteten. Sie hatten nicht die geringste Ahnung, wie der Fluch wirkte, mit dem die Geistlichen und nun auch Dean belegt worden waren. Was würde auf sie zukommen? Womit mussten sie rechnen?
 

Dean schnaubte nur und ließ Sams Mutmaßungen unkommentiert. Darüber wollte er jetzt nicht nachdenken. Er wollte gerade überhaupt nicht denken. Er wollte das vertraute Gefühl des Lenkrads in seinen Händen spüren, die Straße unter sich, vorbeifliegende Welt. In Sicherheit vor all dem da draußen und vor all dem in ihm.
 

„Also, rufst du ihn an oder soll ich?“, fragte Sam erneut.
 

„Das ist doch Blödsinn. Wieso soll er sich unnötig Sorgen machen?“, versuchte Dean ungehalten seine eigene Unsicherheit zu überspielen. Vor seinem kleinen Bruder durfte er nicht schwach sein. Er durfte überhaupt nicht schwach sein.
 

„Unnötig?!“ Das Ganze war beim besten Willen nicht auf die leichte Schulter zu nehmen! Doch der Jüngere wusste, dass es zu nichts führen würde, wenn sein Bruder auf stur geschaltet hatte.
 

„Und außerdem, es ist fünf Uhr früh!“, warf Dean ein.
 

„Er schläft nicht“, konterte Sam.
 

Der Blonde rollte mit den Augen. So ein Klugscheißer! Ihm gingen die Argumente aus, also hüllte er sich in Schweigen. Geräuschvoll stieg er in den Wagen, steckten den Schlüssel in die Zündung und ließ den Motor an.
 

Sam gesellte sich zu ihm auf den Beifahrersitz. „Gut, wie du willst, ich rufe ihn an.“ Schon zückte er sein Mobiltelefon und wählte die Nummer. Dean schnaubte ungehalten, doch der Jüngere ignorierte seine Missbilligung geflissentlich.
 

„Hi Cas. … Ja, der Fall in Massachusetts, gehäufte unerklärliche Todesfälle in den Klöstern nahe Salem. Wie sich herausstellte war dafür eine sehr alte, rachsüchtige Hexe verantwortlich, deren Mutter bei den Hexenprozessen hingerichtet worden war.“
 

„Da die Hexe nicht gerade subtil vorgegangen war, war sie schnell aufgespürt und unschädlich gemacht“, rief Dean dazwischen, als würde er stolz verkünden, dass sie siegreich gewesen waren.
 

Der Größere schüttelte daraufhin nur verständnislos den Kopf und ergänzte: „Aber Dean ist zwischen die Fronten geraten und von einem Zauber getroffen worden“, eine Pause entstand, „Nein, ihm geht es soweit gut. … Ja, wir sind auf dem Weg. … Bis dann.“
 

Ohne ihn gesehen oder gehört zu haben, spürte Dean, dass sich der Gesprächspartner seines Bruders Sorgen machte. Sorgen um ihn. Obwohl er sich das nie eingestanden hätte, rührte ihn dieser Umstand gegen seinen Willen auf eine Weise, die ein warmes Gefühl in seinem Brustkorb hinterließ.
 

*
 

Eine 25stündige Autofahrt und einige Burgerstopps später, passierten sie endlich das große Schild, das sie in Kansas willkommen hieß. Vertraute Straßen, gewohnte Umgebung, Zuhause. Vor dem Bunker sahen sie bereits ihren Freund im Trenchcoat stehen, er musste auf sie gewartet haben. Ein breites Lächeln huschte über Deans Gesicht als er ihn erblickte.
 

„Schön euch wiederzusehen“, begrüßte er die Winchesters und bedachte den älteren mit einem sorgenvollen Blick.
 

„Kannst du damit etwas anfangen?“ Sogleich zeigte Sam dem Engel auf seinem Mobiltelefon ein Foto von den Zeichen, mit denen Dorothy Good die Holzvertäfelung versehen hatte.
 

Castiel zog die Augenbrauen zusammen und legte den Kopf schief. „Ich denke nicht, dass sie eine Hexe im klassischen Sinne war“, merkte er an.
 

Die Runen an der Wand waren mit der Hilfe von Castiel und den schier endlosen Aufzeichnungen der Männer der Schriften schnell entschlüsselt gewesen. Sehr alte Magie zurückzuführen auf ein fernes Druidengeschlecht aus der Bretagne, das noch auf die Zeit der römischen Besatzung zurückging. Für gewöhnlich friedliebend und bekannt für ihre Heilkünste, ihre Verbindung zur Natur und ihre Fähigkeit in begrenztem Maße mit Tieren zu kommunizieren.

Doch die Runen waren nicht das Problem, der Zauber hingegen schon. Er war kompliziert, verdreht und verzerrt. Eine Mischung aus vielem. Nichts davon von beruhigender Natur. Unheilvoll.
 

„Ich weiß jetzt, wieso sie gestorben sind“, murmelte Sam geistesabwesend.
 

„Lass mich raten, sie sind von einer Hexe verflucht worden“, antwortete der ältere Winchester sarkastisch und rieb sich seinen verspannten Nacken. Die letzten Stunden hatten sie gebeugt über einem nicht enden wollenden Stapel Bücher verbracht. Mechanisch griff er nach seiner Tasse und verbrannte sich an der heißen Flüssigkeit. Der wievielte Kaffee war das jetzt? Er hatte aufgehört zu zählen. Vielleicht sollte er sich das Getränk intravenös zuführen oder auf Bier umsteigen.
 

Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete Castiel das Schauspiel, stand dann auf, trat hinter Dean und legte vorsichtig, zögernd, fragend seine Hände auf die Schultern des Menschen. Der Blonde war überrascht. Das hatte Cas vorher noch nie gemacht. Sie war ungewohnt, diese Nähe. Zuerst wollte er die Hände abschütteln, aber sie fühlten sich gut an. Tastend strichen sie seine schmerzenden Muskelstränge entlang. Wahrscheinlich hätte der Engel ihn auch einfach heilen können, aber so war es irgendwie… intimer? Nein, falsches Wort, ganz falsches Wort. Persönlicher. Es war persönlicher.
 

Sam wusste nicht, wo er hinsehen sollte. Diese Vertrautheit war nicht neu, aber noch nie war sie körperlich gewesen. Er hatte das Gefühl, die beiden teilten etwas, zu dem er keinen Zugang hatte. Es war als würde er etwas Privates stören. Oder vielleicht probierte der Engel schlicht weg sich menschlicher zu verhalten. Vielleicht war das nur Castiels Versuch Dean zu zeigen, dass er ihn auch vermisst hatte.
 

Sam räusperte sich vernehmlich. „Also… ähm, ja… Der Zauber hat die Männer getötet, aber gestorben sind sie wegen ihres Glaubens.“ Auf den fragenden Blick seines Bruders ergänzte er: „Das Zölibat, Dean.“
 

Dieser konnte das Augenrollen des Jüngeren praktisch hören. Gespielt höflich fragte er: „Hättest du wohl die Herzensgüte mir deine Schlussfolgerungen zu erläutern?“ Immer musste man ihm alles aus der Nase ziehen!
 

„Du wurdest mit einem nymphischen Fluch belegt, Dean. Das heißt du musst bei jedem Neumond mit jemandem schlafen, ansonsten wirst du sterben“, berichtete Sam mit ernstem Gesichtsausdruck von seinen Recherchen.
 

Castiel setzte sich wieder und nahm das ledergebundene Buch an sich. „Genau genommen steht hier, die oder der Betroffene muss beim Koitus zum Höhepunkt gelangen während sein Phallus in einer anderen Person oder der Phallus einer anderen Person in ihm oder ihr ist.“ Er deutete auf die Pergamentseite: „Ein alter keltischer Dialekt.“
 

„Danke für das Aufklärungsgespräch. Das mit der Biene und der Blume kann man nicht oft genug hören“, antwortete Dean lachend. Er erinnerte sich nur zu gut daran, wie er damals mit Sam besagtes Gespräch hatte führen müssen. Einer der peinlichsten Momente seines Lebens. Schnell verwarf er die Gedanken daran wieder. „Wie hebt man ihn auf?“
 

Sam sah zu Castiel, doch dieser schüttelte nur bedauernd den Kopf. Sie hatten bereits jede Möglichkeit in Erwägung gezogen. Keine von ihnen wäre erfolgversprechend gewesen.
 

„Gar nicht. Der Fluch ist irreversibel. Tut mir leid, Dean“, antwortete der jüngere Winchester seufzend.
 

„Wieso bist es immer du, der zwischen die Fronten gerät?! Als ob du es darauf anlegen würdest!“, ereiferte sich Castiel, „Stell dir vor, es gibt Leute, denen bedeutet dein Leben etwas, selbst wenn man das von dir nicht behaupten kann!“

Eine bedrückende Pause entstand. Dann sagte der Engel, leiser nun: „Ich hätte euch begleiten sollen…“
 

„Es war ein gewöhnlicher Fall. Du konntest es nicht wissen.“, versuchte Sam ihn zu beruhigen.
 

„Was regt ihr euch so auf? Nun ja, einmal im Monat Sex zu haben, dürfte wohl kaum ein Problem für mich sein“, meinte Dean leichthin mit einem frechen Grinsen auf den Lippen.
 


 

"That's one deep dark, nothing you got there, Dean.

Can't fill it, can you? Not with food or drink. Not even with sex.

You can smirk and joke and lie to your brother, lie to yourself, but not to me.

I can see how broken you are, how defeated.

You're not hungry, Dean, because inside you're already dead."

Der Hunger zu Dean 5x14
 

Verloren - Der erste Neumond


 

Verloren

Der erste Neumond

"I guess I'm not the man either of our dads wanted me to be.

I'm not a hero. I'm not strong enough."

Dean zu Castiel 4x16
 

Ein Wohngebiet in irgendeiner neuen Stadt, in einer dieser dunklen Nächte. Nur ein paar Laternen spendeten vereinzelt ihr kaltes Licht, halb verdeckt von den umliegenden Bäumen. Ihr Rauschen im Wind war das einzige, was die Stille dieser beschaulich anmutenden Straße aus bescheidenen kleinen Einfamilienhäusern durchbrach.

Ein blonder Mann stand schwankend an einen Wagen gelehnt. Schatten tanzten auf seinem Gesicht. Er hielt sein Telefon umklammert, während er auf das Freizeichen lauschte. Dann ein Klicken in der Leitung.
 

„Sam? Kannst du mich abholen?“ Etwas lag in dessen Stimme, das nur diejenigen zu erkennen vermochten, die sich seiner gewiss waren. Die Farbe einer Erinnerung, die das Timbre dunkel schwingen ließ.
 

Eine Bar beim nächsten Neumond, der Geruch von abgestandenem Zigarettenrauch, der Geschmack des letzten Drinks noch auf der Zunge, das Klicken von Billardkugeln. Eine hübsche Brünette am Nachbartisch, ein Lächeln hier, ein Kompliment dort, Dean in seinem Element. Eines hatte zum anderen geführt. Und nun stand er hier in dem flackernden Licht einer Straßenlaterne.
 

„Was? Wieso? Du hast das Auto“, sein Bruder klang schläfrig. Er hörte das Rascheln von Bettzeug am anderen Ende. Der Anruf musste ihn geweckt haben, herausgerissen aus einem der so seltenen guten Träume.
 

„Ich kann nicht fahren.“ Dean war überrascht, dass er es überhaupt geschafft hatte die Nummer zu wählen. Seine fahrigen Hände hatten ihm kaum gehorchen wollen.
 

„Bist du betrunken?“, der genervte Unterton war selbst über das Telefon unüberhörbar, „Soll ich etwa den ganzen Weg vom Motel zu dir laufen?“

In einigen Tagen löste der November den Oktober ab. Nachts war es schon empfindlich kühl. Bald würde der erste Bodenfrost seine unbarmherzigen Fesseln um die Wurzeln der Bäume legen. Verständlich, dass Sam nicht allzu erpicht darauf war hinaus zu gehen.
 

„1537 Constantine Road. Bitte, hol mich ab“, bat der Ältere eindringlich, fast flehend. Das war nicht seine Art. Nein, es war geradezu unnatürlich wie es über seine Lippen kam. Ein Verhalten völlig aus der Norm gefallen. Ein überdeutliches Warnzeichen.
 

Alarmiert von dem Zittern in der Stimme seines Bruders horchte Sam auf. Plötzlich war er hellwach. Das Wanken, das Straucheln seines sonst so unerschütterlichen felsenfesten großen Bruders beunruhigte ihn zutiefst. „Dean, was ist passiert?“
 

Es war berauschend gewesen, anders als all die unzähligen Male zuvor. Berauschend auf eine beängstigende Art und Weise. Er hatte versucht dagegen anzukämpfen und er hatte verloren, die Kontrolle und sich selbst. All seine Moralvorstellungen und Prinzipien waren hinweggespült worden. Übriggeblieben waren allein seine Impulse, seine Triebe, wie ein Tier. Erst nachdem sein Verlangen gestillt gewesen war, hatte er das leise Weinen unter sich gehört.

Und nun stand er hier in dem flackernden Licht einer Straßenlaterne und versuchte sich an ihren Namen zu erinnern. Es ging nicht. Er wusste nicht mal mehr ihren Namen.
 

Dean ließ das Telefon sinken. Er wusste nicht, ob er noch etwas gesagt hatte. Er wusste nicht, wie lange er schon hier stand. Er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war bis Sam auftauchte. Der Autoschlüssel fiel aus seinen bebenden Fingern, als er ihn übergeben wollte. Sein Bruder hob ihn auf.
 

„Steig ein“, sagte der jüngere Winchester, doch der Angesprochene reagierte nicht. „Dean, steig ein.“ Sanft berührte Sam ihn an der Schulter und er zuckte zusammen als hätte dieser ihn geschlagen. Dean wich dem besorgten Blick seines Bruders aus und begab sich mit vor Kälte steifen Gliedern auf den Beifahrersitz. Er hatte sie nicht bemerkt, die Kälte.
 

Der Größere fuhr schneller als gewöhnlich. Weiße, gelbe und rote Lichter vermischten sich zu undefinierbaren Schlieren, die aufleuchteten, blendeten und dann wieder in der Dunkelheit verschwanden als wären sie nie da gewesen. Dean sah apathisch aus dem Fenster, sah zu wie die Welt an ihm vorüberzog und sah doch nichts.
 

Sam bog ab. Das rhythmische Geräusch des Blinkers drang hohl und stumpf in sein Gehör.

„Nein, nicht zum Motel. Ich will nachhause, Sam. Bring mich einfach nur nachhause…“, zum ersten Mal seit ihrem Telefonat hatte er gesprochen. Die Worte krochen kratzig und scharfkantig aus seiner Kehle, als würden sie sich dagegen wehren ausgesprochen zu werden.
 

„Okay, ich hole noch unsere Sachen aus dem Zimmer.“ Dann würden sie zum Bunker fahren. Sam warf seinem Bruder einen besorgt fragenden Seitenblick zu, doch der reagierte nicht. Kein genervtes Schnauben, nicht einmal die Augen verdrehte er. Den aufgebracht schreienden oder wütend schweigenden Dean konnte er ertragen, aber das hier, das war anders. Es machte ihm Angst.
 

*
 

Es war kein Gebet gewesen, mehr ein verzweifelter Hilferuf einer Seele, der den Engel hier an diesen Ort gebracht hatte. Bäume rauschten im Wind. Dunkle Wolken wurden über das nächtliche Firmament getrieben. Der Himmel sah aus als würde er regnen wollen, aber es regnete nicht, ganz so als ob er nicht könnte.
 

Alles würde in Ordnung sein, hatte Castiel sich immer wieder gesagt, es würde so laufen wie die 218 Male zuvor seit sie sich kannten. Eine flüchtige Bekanntschaft, das was die Menschen Liebe nannten für ein paar Stunden, dann war Dean immer zurückgekehrt. Bis auf das eine Mal mit Lisa, als Sam sich geopfert hatte. Er konnte sich noch gut daran erinnern. Etwas, das seither nie wieder geschehen war. Stets war es für Dean bei kurzweiligen Begegnungen geblieben, keine festen Bindungen. Er wusste nicht, wieso er froh darüber war.
 

Doch dieses Mal war es anders gewesen. Castiel war nervös auf und ab gegangen. Irgendetwas stimmte nicht. Eine Störung in ihrer Verbindung, wie weißes Rauschen. Ähnlich wie damals während der Schübe ausgelöst durch das Kainsmal. Als Dean ein Dämon gewesen war, hatte er ihn gar nicht mehr fühlen können. Ein befremdliches und beängstigendes Gefühl. Er hatte sich so allein gefühlt. Das durfte sich nie wiederholen. Soweit würde er es nie wieder kommen lassen. Denn kaum noch konnte oder wollte Castiel sich an sein Leben vor dem Menschen zurückerinnern. Er war ein anderer gewesen. Vielleicht hatte Dean ihn zu dem gemacht, der er schon immer hätte sein sollen.
 

Eine Unruhe hatte den Engel erfasst, die er nicht hatte zuordnen können. Ihre Verbindung hatte unbestimmt gesirrt, angespannt und undeutlich. Ihm war schlecht geworden, er hatte nicht gewusst, was los war. Nur dass irgendetwas nicht stimmte, das hatte er genau geahnt. Die Ungewissheit hatte an ihm genagt und ihn an den Rand der Verzweiflung getrieben. Dann auf einmal dieses klare Signal und er hatte gewusst, was zu tun war.
 

Zwar hatte Castiel den Brüdern die Henochischen Sigillen in die Rippen geritzt, sodass er Dean eigentlich nicht hätte finden dürfen, aber er hatte seinen exakten Aufenthaltsort ausmachen können. Es hatte ihn förmlich zu dem Menschen gezogen. Dessen Sehnsucht war so stark, so intensiv, immer präsent gewesen. Wie ein klares Bild in sonst so weißem Rauschen. Ein Leuchtfeuer in vollkommener Dunkelheit. Es war mehr als ein Gebet gewesen, alles in Dean hatte nach ihm geschrien.
 

Und nun stand Castiel hier in dem flackernden Licht einer Straßenlaterne.
 


 

"You don't think you deserve to be saved."

Castiel zu Dean 4x01
 

Versunken - Der Tropfen


 

Versunken

Der Tropfen

"Once you touch that darkness, it never goes away. The truth is, I'm past saving."

Dean 10x07
 

Ihr wirres, dunkles Haar um ihren Kopf ausgebreitet wie ein Heiligenschein. Leuchtend blaue Augen, die ihn ansahen, während er sich zu ihr in die Kissen hinunter beugte. Ihre Hände auf seinen Schultern. Es war perfekt. Er wusste nicht, was es war, aber sie hatte das gewisse Etwas. Vielleicht das völlig deplatzierte Gefühl der Vertrautheit. Irgendetwas an ihr erinnerte ihn an etwas Gutes.

Dann das Verlangen, der Rausch, wie ein Fieber, langsam ansteigend, immer drängender und unausweichlicher. Keine Bedenken mehr, keine Zügel, keine Kontrolle. Hemmungslos.
 

Schwer atmend erwachte Dean. Schweiß rann seinen Körper hinab und ließ seine Kleidung unangenehm an seiner Haut kleben. Und doch fror er als wäre sämtliche Wärme aus ihm gewichen. Für einen kostbaren Moment war es, als wäre all das tatsächlich nur ein Traum gewesen, aber das war es nicht. Panisch schloss er seine Lider und öffnete sie erneut. Immer wieder. Immer wieder sah er ihre vor Angst geweiteten Augen, hörte ihr Schluchzen, spürte ihren zuckenden Körper unter sich. Es war als würde er ertrinken, immer tiefer von einem Strudel hinabgezogen werden, als würde er versinken in einem Meer aus Dunkelheit und Schuld.
 

*
 

Der zerborstene Spiegel zeigte sein Gesicht nur bruchstückhaft, seine Faust hatte deutliche Spuren hinterlassen. Dean konnte seinen eigenen Anblick nicht länger ertragen, und so blickte er hinab auf seine zitternde Hand. Die Haut über den Fingerknöcheln war aufgeplatzt, das Blut verschmiert über dem Handrücken. Der körperliche Schmerz fühlte sich gut an, er verdrängte für einen Moment den in seinem Inneren.
 

Er konnte nichts anderes als den Menschen, die ihm nahe standen, weh zu tun, er war ihr Verderben, also hatte er diesen Schmerz mehr als verdient. Auf ganzer Linie hatte er versagt, als Sohn, Bruder und Freund. Er war nichts als eine Enttäuschung. Er war nichts.
 

Bedächtig hob er eine Spiegelscherbe auf. Kurz noch zögerte er, aber dann führte er sie zu seinem Unterarm. Langsam stach er in seine Haut und schnitt sie auf. Die brennenden Schmerzen ließen ihn nach Luft ringen. Er sah zu wie das Blut dickflüssig aus der Wunde sickerte, fühlte wie es warm über seinen Arm lief. Der Lebenssaft, der durch seine Adern floss, quoll nun aus seiner Haut hervor. Wieso durfte er leben, wenn er solche Dinge getan hatte? Seine Finger schlossen sich fester um die Scherbe.
 

„Dean, was tust du da…?!“ Er wurde am Handgelenk gepackt... Sam. Seine Knie gaben nach. Er wurde aufgefangen bevor er auf den kalten Boden aufschlagen konnte. Warum ließ sein Bruder ihn nicht einfach fallen? Er wollte nicht mehr fühlen, nie wieder.
 

Doch er fühlte. Scham, für den Moment. Sein Blut beschmutzte und verunreinigte Sams Kleidung. Aber der hielt ihn bloß unbeirrt weiter fest. Hielt ihn und ließ ihn nicht los. Warum hatte er ihn finden müssen? Sein Bruder hätte nichts von alle dem sehen sollen.
 

Sag es nicht Cas, oh Gott, sag es nicht Cas, war der einzige Gedanke, den Dean zustande brachte. Hier zusammengesunken auf den unwirtlichen Fliesen eines Badezimmers. Blut tropfte herab und färbte alles rot, was damit in Kontakt kam. Absurd. In so einer Situation machte er sich ausgerechnet Sorgen darum, sein bester Freund könnte herausfinden, dass er sich selbst verletzt hatte. Sein bester Freund, der ihm schon so oft das Leben gerettet hatte…
 

Wenn Sam nicht gewesen wäre… Wer weiß, was er sonst getan hätte… Nein, in seinem tiefsten Inneren wusste Dean genau, was er getan hätte, was er hätte tun müssen. Wenn er die Scherbe nur ein kleines bisschen tiefer gedrückt hätte… Er hätte es verdient.
 

Der Jäger glaubte nicht an das Schicksal, aber es waren nicht nur die Schuldgefühle. Sie waren nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. War er nicht froh, dass endlich alles enden würde? Versprach der Tod nicht die lang ersehnte Erlösung? Hatte er nicht schon seit langem einen Grund gesucht alles enden zu lassen? Nun hatte er ihn gefunden.
 

*
 

Einen Monat war es nun schon her seit der Fluch Dean sein Eigen genannt hatte. Spiegel vermied er noch immer, denn alles, was er darin sah, war ein Monster. Er hatte bereits unter dem Einfluss des Kainsmals gestanden, war ein Dämon gewesen, hatte schlimme Dinge getan. Aber was in dieser Neumondnacht geschehen war… Diese Grenze hatte er noch nie überschritten, nicht einmal in der Hölle. Jeder Tag war seither eine Qual gewesen, doch die Nächte waren schlimmer. Die Träume hatten nicht nachgelassen, ihre Schreie waren nie verstummt.
 

Dean war allein jagen gegangen. Oft, sehr oft. Und jedes Mal war er blutüberströmt und völlig am Ende zurückgekehrt. Zurückgekehrt zu seiner eigenen Überraschung. Er hatte jede Hilfe verweigerte, hatte sich nicht von Castiel heilen und Sam nicht einmal seine Wunden ansehen lassen. Es war als hätte er sich vollständigen von ihnen zurückgezogen. Er sprach kaum, aß kaum, vermied Begegnungen mit Menschen, hatte in den vergangenen Wochen einzig und allein so viele Monster getötet wie möglich.
 

Nun neigte der Tag sich dem Ende entgegen, die letzten Sunden bis zum Neumond waren herangebrochen. Hier draußen zwischen den kahlen Bäumen war die Herbstluft überraschend mild, trotz des scharfen Windes. Die Blätter waren gefallen. Laub raschelte unter seinen Schuhen. Dean sah zu wie die Sonne langsam hinter dem Horizont verschwand und sich die Wolken gelb färbten als stünden sie in Flammen. Am Himmel bereits ein erster Stern, der die baldige Nacht ankündigte. Die Schwärze der frühen Dämmerung löste das Orange des Abends ab und ihm wurde bewusst, dass es Zeit für ihn war zu gehen.
 

Sie bemerkten ihn nicht. Sam lachte. Castiel musste wohl wieder etwas Amüsantes gesagt haben, von dem er sich nicht bewusst war, dass es amüsant war. Deans Mundwinkel hoben sich leicht. Zu wenig für ein Lächeln, grade genug um festzustellen, dass er noch fühlte. Zuneigung, Wehmut und Gewissheit zu gleichen Teilen. Die beiden würden zurecht kommen. Sie würden aufeinander aufpassen, so wie es eine Familie nun mal tat, selbst wenn er kein Teil mehr davon sein würde. Eine Weile sah er ihnen zu, dann ging er in sein Zimmer.
 

*
 

Es klopfte. Dean fuhr zusammen, aber gab kein Zeichen der Zustimmung einzutreten. Er wollte allein sein und sich betrinken. Vielleicht würde der Alkohol das Kommende erträglicher machen. Sam trat trotzdem ein. Der Ältere wandte sich ab, vermied Blickkontakt so wie in den Wochen zuvor. Vielleicht hätte er damals besser seinem Bruder einen Vortrag über Privatsphäre und persönlichen Freiraum halten sollen anstatt dem Engel. Jäh stellte Dean die Whiskyflasche ab, die er gerade im Begriff gewesen war zu öffnen. Der Inhalt schwappte bedenklich und das diffuse Licht der alten Deckenlampe brach sich darin.
 

Sam räuspert sich in die aufkommende Stille hinein. „Ich kann dich fahren, wenn du willst. Wohin möchtest du? Ich habe gehört die Loon Bar soll ganz gut sein“, schlug er vorsichtig vor. Nachdem was beim letzten Mal geschehen war, sollte er seine Worte mit Bedacht wählen.
 

„Ich werde nirgendwo hingehen“, antwortete Dean mit belegter Stimme. Er hatte gehofft, diese Konfrontation vermeiden zu können. Schon allein Sams Anwesenheit war schmerzhaft, führte sie ihm doch vor Augen, was er zurücklassen musste. Sie verdeutlichte ihm, dass er seine Aufgabe nicht länger erfüllen konnte, immer auf seinen Bruder aufzupassen.
 

„Das habe ich mir schon gedacht. Hier“, der Jüngere legte den Flyer eines Escortservices, in dem Callgirls ihre Dienste anboten, auf den Nachttisch neben Deans Mobiltelefon, „Du musst mit jemandem schlafen ehe die Nacht vorüber ist.“
 

„Das wird nicht passieren.“ Entschlossenheit schwang in jeder Silbe. Sammy sollte nicht einmal denken, er könnte an diesem Umstand etwas ändern.
 

„Dean…“ Nein, ich habe ihn falsch verstanden, er meinte das nicht so. Gott, Dean, tu das nicht, lass mich nicht allein. Der Jüngere war wie paralysiert, er wollte nicht glauben, was er gerade gehört hatte, wollte nicht hören, zu was Dean sich entschieden hatte.
 

„Du musst jetzt gehen.“ Sam durfte nicht länger hier sein. Schon spürte Dean die anfängliche Unruhe, das Kribbeln seiner Nerven. In diesem Zustand war er eine Gefahr für jeden Menschen, der ihm nahe genug kam, auch für seinen Bruder. „Sam, raus hier!“
 

Klirrend fiel die Whiskyflasche zu Boden und zersprang dort in tausend Stücke. Es war unklar, ob Dean sie mit Absicht fortgeschleudert oder ausversehen umgestoßen hatte. Die goldbraune Flüssigkeit verteilten sich über die alten Holzdielen gespickt von schimmernden Scherben.
 

Das Glas knirschte unter seinen Schuhen, als der Größere einen Schritt auf ihn zutrat anstatt hinaus zu laufen. „Der Fluch wird dein Leben fordern!“

Das durfte nicht sein! Nachdem er seinen großen Bruder blutend im Badezimmer aufgefunden hatte, hatte er doch tatsächlich glauben wollen, das Thema wäre erledigt. So sehr hatte er gehofft, dass das Ganze nur ein einmaliger Tiefpunkt gewesen war, dass Dean sich schon wieder fangen würde. Er war ja so naiv gewesen.
 

„Raus!“ Dean bereute ihn anschreien zu müssen. Er bereute, dass ausgerechnet das die letzten Worte an seinen Bruder sein würden. Er bereute, dass Sam ihn so in Erinnerung behalten würde, ihn wegschickend, ihn von sich stoßend. Aber es ging nicht anders.
 

Noch ein letzter entsetzter Blick aus graubraunen Augen, Verzweiflung auf beiden Seiten, dann verließ Sam tatsächlich den Raum und Dean war allein. Endgültig.
 

*
 

Der Abend war nun vollständig hereingebrochen, es war bereits weit nach 20 Uhr. Die veraltete Beleuchtung des Bunkers sirrte dann und wann. Es war kühl geworden, doch Castiel spürte es nicht. Angespannt wartete er. Die Situation war heikler als Sam sie ihm beschrieben hatte, da war er sich sicher. Denn obwohl die Brüder nichts erwähnt hatten, hatte er die neuen Narben auf Deans Armen gesehen, und auf seiner Seele.
 

Dann hörte er Schritte auf dem Gang. Sobald er Sams kreideweißes Gesicht sah, ahnte er, wie das Gespräch verlaufen war. Und der Größere bestätigte seine Befürchtung. „Dean weigert sich… weigert sich Sex zu haben. Er wird sterben, wenn er nicht…“ Seine Stimme brach. Verloren stand der jüngere Winchester-Bruder mitten im Raum. „Ich weiß nicht, was ich tun soll…“
 

Der Engel verstand. Dean wollte sterben, er glaubte den Tod verdient zu haben. Im Wellental konnte man den Himmel nicht sehen, das wusste Castiel nur zu gut. Er schloss die Augen, sammelte sich, als müsse er eine Entscheidung treffen. Dann blickte er auf und sagte zu Sam: „Egal was geschieht, geh nicht in das Zimmer.“
 

Sam schluckte. „Was hast du vor?“
 

„Ich werde tun was auch immer nötig ist“, antwortete der Engel monoton. Nur wenige vermochten die Furcht zu erkennen, die darin lag.
 


 

"If there's even a small chance that we can save you,

I won't let you walk out of this room."

Castiel zu Dean 10x22
 

Verdient - Was auch immer nötig ist


 

Verdient

Was auch immer nötig ist

"I will not let you die. I won't let any of you die. And I won't let you sacrifice yourselves.

You mean too much to me. To everything."

Castiel 12x09

 
 

Das dunkle Holz schien wie eine unüberwindbare Barriere, etwas das trennte und gleichzeitig schützte. Die Ziffer 11 prangte unter dem Zeichen der Männer der Schriften. Seine Hand schwebte über dem Messingknauf, einem Richterhammer gleich, der sich gewiss war fallen zu müssen. Wenn er durch diese Tür ging, würde sich alles ändern. Unangenehm schwer lag sein Herz in seinem Brustkorb. Zu wenig für Angst, zu viel für bloße Anspannung. Castiel atmete tief durch und betrat das Zimmer.
 

Der Anblick, der sich ihm bot, versetzte ihm einen Stich irgendwo zwischen Kehle und Magen. Der Mensch saß auf der Bettkante und barg sein Gesicht in seinen Händen. Er war müde, so müde. Und es war keine Müdigkeit, die sich mit Schlaf kurieren ließ. Das Leben hatte ihn erschöpft. Sie hatten immer gewusst, dass das Jagen einen hohen Preis haben würde, aber vielleicht war der Preis diesmal zu hoch. Das Band zwischen ihnen flackerte unstet, als würde es sich auf sein baldiges Ende vorbereiten. Wie ein verlöschendes Licht dessen Kräfte schwanden.
 

Castiel wünschte, er könnte die Last von ihm nehmen oder zumindest seine eigene Stärke auf ihn übertragen. Die Wunden auf Deans Seele waren tiefer als jemals zuvor. Wenn es einen Weg gab ihn zu heilen, würde er ihn gehen. Mit allen Konsequenzen. Was auch immer nötig ist.

„Hallo, Dean.“
 

Dieser stand auf und wich vor ihm zurück. Er hätte es wissen müssen. Er hätte sich denken können, dass Cas ihn nicht in Ruhe lassen würde. Es überraschte ihn nicht. Auf jede potenzielle Selbstmordmission war der Engel ihm gefolgt. Aber nicht heute. Heute würde er ihm nicht folgen können. „Geh weg, ich habe mich nicht im Griff.“
 

Die Ablehnung tat weh, trotz allem. Castiel war stehen geblieben. Er sah seinen inneren Kampf und verstand. Vielleicht war er der Einzige, der Dean jemals wahrlich gesehen hatte. Die Erkenntnis machte ihn traurig. Du glaubst nicht, dass du es wert bist gerettet zu werden. Wo er doch sonst soziale Sprache und Zwischenmenschliches nicht deuten konnte, hatte er Dean schon bei ihrer ersten Begegnung sofort durchschaut, als könnte er in seine Seele sehen. Und das hatte dem Jäger Angst gemacht. Auch jetzt hatte Dean Angst, aber nicht vor dem Engel, sondern vor sich selbst.
 

Wieder dieses Fieber. Dean spürte, wie es langsam aufstieg und sich in ihm unaufhaltsam ausbreitete, sich in seine Adern fraß. Seine Nerven zum Zerreißen gespannt. Seine Geduld hing am seidenen Faden. Es passierte schon wieder… Es passierte schon wieder… Es passierte schon wieder… Nein! Es durfte nie wieder geschehen! Es würde nie wieder geschehen, dafür würde er sorgen. Auch wenn es um seine Selbstbeherrschung immer schlechter stand.
 

Aber nicht nur deswegen wünschte er, Castiel wäre nicht hier. Er ertrug seine Anwesenheit nicht, er hatte sie nicht verdient. Er verdiente ihre Sorge nicht. Er hatte es nicht einmal verdient, dass man ihn ansah. Nicht mit diesem Blick in den Augen. Aber wie sollte der Engel das auch verstehen? „Du weißt nicht wie das ist…“
 

Dean wollte wegsehen, doch der Engel fing seinen Blick auf. „Wie es ist einem Menschen weh zu tun, während man keine Kontrolle über sich hat? Einem Menschen, den man eigentlich beschützen sollte? Wenn die Schuld so schwer wiegt, dass man in einem Wald Bienen züchten oder sich in einem Bunker einschließen möchte?“
 

Betroffen wandte Dean sich ab. Das hier, das war Cas. Castiel, der nach den Seelen des Fegefeuers nicht mehr er selbst gewesen war. Castiel, der unter Naomis Kontrolle gestanden hatte. Castiel, der von Rowena mit einem Fluch belegt worden war. Castiel, der den Bunker nie wieder hatte verlassen wollte, weil er sich für gefährlich gehalten hatte.
 

Behutsam legte Castiel eine Hand auf seine linke Schulter und drehte ihn wieder zu sich. „Ich kann verstehen, dass du keinem Menschen schaden willst, um dich am Leben zu erhalten. Aber ich bin kein Mensch.“
 

Die sonst so vertraute Berührung wog plötzlich so schwer. Dean schüttelte die Hand des Engels ab, als hätte sie ihn verbrannt. „Was willst du mir damit sagen, Cas?“ Sein stechend grüner Blick traf den seines Gegenübers und doch konnte er ihn nicht halten. Cas trug wilde Ozeane in seinen Augen und Dean hatte Angst davor zu schwimmen.
 

„Wunden heilen bei mir bereits nach kurzer Zeit. Es gäbe keine bleibenden Schäden.“ Castiel sah auf den Boden. „Ich meine, du… du könntest mir nicht nachhaltig schaden.“ Zumindest nicht körperlich. Aber nichts von allem, was Dean tun könnte, wäre schlimmer als ihn zu verlieren. Nichts könnte den Engel so sehr zerstören wie der Tod von diesem einen Menschen.
 

Schleichend kroch eine Ahnung in dem Jäger hoch, die seine Eingeweide zuschnürte und ihm das Atmen schwer machte. Kurz schloss er seine Lider, um sich zu sammeln und für einen Moment die bestürzende Wirklichkeit auszuschließen. Doch so würde die Erinnerung an die junge Frau zurückkehren. Angst davor die Augen zu schließen und Angst davor sie offen zu halten. Dean schluckte schwer. So sehr hoffte er, er hätte den Mann im Trenchcoat missverstanden. „Cas…?“
 

Dieser hob den Kopf. Der ernste Ausdruck auf seinem Gesicht ließ nichts von dem vermuten, was wohl in seinem Kopf vorging. Mit festem Blick sah Castiel ihm in die Augen. „Ich will, dass du mit mir schläfst, Dean.“
 

Für einen Moment war der Jäger wie paralysiert. Er starrte ihn an, seinen besten Freund. Schweigen. Kein Ton brach über seine Lippen, als müsse er die gefallenen Worte erst verarbeiten. Nur langsam sickerten sie in sein Bewusstsein. Hitze flutete in einer verheerenden Welle seinen Körper und fachte das Fieber in ihm nur noch mehr an, verstärkte diesen Drang… Castiel musste gehen. Sofort. Seine bloße Anwesenheit brachte ihn fast um den Verstand. Verzweifelt grub Dean die Fingernägel in seine Handballen, in der Hoffnung der Schmerz würde ihn ablenken. Doch es war als wären all seine Sinne nur noch auf sein Gegenüber ausgerichtet. Wie ein Raubtier, das seine Beute fixierte.
 

Gott, nicht Cas, bitte, nicht Cas! Er durfte die Kontrolle nicht verlieren. Der Fluch durfte ihn nie wieder beherrschen. Mit allem was er hatte, mit seiner ganzen Kraft bekämpfte Dean das Feuer in sich und drängte es zurück, all das Verlangen, die Begierde und diesen Hunger. Für Cas. Nachdem Dean sich wieder gefasst hatte, kehrte seine Stimme und seine Vehemenz zurück: „Das kommt nicht in Frage!“
 

„Weil meine Hülle männlich ist?“ Wie sollte er jetzt auf die Schnelle einen weiblichen Körper finden? Abgesehen davon hatte er diesen hier irgendwie liebgewonnen. Es war als wäre es sein eigener. Aber für Dean würde er ihn aufgeben.
 

„Das ist es nicht. Ich könnte dir niemals… Nein.“ Bestimmt schüttelte Dean den Kopf. Allein der Gedanke, dem Engel weh zu tun, verursachte ihm Übelkeit. Nach dem Kainsmal hatte er sich geschworen soetwas niemals wieder zu tun, um jeden Preis.
 

„Du wirst sterben, Dean.“

Sie sahen sich in die Augen. Das Grün traf den Engel wie ein Schlag. Es ließ ihn tief in die menschliche Seele blicken, offen und verletzlich lag sie vor ihm: seine Furcht und seine Entschlossenheit, seine Trauer und seine Schuld. Das Ungesagte all der Jahre tränkte die Luft um sie herum und nahm ihnen fast den Atem. Eindringlich sahen sie einander an und erkannten so viel in den Augen ihres Gegenübers. Vieles, was nie ausgesprochen wurde und auch nie würde und doch in diesem Moment so klar war.
 

„Ja.“ Ja, er würde sterben, seine Zeit war gekommen und er war bereit. Alles war genauso gekommen wie Dorothy es ihm prophezeit hatte. Es wird sich bald zeigen, was für ein Mensch du bist. Oh, und wie sich das gezeigt hatte. Er war ein Mensch, für den in dieser Welt kein Platz mehr war. Auch deine Zeit wird irgendwann kommen, Dean Winchester. Sie hatte recht behalten. Er wollte nicht gerettet werden, nicht diesmal. Und dennoch kam er nicht umhin dankbar zu sein, Castiel zu sehen, ein letztes Mal. Das hier war ein Abschied.
 

Castiel wollte noch etwas sagen, doch Dean fiel ihm ins Wort: „Geh jetzt bitte. Ich möchte allein sein.“ Auffordernd blickte er sein Gegenüber an und erwartete, dass dieser seiner Bitte unverzüglich Folge leistete. Wie sehr wünschte er sich, der Engel würde das Letzte sein, das er sah. Aber das ging nicht. Darum würde er niemals bitten.
 

Nie hatte der Jäger geglaubt, dass es so enden würde. Er hatte Angst, furchtbare Angst. Er wollte nicht allein sein, nicht allein sterben, aber noch weniger wollte er, dass ihn jemand so sah, sich krümmend unter dem Fluch. Wie hatte der Augenzeuge es beschrieben? Auf einmal fing er an zu zittern, dann ist er umgekippt auf den Boden, hat sich gewunden und geschrien, es war grauenhaft! So sehr ihn die Furcht vor dem Kommenden auch lähmte, diesen Anblick konnte er weder seinem Bruder noch seinem besten Freund antun. Er würde diesen letzten Weg gehen, allein, so schmerzhaft er auch sein mochte, er würde es erdulden.
 

Das Wissen um die Pistole in seinem Nachtschrank war verführerisch. Eigentlich zur Verteidigung gedacht, bot sie nun einen Ausweg. Aber er würde sie nicht benutzen, egal was kommen würde, er hatte es nicht anders verdient. Vielleicht sollte er die Waffe aus seiner Reichweite schaffen, damit er nicht in Versuchung geriet, wenn die Qualen unerträglich wurden. Denn das würden sie und er hatte es verdient.
 

 
 

"How is it that you lost Dean? I thought the two of you were joined at the... everything."

Kipling zu Castiel 14x01
 

Verzweifelt - Um jeden Preis

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Verstehen - Das Recht auf seinen Tod

"To save Dean Winchester, that was your goal, right?

You drape yourself in the flag of Heaven,

but ultimately, it was all about saving one human."

Metatron zu Castiel

 
 

Das diffuse Licht des Bunkers erhellte den großzügigen Raum. Sam hielt sich an der Tischplatte fest, seine Knöchel traten weiß hervor. Er hatte nur warten können. Nur warten. Denn er selbst hatte nichts mehr tun können, nur Castiel konnte es und er hatte den Engel machen lassen. Jetzt war das Warten vorbei. Und er wusste nicht, was schlimmer war. Es war klar, was er getan hatte. Sam hätte die Schreie nicht hören müssen, um zu wissen, welchen Preis Deans Leben hatte.
 

Damals hatte Dean ihm einen Engel aufgezwungen, um ihn zu heilen, obwohl er bereit gewesen war zu sterben. Nun hatte Sam ihm diesen Gefallen erwidert. Es hatte sein müssen. Sie hatten getan, was nötig war. Sie hatten das Richtige getan. Sie hatten keine Wahl gehabt. Oder?
 

Castiel tauschte mit ihm aus leeren Augen einen Blick. „Er lebt“, schienen sie zu sagen. Sam nickte, die Lippen zu einer schmalen Linie zusammengepresst, irgendwo zwischen dankend, zur Kenntnis nehmend und bestürzter Gewissheit. Dann war der Engel verschwunden.
 

.

Ein Steppengebiet irgendwo in Zentralasien, fernab von jeder Zivilisation. Ein Ort, an dem er niemandem schaden konnte. Ein trockener Wind fegte durch die dürren Gräser, wirbelte den Staub des kargen Bodens auf und drang kalt durch den dünnen Stoff des Trenchcoats. Castiel spürte es nicht. Seine Schreie vermischten sich mit dem Donner, der über ihm grollte. Wahrscheinlich war er dafür verantwortlich.
 

Was hatte er bloß getan?! Dean hatte ihm vertraut, er war doch sein Freund. Und er… er hatte Dean weh getan, so sehr. Dem Menschen, dem er nie wieder weh tun wollte. Dem Menschen, der ihm so viel bedeutete. Er hatte ihm auf einer Weise Leid zugefügt, wie er es seinem schlimmsten Feind nicht wünschte. Er hatte nicht nur das Vertrauen des Jägers missbraucht, sondern auch ihn selbst, seinen Körper, seinen Geist, seine Seele. Hätte jemand anderes Dean soetwas angetan, der Engel hätte diesen auf der Stelle getötet.
 

Castiel wusste nicht, wie lange er schon mit geschlossenen Augen in dem hohen Gras gekauert hatte. Als er sie öffnete, saß eine alte Nomadin neben ihm auf einem Stein. Sie sagte etwas zu ihm. Ein Dialekt irgendwo zwischen Kasachisch und Kirgisisch. Der Bote des Himmels hätte sie wohl verstanden, er verstand jeden Menschen dieser Erde, wenn er denn hingehört hätte. Er zog in Erwägung einfach wieder zu verschwinden, sich einen neuen Ort zu suchen, einen an dem er allein sein konnte. Aber stattdessen ließ er sich von der zierlichen Frau in ihr Zelt führen. Wieso, wusste er selbst nicht. Er sah ihr zu wie sie Tee kochte.
 

Was hatte er nur getan? Er fühlte sich wund, roh, zerrissen. Als wäre etwas tief in ihm kaputt gegangen. Als hätte er einen Teil von sich unwiderruflich verloren. Er konnte Dean nicht weh tun ohne sich selbst zu verletzen. Das war schon immer so gewesen. Und es war oft so gewesen, viel zu oft. Aber dieses Mal… dieses Mal war es anders. Er hatte Dean verloren.
 

Sie legte ihm ein Fell um die Schultern. Wenn Castiel es nicht besser gewusst hätte und ein Mensch gewesen wäre, hätte er sie wohl als Engel bezeichnet. Ihre Seele leuchtete warm, gütig und weise. Fast so wie die mandelförmigen Augen in ihrem faltigen Gesicht, Zeugen längst vergangener Zeit. Sie hatte ein langes Leben geführt, bald würde sie sterben.
 

Was hatte er getan?! Dieser eine Mensch war in all den Jahren mehr gewesen als es seine himmlische Familie je hätte sein können. Und nun hatte er ihre Freundschaft für Deans Leben geopfert. Aber Dean hatte sein Leben nicht gewollt, nein, er selbst hatte Deans Leben gewollt. In seinem Egoismus hatte er ihm das Leben aufgezwungen. Hatte nicht jedes fühlende Wesen das Recht auf seinen Tod? Das Recht zu entscheiden, wann es genug war?
 

Allein bestritt die Nomadin ihr karges Leben in dieser schier endlosen Einöde, doch einsam war sie nie. Diese Frau schenkte ihm ihre Gastfreundschaft und ihre kostbare Zeit, nichts ahnend, wen sie da zu sich eingeladen hatte. Oder wusste sie es doch? Sie sah ihn an und lächelte.
 

Er hatte es getan. Er allein. Schuld wog wie Ketten, die ihn am Boden hielten, in die Tiefe zogen, in sein Fleisch schnitten und klaffende Wunden hinterließen, sodass alle Welt sehen konnte, was er getan hatte. Es war als läge eine unendlich schwere Last auf seinem Brustkorb, die ihm seinen Atem nahm, ihn nach und nach erdrückte. Indem er Dean genau das angetan hatte, was dieser so sehr bereute, hatte er dessen Schuld auf sich übertragen. Er hatte Deans Schmerz auf sich genommen.
 

.

Der Duschhahn fühlte sich kühl und glatt unter seinen noch immer bebenden Fingern an, bis Tropfen von oben herabfielen und das Salz aus seinem Gesicht wuschen. Dean ließ sie, streckte sich ihnen entgegen wie ein Kind dem warmen Sommerregen, hieß sie willkommen wie Lungen den Sauerstoff. Er konnte sich nicht erinnern, wann er zum letzten Mal so sehr geweint hatte. Es war befreiend gewesen, denn zuvor hatte er es nicht gekonnt. Nicht vor Sam. Und erst recht nicht vor sich selbst. Bei ihrem Leben hatte er es sich nicht leisten können schwach zu sein. Die Stimme seines Vaters und die Verachtung darin hallten noch immer nach: Du weiß wer heult? Babys.
 

Doch nun war es zu viel. Vor dem Spiegel war es aus ihm herausgebrochen. Den Versuch sich am Waschbecken festzuhalten hatte er aufgegeben, als alles wie eine einzige verheerende Woge über ihn hereingebrochen war und ihn überwältigt hatte. Geschüttelt von Weinkrämpfen war er zu Boden gesunken, sich windend unter den Schluchzern, die sich ihren Weg seine Kehle hinauf erkämpft hatten. Melanie. Fühle es sich so an? Das Gefühl wie Castiel ihn von hinten gegen diese Wand gefickt hatte. Sein bester Freund hatte ihn genommen gegen seinen Willen, oder?
 

Castiel hatte ihm die Wahl gelassen, entweder den Engel durch sein fluchgesteuertes Tun zu verletzen oder selbst zu erdulden, was dieser mit ihm tat. Deans Entscheidung war klar gewesen. Er hatte nicht eine Sekunde darüber nachdenken müssen oder wollen. Allein der Gedanke, dass Cas an seine Stelle getreten wäre, ließ seinen Magen zusammenziehen. Ihm wurde schlecht. Er musste sich an der Duschwand abstützen, um nicht erneut zu taumeln. So wie er sich abgestützt hatte als Cas…
 

Es zu verdrängen war zwecklos. Seine übliche Strategie würde hier keinen Nutzen haben. Castiel hatte ihn berührt wie es noch niemand zuvor getan hatte. Es hatte weh getan, sehr. Aber vor allem schmerzte, dass Cas es gewesen war, der ihm weh getan hatte. Und doch musste Dean sich eingestehen, dass der Engel ihn berührt hatte noch bevor dessen Hände und dessen Körper es getan hatten. Schon vor Jahren hatte Cas etwas in ihm angestoßen, von dem er nicht gewusst hatte, das es überhaupt da war. Etwas, dem er seither versuchte keine Beachtung zu schenken. Etwas, das alles kompliziert machen würde. Etwas Mächtiges. Etwas, das mächtiger gewesen war als der Fluch, sodass er genug Kraft gehabt hatte, Cas nichts anzutun.
 

Dann der Moment als der Engel in ihn eingedrungen war… Er hatte sich nie freier gefühlt. Nichts, was Castiel getan hatte, hatte Dean als falsch empfunden. Das war seine Nähe nie. Sein Handeln war nicht verwerflich, sondern gerechtfertigt gewesen. Buße. Das hier war seine Buße gewesen, die ihn befreite, die ihn frei machte von dem, was er selbst getan hatte.
 

Erschöpft vom Weinen lehnt Dean seine pochende Stirn an die kühlenden Fliesen und spürte dem Nass nach, das auf seinen Rücken fiel. Geschützt vor der Welt da draußen hier in der Dusche bei laufendem Wasser, abgeschirmt durch einen Vorhang aus Tropfen. Das Wasser lief und lief, spülte alles ab, Tränen, Schweiß und Blut, die Angst, die Verzweiflung und all die Schuld. Alles wurde abgewaschen, hinfort getragen in klaren Strömen. Dean fühlte sich wie ausgehöhlt. Wo vorher Schmerz gewesen war, war jetzt Leere, nicht nur in seinem Körper. Castiel war gegangen. Die Nacht war geblieben.
 

.

Dean war aus der Dusche gestiegen. Er wusste nicht, wie lange er unter dem regengleichen Schauer gestanden hatte. Vielleicht nur Minuten. Vielleicht Stunden. Wasserdampf durchzog das Bad wie dichter Nebel, der sogar die Zeit zu verschleiern vermochte. Tropfen perlten über seine Haut und zeichneten verschlungene Muster auf seinen Körper. Der Jäger sah an sich herab, über all die Narben und Wunden, die seine Feinde und seine Freunde auf ihm hinterlassen hatten, und er selbst. Es war nicht zu übersehen, wie kaputt er war. Beschädigte Ware. Wie viele Monster hatten diese Hände schon getötet? Wie viele Menschen? Und wog das eine das andere auf?
 

Vielleicht gab es keinen Unterschied, kein Schwarz und Weiß, nur undurchdringliches Grau, das so viele Farben barg, wenn man den Mut hatte genauer hinzusehen. Zwischen monströsen Menschen und menschlichen Monstern. Dean und Dorothy.
 

Er bemerkte nicht, dass er fror, bis er zu zittern begann. Feuchte, dunkle Flecken hatten sich auf der Frotteematte unter seinen Füßen gebildet. Zögernd streckte er eine Hand aus, nahm sich eines der Handtücher aus dem alten Eichenschrank und trocknete seinen wunden Körper. Castiel hatte seine Male auf ihm hinterlassen, ihn erneut gezeichnet.
 

Sich das Leben nehmen, seltsamer Ausdruck. Wem das Leben nehmen? War es erst einmal vorbei, war es nicht man selbst, der es vermisste. Der eigene Tod war etwas, das jedem anderen passierte. Sein Leben gehörte nicht ihm allein, das verstand Dean nun. (1)
 

Jetzt erkannte er die wahre Bedeutung des Fluchs. Jeden Monat musste er sich erneut für das Leben entscheiden. Zu leben war für ihn kein Zustand mehr, sondern eine Entscheidung, etwas das er aus freien Stücken wählte und für das es sich zu kämpfen lohnte. Auch mit sich selbst, mit seiner Vergangenheit, seiner Schuld und seinen inneren Dämonen. Um derer willen, die er liebte. Für Sam. Und für Cas.
 

 

"I was lost until I took on your pain."

Castiel


 


 

1) Quelle: BBC Sherlock 4x02

Verzeihen - Die Last der Schuld

"I'll find some way to redeem myself to you."

Castiel zu Dean

 

 
 

Dean kam immer hier her, wenn er nachdenken musste. Es war friedlich. Hier fühlte er sich frei. Frei von allem. Eine seltsame Ruhe erfasste ihn, jedes Mal wenn er herkam. Der Steg knarrte unter seinen Füßen und der See wiegte sich in dem beständigen Rhythmus der Wellen. Eine leichte Brise ließ das Schilf am Ufer leise rauschen.
 

Das vertraute Rascheln eines Trenchcoats. „Cas?“
 

„Ich bin hier.“ Castiel stand direkt neben ihm, sein Mantel wehte im Wind wie ein Umhang. Der Engel tauchte auf und sofort fühlte er sich wieder sicher. Das war doch absurd…
 

„Aber du bist nicht wirklich hier, oder?“
 

„Nein“, hörte er ihn sagen. Das hier war nur ein Traum. Der Engel war nur zu Besuch. Vielleicht war das alles, was blieb. Würde Castiel jemals zurückkehren? Sie wussten es beide nicht.
 

Sie waren nicht mehr die selben, die sie vorher gewesen waren. Sogar seine Stimme war nicht mehr die selbe. Eine Stimme, die Dean schon so oft gehört hatte, war jetzt eine ganz andere. Sie war ein Griff um sein Herz, ein Sturm in seinen Arterien, ein heißer Schauer, der durch seinen Körper jagte, und ein flüchtiges Ziehen in seinen Lenden. Alles hatte sich verändert. Das, was gewesen war, war nicht länger. Ihre Glut, ihre Hitze, ihr Feuer hatte nichts als einen Haufen Asche hinterlassen. Sie waren keine Freunde mehr, keine Familie. Was würden sie nun sein? Würden sie jemals wieder irgendetwas sein?
 

Eine Weile sahen sie wortlos auf das Wasser und verloren sich in der Vorstellung, dass sie niemals aufwachen mussten, dass das hier nie enden würde. Ein Moment, eingefroren inmitten der Zeit. In weiter Ferne besang ein Vogel die letzten Stunden des Tages. Die Bäume auf der anderen Seite verloren sich im leichten Nebel, so wie sie einander verloren.
 

.

„Dean, was ich…“
 

„Nein, tu das nicht“, schnitt der Jäger ihm das Wort ab.
 

Castiel schwieg betroffen. Vielleicht war es noch zu früh. Oder schon zu spät. Würden sie nie wieder davon sprechen und so tun als wäre nichts passiert? Als wäre alles wie immer? Ein verlockender und zugleich befremdlicher Gedanke. Aber nachvollziehbar. Vielleicht waren die Gedanken daran, die Erinnerungen an das, was geschehen war, zu schmerzhaft. Und es war Deans gutes Recht diese Illusion des Traumes aufrecht zu erhalten. Es war schließlich sein Traum. In ihren Träumen erschufen die Menschen Welten, die allein ihnen gehörten. Manchmal wünschte sich Castiel, er könnte es auch. Träumen.
 

„Ich will deine Entschuldigung nicht“, Dean stockte, „weil es nichts gibt, wofür sie gut sein könnte.“
 

Es waren wohl Momente wie dieser, die einen für immer veränderten. Castiel schloss die Augen und fiel. Fiel mit der Hoffnung, an der er sich festgehalten hatte. Dean hatte recht, eine Entschuldigung würde nichts ändern, nichts wieder gut machen. Es gab nichts mehr, das er tun konnte, nichts mehr, das er sagen konnte. Es war zu spät. Er hatte alles zerstört. Gedanklich versuchte Castiel sich von ihm zu verabschieden, aber es ging nicht. Er wünschte, Dean würde ihn anschreien oder schlagen, irgendetwas tun, damit es leichter war zu gehen.
 

Doch leiser fügte der Jäger hinzu: „Ich bin derjenige, der die Schuld tragen sollte.“ Aber er trug sie nicht. Nicht mehr. Sie beide wussten, was der Engel getan hatte.
 

Castiel schluckte. „Das ist nicht wahr.“

Zögernd, vorsichtig, als könnte bei einer unbedachten Bewegung der blonde Mann vor ihm davonlaufen, legt der Engel ihm sanft eine Hand auf die Schulter. Zu seiner Überraschung schlug Dean sie nicht fort. Sie standen einfach nur da. Fragil. Verletzlich. Empfindsam. Es war viel zu viel und gleichzeitig viel zu wenig. Sie schwiegen. Keiner von ihnen wagte diesen zerbrechlichen Moment zu unterbrechen. Es war kein leeres Schweigen. Der Raum zwischen ihnen war vollgestopft mit Sehnsucht und Erinnerung, Entsetzen und schwerem Atmen.
 

.

Dann nach einiger Zeit holte Dean tief Luft als müsse er sich überwinden: „Wie bist du damit zurecht gekommen? Wie hast du es geschafft damit zu leben?“ Castiel sah ihn fragend an. Seine Finger glitten von der Schulter des Menschen. „Damit, was du im Himmel getan hast“, ergänzte Dean. Auch der Engel hatte schlimme Dinge getan und doch war er noch immer hier. Vielleicht würde das dem Jäger eines Tages auch gelingen.
 

„Meine Brüder und Schwestern abgeschlachtet zu haben?“, Bitterkeit schwang in seiner Stimme, „Gar nicht. Ich habe versucht Buße zu tun, indem ich im Fegefeuer blieb. Aber dadurch habe ich nur noch mehr Leid verursacht.“

Dean hatte den Gedanken nicht ertragen können, dass es Castiels Wille gewesen war ihn zu verlassen, also hatte er sich seine eigene Erinnerung erschaffen. Lieber hatte er glauben wollen, dass er Castiels Hand im Portal losgelassen hatte, dass er ihn im Fegefeuer zurückgelassen hatte, dass er nicht stark genug gewesen war. Seine Trauer und Schuld hatten ihn in seinen Träumen heimgesucht, hatten ihn nicht mehr schlafen lassen und ihm Dinge vorgegaukelt, die gar nicht da gewesen waren. Immer wieder hatte er geglaubt den Engel zu sehen, so wie Sam seine Freundin Jessica nach ihrem Tod gesehen hatte.
 

„Ich habe dir verziehen, Cas, und das schon lange.“ Sie sahen sich in die Augen. Dean hatte nicht bloß die Sache mit dem Fegefeuer gemeint.
 

Castiel blickte zu Boden und ignorierte diese Tatsache. Vielleicht war es noch zu früh, um seine Vergebung annehmen zu können. Oder schon zu spät. „Aber dann… dann kam Naomi und ich hätte dich fast getötet!“

Noch immer hallten die Worte nach, mit denen Dean den Bann durchbrochen hatte. Wir sind eine Familie. Wir brauchen dich. Ich brauche dich. Sie hatten nie darüber geredet, kein einziges Mal. Nie hatten sie zur Sprache gebracht, was es bedeutet hatte.
 

„Das habe ich auch.“

Dean erinnerte sich nur zu gut, wie er unter dem Einfluss des Kainsmals auf Cas eingeschlagen hatte und wie dieser sich nicht gewehrt hatte, kein einziges Mal. Noch heute konnte er spüren, wie die Rippen unter seinen Händen brachen. Er hatte die Engelsklinge gegen seinen besten Freund erhoben, Cas blutüberströmt unter ihm… Niemals würde er diesen Anblick vergessen. Nie wieder durfte er es so weit kommen lassen.
 

„Doch kurz darauf habe ich es wieder getan, Dean, unter Rowenas Fluch.“

Wieder hatte der Jäger keinen Versuch der Gegenwehr unternommen, hatte bloß Castiels Hand gehalten, während dieser mit der anderen auf ihn eingeschlagen hatte.

„Und du… du wolltest dich danach nicht von mir heilen lassen, Dean, weil du glaubtest, du hättest es verdient. Und ich habe mich als Lucifers Hülle zur Verfügung gestellt, weil ich glaubte, ich hätte es verdient.“
 

„Vielleicht ist das hier zwischen uns…“, Dean brach hilflos ab. Seine Züge veränderten sich, ganz so als hätte er Schmerzen. Dann atmete er tief durch, strich die Emotionen aus seinem Gesicht und begann erneut: „Vielleicht sind wir dazu verdammt uns immer wieder und wieder gegenseitig zu verletzen.“ Vielleicht war es besser für sie beide, wenn das hier ein Abschied war. Castiel hatte schon genug für sie geopfert.
 

„Nein, da ist nicht nur Schmerz. Ich kann es fühlen.“ Dean war kein schlechter Mensch, er war ein sehr guter Mensch, dem schlechte Dinge widerfahren waren. Es gab so viel mehr in ihm als er erkannte, nicht nur Schmerz und Zorn. Da war auch Gutes, Castiel spürte es. „Ohne dich wäre ich nicht… ich. Und ich denke, ich bin mehr als das, was ich gewesen bin.“ Vielleicht hatte dieser Mensch ihn zu dem gemacht, der er schon immer hatte sein sollen. „Das ist nicht Destruktion, Dean. Das ist Konstruktion.“
 

Dean stieß hörbar die Luft durch die Nase aus, ein abfälliges Schnauben, das missglückte. Er bezweifelte das. Nie war Castiel solch ein gefühlloser Mistkerl gewesen wie all die anderen Engel. Und was hatte es ihm genützt? Nun stand der mit gebrochenen Flügeln vor ihm. Und wessen Schuld was das? Ganz genau, seine, Dean Winchesters. Castiel hatte versucht die Stücke eines gebrochenen Mannes wieder zusammenzusetzen und hatte dabei sich selbst zerbrochen.
 

„Wie kannst du mir nur verzeihen? Immer und immer wieder?“, brachte Dean hervor. Er hatte ihn nie darum gebeten. Er hatte ihn nie um Verzeihung gebeten. Dafür dass er das Vertrauen in Cas verloren hatte, als er erfahren hatte, dass dieser mit Crowley gearbeitet hatte. Dafür dass er Cas in dem Krankenhaus zurückgelassen hatte, als dieser Sams Schmerz auf sich genommen hatte. Dafür gesagt zu haben, dass es ihm egal sei, dass Cas gebrochen war. Dafür nicht mit Cas gesprochen zu haben, als dieser ihm gestanden hatte suizidal zu sein. Dafür Cas aus dem Bunker geworfen zu haben und ihm nicht von Gadreel erzählt zu haben. Dafür Cas zusammengeschlagen zu haben, währen dieser sich nicht einmal gewehrt hatte. Dafür nicht bemerkt zu haben, dass Lucifer in Cas gewesen war. Und das war nicht mal alles.
 

Ihm verzeihen? Castiel verstand nicht. Er hatte Dean nie verziehen, weil es nichts gab, wofür er ihm hätte verzeihen müssen. Der Jäger hatte stets gute Gründe für sein Handeln gehabt, so wie damals als er den gefallenen und nun menschlichen Castiel hatte wegschicken müssen. Oder Dean hatte unter Fremdeinfluss gestanden. Leviathane, Naomis Kontrolle, der Rausch des Kainsmals, Rowenas Fluch. Nie waren sie sie selbst gewesen, wenn sie einander wehgetan hatten. Bis zu dieser Neumondnacht. Castiel war bei klarem Verstand gewesen und hatte aus eigenem Antrieb gehandelt in dem vollen Bewusstsein dessen, was er Dean damit antat. Und deswegen verstand der Engel nicht.
 

Aber er musste etwas sagen, irgendetwas. „Indem ich zuerst mir selbst verzeihe“, antwortete er also. Eine glatte Lüge, aber das war jetzt nicht wichtig. „Siehst du denn nicht, dass das ein Teufelskreis ist? Durchbrich ihn, Dean!“ Und leiser fügte er hinzu: „Es schadet nur denen, die man liebt, wenn man an seinen Schuldgefühlen festhält. Das musste ich auf schmerzhafte Weise lernen.“ Sein Verbleib im Fegefeuer, sein Ja zu Lucifer, … Die Liste war lang.
 

Dean sah ihn an als hätte er ihn noch nie zuvor gesehen, oder als würde er erst jetzt erkennen. War es nicht offensichtlich gewesen? Castiel hatte rebellierte und hatte seine Bestimmung, sein Zuhause, seine Familie und alles, was er je gekannt hatte, aufgegeben. Der Engel hatte in der Hölle gebrannt, im Fegefeuer gekämpft, im Himmel gelitten und war auf der Erde gestorben, zurückgekehrt und geblieben. Und wofür? Ich tue das, all das, nur für dich, Dean, hatte er gesagt. Denen die man liebt, hatte er gesagt. Ich liebe dich auch, Cas, wollte Dean erwidern. Es wollte raus, unwillkürlich, einfach so. Aber er tat es nicht.

 

 

 

"We are family. We need you. I need you."

Dean zu Castiel 8x17

 

 

 

Empfehlungen:

Destiel-FF "Remember" von mir

Supernatural-Zitatsammlung "Destiel Quotes"

Song "Soldier" von Gavin DeGraw

Verborgen - Etwas Besonderes

Dean: "You made an exception for me."

Castiel: "You're different."


 

Lautes Schweigen in seinem Kopf. Das Klopfen von Regentropfen gegen die marode Fensterscheibe. Sein eigener Atem hallte in seinen Ohren. Dean schloss die Augen, versuchte sich zu erinnern, wie es gewesen war. Spätes Erkennen. Vielleicht zu spät. Glück war etwas, das anderen Menschen passierte.
 

Was war bloß los mit ihm? Wieso schoss ihm dieser abwegige Gedanken durch den Kopf während er mit Cas sprach? Missmutig rührte Dean in seinem längst erkalteten Kaffee. Ich liebe dich auch. Der Impuls hatte ihn erschreckt, mehr als erschreckt, es hatte ihm Angst gemacht.
 

„Dean?!“
 

Der Angesprochene sah auf in Sams fragendes Gesicht: „Hm?“
 

„Du hast mir ja gar nicht zugehört.“
 

Das hatte er nicht. Viel zu sehr beschäftigten ihn die kürzlichen Ereignisse. Erledigt fuhr Dean sich mit der flachen Hand über das Gesicht. Dieser Engel raubte ihm noch den letzten Nerv. Hoffentlich merkte sein Bruder nicht, was in ihm vorging, das wäre wirklich demütigend. Dieser schien nicht verärgert zu sein, besorgt vielleicht. Dann zog er immer die Stirn kraus, so wie jetzt.
 

„War in Gedanken“, antwortete Dean.

Genau genommen war Castiel in seinen Gedanken. Nicht wortwörtlich, aber er spukte ihm in seinem Kopf herum, alles kreiste um diese eine Person. Als ob es nicht schon genug wäre, dass er in seinen Träumen auftauchte. Er war überall, nur nicht in seiner Gegenwart. Ob er es wohl jemals wieder sein würde? Ob der Engel jemals zurückkommen würde? Und wollte er das überhaupt? War es nicht vielleicht besser, wenn sie sich nie wieder sehen würden?
 

Wenn er Castiel ansah, sah alles, was er je gewollt hatte. Er sah sich selbst an und sah nichts, was er verdiente. Er hatte Dinge getan… schreckliche Dinge. Wie konnte er zulassen, dass der Engel bei ihm blieb? Durch seine Gefühle für Cas brachte er ihn in Gefahr. Eines Tages würde er sein Verderben sein, wenn er das nicht längst schon war. Zu viel schon hatte Cas für ihn opfern müssen. Dean wusste, er müsste ihn gehen lassen, aber dazu fehlte ihm die Kraft. Stattdessen hatte er den Engel stets in seiner Nähe behalten, zwar immer mit einigem Abstand, jedoch nie gänzlich fort. Weil er ihn brauche… Er brauche ihn so sehr… Und das war das Egoistischste, das er je getan hatte.

Abstand – Ja, Dean hatte ihn am ausgestreckten Arm verhungern lassen, gehalten und doch von ihm weggestoßen. Er hatte Angst. Angst ihn einzulassen und Angst, dass er ging. Aber das war keine Entschuldigung, denn er hatte dabei immer gewusst, was er Cas damit antat. Wenn auch nicht in dem Ausmaß, wie er nun erkannt hatte, aber er hatte es gewusst und doch nie beendet.
 

„Habe ich gemerkt.“ Sam machte sich in der Tat Sorgen. Die Nacht mit Castiel hatte bei seinem Bruder offenbar Spuren hinterlassen und das nicht nur körperlich. „Ich weiß, wie du dich fühlst, Dean.“
 

„Nein, das weißt du nicht! Du weißt nicht, wie es ist, wenn… wenn…“, er suchte nach Worten und fand doch keine für das, was geschehen war.
 

„Doch“, erwiderte der Jüngere mit fester Stimme, „Doch, das weiß ich.“
 

Dean sah ihn ungläubig an: „Du hast…“
 

„… es mit einem Mann getan?“, beendete Sam, „Ja, das habe ich.“ Sein Blick nahm einen glasigen Ausdruck an. „Das, was er mit mir gemacht hat… Ich wusste nicht, dass mein Körper so -“
 

„Whoa, stopp Sam! Keine Details!“, unterbrach ihn der Ältere und hob abwehrend die Hände. Er wollte wirklich keine Einzelheiten aus dem Sexleben seines kleinen Bruders wissen und erst recht nicht seine Experimente mit einem Mann. Nicht nachdem, was sich beim letzten Neumond zugetragen hatte. Nicht nachdem, was Cas getan hatte. Nicht nachdem, wie es sich für ihn selbst angefühlt hatte. (1)

Und doch zögerte er. Sam war vielleicht der einzige, der ihn verstehen würde. Wem sollte er sonst davon erzählen? Davon, dass es wehtat. Davon, wie sehr es ihn erschüttert hatte. Er wollte ihn fragen, ob es immer so sein würde, ob er immer solche Schmerzen haben würde. Aber dann beschloss er, dass er mit niemandem außer mit Cas darüber reden sollte. Er sollte ihm sagen, dass es okay ist.
 

Sam grinste und schaute dann etwas verlegen zu Boden. „Es ist nicht so, dass ich auf Männer stehen würde. Also nicht generell. Aber er… er war etwas Besonderes.“
 

„Ich weiß was du meinst“, Deans Blick verlor sich in der Ferne und so bemerkte er nicht, wie Sam ihn mit einem wissenden Lächeln betrachtete.
 

Dean schüttelte den Kopf als wollte er seine Gedanken loswerden und wechselte das Thema: „Wann ist das gewesen? Ich habe dich nie mit einem Kerl anbandeln sehen.“

Er hoffte, er hatte Sams Outing nicht vermasselt. Sein Bruder sollte nicht das Gefühl haben sich für irgendetwas in dieser Hinsicht rechtfertigen zu müssen. Schon immer war Sam ein aufgeschlossener Mensch gewesen, der nicht in Schubladen dachte. Und solange es ihn glücklich machte, war Dean der letzte, der sich dem in den Weg stellen würde.

Aber er wunderte sich doch sehr, denn normalerweise erfuhr er früher oder später von jeder der spärlichen Liebschaften seines jüngeren Bruders. Sam war nie solch ein Rumtreiber gewesen wie er selbst. Wenn sein Bruder etwas mit jemandem anfing, dann meinte er es ernst. Und dann war sie gestorben, jedes mal. Oder er. Der Preis ihres Jobs. Deswegen ließ Dean sich niemals auf etwas Festes ein. Was man nie hatte, musste man auch nicht vermissten. Was man nie festhielt, musste man nicht loslassen. Damit andere nicht seinen Preis bezahlen mussten. Schon zu viele hatten das getan. Jeder, der ihm je etwas bedeutet hatte, war gestorben, manche sogar mehrfach, wie Sam und Cas. Er war wie Gift. Jeder, den er… gern hatte, war dem Untergang geweiht. Charlie, Kevin, Benny, Jo, seine Mutter, sein Vater, Bobby… sie alle waren tot. Lieben bedeutete zerstören.
 

„Konntest du auch nicht. Du warst tot.“ Sam starrte ins Leere, gefangen in Erinnerungen.
 

„Sammy?“

Ihr ganzes Leben lang befanden sie sich zusammen auf der Flucht, auch wenn sie es Jagd nannten. Der Ältere konnte nicht anders als sich schuldig zu fühlen, seinen Bruder allein gelassen zu haben. So irrational dieses Empfinden auch war, aber er hätte für ihn da sein müssen, immer.
 

Auf Deans fragenden Gesichtsausdruck hin fuhr er zögernd fort: „Erinnerst du dich an die Sache mit der Zeitschleife? Die Dienstage, immer und immer wieder… Und dann, dann wurde es Mittwoch und du starbst. Gabriel, er… Ich hätte alles getan, um dich zu retten…“
 

Alles Blut wich aus Deans Gesicht, er wurde kreideweiß. „Sam… nein…“, er musste hart schlucken. Was hatte Sammy getan? „Bitte sag mir, dass du nicht…“, er konnte es nicht aussprechen. Er wollte es nicht mal denken, sich nicht vorstellen, wie sein kleiner Bruder…
 

„Es war nicht so wie du denkst. Und das auch nur anfangs.“
 

Dean wusste nicht, wie er die Worte seines Bruders deuten sollte, und wenn er ehrlich war, wollte er das auch gar nicht. Eine angespannte Stille breitete sich zwischen ihnen aus. Beide starrten in ihre Kaffeetassen, jeweils ihren Gedanken nachhängend, bloß nicht dem Blick des anderen begegnen, um nicht preiszugeben, was hinter dem eigenen lag. Dean schloss die Augen. Was hatte sein Bruder noch alles für ihn getan, wovon er nichts wusste?
 

„Wieso hast du nie etwas gesagt?“ Was für eine dumme Frage, schalt Dean sich selbst. Hätte er Sam sowas erzählt? Gewiss nicht. Er hätte nicht gewollt, dass Sam sich für irgendetwas die Schuld gab. So wie er ihm nicht erzählt hatte, dass er seine Seele für ihn verkauft hatte. So wie er ihm damals als Kind nicht erzählt hatte, dass er selbst schon seit Tagen nichts gegessen hatte, als er Sammy ihr letztes Müsli gegeben hatte. So wie er ihm nicht erzählt hatte, dass er die Lebensmittel für ihn gestohlen hatte. So wie er ihm nicht erzählt hatte, was ihr Vater mit ihm gemacht hatte, als er nicht gut genug auf seinen kleinen Bruder aufgepasst hatte und dieser unter seiner Aufsicht weggelaufen war. (2)
 

„Er hat es mich vergessen lassen“, unterbrach Sam seine Gedanken, „Erst an diesem einen Tag in dem Hotel der heidnischen Götter, da hat er den Gedächtniszauber wieder aufgehoben. Ich glaube, Gabriel wollte, dass ich mich an ihn erinnern würde, an alles. Er muss gewusst haben, dass er sterben würde.“
 

„Das… das tut mir leid, Sam.“ Dean wusste nichts, was er weiter sagen könnte. Er fühlte sich schlecht, weil er nicht die richtigen Worte fand. Gab es überhaupt Worte für Situationen wie diese?
 

Gäbe es ein Paralleluniversum oder eine zweite Chance, es würde doch immer auf dieselbe Weise enden. Gabriel würde sich opfern. Denn so war er. (3)

Sam schaute auf seine Hände, die noch immer die Kaffeetasse umklammert hielten. „Entweder er oder ich. Und er hat sich für mich entschieden.“ Nicht nur für das höhere Wohl, sondern für einen einzelnen Menschen. So unterschiedlich die beiden Engelsbrüder auch waren, darin glichen sie sich. „Castiel hätte genau dasselbe getan, für dich. Er hat es getan. So oft.“
 

„Mhm…“ Dean schien abwesend.
 

Was wollte Sam da andeuten? Dass Sam ihm überlegen war, dass er Zusammenhänge begriff, die er selbst gar nicht erst zu verstehen suchte, beschäftigte Dean weniger als die Blicke, die der manches Mal in die Ferne richtete. Dann verschwand Sam vor seinen Augen, obwohl dessen Körper bei ihm blieb, und wenn Sam zurückkehrte, dann konnte Dean sich sicher sein, dass sein Bruder einen neuen Weg entdeckt hatte, eine neue Möglichkeit, die Realität, die sie lebten, zu hinterfragen. Dean wagte nicht zu mutmaßen, zu welcher Erkenntnis er diesmal gekommen war.
 

Er warf dem Größeren einen Seitenblick zu, betrachtete ihn, während dieser nicht hinsah, und auch noch, als dieser ihn wieder ansah. Sie schauten sich in die Augen und da wusste er, dass Sam es wusste. Wie lange schon? Vielleicht schon immer. Vielleicht noch bevor er selbst es gewusst hatte. Vielleicht war Sam längst aufgefallen, was er so lange vor sich verborgen hatte.
 

Resigniert schüttelte Sam den Kopf. „Du verdammter Idiot... Er ist da draußen, er mag dich und er ist am Leben! Hast du auch nur die geringste Ahnung, wie viel Glück du hast?!“
 

Betretenes Schweigen. Das Klopfen des Regens an den Fensterscheiben.

Dann setzte der Jüngere erneut an, leiser nun, und bekräftigte: „Du kannst dich glücklich schätzen, du weißt gar nicht wie sehr.“ Sam lächelte ein trauriges Lächeln. „Mach nicht den selben Fehler wie ich. Rede mit ihm.“
 

"Don't make me lose you too."

Dean zu Castiel


 


 

1) "This whole thing couldn't be messier. You know, I used to be able to just shake this stuff off. Whatever it was. It might take me some time, but... I always could. What Cas did... I just can't..." Dean zu Emmanuel!Castiel 7x17

2) Quellen: Hunger - letztes Müsli - Dieb 1 - Dieb 2 - weggelaufen - Dad

3) Dieses Kapitel widme ich Gabriel und seinem selbstlosen Opfer 13x22.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Zugegeben, das Kapitel ist länger und die Vorgeschichte komplexer geworden als geplant, aber ich denke, das war ich Dorothy Good schuldig. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Was wird Castiel wohl tun? Wird er das Versprechen halten, das er Dean damals gab?
https://www.youtube.com/watch?v=Ke2JPLfxwvs
"If I do go darkside, you gotta take me out. Knife me, smite me, throw me into the freakin' sun. Whatever. And don't let Sam get in the way, because he'll try. I can't go down that road again, man. I can't be that thing again." Dean zu Castiel 10x09 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Wird Castiel das auf sich beruhen lassen? Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Sam: "What the hell happened to him?"
Castiel: "Me." 5x18 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Nachweise/Zitate zum Kapitel:
"I caused a lot of suffering on earth, but I devastated Heaven. I vaporized thousands of my own kind. I can't go back. Because if I see what Heaven's become, what I made of it... I'm afraid I might kill myself." Castiel zu Dean 8x08
"I feel like hell for failing you, okay? For failing you like I fail every other God-forsaken thing that I care about." Dean zu Castiel 8x07
C: "Dean, I... there aren't words." D: "You're right, there aren't words, Cas. Cause there's no need. It's fine." C: "Dean, I can fix that." D: "No. It's fine, Cas. Besides, I had it coming." 11x03
D: "God, I was so damn stupid." C: "You were stupid for the right reasons." D: "Yeah, like that matters." C: "Sometimes that's all that matters." 9x10 Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (10)

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Von:  Samo
2021-09-01T16:49:06+00:00 01.09.2021 18:49
Bei dem Thema "Verflucht, muss jeden Monat Sex haben" ..  erwartet man ja eigentlich Destiel Szenen von einer Bettgeschichte zur nächsten Bettgeschichte.. ;)
 
Du schreibst es nicht so OOC (Zumindest die Kapitel bis jetzt nicht ^^)...
Du beschreibst die Probleme von Dean (und Cas.)
So dass sie eben nicht gleich ihre "Liebe" zueinander gestehen etc...
Das ist okay .. ^^
...
Aaaber.. ich hoffe ja doch irgendwie, dass sie die Kurve kriegen in deiner Story.
Ich hab nichts gegen ein bissel mehr OOC und mehr Destiel Shipperei wo Dean und Cas tatsächlich mal zusammen kommen :D
Falls nicht, auch nicht tragisch, aber irgendwie .. bei diesem Thema.. keine Ahnung, da erwarte ich, Klischee gerecht, dass sie wie die Kanick... naja.. das sie monat für monat zurecht kommen ;)
Von:  KiraNear
2020-11-25T18:42:23+00:00 25.11.2020 19:42
Uff, ich hab echt mehrere Male die Luft angehalten - allein schon das Kopfkino!
Von:  KiraNear
2019-01-19T18:56:25+00:00 19.01.2019 19:56
Uff, das war echt hart. Hab das ganze Kapital mit Spannung gelesen, vor allem, da ich beide sehr gut verstehen kann. Ob Dean das wirklich tun wird? Ich denke mal, Cas wird es verhindern, aber Dean wird es ihm nicht einfach machen. Argh, diese Spannung 😓
Von:  Angel_of_Thursday
2019-01-19T17:53:43+00:00 19.01.2019 18:53
Neeeeeeeeeeeeeeiiiiin!!!! Ich hasse Cliffhanger!!!!!
(Natürlich trotzdem wieder verdammt gut geschrieben.)
Bin wahnsinnig gespannt, wie es weiter geht!
Von:  Angel_of_Thursday
2019-01-17T19:58:13+00:00 17.01.2019 20:58
Wow. Heftig. Sprachlos. Will mehr.
Antwort von:  April_Jones
19.01.2019 18:39
Danke sehr, GlassDream. Deine Sprachlosigkeit betrachte ich als ein Kompliment. :)
Mehr ist da. Kapitel 6 ist hochgeladen und bald freigegeben.
Von:  KiraNear
2019-01-17T10:34:30+00:00 17.01.2019 11:34
Ach, Dean. Dass er so reagiert passt total zu ihm. Ich hab zwar ne Ahnung, was Fass tun wird, aber ich bin trotzdem ziemlich gespannt.
Antwort von:  April_Jones
19.01.2019 18:34
Es freut mich, dass du Deans Verhalten als authentisch empfindest. Das ist ein großes Kompliment für mich. :) Im nächsten Kapitel kannst du jetzt lesen (sobald es freigegeben wurde), ob sich deine Ahnung bewahrheitet. Und ich bin gespannt, welche das war und ob meine Ausführungen mit deinen Vermutungen übereinstimmen.
Antwort von:  KiraNear
19.01.2019 20:02
Blöde Korrektur am Handy, ich meinte natürlich Cass XD — Und ja, ich hatte offenbar mal eine richtige Vorahnung 😊
Von:  Angel_of_Thursday
2019-01-13T19:16:00+00:00 13.01.2019 20:16
Holy shit... was hat Dean nur getan? Bin ich vielleicht gespannt, wie es weiter geht! Sehr gut!
Von:  KiraNear
2019-01-12T19:51:18+00:00 12.01.2019 20:51
Es ist wirklich sehr interessant geschriewben und ich hoffe, dass Dorothy ihren Frieden am Ende finden konnte. Aber auch der Fluch hat sehr interessante Aspekte, wie auch die Zitate am Anfang und Ende eines Kapitels. Bin ebenfalls gespannt, wie es weitergehen wird und ob sie nicht doch noch einen Weg finden, um den Fluch zu brechen^^
Von:  Angel_of_Thursday
2019-01-10T18:25:26+00:00 10.01.2019 19:25
Wahnsinnig gut geschrieben! Bin schon sehr gespannt, wie es weiter geht. :D


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