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Crazy like a skull

Das Paradies hat einen Haken
von

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It's hard to start


 

1
 

Der Morgen ist friedlich, noch halb gefangen in den zärtlichen Armen der schwindenden Nacht. Feine, schimmernde Bodennebel steigen vom noch taufeuchten Gras auf. Das Laub der Bäume und Hecken, die den Friedhof von Hauholi City umrunden, raschelt im sanften, warmen Wind. Idyllisch ist es hier und eigentümlich wohltuend, findet zumindest der kleine Junge mit den schwarzen Haaren, der gedankenverloren an den Reihen aus unbekannten Grabsteinen entlangwandert. Es herrscht eine Stimmung wie auf einer Illustration in einem Buch mit romantischen Gedichten. Hier fühlt sich Bromley seltsam geborgen, fast schon behütet, ganz im Gegensatz zu seinem Zuhause, das in der Nähe des Friedhofs steht und in dem sich seine Eltern keinen Deut um das Wohlergehen ihres einzigen Kindes kümmern. Oder besser gesagt sein Vater.
 

Seine Mutter bemüht sich, ist allerdings nicht wirklich in der Lage etwas für ihn zu tun, da sie mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen hat. In den Augen seines Erzeugers ist er jedoch einfach nur nutzlos und eine Last, die er gezwungen ist, mit sich zu führen. Als er vor elf Jahren auf die Welt kam, sah das noch ganz anders aus. Damals hatte er viele Hoffnungen in seinen Sohn. Doch im Laufe der Zeit schien er sich immer mehr entgegen seiner Erwartungen zu entwickeln, weswegen er ihn mehr oder minder aufgegeben hat. Der Junge begreift allerdings bis heute nicht, was sein Vater für ein Problem mit ihm hat. Stets versucht er jeden Wunsch seiner Eltern zu erfüllen und sie stolz zu machen, doch egal was auch immer er tut, es ist in den Augen seines Vaters das Falsche, was er ihn sehr oft auch schmerzhaft spüren lässt...
 

Der Schwarzhaarige braucht sich keine Mühe zu geben, um zu wissen, dass die Entscheidung hierher zu kommen, richtig war. In diesem Moment vernimmt er lautstark die Stimme seines Vaters, der sich wieder über irgendetwas aufregt und wie so oft ist es ihm dabei völlig egal, dass ein Fenster oder die Haustür offensteht und ein jeder, der am Haus vorbeiläuft seinen Ausbruch mitbekommen kann. Bromley ist jedoch von einer gewissen Erleichterung umfangen, dass die Wut des Mannes ihn diesmal nicht treffen wird. Zumindest nicht so bald, da er nicht vorhatte so schnell wieder nach Hause zu gehen. Soll sich der Alte erst mal wieder etwas abreagieren und dann sehen wir weiter. Dennoch überkommt ihn auch ein Gefühl der Angst, was wohl mit seiner Mutter passieren könnte. Immerhin ist sie mit diesem brutalen Kerl allein im Haus und kann ihm nichts entgegenbringen. Doch für gewöhnlich vergreift er sich nicht an ihr, nicht seit dem einen Mal damals, das alles verändert hat…
 


 

2
 

Der Junge ahnt nicht, dass diesmal weder er, noch seine Mutter für den Ausbruch des Vaters verantwortlich sind und auch dies wird weitreichende Veränderungen mit sich bringen, wie er am Ende dieses Tages feststellen wird. Allzu lange bleibt Bromley auch nicht mehr mit seinen Gedanken allein. Am anderen Ende des Friedhofs betritt ein Mann mittleren Alters die Ruhestätte zwischen den Bäumen und hält schon nach ihm Ausschau. Es dauert jedoch eine ganze Weile, ehe er das Kind im hintersten Winkel entdeckt. Der Schwarzhaarige hockt vor einem fast mannshohen Grabstein und starrt auf die kaum noch lesbare Inschrift. Die Stelle ist allerdings von frischen Blumen umgeben und ordentlich hergerichtet, so wie der Rest des Friedhofs. Beim Anblick des Kindes überkommt den Grauhaarigen ein gewisser Wehmut, doch er hofft, dem Jungen mit seinem Vorschlag helfen zu können, damit er wieder fröhlich wird und für sein miserables Leben einen Sinn findet.
 

Mit langsamen, bedächtigen Schritten nähert sich der Mann der Stelle. Zu dieser frühen Stunde ist außer ihnen beiden noch niemand hier, weshalb er sich ziemlich gut vorstellen kann, warum sich Bromley oft hierhin verzieht, um dem Chaos seiner Familie wenigstens ein paar Stunden entgehen zu können. Schweigend stellt er sich neben den am Boden hockenden Jungen und betrachtet den verwaschenen Grabstein, versucht zu entziffern, wer hier seine letzte Ruhe gefunden hat. Allerdings ist dies vollkommen unmöglich, zu verwittert ist die Inschrift, auch wenn der Rest mühevoll zurechtgemacht wurde. Doch er weiß, dass der Junge diesen Ort völlig willkürlich ausgesucht hat und weder diesen Verstorbenen, noch einen anderen hier kennt. Er im Grunde nur einen friedlichen Ort zum Nachdenken gesucht hat und letztendlich hier hängengeblieben ist.
 

Das Erscheinen des Mannes bleibt aber nicht lange unbemerkt. Vorsichtig linst Bromley zur Seite, um festzustellen, wer ihn hier in seiner Einsamkeit stört. Zu seiner Überraschung muss er jedoch bemerken, dass es sich um Heinrich Eich handelt, den hiesigen Pokémon-Professor. Diese Tatsache lässt das leichte Unbehagen von ihm abfallen, das sich aufgebaut hat, als der Fremde neben ihm zum Stehen kam. Dies bringt der Jungs mit einem leichten Seufzen zum Ausdruck, ehe er wieder unbeirrt auf den unleserlichen Grabstein starrt. Etwas schwerfällig versucht sich Heinrich ebenfalls hinzuhocken, damit er besser mit dem Schwarzhaarigen reden kann. Dieser wirkt im Moment immerhin nicht so, als würde er sich gern unterhalten wollen oder auch nur die Gesellschaft eines anderen suchen. Nach dem aufreibenden Besuch bei seinen Eltern, kann sich der Grauhaarige das auch nur allzu gut vorstellen.
 

„Hallo Bromley.“, versucht Heinrich sein Glück schließlich. „Yo Prof. Was geht?“, erwidert der Junge trübsinnig und es klingt keinesfalls so, als würde ihn das wirklich interessieren. Doch trotz seiner gewöhnungsbedürftigen Sprechweise wirkt sein Tonfall werden ablehnend, noch unhöflich oder gar trotzig. Eich weiß zwar beim besten Willen nicht, wo der Kleine so eine Aussprache herhat, scheint er doch weit und breit der Einzige zu sein, der sie benutzt, doch irgendwie passt sie zu ihm. Und solange er den Knaben noch halbwegs versteht, ist es auch nicht weiter schlimm. „Ich glaube zwar zu wissen, dass du das nicht so gemeint hast, aber ich hoffe, wir beide werden gehen.“, lächelt der Ältere ihm sanft entgegen.
 

Ein heftiges Zucken jagt durch den jungen Körper und er wendet Heinrich ruckartig das Gesicht zu. In seinen großen, schiefergrauen Augen spiegelt sich plötzlich tiefsitzende Angst wieder, die dem Professor beinahe das Herz bricht. „Hat mein Alter dich etwa geschickt, um mich zurückzuholen?“, kommt es voller Entsetzen von dem Jungen. Ehe er eine Antwort bekommt, springt er auch schon hektisch auf und blickt sich nach einem möglichen Fluchtweg um. Beschwichtigend hebt der Mann die Hände und lächelt wieder sanft. „Du liebe Güte, nein! – Inselkönig Hala schickt mich. Ich habe lediglich deswegen mit deinen Eltern geredet. – Auch, wenn ich mir das gern erspart hätte…“, erklärt sich der Professor und kommt langsam wieder auf die Füße. Vollkommen perplex mustert ihn der Junge, entspannt sich dabei jedoch kaum.
 

„Meister Hala schickt dich? Egal, was ich gemacht hab‘, ich war‘s nich‘…!“, kommt es schon nahezu panisch von dem Kind, bevor es ein paar Schritt zurückweicht. Schließlich hat er aber eine Hecke im Rücken und kann nicht weiter. Ein leichtes Zittern jagt durch seinen zu großgewachsenen Körper. Voll Kummer betrachtet Eich dieses Schauspiel. Doch ganz nachvollziehen kann er es nicht. Hala ist ein sehr netter und stets gütiger Mann und damit nur allzu geeignet, um Mele-Mele stolz und gerecht zu regieren. Es gibt also keinen Grund für Bromley so verängstigt zu sein. Doch Heinrich ist sich sicher, dass dies auch nicht der Grund dafür ist. Vielmehr ist es wohl die Tatsache, dass er auch mit seinen Eltern gesprochen hat und so wie es sich vermutlich anhörte, sein Vater allen Grund zur Wut hat, die er dann wohl wieder an ihm auslässt. „Du brauchst keine Angst zu haben, Bromley. Du hast nichts angestellt. Im Gegenteil, es ist etwas Schönes, das mich herführt. Immerhin bist du inzwischen doch schon elf Jahre alt, nicht wahr?“
 

Nun blickt ihn der Junge nur noch verwirrt an. Fürs Erste scheint seine Angst jedoch verschwunden. „Yo, seit ‘n paar Wochen. Wieso?“, nun schwingt Argwohn in seiner Stimme mit und er mustert den Mann vor sich genauer. Dieser nickt bestätigend. „Wusste ich es doch und es tut mir auch wirklich leid, dass ich erst jetzt komme und nicht schon vor einem Jahr. Doch es fand sich einfach kein anderes Kind im richtigen Alter. Aber vor einem Monat zog ein Junge aus Kanto hierher, der sich jetzt bereit für die Reise fühlt.“ Verständnislos hebt Bromley eine Augenbraue und gewinnt sein Selbstvertrauen wieder. „Wovon faselste da eigentlich?“, verlangt er nun zu wissen. „Na, ich rede vom Trainerdasein und der Inselwanderschaft.“, erklärt sich Eich nun endlich.
 

Plötzlich werden die Augen des Schwarzhaarigen ganz groß und ihm klappt der Mund auf. „Was? Is‘ nich‘ dein Ernst?!“, platzt es aus ihm heraus. „Doch das ist es. Heute ist endlich dein großer Tag gekommen, Bromley. Und genau deswegen hat mich Hala auch geschickt, um dich abzuholen und mit deinen Eltern zu sprechen.“ Nun legt sich wieder ein Schleier über das Gesicht des Jungen. „Und – und meine Leute sind damit einverstanden?“, fragt er vorsichtig und versteht nun auch langsam, worüber sich sein Vater vorhin wohl so aufgeregt hat. „Ja, das sind sie, mein Junge. Und deine Mutter hat mir dies hier für dich mitgegeben.“ Er überrecht dem Kleinen einen Rucksack mit etwas zu Essen, ein paar Klamotten und anderen Dingen. Gedanklich kann Eich nur seufzen, wenn er an das Gespräch mit den Eltern denkt. Seine Mutter schien völlig aufgelöst bei dem Gedanken zu sein, ihren kleinen Jungen in die weite Welt hinaus zu schicken. Sein Vater hingegen hat sich zwar unglaublich aufgeregt, aber im Endeffekt war dies eher, weil Eich jetzt erst kam und nicht vor einem Jahr und er doch ziemlich froh darüber zu seien scheint, den nichtsnutzigen Bengel – was noch der netteste Begriff war, mit dem er seinen Sohn betitelt hat – endlich los zu sein.
 

Langsam greift Brolmey nach seinem Rucksack und presst ihn sich einige Sekunden an die Brust. Er wirkt, als würde er gleich in Tränen ausbrechen, doch diese Blöße gibt er sich vor dem Professor nicht. Stattdessen schnieft er einmal laut und setzt sich dann den Rucksack auf. Nun schleicht sich auch so etwas wie Aufregung in sein junges Gesicht. Vorfreudig blickt er zu dem Grauhaarigen auf und schenkt ihm ein Lächeln, von dem sich Eich augenblicklich anstecken lässt. „So gefällst du mir schon viel besser. Und? Bist du bereit für deine Reise, Bromley?“ Der Angesprochene grinst über das ganze Gesicht und seine Augen leuchten hell wie die Sterne – eine Tatsache, die der Professor schon seit vielen Jahren nicht mehr bei ihm gesehen hat. „Yo! Und wie!“, erwidert der Junge begeistert und folgt ihm flink zum Eingang des Friedhofs.
 


 

3
 

Als die beiden an Brolmey‘s Elternhaus vorbeikommen, würdigt der Junge es keines Blickes. Doch das muss er auch nicht. Zu viele schlechte Erinnerungen sind mit deinem Ort verbunden, um ihm nachzuweinen. Stattdessen richtet er den Blick vorwärts und lässt sich die Freude nicht nehmen. ‚Das war definitiv die richtige Entscheidung! So kann doch noch etwas Anständiges aus ihm werden.‘, geht es Eich durch den Kopf, als er den Jungen auf die Route nach Lili‘i führt. Der Weg ist jedoch ziemlich weit. Sie legen ihn größtenteils schweigend zurück, doch das ist nicht schlimm, da der Schwarzhaarige sein Lächeln die ganze Zeit nicht verliert.
 

Spürst du es auch, dieses Gefühl tief in dir?
 

Gegen Mittag erreichen die zwei schließlich das beschauliche Dorf, in dem der Inselkönig wohnt und das den Start einer jeden Inselwanderschaft markiert. Bromley war schon einige Male hier, doch nie schien der kleine Ort eine so magische Anziehung auf ihn auszuüben, wie in diesem Augenblick. Staunend blickt er sich um. Für die Verabschiedung der frischgebackenen Trainer ist alles festlich geschmückt worden und alle Leute des Dorfes und der näheren Umgebung scheinen anwesend. Das Ganze ist schier überwältigend und das nur, weil er hier ist. Der Schwarzhaarige kann es kaum fassen. Nie in seinem ganzen Leben wurde so ein Trubel für ihn veranstaltet. Klar gibt es da noch einen anderen Jungen, aber dennoch ist es einfach sagenhaft. Langsam führt Heinrich ihn durch das Dorf.
 

Das du dich langsam in dir verlierst?
 

In der Mitte befindet sich eine hölzerne Plattform, die dem Inselkönig als Podest für Reden dient, oder aber für Showkämpfe, Festakte und natürlich um dem Schutzpatron der Insel - Kapu-Riki - zu huldigen. In ihrem Zentrum befindet sich jetzt Hala und hält eine Ansprache, die begeistert von allen Anwesenden vernommen wird, die sich um die Plattform versammelt haben. Heinrich und Bromley drängeln sich noch dazwischen. Der rundliche Inselkönig beendet seinen Satz und wirft einen Blick in die Runde. „Ah, wie ich sehe, sind wir inzwischen vollzählig. Dann kann unser Festakt ja nun beginnen. – Ich hoffe, du siehst gut zu Kapu-Riki, damit du in Zukunft schützend deine Arme über unsere jungen Trainer ausbreiten kannst!“, verkündet er lautstark. Daraufhin senkt sich Schweigen über das gesamte Dorf und ein jeder lauscht, ob der Schutzpatron sich wohl zu Wort melden wird.
 

Fragst du dich, wohin die Reise geht?
 

Angespannt hält Bromley die Luft an. Kapu-Riki ist sehr eigensinnig und zeigt sich nur äußerst selten. Doch es hat eine ausgesprochen kämpferische Ader und lässt sich nur ungern ein solches Spektakel entgehen. Und so ist es auch heute. Das Kapu zeigt sich zwar nicht, aber seine Rufe schallen durch den dichten Wald, der das Dorf umgibt und zeugen so von seinem Wohlwollen. Zufrieden nickt der Inselkönig und erhebt wieder die Stimme. „Kapu-Riki, wir danken dir für deine Zustimmung und hoffen, dass dir unser Fest gefallen wird!“, ruft er laut in den Himmel hinein, woraufhin ein weiterer Ruf des Pokémon laut wird. Kurz darauf huscht blitzschnell ein dunkler Schatten über den Platz hinweg, es raschelt in den Bäumen und dann kehrt wieder Frieden ein – das Kapu hat sich verzogen.
 

Und ob du diesen Weg allein gehst?
 

„Gut, liebe Freunde, lasst uns mit der Zeremonie beginnen.“, fährt Hala fort. Ein schallender Applaus erfüllt kurzzeitig den Festplatz, dann herrscht erwartungsvolles Schweigen. „Wir haben uns heute hier zusammengefunden, um zwei junge Trainer zu ernennen und sie dann auf ihre große Reise – die Inselwanderschaft – zu schicken. Also verlieren wir keine Zeit! Der erste mutige Junge, der diese Herausforderung antreten wird, ist Bromley Guzman. Viele von euch kennen ihn gut, wohnt er doch ganz in der Nähe des Hauholi-Friedhofs. Komm doch bitte zu mir herauf, mein Junge.“, fordert der rundliche Mann ihn auf. Plötzlich teilt sich die Menge und alle Augen richten sich auf den Schwarzhaarigen. Überrascht zuckt er zusammen und fühlt sich im ersten Moment doch ziemlich überfordert. Doch dann legt sich Heinrichs Hand auf seine Schulter und der Professor lächelt ihm sanft zu.
 

Weißt du nicht weiter, weißt du nicht wohin?
 

Etwas unsicher sieht Bromley zu dem Mann auf, dann atmet er tief durch und steigt auf die niedrige Plattform. Hala winkt ihn zu sich und nimmt dann seine Ansprache wieder auf. „Unser zweiter Anwärter ist noch ein sehr unbeschriebenes Blatt, ist er doch erst vor einem Monat von Kanto hier nach Alola gezogen. Mit seinen Eltern wohnt er am Strandabschnitt an der Grenze zu Hauholi City. Sein Name ist Manuel Kukui und wir hoffen natürlich, dass du nur den besten Eindruck von unserem herrlichen Inselparadies bekommst, mein Junge. Also würde ich dich bitten auch zu mir hinauf zu kommen.“ Wieder teilt sich die Menge und ein eher schmächtiger Junge mit dicker Brille tritt langsam daraus hervor und besteigt die Plattform. Oben angekommen, wendet er sich herum und blickt zu seinen Eltern, die ihn an diesem besonderen Tag begleitet haben und ihm nun stolz zuwinken.
 

Suchst du das Licht, das deinen Weg erhellt?
 

Bei diesem liebevollen Anblick verkrampft sich Bromley‘s Herz augenblicklich und er sieht betrübt zu Boden. Sein Vater würde nie auch nur auf den Gedanken kommen hier mitwirken zu wollen und selbst wenn, wäre er nicht stolz auf seinen missratenen Sohn. Seine Mutter wäre es sicherlich, doch sie könnte es nicht wirklich ausdrücken und der Vater würde sie auch nicht an so einer Veranstaltung teilnehmen lassen. Ein wenig verachtet er daher diesen fremden Jungen, der alles hat, was sich Bromley immer gewünscht hat. Gleichzeitig ist dieses Gefühl aber völlig irrational, da er den Brünetten nicht für etwas verantwortlich machen kann, dass sich nicht beeinflussen lässt. Dennoch betrübt ihn das Ganze. Aber nur für einen Moment, dann legt sich Halas warme Hand tröstend auf seine Schulter und die Menge lässt einen erneuten Applaus ertönen, um die beiden Jungs in ihrem bevorstehenden Tun zu unterstützen.
 

Spürst du die Einsamkeit in deinem Herz?
 

„Man sieht euch Jungs schon jetzt die Wanderlust an, also wollen wir keine Zeit verschwänden und euch gut vorbereiten.“, erläutert Hala und zieht zwei kleine Heftchen aus seiner Tasche. Als er sie aufschlägt, kann man in jedem ein Foto des jungen Trainers sehen und den dazugehörigen Namen. Mit einer fließenden Bewegung zieht der Inselkönig einen Stempel hervor und platziert einen Abdruck davon in jedem der Heftchen. „So, der erste Schritt eurer Wanderschaft ist hiermit gemacht. Nun seid ihr echte Trainer und dieser Pass wird jedem zeigen, wie weit ihr schon auf eurer Reise gekommen seid, denn jeder Inselkönig, den ihr bezwungen habt, wird einen weiteren Stempel hineinsetzen und wenn ihr alle zusammenhabt, dann seid ihr bereit Champions zu werden und euch in der Welt zu behaupten. Und wer weiß, vielleicht werdet ihr sogar einmal Captains oder Inselkönige? In jedem Fall stehen euch alle Türen offen, sobald ihr eure Wanderschaft erfolgreich abgeschlossen habt.“
 

Weißt du nicht mehr, wem du vertrauen kannst?
 

Mit einem breiten Lächeln überreicht Hala den beiden Jungs ihren Trainerpass. Doch das ist noch längst nicht alles. Nun winkt er Heinrich zu sich. Dieser überreicht den Jungs einen kleinen Taschencomputer. „Mit diesem Pokédex könnt ihr jedes Pokémon in Alola erfassen und ich würde mich freuen, wenn es euch gelingen würde ihn zu füllen. Das hilft nämlich auch mir bei meiner Forschung. Und wer weiß, vielleicht gelingt es euch ja sogar ein bisher unbekanntes Pokémon zu entdecken? Wenn das kein Ansporn für euch ist, sich richtig reinzuhängen, dann weiß ich auch nicht!“, grinst der Professor, begleitet vom Jubel der Menge. Zustimmend nickt Hala wieder, bevor er weiterspricht. „So, nun seid ihr zwei perfekt für eure Wanderschaft ausgerüstet. Es fehlt nur noch eine Kleinigkeit. Immerhin können wir euch ja nicht einfach so schutzlos ins Unbekannte schicken. Euch fehlt also noch ein treuer Begleiter, auf den ihr euch immer verlassen könnt und der jeden Kampf mit euch durchsteht. Und ich denke, ich habe da genau die richtigen Pokémon für euch ausgewählt.“
 

Sehnst du dich nach Geborgenheit?
 

Der rundliche Mann zieht einen rotweißen Pokéball aus seiner Tasche und lässt ihn aufschnappen. Daraus hervor springt ein kleiner, hellbrauner Welpe, der sich fröhlich kläffend umsieht und über die Plattform rennt, um an den vielen Menschen um sich herum zu schnuppern. Lachend gibt Hala ein kurzes Pfeifen von sich, woraufhin der junge Hund flink angelaufen kommt und sich schwanzwedelnd vor ihn setzt. Der Inselkönig beugt sich kurz herab und streichelt dem Pokémon über den Kopf. Dieses leckt ihm begeistert über die Hand und versucht aufgeregt an ihm hochzuspringen. Das lässt Hala jedoch nicht zu, sondern macht ihm klar, sich wieder hinzusetzen. Etwas wiederwillig kommt das kleine Pokémon der Aufforderung nach, dennoch ist es nicht zu übersehen, dass es ihm sehr schwer zu fallen scheint still zu sitzen. Mit großen Augen beobachten die beiden Jungs das Ganze, bis Hala wieder das Wort ergreift.
 

Und nach der Hand, die deine hält?
 

„Manuel, ich denke, dieses Wuffels ist genau das richtige Pokémon für dich. Die Kleine ist noch ziemlich wild und ungestüm und es wird eine ganze Weile dauern, bis sie dir gehorsam folgt, doch wenn es soweit ist, wird sie dir eine sehr treue und anhängliche Begleiterin sein, die sich mutig in jeden Kampf stürzt und dich vor allen Gefahren beschützt, die dir auf deiner Reise begegnen werden. Sie braucht eine sehr geduldige Hand und das wird auch dir helfen Geduld und vor allen Dingen Durchsetzungsvermögen zu lernen.“, erläutert der Grauhaarige und überreicht dem Jungen dann den Pokéball. „Vielen Dank, Meister Hala.“, gibt Manuel zurück und richtet den rotweißen Ball auf den hyperaktiven Welpen. Er schnappt auf und saugt das Pokémon zurück in sein Inneres.
 

Wünschst du dir am Ziel zu sein?
 

Einen Moment später zieht Hala einen weiteren Pokéball aus seiner Tasche und lässt ihn aufschnappen. Was sich diesmal auf der Plattform manifestiert, gleicht einer großen, violett-grauen Assel. Hektisch jagen die gelben Augen des Pokémon durch die Gegend, registrieren die vielen Menschen um sich herum. Die langen Fühler zucken ruckartig hin und her. Dann knackt irgendwo im Wald ein Ast. Ein Schreck gleitet über den flachen Körper des Käfers hinweg. Der lange Schwanz zuckt in die Höhe und schon den Bruchteil einer Sekunde später ist das Pokémon verschwunden. Zitternd versteckt es sich zwischen Halas Beinen und blickt sich ängstlich um. Mit einem nachsichtigen Lächeln streicht der Inselkönig vorsichtig über den Rücken der Assel und lockt sie langsam wieder hervor. Sehr misstrauisch kommt der Käfer der Aufforderung nach und wirkt auch dann nicht sonderlich angetan von den vielen Leuten um sich herum. Nervös blickt es zu Hala auf und versucht dem Zwang zu wiederstehen einfach die Flucht zu ergreifen.
 

Am Ende der Reise, am Anfang von dir?
 

„Bromley, ich weiß, dass du eine Schwäche für Käfer-Pokémon hast und daher denke ich, dass diese Reißlaus genau das Richtige für dich ist. Doch auch dir muss ich sagen, dass es nicht leicht mit der Kleinen wird. Du siehst es ja selbst, sie ist sehr scheu und allzeit zur Flucht bereit, was bei ihr aber ein ganz natürlicher Reflex ist. Daher brauchst auch du sehr viel Geduld, um Vertrauen zu ihr aufzubauen. Doch ich bin sicher, es wird auch dir helfen Geduld und vor allem Sanftmut zu lernen. Wenn du das schaffst, wird sie dir auch eine treue Partnerin und eine starke Stütze im Kampf sein. Doch bis dahin ist es noch ein langer Weg, an dem ihr beide wachsen werdet.“ Zuversichtlich überreicht Hala dem Schwarzhaarigen den Pokéball. „Danke, Meister.“, erwidert Bromley und richtet ihn auf das ängstlich dreinschauende Pokémon. Ehe es wieder weglaufen kann, wird Reißlaus in den Ball gesaugt und Bromley kann sein Glück noch gar nicht fassen, ein Käfer-Pokémon bekommen zu haben.
 

Verbrenn all die Brücken hinter dir!
 

„Nun seid ihr wirklich für eure Inselwanderschaft bereit, doch ohne einen Kampf werdet ihr hier nicht wegkommen, Jungs! Auf eurem Weg werdet ihr sehr vielen Trainern begegnen, die euch herausfordern, also kann es nicht schaden, schon einmal etwas zu üben. Als Rivalen steht ihr euch ebenfalls gegenüber und ich denke, da ist es nur von Vorteil, wenn ihr das Pokémon des anderen einmal in Aktion gesehen habt, bevor ihr loszieht.“, kündigt Hala an. Doch kaum hat er seine Ansprache beendet, meldet sich Manuel schüchtern zu Wort. „Meister? Müssen wir denn Rivalen sein? Ich meine, wäre es nicht einfacher, wenn wir die Wanderschaft gemeinsam bestreiten, als zu versuchen uns gegenseitig zu behindern, wenn wir den anderen immer wieder zu besiegen versuchen?“ Etwas überrascht sieht Hala den kleinen Jungen an, der sich schüchtern die grüngerahmte Brille zurechtrückt und ihn dann unverwandt ansieht.
 

Du bist jetzt am Ziel!
 

„Das wäre sicher durchaus einfacher und wenn ihr beide damit einverstanden seid und das Ganze lieber gemeinsam machen möchtet, habe ich nichts dagegen. Dann muss euch aber auch klar sein, dass ihr voneinander abhängig seid und bis zum Schluss alles zusammen schaffen müsst. Einer allein kann die Wanderschaft nicht zu Ende führen, aus welchen Gründen auch immer. Ihr seid also gezwungen zusammenzuhalten, auch wenn ihr zwischendrin merkt, dass es vielleicht doch keine so gute Idee war. Es gibt kein Zurück mehr! Also?“ Beinahe streng blickt der rundliche Mann die beiden Jungs nun an und wartet auf eine Entscheidung. Mit einem warmherzigen Lächeln wendet sich Kukui zu dem anderen Jungen um. In den großen, schwarzschimmernden Augen des Kleineren kann Bromley eine tiefe Ehrlichkeit erkennen und den innigen Wunsch nach Frieden und Freundschaft. Der Größere schluckt schwer. So einen Blick hat er noch nie von jemandem bekommen und schon gar nicht von einem anderen Kind. Die meisten fürchten sich eher vor ihm, weil er viel zu groß und zu stark für sein Alter ist und oftmals etwas ungehalten werden kann.
 

Du bist jetzt bei mir!
 

Doch dieser Junge kennt ihn nicht, kennt kaum überhaupt jemanden hier und vielleicht ist gerade das ein Vorteil? Er hat noch keinen Grund, Bromley zu meiden oder zu verachten. Zwar wird die Reise sehr lang sein und sie viele Monate, ja sogar Jahre aneinander gebunden sein, die ihr Verhältnis auf eine harte Probe stellen werden und wie Hala schon sagte, kann einer allein die Wanderschaft nicht erfolgreich abschließen, aber was kümmert es ihn, wenn er dafür einen Freund gewinnt?! Es war zwar schon immer sein Traum auf Inselwanderschaft zu gehen und eines Tages Captain zu werden, aber es war auch immer sein innigster Wunsch einen richtigen Freund zu haben, mit dem er alles teilen kann, der seinen Kummer versteht und ihn erträglicher macht. Allein der Gedanke erwärmt Bromley‘s Herz und er fängt leicht zu lächeln an. Langsam hebt er den Kopf und blickt zu Manuel. „Scheiß drauf! Ziehen wir’s durch, Mann!“, sprudelt es aus dem Schwarzhaarigen heraus.
 

Ich bin das Licht in deiner Dunkelheit!
 

Ein überraschtes Murmeln geht durch die Anwesenden. Die Ausdrucksweise des großgewachsenen Jungen überfordert viele von ihnen immer wieder. Dies geht auch an Manuel nicht spurlos vorbei. Etwas irritiert betrachtet er den anderen Jungen und scheint nachzudenken. Bromley fürchtet schon, dass er jetzt alles kaputtgemacht hat, auch wenn er nicht recht weiß, wieso. Für einen Moment hält er daher sogar die Luft an. Hala scheint es ihm gleichzutun und versucht zur selben Zeit die anderen Leute zu beruhigen. Dann jedoch fängt Kukui herzlich an zu lächeln und streckt ihm die Hand entgegen. „Na, dann auf gute Zusammenarbeit, Partner!“, flötet der Brünette fröhlich. Es dauert einen Augenblick, doch dann ergreift der Größere die dargebotene Hand und schüttelt sie. „Yo, auf gute Zusammenarbeit!“
 

Ich halte dich fest, bis ans Ende der Zeit!
 


 

4
 

Mit tosendem Applaus stehen sich die beiden jungen Trainer auf der Plattform gegenüber, bereit für ihren ersten Kampf, der ihren weiteren Weg prägen wird. Nach ein paar Augenblicken kehrt Ruhe ein und unter den wachsamen Blicken Halas, der nun als Ringrichter fungiert, ziehen die Jungs ihre Pokébälle. Siegessicher richtet Bromley die Hand auf Manuel und grinst breit. „Ich werd‘ dich so was von plattmachen!“, tönt er festentschlossen. Etwas nervös erwidert der Brünett seinen Blick. „Ach ja? Das werden wir ja sehen…“, meint er halblaut. Kurz darauf manifestieren sich die beiden Pokémon in der Mitte des Ringes und stehen sich kampfbereit gegenüber. So sollte es zumindest sein. Allerdings scheinen die zwei da anderer Ansicht zu sein. Wuffels sieht sich aufgeregt um und trottet dann einfach umher, die Nase im Wind und die Ohren auf jedes interessante Geräusch gerichtet. Das der Welpe eigentlich kämpfen soll, scheint ihr nicht aufzugehen und so ignoriert sie ihren Gegner völlig.
 

Dies scheint Reißlaus allerdings zu Gute zu kommen, flitzt der große Käfer doch augenblicklich ängstlich zum Rand der Plattform und fühlert herum, um einen geeigneten Fluchtweg auszumachen, doch alle Seiten werden von den umstehenden Zuschauern versperrt. Also nicht verwunderlich, dass die Assel dadurch nur noch nervöser wird und umher zu flitzen beginnt. Ziemlich irritiert verfolgen die beiden Trainer das unangebrachte Verhalten ihrer Schützlinge und wissen im ersten Moment nichts damit anzufangen. Hala sagte ja, dass es nicht leicht wird und die Pokémon viel Geduld benötigen, aber wie soll man das anstellen, wenn man dabei auch noch von allen Seiten aufmerksam beobachtet wird?
 

Etwas hilflos sehen die beiden Jungen zu dem Inselkönig hinüber, doch dieser hilft ihnen nicht, steht nur geduldig mit verschränkten Armen da und beobachtet das Treiben auf der Plattform. Alle wichtigen Informationen hat er ihnen bereits vor dem Kampf gegeben, nun müssen sie zeigen, was sie gelernt haben und damit beweisen, dass sie wirklich bereit für diese Reise sind. Zumindest Kukui scheint sich dem bewusst zu sein und so versucht er sein Glück mit dem kleinen Welpen. Er gibt einen Pfeifton von sich und hofft damit die Aufmerksamkeit seiner Begleiterin zu bekommen. Als Wuffels den Ton vernimmt, spitzt sie die Ohren und sieht sich um. Hechelnd und kläffend kommt sie zu dem Brünetten gerannt, flitzt um ihn herum und versucht an ihm hochzuspringen. „Ist ja gut, beruhige dich…“, weist er sie halbherzig an und streichelt über ihren steinernen Fellkragen.
 

Die Hündin freut sich sichtlich über die Berührung und reibt ihren Hals stürmisch an Kukuis Bein. Dieser zuckt erschrocken zusammen, da ihr Fellkragen nur weich aussieht, aber eigentlich aus feinen Steinnadeln besteht, die Schutz vor Angreifern bieten sollen. Untereinander bekunden Wuffels ihre Zuneigung aber damit, dass sie diesen harten Kragen an ihrem Gegenüber reiben, was insbesondere für die doch recht schutzlose Haut der Menschen schnell unangenehm werden kann. Es braucht eine ganze Weile ehe sich Pokémon und Trainer daher liebevoll aneinander kuscheln können ohne, dass jemand unabsichtlich verletzt wird. Manuel ist nur froh, dass er keine kurze Hose trägt und die Nadeln daher nur leicht pieken. So fängt er sich schnell wieder und macht dem Welpen klar, dass ihr Gegner dort hinten auf sie wartet. Kaum hat Wuffels Reißlaus entdeckt, scheint sie Feuer und Flamme für den Kampf zu sein und richtet knurrend ihren Blick auf den nervösen Käfer aus.
 

Inzwischen ist es Bromley zumindest gelungen, die Assel daran zu hindern wieder wegzurennen. Stattdessen versteckt sie sich nun zwischen seinen Beinen, so wie sie es vorhin bei Hala getan hat. Dennoch blickt sie sich hektisch um und sucht nach einem anderen Platz. Derweilen legen sich die beiden Trainer einen möglichen Angriff zurecht, mit dem sie ihren Gegner hoffentlich gut erwischen. Doch die halbstarken Pokémon machen ihnen einen Strich durch die Rechnung. Als Reißlaus das Knurren der Hündin bemerkt, jagt ein tiefer Schreck durch ihren Körper. Mit weit aufgerissenen Augen erahnt sie die bevorstehende Gefahr und ergreift erneut die Flucht. „Nein, bleib hier, verdammt!“, ruft der Schwarzhaarige ihr überrumpelt hinterher, doch sie hört natürlich nicht auf ihn, folgt nur ihrem unüberwindbaren Instinkt.
 

Der Fluchtreflex des Käfers löst allerdings auch den Jagdtrieb des Welpen aus und so beginnt sie kläffend hinter der Assel her zu hetzen. „Wuffels nicht!“, entkommt es Kukui überfordert, doch es bringt nichts. Wieder werfen die Jungs einen hilfesuchenden Blick zu Hala, aber dieser greift auch weiterhin nicht ein. Raunend verfolgt das Publikum das Spektakel. Das ist nicht gut, die beiden Trainer müssen sich dringend etwas einfallen lassen. Begeistert rennt der Welpe noch immer hinter dem Käfer her und reagiert auf keinen der Zurufe. Reißlaus steht nur die nackte Angst ins Gesicht geschrieben und daher denkt sie gar nicht daran, dass die Rufe ihres Trainers vielleicht etwas Hilfreiches an sich haben könnten. „Wuffels, dreh um und versuch es mit Tackle!“, ruft Manuel dem Vierbeiner zu. Der junge Hund stoppt tatsächlich und dreht den Kopf zu ihm herum. Hoffnungsvoll wiederholt Kukui seinen Befehl und es scheint zu funktionieren.
 

Geschwind ändert der Welpe die Richtung und rennt dem Käfer damit direkt in die Arme. Als sie zum Angriff ansetzt, haut Reißlaus jedoch die Bremse rein. Es gelingt der Assel im letzten Moment die Richtung zu ändern und zu flüchten. Doch das ist noch nicht alles. In ihrer Panik schleudert sie dem Gesteins-Pokémon einen Schwall Sand ins Gesicht. ‚Sandwirbel!‘, geht es den beiden Jungs durch den Kopf. Überrascht jault Wuffels auf und schüttelt sich, doch ihre Sicht ist erstmal eingeschränkt. Diese Tatsache weckt eine gewisse Wut in dem jungen Hund und so setzt sie blindlinks zum nächsten Angriff an, der jedoch haltlos danebengeht, da sie ihren Gegner nicht richtig fixieren kann. Darin sieht Bromley seine Chance zum Gegenangriff. „Reißlaus, setz Käfertrutz ein, solange es abgelenkt ist!“, befiehlt er der Assel.
 

Entgegen aller Annahmen verlangsamt der Käfer seinen Sprint etwas, zuckt mit entschlossenem Blick herum und feuert die Attacke ab. Allerdings gelingt es Wuffels im letzten Augenblick wieder klare Sicht zu bekommen und auszuweichen. Knurrend und kläffend setzt die Hündin wieder zur Verfolgung an und hechtet hinter dem Käfer her. Diesem geht langsam aber sicher die Puste aus, was nur noch mehr Verzweiflung in ihr schürt. Der Kampf muss dringend ein Ende finden, ehe beide Seiten völlig außer Atem sind. Grübelnd versuchen die beiden Trainer eine Lösung für die Misere zu finden, denn langsam werden auch die Zuschauer ungeduldig. Und selbst Hala wirkt allmählich unruhig. Manuel versucht sich ins Gedächtnis zu rufen, was der Inselkönig ihm vor dem Kampf alles gesagt hat, welche Attacken Wuffels beherrscht. Dann kommt ihm eine Idee. „Wuffels stopp! Setzt Silberblick ein, dann kannst du es leichter treffen!“
 

Erneut zucken die Ohren der Hündin und sie kommt schlitternd zum Stehen. Mit hochkonzentriertem Blick versucht sie dem Käfer tief in die Augen zu starren, um so dessen Verteidigung zu durchbrechen, doch auch diesmal gelingt es Reißlaus auszuweichen und so der Attacke zu entgehen. Allerdings ist sie dadurch fast an ihre Grenzen gestoßen und weitaus langsamer als vorher. Dies genügt Kukui aber auch, immerhin scheint der hyperaktive Welpe noch genug Puste für einen allesentscheidenden Angriff zu haben. „Es wird müde, Wuffels! Schnapp es dir mit Feuerzahn!“ Verwirrt registriert Bromley den Befehl seines Gegenübers. „Hey! Du weißt schon, dass Reißlaus ‘n halbes Wasser-Pokémon is‘ und Feuer da nich‘ viel bringt!“, fährt er den Brünetten an. „Das ist mir durchaus klar. Aber du sagst es ja selbst, Reißlaus ist nur zur Hälte ein Wasser-Pokémon. Sein bestimmender Typ ist aber Käfer und die sind empfindlich gegen Feuer-Attacken. Der Wasserzusatz schwächt meinen Angriff also nur ab, was ich allerdings mit Beißkraft wieder wettmachen kann.“, klärt ihn der kleinere Junge auf.
 

Bromley rümpft verächtlich die Nase. „Was bisten du für’n dämlicher Streber? Egal, ich werd‘ dich trotzdem plattmachen!“, höhnt der Größere und versucht den panischen Käfer zu einem Gegenangriff zu bewegen. Dieser ist jedoch inzwischen so fertig, dass es ihr nicht mehr gelingt auszuweichen und so erwischt Wuffels ihren Schwanz mit der Attacke. Feurige Flammen züngeln um die gebleckten Zähne des Vierbeiners und verstärken damit die Wucht des Bisses um ein Vielfaches. Die getroffene Assel gibt einen markerschütternden Schrei von sich und versucht sich verzweifelt loszureißen. Knurrend verstärkt der Hund jedoch nur noch seinen Biss und die Flammen kriechen dabei immer weiter den Schwanz des Käfers hinauf. Siegessicher blickt Manuel zu Bromley hinüber. „Ok Wuffels, beende das Ganze mit Tackle!“ Der Welpe beendet den Angriff und setzt zum nächsten an. Schwer getroffen kauert Reißlaus am Boden und blickt resignierend zu ihrem Trainer hinüber.
 

Eine schier ungeahnte Verzweiflung macht sich in dem Schwarzhaarigen breit, die schlagartig in grenzenlose Wut umschlägt. „Wie kannstes nur wagen, du mieser, kleiner Mistkerl? Ich zieh‘ deiner Töle das Fell über die Ohren!“, aufgebracht ballt der große Junge die Hände zu Fäusten und stapft auf das Kampffeld, ehe Wuffels ihren Angriff starten kann. Ungläubig sehen alle Anwesenden mit an, wie Bromley die Hand nach dem Gesteins-Pokémon ausstreckt, um seine Drohung in die Tat umzusetzen. „Nein!“, entkommt es Manuel panisch. Der Welpe scheint dabei instinktiv die Verzweiflung ihres Trainers zu spüren. Knurrend stellt sie sich dem großen Jungen entgegen und bleckt die Zähne. Empörung breitet sich unter den Zuschauern aus und Hala sieht sich gezwungen den Kampf zu beenden. Doch dann passiert etwas Unvorhergesehenes.
 

Die scharfen Reißzähne des Hundes sind nur noch wenige Zentimeter von der nackten Haut an Bromley‘s Arm entfernt. Dieser holt mit der Faust zum Schlag aus. Noch ehe die beiden Seiten aufeinandertreffen und Hala eingreifen kann, erkennt Reißlaus die Bemühungen ihres Trainers und in welche Gefahr er sich damit bringt. Mit entschlossenem Blick mobilisiert sie ihre letzten Kräfte und setzt dann Wasserdüse ein. Der blitzschnelle, harte Wasserstrahl trifft Wuffels völlig unvorbereitet in den Rücken und schleudert sie zur Seite. In diesem Moment halten alle den Atem an und starren perplex auf die große Assel. Der junge Hund landet schwer getroffen auf der Plattform in einer eisigen Pfütze aus Wasser. Heftiger Schmerz durchfährt ihren Körper und hindert sie daran wieder aufzustehen. Als Gesteins-Pokémon ist sie äußerst empfindlich gegen Wasser und so knockt sie diese eine Attacke vollkommen aus.
 

„Ach du heilige Heimzahlung...!“, entkommt es Manuel atemlos. Wie gelähmt steht er da und starrt zu seinem Pokémon hinüber. Auch Bromley ist völlig irritiert und blickt den erschöpften Käfer fassungslos an. Hala findet nach einem Augenblick seine Stimme wieder. „Wuffels kann nicht mehr weiterkämpfen! Der Sieger ist somit Bromley mit Reißlaus! Gratuliere, mein Junge!“, kommt es ehrlich begeistert von dem Inselkönig, auch wenn er dem Jungen gleich dringend noch einmal ins Gewissen reden muss. Immerhin hat sich ein Trainer nicht in einen Kampf einzumischen, erst recht nicht, wenn er dem Pokémon des anderen damit Schaden zufügen will. Der Schwarzhaarige muss noch sehr viel lernen, doch sein schlechter häuslicher Umgang hat ihn blind für ganz offensichtliche Dinge gemacht. Dadurch wird er noch allerhand Probleme bekommen und Hala kann nur hoffen, dass Manuel damit irgendwie zurechtkommt.
 


 

5
 

Nur langsam realisieren die beiden Jungs, dass der Kampf vorbei ist und einer von ihnen der Sieger. Mit vernebeltem Blick und schweren Schritten tapert Kukui über die Plattform zu seinem geschwächten Pokémon hin. Bedächtig kniet er sich vor den reglosen Welpen und zieht ihn aus der allmählich trocknenden Wasserlache. Fest drückt er die Hündin an sich. „Das hast du wirklich gut gemacht, Wuffels...“, haucht er ihr leise entgegen. Daraufhin schlägt sie die Augen auf, gibt es klägliches Winseln von sich und leckt ihm schwach über die Wange. Derweilen findet Reißlaus ihre Puste wieder. Mit großen Augen starrt sie zu ihrem Trainer hinauf, der sie immer noch völlig neben sich ansieht. Dann schleicht sich plötzlich ein Grinsen auf Bromley‘s Züge und er ballt begeistert die Fäuste. „Scheiße Mann, das war unglaublich!“, platzt es aus ihm heraus und er hockt sich vor die große Assel. Diese ist von seinem Gefühlsausbruch doch etwas eingeschüchtert und traut sich im ersten Moment nicht näher heran.
 

Dann jedoch setzt der Applaus der Menge ein und Reißlaus huscht erschrocken zu ihrem Trainer und drückt sich zitternd gegen ihn. Ganz vorsichtig legen sich Bromley‘s Finger einen Moment auf den bebenden Rücken des Käfers. Dann zieht er seinen Pokéball hervor und verstaut die Assel wieder darin, damit sie sich etwas ausruhen kann. In der Zwischenzeit ist es Manuel gelungen den Welpen wieder auf die Füße zu stellen. Dieser schüttelt sich nun kraftlos das Meiste des Wassers aus ihrem Fell und blickt den Brünetten dann erschöpft an. Kukui greift nach einem Handtuch, das ihm einer der Zuschauer reicht und trockne liebevoll sein Pokémon damit ab. Noch während er damit beschäftigt ist, gesellt sich der Schwarzhaarige zu ihm. Verlegen kratzt sich dieser am Hinterkopf. „Hör mal, sorry Mann. – Ich hab’s wohl was übertrieben. Alles klar mit dem kleinen Kläffer?“
 

Überrascht sieht Kukui zu ihm auf. Im Leben hätte er nicht gedacht, dass sich der andere Junge für diesen sinnlosen Ausbruch entschuldigen würde. Und dann sorgt er sich scheinbar auch noch um sein Pokémon, auch wenn er es mit so einer abfälligen Bemerkung bezeichnet. Trotzdem rührt es Manuel irgendwie, weshalb er dem Größeren ein zaghaftes Lächeln schenkt und Wuffels zurück in ihren Ball befördert. „Danke und ich denke, es ist halb so schlimm. Wuffels wird schon wieder. – Dennoch war es ein guter Kampf, muss ich sagen. Ich freu mich schon auf einen Gegenschlag!“, lächelt ihm der Junge mit der Brille zuversichtlich entgegen.
 


 

6
 

Nach diesem aufregenden Kampf setzten die Feierlichkeiten so richtig ein. Es wird gegessen, gelacht und viele Geschichten erzählt. Die beiden Trainer erhalten allerhand gutgemeinter Ratschläge und Tipps für ihre Inselwanderschaft. Alles wirkt friedlich, so als wäre der ganze Trubel des Kampfes nie dagewesen, auch wenn nicht wenige Leute Bromley mit einem bekannten Argwohn betrachten und sich so ihre Gedanken darübermachen, wie es der kleine Junge aus Kanto wohl mit ihm aushalten wird. Irgendwann jedoch ist es an der Zeit sie ziehen zu lassen. Der Nachmittag geht langsam in den Abend über, als alles erledigt ist, ein jeder verabschiedet wurde und der Tatendrang sich nicht mehr unterdrücken lässt.
 

Als die beiden frischgebackenen Trainer schließlich aufbrechen wollen, nimmt Hala Manuel noch einmal kurz zur Seite. „Mein Junge, ich finde es wirklich sehr bewundernswert von euch, dass ihr gemeinsam die Inselwanderschaft durchstehen wollt. Das habe ich bis jetzt nur sehr selten miterlebt, da die meisten Anwärter eher der Meinung sind, einen Rivalen haben zu müssen, als einen Begleiter.“ Lächelnd legt er dem Jungen eine Hand auf die Schulter. Dann wird sein Blick plötzlich ernster. „Doch lass dir gesagt sein, es wird nicht leicht mit Bromley werden. Er hatte eine schwere Kindheit und ist deswegen – sagen wir mal so – etwas komisch. Vielleicht erschrecken dich sogar einige seiner Eigenheiten, wie vorhin bei eurem Kampf. Aber gib ihn bitte nicht auf! Tief im Inneren ist er ein guter Junge, mit viel Potential. Er braucht nur jemanden, der ihn leitet, ihm den rechten Weg weist und ihn etwas zurückhält, wenn er über die Stränge schlägt. – Ich weiß, dass ist vielleicht etwas viel verlangt von mir, erst recht, wo du doch gerade erst so richtig hier angekommen bist, aber habe bitte ein Auge auf ihn. Willst du das versuchen?“
 

Im ersten Moment ist Manuel von Halas Worten irritiert. Er wirft einen Blick zu dem anderen Jungen hinüber, der scheinbar versucht mit seiner Reißlaus um die Wette zu laufen. Lachend rennt er hinter dem flinken Pokémon her und wirkt dabei so normal wie jedes andere Kind in seinem Alter – ziemlich blass für dieses tropische Inselparadies und für seine elf Jahre doch recht groß geraten, aber ansonsten völlig normal. Kukui legt die Stirn in Falten und rückt fragend seine Brille zurecht, da er nichts Ungewöhnliches feststellen kann, mal abgesehen von der Hektik beim Kampf vorhin, doch das soll sich bald ändern. Im Moment kann er Halas Erklärungen daher nicht viel abgewinnen, doch widersprechen will er dem Erwachsenen auch nicht, immerhin ist er der Inselkönig und sein großes Vorbild. Schließlich hat er ihn ja nicht um etwas völlig Absurdes gebeten. Er wendet dem Älteren wieder das Gesicht zu und lächelt ihn an. „Ich will es versuchen, sehr gern sogar!“, verkündet er fröhlich und entlockt dem Inselkönig damit ebenfalls ein Lächeln. „Ich danke dir, mein Junge.“
 

Voller Zuversicht lächelt der rundliche Mann den beiden Jungen zu, während sie gemeinsam mit ihren Pokémon das Dorf verlassen, um ihren eigenen Weg zu finden. Schon bald werden sie sich wiedersehen und Hala ist schon jetzt gespannt, was aus den beiden in der Zwischenzeit geworden sein wird.

Birds and Bees


 

1
 

Angespannt warten Manuel und Bromley darauf, dass Hala zu ihnen zurück auf den Festplatz kommt. Die beiden Trainer sind seit gut einem Monat auf ihrer Wanderschaft und haben vor ein paar Tagen ihre erste kleine Prüfung bestanden. Der Captain überreichte ihnen danach einen Z-Kristall vom Typ Normal und meinte, sie sollten doch einmal den Inselkönig aufsuchen und ihm davon berichten. Und genau das haben sie nun getan. Der rundliche Mann schien sehr begeistert von diesem ersten Erfolg zu sein und meinte, er hätte da etwas für sie. Mit einer gewissen Aufregung überlegen die zwei Jungs, worum es sich dabei wohl handeln könnte. Kukui hat da so eine Ahnung, was es sein könnte, da er schon einiges über die Z-Kristalle gelesen hat, doch er kann beim besten Willen nicht einschätzen, ob sie schon so weit sind, sie auch einzusetzen.
 

Sachlich versucht er Bromley seine Gedanken mitzuteilen, doch der Käfer-Trainer scheint nicht wirklich an alledem interessiert zu sein. Vielleicht findet er es aber auch nur blöd, dass er keinen Z-Kristall vom Typ Käfer bekommen hat? Ehe Manuel ihn jedoch danach fragen kann, erklimmt Hala wieder die Plattform. Lächelnd tritt er an Kukui heran und drückt ihm einen Z-Ring in die Hand. Mit großen Augen betrachtet der Brünette das Schmuckstück und kann es dennoch kaum glauben. „Wow! Vielen Dank, Meister Hala!“, kommt es freudestrahlend von dem kleinen Jungen. Lächelnd betrachtet ihn der Ältere. „Ich denke, du wirst keine Probleme damit haben, die Z-Kraft einzusetzen und so das Bestmögliche aus deinen Pokémon herauszuholen. Dennoch bedarf es sehr viel Geduld und Übung, bis du richtig damit umgehen kannst und eins mit deinen Pokémon wirst. Aber ich bin zuversichtlich, dass du das schaffst.“
 

„Ich werde mir alle Mühe geben und Sie ganz sicher nicht enttäuschen, Meister!“, erwidert der junge Trainer begeistert und legt sich den Ring um. Erwartungsvoll schaut auch Bromley zu dem Inselkönig, doch entgegen all seiner Vorstellungen, wird er enttäuscht. „Für dich habe ich an dieser Stelle leider noch keinen Z-Ring, Bromley. Und ich denke, dass du auch noch nicht soweit bist, um damit umzugehen. – Der Verlauf deiner ersten Prüfung hat mir gezeigt, dass du noch viel an dir arbeiten musst, ehe ich dir so eine Verantwortung übertragen kann. Das meine ich keineswegs böse. Ich will nur sichergehen, dass du und deine Pokémon keinen Schaden nehmen, weil ich dir zu voreilig einen Z-Ring gegeben habe. – Ich hoffe, dass du das verstehen kannst...“ Der Inselkönig wirkt tief betrübt über diese Tatsache, doch der Schwarzhaarige sieht das ganz anders.
 

„Was? Das is‘ unfair! Ich hab‘ die dämliche Prüfung genauso bestanden, wie Manu! Also was soll der Mist?“, platzt es ungehalten aus dem Jungen heraus. Langsam schüttelt Hala den Kopf. „Mein Junge, ich habe dir schon nach dem Fest versucht zu erklären, dass deine Art zu Kämpfen nicht erstrebenswert ist. Hast du mir denn nicht zugehört? Es kommt nicht darauf an, deinen Gegner um jeden Preis fertigzumachen, sondern Erfahrung zu sammeln und daran zu wachsen. Und es ist ganz sicher nicht Teil des Ganzen so ungehalten mit den Fäusten auf ein anderes Pokémon losgehen zu wollen, nur weil Reißlaus die Flucht ergriffen hat und du es nicht zurückholen konntest.“, mahnt ihn der rundliche Mann streng. Fassungslos starrt ihn der junge Trainer an. „Woher weißte denn das?“, fragt der Schwarzhaarige trotzig und blickt verärgert zu seinem Mitstreiter hinüber, der leicht erschrocken zurückweicht.
 

„Ich habe mir die Freiheit genommen und eure Prüfung beobachtet, damit ich entscheiden konnte, ob ihr schon bereit für einen Z-Ring seid oder nicht. Aber das tut überhaupt nichts zu Sache, Bromley. Und solange du nicht begreifst, was das Wichtigste am Trainerdasein ist, wirst du auch keinen Z-Ring bekommen! – Allerdings muss dich das nicht ärgern. Du kannst dennoch an den Prüfungen teilnehmen und die Z-Kristalle sammeln und wenn du dann soweit bist, bekommst du auch einen Z-Ring von mir.“ „Ich scheiß auf den Z-Ring und all den Mist! So was brauch‘ ich nich‘! Ich kann auch stark sein, ohne zu schummeln! Denn was andres is‘ das auch gar nich‘! Du wirst‘s schon sehen, alter Mann! Ich werd‘ Champion, ganz ohne so ‘nen Scheiß und dann werd‘ ich dich plattmachen!“, wütend stampft der Schwarzhaarige mit den Füßen auf den Boden, wendet sich ruckartig um und rennt dann aus dem Dorf.
 

Unschlüssig verweilt Manuel und weiß nicht recht, wie er damit umgehen soll. Hala hingegen seufzt schwer. „So etwas habe ich schon befürchtet und es tut mir auch wirklich leid für ihn. Doch er muss lernen an sich zu arbeiten, sonst wird er eines Tages mächtig auf die Nase fallen...“ „Vielleicht sollte ich ihm nach und mit ihm reden?“, entkommt es Kukui unsicher. „Das solltest du auf jeden Fall, mein Junge. Und vielleicht begreift er, was ich meine, wenn er dich mit dem Z-Ring trainieren sieht? Spätestens, wenn er dir unterlegen ist, wird er hoffentlich erkennen, wo sein Fehler liegt und vernünftig werden...“ Nachdenklich blicken die beiden den Weg entlang, der aus dem Dorf führt.
 

„Meister? Ist es eigentlich überhaupt möglich Champion zu werden, auch ohne Z-Kraft?“, fragt der kleine Junge nach einer Weile. Nachdenklich streicht sich Hala über den Schnurbart. „Die Möglichkeit besteht durchaus. Allerdings müssen seine Pokémon dafür eine unglaubliche Kraft und Ausdauer entwickeln, um dem standzuhalten. Bei eurer ersten Prüfung habt ihr ja erlebt, wie gewaltig die Z-Kraft sein kann und dies ist bei Weitem noch nicht alles. Jeder eurer Gegner wird immer stärker und die Prüfungen schwieriger. Zudem sind die Captains und Inselkönige angewiesen Z-Kraft und mächtige Herrscher-Pokémon einzusetzen, um euch zu animieren, ebenfalls Z-Kraft einzusetzen und alles aus euch herauszuholen. Von daher ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich Bromley an einem Gegner die Zähne ausbissen wird.“, entgegnet der Inselkönig.
 

So etwas in der Art hat sich Manuel schon gedacht und es betrübt ihn ein wenig, dass Bromley es vielleicht nicht schaffen wird, Champion zu werden. Wenn er dies nicht schafft, kann er auch niemals Captain werden, wie er es sich so sehnlichst wünscht. Und was ist dann mit ihm selbst? Immerhin meinte Hala beim Fest, dass sie alles gemeinsam durchstehen müssen, wenn sie keine Rivalen sein wollen. Das würde also heißen, wenn Bromley versagt, versagt auch Manuel automatisch! Es geht nicht, dass nur einer von ihnen die Wanderschaft abschließt, sie müssen es zusammen schaffen, egal wie! Schwer seufzt der Brünette und blickt dann zu seinem Lehrer auf. „Danke noch mal für alles, Meister Hala. – Ich denke, ich sollte ihm jetzt nach. Wer weiß, wo er sich verkrochen hat?“ Mit diesen Worten wendet sich Kukui um und verlässt das Dorf. Doch er weiß, dass er schon bald hierher zurückkehren wird, um die große Prüfung anzutreten. Aber bis dahin muss er noch sehr viel trainieren und vielleicht sogar schon die Z-Kraft meistern...
 


 

2
 

Das Gespräch mit Bromley vor einigen Tagen war vielleicht nicht so sehr von Erfolg gekrönt, wie es sich der Brünette gewünscht hat, dennoch hat sich die Luft zwischen den beiden Trainern wieder entspannt, sodass sie frohen Mutes ihre Reise fortsetzen können. Der Schwarzhaarige ist immer noch der festen Ansicht, dass er das Ganze auch ohne Z-Kraft hinter sich bringen kann, wenn er nur hart genug trainiert. Manuel will sich gar nicht vorstellen, wie schwierig das für ihn werden wird, dennoch bewundert er die Entschlossenheit des großgewachsenen Jungen. Er selbst hat sich in der Zwischenzeit schon einige Male an der Z-Pose vom Typ Normal versucht, um Wuffels‘ Tackle in den überaus mächtigen Hyper-Sprintangriff zu verwandeln, doch bisher ohne Erfolg. Die Pose ist ihm zwar das eine oder andere Mal gelungen, dennoch schien er weit entfernt davon zu sein, eins mit seinem Pokémon zu werden.
 

Die kleine Hündin schafft es einfach noch nicht so richtig sich zu konzentrieren oder seinen Worten Folge zu leisten. Es ist zwar schon besser geworden, seit sie die Inselwanderschaft begonnen haben, jedoch weit entfernt von Perfektion. Durch das Kämpfen mit anderen Trainern oder wilden Pokémon konnte Kukui immerhin eine gewisse Auslastung des hyperaktiven Vierbeiners erreichen. Wenn allerdings längere Zeit niemand in Reichweite ist und die Jungs alles andere im Kopf haben, als gegen einander anzutreten, schleichen sich immer wieder Flausen in den Kopf des Welpen. Dies äußert sich dann erst recht durch Ungehorsam, besonders, wenn dann doch ein wildes Pokémon ahnungslos durchs Unterholz schleicht und damit den über ausgeprägten Jagdtrieb von Wuffels aktiviert.
 

Mehr als einmal musste der Brillenträger mit Erschrecken feststellen, dass er dann jegliche Kontrolle über seinen kleinen Begleiter verliert. Egal, was er der Hündin in solchen Momenten auch sagt, er stößt auf taube Ohren. Selbst der Pokéball scheint dann nutzlos zu sein, als wäre er nichts weiter, als ein dummes Spielzeug, statt einer Art Gefängnis, um es mal extrem auszudrücken. Manuel kann wahrscheinlich von unglaublichem Glück reden, dass ihnen in solchen Momenten noch keine gefährlichen oder stärkeren Pokémon begegnet sind, die dieses aufmüpfige Verhalten brutal im Keim erstickt hätten. Stattdessen waren es nur harmlose, schwache Wesen, die es vorzogen rasch die Flucht zu ergreifen, ohne einen Angriff zu starten. Dies hat aber oftmals dazu geführt, dass Wuffels ihnen nachgejagt ist und die beiden Trainer dann Ewigkeiten damit verbracht haben, den Welpen wiederzufinden. Allerdings ist Kukui vollkommen klar, dass dieses Glück wohl nicht mehr lange anhalten wird und sie früher oder später auf einen wehrhaften Gegner stoßen werden, der sie schmerzvoll auf ihren Platz zurückweisen wird... Wie früh sich dieser Gedanke bewahrheitet, werden die vier jedoch schon bald erfahren!
 


 

3
 

Im strahlenden Sonnenschein dieses friedlichen Morgens erreichen die jungen Trainer schließlich die Route 3. Wenn sie diesen langen, beschwerlichen Weg hinter sich gebracht haben, kommen sie irgendwann wieder nach Lili‘i und sind dann sicher bereit, um gegen Hala anzutreten. Doch bis dahin haben sie noch einiges vor sich. Viele Gedanken machen sie sich darüber jedoch noch nicht, als sie das leicht ansteigende, von großen Felsen unterbrochene Gebiet betreten. Reißlaus und Wuffels vertreten sich ein wenig die Füße und laufen neben ihren Trainern her. Die zwei Jungs sind sich darin einig, dass es für die Bindung zu ihren Pokémon viel besser ist, wenn diese so oft wie möglich außerhalb ihres Balles sind und so eher mit dem Alltag konfrontiert werden. Sie erhoffen sich dadurch aber auch, die Gehorsamkeit ihrer grundverschiedenen Begleiter durchzusetzen, indem sie sie immer wieder zu sich rufen oder ihnen kleine Aufgaben stellen, die das Vertrauen zwischen ihnen stärken soll.
 

Etwas mühsam steigen die beiden Jungs den Pfad empor, den ihre Pokémon benutzen, um sie nicht aus dem Augen zu verlieren. Schnell sehen sie eine Reihe zusammenhängender Felsen, die einen kühlen, schattigen und geschützten Bereich bilden. Sie schmiegen sich in einem Abstand, der einen sanften Bogen bildet, an eine gewaltige Felsformation, die auf ihrem Dach üppig mit Grün bewachsen ist. Was die Jungs nicht sehen können, ist das gewaltige Loch in diesem Dach, denn die Formation ist nicht massiv, sondern eher ein ausgehöhlter Trichter, der in seinem Inneren ein fantastisches Biotop verbirgt, das man nur über einen kleinen Eingang an der Seite des Ganzen erreichen kann. Soweit sind sie aber noch lange nicht, ihn zu finden und sie wissen auch noch nichts von der Existenz des Ganzen.
 

Stattdessen beobachten sie, wie ihre Begleiter den schattigen Teil der Felswand erreichen. „Hey Sweetheart! Komm her!“, ruft der Schwarzhaarige seiner Reißlaus zu. Manuel findet es schon irgendwie komisch, dass Bromley seinem Pokémon einen Namen gegeben hat und dann auch noch ausgerechnet so einen. Der große Junge meinte jedoch, dass so was ziemlich praktisch sei, wenn man mehr als ein Pokémon derselben Art bei sich hat. Auch dies fand Kukui sinnlos, da sie beide nur ein einziges Pokémon besitzen. Aber wenn er Freude daran hat, bitte. Vielleicht ist der Brünette in diesem Fall auch einfach zu unkreativ, denn ihm fällt beim besten Willen kein Name für seine aufgekratzte Hündin ein. Zudem ist er der Meinung, dass Wuffels überhaupt erst mal auf ihn hören müsste, ehe er sie damit verwirren kann, sich an einen neuen Namen zu gewöhnen. Der Käfer zieht es zwar auch immer noch vor seinem Fluchtreflex zu folgen, statt Bromley‘s Worten, aber sie scheint ihren Namen immerhin zu akzeptieren und kommt auch schon mal angelaufen, wenn er sie ruft.
 

Diesmal sieht es aber nicht danach aus. An der Grenze zum dunklen Schatten zwischen den Felsen verweilt die Assel nahezu erstarrt und fühlert nervös in die schummrige Dunkelheit hinein. Mit einem Zittern entfernt sich das Pokémon vorsichtig rückwärts von den Felsen, als wolle sie vermeiden dort drinnen wohlmöglich etwas aufzuschrecken, das ihr Angst einjagt. Andererseits jagt ihr so gut wie alles Angst ein, von daher kann man unmöglich sagen, ob dort wirklich etwas lauert oder ob es schlichtweg nur das Unbekannte ist, das sie einschüchtert. Daher zieht es Sweetheart durchaus vor doch noch auf die Worte ihres Trainers zu hören. Flugs dreht sie sich um und huscht den sandigen Abhang hinab. Unruhig mit den Fühlern hin und her zuckend kauert sie sich hinter Bromley‘s Beinen zusammen und folgt ihm dann dicht auf dem Fuß, als die Jungs weitergehen.
 

Wuffels hingegen scheint sich von den Schatten nicht abschrecken zu lassen – es wäre auch ein Wunder gewesen, wenn. Stattdessen tapst sie ungeachtet der Rufe von Kukui einfach weiter und wird schließlich von der schummrigen Dunkelheit regelrecht verschluckt. „Wuffels, nun warte doch auf uns...“, kommt es etwas genervt von dem Brünetten, der den ganzen Tag noch nichts anderes zu tun hatte, als dem Vierbeiner nachzurufen. „Lass uns ‘n Schritt schneller geh‘n, dann holen wa‘ sie schon ein.“, schlägt der Schwarzhaarige vor und so erreichen sie wenige Augenblicke später den Übergang zwischen Licht und Schatten.
 

Doch von Wuffels fehlt jede Spur. „Wo steckt sie?“, fragt Manuel nervös. Bromley zuckt mit den Schultern. „Is‘ ziemlich schummrig hier. Aber weiter vorn wird sie schon sein...“ Kukui holt tief Luft und versucht sie mit einem Pfeifen zu erreichen. Der schrille Laut saust durch die Felsspalte, erzeugt ein widerliches Echo und der Brillenträger bereut es augenblicklich gepfiffen zu haben. Er weiß selbst nicht wieso, doch auf einmal überkommt ihn ein sehr ungutes Gefühl. „Wuffels, komm her, Mädchen!“, ruft er schon fast panisch. Statt zu kommen, beginnt der Welpe jedoch in der Ferne laut zu kläffen. Es klingt zornig, animalisch, ganz so, als hätte sie wieder ein kleines Pokémon gefunden, das sie herumscheuchen kann. Etwas verzweifelt sehen sich die beiden Trainer an. „Nich‘ schon wieder...“, seufzt der Schwarzhaarige und klemmt sich Reißlaus unter den Arm. Zu dritt rennen sie dem Bellen der Hündin entgegen.
 

Was sie jedoch sehen, lässt ihnen den Atem stocken. Wuffels befindet sich in einer Art Senke, etwa in der Mitte der Formation. Hier ist es geschützt und von außen nicht gleich einsehbar. Perfekt, um sich zu verstecken. Der Ansicht scheint auch ein Habitak zu sein, das dort auf einem Haufen trockenen Strohs sitzt, der ganz offensichtlich sein Nest darstellt. Und davon gibt es hier noch viele mehr. Die kleinen Vogel-Pokémon haben sich hier ihren Nistplatz ausgesucht. Zwischen dem gelben Gras funkeln dutzende Eier. Die Federtiere sind wahrscheinlich ausgeflogen, um etwas Fressbares zu finden und haben einen von ihnen zur Bewachung der Eier zurückgelassen. Aufgeregt springt Wuffels nun vor dem aufgebrachten Kleinvogel herum, kläfft laut und versucht nach ihm zu schnappen. Das Habitak findet das verständlicherweise nicht sonderlich lustig und versucht mit seinem scharfen Schnabel und den kräftigen Krallen nach dem Welpen zu hacken.
 

Laut schreit es dabei seinen Frust heraus und wird immer aggressiver, Wuffels hingegen immer aufdringlicher. „Um Himmels willen, lass das, Wuffels!“, kommt es entsetzt von Manuel. Die Hündin wendet ihm schwanzwedelnd das Gesicht zu, als erwarte sie ein Lob für ihr schlechtes Benehmen. In diesem Moment gelingt es dem Habitak sie mit dem Schnabel zu erwischen. Zu ihrem Glück trifft der Vogel aber nur ihren harten Steinkragen, dennoch schreckt der Welpe überrascht zurück. Allerdings fängt sie sich schnell wieder und versucht nun auf den Vogel loszugehen. Ehe die beiden Trainer auch nur irgendetwas tun können, bricht um sie herum die Hölle los!
 

Auf einen Schlag wird die schummrige Dunkelheit noch düsterer und wütende Schreie erfüllen die kühle Luft in der Felsspalte. Bruchteile von Sekunden später sausen an die hundert Habitak auf sie herab. Mit messerscharfen Schnäbeln und alles durchbohrenden Krallen stürzen sie sich immer wieder auf die zwei Trainer und ihre Pokémon und versuchen sie aus ihrem Revier zu vertreiben. Bei diesem Angriff versteht auch Wuffels, dass das eine schlechte Idee war und macht sich ganz klein, in der Hoffnung, dem schmerzlichen Hacken und Kratzen zu entgehen. Die beiden Jungs haben aber keinen schützenden Steinkragen, keinen Panzer, nicht einmal ein Fell, das sie auch nur irgendwie vor den Angriffen der wütenden Vögel schützt. So bleibt ihnen nichts weiter übrig, als sich so schnell wie möglich zu entfernen und zu hoffen, die Habitak irgendwie abzuschütteln. Also nehmen sie die Beine in die Hand und versuchen das helle Licht am Ende der Felsspalte zu erreichen.
 

Bromley ist viel zu rasch zu groß geworden, um sich unter normalen Umständen schnell, gewandt oder gar elegant zu bewegen. Aber dies sind keine normalen Umstände. Er ist völlig außer sich vor Schreck und Schmerz. Jeder bewusste Gedanke ist dadurch ausgeschaltet. Kraftvoll packt er Kukui am Handgelenk und zerrt ihn so heftig hinter sich her, dass der andere Junge zu Boden gefallen wäre, würde Bromley ihn nicht halten. Allerdings gelingt es Manuel kaum, Schritt mit dem Schwarzhaarigen zu halten, was den Zug an seinem Handgelenk nur noch verstärkt. Geistesgegenwärtig streckt Bromley die andere Hand nach dem am Boden kauernden Wuffels aus und packt das Pokémon grob an seinem Steinkragen. Überrascht jault der Welpe schmerzlich auf und versucht sich loszureißen, sogar nach dem Jungen zu schnappen, was ihr in dieser Haltung aber nicht gelingt. Sweetheart klammert sich derweilen zitternd an der Innenseite von Bromley‘s T-Shirt fest und scheint damit die Einzige zu sein, die dem Schwarzhaarigen freiwillig folgt.
 

Schon nach kurzer Zeit schmerzt Kukuis Arm durch den Griff des anderen fast so sehr, wie das Hacken der Vogel-Pokémon in seinem Nacken. Am nächsten Morgen wird er einen ringförmigen Bluterguss rund herum um sein Handgelenk entdecken, aber im Moment ist ihm das völlig egal. Er versucht nur Schritt zu halten und dem Ganzen irgendwie zu entkommen. Seine Augen füllen sich mit Tränen der Angst und des Schmerzes, weshalb er den Weg vor sich schon nicht mehr erkennen kann. Zu allem Überfluss zieht sich auch noch ein langer Kratzer über sein linkes Brillenglas,- verursacht durch die scharfen Krallen eines Habitak-, was seine Sicht noch mehr erschwert. Fast völlig blind vertraut er darauf, dass Bromley ihn irgendwie beschützen wird. Er weiß selbst nicht, wieso er auf so einen abwegigen Gedanken kommt, musste er doch in seinem ganzen Leben bisher nie vor etwas beschützt werden.
 

Aber in seinem vollkommen überforderten, verängstigen Geist entsteht der Gedanke, dass Größere doch eigentlich auf Kleinere aufpassen sollen. Völlig absurd, immerhin ist der Schwarzhaarige vier Monate jünger als er und trägt eine viel kindlichere Ader zu Tage, als Kukui, weswegen er ihn wohl eher beschützen müsste. Allein seine Körpergröße macht Manuel kleiner und damit rein äußerlich vielleicht schutzbedürftiger. Aber der Größere ist sich seiner Kraft durchaus bewusst, auch wenn er sie nicht immer sonderlich sinnvoll einsetzt und so verspürt er tatsächlich den Drang, seinen neu gewonnenen Freund beschützen zu wollen. Ein Gefühl, das er bisher nur für Käfer-Pokémon aufbringen konnte, weil sie ihm genauso missverstanden und ungewollt vorkommen, wie er seinen Eltern gegenüber. Doch dieser Junge scheint anderes zu sein; etwas, dass er erst noch begreifen muss und, dass ihr weiteres Leben damit vollends auf den Kopf stellen wird…
 


 

4
 

Völlig außer Atem erreichen sie den Ausgang der Felsspalte, rennen blindlinks weiter und stürzen schließlich in ein endloses Feld aus duftenden, gelben Blumen. Die Habitak scheinen aber nicht der Ansicht zu sein, ihnen dort hinein folgen zu müssen und somit ziehen sie sich laut schimpfend wieder zurück. Bromley lässt sich rücklings auf den Boden fallen und versucht sich wieder zu beruhigen. Manuel sitzt japsend neben ihm und presst sich eine Hand auf sein schmerzlich pochendes Herz. „Danke - Bromley…“ sagt er stockend und muss dabei gegen aufkommende Tränen ankämpfen. Er will sich nicht die Blöße geben und vor einem anderen Jungen anfangen zu heulen, selbst, wenn das eben echt heftig war und ihm jeder Knochen im Leib wehtut. Schwach grinst der Schwarzhaarige ihn an. „Kein Ding, Kumpel…“
 

Wehmütig nimmt Manuel seine lädierte Brille ab und betrachtet den Kratzer. Seufzend streicht er mit dem Finger über das schmutzige Glas, ehe er das Gestell einfach in das Blumenfeld wirft. Schon vor Beginn ihrer Reise hat Kukui befürchtet, dass seine Brille irgendwann das Zeitliche segnen wird, doch, dass es so schnell passieren würde, hätte er nicht gedacht. Mit noch leicht zitternden Fingern nimmt er seinen Rucksack ab und holt ein stabiles Etui hervor, indem sich seine Ersatzbrille befindet. Langsam setzt er sie auf und streicht dann der hechelnden Hündin neben sich über den Kopf, ehe er wieder seinen Freund betrachtet. Bromley‘s müdes, schmutziges Gesicht kommt ihm plötzlich wunderschön vor und ein merkwürdiges Gefühl überkommt ihn – eines, dass mehr als Freundschaft zu sein scheint und dennoch kann er nicht sagen, was es genau ist. Dies verwirrt ihn doch ziemlich und dennoch schwirren seltsame Gedanken durch seinen Kopf. ‚Ich glaube, ich würde für ihn sterben, wenn er mich dazu auffordern würde. – Was ist das nur für eine Macht, die er ausstrahlt? Das ist irgendwie unheimlich…‘, geht es ihm durch den Kopf.
 

Nachdem die beiden wieder etwas zu Atem gekommen sind, betrachten sie den Ort, an dem sie eher unfreiwillig gelandet sind, erst einmal etwas genauer. Soweit das Auge reicht erstrecken sich um sie herum unendlich viele gelbe Blumen, die einen schweren, süßlichen Geruch an die Umgebung abgeben. Sanft bricht sich das Sonnenlicht in feinen Tautropfen und lässt das versteckte Feld zwischen den Felsen mystisch glitzern. Hier und da hört man verhaltenes Rascheln, wo sich Pokémon im dichten Gelbgrün bewegen. Interessiert beginnt Wuffels damit den Boden zu beschnüffeln, während Manuel die Karte zu Rate zieht. „Wie es aussieht, sind wir hier im Mele-Mele Blumenmeer gelandet…“, berichtet er dem Schwarzhaarigen.
 

Doch Bromley scheint ihm gar nicht zu zuhören. Sweetheart ist auf seinen Schoß gekrabbelt und betrachtet ihren Trainer verwundert, während dieser nahezu geistesabwesend über ihren Rücken streichelt. „Stimmt etwas nicht?“, fragt Kukui irritiert. Aber der Größere antwortet nicht, richtet den Blick nur weiterhin starr in das Blumenfeld. Der Brünette wendet den Kopf, um herauszufinden, was den anderen Jungen so fesselt und plötzlich steht auch ihm der Mund offen. Keine zehn Meter von ihnen entfernt summt ein Schwarm winziger Pokémon dicht über den gelben Blüten. Sie wirken unglaublich zerbrechlich, so winzig klein sind sie. Geistesgegenwertig richtet der junge Trainer seinen Pokédex auf den Schwarm unbekannter Wesen, der daraufhin zu piepsen beginnt und die Daten ausspuckt.
 

„Wommel, das Wollschweber-Pokémon, vom Typ Käfer und Fee. Wommel gehört zu den kleinsten Pokémon überhaupt. Es kann die Aura von anderen Lebewesen wahrnehmen und danach seine Reaktion ausrichten. Es lebt vorwiegend in Blumenfeldern, wo es mit seiner Fähigkeit Honigmaul emsig Nektar, Tau und Honig sammelt.“, liest das elektronische Gerät mit einer kratzigen Computerstimme vor.
 

Kaum verstummt der Pokédex, scheinen die Wommel auf sie aufmerksam zu werden. Mit einem sanften Surren nähern sich die kleinen, gelbweißen Pelzflieger den vier Unbekannten. Wuffels setzt zu einem Bellen an, doch dann hockt sie sich plötzlich hin und klappt das Maul wieder zu. Die kleine Hündin scheint das Schauspiel genauso fasziniert zu betrachten, wie ihre menschlichen Begleiter. Und auch Reißlaus scheint zum ersten Mal nicht an Flucht zu denken, sondern verharrt still auf dem Schoß des Schwarzhaarigen und zuckt neugierig mit den Fühlern. Der kleine Schwarm besteht aus etwa zwanzig dieser winzigen Insekten, die nun direkt vor ihnen zum Stillstand kommen. Langsam umschwirren sie die beiden Jungs und unterhalten sich dabei mit ihren zart-piepsenden Stimmchen miteinander. Der Anblick ist einfach magisch.
 

Dann jedoch wenden sich die Wommel allesamt Bromley zu. Verwundert beobachtet Manuel, wie sie nun den großen Jungen umschwirren. Feine Tautropfen glänzen an den Spitzen ihrer langen Rüssel. Sanft lassen sie diese kühlenden Perlen auf Bromley‘s Gesicht fallen, lindern so das brennende Ziehen in all den blutigen Kratzern. Wohltuend schließt der Junge die Augen. Als Kukui ihn so betrachtet,- umschwirrt von all diesen winzigen Pokémon; wie sich das Sonnenlicht in den feinen Tröpfchen auf seinen Wangen bricht-, da beginnt sein Herz schneller zu schlagen. Bromley sieht in diesem Moment unglaublich schön aus,- noch schöner, als er ihn vor wenigen Minuten schon gesehen hat-, keine Spur mehr von all dem Leid und Schmerz, die sein Leben bis heute geprägt haben. Der Brünette verliert sich fast in diesem Anblick und doch versteht er immer noch nicht, was das bedeutet.
 

Stattdessen zuckt er leicht zusammen, als auf einmal eines der Wommel neben seinem Ohr zu summen beginnt. Es hat sich aus dem Schwarm gelöst und rüsselt nun vorsichtig mit einem Tautropfen an den Kratzern auf seiner Wange herum. Dem Jungen bleibt fast die Luft weg, so unglaublich erscheint ihm das Ganze. Nach einem Moment entfernt sich der kleine Wollschweber von ihm und sie blicken sich einige Sekunden lang an. „Danke…“, haucht Manuel sprachlos. Das Wommel blickt ihn vergnügt an und lässt dann einen Tropfen Honig auf seinen Handrücken fallen. Er schmeckt so unglaublich süß und köstlich, dass Kukui am liebsten weinen möchte. All die Angst und der Schock nach dem Angriff der Habitak scheinen schlagartig verflogen zu sein, so als wären sie niemals dagewesen. Mit großen Augen beobachtet Wuffels das Ganze und erstarrt förmlich in jeder Bewegung, als sich das Wommel ihr zuwendet. Es ist kaum zu übersehen, wie schwer es dem Welpen fällt, so still zu sitzen, entgegen ihres sonst so ausgeprägten Jagdtriebs. An der Spitze des Rüssels bildet sich ein neuer, bernsteinfarbener Honigtropfen, der dann auf der Nase des Gesteins-Pokémon landet. Ganz langsam schiebt die Hündin ihre Zunge heraus und leckt die süße Perle auf. Sie gibt einen begeisterten Laut von sich und wedelt freudig mit dem Schwanz, während sich das Wommel wieder entfernt.
 

Nun kann Manuel seinen Blick wieder Bromley zuwenden. Dieser sitzt noch immer neben ihm und wird von all den Wommel umschwirrt. Ein paar haben sich sogar in seinen wirren Haaren niedergelassen. Ein anderes verteilt einen Honigtropfen an Reißlaus. Zwei der Wommel haben sich auf Bromley‘s geöffnete Handflächen gesetzt. Dort wirken sie erst recht winzig und zerbrechlich, bräuchte der großen Junge doch nur einmal zupacken, um ihre zarten Leibchen völlig zu zerquetschen. Doch Kukui weiß inzwischen, dass sein Freund so etwas niemals tun könnte. Entgegen all der Ruppigkeit, die er sonst an den Tag legt, könnte er keinem Käfer-Pokémon jemals auch nur ein Haar krümmen. Sie sind alles, was ihn an dieser Welt fasziniert und sie bedeuten ihm so viel und genau das scheinen auch die Wommel zu spüren, sind sie ihm doch viel zugetaner, als Kukui.
 

Langsam öffnet der Schwarzhaarige die Augen. Ein Wollschweber erscheint genau vor seinem Gesicht, mit einem süßen Tropfen Honig am Rüssel. Ohne jede Scheu schwebt das Pokémon näher und legt die goldgelbe Perle direkt auf Bromley‘s Lippen ab, gleich dem süßesten Kuss, den man sich vorstellen kann. Mit offenem Mund betrachtet Manuel das Schauspiel, völlig außer Stande irgendetwas zu tun. Und dieses Gefühl verstärkt sich sogar noch, als dem Schwarzhaarigen nun heiße Tränen die Wangen hinablaufen und die Wommel sie vergnügt summend mit ihren Rüsseln einsammeln, bevor sie zu Boden fallen können. Kaum eine Minute später begeben sich die winzigen Käfer höher in die Luft und verschwinden wieder in den Weiten des Blumenmeeres. Erst jetzt findet der Brünette seine Stimme wieder. „Bromley? Ist alles in Ordnung?“, fragt er den immer noch stumm weinenden Jungen neben sich. Dieser wischt sich mit einem unmelodischen Schniefen fahrig die feuchten Spuren von den Wangen, steht auf, als wäre nichts gewesen und grinst ihm dann so verwegen entgegen, dass es Kukui eiskalt den Rücken hinunterläuft. „Und ob! Lass uns weiter geh‘n oder willste den ganzen Tag hier hocken?“ Überrascht mustert ihn der Kleinere, ehe auch er sich erhebt und sie gemeinsam mit ihren Pokémon weitergehen.
 


 

5
 

Aus Angst erneut den Habitak in die Arme zu laufen, entscheiden sich die beiden dafür, erst einmal das Blumenmeer zu erkunden. Laut Karte soll es hier irgendwo einen Zugang zu einer versteckten Höhle geben, die in einer kleinen Bucht am Meer enden soll. Dort wollen sie versuchen hinzukommen und dann sehen, ob sie am Strand die Nacht verbringen können. Am nächsten Morgen werden sie einen Pfad suchen, um möglichst ungesehen von den wilden Vögeln ihren Weg zurück nach Lili‘i fortsetzen zu können. Das Ganze hat nur einen Haken. Der Weg in die sogenannte Meereshöhle ist in der Karte nur sporadisch eingezeichnet. Er befindet sich irgendwo hier im Blumenmeer, verborgen vor neugierigen Blicken und nur denen bekannt, die ihn entdeckt haben. So bleibt ihnen nichts anderes übrig, als das ganze Areal genau abzusuchen.
 

Soweit das Auge reicht, erstrecken sich die gelben Blumen um sie herum. In der Ferne sind auch ein paar Bäume zu sehen, die sich hier angesiedelt haben. Ansonsten gibt es nur nackten Felsen und einige sandige Plateaus, die sich aus all dem Gelb erheben. Wo also nach einem Eingang zu einer Höhle suchen? Naheliegend natürlich irgendwo an den Felsen. Doch das Gebiet ist riesig und wer weiß, was hier noch für Pokémon lauern könnten, die nicht so friedlich sind, wie die Wommel? Überall um sie herum raschelt es und manchmal sieht man sogar einen Schatten vorbeihuschen. Zum Glück scheint Wuffels nach diesem Abenteuer etwas ruhiger geworden zu sein. Zumindest reagiert sie nicht mehr wirklich auf all die anderen Pokémon um sich. Stattdessen sieht sie immer wieder prüfend, beinahe fragend zu Kukui auf, als suche sie Bestätigung und Halt in seiner Anwesenheit.
 

Völlig kalt lässt sie das Ganze dennoch nicht und so hört man gelegentlich ein dumpfes Knurren tief in ihrer Kehle, wenn ein vorbeihuschender Schatten zu nahe herankommt. Sagt Manuel ihr aber, dass sie still sein soll, hört sie meist darauf, auch wenn es nicht lange hält. Sweetheart scheint sich jedoch ziemlich wohl in all den Blumen zu fühlen. Vielleicht spürt sie, dass hier keine wirkliche Gefahr droht oder sie fühlt sich mit ihrem flachen Körper zwischen den Blüten ungesehen. Zumindest huscht sie fast schon selbstsicher herum und entfernt sich auch etwas weiter als sonst von ihrem Trainer. Es ist wirklich schwierig den Käfer dann wiederzufinden, da sich die Pflanzen kaum zur Seite neigen, wenn sie an ihnen vorbeiläuft. Wuffels sieht man da viel deutlicher, da es richtige Furchen durch die Blumen zieht, die nur langsam wieder verschwinden.
 

„Hey Sweetheart! Wo steckste?“, entkommt es Bromley schließlich, als er die Assel vollkommen aus den Augen verloren hat. Konzentriert versucht er irgendein Zeichen zwischen dem Gelb zu finden. Sein Partner fürchtet schon, dass sie zur Abwechslung jetzt einmal den Käfer verloren haben, nachdem sich die Hündin nun zusammenreißt, doch dann fängt der Schwarzhaarige plötzlich an zu lachen. Irritiert sieht Manuel ihn an. „Was ist so komisch?“, fragt er. Bromley deutet in das undurchdringliche Blumenmeer. Zuerst kann der Brillenträger überhaupt nichts sehen, doch dann ist da eine andere Farbe, die sich deutlich abhebt. Er braucht einen Moment bis er erkennt, dass es sich dabei um den flachen, violetten Schwanz der Reißlaus handelt, den das Pokémon wie eine Fahne in die Luft hebt, um anzuzeigen, wo es sich befindet. Nun muss auch der Brünette schmunzeln.
 

Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichen die vier schließlich die hintere Wand des Blumenmeers. Akribisch suchen sie den Felsen nach einem möglichen Eingang ab, doch es scheint sinnlos. Auf einmal fängt Wuffels jedoch an zu bellen und weckt damit die Aufmerksamkeit der Jungs. Wie sich herausstellt hat die Hündin ein Loch im Felsen gefunden, vor dem sie aufgeregt hin und her läuft. Begeistert geht Manuel neben ihr auf die Knie und streichelt ihr den Kopf. „Das hast du wirklich gut gemacht!“, lobt er den Vierbeiner, der daraufhin freudig in die Luft springt und ihm über die Wange leckt. „Ist ja gut, beruhige dich wieder...“, erwidert er das Ganze etwas überfordert, da der harte Steinkragen des Vierbeiners gegen sein Kinn reibt. „Meinste das is‘ der Eingang zu dieser komischen Höhle?“, fragt der Schwarzhaarige ihn dann.
 

Etwas unschlüssig betrachtet Kukui das verhältnismäßig keine Loch. Ein Erwachsener hätte mit Sicherheit ganz schöne Schwierigkeiten dort durch zu kommen. Der Durchgang ist gerade mal so hoch, dass sich Wuffels nicht den Kopf anstößt, wenn es hindurchgehen würde. Der kleine Junge beugt sich hinunter und blickt in das Loch. Darin ist es ziemlich dunkel, aber nicht völlig finster. Wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hat, braucht man keine Taschenlampe, um sich zurechtzufinden, schätzt er. Angesträngt konzentriert er sich. Tief im Inneren der Höhle kann er Wasser plätschern hören, er glaubt sogar das Meer riechen zu können. Doch da ist er sich nicht ganz sicher. „Hm. Ich denke schon, dass das der Eingang ist. Sonst haben wir ja nichts gefunden und wenn es anders wäre, würden sicher mehr Leute davon wissen. Daher auf geht’s mit Kampfgebrüll!“, grinst der Ältere.
 

Belustigt über die manchmal doch sehr interessanten Attacken-Ansagen seines Kollegen, schüttelt Bromley langsam den Kopf. „Klar, von mir aus. Aber brüllen sollten wa‘ wahrscheinlich nich‘. Immerhin wissen wa‘ ja nich‘, was da drin lauert, ‘ne?“ Der Gedanke ist dem Brünetten natürlich auch schon gekommen und er meinte das ja auch nicht ernst. „Sicher. Vielleicht sollten wir Wuffels vorschicken, um nachzusehen, ob hinter dem Eingang etwas lauert?“ Fragend blickt der Junge auf den Welpen hinab, der schwanzwedelnd zu ihm aufsieht und schon wieder den Eindruck macht, als wolle er gleich losstürmen. „Nee, lass ma‘. Wenn sie wieder anfängt zu kläffen, ham wa‘ ‘n großes Problem und da drin finden wa‘ sie bestimmt nich‘ mehr wieder.“, argumentiert der Größere.
 

Da ist was dran, dass kann Kukui gar nicht abstreiten. „Da hast du vermutlich recht. – Aber denkst du denn, dass Reißlaus das schafft?“, mit noch größerem Zweifel betrachtet er den Käfer seines Partners, der nervös neben dem Loch hockt und die Fühler zittern lässt. Bromley scheint seine Bedenken zu verstehen, betrachtet er die Assel doch mit einem ganz ähnlichen Blick. „Keine Ahnung. – Vielleicht kann ich sie ja ‘was austricksen?“ Langsam zieht er einen kleinen Brocken Pokémon-Futter aus seiner Tasche und wedelt damit vor dem Gesicht des Käfers herum. Tatsächlich versucht Sweetheart nach einem Moment das braune Brikett zu schnappen, doch der Schwarzhaarige zieht es im letzten Augenblick wieder weg. Überrascht zuckt sie mit den Fühlern, etwas unschlüssig, was sie davon halten soll. Nach einem Moment rückt sie jedoch etwas näher heran und versucht es erneut. Doch wieder zieht Bromley den Brocken weg.
 

Schließlich hält er ihn fordernd vor den Eingang zur Meereshöhle und blickt das Pokémon durchdringend an. „Ok Sweetheart, wenn du da reingehst, kriegste das Leckerli.“, erläutert er ihr und schnippt das Brikett hinein. Erschrocken zuckt die Assel zusammen und blickt dem Futter skeptisch hinterher, wie es in die schummrige Ungewissheit hüpft. „Du musst nich‘ weit geh‘n. Nur schauen, ob dahinter was nich‘ stimmt, verstehste?“ Eine ganze Weile sehen sich die beiden an und Manuel glaubt beim besten Willen nicht daran, dass das funktioniert. Außerdem hat es Wuffels auch auf den Happen abgesehen und er hat Mühe die Hündin daran zu hindern hinterher zu rennen. Wenn sich dort drin andere Pokémon befinden, wird es ihnen sicher nicht anders gehen, was für Reißlaus dann ziemlich unangenehm werden könnte. Er will Bromley seine Befürchtung mitteilen, da flitzt der Käfer auf einmal mit einem Affenzahn an ihnen vorbei und verschwindet in dem Loch.
 

Erstaunt beobachten die beiden das Schauspiel, dann heißt es warten. Gebannt lauschen sie, ob sie wohlmöglich die Laute eines anderen Pokémon hören oder noch schlimmer, Hilferufe von Reißlaus. Doch es bleibt erschreckend still, was irgendwie genauso beunruhigend ist. Fast eine Minute vergeht, dann schießt die Assel förmlich aus dem Loch heraus und zieht eine Staubwolke hinter sich her. Dann hockt sie zwischen den gelben Blumen und knuspert das Brikett auf, dabei zufrieden mit dem Schwanz wedelnd. „Haste ‘n andres Pokémon gesehen?“, fragt sie nun ihr Trainer. Reißlaus zuckt mit den Fühlern und scheint dann kaum merklich den Kopf zu schütteln, ehe sie sich zu Bromley´s Tasche schleicht und nach einem weiteren Leckerli sucht. „Ok, dann is‘ es wohl sicher...“, meint der Schwarzhaarige schulterzuckend, streicht dem Käfer über den Rücken und reicht ihm noch ein Brikett. Sabbernd legt Wuffels ihren Kopf auf Kukuis Schenkel und sieht ihn mit großen Augen an. Mit einem Seufzen kramt auch er nach einem Brocken Futter und reicht ihn der Hündin.
 


 

6
 

Etwas mühevoll schieben sich die beiden Trainer durch das Loch und betreten mit ihren Pokémon die versteckte Meereshöhle. Wie erwartet ist es hier ziemlich dunkel, doch nicht völlig finster. In der Ferne können sie Wasser glitzern sehen, das einen unterirdischen See bildet. Der Eingang zur Höhle liegt etwas erhöht, zusammen mit dem See. Doch entfernt man sich von dort und begibt sich tiefer in die Höhle hinein, gelangt man immer weiter nach unten, wo sich weiteres Wasser in beckenartigen Senken gesammelt hat, die wahrscheinlich sogar miteinander verbunden sind und schließlich im Meer außerhalb der Höhle enden. Allerdings sind die Jungs noch nicht soweit. Sie stehen noch ganz am Anfang der Höhle und versuchen ihre Augen an die schummrige Umgebung zu gewöhnen. Dennoch hat das glitzernde Wasser in der Ferne eine fast schon magische Anziehungskraft.
 

Nach einer Weile ist ihre Sicht gut genug, um ihren Weg fortzusetzen. Zu viert nähern sie sich dem Wasserbecken. Allerdings kommen sie dort nicht an, denn Wuffels bleibt auf einmal wie angewurzelt stehen, spitzt die Ohren und knurrt tief in der Kehle. „Was hast du, Mädchen?“, fragt Manuel alarmiert. Auch Reißlaus wird plötzlich nervös und flitzt aufgeregt und unschlüssig um Bromley herum. Sekundenbruchteile später ertönt dann ein merkwürdiges Geräusch, das die zwei Jungs nicht zuordnen können, doch es kommt immer näher. Schließlich jagen irgendwelche Schatten dicht über ihren Köpfen hinweg und Rufe werden laut. Erschrocken ducken sich die jungen Trainer und können die Angreifer nun ausfindig machen. „Das sind Zubat! Ein ganzer Schwarm sogar!“, meint Kukui überfordert.
 

Hecktisch flatternd umkreist der dichte Schwarm aus blauen Fledermäusen die kleine Gruppe. „Wir ham sie bestimmt aufgeschreckt...“, entkommt es dem Käfer-Trainer, während er sich die Blutsauger vom Leib zu halten versucht. „Das denke ich auch. Sie verbringen hier bestimmt den Tag und kommen erst nachts raus...“, wirft der Brünette ein und landet dann unsanft auf seinen vier Buchstaben, als eines der Zubat direkt auf ihn zukommt. „Sweetheart, Sandwirbel!“, befiehlt der Schwarzhaarige. Das aufgebrachte Pokémon hört auf herum zu wuseln und sieht sich unschlüssig nach den fliegenden Wesen um. Dann nimmt sie allen Mut zusammen und schleudert einen Haufen Sand vom Boden in die Luft. Dummerweise sind die Zubat ziemlich flink und ihr Sonar ermöglicht es ihnen der drohenden Gefahr auszuweichen.
 

„So’n Mist...“, entkommt es dem Trainer zornig. Der gleichen Meinung scheinen auch die Fledermäuse zu sein. Sie wirken alles andere als glücklich, nachdem man sie versucht hat anzugreifen. Mit wütenden Schreien stürzen sie sich auf die kleine Gruppe hinab und versuchen sie zu beißen. Wuffels erwidert das Ganze und versucht die Biester in der Luft zu erwischen, doch mehr als ein paar schmerzhafte Flügelschläge bekommt sie auch nicht zu Stande. „Versuch’s mit Wasserdüse!“, meint Bromley erneut. Hilflos bemüht sich die Assel sich irgendwie freizukämpfen, doch es bringt nichts. Ehe sie die Attacke einsetzen kann, stürzen sich immer mehr der fliegenden Gift-Pokémon auf sie. „Nein, warte! Das bringt nichts!“, wirft Manuel ein.
 

„Echt? Wär‘ mir gar nich‘ aufgefallen...“, kontert der andere sarkastisch. Um Geduld bemüht legt Kukui die Stirn in Falten und spricht dann einfach weiter. „Wir können sie nicht treffen. Ihr Sonar warnt sie immer rechtzeitig, damit sie ausweichen können. Wir müssen uns also eine Geheimpower zurechtlegen, damit wir einen Zielschuss landen können.“ Nun ist es Bromley, der die Stirn in Falten legt. „Da sagste immer, daste mich schwer verstehst. – Was schlägste also vor, Mister Oberschlau?“ „Zubat reagieren sehr empfindlich auf Lärm, da er Schall erzeugt, der ihr Sonar stört. Also Wuffels, fang an zu bellen!“ „Spinnste? Sie wird mit ihrem Gekläffe die ganze Höhle wecken!“ „Hast du eine bessere Idee?“, hakt Manuel nach. Beinahe trotzig erwidert der Größere seinen Blick. „Nee, mach mal...“, gibt er schließlich nach.
 

Gesagt, getan. Kurz darauf erfüllt das ohrenbetäubende Bellen der kleinen Hündin die Höhle. Der heftige Schall und das zurückgeworfene Echo machen das Ganze noch viel unerträglicher. Und so bleibt der Erfolg nicht lange aus. Völlig desorientiert flattern die Fledermäuse hilflos herum, stoßen gegen die Höhlenwand oder gegeneinander, teilweise so heftig, dass sie benommen zu Boden gehen. „Jetzt! Setz jetzt deine Attacke ein, um sie zu vertreiben!“, erinnert ihn der Brünette. „Los Sweetheart! Wasserdüse!“, brüllt der Jüngere über den Lärm hinweg. Ein kräftiger Wasserstrahl saust durch die Luft und zerstreut auch die letzten Gift-Pokémon. Getroffen und vor sich hin schimpfend entfernen sich die Flugwesen und ziehen sich in den hintersten Teil der Höhle zurück.
 

Langsam kehrt wieder Ruhe ein und gibt den vieren Zeit zum Durchatmen. „Oh Mann. Lass uns weitergeh’n, ehe wieder ‘was auf uns zukommt.“, meint Bromley nach einigen Minuten. Mühevoll kommt sein Begleiter auf die Beine. „Ja, es wird sicher auch bald dunkel und dann will ich nicht mehr hier drin sein...“ Eine Weile laufen sie schweigend nebeneinander her und versuchen sich in der Höhle zu orientieren. Leicht ist es jedoch nicht. Die einzelnen Wasserbecken sind von einem Irrgarten aus Felswegen umringt, die einen scheinbar immer wieder im Kreis führen. Zudem versperren große Steinhaufen einige Durchgänge und an anderen Stellen sackt der Weg wie in einer riesigen Stufe einfach ab. Der Weg ist beschwerlich und selbst Wuffels scheint langsam die Richtung zu verlieren. Die vielen unbekannten Gerüche bringen sie ganz durcheinander und der Geruch des Meeres ist zu allgegenwärtig, um sich wirklich festlegen zu können.
 

Zum Glück sehen die Zubat davon ab, sie erneut anzugreifen, obwohl sie sie inzwischen wiedergefunden haben. Doch die Fledertiere kauern sich nur dichter zusammen und zischen sie wütend an, statt sich zu rühren. Wenigstens etwas. Doch als sie ein der Steinstufen hinabsteigen, treffen sie auf ein anderes Pokémon. Unschlüssig fühlert Reißlau in der Umgebung herum, als sie auf einmal von den Füßen gehoben und umgeworfen wird. Hecktisch zappelnd rappelt sie sich wieder auf und rennt zu ihrem Trainer zurück. An der Stelle, an der sie gerade umgestoßen wurde, erhebt sich ein Haufen Erde. Daraus wühlt sich plötzlich ein braunes Köpfchen hervor, das die vier mit neugierigen Knopfaugen ansieht. „Is‘ das ‘n Digda?“, fragt der Käfer-Trainer irritiert. „Sieht so aus.“
 

Das Boden-Pokémon streckt sich etwas weiter aus dem Sand heraus und betrachtet die vier Fremden aufmerksam. Laut schnüffelnd kommt Wuffels auf es zu. Das Maulwurfwesen zuckt in seinem Loch rauf und runter und weckt damit nur noch mehr Neugierde in dem Welpen. Die Hündin hält das Ganze für eine Aufforderung zum Spielen und versucht somit nach ihrem Gegenüber zu schnappen. „Lass das, Wuffels!“, weist Kukui sie an, doch da ist es schon wieder zu spät. Das Digda zieht sich flugs in sein Loch zurück. Mit schiefgelegtem Kopf späht der kleine Welpe in das Loch hinein und bellt dann einmal, als wolle sie den Maulwurf damit wieder hervorlocken. Tatsächlich spritzt aber nur eine Wolke Sand heraus. Dies ärgert das Gesteins-Pokémon und so versucht sie das Digda nun auszugraben.
 

„Jetzt lass doch endlich den Blödsinn!“, versucht es Manuel erneut. Wie zu erwarten hört die Hündin aber nicht auf ihn, sondern bellt weiterhin in das Loch. Das Digda kommt jedoch an einer ganz anderen Stelle wieder raus und scheint sich sogar über den Welpen lustig zu machen. Knurrend flitzt Wuffels zu der Stelle, nur um festzustellen, dass das Boden-Pokémon schon wieder weg ist. Ein drittes Mal streckt es seinen Kopf aus der Erde heraus und verschwindet erst im letzten Moment, bevor die kräftigen Zähne es erwischen können. Die beiden Trainer haben schon Mühe diesem seltsamen Schauspiel zu folgen, sodass sie die zwei fast aus den Augen verlieren. Zum Glück hört man die Hündin immer wieder bellen, was wenigstens eine ungefähre Richtung vorgibt.
 

Irgendwann kommen sie an einer weiteren Steintreppe an. An ihrem Fuß kläfft Wuffels wieder in das Loch des Digda. Allerdings scheint der Maulwurf das Spiel langsam leid zu haben und kommt nicht wieder heraus. Dafür entdecken Bromley und Manuel aber ein Licht ganz in der Nähe. In der Felswand befindet sich ein Loch, doch es ist nicht das Loch, durch das sie die Meereshöhle betreten haben. Dieses hier ist um einiges größer, sodass sie aufrecht durchgehen können. Gewollt oder nicht hat das Digda die Truppe also zum Ausgang geführt und damit verhindert, dass sie sich noch hoffnungsloser hier drinnen verirren.
 


 

7
 

Etwas ungläubig betreten die vier den kleinen Strandabschnitt. „Unglaublich, wir haben tatsächlich die Kala‘e Bucht gefunden!“, entkommt es Kukui begeistert. „Das findeste unglaublich? Dann sieh dir ma‘ das an!“ Bromley streckt den Arm aus und deutet auf den Horizont. Er erstrahlt in einem wunderschönen Orangerot. Zarte Wolkenschleier mischen sich darin und in der Ferne können die beiden im blutroten Wasser zwei kleine Inseln sehen, deren Palmen sich sanft in der Meeresbriese wiegen. Mit einem beruhigenden Brausen schwappt das Wasser ans Ufer der Bucht. Und plötzlich beginnt das Nass unweit von ihnen zu glühen. Kurz darauf springen leuchtende Finneon daraus hervor und vollführen aufwendige Kunststücke in der Luft, während ihr sonnenaufgeladener Körper einen Regenbogen in die anbrechende Nacht zu zaubern scheint. Der Anblick all dessen macht die beiden Jungs regelrecht sprachlos und entschädigt definitiv für die Qualen, die sie heute schon einstecken mussten.
 

Als die Sonne dann nur noch einen ganz kleinen Streifen am Horizont bildet, verschwinden die Finneon und suchen sich im tieferen Wasser ein Nachtlager, ehe sie bei Sonnenaufgang wieder auf die Jagd gehen werden. Die jungen Trainer und ihre Pokémon rollen derweilen ihre Schlafsäcke aus. Nicht lange nach dem Essen ist die Nacht in ihrer ganzen Vollkommenheit zu bewundern. Hunderttausende Sterne bedecken die Schwärze über ihnen und tragen sie sanft in den Schlaf hinüber. Der Tag war anstrengend, aber auch wunderschön und der nächste wird sicher auch ein aufregendes Abenteuer für sie bereithalten!

Welcome to the jungle!


 

1
 

In der Zwischenzeit sind vier anstrengende Monate vergangen. Den beiden Trainern ist es gelungen den Weg nach Lili‘i unbeschadet zurückzufinden und dort gegen Inselkönig Hala anzutreten. Es war ein harter Kampf, das muss man schon sagen. Mittlerweile haben die Jungs aber ein ziemlich gutes Verhältnis zu ihren Pokémon aufgebaut und auch gegenseitig können sie sich blind vertrauen. Bromley‘s Kraft und Ausdauer gepaart mit Manuels analytischem Denken ergeben zusammen eine sehr gute Mischung, die es ihnen ermöglicht hat, Hala zu besiegen. Zudem haben sie den Z-Kristall vom Typ Kampf von dem rundlichen Mann bekommen und einen Stempel in ihrem Trainerpass, der es ihnen gestattet nach Akala, der zweiten Insel auf ihrer Wanderschaft, zu reisen.
 

Akala ist um einiges größer als Mele-Mele. Mehrere Dörfer finden sich hier und eine ausgeprägte Natur, mit viel Grün, endlosen Routen, Tunneln, Bergen, einer Farm und sogar einer Hotelanlage mit eigenem Strand für die zahlreichen Touristen aus anderen Regionen. Am Eindrucksvollsten ist aber wahrscheinlich der gewaltige Vulkan im Norden der Insel. Sein Anblick prägt die Gegend und spuckt er Feuer, kann man dies von jedem Fleck in Alola aus betrachten. Wegen der Größe der Insel gibt es auf Akala auch gleich drei kleine Prüfungen, die man bestehen muss, ehe man gegen die Inselkönigin antreten darf. Sie richten sich dabei an den vorherrschenden Elementen aus, sodass man hier Z-Kristalle vom Typ, Wasser, Feuer und Pflanze bekommt und als Abschluss von der Inselkönigin den vom Typ Gestein.
 

Doch von der Königin und ihrer großen Prüfung sind die zwei noch weit entfernt. Dennoch fühlen sie sich heute für ihre dritte und letzte kleine Prüfung bereit. Ihre erste Prüfung war vom Typ Wasser und daher eine echt harte Herausforderung für Wuffels, doch gemeinsam haben sie sie gemeistert. Die zweite Prüfung fand auf dem mächtigen Vulkan statt und bildete damit ein extremes Gegenteil zur vorherigen Prüfung, sodass diesmal Reißlaus ihre liebe Mühe damit hatte. Die letzte Prüfung soll nun im Schattendschungel neben dem Vulkan im Norden Akalas stattfinden. Der Weg dahin war schon mal alles andere als leicht und zudem sehr weit. Doch nun stehen sie am Eingang dieses natürlichen Irrgartens und fragen sich, was sie diesmal wohl erwarten wird. Wissen tun sie nur, dass hier hauptsächlich Pflanzen-Pokémon heimisch sind. Gegen diesen Typ hat sowohl Reißlaus eine gewisse Schwäche, wie auch Wuffels, obwohl es für den Welpen heftiger ausfällt.
 

Ein Vorteil ergibt sich jedoch für Kukui, da die kleine Hündin ja Feuerzahn beherrscht und so den aufdringlichen Pflänzchen ordentlich versuchen wird einzuheizen. Sweethearts Wasserdüse ist hingegen eher eine Wohltat für die Gewächse und somit nahezu unbrauchbar. Die zwei Trainer müssen sich also etwas einfallen lassen, um ihre Nachteile in Vorteile umzuwandeln. Die Pokémon an sich sind aber nicht ihr einziges Problem. Die kleinen Prüfungen bestehen ja nicht nur aus einem schlichten Kampf um den Z-Kristall, wie die große Prüfung gegen das Oberhaupt der Insel, sondern aus Aufgaben und Rätseln, die erst erledigt und gelöst werden müssen, ehe das Herrscher-Pokémon überhaupt auftaucht und damit der eigentliche Teil der Prüfung beginnen kann. Denn erst, wenn es den Trainern gelingt die Aufmerksamkeit dieses äußerst starken Pokémon auf sich zu lenken, besteht überhaupt die Chance die Prüfung zu bestehen.
 

Hat das Herrscher-Pokémon keine Lust zu kämpfen, müssen die Anwärter wohl oder übel aufgeben und es zu einem anderen Zeitpunkt noch einmal versuchen, in der Hoffnung, dann den Herrscher für sich gewinnen zu können. Soweit wollen es die beiden aber ganz sicher nicht kommen lassen!
 


 

2
 

Mit einer gewissen Ehrfurcht betreten die beiden Trainer mit ihren Pokémon schließlich den Dschungel. Hier reihen sich verschiedenste Pflanzen dicht an dicht. Hohes Gras, üppige Büsche und dichte Bäume dominieren den Blick und lassen das ganze Areal in einem mystischen Spiel aus Schatten und Licht verschwimmen, was dem Dschungel auch seinen Namen verleiht. Zwischen dem schier undurchdringlichen Bewuchs schlängeln sich schmale Pfade und Wege ins ungewisse Innere dieses Irrgartens, führen einen im Kreis oder völlig in die Irre. Wenn man sich hier nicht auskennt, verliert man schnell die Orientierung und ist im schlimmsten Fall den hier lebenden Pokémon hilflos ausgeliefert.
 

Doch das wird der Captain, der für die Prüfung zuständig ist, ganz sicher nicht zulassen. Wie aufs Stichwort kommt dieser auch schon aus dem dunklen Unterholz hervor, als die zwei den Eingangsbereich betreten. Oder besser gesagt, sie kommt hervor, denn bei dem Captain handelt es sich um eine etwa fünfzehnjährige Blondine, die die beiden Jungs und ihre Pokémon aufmerksam mustert. „Na, habt ihr zwei euch verirrt oder seid ihr hier, um meine Prüfung zu machen?“, scherzt sie etwas und lässt sich dann die gesammelten Z-Kristalle zeigen, um festzustellen, ob die Jungs schon an ihrer Prüfung teilnehmen dürfen oder nicht. Da Manuel und Bromley die Kristalle vom Typ Wasser und Feuer aber haben, nickt sie nur zufrieden und führt die beiden dann zur ersten Weggabelung im dichten Grün.
 

„In Ordnung. Um das Herrscher-Pokémon anzulocken, müsst ihr ihm eine Opfergabe darreichen. Diese besteht aus vier bestimmten Beeren – Magobeeren um genau zu sein-, die ihr hier im Dschungel suchen müsst. Sie sind recht selten und somit nicht so leicht zu finden. Die hier heimischen Pokémon sind ganz vernarrt darin, weswegen sie euch nicht einfach so gestatten werden, sie mitzunehmen. Macht euch also auf einen heftigen Angriff gefasst. Wichtig ist außerdem auch, dass das Herrscher-Pokémon sehr wählerisch ist. Ihr müsst also sehr gut darauf aufpassen, dass ihr die Beeren unbeschadet hierherbringt, sonst wird es nicht auftauchen.“, erläutert die Blondine die Prüfung. „Kannste uns auch sagen, wo wa‘ die Beeren finden könn‘?“, hakt der Schwarzhaarige nach, da er weit und breit keinen Beerenbaum entdecken kann.
 

Das Mädchen legt ein schelmisches Lächeln auf. „Nein, das kann ich nicht. Sie sind im ganzen Dschungel verteilt. Allerdings wachsen sie sehr langsam, weshalb ihr höchstens eine Beere pro Baum finden könnt. Ein Grund mehr, weshalb die Pokémon sie streng bewachen. Ihr könnt euch also nur auf den Weg machen und versuchen euch nicht zu verlaufen. Ich warte hier auf euch und versuche herauszufinden, ob das Herrscher-Pokémon gute Laune hat.“, grinst sie keck und deutet dann in die schattige Düsternis des Dschungels. Das Mädchen scheint auf jeden Fall Gefallen daran zu haben, die beiden zu verunsichern, doch so leicht machen es ihr die Trainer nicht. Mit entschlossenem Blick betrachten sie sich gegenseitig und dann ihre Pokémon, ehe sie sich gemeinsam auf die Suche begeben.
 


 

3
 

Die zwei versuchen sich die Tatsache, dass sie etwas überfragt sind, wie sie das Ganze anfangen sollen, nicht anmerken zu lassen – zumindest, bis die Blondine außer Sichtweite ist. „Haste irgend ‘ne Idee, wie wa‘ das anstellen sollen?“, fragt Bromley schließlich, als sie hinter einer Abzweigung stehenbleiben. Nachdenklich rückt sich Manuel seine Brille zurecht und sieht sich um. Um sie herum ist alles grün, durchzogen von einem schmalen, ausgetretenen Pfad. Büsche und Bäume drängen sich aneinander und konkurrieren um jeden noch so kleinen Sonnenstrahl. Wabernde Lichtpunkte durchkreuzen die vorherrschenden Schatten in einem seichten Lüftchen. Zudem raschelt es an unzähligen Stellen, wo sich scheinbar Pokémon aufmerksam durchs Unterholz bewegen und sie ganz sicher auch beobachten.
 

„Naja, ich weiß zumindest wie so eine Magobeere aussieht und wenn wir eine hätten, dann könnte Wuffels ganz sicher danach schnüffeln. Fragt sich nur, wie lange das in diesem Riesengebiet dauern wird...?“, entkommt es dem Brünetten zweifelnd. „Wie sieht‘n so‘ne Beere aus? Hab‘ noch nie welche geseh‘n.“ „Sie ist knallrosa, ziemlich rund und hat einen geschwungenen, gelblichen Fortsatz am unteren Ende.“, erläutert der Ältere sachlich und deutet mit den Fingern die ungefähre Größe an. „So wie die da hinten?“ Stirnrunzelnd deutet der Schwarzhaarige in eine schmale Abzweigung neben ihrem Weg, an deren Ende sich ein kleiner Baum befindet. Überrascht dreht sich Kukui in die angedeutete Richtung. Als sein Blick auf die leuchtendhelle Beere fällt, die in all dem Grün regelrecht zu schreien scheint, klappt ihm ungläubig der Mund auf. Er macht ein paar Schritte in die Richtung. „Ja! Das ist tatsächlich eine Magobeere! Kaum zu fassen!“, entkommt es ihm begeistert.
 

„Das wa‘ ja leicht...“, kommentiert der Jüngere schulterzuckend und schiebt sich an ihm vorbei. „Was machst du?“ „Na, die Beere holen, was sonst?“ Erschrocken sieht ihn Manuel an. „Nein, warte! Was, wenn da ein Pokémon lauert?“ „Na und? Wir brauchen sie und wenn da was is‘, dann is‘ es halt so. Wir machen alles platt, was uns zu nahekommt!“ Siegessicher streckt er seine Hand nach der Beere aus, während Kukui fast das Herz stehenbleibt. Aufmerksam hat er die Augen nach allen Richtungen gewendet und versucht dabei herauszufinden, wann und von welcher Seite sie angegriffen werden. Doch entgegen seiner Panik passiert gar nichts. Vorsichtig löst Bromley die Beere vom Ast und kommt zu ihm zurück. „Siehste?“, meint der Größere nur und reicht ihm die rosa Frucht. Mit einem mulmigen Gefühl sieht sich der Brünette noch einmal um, doch alles ist ruhig, nicht einmal Wuffels oder Reißlaus scheinen die Anwesenheit eines anderen Pokémon zu bemerken.
 

Langsam entspannt er sich wieder und nimmt die erste Beere in Empfang. Akribisch prüft er sie, aber sie ist unversehrt. „Ok, das hätten wir. Aber sei nicht so leichtsinnig! Das hätte auch ins Auge gehen können.“, mahnt Kukui ihn halbherzig. Der andere verdreht nur leicht die Augen. „Mach dir nich‘ gleich ins Hemd. Zeig lieber Wuffels das Ding, damit wa‘ weitermachen könn‘.“ Etwas unschlüssig mustert Manuel seinen Freund, dann seufzt er schwer und beugt sich zu der Hündin hinab. Schwanzwedelnd schnüffelt sie an der großen Frucht. Ehe sie jedoch gierig hineinbeißen kann, zieht ihr Trainer sie wieder weg. „Glaubst du, du kannst noch so eine finden?“, fragt er das Gesteins-Pokémon stattdessen. Etwas irritiert legt der Welpe den Kopf schief, steht auf und drückt die Nase auf den Boden. Laut saugt sie die Luft ein und setzt sich dann langsam in Bewegung.
 

„Ich hoffe, sie findet eine Spur...“ „Ach, wird schon!“, meint Bromley grinsend. Gemeinsam mit Sweetheart folgen sie Wuffels tiefer in den Dschungel hinein. Schnell verlässt die junge Hündin jedoch den ausgetretenen Pfad, schlüpft durch ein kleines Grasfeld und landet dann auf einem anderen Weg, der sie Richtung Osten führt. Die vier folgen diesem Pfad eine ganze Weile, dann entdecken sie neben dem Weg einen Haufen Steine, die zu einem Haufen aufgetürmt sind. Die Steine wirken hier irgendwie fehl am Platz und dennoch sehen sie nicht so aus, als hätte sie jemand hergebracht und wenn, dann ist dies schon sehr lange her. Sie fügen sich perfekt in die Umgebung ein und doch wieder nicht. An ihnen kommen die vier aber leicht vorbei. Allerdings ist das nicht der einzige Haufen Steine, wie sie hinter der nächsten Biegung feststellen müssen.
 

Diesmal versperren die Brocken den ganzen Weg. Ein Vorbeikommen ist völlig unmöglich. Neben den Steinen ist die Vegetation so dicht, dass nicht einmal die Pokémon daran vorbeikommen würden, ohne sie zu zerstören oder sich im schlimmsten Fall zu verletzten. Wuffels ist jedoch der festen Überzeugung, dass sich eine zweite Beere auf der anderen Seite des Haufens befindet. „Und jetzt?“, fragt der Brillenträger, während er beobachtet, wie sein Pokémon aufgeregt vor den Felsen hin und her läuft. Prüfend tritt Bromley kräftig gegen die Steine. Es rührt sich nichts. „Klettern wa‘ einfach drüber.“, meint er trocken und setzt auch schon dazu an, seine Worte in die Tat umzusetzen. Unschlüssig betrachtet Kukui das Vorhaben. „Das sieht nicht sehr stabil aus...“, meint er schließlich.
 

„Sei doch nich‘ immer so‘n Weichei! Ich bin größer und schwerer als du und wenn‘s mich aushält, hält‘s dich auch aus.“ Und schon ist der Schwarzhaarige oben angekommen. Feine Krümel Sand und Steine rieseln den Haufen hinunter, doch die Brocken bewegen sich nicht. Dann reicht der Jüngere ihm die Hand. „Nun komm endlich!“, fordert er ihn auf. Mit einem Seufzen ergreift Manuel seine Hand und lässt sich von ihm hochhelfen. Auf der anderen Seite rutschen sie wieder zu Boden und sehen sich um. In der Ferne ist tatsächlich ein weiterer Beerenbaum zu sehen, an dem sogar gleich zwei der kostbaren Früchte hängen. Damit müssten sie also nur noch eine weitere finden. Bevor sie jedoch die Beeren einsammeln, wird Kukui eines klar. „Wir haben Wuffels und Reißlaus vergessen!“, sein Tonfall klingt, als würde er sich für diese Dummheit jeden Moment selbst ohrfeigen wollen.
 

„Die schaffen das schon.“, meint Bromley nur und ruft nach der Assel. Auf der anderen Seite des Haufens ertönen die Stimmen der beiden Pokémon. Kurz darauf erscheint Wuffels auf der Kuppe, flitzt dann aufgeregt herab und auf die Beeren zu. Reißlaus folgt einen Augenblick später, verweilt allerdings erschrocken auf den Steinen. Scheinbar hat sie ein ungutes Gefühl. Derweilen springt die Hündin aufgeregt vor den Beeren herum und fängt an zu bellen, um die Aufmerksamkeit ihres Trainers zu bekommen. Immerhin hat sie gefunden, was er verlangt hat und hätte somit gern ein Lob. „Ist ja gut! Das hast du toll gemacht!“, lobt Manuel den Welpen und tritt näher heran. Bromley beobachtet jedoch besorgt das Verhalten des Käfers, der sich immer noch nicht recht traut, von dem Haufen herunterzukommen.
 

„Warte! Diesmal stimmt was nich‘...“, informiert er seinen Begleiter. Doch Kukui hat schon eine der Beeren in der Hand. „Was hast du gesagt?“, fragt er stattdessen verwundert. Ehe der Schwarzhaarige noch eine Warnung aussprechen kann, schießt auf einmal ein Schatten aus dem Unterholz hervor und entreißt dem überrumpelten Brillenträger die Beere. Das erschienene Imantis gibt ein wütendes Zischen von sich und versucht mit der Beere abzuhauen. „Na warte, du Biest! Sweetheart Wasserdüse!“, entkommt es Bromley verärgert. Von dem Steinhaufen jagt ein heftiger Strahl auf das Pokémon zu. „Das bringt nichts. Es ist vom Typ Pflanze!“, wirft Manuel ein und blickt dabei auf den Pokédex. So etwas hat sich der Größere schon fast gedacht, dennoch verfehlt die Attacke ihre Wirkung nicht. Das Imantis lässt sich davon zwar nicht beeindrucken, doch der harte Strahl trifft es mitten im Rücken, sodass es die Beere überrascht fallenlässt.
 

Wütend zischend dreht sich das kleine Pokémon herum. Seine rötlichen Augen leuchten bedrohlich auf. Dann hebt es seine blattartigen Arme. Daraus hervor jagt ein Sturm aus messerscharfen Blättern, die alles in ihrer Nähe zerschneiden, gleich einer Schere, die man durch ein dünnes Stück Papier zieht. Das geschossgleiche Grün zerfetzt die Vegetation in der Nähe, schlägt krachend in die Steine ein, wühlt den Boden auf und zerreißt sogar etwas die Sachen der Jungs. Schützend kauern sich die zwei zusammen. Reißlaus zieht sich auf die andere Seite der Felsen zurück. Wuffels drückt sich erschrocken auf den Boden, bis eines der Rasierblätter über ihren Rücken schrammt. Schmerzlich jault die Hündin auf. Doch so lange ihr diese Geschosse um die Ohren fliegen, kann sie nichts tun, ohne selbst Schaden zu nehmen.
 

Zum Glück endet die Attacke kurz darauf und das Imantis setzt dazu an, die Beere wieder einzusammeln und abzuhauen. Darauf hat der Welpe nur gewartet. Wütend beginnt Wuffels tief in der Kehle zu knurren und dann sprintet sie mit gebleckten Zähnen auf die Pflanze zu. Noch ganz im Schmerz und Schock gefangen, sehen die beiden Trainer mit an, wie die Zähne der Hündin Flammen bilden. Der feurige Biss des Vierbeiners trifft das Imantis vernichtend. Die kläglichen Schreie des verkohlten Pflanzen-Pokémon schallen durch den Dschungel, ehe es ihm gelingt sich loszureißen und die Flucht anzutreten. Mit wütendem Bellen und Knurren läuft Wuffels ihm ein Stück hinterher. Dann scharrt sie erhobenen Hauptes etwas Sand auf und kehr zu ihrem Trainer zurück. Noch ganz überrascht trennen sich die beiden Jungs voneinander und sehen sie an.
 

„Du meine Güte! – Das hast du ganz wunderbar gemacht!“, entkommt es Manuel noch etwas fassungslos. Freudig springt ihm der Welpe in den Schoß und leckt ihm das Gesicht, reibt seinen Steinkragen an der Wange des Jungen. „Ist ja gut!“, versucht er sie wieder zu beruhigen. Das steinartige Fell um den Hals der Hündin kratzt schmerzlich über seine Haut, dennoch hat Kukui das Gefühl, dass er sich langsam an diesen Ausdruck ihrer Zuneigung gewöhnt. Bei den ersten Malen hat es immer noch angefangen zu bluten, wenn sie so stürmisch war, doch jetzt kratzt er einfach nur noch.
 

„Verdammt...“, ertönt es plötzlich von Bromley, der während Manuels Kuschelstunde aufgestanden und zum Beerenbaum hinübergegangen war. „Was hast du?“, fragt der Brillenträger verwundert. „Alles umsonst, Mann! Das Biest hat mit seinen dämlichen Blättern die Beere plattgemacht!“, platzt es aus ihm heraus. Nun sieht es auch Kukui. Die zweite Frucht, die noch am Baum hing, ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Kaum mehr als der Stiel und ein feuchttropfender Klumpen Fruchtfleisch sind mehr übrig. Von der Beere, die das Imantis mitnehmen wollte, fehlt zudem auch jede Spur. „So‘ne verdammte Scheiße!“, entkommt es dem Schwarzhaarigen zornig. Kraftvoll ballt der die Fäuste und schlägt gegen den Stamm des Beerenbaums. Mitleidig betrachtet ihn der Kleinere. Er sucht nach aufmunternden Worten, auch wenn er sich sicher ist, dass Bromley sie nicht hören will.
 

Unschlüssig, ob er sie doch aussprechen soll, sieht er plötzlich, wie Reißlaus an ihm vorbeihuscht. Ein Lächeln schleicht sich auf sein Gesicht. Der Käfer kommt neben seinem aufgebrachten Trainer zum Stehen und gibt ein Fiepen von sich. Kraftlos geht der große Junge neben ihr in die Hocke. „Na, wenigstens biste wieder da...“, bringt er missmutig hervor. Als er der Assel über den Panzer streichen will, weiten sich schlagartig seine Augen. „Was zum...?“, entkommt es ihm erstaunt. Auf dem platten Schwanz des Käfers liegt die Magobeere, die das Imantis mitnehmen wollte – auch noch vollkommen unversehrt! „Na, wenn das keine Trumpfkarte war, dann weiß ich auch nicht!“, meint Kukui schließlich. Grinsend zieht Bromley sein Pokémon in die Arme und drückt es stolz an sich. „Bist einfach die Beste!“ Lachend vor Glück und Erleichterung verweilen die vier noch einen Moment, ehe sie sich wieder auf den Weg machen.
 


 

4
 

Die vier entscheiden sich dafür den Weg neben dem Beerenbaum weiterzugehen, anstatt wieder über die Steine zu klettern. Diese haben unter dem Angriff des Imantis doch ziemlich gelitten und wirken nun wirklich nicht mehr so, als könnten sie das Gewicht der Jungs tragen. Doch Manuel ist zuversichtlich, dass Wuffels den richtigen Weg finden und sie wieder nach draußen führen wird. Nach einer Weile erreicht die kleine Truppe ein Art Moos bewachsene Steintreppe. Unten angekommen stellen sie erstaunt fest, dass sie wieder ganz am Anfang sind. Der blonde Captain kommt ihnen grinsend entgegen und betrachtet sie etwas belustigt. „Ihr habt dahinten aber einen ganz schönen Aufstand gemacht, was? Und? Gebt ihr auf?“, fragt das Mädchen in einem etwas herablassenden Ton.
 

„Kannste knicken, Püppchen!“, entgegnet ihr Bromley frech und drückt ihr die beiden Beeren in die Hand, die sie schon gefunden haben. Etwas überrascht betrachtet die Blondine die großen Früchte, scheint sie doch gedacht zu haben, dass die zwei die Prüfung nicht schaffen. Dennoch vergeht ihre Überlegenheit nicht. „Gut, aber eure Prüfung ist ja noch nicht vorbei. Das Schlimmste kommt erst noch!“, ruft sie ihnen nach. Aber die beiden Trainer sind zuversichtlich auch noch den Rest zu schaffen, denn diese Genugtuung wollen sie ihr keinesfalls geben. So macht sich Wuffels wieder daran die Fährte einer weiteren Beere aufzunehmen. Nach kurzer Zeit erreichen sie die Stelle, an der sie durch Zufall die erste Beere gefunden haben. Diesmal ignoriert die Hündin aber das kleine Grasfeld, durch das sie vorhin gegangen sind und folgt stattdessen einfach dem ausgetretenen Pfad weiter Richtung Westen.
 

Es dauert nicht lange, dann erreichen sie ein eher kleines Areal, das eng umgrenzt von der Vegetation daliegt. Etwa im Zentrum des Bereichs befindet sich ein einziger Baum, der von einer schmalen Grasfläche umrundet wird. Allerdings handelt es sich dabei nicht um einen Beerenbaum, wie die vier schnell feststellen. Doch das macht überhaupt nichts, da Wuffels den richtigen Baum etwas weiter hinten am Rand der Vegetation findet. Bellend und mit wedelndem Schwanz steht sie davor und wartet darauf, dass ihre drei Begleiter zu ihr kommen. Etwas ernüchternd stellen die Jungs fest, dass an diesem Baum nur ein der begehrten Früchte wächst. Wenn sie diesmal also wieder von einem Pokémon angegriffen werden – was jetzt doch sehr wahrscheinlich ist, das Imantis hat ganz sicher seinen Freunden Bescheid gegeben – dann müssen sie verflucht aufpassen, dass der Beere nichts passiert.
 

Etwas unschlüssig nähern sich die zwei dem Baum. Wuffels hat sich inzwischen etwas beruhigt und sitzt nun schwanzwedelnd auf dem Boden. Doch ihr vorheriges Bellen hat mit Sicherheit ausgereicht, um sämtliche Pokémon im Schattendschungel zu informieren. Ehe einer der beiden die Beere pflücken kann, besehen sie sich ihre Partner ganz genau. Die Hündin scheint noch zu sehr mit ihrem Stolz beschäftigt zu sein, einen weiteren Erfolg erzielt zu haben. Reißlaus hingegen wirkt schon wieder angespannt und sie soll mit ihrer Vorahnung auch recht behalten. Sie stoppt wie angewurzelt mitten auf dem Weg und nun wird auch der Welpe aufmerksam. Mit aufgestellten Ohren betrachtet sie den Käfer genau – inzwischen hat sie gelernt, was das Verhalten ihres Gegenüber alles bedeuten kann. Der Blick der Assel gefällt ihr nicht, noch weniger das nervöse Zucken der langen Fühler.
 

Plötzlich springt der Vierbeiner auf, schnüffelt angestrengt in Richtung des Baumes und fängt dann an zu knurren. Förmlich im selben Moment springt ein Imantis aus dem Unterholz und kaum eine Sekunde später ein weiteres. „Scheiße, gleich zwei!“, entkommt es dem Schwarzhaarigen. Die beiden Pflanzen-Pokémon wirken weit weniger geduldig, als das vorhin. Vermutlich erst recht, weil sie ihren verletzten Artgenossen gefunden haben, der ihnen von den miesen Eindringlingen berichtet hat. Daher fackeln sie nicht lange. Ihre glühenden Augen durchbrechen die Schatten und kurz darauf fliegen den Fremden die scharfgeschliffenen Blätter nur so um die Ohren!
 

Hilflos kauern sich die beiden Jungs hinter ein paar Büschen zusammen, doch es hilft nur bedingt. Ihre zwei Begleiter versuchen sich derweilen mehr oder minder mutig in den Kampf zu stürzen. „Wir müssen versuchen ihre Treffsicherheit zu senken, damit wir irgendwie an ihnen vorbeikommen...“, meint Manuel, während die rasiermesserscharfen Blätter der Imantis ihre Deckung schon fast völlig zerlegt haben. „Klingt nach ‘nem Plan.“, erwidert Bromley und steht vorsichtig auf, um einen Blick auf die Pokémon zu werfen. Der Angriff der Pflanzen-Pokémon ist zu flächendeckend, sodass sich Reißlaus und Wuffels mit Ausweichen und Verstecken beschäftigen, jedoch keinen Schritt näher an sie herankommen. „Sweetheart, setzt Sandwirbel ein!“, ruft er der Assel über das Getöse hinweg zu.
 

Ruckartig zucken die Fühler des Käfers in seine Richtung und deuten ihm damit an, dass sie seinen Befehl gehört hat. In Windeseile huscht sie von einem Busch zum nächsten und feuert dann eine Ladung Sand auf die Imantis ab. Diese beenden getroffen den Angriff und versuchen sich den Staub wieder abzuschütteln, doch ganz gelingt es ihnen nicht und so blinzeln sie etwas skeptisch über das Kampffeld. „Sehr gut!“, entkommt es Kukui und er steht ebenfalls auf, um besser sehen zu können. „Wuffels, versuch die zwei mit deinem Feuerzahn außer Gefecht zu setzen!“, befiehlt er der Hündin. Diese erhebt sich etwas mühselig, schüttelt sich Sand und Blätter aus dem Fell und stürmt dann auf die Imantis zu. Diese sind von ihrer Sichtbehinderung ganz und gar nicht begeistert, weshalb sie nun nur noch wütender werden.
 

Ihre blattartigen Arme beginnen plötzlich rot zu glühen und so stürzen sie sich dem Welpen entgegen, der mit brennenden Zähnen auf sie zu hechtet. „Ist das...“, setzt Manuel überrascht an. „Yo, Zornklinge. ‘ne Käfer-Attacke, die mit jedem Treffer stärker wird...“, ergänzt der Schwarzhaarige, was den anderen Jungen beunruhigt. Wenn Bromley von etwas Ahnung hat, dann von Käfer-Pokémon. Wuffels hat eine gewisse Schwäche gegen Angriffe vom Käfer-Typ, doch Reißlaus lässt das Ganze eher kalt. Allerdings steht die Assel im Moment auch nicht auf der Abschussliste der Pflanzen-Pokémon. Und genau diese Tatsache versucht Bromley jetzt auszunutzen. „Sweetheart, hol die Beere, schnell!“, verlangt er nachdrücklich. Das überaus flinke Insekt huscht fast wie ein Schatten durch das zerpflückte Unterholz und nähert sich dem Beerenbaum dabei unaufhaltsam und insbesondere ungesehen. Wuffels hingegen hat Glück, dass der Sandwirbel die beiden Imantis geschwächt hat und so fällt es der agilen Hündin nicht schwer, ihren Angriffen auszuweichen und den Abstand immer weiter zu verringern.
 

Schließlich rammt sie knurrend ihre glühenden Zähne in eines der Gegner, welcher hilflos zu schreien beginnt, als sich das Feuer und der Schmerz über seinen sensiblen Körper ausbreiten. Allerdings kann der Welpe mit seinem Angriff immer nur ein Ziel attackieren und so kommt es, dass das zweite Imantis seinem Kollegen zur Hilfe eilt. Mit einem hefigen Schlag treffen seine Zornklingen Wuffels mitten im Rücken und schleudern sie zur Seite. Schwer getroffen rutscht der Vierbeiner über den Untergrund und prallt dann hart gegen den Stamm eines Baumes. Ein klägliches Jaulen entspringt ihrer Kehle und sie bleibt erschöpft liegen. „Oh nein! Wuffels, steh wieder auf, bitte!“, fleht der Brünette und geht auf sie zu. Doch da hat er die Rechnung ohne das wütende Imantis gemacht. Dieses setzt erneut Rasierblatt ein, um die Jungs auf Abstand zu halten und es gelingt Bromley gerade noch im letzten Moment, seinen Freund aus der Schussbahn zu zerren.
 

„Nein, ich muss Wuffels helfen!“, protestiert er verzweifelt, doch der Größere hält ihn zurück. „Du hilfst ihr aber nich‘, wenn‘s dich selbst in Stücke reißt!“, schnauzt er sein Gegenüber kalt an. Kraftlos versucht der Welpe in der Zwischenzeit wieder auf die Füße zu kommen. Gerade, als sie es schafft halbwegs sicher zu stehen, treffen sie erneut die Zornklingen und strecken sie endgültig nieder. Doch damit gibt sich das Pflanzen-Pokémon nicht zufrieden – es sinnt nach Rache! Stattdessen setzt es wieder zum Angriff an. Ehe der wehrlose Vierbeiner jedoch weiteren Schaden nehmen kann, stürmt Reißlaus fest entschlossen heran. Ihr Käfertrutz reißt das Imantis von der Hündin weg. Obwohl das Pflanzen-Pokémon selbst eine Käfer-Attacke beherrscht, reagiert es dennoch ziemlich empfindlich auf diesen Typ. Nach diesem Angriff hat es erst mal die Nase voll. Etwas schwerfällig gelingt es ihm seinen Kollegen zu erreichen und sich dann mit ihm ins Unterholz zu verziehen.
 

„Was zur Hölle...?“, entkommt es Bromley überrascht. Der Angriff seiner Assel war so schnell und heftig, dass er es kaum begreifen kann. Manuel hingegen hat nur Augen für sein verletztes Wuffels. Grob schiebt er sich an dem Schwarzhaarigen vorbei und läuft zu seinem Pokémon. Reißlaus hockt neben dem Welpen, der langsam wieder aus seiner Bewusstlosigkeit erwacht. Besorgt und liebevoll anmutend gleiten die langen Fühler des Käfers über den Kopf der Hündin. Mit müden Augen blickt sie zu ihrer Kollegin auf und wedelt schwach mit dem Schwanz. Die Assel legt die Magobeere, die sie erfolgreich vom Baum stibitzt hat, vor ihrer Schnauze ab und stupst sie näher heran. Dankbar streckt sich Wuffels etwas und drückt ihre Zähne in das süße Fruchtfleisch. Der energiereiche Saft durchströmt ihren Körper und ein Teil ihrer Kraft kehrt wieder zurück.
 

Mit Tränen in den Augen steht Kukui vor den beiden und betrachtet diese hingebungsvolle Szene sprachlos. Dann lässt er sich auf die Knie fallen und zieht den Welpen in seine Arme, drückt sein feuchtes Gesicht in den harten Steinkragen hinein. „Oh Himmel, ich hatte solche Angst um dich! Es tut mir so leid...“, wimmert er stockend. Schon wieder etwas fitter, erwidert Wuffels die Zuneigung ihres Trainers und leckt ihm über die tränennassen Wangen. Inzwischen ist auch Bromley hinübergekommen. Langsam hockt er sich hin. Mit gewissem Wehmut betrachtet er die Reste der hart erkämpfen Beere, doch er ist schon froh, dass es der Hündin wieder halbwegs gutgeht. Er kann es absolut nicht ertragen, Manuel so verzweifelt zu sehen. Plötzlich stupst ihm Reißlaus jedoch gegen die Hand. Geistesgegenwärtig streicht er ihr über den Rücken, doch das Stupsen bleibt.
 

„Is‘ ja gut. Haste wirklich klasse gemacht...“, nuschelt er und blickt sie dann an. Schlagartig versteht er, was sie ihm scheinbar mitteilen wollte. Auf ihrem flachen Schwanz liegt eine weitere Magobeere, völlig unversehrt! „Scheiße, wo haste die denn her?“, entkommt es dem Schwarzhaarigen fassungslos. Nun wird auch Kukui auf das Ganze aufmerksam. „Aber wie?“, setzt er ebenso verwirrt an. Sweetheart dreht sich fröhlich mit der Beere auf dem Schwanz im Kreis und überreicht sie dann ihrem Trainer. „Die Beere muss tief im Geäst verborgen gewesen sein, sodass wir sie nicht sehen konnten. Doch als Reißlaus die eine geholt hat, muss sie die zweite entdeckt haben...“, versucht es sich der Brünette herzuleiten. „Dann wurde Wuffels ja doch nich‘ umsonst plattgemacht!“, grinst der Größere. Erleichtert über diese Tatsache, päppeln die beiden Trainer ihre Pokémon wieder auf und machen sich nach einer ausgiebigen Pause auf die Suche nach der letzten Beere.
 


 

5
 

Sie verlassen das Areal und kehren wieder zu dem kleinen Grasfeld am Anfang zurück. Diesmal führt Wuffels sie wieder hindurch, doch dann den Weg entlang nach Norden, statt nach Osten. Nach einem kurzen Fußmarsch erreichen sie erneut ein abgeschlossenes Areal. Dieses ist jedoch um einiges größer, als das eben und fast völlig von mannshohem Gras überwuchert. Nur eine Handvoll Bäume strecken sich aus dem grünen Teppich heraus. „Du meine Güte, wie sollen wir hier denn eine Beere finden?“, kommt es zweifelnd von dem Brillenträger. „Ich würd‘ mir eher Gedanken machen, was uns diesmal plattmachen will.“, kontert der Größere. Mit gerunzelter Stirn betrachtet ihn der Kleinere. „Der Logik nach müssten es drei Imantis sein.“ Nun legt der Schwarzhaarige die Stirn in Falten. „Wär‘ viel zu offensichtlich, meiste nich‘?“
 

Manuel zuckt mit den Schultern. „Vielleicht, aber was könnte hier denn sonst noch lauern?“ „‘n andres Pflanzen-Pokémon?“, stellt Bromley in den Raum. „Schon möglich. Auf jeden Fall müssen wir sehr vorsichtig sein...“, erwidert Kukui und deutet der Hündin an, die Suche fortzusetzen. Mit der Nase auf dem Boden verschwindet sie im hohen Gras. Die Jungs folgen ihr so gut es geht. Dennoch dauert es eine Ewigkeit, ehe sie den Beerenbaum tief versteckt zwischen all dem Grün entdecken. Neben dem Baum scheint ein riesiger Pilz zu wachsen. In den vorherrschenden Schatten schimmert seine Oberfläche rötlich und ist durchzogen von vielen langgestreckten, gelben Flecken. „So einen großen Pilz habe ich ja noch nie gesehen...“, staunt der Brünette. „Yeah, damit kann man einige Mäuler stopfen.“, scherzt der Jüngere.
 

In diesem Moment beginnt sich der Pilz zu bewegen! Überrascht weichen die vier zurück. „Der Pilz lebt?!“, kommt es überfordert von Manuel. „Is‘ kein Pilz, sondern ‘n Parasek!“, bringt Bromley schließlich hervor. Der vermeintliche Pilz dreht sich herum. Nun kommen die keulenartigen Arme, die krebsartigen Beine und die leeren, weißen Augen des Mischtypen zum Vorschein. Das Parasek wirkt alles andere als glücklich über die Störung, weshalb es nicht lange fackelt und seine Zornklingen gegen die Eindringlinge einsetzt. Geschwind ziehen sich die vier ins hohe Gras zurück, um dem Angriff auszuweichen, zumindest so lange das Gras noch steht. Sie nutzen ihre Deckung jedoch für einen Gegenangriff. „Sweetheart Wasserdüse!“ Der große Parasit wendet sich schnell in die Richtung, aus der er die Stimme vernommen hat und geht in Abwehrhaltung.
 

Allerdings hat er nicht mit einem Hinterhalt gerechnet, denn Reißlaus befindet sich gar nicht neben Bromley. So trifft ihn der harte Wasserstrahl in die linke Flanke. Durch den Druck wird Parasek ein Stück zur Seite geschoben, mehr jedoch nicht. Der Pilz auf seinem Rücken beginnt stattdessen zu leuchten und dass vergossene Wasser saugt sich förmlich in seinen Körper hinein, wie bei einem Schwamm. Seine leeren Augen nehmen einen schon fast schadenfrohen Ausdruck an. „Was is‘ ‘n das für‘n Scheiß? Es is‘ doch vom Typ Käfer und Pflanze, also müsste Wasser ihm doch ‘was ausmachen...!“, fragt der Käfer-Trainer irritiert. Manuel taucht neben ihm auf. „Laut Pokédex hat es wahrscheinlich die Fähigkeit Trockenheit...“, meint er. „Was soll‘n das heißen?“, erwidert der Größere verärgert. „Das bedeutet, dass Wasser-Attacken ihm nichts anhaben können, es sogar wieder aufladen...“, setzt Kukui an, kann den Text aber nicht mehr zu Ende lesen.
 

Denn in diesem Augenblick hat Parasek herausgefunden, wo sich Reißlaus aufhält! In die Ecke getrieben, gelingt es dem flinken Käfer nicht mehr auszuweichen. Der Parasit kreuzt seine keulenartigen Arme und greift dann mit einer schneidenden Bewegung an. Die Assel wird zur Seite geworfen und bleibt in einer lilafarbenen Wolke am Boden liegen. „Das war Giftstreich!“, ruft Manuel. „Nein!“ Panisch schubst Bromley den anderen Jungen zur Seite und rennt zu seinem Pokémon. Sweetheart rührt sich nicht, während die lila Wolke in ihren Körper eindringt und sie noch mehr schwächt. Der Käfer hat eine ausgemachte Schwäche gegen Gift-Attacken. Hinter sich hört der Schwarzhaarige den Parasiten herannahen. Wutentbrannt springt der Junge auf und versucht sich auf den wandelnden Pilz zu stürzen. Mit tiefem Schrecken kann Manuel nicht mehr rechtzeitig eingreifen. „Du Miststück hast meinen Käfer vergiftet! Dafür mach‘ ich dich so dermaßen platt!“, schimpft der große Junge.
 

Das Parasek lässt sich davon jedoch nicht sonderlich beeindrucken und schlägt mit seinen Zornklingen nach dem vermeintlichen Angreifer. Die Attacke wirft den jungen Trainer heftig zu Boden, sodass er reglos neben seiner Assel zum Liegen kommt. „Bromley, nein!“, keucht Kukui erschrocken. Verzweiflung macht sich in ihm breit, was soll er nur tun, um seinen Freund zu beschützen? Fieberhaft denkt er nach, bis sich Wuffels Nase besorgt gegen sein Bein drückt. „Wir müssen das Parasek von den beiden weglocken, bis mir eine Lösung einfällt...“, erläutert er der Hündin, die ein zustimmendes Bellen von sich gibt. „Ok, setz Steinwurf ein, aber pass auf, dass du nur das Parasek triffst.“, weist er sie an. Der junge Hund nickt entschlossen und bringt sich in Position.
 

Knurrend sammelt sie ihre Kraft und stampft dann mit aller Wucht auf den harten Boden. Kleine Steinbrocken brechen heraus. Mit Hilfe ihrer Konzentration lässt Wuffels sie schweben und dann auf den Parasiten zufliegen. Wie es sich Manuel erhofft hat, reagiert der wandelnde Pilz ziemlich empfindlich auf Gesteins-Attacken. Allerdings hat es noch längst nicht genug, aber zumindest gilt seine Aufmerksamkeit nun der Hündin. „Sehr gut! Lock es mit Tackle noch etwas weiter weg!“ Bellend setzt der Welpe wieder zum Angriff an und treibt den Parasiten damit in die gewünschte Richtung.
 

Derweilen kommt Bromley wieder zu sich. Verzweifelt stellt er fest, dass das Ganze doch kein Traum war, Reißlaus wirklich vergiftet und geschlagen ist und Kukui alle Hände voll zu tun hat, dieses Biest in Schach zu halten. Auf einen Schlag kommt sich der Schwarzhaarige unglaublich nutzlos vor. Leise, dann immer lauter ertönt plötzlich die Stimme seines Vaters in seinem Kopf. Erschrocken zuckt der Junge zusammen. ‚Bromley! Was treibst du denn da?‘, hallt es durch jede Windung seines Denkens. Die Worte sind so herrisch, kraftvoll und einschüchternd; so sehr von qualvollen Erinnerungen und Schmerz begleitet, dass der wehrlose Junge den Mund öffnet und sie wie ein tödliches Mantra im selben Moment ausspricht, indem sein Vater sie durch seinen Kopf wandern lässt. Es ist, als würde dieser brutale Mann direkt neben ihm stehen und ihn für etwas bestrafen wollen, dass er seiner Meinung nach falsch gemacht hat.
 

Sein Vater war nie ein Mann großer Worte, wer würde sich auch mit so etwas Billigem zufriedengeben? Aus Fehlern soll der Bengel immerhin lernen und was ist da wirkungsvoller als Schmerz? Oh ja, er hat noch alles in diesen unnützen Bastard hineingeprügelt bekommen! Allerdings ahnt er nicht, was er seinem Sohn damit angetan hat. Die sichtbaren Wunden sind stets früher oder später verschwunden, doch sein Denken, sein ganzes Selbst hat darunter weit mehr gelitten und ihn zu etwas gemacht, dass er nicht mehr kontrollieren kann. Es hat Bromley aggressiv, selbst überschätzend, selbst verletzend, schizophren, unkontrollierbar; abgestumpft, uneinsichtig, langsam und zerstörerisch gemacht. Er lebt förmlich in einer ganz anderen Welt, die er versucht mit seiner Größe und Kraft zu formen. Die tiefsitzende Angst vor seinem Erzeuger bestimmt sein gesamtes Leben. Wenn er die Augen schließt, dann sieht er ihn vor sich, wie er langsam den Golfschläger aus der Tasche zieht und dann damit auf ihn losgeht. Ihn verprügelt, bis er sich nicht mehr rühren kann.
 

Dieser Mann hat eine ungeahnte Macht über ihn, sodass er nicht nur die Worte, die er in seinem Kopf sagt, laut ausspricht, sondern ihn auch dazu bringt, sich stellvertretend für ihn selbst zu verletzten! Wie ferngesteuert ergreift der Schwarzhaarige einen faustgroßen Stein von Wuffels‘ Angriff, umklammert ihn ganz fest. Von weitem kann Manuel seinen Freund am Boden kauern sehen, den Stein in der Hand. Er hat dieses seltsame Verhalten schon einmal erlebt, kann dennoch nicht nachvollziehen, was für einem Zweck es dienen soll und doch konnte er damals nicht verhindern, dass sich Bromley selbst verletzt hat, als er einen Kampf gegen einen anderen Trainer verloren hat. Es war unheimlich und schrecklich und das Schlimmste daran war, dass er nicht zu ihm durchdringen konnte, bis es zu spät war. Nun sieht es so aus, als würde es wieder passieren und wieder kann er ihm nicht helfen, zu sehr ist er in den Kampf mit Parasek verstrickt und die Entfernung zu Bromley inzwischen zu groß.
 

Fassungslos wendet er den Blick von ihm ab, als der große Junge dazu ansetzt sich den Stein gegen seinen vernebelten Kopf zu knallen. Er kann das einfach nicht wieder mit ansehen. Stattdessen befiehlt er Wuffels einen neuen Angriff. Der Schwarzhaarige hingegen stoppt seine selbstzerstörerische Attacke im letzten Moment, als sein Blick auf den Pokédex fällt, den Kukui in der Hektik des Kampfes wohl hat fallen lassen. Der kleine Computer zeigt immer noch vorbildlich den Absatz über die Fähigkeit Trockenheit an. Allerdings steht dort weit mehr, als der Brünette vorlesen konnte. Die Fähigkeit bewirkt nämlich nicht nur eine Immunität gegen Wasser, sondern erhöht außerdem die Angriffskraft von Feuer-Attacken um fünfundzwanzig Prozent! Als Hybrid aus Käfer und Pflanze ist Parasek schon unter normalen Umständen sehr empfindlich auf Feuer, doch seine Fähigkeit lässt ihn jede noch so kleine Flamme wie ein tosendes Inferno empfinden!
 

Ein Blick zum Kampfgeschehen verrät Bromley, dass es langsam brenzlig wird und Manuel immer noch keine Lösung eingefallen ist. Entschlossen steht der große Junge auf, doch anstatt sich mit dem Stein in seiner Faust selbst den Schädel einzuschlagen, wirft er ihn nach dem Parasiten. Zum ersten Mal in seinem Leben wendet er sich somit gegen ein Käfer-Pokémon, um jemanden zu beschützen, der ihm inzwischen mindestens genauso wichtig geworden ist. Irritiert wendet sich Parasek herum und starrt den Trainer zornig an. „Yo, du hässliches Mistvieh! Findest es also komisch, dich an Schwächeren zu vergreifen, wie? Dann pass auf, wenn wa‘ dir jetz‘ Feuer unterm Hintern machen!“, brüllt er hinüber. Verwundert betrachtet ihn der Brünette. „Bist du jetzt völlig verrückt geworden?“, fragt Kukui ihn eingeschüchtert. „Nee, geht wieder. Fackel das Biest endlich ab, Mann! Trockenheit verstärkt Feuer-Attacken, verstehste?“ So ganz begreift der Brillenträger noch nicht, was sein Freund ihm sagen will. Dann jedoch fällt ihm ein, dass er den Absatz über die Fähigkeit gar nicht zu Ende lesen konnte, weil Reißlaus vorher niedergestreckt wurde.
 

Allerdings muss Bromley dies inzwischen getan haben und das anstatt sich selbst zu verletzten, was ihm eine riesige Last von der Seele nimmt. Entschlossen nickt er dem anderen Jungen zu und befiehlt der Hündin dann den alles entscheidenden Angriff. Mit flammenden Zähnen stürzt sich Wuffels auf das überraschte Parasek und gibt ihm damit imposant den Rest. Besiegt bricht der wandelnde Pilz augenblicklich zusammen und macht so den Weg zu der letzten Beere frei.
 


 

6
 

Nachdem sie Reißlaus mit einem Gegengift versorgt und beide Pokémon wieder aufgepäppelt haben, machen sich die jungen Trainer auf zur letzten Etappe der Prüfung. Mit den Beeren in der Tasche betreten sie ein letztes Mal den Eingangsbereich des Schattendschungels, wo der Captain schon auf sie wartet. Erneut ist die Blondine überrascht, dass es den Jungs gelungen ist, die Früchte einzusammeln. Nach dem Lärm zu urteilen, der durch die Vegetation zu ihr gedrungen ist, hätte sie es nicht wirklich für möglich gehalten. Allerdings waren das alles nur Peanuts im Vergleich zu dem, was sie nun erwarten wird. Das Herrscher-Pokémon wird ihnen schon den Marsch blasen und dann ist Ende im Gelände!
 

„Was jetz‘?“, fragt Bromley, nachdem er dem Captain die Beeren gegeben hat. Das Mädchen entfernt sich ein Stück und platziert die Früchte dann auf einem sonnigen Fleck auf dem Boden. Im Gegensatz zum Rest des Dschungels ist der Eingangsbereich und somit auch der sogenannte Herrscher-Bereich deutlich heller. Nur wenige Blätter trügen den Sonnenschein und das aus gutem Grund. „Nun legen wir dem Herrscher-Pokémon die Beeren als Opfer dar und warten, wie es sich entscheidet. Wenn es euch für würdig hält, wird es auftauchen und einen Kampf mit euch führen. Wenn nicht, seid ihr durchgefallen und müsst die Prüfung zu einem anderen Zeitpunkt wiederholen.“ Von ehrfürchtigem Schweigen überkommen, verharren die Trainer mit ihrem Pokémon reglos und lauschen auf ein Zeichen des Herrschers.
 

Die Minuten verstreichen und nichts passiert. Nervosität macht sich allmählich in ihnen breit. Dann durchbricht die herablassende Stimme der Blondine die Stille. „Tja Jungs, ich fürchte, das Herrscher-Pokémon hält nichts von euren Bemühungen. Von daher erkläre ich die Prüfung hiermit offiziell für be...“, sie kann den Satz nicht mehr zu Ende führen, da wird auf einmal ein Rascheln laut. Überrascht wenden sich alle in die Richtung um und dann teilt sich plötzlich der Dschungel vor ihren Augen und ein riesiges Pokémon tritt daraus hervor. Sein an die drei Meter großer, hauptsächlich rosa und weißgefärbter Körper erinnert stark an eine Gottesanbeterin, dennoch hat dieses Wesen nichts mit einem Insekt gemeinsam, sondern trägt ausschließlich den Pflanzen-Typ.
 

Nahezu elegant anmutend tritt das Mantidea ins Sonnenlicht hinein und blickt sich mit seinen großen, rötlichen Augen genau um. Schließlich fixiert es die Beeren, spießt sie mit seinen langen, sichelartigen Armen auf und verschlingt sie mit einem einzigen Happs. Mit offenem Mund betrachten die Jungs das gewaltige Pokémon, während der Pokédex ungehört einige Daten herunterrattert. „Na, so was! Da habt ihr wohl noch mal Glück gehabt, was? Aber seid gewarnt, Mantidea ist sehr launisch und wird alles daransetzen, euch fertigzumachen. Einen Tipp bekommt ihr allerdings von mir. Seine Herrscher-Aura sorgt dafür, dass seine Geschwindigkeit enorm zunimmt. Also, viel Spaß!“, erläutert der Captain und zieht sich dann in sicherer Entfernung zurück.
 

„Heilige Scheiße...“, gibt Bromley von sich und blickt zu seinem Mitstreiter. Kukui schluckt schwer und schiebt sich dann die Brille zurecht. „Ok. – Das ist wirklich heftig. Doch es ist ein reiner Pflanzen-Typ, von daher ist es empfindlich auf Käfer- und Feuer-Attacken. Dürfte also ein Vorteil für uns sein...“, erwidert der Brünette sachlich, doch es klingt unglaublich unsicher. Der Herrscher, der bis eben noch reglos dagestanden und die Jungs betrachtet hat, setzt sich nun in Bewegung und kündigt damit den Beginn des Kampfes an. Das Pokémon hebt seine langen Sichelarme, sodass sie schon die Unterseite der Baumkronen streifen. Dann überkreuzt es sie und mit einem grünen Leuchten benutzt es diese Kreuzscheren, um die Vegetation in einem großen Radius fast bis auf den Boden herunterzustutzen.
 

In einer gewaltigen Wolke fliegen überall Blätter und Äste herum. Doch dies sollte kein Angriff sein, wie die beiden Trainer schnell feststellen. „Was zur Hölle wird‘n das?“, will der Schwarzhaarige wissen. Eilig blickt Manuel auf den Pokédex, während das Mantidea ein Sonnenbad zu nehmen scheint. „Hier steht, dass es das Sonnenlicht sehr liebt. Sein ganzer Körper und auch seine Kampftechnik sind darauf ausgelegt vom Licht der Sonne zu profitieren. Es hat sich also gerade seine eigene Wohlfühlzone eingerichtet, um sich einen Vorteil zu verschaffen.“ In diesem Moment wird das Pokémon von einem kräftigen, roten Schleier eingehüllt – seiner Herrscher-Aura – die es noch imposanter erscheinen und seine Geschwindigkeit ins schier Unermessliche steigen lässt. Dann verharrt es wieder ruhig und wartet auf den ersten Angriff der Trainer.
 

„Na dann, machen wa‘ dieses Unkraut platt!“, posaunt der Größere und schickt Reißlaus mit dem ersten Angriff in den Ring. Die flinke Assel nimmt all ihren Mut zusammen und landet mit ihrem Käfertrutz einen Volltreffer. Allerdings war dies auch nicht sonderlich schwer, denn Mantidea hat sich nicht einen Millimeter bewegt. Scheinbar möchte es erst austesten, mit wem sie es hier zu tun hat. So lässt der Herrscher es auch zu, dass Wuffels ihn mit ihrem Feuerzahn erwischt. Die riesige Pflanze zuckt leicht zusammen, als die Flammen sie verbrennen, aber beeindruckt wirkt sie deswegen kein bisschen. Nun allerdings setzt sie zum Gegenangriff an! Die langen Sichelarme kreuzen sich erneut, dann prescht das Pokémon hervor und lässt seine Attacke gegen Reißlaus los.
 

Die Geschwindigkeit, mit der es sich dabei fortbewegt, ist einfach nur unglaublich. Trotz seiner gewaltigen Größe ist von ihm kaum mehr als ein rosaroter Schleier sichtbar. Die Kreuzscheren durchschneiden dabei die Luft mit einer solchen Wucht, dass es sich anhört, wie ein startender Jet. Man erwartet förmlich, dass ein Stück der Wirklichkeit einfach so zu Boden fällt und ein düsteres Loch in der Realität erscheint. Doch nichts dergleichen passiert. Stattdessen rasen die Sichelarme Richtung Boden und schlagen dort mit einem Knall auf. Sand und kleine Steine fliegen durch die Luft und ein schmerzliches Fiepen gleitet wie ein Pistolenschuss über das Kampffeld hinweg. Erst, als sich der Staub wieder legt, erkennen die Jungs, dass Reißlaus von den Kreuzscheren getroffen wurde.
 

Nur ihrer eigenen Flinkheit hat sie es allerdings zu verdanken, dass es nur ihren Schwanz erwischt hat. Hätte Mantidea aber wirklich getroffen, wäre es jetzt wohl um den Käfer geschehen. „Was zum...?“, kommt es fassungslos von Bromley und auch Manuel steht wieder der Mund offen. Der Captain sagte zwar, dass der Herrscher schnell ist, aber das eben gleicht einer ganz neuen Definition des Wortes! Und es ist noch längst nicht vorbei, denn schon setzt die Riesenpflanze zum nächsten Angriff an. Diesmal reckt sie ihre langen Arme gen Himmel und sammelt das Sonnenlicht damit ein. „Das – das sieht aus wie – Solarklinge...“, kommt es stockend von dem Brillenträger. Die beiden Trainer blicken sich etwas entsetzt an. Ihre Begleiter haben eine gewisse Schwäche gegen Pflanzen-Attacken und das hier ist wohl einer der vernichtensten Angriffe, die ihnen unterkommen kann. Aber die Attacke hat den Nachteil, dass sie etwas Zeit zum Aufladen braucht und den Jungs somit noch ein Moment zum Nachdenken bleibt.
 

So dachten sie jedenfalls. Eine Sekunde später jedoch, schwebt eine gewaltige Kugel aus purem Licht über Mantidea, die sich in eine alles zerschneidende Klinge verwandelt. Diese wirft der Herrscher jetzt auf seine überrumpelten Gegner. „In Deckung!“, ruft Kukui noch atemlos, ehe der ganze Dschungel in grelles Licht getaucht wird. Ein gewaltiger Knall folgt, der einen weiteren Teil der Vegetation zu Grunde richtet. Doch die Pokémon hier im Dschungel werden sich darum kümmern, alles wieder zum Wachsen zu bringen, wenn diese Störenfriede endlich weg sind.
 

Als sich der Staub legt, wird jedoch erst einmal das Ausmaß des Ganzen sichtbar. Die Umgebung wirkt, als wäre sie gerodet worden. Kaum ein Stein liegt mehr auf dem anderen. Die beiden Trainer können von Glück sagen, dass sie sich etwas abseits befunden und so nur einige Schrammen abbekommen haben. Reißlaus ist es ebenfalls in letzter Sekunde gelungen sich unter einen umgestürzten Baum zu flüchten, weshalb sie kaum Schaden davongetragen hat. Ganz anders sieht es jedoch bei Wuffels aus. Der kleinen Hündin ist es nicht mehr gelungen, irgendwo rechtzeitig Schutz zu suchen und so hat sie die volle Wucht des Angriffs abbekommen. In einem Krater aus aufgewühlter Erde liegt der Vierbeiner reglos am Boden, während feiner Qualm von ihrem Fell aufsteigt.
 

„Himmel, nein!“, kommt es entsetzt von Manuel und er rennt zu seinem Pokémon hinüber. Wuffels ist vollkommen K.O. Der Schwarzhaarige wirft einen schnellen Blick zum Herrscher hinüber. Mantidea badet wieder in der Sonne. Diesmal glüht ihr Körper jedoch hell auf. Scheinbar benutzt sie Synthese, um die wenige Energie, die sie bisher verbraucht hat, wiederherzustellen. Das verschafft ihnen wenigstens etwas Zeit. Eilig läuft er zu seinem Freund hinüber, der mit tränenfeuchten Wangen versucht, sein Pokémon wieder auf die Beine zu bekommen. „Wuffels, sag doch etwas...“, schluchzt er und verabreicht der Hündin eine Flasche Medizin. Bromley geht neben ihm in die Hocke. „Yo, wie sieht‘s aus?“, fragt er sorgenvoll. Manuel schenkt ihm ein schwaches Lächeln, als der Vierbeiner langsam die Augen öffnet und sich in seinen Armen zu regen beginnt. „Ich denke, es geht wieder. Aber das war unsere letzte Möglichkeit, die beiden wieder aufzupäppeln. Wir haben kein einziges Item mehr...“, meint der Brünette kummervoll.
 

„Das is‘ nich‘ gut...“, murmelt der Größere und wirft einen Blick über die Schulter. Mantidea scheint immer noch mit ihrer Synthese beschäftigt zu sein. Also bleibt ihnen noch etwas Zeit eine Lösung zu finden, aber es muss schnell gehen. „Nein, das ist überhaupt nicht gut. – Denkst du, wir sollten aufgeben und es später noch einmal versuchen?“, fragt der Brillenträger und stellt Wuffels wieder auf die Füße. Die kleine Hündin streckt sich und schüttelt dann ihr Fell. Sie wirkt wieder putzmunter, was Kukui irgendwie immer erschreckend und beruhigend zu gleich findet. „Spinnste? Aufgeben tun nur Feiglinge und Muttersöhnchen! Biste etwa einer davon?“, fährt Bromley ihn plötzlich grob an. Etwas erschrocken wendet Manuel ihm den Blick zu. „Nein, ich denke nicht. – Aber, was sollen wir denn machen? Wenn Mantidea wieder Solarklinge gegen uns einsetzt, sind wir erledigt...“
 

„Wir brauchen ‘n ultimatives Finale! Schluss mit lustig, verdammt noch mal! Mit Kameradschaft bekommen wa‘ das schon hin, verstehste?“, grinst der Schwarzhaarige ihm entgegen. Verdutzt betrachtet ihn der Kleinere. Normalerweise findet es Bromley ziemlich nervig, wenn sein Mitstreiter in Attacken-Namen redet, um etwas Grundlegendes auszudrücken. Erstaunlicherweise macht er es nun selbst, um Kukui aufzumuntern und ihn zum Durchhalten zu animieren. Der Brünette kann sich ein Grinsen nicht verkneifen und wischt sich die letzten Tränen von den Wangen. „Verstehe. Aber wie sollen wir das anstellen?“ „Die einzige Möglichkeit is‘ ‘ne verfluchte Z-Attacke, Mann. Ich würd‘s ja selbst machen, wenn ich‘s könnt‘, aber das Biest lacht nur, wenn ich‘s mit Wasser begieße. Uns bleibt nur Feuer.“
 

Manuel zuckt leicht zusammen. „Das klingt ja alles vernünftig, aber du weißt selbst, dass es mir erst einmal gelungen ist, eine Z-Attacke einzusetzen und das war mehr Zufall, als alles andere. Seitdem hat es kein einziges Mal mehr funktioniert, egal wie sehr Wuffels und ich uns bemüht haben. Zudem konnten wir bis jetzt auch nur den Hyper-Sprintangriff üben. Vom Feuer sind wir noch sehr weit entfernt...“, betrübt senkt er den Kopf, bis Bromley ihm die Hand auf die Schulter legt. „Weiß ich doch alles. Aber wir ham einfach keine andre Wahl, Kumpel. Jetz‘ oder nie! Wenn wa‘ das Biest nich‘ auf einen Schlag plattmachen, macht es uns platt und das is‘ viel schlimmer, als alles andre. Denkste nich‘, dass Wuffels nich‘ auch ‘ne Scheißwut auf dieses Unkraut hat, wo‘s so mies plattgemacht wurde? Da könn‘ eure Gedanken gar nich‘ dichter beisammen sein, als jetz‘!“
 

Einen Moment betrachtet Kukui die kleine Hündin, die fest entschlossen zu ihm aufblickt und mit dem Schwanz wedelt. Dann sieht er zu Bromley, der mindestens genauso entschlossen wirkt. Seine schiefergrauen Augen sehen dadurch viel dunkler aus und so klar, wie Manuel es selten mitbekommen hat. Zuletzt schaut er hinab zu Reißlaus, die neben ihrem Trainer hockt und ihn mit großen Augen anstarrt. Als sich ihre Blicke treffen, hebt sie wackelnd ihren platten Schwanz und fiept. Die Wunde, die Mantideas Kreuzschere daran hinterlassen hat, ist noch deutlich zu sehen und bereitet der Assel mit Sicherheit Schmerzen, doch sie lässt es sich nicht anmerken. Etwas sicherer mit seinen Gedanken, ballt Manuel die Hände zu Fäusten. „Ok, versuchen wir es. Wird schon schiefgehen. – Kannst du Mantidea ablenken, bis wir soweit sind?“
 

Er wirft einen Blick zu dem großen Herrscher-Pokémon hinüber, das in diesem Augenblick seine Synthese abschließt und mit neuer Energie das Kampffeld betritt. „Yo, machen wa‘!“ „Lasst euch aber bloß nicht von ihr erwischen!“, mahnt Kukui und steht auf. „Keine Sorge, wir sind mindestens genauso schnell, wie das Vieh, nich‘ wa‘, Sweetheart?“ Fröhlich fiepend wedelt der Käfer mit dem Schwanz und flitzt um den großen Jungen herum, als wolle sie seine Worte bestätigen.
 

Ein ungeduldiges Fauchen dringt zu ihnen und die riesige Pflanze kratzt mit ihren Sichelarmen über den Boden. Als die vier ihr den Blick zuwenden, fliegen ihnen ein Haufen Rasierblätter um die Ohren, denen sie gerade noch ausweichen können. „Ok, jetz‘ gilt‘s! Lauf so schnell du kannst, Mädchen und setz Sandwirbel ein!“, befiehlt der Schwarzhaarige entschlossen. Mit zuckenden Fühler setzt sich die Assel in Bewegung und nimmt schnell an Geschwindigkeit zu. In einem immer enger werdenden Kreis umrundet sie Mantidea so flink, dass sie kaum zu sehen ist. Das Pflanzen-Pokémon zuckt mit den Augen hinter ihr her und zuerst sieht sie sie auch wirklich noch, doch als sie ihre Sicheln benutzen will, um Reißlaus zu stoppen, fliegt auf einmal ein dichter Haufen Sand aus dem flitzenden Schatten und trifft den Herrscher mitten im Gesicht. Überrascht stoppt die Pflanze den Angriff und schüttelt den Kopf, um den Sand loszuwerden.
 

„Die zwei sind doch echt kaum zu fassen...“, entkommt es dem Captain leise. Dennoch ist sie der festen Überzeugung, dass die Jungs den Kürzeren ziehen werden. Lange wird sich Mantidea so einen Unfug wohl kaum gefallen lassen. Auch Manuel staunt nicht schlecht über den Einfallsreichtum seines Kollegen. Doch nun liegt es an ihm, das Ganze auch zu beenden. Immerhin kann Reißlaus das nicht ewig durchhalten. Von daher muss es ihm unbedingt gelingen mit Wuffels in Einklang zu kommen und die Z-Attacke zu meistern. Tief atmet er ein und aus und blickt dann zu dem kleinen Welpen hinab. Dieser ist schon ganz aufgeregt, wie es scheint und hat sicher auch genug Wut im Bauch, wie Bromley es ausgedrückt hat, um den Herrscher auf die Matte zu schicken.
 

„In Ordnung, Wuffels. Versuchen wir es!“ Die Hündin gibt ein freudiges Bellen von sich, dann stellt sie sich vor ihn und blickt auf das Kampffeld. Dort rennt Reißlaus noch immer in Windeseile im Kreis und bewirft Mantidea jedes Mal mit Sand, wenn dieses einen Angriff starten will. Der Zorn des Herrschers ist dabei deutlich zu sehen und er hat längst aufgegeben das andere Pokémon zu sehen zu versuchen, sondern hackt nur noch blindlinks in den Boden, was es nicht gerade leichter für die Assel macht. Noch einmal atmet Kukui tief durch und schließt dann gemeinsam mit seinem Pokémon die Augen. „Konzentrieren...“, murmelt er vor sich hin, während er sich den Tanz für die Feuer-Attacke ins Gedächtnis ruft.
 

Die beiden blenden alles um sich herum aus, sodass es nur noch sie allein zu geben scheint. Keine Geräusche vom hoffnungslosen Versuch der anderen Pokémon, keine Rufe von Bromley, kein Blätterrascheln, absolut nichts. Die Leere nimmt sie beide allmählich ein und dann, dann tatsächlich können sie einen Gedanken des anderen einfangen – den Gedanken gewinnen zu wollen! Das ist es! Manuel öffnet wieder die Augen, doch er behält das Bild von Wuffels Gedanken in sich, klammert sich fest daran. Hoch konzentriert beginnt er dann damit die einzelnen Bewegungen des mystischen Tanzes aufzuführen, der die Z-Attacke auslöst und damit seine Wünsche, Hoffnungen und Kraft auf sein Pokémon zu übertragen. Die kleine Hündin trägt ihren Teil dazu bei und auf einmal beginnt sie wahrhaftig zu leuchten, als die Energie des Jungen auf sie übergeht. Erstaunt reißt sie die Augen auf. Ihr ganzer Körper beginnt zu kribbeln. Sie fühlt sich, als würde sie jeden Moment abheben oder Bäume einfach so umschubsen können – kurz gesagt unbesiegbar!
 

Der Brünette kann sein Glück kaum fassen, dennoch versucht er seine Gedanken beisammen zu halten, immerhin sind sie noch nicht fertig. Die letzte Pose des Tanzes ist erreicht, die Entschlossenheit in ihrer beiden Gesichter geschrieben. In diesem Moment hat Mantidea endgültig die Nase voll. Sie holt seitlich mit ihrer Sichel aus und fegt Reißlaus damit von den Füßen. Die Assel fliegt in hohem Bogen durch die Luft. Bromley springt entsetzt nach oben und kann sie gerade noch auffangen. Dann werden sie beiden in einen Sturm messerscharfer Blätter verwickelt und gegen den nächsten Baum geschleudert. Hart getroffen rutscht der Schwarzhaarige an der rauen Rinde hinab, fest umklammert er dabei sein verletztes Pokémon. Dieses Bild gibt den letzten, allesentscheidenden Schlag für Manuel und Wuffels.
 

„Dynamische Maxiflamme!“, entkommt es dem Brillenträger mit einer so kraftvollen Stimme, dass er schwören könnte, es wäre nicht seine eigene. Die kleine Hündin spreizt ihre vier Beine weiter auseinander, um einen festeren Stand zu haben, dann gibt sie ein Bellen von sich, das klingt, als würde ein ganzes Rudel hinter ihr stehen. Überrascht wendet Mantidea den Kopf, verharrt in dem Angriff, den sie gerade auf die am Boden Liegenden ausführen wollte. Es ist das Letzte, wozu sie in der Lage ist. Den Bruchteil einer Sekunde später sammeln sich um das kleine Gesteins-Pokémon immer mehr Flammen an. Sie bilden einen gewaltigen Ball, als wäre das Innere der Erde an die Oberfläche getreten. Wuffels reißt das Maul auf und mit einem weiteren, kraftvollen Bellen jagt der riesige Flammenball unaufhaltsam auf das Herrscher-Pokémon zu.
 

Mantidea ist wie erstarrt. Sie kann die Flammen sehen, begreift, dass sie sie vernichten werden, doch sie kann nichts dagegen tun. Ihr Körper, sonst der Inbegriff von Eleganz und Schnelligkeit, versagt ihr vollkommen den Dienst. Es gelingt ihr noch die Sichelarme vor dem Gesicht zu kreuzen, dann wird sie von der Feuerwalze komplett eingehüllt. Die lavafarbene Kugel bläht sich auf, wird grellweiß und dutzende, kleine Explosionen runden den Angriff schließlich ab. Das Ganze ist so schnell und grell, dass die Beteiligten kaum erkennen, was überhaupt passiert, bis sich der Rauch langsam wieder legt.
 

Die ohnehin schon in Mitleidenschaft gezogene Vegetation ist nun völlig zerstört, überall züngeln kleine Flammenherde. Im Dschungel ist es zum ersten Mal vollkommen still. Als die Sicht wieder klar wird, ist von Mantidea nur noch ein Schatten ihrer selbst übrig. Schwerfällig erhebt sich die versenkte Pflanze ein letztes Mal, macht einen wackeligen Schritt auf Kukui zu und lässt dann zwei Z-Kristalle vom Typ Pflanze vor seine Füße fallen. Ehe der Brünette das Ganze richtig realisieren kann, verschwindet der angeschlagene Herrscher in den Resten seines Dschungels.
 

„Geschafft...“, entkommt es Manuel. Er kann es einfach nicht glauben. Kraftlos sinkt er auf die Knie und beobachtet, wie es Wuffels ganz ähnlich ergeht. Ausgelaugt streckt der Welpe alle viere von sich und sinkt auf seinen Bauch hinab. Mit raushängender Zunge schnappt sie angestrengt nach Luft. Allmählich kommt auch Bromley wieder zu sich, als Reißlaus ihm besorgt über der Wange leckt. „Was is‘?“, kommt es mit belegter Zunge von ihm. Dann lässt er den Blick über das Kampffeld gleiten und traut seinen Augen nicht. Ebenso ergeht es dem Captain. „Das – das war einfach – unglaublich! – Ihr habt – die Prüfung tatsächlich – bestanden...!“

Massive attack


 

1
 

Nach einem schier endlosen Marsch durch Staub, Sand und Geröll kommt in der Ferne endlich etwas Tageslicht zum Vorschein. Die zwei Trainer und ihre Pokémon haben schon gar nicht mehr daran geglaubt, diesen von Digda geschaffenen Durchgang zu durchqueren, bevor die Sonne untergeht. Überrascht stellen sie aber fest, dass es noch nicht ganz Mittag ist, als sie von der stickigen Hitze in die Sonne hinaustreten und eine sanfte Briese ihre verschwitzten Körper erfrischt. Von oben bis unten mit Staub bedeckt, sehen sie aus wie eine Truppe Schornsteinfeger, daher ist ihre Erleichterung durchaus verständlich, als sie auf die Route neun treten. „Boah, ich dacht‘ schon wir komm‘ nie mehr aus diesem verdammten Digda-Tunnel raus...“, entkommt es Bromley in einem genervten Seufzen. Mit einem sanften und dennoch erschöpften Lächeln betrachtet ihn Manuel, während er versucht den Staub von seiner Brille zu wischen.
 

„Geht mir genauso. Doch wir sind noch lange nicht am Ziel.“, erinnert er seinen Kollegen. Dieser verschränkt etwas verstimmt die Hände hinter dem Kopf und blickt sich um. „Jaja...“, meint er nur. Seit sie die Prüfung im Schattendschungel bestanden haben, sind fünf lange Monate vergangen, in denen sie weiterhin die Insel erforscht und fleißig trainiert haben. Vor gut einer Woche sind sie dann der Inselkönigin begegnet, die ihnen gesagt hat, dass ihre große Prüfung bei den Ruinen des Lebens stattfinden wird. Hierbei handelt es sich um die heilige Stätte, an der die Bewohner Akalas dem hiesigen Kapu huldigen. Unter den wachsamen Augen des Schutzpatrons wird der letzte, endscheidende Kampf der Jungs stattfinden, den sie hoffentlich gewinnen werden, um die Erlaubnis zu erhalten, die nächste Insel betreten zu dürfen.
 

Die beiden sind durchaus guter Dinge, dass ihnen das gelingen wird. Die Inselkönigin kämpft mit Gesteins-Pokémon und damit haben die zwei ja schon einige Erfahrungen gesammelt, weshalb das Ganze hoffentlich nicht allzu schwierig werden wird. Allerdings haben sie noch einen weiten Weg bis zu den Ruinen vor sich.
 


 

2
 

Nachdem sie den Digda-Tunnel also verlassen haben und sich nun auf der eher kurzen Route neun befinden, kommt ihnen als erstes eine Polizeiwache in Sicht, die direkt neben dem Ausgang steht. Entgegen aller Meinung befindet sie sich außerhalb des Dorfes, mitten auf weiter Flur könnte man sagen. Dies hat aber unteranderem den einfachen Grund, dass Unholde gern den Schutz des Tunnels nutzen, um unbemerkt von einem Dorf zum nächsten zu kommen und so ihren zwielichtigen Geschäften nachzugehen. Von daher hat man sich entschieden an diesem Ausgang die Wache aufzustellen, um das Ganze etwas besser im Blick zu haben. Es dämmt die Schandtaten zumindest etwas ein, auch wenn Alola eine sehr friedliche Region ist, in der die Kriminalität für gewöhnlich gegen Null geht. Dennoch kommt es ab und an vor, dass einige Leute einen etwas unschönen Weg einschlagen und die schier endlose Geduld der Gesetzeshüter auf die Probe stellen. Erschwert wird das Ganze an dieser Stelle, da der Tunnel von den dort lebenden Didgas ständig erweitert wird und so unentdeckte Ausgänge geschaffen werden, die es den Ganoven dann ermöglicht das Dorf ungesehen zu betreten.
 

Allerdings passiert so etwas für gewöhnlich nicht am helllichten Tag, weshalb die Polizisten viel öfter Leuten helfen, die völlig fertig aus dem Tunnel kommen und von ihnen dann versorgt oder ins Dorf gebracht werden. Oder aber junge Trainer, die sich verlaufen beziehungsweise die Orientierung verloren haben und sich hier dann Auskunft holen können. Der diensthabende Beamte zieht es daher vor auf einem Klappstuhl vor der Wache in Nickerchen in der Sonne zu machen. Er ist so tief darin versunken, dass er nicht einmal das Kichern der Jungs hört, als sie direkt an ihm vorbeigehen wollen und auch von einem Polizei-Pokémon ist keine Spur zu sehen. Jedoch kommt in diesem Moment ein zweiter Beamter aus der Wache. Mit einem dampfenden Becher Kaffee setzt er sich gähnend auf die Stufen des Gebäudes und nickt den beiden Trainern freundlich zu. „Na Jungs, wo wollt ihr denn hin?“, fragt er beiläufig, doch es klingt nicht so, als würde ihn das wirklich kümmern, da die beiden nicht so wirken, als hätten sie sich verlaufen. Dies liegt wahrscheinlich auch daran, dass er gesehen hat, dass die zwei auf Inselwanderschaft sind, was der Anhänger an ihren Rucksäcken auch jedem Laien eindeutig klarmacht und von daher wird wohl keine Gefahr von ihnen ausgehen.
 

„Oh, wir sind auf dem Weg zu den Ruinen des Lebens, um dort gegen die Inselkönigin anzutreten.“, erläutert ihm Manuel. „Da habt ihr aber noch einen ganz schönen Weg vor euch. Doch zumindest seid ihr hier richtig. Dort hinten ist eine Abzweigung, genau gegenüber von Konikoni City. Wenn ihr die nehmt, könnt ihr die Ruinen gar nicht verfehlen.“, er lächelt den beiden zuversichtlich entgegen und winkt ihnen nach, als sie an ihm vorbeigehen. „Yo, danke, Mann.“, erwidert Bromley und so entfernen sie sich von der Polizeiwache. Der Beamte sieht ihnen noch eine Weile hinterher, betrachtet ihre Pokémon, die ihnen treu hinterherlaufen. Etwas wehmütig denkt er dabei an seine Kindheit zurück, als auch er auf Inselwanderschaft war. Seufzend nippt er an seinem Kaffee, bis sein Kollege schließlich wach wird. Sie tauschen die Plätze und setzen ihre ruhige Schicht unbeirrt fort.
 


 

3
 

Wie der Polizist gesagt hat, erreichen Bromley und Kukui nach einem kurzen Marsch die Abzweigung. Auf der rechten Seite können sie das altertümliche, rotgoldene Tor sehen, das den Eingang nach Konikoni City markiert, eines der größten Dörfer Akalas. Es ist ein sehr belebter und prächtiger Ort, der weithin für seinen Markt bekannt ist, auf dem man die verschiedensten Dinge erwerben kann, die man sonst nirgendwo findet. Die fröhlichen, anpreisenden Rufe der vielen Verkäufer sind weit hin zu hören, sodass es unmöglich erscheint an dem Dorf vorbeizugehen, ohne einen Blick hineinzuwerfen. Die beiden Jungs interessieren sich jedoch nicht dafür, sondern haben nur ihre Prüfung im Kopf. So wenden sie sich nach links und folgen dem Weg zu einem Gelände, das sich an den Digda-Tunnel schmiegt. Bis auf einen Eingang und einen Ausgang auf der gegenüberliegenden Seite, ist das Areal fast völlig vom Felsgestein umrundet und reicht bis ran an die Klippe zum Meer.
 

Als die beiden den Bereich betreten, der auf ihrer Karte als Hügel des Gedenkens bezeichnet wird, stellen sie schnell fest, dass es sich hierbei um einen Friedhof handelt. Ihr fröhliches Gespräch, in dem sie sich lautstark irgendwelchen Blödsinn erzählt haben und ihre Pokémon fiepend und bellend neben ihnen hergelaufen sind, verstummt beim Anblick der hinter hohen Hecken verborgenen Grabsteine augenblicklich. Auch Reißlaus und Wuffels merken, dass ihr Verhalten nicht unbedingt angebracht ist, weshalb auch sie stillschweigend verharren. „Du liebe Güte, ein Friedhof...“, entkommt es dem Brünetten ehrfürchtig. In der beinahe erdrückenden Stille des Ortes klingt seine Stimme viel zu laut und so macht er augenblicklich den Mund wieder zu, schlägt sich die Hand davor, als hätte er etwas Unanständiges laut ausgesprochen, und zuckt leicht zusammen.
 

Bromley hingegen sagt gar nichts, geht nur festen Schrittes auf den ersten Grabstein zu und starrt ihn einfach an. Etwas irritiert folgt Kukui ihm und besieht sich ebenfalls die Inschrift. Allerdings ist sie so verwittert, dass man kaum ein Wort davon lesen kann, weshalb er den Versuch auch schnell wieder aufgibt. Der Schwarzhaarige scheint da aber anderer Ansicht zu sein. Minuten lang blickt er schweigend auf den alten Stein vor sich und rührt sich keinen Millimeter. Manuel ist sich unschlüssig, ob er ihn darauf ansprechen soll. Langsam wendet er den Blick zu seinem Freund, in der Hoffnung, etwas in seinem Gesicht lesen zu können. Doch es ist vollkommen ausdruckslos, gleicht einer blassen Maske aus Porzellan. Allerdings ist dort etwas in seinen Augen. Sie wirken, als hätte sich ein milchiger Schleier über sie gelegt, wie man es von einem Betrunkenen oder Drogensüchtigen her kennen mag, oder von jemandem in tiefer Erregung, obwohl Kukui mit keinem der drei Dinge etwas anfangen kann. Völlig neben sich und geistlos wirkt Bromley auf ihn, als wäre seine Seele beim Anblick des Grabsteins einfach aus seinem Körper entschwunden und hätte nur eine leere Hülle hinterlassen, die jeden Moment umfallen wird.
 

Diese Vorstellung beunruhigt den Brillenträger zu tiefst. Er erinnert sich daran, dass Bromley ganz ähnlich aussieht, wenn er die Stimme seines Vaters in seinem Kopf hört und sich dann selbst verletzt. Als wäre er nicht er selbst und jemand anderer würde ihn kontrollieren. Ein eisiger Schauer läuft dem Älteren über den Rücken. Dieser Ort hat etwas Unheimliches an sich und das Verhalten des Schwarzhaarigen macht es nur noch schlimmer. Kukui schluckt schwer. Nervös blickt er zu Wuffels hinab, die neben ihm steht und vorsichtig an den vertrockneten Blumen neben der Grabstelle schnüffelt. Sie sind so alt, dass man das Gefühl bekommt, dass hier schon sehr lange niemand mehr war. Auch einige Stellen der labyrinthartigen Hecken sind völlig verwelkt und eingesunken oder niedergetreten. Ihre nackten, knorrigen Äste strecken sich einem entgegen, wie die Hände eines ruhelosen Toten.
 

Dieser Gedanke macht ihn nur noch unruhiger. Manuel mag diesen Ort ganz und gar nicht, obgleich er nicht wirklich sagen kann, wieso. Und obwohl es erst Mittag ist und die Sonne hoch am Himmel steht, liegt der Friedhof in den Armen des Digda-Tunnels so eingebettet, dass es hier überraschend kühl und schummrig ist. Er schluckt erneut hart und trocken und blickt dann zu Reißlaus. Die Assel wirkt ebenfalls so, als würde es ihr hier kein bisschen gefallen und Manuel kann sie wirklich gut verstehen. Mit zuckenden Fühlern blickt sich der Käfer fast schon panisch um. Ein seichter Wind lässt die vertrockneten Heckenabschnitte unheimlich knarren, irgendwo raschelt etwas im Gras, das hinter dem Labyrinth wachst. Schließlich hält es Kukui nicht mehr aus. Beinahe hektisch umfasst er Bromley’s Arm und schüttelt ihn. Doch entgegen seiner Annahme rührt sich der andere Junge nicht. Er starrt nur weiterhin auf den verwitterten Grabstein und wirkt dabei immer mehr wie ein Zombie. „Heiliges Kapu, Bromley! Nun sag doch etwas!“, fleht er den Größeren dann an und zerrt kräftiger an seinem Arm. Wieder keine Reaktion, sein Blick scheint nur immer leerer zu werden.
 

Seine Verzweiflung nimm weiter zu. Er kann deutlich spüren, wie sich hinter seinen Augen heiße Tränen sammeln, die jeden Moment überschwappen werden. Hartnäckig versucht er das Gefühl zu vertreiben, um einen klaren Gedanken zu fassen, doch es gelingt ihm einfach nicht. „Oh Himmel, Bromley! Du machst mir Angst...“, wimmert er nun, er kann es einfach nicht mehr zurückhalten. Seine Unterlippe beginnt zu zittern und die erste Träne rinnt seine schmutzige Wange hinab und hinterlässt eine saubere Spur darauf. Bevor ihr eine weitere folgen kann, wendet der Jüngere ihm aber das Gesicht zu. Mit seinen förmlich leblosen Augen betrachtet er Manuel völlig ausdruckslos. Es ist so dermaßen unheimlich, dass Kukui schlagartig die Augen zusammenpresst, sein Gesicht im Hemd seines Gegenübers vergräbt und ein lautes Schluchzen von sich gibt.
 

„Oh heiliges Kapu, bitte...!“, presst Manuel erstickt hervor. Gerade, als sich ein weiteres Schluchzen seine Kehle hinaufschiebt, legt Bromley plötzlich den Arm um seine Schulter und drückt ihn tröstend an sich. „Yo Bro, was‘n los? Warum heulste denn?“, fragt er erstaunlich sanft. Perplex hebt Manuel den Kopf und sieht ihn an. Die schiefergrauen Augen des blassen Jungen sind wieder vollkommen klar, tragen diesen so typisch verwegenen und herausfordernden Glanz und dennoch liegt in ihnen so etwas wie Sorge. Überrascht bekommt der Brünette zuerst kein Wort heraus. Dann streicht der Größere ganz sanft mit den Fingern über seine Wangen und wischt die Tränen hinfort. Eine ganze Weile verharren sie so und sehen sich einfach nur tief in die Augen. Kukui überkommt dabei ein ganz seltsames Gefühl. Sein Kopf sagt ihm, dass es völlig falsch ist und nicht sein dürfte – dieser Blick, diese Berührung-; sein Herz sagt jedoch, dass es richtig ist und er es einfach tun sollte – ihn küssen! Einfach, um die Angst zu vertreiben und um sicher zu gehen, dass der Schwarzhaarige wirklich echt ist.
 

Nur sehr schwer widersteht er diesem nahezu unbändigen und fremden Drang in sich und zieht Bromley stattdessen fest in seine Arme. Etwas überrumpelt lässt der Schwarzhaarige es geschehen und hält den Kleineren einfach nur fest an sich gedrückt. „Musst keine Angst ham, ich pass‘ auf dich auf...“, haucht er ihm nach einer Weile entgegen und drückt dann ganz kurz seine Lippen gegen Manuels Ohr; fast so, als hätte er den tiefen Wunsch seines Gegenübers eingefangen. Der Brünette zuckt leicht unter dieser Berührung zusammen, dennoch breitet sich ein wohliges Kribbeln von dieser Stelle aus, das schnell seinen ganzen Körper überflutet. Vergessen ist der unheimliche Anblick seines Begleiters; es ist nur wichtig, dass er hier ist und ihn festhält. Trotzdem traut er sich nicht, die Geste zu erwidern, hat irgendwie Angst, dass der andere es falsch verstehen könnte. Von daher löst er sich langsam wieder von ihm, wischt sich fahrig über die feuchten Wangen und schnieft verhalten. „Geht schon wieder – danke...“, murmelt er schließlich.
 

Der kräftige Junge lächelt ihn sanft an und beide blicken noch einmal auf den verwitterten Grabstein. Für einen Moment herrscht wieder Stille, dann durchbricht sie der Käfer-Trainer. „Der Ort hier erinnert mich an mein Zuhause, weißte...?“ Überrascht sieht Kukui ihn an. Bei ihrer Wanderschaft durch Mele-Mele sind sie zwar am Haus des Größeren vorbeigekommen, sind aber schnell weitergezogen. Einen Friedhof hat er dort nicht gesehen, was aber nicht bedeutet, dass dort keiner war. Bromley hat sich einfach nur sehr unwohl in der Nähe seines Elternhauses gefühlt und wollte sich dort keineswegs aufhalten, weshalb sie nur einen kurzen Abstecher auf die nahegelegenen Beerenfelder gemacht haben und dann weiter zur Prüfungsstätte gezogen sind. „Wie meinst du das?“, fragt er daher vorsichtig. Er weiß, dass Bromley nicht gern über seine Familie redet, dennoch hat er zumindest schon einmal herausbekommen, dass seine Eltern ziemlich komisch sind. Seine Mutter ist immer sehr neben sich, ähnelt ihrem Sohn auf tragische Weise etwas, scheint sie die Welt gar nicht so wahrzunehmen wie andere Leute. Sie verdrängt alles Schlechte und ignoriert damit oftmals ihren Sohn und dessen Probleme völlig.
 

Sein Vater hingegen ist unglaublich brutal und verprügelt ihn ständig aus heiterem Himmel und ohne ersichtlichen Grund. Allerdings hat der Schwarzhaarige ihm verschwiegen, dass er dies bevorzugt mit einem Golfschläger tut. Andererseits weiß er von seinem selbst auferlegten Mantra und der Stimme seines Vaters in seinem Kopf, die ihn irgendwie dazu treibt sich selbst verletzten zu wollen, wenn er versagt oder etwas Dummes gemacht hat. Das macht Manuel unheimliche Angst, weil er sich dann so hilflos fühlt und nichts tun kann. Der Schwarzhaarige ist dabei so aggressiv, dass nicht viel fehlt, dass er auch Kukui unabsichtlich verletzten könnte. Und er will sich auch beim besten Willen nicht vorstellen, was für eine schreckliche Kindheit Bromley deswegen hatte, wo er selbst doch so behütet und überschüttet mit der Liebe seiner Eltern aufgewachsen ist. „In ‘ner Nähe von mei’m Haus is‘ auch ein Friedhof. – Bin dort oft hingegang‘, um mich vor mei’m Alten zu verstecken. Es hat immer ‘was Beruhigendes auf mich gehabt. – Die Stille und Einsamkeit. Nichts, was mich verletzen konnt‘, checkste das? – All die Toten ham mir immer zugehört und mich nie beschimpft...“ Beim letzten Satz bricht dem Jungen allmählich die Stimme und er beißt sich angestrengt auf die Unterlippe, um nicht in Tränen auszubrechen.
 

„Das – das tut mir so unendlich leid...“, gibt Manuel zurück. Während sie dann schweigend weiterhin den Grabstein betrachten, hebt er ganz langsam die Hand und lässt sie zu Bromley’s wandern. Sanft verflechtet er ihre Finger miteinander und legt seinen Kopf an die Schulter des Größeren. Für diesen Moment vergisst er, dass sie noch nicht ganz zwölf Jahre alt sind und beide Jungs. Er fühlt sich ihm so verbunden, als wären sie ein Liebespaar, das verträumt den Sonnenuntergang betrachtet und nicht zwei Halbwüchsige auf einem Friedhof. Dennoch fürchtet sich ein winziger Teil seines Gehirns davor, dass der Jüngere das Ganze falsch verstehen könnte, obwohl er das Ganze nicht einmal selbst versteht. Immerhin machen Jungs so etwas für gewöhnlich nicht miteinander, Mädchen hingegen schon eher. Doch der Käfer-Trainer scheint diese Bedenken entweder nicht zu haben oder sie schlichtweg zu ignorieren. Stattdessen legt er den Kopf gegen Manuels und umfasst dessen Hand fester.
 

Fasziniert werden sie derweilen von Wuffels und Reißlaus beobachtet, die nicht ganz begreifen, was mit ihren Trainern los ist. Dennoch wirkt das Ganze auf sie sehr friedlich und so entspannen sie sich. Die junge Hündin legt sich mit einem Gähnen ins kühle Gras, während die Assel zu ihr huscht und sich an sie drückt. Ihre Fühler gleiten liebevoll über den Kopf des Welpen und streichen an ihren Ohren entlang. Der Vierbeiner erwidert die sanfte Geste, indem er dem Käfer zärtlich über die Stirn leckt. So vergehen noch einige Minuten, ehe sich die beiden Jungs voneinander trennen und sie gemeinsam den Friedhof durchqueren – schweigend, jeder seinen eigenen Gedanken nachhängend.
 


 

4
 

Die Zeit vergeht, obwohl keiner von beiden sagen kann, wie viel genau, doch dann haben sie das Labyrinth aus Hecken und Grabsteinen endlich durchquert und treten zurück in die warme Nachmittagssonne. Der Weg führt etwas abwärts, bis hinab zum Wasser. Es gibt keinen Strand, doch eine kleine Ebene auf der Klippe, die allerdings nicht allzu hoch ist. Langsam treten sie an die Kante heran und betrachten das tiefblaue Meer, wie es glitzernd und funkelnd vor ihnen liegt – so unendlich groß und weit. Verengt man die Augen zu schmalen Schlitzen, kann man ganz in der Ferne einen dunklen Streifen am Horizont erkennen, der die Küste der nächsten Insel – Ula-Ula – bildet. Doch bis sie diese erreichen, steht ihnen noch die große Prüfung der Inselkönigin bevor, die sie hoffentlich morgen antreten können.
 

Doch der Anblick des Wassers weckt jetzt erst einmal andere Gedanken und verdrängt ein wenig die mögliche Sorge wegen der Prüfung. „Yo Manu, is‘ nich‘ weit bis zum Wasser, meinste nich‘? Lass uns schwimm‘ geh’n! Wir könn‘ ‘n Wettrennen zu dem Felsen da hinten machen!“, begeistert sieht der Größere ihn an und deutet mit dem Finger über die glatte Wasseroberfläche. Gut dreihundert Meter vom Ufer entfernt, ragt ein buckliger Felsbrocken aus dem Meer, um den einige Karpador halbherzig in die Luft springen und mit ihren breiten Mäulern Algen und Moos von dessen Oberfläche zu pflücken versuchen. Mit einer Mischung aus Unsicherheit und Erwartungsfreude betrachtet Manual die Miene seines Freundes. Das Grinsen in Bromley´s Mundwinkel erscheint ihm verwegen, ja fast schon verrückt. Doch, wenn er so lächelt, lassen seine Gesichtszüge erahnen, dass er einmal ein beeindruckender Mann werden wird. Und auf seltsame Weise erwärmt diese Tatsache Kukuis Herz – nicht zum ersten Mal heute, wie er fast schon erschrocken feststellen muss. Er weiß nicht, was es ist, doch der blasse Junge neben ihm hat etwas an sich, das man einfach mögen muss und das bringt sie irgendwie viel näher zusammen.
 

Die beiden kennen sich jetzt seit beinahe einem Jahr. Sie sind wie Tag und Nacht, Sonne und Mond, untrennbar miteinander verbunden und dennoch könnten sie unterschiedlicher nicht sein. Kukui kennt dieses Grinsen daher schon ziemlich gut. Wenn Bromley so ein Gesicht macht, dann meint er es ernst. ‚Vergiss es, Käferjunge, da mache ich nicht mit! Wer weiß, was für Pokémon da unten lauern, die sich nicht nur mit Platscher zufriedengeben…‘, huscht der Gedanke durch seinen Kopf. Die Worte liegen ihm förmlich auf der Zunge, aber bevor er sie aussprechen kann, platscht es schon lautstark vor ihm und die Fontäne, mit der der Schwarzhaarige ins Wasser eintaucht, trifft ihn mit voller Breitseite. Völlig durchnässt blickt der Brünette ihm und Sweetheart nach. „Nun komm schon, Mann!“, grölt der Größere aufgedreht und winkt ihm zu, während die große Assel fröhlich um ihn herumschwimmt. Wo er nun schon mal nass ist, kann er ja doch schwimmen gehen. Ist immerhin ganz schön heiß in der Sonne und der muffige Geruch und der Staub des Digda-Tunnels kleben noch immer an seinem Körper. Also zieht sich Manuel seine Sachen aus und folgt dem anderen Jungen ins Wasser. „Hey, warte auf mich!“, ruft er ihm nach und sogleich beginnt das Wettschwimmen.
 

Kläffend steht Wuffels am Ufer und tapst unsicher herum. Als Gesteins-Pokémon hat sie eine natürliche Abneigung gegen Wasser, die sie auch jetzt nicht ablegen kann, wo ihr Trainer sich immer weiter von ihr entfernt. Immerhin würde ihr das Wasser großen Schaden zufügen und sie sehr schwächen. Bellend versucht sie die beiden Jungs über das Ufer einzuholen, doch der Weg reicht nicht sonderlich weit am Wasser entlang, weshalb Wuffels schließlich auf einem Vorsprung stehenbleibt und lautstark ihren Unmut auf das Meer hinaus bellt.
 

Die Jungs hingegen amüsieren sich prächtig. Angestrengt versuchen sie den anderen hinter sich zu lassen, um als Erster bei dem Felsen anzukommen. Allerdings stellen sie bald fest, dass sie gleich schnell sind, was ihrem Spaß aber keinen Abbruch tut. Am Ende gewinnt aber Sweetheart, was irgendwie schon zu erwarten war. Fröhlich fiepend umrundet sie den Felsbrocken ein paar Mal und krabbelt dann hinauf. Schwanzwedelnd tippelt sie über das kleine Stück Gestein und animiert die zwei Jungs zum schneller Schwimmen. Der Anblick des Käfers ist einfach zum Schießen und so berühren die beiden Trainer gleichzeitig den Felsen und können sich das Lachen gar nicht verkneifen. Zwar sind sie sich nicht sicher, ob Reißlaus verstanden hat, dass das ein Wettschwimmen war, aber sie scheint sich zumindest sehr zu freuen.
 

Nach ein paar Momenten springt sie wieder ins Wasser und zu dritt jagen sie sich um den Felsen, wobei es ihnen natürlich nicht gelingt die Assel zu fassen zu bekommen. Aber der Spaß steht ja sowieso an oberster Stelle, da ist das völlig egal. Dennoch haben nicht alle spaß. In diesem Augenblick dringt ein trauriges Jaulen über das Meer zu ihnen. Fast schon erschrocken blickt sich Kukui zum Küstenstreifen um. Wuffels hockt traurig auf der Klippe, hat den Kopf in den Nacken gelegt und heult ihr Missfallen lautstark heraus. In dem Brünetten keimen Schuldgefühle auf, ist der kleine Hund doch nicht in der Lage sich mit ihnen zu amüsieren. „Ich denke, wir sollten wieder zurück. Sieh dir an, wie traurig Wuffels ohne uns ist...“ Bromley wirft einen Blick hinüber und dann zu seinem Käfer-Pokémon, das noch immer fröhlich neben ihm durchs Wasser huscht. „Yo. Sorry, Mann. Hab‘ ich ganz vergessen...“, gesteht er.
 

„Ist ja nicht schlimm. Außerdem bekomme ich allmählich ganz schön Hunger.“, erwidert der Brillenträger. „Das kannste aber laut sagen.“, pflichtet ihm der Schwarzhaarige bei und gemeinsam schwimmen sie wieder zurück an die Küste. Dort angekommen, sammeln sie ihre Sachen zusammen und folgen noch ein Stück dem Weg in Richtung der Ruinen. Ganz in der Ferne kann man sie schon sehen. Zwei große Steinsäulen markieren den heiligen Boden davor. Dahinter befindet sich eine geschützte Grasfläche, die an einer Höhle im Berg endet. Tief darin verborgen liegt ein heiliger Schrein, an dem die Leute dem Kapu huldigen. Allerdings wird es ihnen heute nicht mehr gelingen dort hinzukommen, sodass sie beschließen die Nacht auf dem Küstenstreifen zu verbringen. Also schlagen sie ihr Zelt an einer geschützten Stelle auf.
 

Als alles fertig ist und sie um ein Lagerfeuer ihre Mahlzeit zu sich nehmen, senkt sich die Sonne langsam herab. Ihre orangerote Farbe lässt das Meer förmlich brennen, als würde es aus heißer Lava bestehen. Ein sagenhafter Anblick. Nicht lange später fallen die vier vollkommen erschöpft in ihre Schlafsäcke und finden schnell den Weg ins Traumland.
 


 

5
 

Tief im Schlaf gefangen, bemerken die vier nicht, dass sich dunkle Schatten ihrem Zelt nähern. Im Schein des Mondes lassen sich gut ein Dutzend schwarzgefärbte, rattenartige Pokémon erkennen, die sich neugierig dem Zelt nähern. Ihre roten Augen huschen herum und suchen nach etwas Fressbarem oder etwas, das sie einfach anknabbern können. Das Zelt missfällt ihnen zudem, steht es doch ganz unerlaubterweise in ihrem Revier. Wer sich auch immer darin befindet, hat hier auf keinen Fall etwas zu suchen. Die Nisthöhlen der Rattfratz sind viel zu nah bei diesen Fremden und somit ihre Jungen in Gefahr. Unmöglich also, dass die kleinen Nager sich das gefallen lassen. Geschwind huschen sie um das Zelt herum und schnüffeln, versuchen den möglichen Gegner einzuschätzen, um den richtigen Überraschungsangriff vorzubereiten. Als Gemeinschaft sind sie ziemlich gut organisiert und passen stets aufeinander auf, was ihnen ihren Feinden gegenüber einen Vorteil verschafft.
 

Im vermeintlichen Schutz des Zeltes zucken Reißlaus‘ Fühler plötzlich in die Höhe. Das nervöse Pokémon hat von Natur aus einen nur sehr leichten Schlaf und ist allzeit zur Flucht bereit. Aufgebracht windet sie sich aus Bromley’s Armen und läuft unentschlossen am Einstieg des Zeltes entlang. Dadurch wird auch Wuffels wach. Mit gespitzten Ohren blickt sie zu dem Käfer hinüber und hört dann die leisen Schritte anderer Pokémon draußen. Ihre Nase zuckt, als sie den strengen Geruch der Ratten wahrnimmt. Ungeachtet der Tatsache, dass Manuel sie im Arm hält, springt die Hündin schlagartig auf und beginnt zu knurren. Draußen verstummen die Schritte für einen Moment überrascht, dann setzen sie wieder ein und Schatten huschen dicht an der Zeltplane entlang. Wuffels‘ Knurren wird lauter und schließlich beginnt sie zu bellen.
 

Dadurch werden die beiden Trainer aus dem Schlaf gerissen. „Was hast du?“, fragt Manuel den Welpen, dann sieht auch er die huschenden Schatten im Mondlicht. „Du liebe Güte, Bromley! Da draußen sind wilde Pokémon!“, teilt er seinem Partner erschrocken mit, der sich beim Erklingen des Bellens einfach sein Kissen über den Kopf gezogen hat. „Na und? Wir sind ja auch im Freien, da is‘ das doch normal...“, nuschelt er in den Stoff hinein und rollt sich wieder zusammen, versucht den Lärm vehement zu ignorieren. In diesem Moment gibt es ein seltsames Geräusch und die Spannung, die das Zelt aufrecht hält, nimmt sichtbar ab. „Das ist mir auch klar, aber sie fressen unser Zelt an!“, kontert Kukui und windet sich aus seinem Schlafsack, um zum Eingang zu kommen. Reißlaus und Wuffels huschen aufgeregt davor herum. „Was tun‘se?“, fragt der Schwarzhaarige verschlafen und nimmt das Kissen vom Gesicht.
 

Wieder das seltsame Geräusch, das eindeutig ein reißendes Ankerseil war. „Sie fressen das Zelt an! Ich fürchte, das sind Rattfratz...“, meint der Brillenträger erschrocken und verlässt mit den beiden Pokémon eilig den Schlafplatz. Etwas perplex versucht der Größere zu begreifen, was sein Begleiter ihm sagen will. Dann reißt eine dritte Verankerung und das Zelt sinkt komplett in sich zusammen. „Verfluchte Scheiße!“, entkommt es dem Käfer-Trainer ungehalten und er kämpft sich aus der Plane heraus. Kaum steht er in der kühlen Nachtluft, sieht er sie. Mindestens ein Dutzend dieser lästigen Nager, die das Zelt nun vollends zum Einsturz bringen. „Himmel...“, entkommt es dem Brünetten überfordert, während sich Wuffels den Rattfratz entgegenstellt. Bellend versucht sie die Biester zu verjagen. Diese lassen sich aber nicht vertreiben und gehen nun auf die Hündin los. Mit gebleckten Nagezähnen schnappen einige nach ihr, während andere Tackle und Ruckzuckhieb benutzen, um sie niederzustrecken.
 

„Wuffels, versuch sie mit Feuerzahn auf Abstand zu halten!“, befiehlt ihr der Brünette. Helle Flammen zucken in der Dunkelheit auf, doch wirklich gelingt es dem Welpen nicht, eine der flinken Ratten damit zu treffen. Es sind einfach zu viele und zu schnell. Sie beißen und stoßen den Vierbeiner von allen Seiten, sodass er sich gar nicht auf ein Ziel konzentrieren kann. Bromley gelingt es inzwischen seinen verschreckten Käfer zum Kampf zu überreden. Es werden immer mehr Rattfratz, die immer vehementer versuchen die Eindringlinge zu vertreiben, sodass nun beide Pokémon und Trainer von ihnen umzingelt und angegriffen werden. Mit ihren langen Nagezähnen beißen sie immer wieder zu, ignorieren dabei vollkommen, dass ihre Gegenüber sowohl Pokémon, als auch Menschen sind. „Die Biester ham doch den Unlicht-Typ, nich‘ wa‘?“, hakt der Schwarzhaarige nach, während er die Ratten auf Abstand zu halten versucht.
 

„Äh ja, zumindest zur Hälfte...“, erwidert Manuel, während ihm eins der Rattfratz ein Loch in die Hose reißt.“ „Das reicht!“ Es gelingt ihm, Reißlaus von den Ratten zu befreien und nun kann sich Kukui auch vorstellen, wieso er nach dem Unlicht-Typ gefragt hat, da dieser äußerst empfindlich auf Käfer-Attacken reagiert. „Sweetheart, Käfertrutz!“, befiehlt er der Assel, die sich augenblicklich in ihrer neu gewonnenen Freiheit aufbäumt und zu feuern beginnt. Die grünen Funken jagen über das taufeuchte Gras und treffen einige der schwarzen Nager. Erschrocken weichen diese zurück. Die Assel wiederholt den Angriff immer wieder und auch Wuffels gelingt es nun einige der Biester mit ihren Flammenzähnen zu erwischen. Nach einer gefühlten Ewigkeit ziehen sich die Nager endlich schimpfend zurück.
 

„So’ne krasse Scheiße...“, keucht der Schwarzhaarige und sinkt auf die Knie. Ebenso ergeht es Kukui. Wuffels kommt zu ihrem Trainer hinübergehumpelt, ist es doch einem der Rattfratz gelungen ihr zum Abschied noch einmal kräftig ins Bein zu beißen. Schwer atmend lässt sie sich in seinen Schoß fallen. „Armes Mädchen, aber das hast du sehr gut gemacht!“, versichert er dem Welpen und besieht sich ihre Verletzungen. Auch Sweetheart ist sehr mitgenommen, von zahlreichen Bissen gezeichnet und flüchtet sich zu ihrem Trainer. Dieser nimmt das Pokémon auf den Schoß, spendet ihm Trost und blickt voller Wut in die Dunkelheit hinein, in der die Rattfratz verschwunden sind. Wehmütig betrachten die beiden ihr Zelt, von dem so gut wie nichts mehr übriggeblieben ist. „Wir – wir sollten uns einen anderen Schlafplatz suchen...“, wirft Manuel nach einer Weile ein. „Sieht wohl so aus...“, entgegnet Bromley angesäuert.
 

Schwerfällig erheben sich die Jungs und sammeln ihr Sachen zusammen. Sie sind noch nicht ganz damit fertig, da schlagen ihre erschöpften Pokémon erneut Alarm. Gebannt starren sie alle in diese Richtung und warten auf die wahrscheinliche Rückkehr der Rattfratz. Diese bleibt jedoch aus; was dort aber ins Mondlicht tritt, ist um ein Vielfaches schlimmer, als die kleinen Nager. Ihre ausweglose Situation müssen die kleinen Ratten an ihren Anführer weitergetragen haben, denn nun steht ein breitgebautes Rattikarl vor den jungen Trainern und mustert sie finster über seine Pausbacken hinweg. Die gewaltigen Nagezähne der übergroßen Ratte glänzen bedrohlich im Mondschein und die roten Augen fixieren die kleine Truppe voller Wut.
 

„Um Himmels willen...“, stockt Kukui beinahe der Atem. Bromley hätte es zwar nicht so sittsam ausgedrückt, doch auch ihm schnürt sich beim Anblick dieses Wesens die Kehle zu. Rattfratz und Rattikarl sind in Alola und so gut wie allen anderen Weltregionen sehr verbreitet und werden zumeist als erhebliche Schädlinge gefürchtet und bekämpft, da sie alles auffressen und anknabbern, was ihnen vor die Kiefer kommt. Nicht selten vernichten sie ganze Ernten und wo sie sich einmal niedergelassen haben, kann man sie nur sehr schwer wieder vertreiben. Entgegen zu anderen Regionen sind sie in Alola aber ausschließlich nachtaktiv, was sie aber nicht weniger gefährlich und gefräßig macht. Zudem sind sie sehr wehrhaft und nahezu furchtlos, insbesondere die Rattikarl, die ihre Familie vehement verteidigen, wenn man ihr zu nah kommt.
 

Geschwächt oder nicht, aber Wuffels und Reißlaus stellen sich diesem Nager dennoch entgegen. Ihre wirkungsvollsten Angriffe treffen auch, doch die große Ratte zeigt sich davon weit weniger beeindruckt, als seine kleinen Verwandten. Das Rattikarl muss um ein vielfaches stärker sein, als sie, was das Ganze deutlich erschwert. Schließlich setzt der Nager zum Gegenangriff an. Seine gewaltigen Zähne leuchten hell auf und treffen die kleine Hündin mit unglaublicher Kraft. Schwer getroffen geht sie zu Boden. Reißlaus gelingt es noch, einen Treffer zu landen und einen Moment auszuweichen, doch dann wird sie ebenfalls von dem Hyperzahn in die Knie gezwungen. Fassungslos starren die beiden Jungs auf ihre reglosen Pokémon; begreifen sie doch noch nicht so ganz, was dort eben passiert ist. Allerdings wird Rattikarl ihnen das schon zeigen. Mit glühenden Zähnen geht die Ratte ein weiteres Mal auf die am Boden liegenden Pokémon los, um sie endgültig zu vernichten. Sie sind vollkommen wehrlos, doch das interessiert den Nager kein bisschen. Er will sie nur loswerden, koste es, was es wolle!
 

Dieser erschütternde Anblick legt einen Schalter in Manuels Kopf um. Unter normalen Umständen würde er niemals seine Hand gegen ein Pokémon erheben oder sich in einem Kampf einmischen, ganz egal, was auch passiert, doch so eine Ungerechtigkeit kann er einfach nicht mit ansehen. Ganz hinten in seinem Kopf begreift er dabei auch, wie Bromley so wütend bei ihrem ersten Kampf in Lili’i auf Wuffels losgehen wollte, als Reißlaus schwer getroffen war. Doch der Gedanke setzt sich nicht fest, sodass er ihn immer noch für falsch hält, obwohl er gerade in Begriff ist, etwas ganz Ähnliches zu tun. Ehe die gebleckten Zähne der Ratte eines der Pokémon treffen können, wirft sich Kukui mit all seiner Kraft gegen den massigen Leib des Gegners und schupst ihn zur Seite. Getroffen rutscht das Rattikarl ein Stück über das feuchte Gras, fängt sich aber schnell wieder. Erneut setzt es zum Angriff an.
 

Schützend beugt sich Manuel über Wuffels und Reißlaus. Dem Nager ist aber auch diesmal vollkommen egal, wer sich ihm in den Weg stellt und so hält er mit glühenden Zähnen auf den schmächtigen Jungen aus, um ihm ein für alle Mal zu zeigen, wer hier das Sagen hat. Manuel kauert sich kleiner zusammen und presst in Anbetracht des bevorstehenden Schmerzes die Augen zu. Gedanklich kann er schon die messerscharfen Zähne spüren, die seinen schutzlosen Körper zerbrechen werden, wie einen morschen Ast. Er holt Luft, um seinen Schmerz in die Welt hinausschreien zu können, doch anstatt seiner eigenen gepeinigten Stimme, erklingt die eines anderen. Erschrocken sieht der Brünette auf. Frisches Blut tropft direkt vor seinen Augen ins dunkle Gras. Mit Schrecken stellt er fest, dass es von Bromley stammt.
 

Dieser hat sich im letzten Moment zwischen die drei am Boden Liegenden und die Ratte geschoben. Zur Abwehr hat er instinktiv seinen Unterarm hochgerissen, der nun tief im Maul des Nagers eingeklemmt ist. Purem Glück hat er es wohl zu verdanken, dass der Hyperzahn ihn nicht ganz getroffen hat, sonst wäre sein Arm jetzt gebrochen oder gar Schlimmeres. So aber klemmt er eher zwischen den weniger gefährlichen Backenzähnen der Ratte. Dennoch sind sie scharf genug, um dem Jungen eine böse Wunde zuzufügen, die ziemlich heftig blutet. Allerdings scheint dies in diesem Moment weder den Nager noch den Schwarzhaarigen zu kümmern. Wütend blicken sich die zwei an. Von beiden ist ein tiefes Knurren zu hören und keiner von ihnen will nachgeben.
 

„Du dreckige Ratte, ich werd‘ dich lehr‘n meinen Freunden wehzutun! Du willst was Fressen? Dann friss das hier!“, entkommt es dem zu großgeratenen Jungen aufgebracht. Das Rattikarl lässt ein wütendes Knurren hören und verbeißt sich immer fester im Arm des Jungen. Doch Bromley fängt plötzlich an zu grinsen. Wie von Sinnen wirkt er nun. Seine Augen funkeln bedrohlich und er bleckt die Zähne. Sein ganzer Anblick wirkt auf Kukui vollkommen wahnsinnig, als würde er jeden Moment Amok laufen. Stattdessen ballt der Schwarzhaarige seine Faust und schlägt sie mit aller Kraft auf die breite, aber überaus empfindliche Nase der Ratte. Diese zuckt schmerzlich zusammen, löst sich aber noch nicht von ihm. Ihr steht die Überraschung und das Nichtbegreifen aber deutlich ins Gesicht geschrieben, hat sie wohl noch nie erlebt, dass sich ihr ein Mensch in den Weg stellt und dann auch noch so eine halbe Portion.
 

Ein zweiter und ein dritter Schlag treffen die Nase des Nagers immer härter. Blut spritzt darauf hervor und schließlich gibt das Rattikarl ihn frei. Getroffen sinkt es auf die Füße zurück, blickt den blassen Jungen vor sich trotzig an. Dieser lässt ein dunkles Knurren hören und ballt diesmal beide Fäuste. „Hau ab, du Mistvieh!“, brüllt er dem Nager entgegen und holt wieder aus. Erschrocken reißt das Pokémon die Augen auf und ehe der nächste Schlag es treffen kann, dreht es sich herum und ergreift schimpfend die Flucht! „Ja, verschwinde und lass dich nie mehr blicken!“, brüllt Bromley ihm nach. Fassungslos starrt Manuel dem Pokémon hinterher, in seinem Arm liegen Wuffels und Reißlaus noch immer völlig fertig.
 

Mit einem grotesken Grinsen, das irgendwo zwischen Triumph und unbändiger Wut und Wahnsinn liegt, dreht sich der große Junge zu ihm herum. Er atmet schwer, lässt es sich jedoch nicht anmerken. „Machen wa‘, das wa‘ hier wegkomm‘! Nich‘, dass die alle wiederkomm‘!“, ermahnt ihn der Jüngere und greift nach seinen Sachen. Perplex beobachtet der Brillenträger ihn einen Moment dabei, dann rafft er sich auf. „Das geht nicht! Du bist schwer verletzt, Bromley! Wir müssen unbedingt die Blutung stoppen!“, teilt er ihm verzweifelt mit. Der Angesprochene hebt seinen verletzten Arm und betrachtet ihn vollkommen ausdruckslos. Er blutet noch immer sehr stark und ist in der Zwischenzeit schon fast auf den doppelten Umfang angeschwollen. Manuel will sich gar nicht vorstellen, was sein Freund für Schmerzen haben muss.
 

Dennoch zuckt Bromley nur die Schultern und lässt den Arm wieder sinken, als wäre da nur ein Mückenstich und keine tiefe Fleischwunde, die genäht werden müsste. „Halb so wild...“, entgegnet er ihm lässig und greift nach seinem Rucksack. Halb so wild? Ehrlich? Der Brünette ist fassungslos. Ihm klappt der Mund auf und dennoch weiß er nicht, was er darauf antworten soll. Der Größere hat inzwischen ihre ganzen Sachen zusammengetragen und ist nun dabei den Weg zurück zum Friedhof einzuschlagen, während er unaufhörlich eine breite Spur aus Blut hinter sich herzieht, als würde er einen Eimer Farbe tragen, der ein großes Loch hat. „Kommste jetz‘, oder willste da immer noch hocken, wenn die Biester wiederkomm‘?“, ruft er ihm über die Schulter hinweg zu.
 

Kraftlos steht Kukui mit den beiden Pokémon im Arm auf und rennt hinter ihm her. „Nun warte doch, Bromley! Das geht so nicht!“, versucht er ihm aufgelöst klarzumachen, doch der andere reagiert gar nicht darauf, läuft einfach unbeirrt weiter. ‚Vermutlich steht er unter Schock oder so was und realisiert gar nicht, wie schwer er verletzt ist...‘, kommt dem Brünetten schließlich der Gedanke. Er kann das Ganze kaum mit ansehen. Nach einem Augenblick muss er allerdings feststellen, dass der Schwarzhaarige immer langsamer wird, immer schwerfälliger. Schließlich lässt er die ganzen Sachen fallen und sinkt auf die Knie. „Bromley!“ Manuel legt die beiden Pokémon ab, die allmählich wieder zu sich kommen und eilt zu seinem Freund.
 

Als er ihm ins Gesicht blickt, stellt er fest, dass er noch weit blasser ist, als er es unter normalen Umständen schon ist. Seine Augen sind ganz matt und ausdruckslos, er atmet schwer, ist ganz apathisch. „Um Himmels willen...!“ Hektisch versucht der Ältere Verbandszeug aus seinem Rucksack zu kramen, als sein Gegenüber bedenklich zu schwanken beginnt. Plötzlich fällt ein Lichtstrahl auf die beiden Jungs. „Was ist denn hier los?“ Kukui wendet sich zu der Stimme um und stellt voller Erleichterung fest, dass es der Polizist ist, der Kaffee auf den Stufen der Wache getrunken und ihnen gesagt hat, wie sie am besten zu den Ruinen kommen. „Wir brauchen dringend Hilfe!“, teilt Manuel ihm mit und bricht schließlich in Tränen aus und Bromley endgültig zusammen.
 

Der Polizist eilt zu ihnen hinüber und besieht sich den nun mehr bewusstlosen Jungen. „Du meine Güte, das sieht wirklich böse aus...“, kommentiert er den Anblick des verletzten Armes und macht sich sogleich daran die Wunde zu versorgen. „Wir – wir wurden von – Rattfratz und Rattikarl angegriffen...“, berichtet der Brünette unter Tränen. „Er hat mich und unsere Pokémon vor ihnen beschützt. – Das Rattikarl hätte ihm fast den Arm abgebissen...“ „Oh Mann, ich hätte euch warnen sollen. Sie nisten hier ganz in der Nähe der Ruinen. Aber ich dachte, ihr schafft es noch dahin. – Tut mir wirklich leid. Aber dein Freund wird ganz sicher wieder. Er scheint mir ein ganz schön zäher Bursche zu sein. Ich verbinde das und dann bringen wir ihn zur Wache. Von da kann ich einen Arzt rufen. – Was für ein Glück, dass ich bei meinem Rundgang heute etwas getrödelt habe, sonst hätte euch niemand gefunden, Jungs...“
 

Wenig später trägt der Polizist Bromley zurück zur Wache und Manuel folgt ihm mit hängenden Schultern und den Pokémon auf den Armen. Er macht sich schwere Vorwürfe, dass er es nicht geschafft hat, den Schwarzhaarigen energischer davon zu überzeugen, sich von ihm helfen zu lassen und er macht sich auch Vorwürfe, dass er so dumm war und sich selbst in Gefahr gebracht hat. Hätte er das Rattikarl nicht angegriffen und so seinen Zorn auf sich gezogen, hätte Bromley nicht dazwischen gehen und ihn beschützen müssen. Doch was passiert ist, ist nun mal passiert und sie müssen nun damit leben. Er kann nur hoffen und beten, das es seinem Freund bald wieder besser geht...

Scream, if you can!


 

1
 

Manuels Gebete haben tatsächlich Gehör gefunden und Bromley ist wieder auf den Beinen. Das Ganze war jedoch wirklich ziemlich kritisch. Die Wunde musste mit mehr als einem Dutzend Stichen genäht werden und der Arzt sah sich auch noch gezwungen dem Jungen Blut zuzuführen, da er durch sein unnachgiebiges Verhalten so viel verloren hatte. Doch zum Glück hat er das alles gut überstanden und sich erstaunlich schnell wieder erholt. Der Arzt wollte ihn eigentlich mindestens eine Woche, wenn nicht sogar zwei im Krankenhaus behalten, aber das hat der Schwarzhaarige einfach nicht ausgehalten. In der vierten Nacht ist er daher mit Kukui Hals über Kopf aus der Obhut der Mediziner geflüchtet. Der Ältere hatte zwar heftige Einwände dagegen, doch letztendlich nicht das Durchsetzungsvermögen, um Bromley an seiner waghalsigen Flucht zu hindern.
 

So gelang es den beiden die große Prüfung gegen die Inselkönigin doch noch anzutreten, wenn auch mit ein paar Tagen Verspätung. Wie die zwei ja schon vorher wussten, traten ihnen in diesem Kampf Gesteins-Pokémon gegenüber und sie hatten sich einen gewissen Vorteil ausgemalt, da sie sich mit diesem Typen ja auskennen. Doch es kam natürlich ganz anders als erwartet und die Übermacht ihres Gegners wurde ihnen ziemlich schnell und schmerzhaft bewusst. Aber aufgeben stand für die jungen Trainer natürlich nicht auf dem Plan, erst recht nicht nach dem hinterhältigen, nächtlichen Angriff der Rattenbande.
 

Alles schien verloren, als die Inselkönigin ihr letztes Pokémon in den Ring schickte. Hierbei handelte es sich um ein Wolwerock in seiner Nachtform. Der auf zwei Beinen stehende, rotfellige Wolf stellt eine mögliche Entwicklung von Wuffels dar, was den Kampf zu einer Art Rudelauseinandersetzung gemacht hat. Die kleine Hündin sah es partu auch nicht ein, sich von ihrem griesgrämigen Artgenossen dominieren zu lassen und so kämpfte sie umso härter, um sich behaupten zu können. Dennoch schien sie keine Chance gegen den finsteren Alpharüden zu haben.
 

Doch dann geschah etwas völlig Unvorhergesehenes. Mit einem letzten Aufbäumen erreichte Wuffels an diesem spektakulären Morgen den Punkt, an dem sie sich bereit für ihre Entwicklung fühlte! Unter den vollkommen überraschten Blicken aller Beteiligten hüllte sich der quirlige Welpe in ein mystisch helles Licht. Als es sich abschwächte, kam ein stattliches Wolwerock zum Vorschein, doch entgegen des Rüden auf dem Kampffeld, handelte es sich hierbei um die Tagform. Die neuentstandene Fähe sah es noch viel weniger ein, sich von dem roten Wolf vorführen zu lassen und so zeigte sie ihm mehr als nachdrücklich, dass auch sie ein echtes Alphatier ist. Der Kampf war demnach entschieden, die große Prüfung bestanden. Die Jungs haben sich somit den Z-Kristall vom Typ Gestein gesichert und einen weiteren Stempel in ihrem Trainerpass, der es ihnen nun erlaubt hat nach Ula-Ula zu reisen.
 

Diese große Insel wird von einem gewaltigen Berg dominiert, auf dem letztendlich das Ende der Inselwanderschaft ausgetragen wird. Ansonsten ist die Insel trotz ihrer Größe eher dünn besiedelt und sehr von der Natur eingenommen, die an vielen Teilen noch erschlossen werden muss. So wird gerade an einer Sternwarte gebaut, die hoch auf einem anderen Berg liegt und in deren Nähe die beiden ihre erste kleine Prüfung um den Z-Kristall vom Typ Stahl gemacht haben. In der größten Stadt – Malihe-City – wird derzeit an einem riesigen Garten gearbeitet, der den Leuten zur Entspannung dienen und die Touristen auf die Insel locken soll. Zudem gibt es auf Ula-Ula eine fast schon menschenfeindliche Wüste mit überaus aggressiven Pokémon, die in dem stätigen Sandsturm verborgen überall lauern. Und einen flachen, aber sehr weitläufigen Berg aus rötlichem Gestein, das darauf schließen lässt, dass hier einst ebenfalls ein Vulkan gestanden haben muss, wie der Wela-Vulkan auf Akala. Die Spuren dessen sind heute noch spürbar, verbreitet das Gestein doch noch immer eine ziemliche Wärme, die den Bewohnern der Insel als Energiequelle dient und weshalb dieses Gebiet von ihnen daher als Glühberg bezeichnet wird.
 


 

2
 

Drei Monate sind Bromley und Manuel nun auf Ula-Ula unterwegs – von der traumatischen Begegnung mit dem Rattikarl sind nur Narben geblieben, die den Schwarzhaarigen für den Rest seines Lebens daran erinnern werden – und inzwischen haben sie auch ihren zwölften Geburtstag hinter sich gebracht, was bedeutet, dass sie nun schon seit über einem Jahr auf ihrer Wanderschaft sind und trotzdem noch lässt nicht am Ziel ihrer Reise. Dennoch werden sie damit augenblicklich konfrontiert, als sie das Dorf der Kapu betreten und von dort direkt auf den mächtigen Mount Lanakila blicken können, auf dessen Gipfel der alles entscheidende Kampf um den Titel des Inselwanderschafts-Champs stattfinden wird. Mit einer unsagbaren Ehrfurcht betrachtet die kleine Truppe den riesigen Berg, dessen Spitze hoch in den Wolken liegt und dessen Hänge dick mit Schnee bedeckt sind. Eis und Schnee sind im tropischen Paradies Alola vollkommen unwirklich und man findet sie auch nur auf dem Mount Lanakila. Doch, um ihm betreten zu dürfen, muss man schon ein herausragender Trainer sein oder eben auf Inselwanderschaft.
 

„Was’n krasser Scheiß...“, entkommt es Bromley beim Anblick des gewaltigen Berges. Manuel ist normalerweise kein Freund von der unflätigen Ausdrucksweise seines Kollegen, aber in diesem Moment hätte er es selbst wohl kaum treffender formulieren können. „Das kannst du aber laut sagen...“, meint er daher nur und schluckt schwer. Hier unten am Fuß des Berges spürt man die vernichtende Kälte nicht, die sich nur wenige Höhenmeter weiter oben gnadenlos ausbreitet, dennoch läuft es Kukui eiskalt den Rücken hinunter und er ist heilfroh, dass sie dort noch nicht hinaufsteigen müssen. Trotzdem fällt es den Jungs schwer, den Blick wieder abzuwenden, was auch daran liegen könnte, dass das Dorf der Kapu ziemlich übersichtlich ist.
 

Wie der Name schon vermuten lässt, hat dieser Ort eine besondere Bedeutung für die Menschen hier, glauben sie doch, dass die Schutzpatrone vor ewigen Zeiten genau an dieser Stelle von dem gewaltigen Berg herabgestiegen sind und sich dann auf die vier neuentstandenen Inseln Alolas verteilt haben, um es den Menschen und Pokémon zu ermöglichen, friedlich miteinander zu leben und gegenseitig voneinander zu profitieren. Daher haben die Leute es für besser gehalten, diesen Ort so ursprünglich wie möglich zu halten. Außer einem Pokémon-Center gibt es heute nicht mehr viel hier, was den Zorn der Kapu nicht auf sich zieht.
 

Allerdings war das einmal anders, was Ruinen und Reste von Bauwerken beweisen, die hier einst errichtet wurden, um Menschen anzusiedeln. Zwar wird den Kapu auf jeder Insel an einem besonderen Platz gehuldigt, dennoch fühlen sie sich hier besonders verbunden und wollten es um jeden Preis vermeiden, dass die Moderne und der maßlose Konsum Einzug an diesem Ort halten. Um den Bewohnern dies klarzumachen, haben sie sämtliche Gebäude einfach niedergerissen oder unbewohnbar gemacht. Einzig das Pokémon-Center blieb unversehrt. Wohnen tut hier im Dorf selbst niemand, stattdessen siedelten sich die Menschen auf den nahegelegenen Routen an oder gingen bevorzugt nach Malihe-City.
 

Der größte Zorn der Schutzpatrone traf jedoch ein Shopping-Center, das ganz in der Nähe des Dorfes errichtet und sehr rege von den Leuten besucht wurde, gab es doch hier unglaublich günstige Preise. Die Kapu haben diesen Materialismus nicht lange ertragen und so musste der Laden schon bald darauf schließen, da er immer wieder von den mächtigen Wächtern angegriffen und so die Kunden vertrieben wurden. Er steht noch immer, doch heute wird er ausschließlich von beängstigenden Geister-Pokémon bewohnt, die jedem übel mitspielen, der sich hierher verirrt. Diese Tatsache macht sich allerdings der zweite Captain von Ula-Ula zu Nutze und hält seine Prüfung genau in diesem verlassenen Laden ab! Vielleicht gerade, um den jungen Trainern auf ihrer Inselwanderschaft klarzumachen, dass der Anblick des mächtigen Mount Lanakila nicht der einzige Schrecken ist, der ihnen auf ihrem weiteren Weg noch bevorsteht? Sondern, dass die Kapu stets ein Auge über sie alle haben und jederzeit über sie richten, wenn ihnen etwas gegen den Strich geht. Der Mensch mag zwar über einen freien Willen verfügen und viele Pokémon domestiziert haben, doch entscheiden darf er nicht nach seinem Belieben, schon gar nicht, wenn er dabei die Natur rücksichtslos zerstört und so Lebensraum vernichtet!
 

Schon beim bloßen Gedanken daran wird einem mehr als mulmig und die Berichte und wilden Geschichten, die Bromley und Manuel im Pokémon-Center über den Zorn der Kapu und die schaurigen Geister-Pokémon, die nun den Laden bewohnen, erzählt bekommen haben, machen es nicht gerade leichter für sie. Dennoch müssen sie sich dieser Prüfung stellen, ob sie es wollen oder nicht.
 


 

3
 

Tief durchatmend stehen die jungen Trainer mit ihren Pokémon an der Grenze zur Route vierzehn, die sie direkt zum verlassenen Laden führen wird. Allein schon dieser Weg hat etwas Unheimliches an sich, besteht der Untergrund hier doch aus tiefschwarzem Sand. Eine inzwischen völlig zerstörte Asphaltstraße verlief vor langer Zeit parallel zu diesem düsteren Küstenweg und ermöglichte es den Leuten auch bei starkem Wellengang einkaufen zu gehen. Jetzt jedoch liegt sie in Trümmern dar und wird langsam von der Natur zurückerobert, sodass jeder, der zum verlassenen Laden will, gezwungen ist den schwarzen Weg entlang der flachen Küstenlinie zu nehmen. Heute scheint das Meer aber ziemlich ruhig zu sein, weshalb das klare, blaue Wasser nur seicht gegen das Ufer schlägt und sein Rauschen etwas Beruhigendes an sich hat. Die Küstenlinie ist hier so flach, dass man sich locker in den Sand setzen und seine Füße ins kühle Nass hängen kann.
 

Danach ist den beiden aber im Moment so gar nicht. Sie haben auch nicht wirklich die Zeit dazu, denn der Captain hat ihnen mitgeteilt, dass sie den Laden unbedingt zum Einbruch der Nacht erreichen müssen, wenn sie die Prüfung machen wollen. Der Brillenträger hat bei dieser Aussage eine ganz schlechte Vorahnung, was sie dort erwarten wird. Doch er braucht sie nicht auszusprechen, kann er seinem Mitstreiter doch genau ansehen, dass er etwas ganz Ähnliches denkt. Noch einmal sehen sie sich prüfend ins Gesicht und mustern ihre Pokémon. Reißlaus wirkt nervös wie schon lange nicht mehr, was auch überhaupt kein Wunder ist, wie Bromley findet. Wolwerock wirkt ebenfalls unsicher und blickt immer wieder fragend zu ihrem Trainer auf. Noch immer fällt es Kukui schwer, die große Fähe anzusehen und nicht daran zu denken, dass sie vor wenigen Monaten noch ein verspielter und aufgedrehter Welpe war, dem das Stillsitzen schwerfiel. Doch es fällt ihm auch schwer, sich vorzustellen, dass er schon seit über einem Jahr nicht mehr bei seinen Eltern war, was er aus unerfindlichen Gründen aber irgendwie leichter verkraften kann, als die überraschende Entwicklung seiner kleinen Wegbegleiterin.
 

Nun ist das sandfarbene Pokémon viel ruhiger, aufmerksamer, aber auch anhänglicher geworden. Sie weicht keinen Schritt von Manuels Seite, wenn dieser es ihr nicht ausdrücklich befiehlt. Stets hat sie ihre Umgebung genau im Auge und ist allzeit für einen Angriff bereit. Sie ist erwachsen geworden und das merkt man ihr deutlich an. Ihr Beschützerinstinkt ist nun das Auffälligste an ihr und nicht mehr ihre Ruhelosigkeit oder ihr über ausgeprägter Jagdtrieb. Wolwerock bemüht sich den ganzen Tag ihre drei Begleiter, die sie als ihr Rudel ansieht, beisammen zu halten und vor allen Gefahren zu schützen. So geht sie an unbekannten Ort stets vor, um die Lage auszukundschaften und den Weg für die anderen zu ebnen. Eine Eigenschaft, die die beiden Trainer sehr an ihr zu schätzen gelernt haben.
 

Und so ist es auch jetzt. Während Bromley und Manuel noch etwas unschlüssig an der Grenze zur Route vierzehn stehen und sich stumm gegenseitig Mut für das Bevorstehende zusprechen, betritt die Fähe festentschlossen den düsteren Sand und sucht mit der Nase die Luft und den Boden nach möglichen Spuren von Gegnern oder Gefahren ab. Bevor der Küstenweg eine Biegung macht und sie ihr Rudel dadurch aus den Augen verlieren könnte, verharrt der Wolf allerdings und setzt sich abwartend hin. Aufmerksam beobachtet sie die ersten Schritte der drei Übrigen, während ihre scharfen Ohren jedes noch so kleine Geräusch auffangen und eine mögliche Bedrohung herausfiltern. Trotz der Tatsache, dass Wolwerock definitiv keine Gefahr ausgemacht hat, traut sich Reißlaus dennoch keinen Zentimeter auf den schwarzen Sand. Zitternd verharrt sie davor und ignoriert vehement alle Versuche des großen Jungen ihm zu folgen.
 

Wahrscheinlich spürt sie die Unsicherheit und Anspannung der beiden Jungs und lässt sich davon einschüchtern, aber vielleicht bemerkt sie auch etwas, das weder die Jungs noch Wolwerock wahrnehmen? Eine düstere Vorahnung, wie sie sie manchmal zu haben scheint, auch wenn alles friedlich scheint. Langsam geht Bromley vor ihr in die Hocke. „Yo, ich weiß, du hast Schiss. Den ham wa‘ alle. Dennoch müssen wa‘ dahin, ob’s uns passt oder nich‘...“ Aufmunternd streichelt er dem Käfer über den bebenden Panzer und nimmt ihn dann auf die Arme, um ihn den Weg zum verlassenen Laden zu tragen. Dabei entspannt sich die Assel nicht wirklich. Stattdessen zieht sie es vor, ihrem Trainer ängstlich unter das T-Shirt zu krabbeln und sich dort ganz fest gegen seine Brust zu drücken. Unter normalen Umständen fände der Schwarzhaarige das nicht sonderlich lustig, doch was ist hier schon normal?
 

Nach dieser kurzen Unterbrechung setzen sie ihren Weg fort und erreichen schließlich die wartende Fähe, die sie schwanzwedelnd begrüßt. Kukui streicht ihr sanft über den Kopf, woraufhin sie ihren Steinkragen an seiner Hüfte reibt. Zwar ist er weit weniger hart, als damals bei Wuffels, dafür sind die Nadeln größer, schärfer und stehen weiter auseinander, weshalb sich der Brillenträger auch erst einmal wieder ein diese Bekundung ihrer Zuneigung gewöhnen muss. Dennoch verzieht er keine Miene, sondern lächelt bemüht mutig, woraufhin der Wolf den Weg fortsetzt und die Lage überprüft.
 


 

4
 

Als die Jungs ein weiteres Mal auf die wartende Fähe treffen, finden sie sich an einer buntbemalten Barrikade wieder, die vor jeder Prüfungsstätte aufgestellt ist und verhindern soll, dass Unbefugte den Ort ohne Zustimmung des Captains betreten. Ein Teenager steht dahinter, über die Absperrung gebeugt und blickt aufs Meer hinaus, wo die rotglühende Sonne gerade im Wasser zu verschwinden beginnt. Der Junge wirkt um einiges älter als die zwei und hat wahrscheinlich auch nicht mehr lange als Captain zu arbeiten. Seine Haut ist mindestens so blass, wie die von Bromley und sein ebenso schwarzes Haar reicht ihm fast bis auf die Hüften. Sein Blick wirkt verschlafen und desinteressiert. Dunkle Ringe zeichnen sich unter seinen Augen ab, doch bei näherem Betrachten stellt man fest, dass es sich dabei um Farbe oder Make-up handelt, dieser Effekt vom ihm somit gewollt ist. Seine ausschließlich schwarzen Klamotten sind überall mit Nieten und Schnallen verziert, die keinerlei Nutzen zu erfüllen scheinen, doch sie verleihen ihm ein düsteres Aussehen und genau darauf hat er es wohl auch abgesehen. Es passt auf jeden Fall zu der Tatsache, dass er mit Geister-Pokémon arbeitet.
 

„Da sind wir, bereit für unsere Prüfung.“, teilt Manuel ihm mit. Allerdings rührt sich der Captain nicht, sondern starrt weiterhin auf das Meer hinaus. Etwas irritiert sehen sich die Jungs an und zucken mit den Schultern. „Yo Kumpel, biste taub oder was?“, fragt der Schwarzhaarige ihn schließlich. Wieder kommt kein Wort aus dem Teenager heraus, stattdessen legt er sich fordernd den Finger auf die Lippen, um den beiden zu sagen, dass sie still sein sollen. Dies tut er mit einer unglaublichen Gelassenheit, als stünde er kurz davor einzuschlafen, oder aber er befände sich gerade auf einem sagenhaften Trip, den er keinesfalls unterbrechen will. Unschlüssig entscheiden sich die Trainer zu warten, etwas anderes bleibt ihnen auch irgendwie nicht übrig.
 

Geschlagene zehn Minuten später richtet sich der Langhaarige dann doch auf und löst seinen Blick vom Horizont, wenn auch nur widerwillig. Mit einem tiefen Seufzen wendet er sich den Anwärtern zu, fast so, als wäre er jetzt schon von ihnen genervt. „Ok, lasst uns anfangen.“, erklingt dann seine Stimme. Sie ist tief und zeigt deutlich, dass nicht mehr viel fehlt, bis er vollends erwachsen ist. Sein Tonfall wirkt hingegen genauso desinteressiert wie sein Blick und er spricht auch merkwürdig langsam, was einem noch mehr das Gefühl gibt, dass er entweder gleich einschläft, oder noch nicht bereit ist, von seinem Trip wieder runterzukommen. Seine ganze Haltung und jede seiner Bewegungen sind ebenso langsam, scheinen wohlüberlegt, um bloß nicht zu viel Energie aufzuwenden. Von daher wirkt es unglaublich mühsam, als er nun die hölzerne Barriere zur Seite räumt, damit die Jungs die Prüfungsstätte betreten können.
 

Als der Weg frei ist, sind es aber Bromley und Manuel, die unentschlossen verharren. Der Captain legt langsam die Stirn in Falten und seufzt tief. „Wollt ihr nun die Prüfung machen oder nicht? Die Sonne ist gleich untergegangen, also entscheidet euch mal?“, gibt er leicht genervt von sich. Es dauert noch einen Augenblick, doch dann betreten die zwei die Steintreppe, die sie hinauf zum verlassenen Laden führt. Der Langhaarige folgt ihnen mit bedächtigen Schritten. Das einst so prächtige Schnäppchen-Paradies ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Dutzende Backsteine sind im Laufe der Jahre aus der Fassade gebröckelt, das Schild über dem Eingang hängt schief und ist so verwittert, dass man kaum mehr einen Buchstaben darauf entziffern kann. Die Fenster sind dick mit Staub und Schmutz überzogen, sodass man nicht einmal etwas vom Inneren des Ladens erkennen könnte, wenn es um Leben oder Tod gehen würde. Das einst hellblaue Wellblechdach ist mittlerweile türkisgrün, dick mit Rost und Moos bedeckt. Dort, wo vor etlichen Jahren die Warenannahme war, klafft nun ein Loch. Die Tür, die dort einmal war, ist nicht mehr, dafür stapeln sich in dem Durchgang unzählige Kartons, völlig unförmig durch Nässe und Seeluft und so dick mit Schimmel, Staub und Vegetation bedeckt, dass man kaum sagen kann, wo ein Karton anfängt und ein anderer aufhört.
 

Der Beton des Vorplatzes ist aufgesprungen und von endlosen Rissen durchzogen, dicke Grasbüschel recken sich daraus hervor. Das Ganze wirkt überhaupt kein bisschen einladend, außer für Geister-Pokémon, die solche Orte lieben. Die rotglühenden Strahlen der untergehenden Sonne hüllen das verfallene Gebäude zusätzlich in einen unnatürlichen Schleier und lassen es damit fast wie ein Tor zur Unterwelt wirken. Die jungen Trainer bilden sich schon ein, die eisigen Finger von Untoten in ihrem Nacken spüren zu können. Reißlaus drückt sich noch fester gegen Bromley’s Brust, doch der aufgeregte Herzschlag des Jungen macht den Käfer nur noch unruhiger. Auch Wolwerock fühlt sich hier völlig fehl am Platz. Mit einem für ihre Größe doch ziemlich untypisch höhen Winseln duckt sie sich hinter Kukuis Beinen zusammen und betrachtet das Gebäude mit ihren himmelblauen Augen äußerst argwöhnisch. In diesem Moment wirkt sie wieder ganz so wie der kleine Welpe, der sie bis vor Kurzem noch war.
 

„Hübsch, nicht wahr?“, lässt der Captain verlauten und betrachtet den verlassenen Laden mit einem liebevoll anmutenden Blick, der bewirkt, dass es den beiden Trainern nur wieder eiskalt den Rücken hinabläuft. „Es – es hat Charakter...“, pflichtet der Brünette ihm unsicher bei. Die Andeutung eines Schmunzelns huscht wenige Sekunden über das Gesicht des Langhaarigen. „Das wird mir echt fehlen. – Zu sehen, wie sich die Anwärter allein schon beim Anblick des Ladens fast in die Hosen machen, meine ich. – Ihr seid nämlich die Letzten, denen ich hier die Prüfung abnehme, da ich nächsten Monat zwanzig werde...“, verkündet der Captain mit einem gewissen Wehmut. Er tritt näher an den Laden heran und legt eine Hand auf die schmutzigen Scheiben der Tür. Hinter dem undurchsichtigen Glas wird ein Schatten sichtbar und dann sieht es so aus, als würde sich von drinnen ebenfalls eine Hand gegen die Scheibe drücken. Es wirkt unwirklich. Die Hand scheint sich auch nicht einfach zurückzuziehen, als der Captain seine wegnimmt, sondern sie scheint sich irgendwie aufzulösen!
 

Scharf saugt Manuel bei diesem Anblick die Luft ein. „Tut mir einen Gefallen, Jungs und lasst euch von meinen Geistern zu Tode erschrecken, damit ich eine schöne Erinnerung an mein Dasein als Captain habe. Ich bringe auch Blumen zu eurer Beerdigung mit!“, kommt es von dem Ältesten. Dabei wendet er sich zu dem beiden herum und lächelt sie unglaublich sanftmütig an, als wäre es tatsächlich sein innigster Wunsch, dass die beiden hier ihr Leben für ihn lassen. Erschrocken klappt den Trainern der Mund auf. „Haste sie noch alle?“, fragt Bromley entsetzt und ballt drohend die Fäuste. Der junge Mann zuckt nur gleichgültig mit den Schultern und lächelt wieder. „Einen Versuch war es wert...“, kommentiert er das Ganze und verfällt dann wieder in seine desinteressierte Haltung.
 

„Na schön, bringen wir es hinter uns. Die Sonne ist gleich weg, also hört zu. Die Prüfung an sich ist nichts Besonderes. Ihr müsst es nur schaffen die Nacht in dem Laden zu verbringen, ohne vor Angst zu sterben.“, ein kurzes Grinsen huscht über sein Gesicht hinweg, das so durchtrieben wirkt, dass einem schon fast das Blut in den Adern gefriert. „Allerdings seid ihr nicht allein im Laden. Dort treiben sich ein paar Geister-Pokémon herum, die liebend gern mit euch spielen wollen.“, führt er weiter aus. „Was soll’n das heißen?“, hakt der Käfer-Trainer angesäuert nach. Neben ihm schluckt der Brillenträger hart, irgendwie hat er ein ganz schlechtes Gefühl. „Das heißt das, was ich gesagt habe. Nur, dass Geister-Pokémon etwas morbidere Spiele bevorzugen, also hoffe ich, dass ihr Unterwäsche zum Wechseln dabeihabt.“ Wieder dieses scheinheilige Grinsen. „Oh, heiliges Kapu...“, flüstert Kukui nervös.
 

„Selbstverständlich dürft ihr euch gegen die Geister zur Wehr setzen, müsst ihr sogar. Denn die Prüfung besteht auch darin, dass Herrscher-Pokémon aufzuspüren und zu besiegen und das bevor die Sonne aufgeht. Erst dann habt ihr bestanden. Sollte es euch aber doch zu viel werden, gibt es neben der Eingangstür einen Notschalter, der sie auch vor Tagesanbruch öffnet, andernfalls entriegele ich die Tür erst morgen früh um sieben Uhr.“, lässig wirft er einen Blick auf seine Armbanduhr und rechnet nach. „Also in gut – zehn Stunden. Noch irgendwelche Fragen?“, prüfend besieht er sich die eingeschüchterten Jungs. „Äh ja, wer ist denn das Herrscher-Pokémon?“, würde Kukui gern wissen. Ein finsteres Grinsen huscht über das Gesicht des Teenagers. „Das kann ich euch leider nicht verraten. Doch ihr werdet es schon erkennen, es ist immerhin größer als gewöhnlich. Nur so viel: seine Herrscher-Aura verstärkt all seine Statuswerte und es hat den Zusatztypen Fee. Alle anderen Geister haben den Zusatz Gift. – Wenn das alles war, habt ihr jetzt noch – zwei Minuten, um euch zu sammeln. Dann sperre ich den Laden auf und verriegle hinter euch die Tür wieder. Ich habe da drüben mein Zelt aufgeschlagen, falls ihr also die Hosen voll habt und rauswollt, werde ich das mitbekommen. Wenn nicht, werde ich morgen früh um sieben die Tür wieder öffnen und ihr seid frei und mit etwas Glück um einen Z-Kristall reicher.“
 

Der Captain deutet halbherzig mit einer Hand auf sein Zelt, das in einiger Entfernung am äußersten Punkt eines Maschendrahtzauns steht, der den Laden einst umgeben hat. Viel ist nicht mehr von ihm übrig, aber das ist auch vollkommen unwichtig. Tief atmen die beiden Trainer durch und versuchen sich und ihren Pokémon Mut zuzusprechen. Als die zwei Minuten um sind, ertönt das Klappern von Schlüsseln. Leicht zucken die Jungs zusammen. „Und? Seid ihr bereit oder wollt ihr es seinlassen?“, hakt der Langhaarige ein letztes Mal nach. „Wir zieh’ns durch, Mann!“, entgegnet ihm Bromley, auch wenn seine Stimme noch nie so unsicher geklungen hat, was Manuel nur noch mehr ängstigt, war der Schwarzhaarige doch bisher immer der Mutigere von ihnen. „Na dann viel Spaß!“, grinst der Captain ein letztes Mal und nur einen Augenblick später knallen die Flügeltüren hinter den Trainer wieder zu und besiegeln ihr Schicksal!
 


 

5
 

Als die Tür hinter ihnen ins Schloss zurückfällt, stehen die Trainer in fast vollkommener Dunkelheit. Nur durch das Glas des Eingangs fällt noch ein winziger Streifen der rotglühenden Sonne, doch auch dieser ist Sekunden später verschwunden und die längste Nacht ihres Lebens somit endgültig angebrochen. In der Finsternis hören sie ihre aufgeregten Herzen in ihren Ohren pochen und ihr abgehakter Atem bildet einen hörbaren Kontrast dazu. Ehe einer von ihnen etwas sagen kann, flammen aber plötzlich gut drei Dutzend Kerzen auf, die sich in dem weitläufigen Laden auf den obersten Regalreihen befinden. „Krasser Scheiß...“, entkommt es Bromley erstickt und seine Stimme zerreißt die Stille wie ein rostiges Messer. Der Anblick der selbst aufleuchtenden Kerzen hat etwas sehr Unheimliches an sich und dennoch ist es überaus faszinierend, wie Kukui zugeben muss.
 

Es ist kurz vor Mitternacht

Etwas Böses lauert im Dunkeln

Unter dem Mondlicht
 

Im zitternden Schein der kleinen Flammen lässt sich nun einiges im dem Laden erkennen. Schatten dominieren jedoch die Sicht und die zuckenden Feuerkegel scheinen ihnen Leben einzuhauchen und gaukeln einem vor, sie würden immer näherkommen und ihre düsteren Finger nach einem ausstrecken. Manuel kommt sich wie gelähmt vor, dabei ist noch überhaupt nichts passiert. Doch die Angst vor dem Unbekannten umklammert sein Herz wie mit einem Schraubstock, sodass er fast keine Luft bekommt. Hilflos hebt er eine Hand und sucht damit nach Bromley´s. Er erhofft sich Halt und Trost, so wie damals auf dem Friedhof, als sie sich an den Händen gehalten haben. Als er die warme Haut des Größeren berührt, spürt er, wie der Junge neben ihm zusammenzuckt, dann jedoch erkennt, dass es sich dabei um Kukuis Hand handelt und diese dann so plötzlich und fest umklammert, dass es schon schmerzt. Dieser Reaktion entnimmt der Brillenträger, dass sein Partner vermutlich genau dieselbe Idee hatte, nur nicht als Schwächling dastehen wollte, wenn er als Erster nach ihm greift. Allerdings hat Manuel kein Problem damit seine Angst zu zeigen, da er weiß, dass der Jüngere ihn zumindest jetzt nicht deswegen auslachen wird, sondern alles daran setzt ihn zu beschützen.
 

Du siehst etwas, das fast dein Herz stoppen lässt

Du versuchst zu schreien,

Aber Terror nimmt den Laut, bevor er herauskommen kann
 

Sanft legt Bromley seine andere Hand auf sein T-Shirt, unter dem sich Reißlaus zitternd an ihn drückt. Wolwerock schmiegt sich derweilen unsicher gegen Manuels Bein. Entgegen ihres sonstigen Drangs einen unbekannten Ort immer zuerst zu untersuchen, um die Sicherheit ihrer Mitstreiter zu gewährleisten, fühlt sie sich hier so unglaublich unwohl, dass sie dem nicht nachkommen kann. Mit eingezogenem Schwanz schnüffelt sie vorsichtig in die abgestandene Luft des Ladens hinein, winselt kläglich und blickt dann hilflos zu ihrem Trainer auf. Mit Fingern, die nicht ganz ruhig sind, streicht der Brillenträger ihr über den Kopf. „Ist nicht schlimm, wenn du Angst hast. Die haben wir alle und ich denke, es ist besser, wenn wir dicht beisammen bleiben...“, gibt er ihr zu verstehen, wobei er sich selbst vor dem Klang seiner eigenen Stimme erschreckt. Dankbar schmiegt sich die Fähe fester gegen ihn. Hand in Hand treten die Jungs ein Stück in den Laden hinein. Der Eingang befindet sich an der rechten Seitenwand des Gebäudes. Links neben sich entdecken sie den Kassenbereich, an dem einst vier Leute der Länge nach aufgereiht die Waren der Kundschaft abgerechnet haben.
 

Du beginnst zu frieren,

Als der Horror dir in die Augen schaut

Du bist wie gelähmt,

Denn das ist ein Thriller
 

Links neben der ersten Kasse wird der Weg von einem Haufen schwerer Kartons versperrt, sodass die vier nur rechts vorbeigehen können. Zwischen der ersten und zweiten Kasse liegt ein völlig verbeulter Einkaufswagen auf der Seite, wie ein totes Tier. Undefinierbare Waren sind aus ihm herausgefallen und zwischen den beiden Kassen verstreut. Der Anblick gibt den Jungs zu denken. Ist der Wagen, voll wie er war, nach der Schließung des Ladens hier abgestellt worden – vielleicht sogar von dem Captain, um das Vorankommen der Anwärter zu erschweren – oder mussten die Kunden wohlmöglich schlagartig flüchten, als sich der Zorn der Kapu über den Laden legte, wie ein Buschfeuer? Diese Frage werden sie wohl nie beantwortet bekommen, aber allein die Vorstellung darüber nachzudenken, ist schon beunruhigend. Angespannt läuft die Truppe an dem Einkaufswagen vorbei und lässt die zweite Kasse auch hinter sich. Neben der dritten Kasse wird nun die rechte Seite durch Kartons und Regale versperrt, sodass sie zwischen den Kassen hindurchschlüpfen müssen, um ihren Weg fortzusetzen. Der Durchgang ist allerdings ziemlich schmal, weshalb sich die Jungs wieder loslassen, als sich auf einmal das Förderband der zweiten Kasse in Bewegung setzt!
 

Thriller in der Nacht

Und niemand wird dich retten

Vor der Bestie, die gleich zuschlagen wird
 

Ratternd bewegt sich das verdreckt Band auf rostigen Rollen und erzeugt dabei ein markerschütterndes Quietschen. Manuel stößt einen spitzen Schrei aus, für den Bromley ihn unter normalen Umständen ganz sicher als Mädchen bezeichnet und ausgelacht hätte. Stattdessen saugt der große Junge geräuschvoll Luft ein und entfernt sich rückwärts von der Kasse. Ängstlich drückt sich Kukui gegen seinen Rücken. Sweetheart gibt ein verstörtes Fiepen von sich, sodass der Schwarzhaarige die Arme fester um sie schlingt. Wolwerock zuckt ebenfalls heftig zusammen, macht einen Satz nach hinten und beginnt dann tief in der Kehle zu knurren. Scheinbar erinnert sie sich wieder an ihren Beschützerinstinkt, denn sie tritt versucht mutig einige Schritte vor, sodass die Jungs nun hinter ihr stehen.
 

Du weißt, das ist ein Thriller

Thriller in der Nacht
 

Schlagartig stoppt das Förderband wieder, als hätte es sich vom Knurren der Fähe einschüchtern lassen. Schnell merken die Trainer jedoch, dass dem nicht so ist. Ein neues, sehr seltsames Geräusch wird laut, das man mit über ausgeprägter Fantasie vielleicht als Lachen identifizieren könnte. Es scheint genau aus dem Motor des Bandes zu kommen und dennoch kann man seine Herkunft nicht genau bestimmen. Das Geräusch scheint förmlich in der Luft zu schweben und einen unnatürlichen Schall in dem weitläufigen Laden zu erzeugen. Kurz darauf ist wieder alles still. Stattdessen beginnt das Kassenband nun zu dampfen, als wäre es tiefgefroren worden und nun dabei wieder aufzutauen. Aber der Dampf ist nicht weiß, wie man es von Eis oder etwas sehr Kaltem erwarten würde, er hat vielmehr eine lila schimmernde Farbe. Wie erstarrt blicken die Trainer und die inzwischen verstummte Fähe auf die Wolke. Langsam steigt sie auf, verdichtet sich. In ihrem Zentrum ist sie allerdings weit dunkler und wirkt irgendwie greifbarer.
 

Du kämpfst um dein Leben

Mit einem Mörder

Thriller heute Nacht, ja!
 

„Was zum Henker is‘ das?“, fragt Bromley schließlich und scheint so die Aufmerksamkeit der gasgleichen Wolke auf sich zu ziehen. Diese wabert daraufhin einmal um die eigene Achse. Im dunklen Zentrum werden kleine, weiße Spitzen sichtbar, die Manuel irgendwie an Zähne erinnern. Ehe er jedoch seine Befürchtung aussprechen kann, erscheinen plötzlich übergroße Augen in der Gaswolke. Lachend reißt das Geister-Pokémon den Mund auf und steckt ihnen die lange Zunge heraus, macht sich regelrecht lustig über sie. „Ich – ich glaube, das ist ein Nebulak...“, entkommt es Kukui unsicher. Als wolle der Gasball seine Aussage bestätigen, beginnen dessen große Augen schlagartig rot aufzuleuchten. Der Horrorblick trifft die Truppe vollkommen unvorbereitet, sodass sie alle für einige Sekunden völlig in ihrem Schreck erstarren.
 

Du hörst die Tür zuschlagen

Und merkst, dass du nirgends mehr hinrennen kannst

Du spürst eine kalte Hand
 

Das Nebulak amüsiert sich darüber köstlich und lässt wieder sein unheimliches Lachen erklingen. In der Zwischenzeit fangen sich die vier wieder etwas. „Wolwerock, versuch es mit Ruckzuckhieb zu vertreiben!“, befiehlt Manuel dem Wolf. Dieser schüttelt sich den letzten Rest des Horrorblicks ab und sprintet dann im Zickzack auf das Förderband zu. Im letzten Moment setzt die Fähe zum Sprung an, um den Geist zu rammen. Allerdings geschieht das nicht. Für den Bruchteil einer Sekunde wird der Gasball durchschimmernd und Wolwerock schlittert ungehalten über das Kassenband hinweg. Gebremst wird sie erst, als sie auf der anderen Seite der Kasse zu Boden stürzt und gegen die Wand des Ladens knallt. „Um Himmels willen!“, platzt es aus dem Brillenträger heraus, als er den unsanften Knall vernimmt, mit dem sein Pokémon gegen den Stein schlägt. Im selben Moment könnte er sich für seine Dummheit selbst ohrfeigen. Ruckzuckhieb unterliegt dem Typ Normal und dagegen sind Geister-Pokémon vollständig immun! Dennoch scheint das Nebulak verschwunden zu sein und so eilt Kukui besorgt zu dem Vierbeiner hinüber, der taumelnd wieder auf die Beine kommt.
 

Und es würde mich wundern,

Wenn du jemals wieder die Sonne siehst
 


 

6
 

Der erste Schreck ist somit überstanden und die Jungs entscheiden sich zum Weitergehen – etwas anderes bleibt ihnen auch nicht übrig, da die Geister sie hier überall angreifen können und ihnen keine Möglichkeit zum Verstecken bleibt. Das Nebulak hat sich zwar verzogen, doch die beiden sind sich darin einig, dass dies erst die Spitze des Eisbergs war und sie in den endlosen Stunden dieser Nacht noch weit Schlimmerem ausgesetzt sein werden. Daher versuchen sie so mutig wie irgend möglich zu sein, damit sie nicht hinter der nächsten Ecke von einem lähmenden Schock getroffen werden. Aufgeben steht hier noch weniger in Frage, als bei allen Prüfungen zuvor, denn diese Hölle wollen sie ganz sicher kein zweites Mal auf sich nehmen, nur um zu bestehen.
 

Du schließt die Augen

Und hoffst, dass das alles nur Einbildung war

Aber die ganze Zeit

Hörst du eine Kreatur hinter die her kriechen
 

Von daher schlängeln sie sich zwischen den Kassen durch, wo sie von der Gaskugel überrascht worden sind und bewegen sich an der Wand des Ladens entlang zur linken Ecke. Dort können sie die Warenannahme sehen, die sie schon von außen erblickt haben, die aber mit Kartons versperrt ist. Hier geht es also nicht weiter, weshalb sie gezwungen sind weiter ins Innere des Ladens vorzudringen. Kaum, dass sie sich dafür entschieden haben, taucht vor ihnen eine Warenauslage auf. Daneben liegen einige Kartons verstreut, gleichsam ihrem Inhalt, der sich über den Boden verteilt. Auf der Auslage liegt ein Einkaufswagen auf dem Kopf, sodass er wirkt wie eine Art Käfig. Fein säuberlich aufgestapelt befinden sich hinter seinen Stäben Konserven, kleine Schachteln und andere Gegenstände. Auf beiden Seiten neben der Auslage ist genug Platz zum Vorbeigehen, doch die Jungs müssen sich für eine Seite entscheiden, da dahinter ein großes Regal folgt, das sie für unbestimmte Zeit voneinander trennt, wenn jeder von ihnen einen Gang wählen würde. In der schummerigen Dunkelheit der Kerzenflammen sind auf der rechten Seite in der Ferne Kartons zu erkennen, auf der linken Seite scheint der Weg jedoch weiter frei zu sein, weshalb sie diesen wählen.
 

Du bist verloren,

Denn das ist ein Thriller

Thriller in der Nacht
 

Mit einem mulmigen Gefühl bewegt sich die Truppe zügig an der Auslage vorbei, da sie ihnen irgendwie verdächtig gestellt vorkommt. Diese Vermutung wird auch augenblicklich bestätigt, als hinter ihnen ein seltsames Geräusch erklingt, das sich anhört, als würde jemand mit etwas Metallischem gegen ein Gitter schlagen. Die Trainer halten angespannt die Luft an und wenden sich langsam um. Unschlüssig tritt Wolwerock vor sie und versucht sich der möglichen Gefahr zu stellen. Perplex beobachten sie alle, wie eine der Konserven unter dem Einkaufswagen herumschwebt und dann rhythmisch gegen die dünnen Streben zu schlagen beginnt. Das Ganze wiederholt sich ein paar Mal, als wolle sich jemand mit Morsezeichen verständigen und dabei fangen immer mehr Gegenstände unter dem Wagen an zu schweben. „Wir – wir sollten schnell weg hier...“, presst Kukui erstickt hervor und klammert sich am Arm seines Partners fest. „Is‘ nich‘...“, erwidert Bromley trocken und starrt wie gebannt auf die Auslage.
 

Es gibt keine zweite Chance

Gegen das Ding mit den vierzig Augen
 

Manuel will schon fragen, was mit ihm nicht stimmt, doch dann sieht er es auch. Nun schwebt der ganze Einkaufswagen empor, dreht sich in der Luft mehrmals um die eigene Achse und knallt dann krachend zu Boden. Das Geräusch ist so laut und durchdringend in der erdrückenden Stille des Ladens, dass die kleine Truppe heftig zusammenzuckt und einen Aufschrei nicht verhindern kann. Mit eingezogenem Schwanz beginnt die Fähe zu knurren, doch es hat nichts Mutiges an sich, vielmehr klingt es in die Ecke getrieben und hilflos. Dennoch steht sie weiterhin vor den Jungs und versucht sie zu beschützen. Dies ändert sich nun allerdings schlagartig, als die Konserven erneut zu schweben anfangen und dann wie Geschosse auf sie zufliegen. Erschrocken springt der Wolf zur Seite, kann es aber nicht verhindern, dass ihn eine der Dosen hart an der Stirn trifft. Mit einem schmerzlichen Aufheulen geht die Fähe zu Boden, noch während sie von einer zweiten Konserve am Kopf getroffen wird.
 

Thriller

Thriller in der Nacht
 

Schockiert können die beiden Trainer das Ganze nur mit ansehen. Als Kukui seinem Pokémon zu Hilfe eilen will, taucht ihr Angreifer direkt vor ihm auf. Der Brünette lässt einen erstickten Schrei hören. Eine lila Gestalt schwebt vor ihm, blickt ihm direkt in die Augen. Der Geist scheint nur aus einem struppigen Kopf zu bestehen und zwei freischwebenden Klauenhänden. Das Alpollo verzieht das Gesicht zu einem fiesen Grinsen, dann öffnet es den Mund und lässt seine lange Zunge heraushängen. Noch ehe einer der Anwesenden sich rühren kann, leckt das Geister-Pokémon Kukui einmal quer über das ganze Gesicht! Giftiger Speichel überzieht die Haut des wehrlosen Jungen und zeigt kurz darauf seine Wirkung. Wäre Manuel ein Pokémon, hätte er diesen Angriff vielleicht wegstecken können oder nur geringen Schaden erlitten. Doch auf Menschen haben dergleichen Angriffen eine andere, oftmals viel schlimmere Wirkung. Nach getaner Arbeit grinst das Alpollo wieder hämisch und löst sich dann in Luft auf. Der Brillenträger hingegen bricht reglos zusammen.
 

Du kämpfst um dein Leben

Mit einem Mörder

Thriller, heute Nacht
 

„Scheiße!“, entkommt es Bromley fassungslos und er stürzt zu seinem Kollegen hin. Dieser liegt vollkommen bewegungslos auf dem Boden, gleich einer lebensgroßen Puppe. Seine Augen sind weit aufgerissen, der Mund steht ihm offen, doch er atmet nicht! Hilflos fängt der große Junge an zu zittern. Was soll er nur tun? Die Schlecker-Attacke des Geistes hat Manuel völlig paralysiert. Wenn ihm nicht schnell etwas einfällt, wird er wohlmöglich ersticken. Sein Zittern veranlasst Reißlaus dazu ihren Kopf aus seinem T-Shirt zu schieben, um zu sehen, was mit ihrem Trainer los ist. Mit Entsetzen stellt sie fest, dass er völlig apathisch dasitzt, während ihm heiße Tränen der Verzweiflung über die Wangen laufen. Fiepend versucht sie seine Aufmerksamkeit zu bekommen, doch es bringt nichts. Schließlich schlüpft sie aus dem Hemd heraus und krabbelt unschlüssig auf den reglosen Körper des Brünetten. Bromley’s Blick ist glasig und leer, erscheint vollkommen abwesend. Wolwerock ist noch immer ausgeknockt, wie die Assel feststellt. Fieberhaft überlegt der Käfer, was er jetzt tun soll, als auf einmal eine Konservendose direkt vor seinem Gesicht vorbeifliegt.
 

Nächtliche Kreaturen rufen

Die Toten beginnen in ihrer Maskerade zu laufen

Es gibt diesmal kein Entkommen aus den Klauen der Aliens
 

Erschrocken zuckt Sweetheart zusammen und sieht sich nach einer Fluchtmöglichkeit um. Eine weitere Dose kommt geflogen und verfehlt ihren Trainer nur ganz knapp. Die Assel wendet den Blick in die Richtung und entdeckt wieder das Alpollo, das es scheinbar unglaublich witzig findet sie zu bewerfen. Panik kommt in dem kleinen Pokémon auf. Dann plötzlich wird dieses nagende Gefühl durch ungeahnte Entschlossenheit vertrieben. Der Käfer bäumt sich auf, hebt fauchend den Schwanz und feuert dann seinen Käfertrutz auf den Geist ab. Die Attacke trifft ihr Ziel ziemlich unvorbereitet. Zwar sind Geister-Pokémon fast unempfindlich auf Käfer-Attacken, doch es reicht, um Alpollo den Spaß zu verderben. Schmollend macht es sich erneut unsichtbar und verschwindet. In der Zwischenzeit kommt Wolwerock wieder zu sich und steht taumelnd auf. Als sie ihren Trainer am Boden sieht, läuft sie aufgebracht zu ihm und stupst ihn an, doch er regt sich nicht.
 

Das ist das Ende deines Lebens

Sie werden dich holen

Auf jeder Seite schließen sich Dämonen an
 

Bromley ist ebenfalls vollkommen neben sich, zumindest bis Reißlaus ihn mit kaltem Wasser bespritzt. Erschrocken zuckt der Junge zusammen und starrt auf die beiden Pokémon, die ihn hilfesuchend ansehen. Plötzlich realisiert er wieder, dass es Kukui schlecht geht und, dass er nicht viel Zeit hat. Dann hat er die Idee. Wenn Pokémon unter Paralyse leiden, gibt es eine Medizin dagegen. Vielleicht hilft sie auch Manuel? Hecktisch kramt er in seinem Rucksack herum, bis er das Richtige findet. Mit zitternden Fingern richtet er den Zerstäuber des Para-Heilers auf den Brillenträger und drückt ab. Unter den wachsamen Augen der Pokémon verteilt sich der feine Nebel auf Manuels Gesicht und neutralisiert den Speichel des Geistes. Abwartend betrachten alle den reglosen Jungen. Winselnd stupst die Fähe ihn schließlich mit der Nase an und leckt ihm über die Wange – nichts. „Scheiße...“, entkommt es dem Schwarzhaarigen in Tränen erstickt. Die Paralyse scheint besiegt, doch es kam zu spät...
 

Sie werden dich besitzen,

Es sei denn, du änderst die Zeit auf dem Zifferblatt
 

Verzweifelt denkt der Schwarzhaarige weiter nach. Ahnung von Erster Hilfe hat er keine, war er es doch immer selbst, der ohnmächtig oder dergleichen war. Dennoch regt sich so eine Art Instinkt in ihm. Vorsichtig legt er den Kopf auf Manuels Brust und lauscht nach dessen Herzschlag, während er aufmerksam von den beiden Pokémon betrachtet wird. Im ersten Moment hört Bromley jedoch nur seinen eigenen, hektischen Atem. Er muss die Luft anhalten und sich konzentrieren und dann ist da dieses Pochen – langsam, aber kraftvoll. Das ist schon mal viel wert, dennoch atmet Kukui nicht. Wahrscheinlich sind seine Lungen durch die Paralyse noch irgendwie verkrampft? Dunkel kommt ihm der Gedanke, dass er Luft hineinblasen muss, damit Manuel wieder selbstständig atmen kann. Also drückt er seine Mund auf den des Brünetten und pustet nachdrücklich Luft in ihn hinein. Dabei merkt er unweigerlich wie kalt die Lippen des Kleineren inzwischen sind.
 

Jetzt ist die Zeit

Für dich und mich, um uns eng aneinander zu kuscheln

Die ganze Nacht lang
 

Während der Schwarzhaarige sich so hoffnungslos bemüht, merkt er nicht, wie ein kaum spürbares Zucken durch den schmächtigen Körper unter ihm geht. Langsam kommt Kukui wieder zu sich. Plötzlich merkt er, dass sein Kollege ihn küsst! Manuel wird ganz schwindlig bei diesem Gedanken, hat er sich das doch schon einmal vorgestellt. Er weiß überhaupt nicht, was los ist und warum sich diese Berührung so gut anfühlt, doch er möchte sich so gern darin verlieren. Ein kleiner Teil von ihm sagt, dass das nicht richtig ist, dass Jungs keine anderen Jungs küssen dürfen, doch er ignoriert ihn vehement. Wenn sich etwas so gut anfühlt, kann es gar nicht falsch sein! Dann jedoch spürt er, wie Bromley ihm angestrengt Luft in die Lungen bläst und da kommt ihm die Erkenntnis. Das Ganze ist gar kein Kuss. Nachdem Alpollo ihn paralysiert hat, ist er zusammengebrochen, daran kann er sich noch erinnern. Der Jüngere muss versucht haben ihm zu helfen, aber es hat wohl nicht so ganz funktioniert, weshalb er ihn jetzt versucht zu beatmen. Eine gewisse Enttäuschung schwingt in ihm, doch er kann sich ihr nicht wirklich hingeben, da seine Lungen wieder zu arbeiten beginnen und er nun husten muss.
 

Ich werde dich vor dem Terror retten

Ich werde es dich nicht sehen lassen

Das ist ein Thriller
 

Überrascht trennt sich Bromley von seinem Partner. Schwerfällig dreht sich Manuel auf die Seite und hustet weiter. Noch ehe er wieder ganz zur Ruhe gekommen ist, schmiegen sich Wolwerock und Reißlaus freudig gegen ihn und drücken ihn fast wieder zu Boden. „Hey – ich freue mich ja auch...“, gibt er erschöpft von sich. Ziemlich grob anmutend schupst der Käfer-Trainer die beiden von ihm weg und zieht Kukui ungehalten in seine Arme. Dem Brillenträger bleibt fast wieder die Luft weg, doch seine Freude ist mindestens genauso groß wie die seines Kollegen. „Scheiße Mann, mach nie wieder so’n Scheiß!“, kommt es in Tränen aufgelöst von dem großen Jungen. Kraftlos erwidert Manuel die Umarmung. Den anderen weinen zu sehen, ist für ihn etwas völlig Unwirkliches, obwohl er es inzwischen mehrfach erlebt hat. Dennoch will es einfach nicht in sein Bild von diesem vorlauten, toughen Jungen passen. „Ja, versprochen...“, haucht er dem anderen zu und drückt ihm sanft einen Kuss aufs Ohr.
 

Thriller in der Nacht,

Weil ich dich noch mehr erschrecken kann
 


 

7
 

Nach diesem heftigen Erlebnis sind sich die beiden doch ziemlich unschlüssig, ob sie weitergehen sollen oder nicht. Der Gedanke, Aufzugeben rückt immer weiter in den Hintergrund, denn so etwas will keiner von ihnen jemals wieder durchmachen müssen. Also bleibt nur Durchhalten. Es stellt sich allerdings die Frage, ob es sinnvoll wäre an Ort und Stelle auszuharren oder weiterzugehen und ein mögliches Versteck zu finden? Egal, wofür sie sich auch entscheiden, die Geister-Pokémon finden sie so oder so. Während sie verschnaufen, entscheiden sie sich letztendlich dafür, den Weg zur Eingangstür anzutreten, um sich dort in der Nähe niederzulassen. Sie wollen zwar nicht frühzeitig abbrechen, doch die Sicherheit des Notschalters soll ihnen wenigstens ein besseres Gefühl geben. Erst recht in Anbetracht der Tatsache, dass einer von ihnen wohlmöglich wieder von einem Pokémon ausgeknockt werden könnte. Schwankend kommt Kukui wieder auf die Füße und gemeinsam wenden sie sich um, um an der Auslage vorbei zurück zum Kassenbereich zu kommen. Doch dort werden sie heute nicht mehr ankommen!
 

Dann wird kein Ghoul es wagen dich zu holen

Also lass mich dich festhalten

Und die Angst mit dir teilen
 

Plötzlich ertönt das irre Lachen der beiden Geister-Pokémon, gemischt mit einer dritten, viel bedrohlicheren Stimme. Im selben Moment beginnen sämtliche Gegenstände in der Umgebung zu schweben. Doch keinesfalls nur Konserven und Kartons – mit Nichten, es fliegt alles umher. Ganz Regale erheben sich in die Lüfte, als würden sie überhaupt nichts wiegen. Auslagen und Einkaufswagen folgen. Mit einem gewaltigen Krachen und einer dicken Staubwolke landen die ganzen Sachen wieder auf dem Boden. Die Druckwelle hat die Kerzenflammen erstickt, doch als sich die Staubwolke lichtet, entfachen sie neu und zeigen das Ausmaß des Chaos an. Der ganze Laden ist einmal komplett von den Geistern umgeräumt worden, sodass nichts mehr an seinem Platz steht. Der Weg zur Tür ist völlig von Regalen und Kartons versperrt und somit bleibt den Jungs nur der Rückzug in den hinteren Teil des Ladens – ins Unbekannte. Das schallende Lachen der Gaswesen hallt noch einen Augenblick nach, dann ist alles wieder still. „Himmel, sie lassen uns nicht gehen, selbst wenn wir es wollten...!“, kommt Kukui die ernüchternde Erkenntnis. „Yo. Bestimmt is‘ der Herrscher auf uns aufmerksam geworden und hat’s ihnen befohlen, checkstes?“, entgegnet ihm der Schwarzhaarige schnaubend.
 

Ich werde dich heute Nacht erschrecken
 

Mit einem tiefen Seufzen wenden sich die Jungs mit ihren Pokémon um und blicken in den hinteren Teil des Ladens. Bei der Umräumaktion haben sich auch die Standpunkte einiger Kerzen verändert, sodass sie ihr Licht nun an der hinteren Wand konzentrieren. Ungläubig starren die Trainer dorthin. „Ist das – ist das eine Tür?“, fragt Manuel unsicher. „Yo, doch ich will nich‘ wissen, was da hinter is‘. Du etwa?“ „Nicht wirklich...“ Innerlich vermuten die zwei, dass es sich dabei wohl um den Herrscher-Bereich handelt. Unschlüssig verweilen sie einen Moment, dann beginnen auf einmal wieder Gegenstände zu schweben. Diesmal jedoch keine Regale oder harte Konserven, sondern Plüschpuppen. Sie sind dick mit Schimmel überzogen und an vielen Stellen aufgeplatzt, sodass die Watte herausbricht. Es ist unmöglich zu sagen, was sie einmal dargestellt haben. Wie sich herausstellt ist das auch völlig egal, denn sie dienen nur als Ablenkung.
 

Die Dunkelheit fällt über das Land

Die Mitternachtsstunde ist in der Nähe
 

Schlagartig fallen die Puppen zu Boden und an ihre Stelle tritt das dritte und letzte der Geister-Pokémon und vervollständigt die Entwicklungslinie damit. Rotglühende Augen betrachten die Jungs voll ausgelassenem Übermut. Gengar grinst über das ganze Gesicht finster zu ihnen hinüber. Im Gegensatz zu seinen beiden Vorgängern hat es einen vollständigen Körper, was es aber nicht weniger unheimlich macht. Denn es hat den Ruf sehr ungehalten und brutal zu sein. Dies stellt es auch gleich mal zur Schau und holt mit der Faust aus. Es wirkt allerdings so, als würde es nur einen unsichtbaren Gegner in der Luft angreifen. Doch die Attacke kommt aus dem Hinterhalt, wie die überrumpelten Trainer nun feststellen müssen. Auf einmal taucht Gengars Faust hinter Reißlaus auf, ohne das sie eine sichtbare Verbindung zu dem Geist zu haben scheint. Der Käfer versucht noch auszuweichen, doch die Faust folgt ihm. Der Schlag trifft sie hart und stampft sie schon fast in den Boden hinein. Eine zweite Finsterfaust taucht aus dem Nichts auf und schlägt Wolwerock mit einem kräftigen Hieb nieder.
 

Kreaturen kriechen auf der Suche nach Blut umher,

Um die Nachtbarschaft zu terrorisieren
 

Die zwei Trainer können es gar nicht fassen. Das Ganze war so unglaublich unwirklich, dass es einfach nicht in ihre Köpfe hineinwill. Schwerfällig versuchen die angeschlagenen Pokémon wieder auf die Füße zu kommen, während die Jungs fieberhaft überlegen, was sie nun tun sollen. Hinter ihnen ruht die fremde Tür, wie eine verlockende Falle. Ehe sie sich für etwas entscheiden können, setzt Gengar zum nächsten Angriff an. Seine roten Augen werden plötzlich weiß und damit fixiert es die beiden Jungs. Sie versuchen sich diesem durchdringenden Blick zu entziehen, aber es gelingt ihnen nicht. Sekunden später erliegen sie der Hypnose und brechen tief im Schlaf gefangen zusammen. Ein abgrundtief böses Lachen ertönt von dem großen Geist und er stapft siegessicher auf die zwei führerlosen Pokémon zu, die hilflos versuchen ihre Trainer wieder aufzuwecken.
 

Und wer auch immer gefunden werden wird

Muss stehenbleiben und den Hunden der Hölle gegenübertreten
 

Die blanke Furcht steht der Assel und dem Wolf ins Gesicht geschrieben und dennoch können sie nichts tun. Verzweifelt tritt Wolwerock vor und beginnt damit Gengar mit Steinen zu bewerfen. Der große Geist lässt sich davon nur minder beeindrucken, stattdessen stößt er einen Ruf aus. Kurz darauf erscheinen Nebulak und Alpollo auf der Bildfläche. Überfordert weicht die Fähe zurück, doch Reißlaus überkommt ein Funken Mut und sie stürzt nach vorn und feuert ihren Käfertrutz auf die drei Geister ab. Dies setzt der Bande nun wirklich nicht nennenswert zu, dennoch hält es sie etwas auf Abstand. Und so gelingt es dem Wolf endlich Manuel und Bromley wieder aufzuwecken. Völlig desorientiert starren sich die beiden an, ehe sie den aussichtslosen Kampf von Sweetheart bemerken. Die drei Geister rücken immer näher und treiben die Assel zurück, die vehement weiterfeuert, obwohl sie deutlich von Erschöpfung gezeichnet ist.
 

Und in der Leiche einer Leiche werden wir verfaulen

Der übelste Gestank liegt in der Luft

Der Funke von vierzigtausend Jahren
 

„Wolwerock, du musst ihr helfen, schnell!“, befiehlt Kukui aufgebracht. Die Fähe stürmt zu einem Angriff nach vorn, doch ausführen kann sie ihn nicht mehr. Plötzlich ein lauter Knall hinter den Jungs. Die fremde Tür ist aufgesprungen. Gleißendes Licht dringt daraus hervor und verjagt damit die drei Geister schlagartig. Allerdings ist es damit noch nicht vorbei. Das Licht erlischt, doch dafür schlängeln sich auf einmal düstere Schatten über den Boden und packen die vier, als wären es Tentakeln eines riesigen Monsters. Mit unsagbarer Kraft zerren sie die wehrlosen Jungs mit ihren Pokémon durch die Tür ins Unbekannte. Mit lautem Knall schlägt sie wieder zu und beendet alles!
 

Und schreckliche Ghoule steigen von jedem Grab auf,

Um dein Schicksal zu besiegeln
 


 

8
 

Die vier finden sich in einem winzigen Raum wieder. Er ist vielleicht ein mal zwei Meter groß und wirkt damit unglaublich erdrückend. Zusammengekauert versucht die kleine Truppe nicht in Panik zu verfallen, was ein Ding der Unmöglichkeit ist. Obwohl es im Laden selbst ziemlich dunkel ist, scheint ein heller Lichtstrahl unter der Tür hindurch und erleuchtet den engen Raum somit zumindest etwas. Vorsichtig blicken sich die beiden Trainer um. Der nackte Beton des Bodens ist von großen Rissen durchzogen, die sich die Wände hinaufschlängeln. Es gibt keine Fenster und die Decke liegt in tiefer Dunkelheit, sodass man unmöglich sagen kann, wie hoch sie ist. Doch die Wände sind nahezu tapeziert mit Bildern. „Um Himmels willen, sieh dir das an!“, entkommt es Kukui stockend. „Scheiße...“, ist alles, was sein Partner erwidert. Mit offenem Mund starren sie die Bilder an. Dabei handelt es sich um Buntstiftzeichnungen eines kleinen Kindes, oder zumindest wirken sie so. Allerdings könnte wohl kein Kind so schaurige Dinge malen, wie sie dort zu sehen sind, wobei verstümmelte Pokémon noch das Harmloseste sind.
 

Und obwohl du kämpfst, um am Leben zu bleiben

Beginnt dein Körper zu zittern
 

Die zwei haben den schaurigen Anblick noch gar nicht verarbeitet, da passiert wieder etwas. Der ganze Raum scheint sich auf einmal zu bewegen. Er wabert herum, als würde er nur aus Wasser bestehen und dann bläst er sich auf. Aus dem winzigen Zimmer wird ein gewaltiger Raum, der vermutlich nicht einmal in dem verlassenen Laden Platz finden würde. Die vier kauern sich eng zusammen und finden sich schließlich in der Mitte dieses neuen Zimmers wieder – mitten auf dem Präsentierteller. Sie richten ihre Augen nach allen Seiten aus und stellen dann mit Erschrecken fest, dass die Tür verschwunden ist! Wo auch immer sie sich hier befinden, sie sind eingesperrt und dem hilflos ausgeliefert...
 

Denn kein Sterblicher kann dem Bösen des Thrillers widerstehen!
 

Einen Moment lang herrscht Stille und nichts passiert mehr. Ein Funken Erleichterung lässt die Jungs durchatmen, doch sie wissen, dass es nur von kurzer Dauer sein kann. Und damit haben sie auch recht. Eine Bewegung wird sichtbar. Ein unförmiges Etwas huscht lautlos über den Boden und kommt vor den vieren zum Stillstand. Verwundert betrachten sie den wandelnden Haufen Lumpen, der sie an ein anderes Pokémon erinnert. „Was zum Henker...?“, platzt es aus Bromley heraus. Seine Stimme klingt unglaublich laut und scheint in dem riesigen Zimmer sogar ein Echo zu werfen, doch das seltsame Lumpenwesen weicht nicht davor zurück. Vorsichtig zieht Kukui seinen Pokédex hervor und richtet ihn auf das unbekannte Ding. Das Gerät bestätigt ihm, dass es sich dabei tatsächlich um ein Pokémon handelt. Die Größenangabe in der Auflistung stimmt allerdings nicht mit diesem Exemplar überein, weshalb es sich hierbei wohl wirklich um den Herrscher handeln muss. Doch entgegen der, die sie schon gesehen haben, ist dieser hier doch ziemlich klein, was nicht unbedingt verwunderlich ist, wo das Original gerade mal zwanzig Zentimeter misst und dieser Herrscher es nicht mal auf einen Meter bringt.
 

„Nich‘ dein Ernst!?“, erwidert der Schwarzhaarige das Ganze. Er kann sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass das hier wirklich ein ernstzunehmendes Herrscher-Pokémon sein soll. „Is‘ ja lachhaft!“, verkündet er. Jegliche Angst und all die Qualen zuvor sind völlig von ihm abgefallen und ein herausforderndes Grinsen schleicht über sein Gesicht. „Wenn ich es doch sage. Im Pokédex steht, dass es ein überaus schreckliches Pokémon ist, das einem einen tödlichen Schock versetzen kann, wenn man seine wahre Gestalt zu sehen bekommt.“ Bromley legt die Stirn in Falten. „So’n Schwachsinn! Das sind alles nur Schisser! Ich werd’s dir beweisen!“, verkündet er nachdrücklich und greift nach einer Ecke des Lumpens. „Nein! Tu es nicht!“, warnt Manuel ihn noch. Das Mimigma versucht sich vehement dagegen zu wehren, dass man ihm unter sein Kostüm blickt, doch der Schwarzhaarige ist zu hartnäckig.
 

„Ich wette, da hockt so’n ganz trauriges Etwas drunter, dass so hässlich is‘, das...“, er kann den Satz nicht mehr beenden, da fällt sein Blick auf das Unbekannte unter dem Lumpen. Es gleicht einem Wunder, dass außer Bromley niemand die wahre Gestalt von Mimigma zu Gesicht bekommt, sonst wäre es jetzt um sie alle geschehen. Der Anblick ist so unbeschreiblich und gleichzeitig so entsetzlich, dass ein greller Blitz durch seinen mitgenommenen Schädel jagt und seinem Hirn einen heftigen Schlag verpasst. Der Käfer-Trainer zieht überrascht die Luft ein, zitternd lässt seine Hand den Zipfel los, seine Augen verdrehen sich, bis nur noch das Weiße zu sehen ist und dann bricht er einfach zusammen. Erschrocken beugt sich Manuel über ihn. „Um Himmels willen, Bromley! Sag doch was!“ Er schüttelt den großen Jungen durch, doch er bekommt keine Reaktion. Mit einer Mischung aus Zorn und Angst blickt er das Geister-Pokémon an, als wolle er es dafür strafen, dass es seinem Freund so etwas angetan hat.
 

Das Mimigma macht sich ganz klein, als wäre es schuldbewusst und weicht ein Stück zurück. „Was hast du nur getan?“, fragt er das Lumpenwesen mit brüchiger Stimme, während die ersten Tränen seine Wangen hinabrinnen. Plötzlich leuchten die Augen des Geistes auf. Es sieht sich keiner Schuld bewusst, immerhin hat es versucht ihm zu entkommen. Es ist, als würde sich Mimigma bewusstwerden, dass es hier das Herrscher-Pokémon ist und sich so etwas nicht gefallen lassen muss. Mit einem wütenden Laut bringt es mehr Abstand zwischen sich und die Anwärter. Dies nehmen Wolwerock und Reißlaus als Startschuss auf. Mutig stellen sie sich diesem Ding entgegen. Manuel hält seinen Freund derweil in den Armen und denkt nach, wie er diesen Kampf für sich entscheiden und ihm helfen kann. „Wolwerock, setz Feuerzahn ein!“, ruft er der Fähe zu. Diese lässt ein bedrohliches Knurren hören und sprintet dann mit flammendem Maul auf das Mimigma zu. Das Lumpenwesen ist schnell und huscht lautlos über den rissigen Boden, um dem Angriff zu entkommen. Das hat Kukui schon befürchtet. „Reißlaus, versuch es mit Wasserdüse zu Wolwerock zu treiben!“, harscht er den Käfer an.
 

Zustimmend fiept die Assel und scheißt einen harten Wasserstrahl in Richtung des Geistes. Wie der Brillenträger gehofft hat, weicht Mimigma nun dem Wasser aus und verliert für einen Moment die Aufmerksamkeit für die Fähe. Diese sieht ihre Chance, als sich der Geist von der Nässe entfernt und packt ihn mit ihren glühenden Zähnen. Rasant breiten sich die Flammen auf dem alten Stoff aus und werden ihn jeden Moment vernichten. Erschrocken wird Kukui bewusst, dass auch er dann Mimigmas wahre Gestalt sehen können wird und sodann wie Bromley endet. Doch es ist zu spät. Wolwerock lässt von ihm ab und nun passiert etwas Seltsames. Plötzlich verpuffen die Flammen einfach, die gerade noch das Kostüm verkohlt haben. Der Lumpen leuchtet auf und jetzt kippt auf einmal der Kopf des Wesens auf die Seite, als hätte es sich den Hals gebrochen. Zur gleichen Zeit entspringt Mimigmas Herrscher-Aura in einem rötlichen Schleier.
 

Überrascht stellt der Brünette fest, dass der Geist entgegen seiner Annahme scheinbar keinerlei Schaden durch den Angriff erlitten hat. Fragend blickt er auf den Pokédex hinab. „Das war seine Fähigkeit!? Damit hat es den Angriff einfach neutralisiert...“ Zweifelnd blickt er den Geist an. „So ein Mist. – So einfach werden wir es jetzt sicher nicht mehr erwischen können...“ Die beiden Pokémon wirken mindestens genauso irritiert darüber, doch ihnen bleibt keine Zeit sich zu wundern, da Manuel ihnen schon einen neuen Angriff befiehlt.
 


 

9
 

Tief in Bromley entsteht eine kalte Gewissheit, und diese Gewissheit ist, dass er den Verstand verliert…! Das dies der sichtbare Beginn eines stetig weiterwachsenden Verfalls seiner geistigen Kontrolle ist, ahnt er in diesem Moment jedoch noch nicht und es wird auch das letzte Mal sein, das er sich dieser Gewissheit bewusst ist. Doch der Wahnsinn steckt schon seit seiner Geburt in ihm, hat bis jetzt aber eher friedlich geschlafen und nur manchmal sein bizarres Gesicht an die Oberfläche geführt. Allerdings ist er nun wach und ausgeruht und somit ein fester Bestandteil von Bromley´s Leben, der immer weiter und immer schneller heranwachsen wird, bis zum kritischen Augenblick!
 

Der letzte, klare Gedanke, den er nach dem Blick auf Mimigmas wahres Gesicht hat, bevor sich die Panik wie eine Decke über ihn senkt – oder wie ein Leichentuch-, ist eigentlich ein Bild, das vor seinem geistigen Auge erscheint: Es ist Manuel, der ihn liebevoll anlächelt, ehe das unbekanntes Etwas unter Mimigmas Lumpen ihm vor seinen Augen den Kopf abreißt! Erschrocken presst der Schwarzhaarige die Augen zu und versucht die Wirklichkeit wiederzufinden. Allerdings findet er sie erst wieder, als er die Stimme des Jungen hört, der gerade in seinem Kopf gestorben ist. „Bromley?“
 

Langsam kommt er wieder zu sich und wendet Kukui das verschwitzte Gesicht zu und Manuel stellt entsetzt fest, wie erschöpft, bleich und angespannt der Schwarzhaarige doch aussieht. Dieses Gesicht hat etwas Furchterregendes an sich, aber erst sehr viel später,- als sich ihre Wege auf tragische Weise trennen-, wird er begreifen, woran das liegt: Es ist das Gesicht eines Jungen, der an den Rand des Wahnsinns getrieben wurde; eines Jungen, der letztlich vielleicht ebenso wenig in der Lage sein wird, simple Beherrschung an den Tag zu legen, wie sein brutaler Vater…
 

„Was is‘ passiert?“, presst der Käfer-Trainer schwach hervor. Eine Antwort bekommt er nicht, denn Kukui zieht ihn weinend in seine Arme. Etwas überrascht lässt Bromley es zu. Dann vernehmen die beiden Trainer das schmerzliche Aufschreien ihrer Pokémon. Geschockt besehen sie sich das Kampffeld. Schwerfällig stemmen sich Wolwerock und Reißlaus auf die Füße zurück und gehen wieder zum Angriff über. Doch Mimigma hat die Nase gestrichen voll. In Windeseile huscht es davon. Leichtfüßig saust es an einer Wand hoch und blickt zu den vieren hinab. „Wolwerock, Steinwurf!“ „Sweetheart, Wasserdüse!“ Fest entschlossen bringen sich die beiden Pokémon in Position und feuern, doch ehe ihre Angriffe treffen, wehrt der Geist sie einfach ab.
 

Sekunden später leuchten die Augen des Wesens bedrohlich auf und unter seinem Lumpen beginnt sich etwas zu bewegen. Daraus hervor schießen plötzlich zwei Schatten. Sie sehen aus wie Klauen und sind in lilafarbene Energie getaucht. Die Dunkelklauen werden immer länger und schlängeln sich mit einer irrsinnigen Geschwindigkeit über den rissigen Boden. Ehe sich die Pokémon dem Ganzen überhaupt bewusst sind, werden sie von den Schatten ergriffen, in die Luft gehoben, beinahe bis zum Knochenzerbrechen gedrückt und dann zu Boden geworfen. „Ach du krasser Scheiß, nein!“, entkommt es dem Schwarzhaarigen und er springt auf, um sich um sein verletztes Pokémon zu kümmern. Allerdings lässt Mimigma das nicht zu und schleudert den Jungen mit seiner Dunkelklaue einfach zur Seite. Erschrocken springt auch Kukui auf und erleidet Sekunden später dasselbe Schicksal.
 

Schwer getroffen liegen die Jungs am Boden, während der zornige Geist langsam auf sie zukommt, um ihnen einen Denkzettel zu verpassen. Im letzten Moment gelingt es aber Wolwerock und Reißlaus dazwischen zu gehen. Fauchend und knurrend versuchen die beiden ihre Trainer zu beschützen. Für einen Augenblick hält Mimigma inne und betrachtet den Mut der treuen Begleiter, kurz darauf entbrennt ein heftiger Schlagabtausch zwischen den dreien, den die Trainer entsetzt verfolgen. Der Wolf und die Assel landen einige Treffer, dennoch müssen sie weit mehr einstecken, als das Lumpenwesen. Schließlich packen die Dunkelklauen sie erneut und heben sie in die Luft, beginnen die letzte Energie aus ihnen herauszuquetschen. „Nein! Hör auf, bitte! Es tut mir leid!“, brüllt Bromley in Tränen erstickt. In seinem Kopf dröhnt es noch immer und er denkt, dass er ganz allein am Schicksal der beiden Schuld ist, weil er so respektlos war und unter den Lumpen geblickt hat.
 

Mimigma wendet ihm den Blick zu und lässt dann die Fähe einfach zu Boden fallen. Jaulend landet sie direkt neben Kukui, der sie versucht wieder auf die Beine zu bringen. Reißlaus hingegen wird auch weiterhin von den Klauen umschlossen und sie drücken immer weiter zu. Der Schwarzhaarige bekommt dadurch nur noch mehr das Gefühl, dass sich das Lumpenwesen rächen will. Es will ihn leiden sehen, ihn brechen und ihm seinen geliebten Partner nehmen. Eine zweite Dunkelklaue schlingt sich um die wehrlose Assel und quetscht sie noch viel weiter zusammen. Ihr markerschütterndes Fiepen brennt sich in Bromley’s Kopf ein und er sinkt schreiend auf die Knie. ‚Bromley, was treibst du denn da?‘, ertönt die Stimme seines Vaters in seinem Geist und veranlasst ihn dazu, die Worte im selben Moment laut auszusprechen.
 

Erschrocken zuckt Manuel dabei zusammen. „Oh, bitte nicht jetzt...“, gibt er erstickt von sich, als sich sein Partner in seinem vernichtenden Mantra verliert und sich wie ein geschlagener Hund zusammenkauert. Das einzig Positive daran ist vielleicht, dass es hier nichts gibt, womit er sich verletzen könnte, was es aber auch nicht besser macht, da er sich so auch nicht gegen einen möglichen Angriff wehren kann. Leicht verwundert blickt Mimigma den Schwarzhaarigen an, dann drückt es noch einmal fest zu und wirft ihm Reißlaus dann direkt vor die Nase. Reglos bleibt die Assel auf dem Rücken liegen, die kurzen Beinchen im Schmerz verkrampft, die Fühler völlig zerknickt. Fassungslos sieht Manuel hinüber, während Wolwerock den Rest ihrer Medizin schluckt. „Oh, heiliges Kapu...“, bringt er schwach hervor und wendet den Blick dann betroffen wieder ab, nicht sicher, ob Reißlaus überhaupt noch lebt.
 

Bromley hebt langsam, wie ferngesteuert den Kopf und blickt auf den reglosen Käfer hinab. Die Stimme seines Vaters hat noch nie so laut in seinem Kopf gebrüllt, wie in diesem Augenblick. Der große Junge beginnt herzzerreißend zu schreien und sich die Haare zu raufen. Heiße Tränen rinnen ungehalten seine Wangen hinab und perlen auf den grotesk eingedrückten Panzer des reglosen Käfers hinab. Mimigma lässt sich davon jedoch weder rühren noch abhalten. Zornig fauchend huscht es näher heran und streckt seine Dunkelklauen nach dem am Boden zerstörten Trainer aus. Wenige Millimeter, bevor ihn die verheerende Attacke treffen kann, beginnt der geschundene Körper von Reißlaus auf einmal hell zu glühen!
 

Erschrocken zieht das lichtscheue Geister-Pokémon seinen Angriff zurück und entfernt sich hastig. Das grelle Licht scheint den ganzen Raum einzunehmen und macht es unmöglich etwas zu erkennen. Als es nachlässt, hockt Bromley noch immer ganz klein zusammengekauert auf dem Boden, während sich jetzt aber ein großer Schatten schützend über ihn erstreckt. Aus dem einstmals hellen Fiepen der Assel ist nun ein bedrohlich zischendes Fauchen geworden, das dem großen Samurai noch mehr Beeindruckendes verleiht. „Ein Tectass? Ich glaube es nicht...“, bringt Kukui stockend hervor, während der Schwarzhaarige langsam aufschaut. Er traut seinen Augen kaum, lag doch eben noch der schwer mitgenommene Körper seiner süßen Assel vor ihm und nun steht dort ein riesiger Krieger-Käfer hinter ihm. „Sweetheart?“, fragt er den Samurai irritiert.
 

Der schwergepanzerte Käfer senkt den Blick, streckt die breite Zunge heraus und leckt ihm sanft über die tränenfeuchten Wangen. Dann hebt sie wieder den Kopf, weil Mimigma lange genug gewartet hat und nun einen weiteren Angriff startet. Die gefährlichen Dunkelklauen halten erneut auf sie zu. Allerdings hat Tectass bei ihrer Entwicklung auch eine neue Attacke gelernt, die sie nun instinktiv einsetzt, um ihren Trainer zu beschützen. Mit den großen, krallenbesetzten Armen stürmt sie nach vorn, durchbricht Mimigmas Verteidigung, überrumpelt das Pokémon somit und landet einen harten Treffer, ehe das Geist seine Attacke einsetzen kann. Schwer vom Überrumpler getroffen schlittert das Lumpenwesen über den rissigen Boden und versteht im ersten Moment nicht einmal, was eigentlich passiert ist.
 

Viel Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, hat es auch gar nicht, da trifft ihn schon die harte Wasserdüse des Samurai und gibt ihm endgültig den Rest. In einer schwindenden Pfütze bleibt Mimigma reglos liegen, während seine Herrscher-Aura allmählich erlischt und der Kampf damit endlich zu Ende ist.
 


 

10
 

Stück für Stück schiebt sich die Sonne über den Horizont und verwandelt das Meerwasser erneut in ein feuriges Spektakel. Mit einem ratschenden Geräusch öffnet sich langsam der Reißverschluss des Zeltes und der Captain kommt gähnend heraus. Ein prüfender Blick auf seine Uhr verrät ihm, dass es Zeit wird die jungen Trainer von ihren Qualen zu erlösen. Die Nacht hindurch gab es ganz schönes Gerumpel in dem verlassenen Laden, scheinbar haben die Geister-Pokémon den beiden ziemlich zugesetzt. Daher empfindet es der Langhaarige fast schon als Wunder, dass sie die Prüfung nicht abgebrochen haben. Mit gemächlichen Schritten nähert er sich dem Eingang des Ladens und sperrt die Tür wieder auf. Im Schein der aufgehenden Sonne wird das ganze Ausmaß dessen offenbart, was passiert ist. Scharf saugt der Teenager die Luft ein und lässt den Blick schweifen. Nichts, aber auch gar nichts steht noch an seinem Platz. Der ganze Laden wurde praktisch neugestaltet.
 

Leicht schüttelt er den Kopf, doch ein kleines Lächeln liegt auf seinen Lippen. „Da habt ihr euch ja ganz schön ausgetobt.“, richtet er seine Worte an die unsichtbaren Wesen in dem verwüsteten Gebäude. Suchend blickt er sich nach den beiden Trainern um. Hier irgendwo werden sie sich verkrochen haben, doch in dem ganzen Durcheinander wird es nicht leicht sein sie zu finden. Vorsichtigen Schrittes bahnt er sich seinen Weg vorbei an umgestürzten Regalen, verbogenen Einkaufswagen, zerrissenen Kartons, verbeulten Dosen und allerhand mehr. „Jungs? Kommt her, die Prüfung ist vorbei! – Jungs?“ Der Captain lauscht in die bedrückende Stille des Ladens, doch nirgendwo regt sich auch nur das kleinste Bisschen. „Hey, sitzt ihr auf euren Ohren?“, fragt er nun lauter. Der Langhaarige hat schon den halben Laden durchquert und immer noch kein Lebenszeichen von den Trainern erhascht.
 

Allmählich kommt Sorge in ihm auf. Was ist, wenn ihnen tatsächlich etwas passiert ist? Er kennt seine Geister-Pokémon seit sie ganz kleine Gaswölkchen waren und vertraut ihnen, dennoch tragen sie ein schier unberechenbares Wesen in sich, das selbst er nicht einzuschätzen oder zu kontrollieren vermag. Und das vorherrschende Chaos hier verrät ihm ganz deutlich, dass es diesmal nicht besonders sanft zugegangen ist. „Verdammt...“, gibt er gepresst von sich. Zwar hatte er sich eine spektakuläre letzte Prüfung gewünscht, um zufrieden als Captain abdanken zu können, doch er hatte dabei allerhöchstens an nasse Hosen und nicht an verschwundene Kinder gedacht. „Der Inselkönig wird mich umbringen, wenn ich die Bengel nicht finde...“, entkommt es ihm betroffen. „Jungs? Nun kommt endlich raus! Hört ihr nicht?“, versucht er es ein weiteres Mal vergeblich.
 

Allerdings regt sich dann doch etwas. Dummerweise handelt es sich dabei nur um Nebulak. Unsicher schwebt der Gasball zu ihm heran. „Hey, Kumpel. Wo habt ihr die Trainer versteckt?“, fragt der Captain das Pokémon. Der Geist schwebt unschlüssig vor ihm herum und brabbelt etwas in seiner unverständlichen Sprache vor sich hin. Seufzend hört der Langhaarige ihm zu. Er versteht vielleicht nicht, was das Wesen ihm im Einzelnen mitteilen will, doch sein Tonfall gefällt ihm gar nicht. Irgendetwas ist also wirklich vorgefallen. Schließlich tauchen auch Alpollo und Gengar auf. Auch sie wirken etwas bedrückt und unsicher, können ihm aber auch nicht verständlich machen, was passiert ist. Allerdings muss es selbst ihnen Angst gemacht haben, weshalb nur einer dafür in Frage kommt. „Mimigma? Wo steckst du? Lass sofort die Jungs gehen!“, ruft der Captain angesäuert in den schummerigen Laden hinein.
 

Es dauert eine Weile, dann lässt sich der Herrscher tatsächlich blicken. Lautlos huscht das Lumpenwesen heran. „Da bist du ja. Wo sind die Trainer? Was hast du mit ihnen gemacht, um Himmels willen?“, tadelt er den Geist. Dieser druckst etwas herum, als wäre ihm die Antwort unangenehm. „Was hast du getan?“, fragt der Langhaarige nun aufgebracht. Das Geisterwesen blickt ihn plötzlich zornig an, fängt an zu schimpfen und dann huscht es ungehalten auf die offenstehende Tür zu. „Nein! Halt, warte!“, befiehlt der junge Mann, doch es ist bereits zu spät, Mimigma ist nach draußen entflohen und wird sich irgendwo bis zum Sonnenuntergang verstecken. Betroffen blickt er dem Pokémon hinterher und setzt dann seine aussichtslose Suche nach den Anwärtern fort.
 


 

11
 

Von alledem bekommen Bromley und Manuel nicht wirklich etwas mit. Arm in Arm liegen sie noch tief im Schlaf und versuchen das Geschehene der Nacht zu verarbeiten. Langsam beginnt sich jedoch Wolwerock zu regen. Verschlafen gähnt die Fähe und streckt sich dann ausgiebig. Sie wirft einen liebevollen Blick auf die beiden Trainer, die eng aneinander gekuschelt in den schützenden Armen von Tectass träumen. Dann setzt sie sich hin und blickt sich um. Der Raum, in dem sie gestern so erbittert gegen Mimigma gekämpft haben, hat wieder seine ursprüngliche Größe angenommen, weshalb er jetzt ziemlich beengt wirkt, besonders wo aus der kleinen Assel jetzt ein zwei Meter großer Krieger geworden ist. Allerdings findet der Wolf diese Enge ganz angenehm. Es erinnert sie an einen Bau und sie fühlt sich ihrem Rudel so noch viel verbundener.
 

Stillschweigend blickt sie auf den Spalt unter der Tür, der nun um einiges heller ist, als gestern Abend. Sie vermutet, dass inzwischen die Sonne aufgegangen sein muss. Prüfend schnüffelt sie und tatsächlich kann sie frische Luft riechen. Nun mischen sich auch Schritte und Stimmen dazu. Etwas Vertrautes, es klingt wie der junge Mann, der sie hier hereingelassen hat, zudem die Stimmen der drei Geister-Pokémon, die sich ihre fiesen Spielchen mit ihnen erlaubt haben. Beim Gedanken daran schleicht sich ein verstimmtes Knurren die Kehle des Wolfes empor. Jedoch wird es nicht laut, da sich die Geister irgendwie komisch anhören – betroffen, fast schon verschreckt. Die Fähe legt den Kopf schief. Etwas scheint die anderen Pokémon zu beunruhigen und das überträgt sich auch auf den Captain.
 

Nicht lange später beginnt er mit dem Herrscher zu schimpfen, der seinen Fehler jedoch nicht einsehen will und schließlich verschwindet. Schließlich sind nur noch die Schritte des jungen Mannes zu hören und seine Rufe – alle Geister haben sich verzogen. Jegliche Gefahr scheint also vorbei. Gut, dann können sie diesen unheimlichen Ort ja endlich verlassen. Die Fähe wendet den Kopf zu den drei anderen herum. Im Halbdunkeln kann sie sehen, dass sie von Sweetheart angestarrt wird. Es ist schon merkwürdig sie so zu sehen, so groß und imposant, weit entfernt von der schreckhaften Assel, die sie vor wenigen Stunden noch gewesen ist. Dennoch fühlt sich Wolwerock sehr wohl in ihrer Nähe, sind sie doch nun beide erwachsen und können unerschrocken auf die beiden Jungs aufpassen.
 

Als hätte Tectass ihre Gedanken gelesen, schließt sie ihre großen Arme noch enger um die beiden Trainer und raunt der Fähe durch ihre Barten hindurch zu. Das Gesteins-Pokémon nickt zustimmend zurück. Es wäre zwar eine unglaubliche Schande die zwei zu wecken, doch es muss sein. Dies ist kein Ort, an dem man länger als nötig bleiben sollte. Sanft gleitet Wolwerock mit ihrer warmen Zunge über Manuels Wange, bis er sich zu regen beginnt. Gähnend reibt er sich die Augen und richtet seine Brille. „Was...?“, fragt er verschlafen und versucht sich zu orientieren. Er braucht eine Weile, ehe es ihm im Halbdunkeln gelingt. Dann jedoch hört er die nahezu verzweifelten Rufe des Captains und ihm wird klar, dass es Morgen ist und sie sich immer noch in diesem seltsamen Hinterzimmer befinden, nur das es jetzt wieder seine ursprüngliche Größe angenommen hat.
 

Er gähnt noch einmal und dann setzt er sich vorsichtig hin. Tectass öffnet ihre Arme, um ihm Platz zu machen und wird dabei überrascht von dem Brillenträger betrachtet. Schließlich fällt ihm wieder ein, was alles passiert ist und er streicht dem riesenhaften Käfer etwas zaghaft über die gepanzerte Brust. Der Samurai gibt ein fast schon schnurrendes Geräusch von sich und gleitet dann mit seiner breiten Zunge über Bromley´s Wange. Murrend versucht sich der Schwarzhaarige dem zu entziehen, doch dann wird er von Kukui wachgerüttelt. „Du musst aufstehen, es ist schon Morgen.“, teilt er seinem Partner mit und erhebt sich. „Mir doch egal...“, brummt der andere Junge und kuschelt sich enger an das große Pokémon. Dieses leckt ihm wieder über die Wange, wodurch er dann doch die Augen öffnet. „Is‘ ja gut, lass das...“, kommt es mit belegter Stimme von ihm. Dann starren sich die beiden einfach nur an, bis Bromley realisiert, dass Reißlaus nicht mehr da ist.
 

„Geiler Scheiß!“, platzt es aus ihm heraus und er steht auf, um den großen Krieger genauer zu betrachten. Manuel gönnt ihm einen Moment, dann dringt wieder die immer verzweifelter werdende Stimme des Captains in sein Ohr. „Wir müssen los. Man sucht schon nach uns.“, teilt Kukui ihm dann mit.
 


 

12
 

„Das kann doch einfach nicht wahr sein. Wo stecken die Bengel bloß...?“ Die Verzweiflung steht dem jungen Mann deutlich ins Gesicht geschrieben und immer schaurigere Dinge formen sich in seinem Kopf, was Mimigma mit ihnen angestellt haben könnte. „Suchste etwa uns?“, mischt sich plötzlich eine andere Stimme ein. Erschrocken wendet sich der Langhaarige um und traut seinen Augen kaum. „Da seid ihr ja! Um Himmels willen, wo habt ihr denn bloß gesteckt? Ich habe schon den ganzen Laden abgesucht...“, tadelt er die beiden halbherzig. „Wir waren in dem Hinterzimmer und mussten erst einmal wach werden. Daher haben wir dich nicht gleich gehört.“, entschuldigt sich der Brünette. Verwundert mustert sie der Größere. „Hinterzimmer? Hier gibt es gar kein Hinterzimmer...“ „Logo, da drüben. Siehste?“, gehaart Bromley und zeigt auf die Tür. Allerdings ist dort keine mehr. Nichts deutet daraufhin, dass es dort jemals eine gab. „Krasser Scheiß, die is‘ weg...“
 

Mit erhobener Augenbraue betrachtet sie der Captain. „Ich denke, ihr wart etwas zu lange hier drin, Leute. – Doch egal, es ist Morgen und ihr könnt wieder raus. – Und ich denke, ihr seid dem Herrscher begegnet. Mimigma schein mir ziemlich aufgebracht.“ „Ja, es war wirklich erschreckend. So einen heftigen Kampf habe ich noch nie erlebt, aber wir haben es geschafft.“, erläutert der Brillenträger und zeigt ihm die Z-Kristalle von Typ Geist, die das Lumpenwesen ihnen dagelassen hat. „Habe ich mir schon fast gedacht. – Somit habt ihr die Prüfung bestanden und könnt euch jetzt dem Inselkönig in Po‘u stellen, damit ihr zur letzten Insel – Poni – gehen könnt. Und falls es euch interessiert, der König kämpft mit Elektro-Pokémon. Also viel Glück, Jungs.“ Der Langhaarige versucht sich an einem Lächeln, dennoch macht ihm Sorgen, was in dieser Nacht wohl alles passiert sein mag. Nach außen hin lässt er sich das aber nicht anmerken, ist irgendwie froh, dass es die letzte Prüfung war, die er abhalten durfte und er den Geister-Pokémon somit ihre verdiente Ruhe gönnen kann. Langsam führt er die Jungs zurück nach draußen ins Sonnenlicht und blickt ihnen noch eine ganze Weile nach, als sie den tiefschwarzen Strand zurück zum Dorf der Kapu entlanggehen.

The Palm strikes back


 

1
 

In der Zwischenzeit sind drei weitere Monate ins Land gezogen und die Jungs haben erfolgreich ihren Kampf gegen den Inselkönig von Ula-Ula bestritten. Rückblickend betrachtet war dies wohl der leichteste Kampf, den sie auf ihrer ganzen Inselwanderschaft bestehen mussten, weil Kukui ganz klar einen Typenvorteil hatte. Da Wolwerock ein Gesteins-Pokémon ist und die Prüfung dem Typ Elektro unterlag, biss sich das Inseloberhaupt förmlich die Zähne an ihm aus, da Elektrizität keinerlei Wirkung auf Stein hat. Da half es auch nichts, dass Tectass als halber Wassertyp eine ziemliche Schwäche dagegen aufwies. Mit einem verständlicherweise guten Gefühl sind die beiden nun zur letzten Insel ihrer Wanderschaft aufgebrochen – Poni. Doch hier wird es ihnen wohl kaum noch einmal so leichtfallen.
 

Poni ist eine sehr trockene und eher menschenfeindliche Insel, die von einem riesigen, irrgartengleichen Canyon dominiert wird, weshalb es hier auch kein richtiges Dorf gibt. Die wenigen Leute, die sich hierher verirrt haben, gehören zum Seevolk und ziehen es vor, so nahe wie möglich am oder auf dem Wasser zu leben. Daher ist das Markanteste an Poni wohl der weitläufige Anlegepunkt mit seinen unzähligen Hausbooten. Lediglich ein einziges Pokémon-Center gibt es auf der gesamten Insel und dieses befindet sich hier, weshalb man sich sehr gut vorbereiten sollte, bevor man das Gebiet leichtsinnig erkunden will. Zu Poni gehört allerdings auch noch eine kleine Nachbarinsel, die einen krassen Gegensatz zu ihrer großen Schwester bildet. Kokowei-Island, wie diese markant geformte Insel genannt wird, ist eher üppig bewachsen und fast vollkommen unberührt von Menschenhand. Wie der Name auch schon sagt, leben hier nur Kokowei und ihre Vorstufe Owei. Anderen Pokémon und Menschen ist es nur im Zuge einer Prüfung und in Begleitung eines Captains oder Königs erlaubt, die Insel zu betreten, um das natürliche Gleichgewicht nicht zu zerstören.
 

Genau darauf legen es die zwei Jungs jetzt aber an, weshalb sie nahezu ungeduldig am äußersten Steg des Dorfes darauf warten, dass der Captain auftaucht und sie mit zur Nachbarinsel nimmt. Im Pokémon-Center haben sie erfahren, dass es in dieser Prüfung um einen Z-Kristall vom Typ Drachen geht und das es diesen in Form einer Prüfung erst seit einem Monat gibt. Der letzte Captain, der diese Prüfung abgehalten hat, überschritt schon vor einigen Jahren das zulässige Alter, weshalb Anwärter den Z-Kristall danach in den Tiefen des Canyons suchen mussten und allein das Finden als Prüfung gewertet wurde. Doch glücklicherweise ist nun Ersatz gefunden, wenn auch nicht in reiner Form.
 


 

2
 

Träge mit der Hand über den Nacken des großen Samurai streichelnd, sitzt Bromley auf dem hölzernen Steg und starrt auf das Meer hinaus. Tectass hat sich flach auf den Bauch gelegt und ihren Kopf auf den Schoß des Jungen gebettet. Sichtlich genießt sie seine liebevollen Berührungen und döst mit geschlossenen Augen vor sich hin. Gähnend streckt sich Wolwerock auf den Planken aus und reckt alle viere von sich, während Manuel neben ihr sitzt und akribisch seine Brille putzt. „Yo, hab‘ ich das richtig verstanden? Diesmal geht’s um den Drachentyp?“, fragt der Schwarzhaarige nach einer Weile. „Ja, so hat es uns der Mann im Pokémon-Center gesagt.“, bestätigt der Kleinere. „Auf der Insel leben doch aber nur Kokowei und der Herrscher is‘ eins davon?“ „Ja, auch das stimmt.“, erwidert Kukui und setzt die Brille wieder auf. „Ich dacht‘ immer, Kokowei is‘ ‘n Pflanzen-Pokémon...“, kommt es nachdenklich von dem Jüngeren. „Das ist auch richtig. Doch als zweiten Typ hat es Drache, genau wie seine Vorstufe Owei als zweiten Typ Psycho hat.“, erläutert der Brünette mit lehrerhaft erhobenem Finger.
 

Bromley legt die Stirn in Falten. „Zählt ‘n das überhaupt? Ich mein‘, alle andren Prüfungen war’n doch vom Typ des Z-Kristalls bestimmt.“ Nachdenklich blickt nun der andere Junge aufs Meer hinaus. „Jetzt, wo du es erwähnst. – Doch ich denke mal, dass das so in Ordnung ist. Immerhin hat der Mann im Pokémon-Center ja auch gesagt, dass sie schon etliche Jahre keinen Drachen-Trainer für die Prüfung mehr hatten und das jetzt sicher so etwas wie eine Übergangslösung ist, bis sich ein Richtiger findet. – Den Kristall im Canyon suchen zu müssen, war sicher zu gefährlich, wenn man noch so unerfahren ist. Nicht umsonst dürfen wir ihn erst betreten, wenn wir Champions sind. Drachen zu trainieren ist außerdem eine sehr schwierige Angelegenheit, da sie sehr stur und stark sind und sich nur ungern jemandem unterordnen, selbst in jungen Jahren. Das erfordert sehr viel Erfahrung und Disziplin, was wahrscheinlich viele junge Trainer abschreckt.“
 

„Na schön...“, kommt es gähnend von dem Schwarzhaarigen, ehe er sich nach hinten auf den Steg legt, die Hände unter dem Kopf verschränkt und zu einem Nickerchen ansetzt. So weit kommt er allerdings nicht, da er plötzlich in das strahlende Gesicht eines jungen Mädchens blickt, das ihn zuckersüß anlächelt. „Heilige Scheiße...“, gibt er erschrocken von sich und zuckt zusammen. Das weckt auch Sweetheart, die augenblicklich den gewaltigen Kopf anhebt und tief in der Kehle zu fauchen beginnt. Manuel wendet sich ebenfalls um und entdeckt die Rothaarige. „Hey Jungs!“, flötet sie liebenswert und ignoriert dabei scheinbar vollkommen, dass Tectass sich drohend erhebt, um sie auf Abstand zu halten. Bromley richtet sich wieder auf und hält den aufgebrachten Samurai zurück, worauf dieser leicht widerwillig eingeht. „Oh hallo. Weißt du zufällig, wo sich der Captain aufhält? Wir sollen nämlich hier auf ihn warten.“, bringt Kukui schließlich hervor.
 

Das Mädchen, kaum so alt wie die beiden, lächelt wieder zuckersüß und kichert. „Ja, das weiß ich. Er steht vor euch!“, gluckst sie vergnügt. „Echt jetz‘?“, gibt der Käfer-Trainer irritiert von sich und mustert sie von oben bis unten. Die Rothaarige wirkt so jung und zierlich, dass es einem Wunder gleichkommt, dass sie überhaupt etwas mit Pokémon zu tun hat und dann auch noch mit einem so gewaltigen und unbeherrschten, wie Kokowei. Auf Bromley’s Worte hin fängt sie leicht an zu schwollen und schiebt die Unterlippe vor. „Ja, wenn ich es doch sage! Was ist daran so schwer zu verstehen? Immerhin bin ich ja nicht der einzige weibliche Captain!“, verstimmt verschränkt sie die Arme unter der Brust, die erst frühestens in einem Jahr zu wachsen beginnen wird. Manuel verpasst seinem Kollegen einen Knuff in die Seite, woraufhin dieser ihn verständnislos ansieht. „So war das keinesfalls gemeint, ehrlich! Du siehst nur so jung und zierlich aus, dass es schwer zu glauben ist, dass du mit zehn Meter großen Kokowei arbeitest.“, erklärt sich der Brillenträger.
 

Der Captain sieht ihn prüfend an, kann seinen Worten aber nichts Negatives entnehmen. Daher lächelt das Mädchen wieder honigsüß über das ganze Gesicht. „Hach, ich finde sie einfach nur unglaublich niedlich, egal wie groß sie sind! Und wartet erst, bis ihr das Herrscher-Pokémon gesehen habt, das ist über zwanzig Meter hoch! Bei klarer Sicht kann man es von hier aus über die Insel laufen sehen!“, schwärmt sie begeistert und deutet aufs Wasser hinaus. In der Ferne ist das grüne Eiland als dunkler Umriss im tiefen Blau zu erkennen. Kaum vorstellbar, dass auf diesem kleinen Stück Land ein so gewaltiges Wesen wohnen soll. Noch ist davon allerdings nichts zu sehen, wobei die beiden Jungs sich nicht sicher sind, ob das gut oder schlecht ist.
 

„Nun kommt schnell, damit wir anfangen können! Ich bin ja so aufgeregt, was ihr zu meiner Prüfung sagen werdet! Ihr seid nämlich die Ersten, die sie machen und ich will eure ehrliche Meinung dazu hören. Ich habe mir etwas ganz Spezielles ausgedacht, dass ihr so ganz sicher noch nicht gesehen habt!“, aufgeregt tippelt sie von einem Bein aufs andere, als müsste sie ganz dringend aufs Klo. Dann packt sie Kukui am Arm, hilft ihm stürmisch auf die Füße, nur um ihn dann den Steg entlang zu einem Boot in Form eines Karpador zu ziehen. Etwas überrumpelt lässt er es geschehen und Bromley folgt ihm grinsend mit den Pokémon.
 


 

3
 

Das Grinsen vergeht ihm auf der fast zweistündigen Überfahrt jedoch ziemlich schnell wieder. Während das Karpador-Boot nahezu gemächlich über die ruhige See gleitet, kämpft Bromley mit seiner Beherrschung. Er weiß nur zu gut, dass er sich zusammenreißen muss, sonst dürfen sie die Prüfung ganz sicher nicht machen, aber es ist so schrecklich schwer. Völlig verkrampft sitzt er da, hält die Hände zu festen Fäusten im Schoß geballt, knurrt stumm in sich hinein und wirft der Rothaarigen totbringende Blicke zu, die diese aber gekonnt ignoriert oder gar nicht erst bemerkt. Ist auch kein Wunder, da sie scheinbar nur Augen für Manuel hat. Sie hockt mit ihrem zuckersüßen Lächeln so dicht neben ihm, dass es an Zauberei grenzt, dass sie ihm nicht gleich auf den Schoß gesprungen ist. Der Brünette ist damit jedoch sichtlich überfordert und erwidert ihre Annäherungsversuche zum Glück auch nicht, aber in dem Schwarzhaarigen kocht es dennoch.
 

Ein vollkommen irrationales Gefühl der Eifersucht hält ihn in seinen Klauen und betrachtet den Captain als potentielle Gefahr für ihre, wie er sich immer wieder vehement versucht einzureden, nur freundschaftliche Beziehung. Als hätte sie die Macht ihm Kukui einfach so wegzunehmen. Dabei versteht Bromley nicht einmal ganz, wo diese Eifersucht herkommt. Klar, sie ist ein Mädchen und wäre somit berechtigt mit dem Brünetten eine Beziehung einzugehen, die weit über Freundschaft hinausgeht, wenn dieser das wollen würde. Der Käfer-Trainer ist immerhin nur mehr oder weniger sein Kumpel und wenn sie die Inselwanderschaft beendet haben, wird wahrscheinlich jeder seinen eigenen Weg einschlagen und sie sich schnell aus den Augen verlieren, doch muss es wirklich sein, dass sich bis dahin jemand zwischen sie drängelt? Und dann auch noch so ein ausgeflipptes, nerviges Huhn? Ganz sicher nicht!
 

Tief versucht der große Junge durchzuatmen und dem nagenden Verlangen, die Kleine zu packen und sie irgendwo unter Deck anzubinden, damit sie ihre schmutzigen Finger von Manuel lässt, zu widerstehen. Es fällt ihm wirklich schwer und mit jedem Zentimeter, den dieses Miststück näher rückt, geht ein Teil seiner Beherrschung verloren. Manuel scheint ihm anzusehen, dass er ein Problem damit hat, auch, wenn der Brillenträger genauso wenig wie er versteht, wieso. Dennoch findet er Bromley’s Gefühlslage keineswegs unpassend. Er fühlt sich von diesem Mädchen so dermaßen bedrängt, dass er eigentlich nichts dagegen hätte, wenn der andere sie ihm vom Leib halten würde. Andererseits ist ihm natürlich auch klar, wie das enden wird. Schließlich ist Bromley nicht gerade für seine sanfte und liebevolle Art bekannt, erst recht nicht, wenn ihm etwas gegen den Strich geht, und wenn er ihm freie Hand lassen würde, könnten sie nicht nur diese Prüfung vergessen, sondern gleich die ganze Inselwanderschaft.
 

Also wirft er seinem Kollegen einen hilflosen Blick zu, der all sein Unwohlsein ausdrückt, dennoch dem anderen aber zu verstehen gibt, dass er sich zurückhalten muss. Schnaubend gibt sich der Schwarzhaarige mehr oder weniger damit zufrieden. Oder zumindest versucht er es. Dann jedoch rückt die Rothaarige noch näher heran, schmiegt sich mit einem tiefen Seufzen an seinen Arm, den sie schon die ganze Fahrt über so fest umklammert hält, dass Manuel seine Finger schon bald nicht mehr spüren kann. Verträumt wirft sie dem Brünetten schmachtende Blicke zu. Kukui sitzt schon so weit in die Ecke der Kabine gedrängt da, dass er einfach nicht mehr ausweichen kann. Überfordert versucht er das Gesicht von ihr abzuwenden, doch sie lässt ihm nicht wirklich eine Chance. Doch Bromley reicht es nun ein für alle Mal. Aufgebracht springt er von seinem Sitz, setzt zu einer überaus unschönen Schimpftirade an und streckt die Hand nach ihr aus, um sie von ihm wegzuziehen. Allerdings kommt er nicht dazu, seinem Zorn freien Lauf zu lassen, da geht plötzlich eine kleine Erschütterung durch das Boot.
 

Mit einem freudigen Quicken blickt das Mädchen aus dem Fenster und trennt sich dann aufgeregt von Manuel. „Wir sind da!“, flötet sie vergnügt und verlässt das Boot, ehe die Jungs auch nur ein Wort sagen können. Völlig perplex sehen sich die beiden einem Moment lang an. Dann streckt Bromley die Hand aus und zieht Kukui vom Sitz hoch. Dieser sieht ihn nur dankbar an und lächelt matt, was der andere etwas schwerlich erwidert. Innerlich versuchen beide jedoch dem überaus starken Drang zu widerstehen, sich fest in die Arme zu schließen und sich nicht mehr so bald loszulassen. In jeder anderen Situation hätten sie dem wohl nachgegeben, doch sie fürchten, dass der Captain sie sehen könnte, dann vielleicht enttäuscht wäre und sich das dann unschön in ihrer Prüfung widerspiegeln würde. Also verlassen sie nacheinander das Boot und folgen dem aufgekratzten Mädchen auf die Insel.
 


 

4
 

„Nun trödelt doch nicht so, Jungs! Oder seid ihr etwa Seekrank geworden?“, ertönt auch sogleich wieder die Stimme des Captains, kaum, dass die beiden das Boot verlassen haben. Gekonnt ignoriert der Brünette das Ganze und legt seinem Kollegen beruhigend eine Hand auf die Schulter. Bromley gibt ein verstimmtes Schnaufen von sich. „Wenn die Prüfung nich‘ bald vorbei is‘, dann werd‘ ich noch völlig verrückt mit der...“, presst der Schwarzhaarige zwischen den Zähnen hervor. Bei jedem anderen Menschen würde Kukui diese Aussage selbstverständlich für einen Witz halten, einfach um die bescheidene Lage auszudrücken, doch bei dem Käfer-Trainer ist er sich nicht sicher, ob dem nicht wirklich so sein könnte. Leichte Sorge schwingt in seinen Gedanken und er hofft, dass sie bald anfangen und den Captain für eine Weile vergessen können.
 

Im Moment aber betrachten sie sich erst einmal die Insel. Kokowei Island hat entfernt Ähnlichkeit mit einem Hundeknochen – an beiden Enden ausladend und fast rund, in der Mitte dafür ziemlich schmal. Die Menschen von Alola sehen in diesem Äußeren jedoch eher die Form eines Kokowei. Dies und die Tatsache, dass dort nur sie mit ihren Vorstufen leben, haben der Insel auch ihren Namen verliehen. Bildlich gesehen befindet sich der Anlegepunkt am Schwanz der Palmeninsel, der als kleiner Zipfel ins Meer ragt. Und genau hier stehen die drei jetzt. Das Eiland an sich ist eher trocken, dennoch ist es von üppigen, dichten und teilweise ziemlich hohen Grasbüscheln durchzogen, die auf dem sonst eher kargen Grund lebendige Flecken erzeugen. Je weiter man in Richtung des Kopfes der Insel vordringt, desto grüner wird die Landschaft, aber auch hügliger. Ganz an seiner Spitze befindet sich ein Plateau, an dem vor langer Zeit dem Herrscher der Insel gehuldigt wurde.
 

Zum Schutz der Pokémon und der Landschaft geschieht dies heute zwar nicht mehr, doch der Schrein auf dem Plateau existiert noch heute und dient jetzt insbesondere dem Captain oder Inselkönig als Anlaufpunkt oder für altertümliche Rituale. Die Pokémon, die auf diesem Stück Land leben, setzen daher alles daran, ihren Frieden zu bewahren und vertreiben jeden, der die Insel unbefugt betritt. Sie genießen ihre Abgeschiedenheit und so soll es auch bleiben, weshalb die neuerliche Prüfung für sie ein ziemliches Ärgernis darstellt. Noch ist allerdings alles friedlich und trotz seiner gewaltigen Größe ist vom Herrscher-Pokémon noch nichts zu sehen.
 

„Hach, ist es nicht wirklich schön hier?“ Erwartungsvoll blickt sie das junge Mädchen an. „Das stimmt. Fast schon eine Schande hier...“, Kukui kann den Satz nicht mehr beenden, da wird er von einer Erschütterung durchgerüttelt. Überrascht blicken sich die Jungs an, doch der Captain bleibt völlig ruhig. Die Erschütterung hält an und nähert sich sogar der Truppe. Schon nach kurzer Zeit wird klar, dass es sich dabei um das gewaltige Kokowei handelt, das hier den Herrscher mimt. Sein gigantischer Körper erhebt sich aus dem Gras und bewegt sich zielstrebig auf die Truppe zu. Jeder seiner Schritte lässt den Boden beben, was es wirklich erstaunlich macht, dass die kleine Insel das überhaupt aushält. Mit einem gewissen Abstand bleibt die wandelnde Palme vor ihnen stehen. Sein Kopf berührt schon fast die leichten Schleierwolken, die gemächlich über den Himmel ziehen. Mit nur einer einzigen Bewegung seines riesigen Fußes könnte es die drei einfach zerquetschen und würde dabei wahrscheinlich noch nicht einmal merken, dass es auf etwas draufgetreten ist.
 

„Ach, du heilige Scheiße...!“, entkommt es Bromley atemlos, während er den Kopf weit in den Nacken legen muss, um nach dem Gesicht des Herrschers Ausschau zu halten. Manuel tut es ihm gleich. Dabei werden seine Beine jedoch ganz weich und in einem unbeobachteten Moment klammert er sich kurz am Arm seines Partners fest, um nicht umzufallen. Als die Rothaarige allerdings das Wort ergreift, lässt er ihn ganz schnell wieder los. „So ein wundervolles Kokowei habt ihr sicher noch nie gesehen! Ich bin ja so stolz darauf!“, flötet das Mädchen und nähert sich ungeniert dieser riesigen Pflanze. Gebannt halten die Anwärter die Luft an, als sich der überdimensionale Kopf des Wesens herabsenkt und seine Stimme die Stille zerreißt. Erstaunlich sanft drückt die Palme ihre drei einzelnen Köpfe gegen das Gesicht des Mädchens, während sein Schwanz vergnügt von einer Seite zur anderen schwingt, wie bei einem Hund. „Ich habe dich auch vermisst, mein Süßer! Geht es dir gut? – Ich habe dir zwar Jungs mitgebracht, die die Prüfung machen wollen. Denkst du, dass du bereit dafür bist?“
 

Sie löst sich etwas von dem Pokémon und sieht es durchdringend an. Die drei Gesichter des Kokowei wirken einen Moment nachdenklich, dann bekundet das Wesen seine Zustimmung und richtet sich wieder zu seiner vollen Größe auf. Von dort oben herab mustert es die beiden Anwärter stillschweigend, aber sehr durchdringend. Der Captain gönnt dem Herrscher fast eine Minute, dann erhebt sie wieder die Stimme. „So, ich denke, es ist alles in Ordnung. Mein süßes Kokowei hat seine Zustimmung gegeben, also erkläre ich euch jetzt mal, was ich mir für eine Prüfung ausgedacht habe. Sie verläuft ein bisschen anders, als die anderen. Ich wollte einfach mal etwas Neues ausprobieren. – Seht ihr dahinten das Plateau?“, beginnt sie und deutet in die Ferne.
 

„Dort befindet sich ein Schrein, indem der Z-Kristall vom Typ Drache liegt. Eure Aufgabe besteht jetzt darin, ihn zu holen und hierher zu bringen.“ Verwundert sehen sich die Jungs an. „Echt jetz‘? Das is‘ doch viel zu einfach!“, entkommt es Bromley mit siegessicherem Blick. „Da gibt es doch sicherlich einen Haken?“, fragt Kukui und nimmt seinem Partner damit etwas den Wind aus den Segeln. „Natürlich gibt es einen Haken, sonst wäre es ja auch keine Prüfung, wenn ihr einfach rüber lauft und ihn holt. Hier überall auf der Insel haben sie unzählige Owei versteckt, die euch jederzeit angreifen können. Sie werden versuchen, euch am Weiterkommen zu hindern, also tretet gegen sie an. Der Lärm, den die Owei machen, lockt aber das Herrscher-Pokémon an, das euch ebenfalls daran hindern wird, an euer Ziel zu kommen. Um das Ganze etwas anspruchsvoller zu machen, dürft ihr Kokowei aber keinerlei Schaden zufügen, dennoch müsst ihr es besiegen, damit sich die Owei zurückziehen.“
 

Bromley legt fragend die Stirn in Falten. „Wie jetz‘? Wir soll’n es plattmachen, ohne es anzugreifen? Das geht doch gar nich‘!“, entkommt es ihm aufgebracht. Ein verspieltes Lächeln legt sich auf die Züge der Rothaarigen. „Doch, das geht. Ihr müsst nur herausfinden, wie. Und solltet ihr es wagen, irgendeinen Angriff gegen mein süßes Kokowei zu starten und sei es nur ausversehen, dann ist die Prüfung auf der Stelle vorbei!“ „Das is‘ einfach nich‘ dein Ernst!“, erwidert der Schwarzhaarige verstimmt. „Doch, das ist es und jetzt fangt an, ehe die Pokémon ungeduldig werden.“
 


 

5
 

Mit einem etwas seltsamen Gefühl steigen die beiden die Anlegestelle hinauf und betreten die Insel damit erst so richtig. Das riesige Herrscher-Pokémon hat ihnen den Rücken zugedreht und die Augen geschlossen. Es wartet auf einen Laut der Owei, der die Jungs verrät. Von den Eieransammlungen ist bis jetzt aber noch nichts zu sehen. Friedlich erstreckt sich die flache Ebene der Insel vor ihnen, nur durchzogen von einigen großen Grasbüscheln, die wie fallengelassene Farbkleckse die Gegend völlig willkürlich überziehen. „Na, dann...“, verkündet Bromley und zieht einen Pokéball aus seiner Tasche. Für die Überfahrt auf dem kleinen Boot mussten ihre Begleiter leider in ihre Behausungen, auch, wenn das keiner Seite sonderliche Freude gemacht hat. Umso glücklicher sind Tectass und Wolwerock jetzt, wo sie wieder an der frischen Luft sein und ein Auge auf ihre Trainer haben können. Dementsprechend fällt auch die Begrüßung sehr herzlich aus. Die Fähe wirft Kukui mit ihrer Freude fast um und leckt ihn dann auch noch so gründlich ab, dass er sich wohl für die nächsten Wochen das Waschen sparen kann. Ähnlich sieht es bei dem Schwarzhaarigen aus. Allerdings schließt ihn der Samurai in die Arme und drückt ihn fest an sich, sodass ihm beinahe die Luft wegbleibt. Hinzu kommt auch hier ein ausgiebiges Ablecken, das scheinbar kein Ende nehmen will.
 

Kichernd schmiegen sich die beiden an ihre Pokémon und genießen ihre Anhänglichkeit für eine Weile. Dann jedoch besinnen sie sich wieder auf die Aufgabe, die vor ihnen liegt und erläutern ihren Begleitern, was diesmal zu tun ist. Nahezu ehrfürchtig betrachten der Wolf und der Käfer den gewaltigen Herrscher, der ihnen immer noch ungerührt den Rücken zuwendet. Ihn nicht angreifen zu dürfen, ist wahrscheinlich eine wirklich gute Idee, zumal dieser riesige Brocken vermutlich eh kaum etwas von ihren Attacken bemerken würde, wenn sie nicht sehr effektiv sind. Andererseits darf das Kokowei ja sie attackieren und sich vorzustellen, wie das dann bei dieser Größe aussehen könnte, will sich keiner von ihnen so genau. Also müssen die vier sehen, dass sie so unbemerkt und schnell wie möglich Richtung Schrein kommen, damit möglichst wenige Owei sie entdecken und Alarm schlagen.
 

Vorsichtig setzt sich die Truppe in Bewegung und hat dabei die Umgebung im Blick. Die Eier verstecken sich mit Sicherheit im hohen Gras und sind so völlig unsichtbar für die Jungs. Ein wenig hegen sie aber die Hoffnung, dass Wolwerock ihren Duft auffängt oder ein Geräusch lokalisiert, ehe die Owei zu lärmen beginnen. Langsam gehen sie auf ein besonders großes Grasfeld zu, in dessen Mitte sogar ein kleiner Baum steht. Schlagartig bleibt das Gesteins-Pokémon stehen und starrt ins dichte Grün. Manuel hat ihr eingeschärft, dass sie leise sein müssen, weshalb sich die Fähe ein Knurren verkneift und ihre Entdeckung nun eher wie ein Jagdhund anzeigt. Nervosität macht sich in den Trainern breit. Dann fängt es im Gras an zu rascheln. Mit angehaltener Luft starren alle auf die Stelle. Das Grün beginnt sich zu teilen und dann rollt ein Owei heraus. Die sechs Eier, die zusammen das Pokémon bilden, blicken die Truppe neugierig an. Kurz darauf grinsen sie durchtrieben über ihre ganze Schale. Das kann nichts Gutes bedeuten. „Oh-oh...“, entkommt es dem Brillenträger noch, dann lässt das Owei einen markerschütternden Schrei erklingen, der selbst einem Tauben in den Ohren wehgetan hätte.
 

Überfordert wendet sich die Truppe herum, um dem Lärm etwas zu entgehen. „Wir müssen es zum Schweigen bringen!“, versucht Kukui sich verständlich zu machen. Bromley nickt nur. „Sweetheart, Überrumpler!“, befiehlt er dem großen Samurai. Die Augen des Käfers glühen kampfbereit auf und er stürmt mit einer irrsinnigen Geschwindigkeit nach vorn, trifft die Eier heftig und setzt sie so Schach matt. Das passiert innerhalb eines Sekundenbruchteils, so kommt es dem Brünetten zumindest vor. Reißlaus war damals schon sehr schnell, aber auch ziemlich klein, was ihr das Überleben gesichert hat. Seit es sich entwickelt hat, ist es aber zwei Meter groß und fast neunmal so schwer wie vorher. Tectass‘ Körper ist fast vollständig mit einer harten und schweren Panzerung bedeckt, die es trotz seines Samurai gleichen Aussehens plump und langsam wirken lässt. Doch davon sollte man sich nun wirklich nicht hinters Licht führen lassen, denn bei Tectass ist das Äußere Programm. Insbesondere bei diesem Angriff, der so unglaublich schnell erfolgt, dass der Gegner keine Chance mehr hat seine eigene Attacke einzusetzen, wird dies deutlich. Somit gleicht der Käfer seinem kriegerischen Vorbild nicht nur äußerlich, sondern auch in Punkto Kraft, Geschicklichkeit und Schnelligkeit, was Tectass zu einem schrecklichen und gefährlichen Gegner macht, den man keinesfalls unterschätzen sollte.
 

Völlig k.o. bleibt das Owei im Gras liegen und für einen Moment herrscht wieder friedliche Stille. Dann jedoch beginnt der Boden zu zittern. Nicht besonders glücklich darüber, wie die Trainer seine Freunde behandelt haben, nähert sich nun zornig das Kokowei. Mit großen Schritten stapft es heran, während sein Körper violett zu glühen beginnt. Es schwingt seine drei Köpfe im Kreis und lässt sie dann mit unglaublicher Wucht zu Boden sausen. Tectass und Wolwerock springen behände zur Seite und entgehen dem Angriff damit nur knapp. Kukui hingegen ist wie erstarrt, als der gewaltige Herrscher auf sie zuhält und rührt sich nicht, obwohl er genau in der Trefferzone steht. Im letzten Augenblick wirft sich Bromley gegen ihn und die zwei landen im hohen Gras, außer Reichweite des Angriffs.
 

Als sich der erste Schreck wieder legt, blickt Manuel zu seinem Kollegen auf, der noch immer über ihm gebeugt dahockt und ihn vor einer möglichen Gefahr abzuschirmen versucht. Wäre dies kein so kritischer Moment, hätte es etwas sehr Reizvolles an sich – so gemeinsam im hohen Gras zu liegen und sich tief in die Augen zu sehen. Kukui wird ganz schwindlig bei der Vorstellung und auch dem Schwarzhaarigen huscht ein roter Schimmer über die Wangen hinweg, als er auf den Untenliegenden hinabsieht und sich bewusstwird, wie nahe sie sich gerade doch sind. Er schluckt etwas schwerlich. „Alles in Ordnung?“, fragt er den Älteren. Manuels Wangen färben sich ebenfalls dunkler und er sieht etwas scheu zu dem großen Jungen hinauf. „Ja, ich denke schon.“ Nur im Unterbewusstsein bekommen die beiden mit, wie sich das Kokowei wieder abwendet, da es seine Gegner aus dem Augen verloren hat. Erst, als sich ihre beiden Pokémon zu ihnen gesellen, um Schutz zu suchen, realisieren die Jungs ihre unangebrachte Stellung und trennen sich etwas widerwillig voneinander.
 

Geduckt hocken die vier dann weiterhin im Gras und beobachten, wie sich der Herrscher zurückzieht. Erleichtert atmen sie durch, dennoch überprüfen der Wolf und der Samurai die Grasfläche, damit sie nicht gleich wieder von weiteren Owei entdeckt und verraten werden. Derweilen lassen die beiden Jungs das Ganze auf sich wirken. „Was zum Henker war’n das für’n Angriff, Mann?!“, entkommt es dem Käfer-Trainer ungläubig. Kukui grübelt nach und befragt schließlich den Pokédex. „Das müsste Drachenhammer gewesen sein. Eine sehr starke Attacke und zudem die einzige vom Typ Drache, die Kokowei auf natürlichem Weg lernen kann. Sonst lernt es hauptsächlich welche vom Typ Pflanze und Psycho.“, liest der schmächtige Junge vor und richtet sich die Brille. „Meine Fresse, na wenigstens was. – Aber wie soll’n wa‘ dieses Ungetüm bloß plattmachen, ohne es anzugreifen?“, hakt der Jüngere nach. Manuel blickt etwas ratlos auf den Pokédex. „Ich bin mir nicht sicher. Aber wir sollten unbedingt herausfinden, was es noch für Attacken beherrscht, dann können wir uns vielleicht etwas ausdenken, um es zu überrumpeln.“
 

„Und wie soll’n wa‘ das machen?“ „Laut dem Eintrag hier, benutzt Kokowei Drachenhammer um Gegner zu treffen, die eine gewisse Entfernung zu ihm haben. Von daher müssen wir wohl versuchen beim nächsten Angriff näher an es heranzukommen, damit es eine andere Attacke einsetzt.“ Bromley verdreht bei dieser Aussage nur die Augen. „Das klingt ja richtig einladend...“ „Ja, ich weiß, es ist ziemlich riskant, aber etwas anderes wird uns wohl kaum übrigbleiben...“
 


 

6
 

Vorsichtig linst Wolwerock durch das Gras und hält Ausschau nach dem Herrscher. Dieser hat sich wieder ein ganzes Stück zurückgezogen und ihnen den Rücken zugewandt. Die Luft ist also rein. Einen Moment warten sie noch, dann setzt sich die Truppe wieder in Bewegung. Vor ihnen erstreckt sich nun aber eher eine Freifläche mit verhältnismäßig niedrigem Gras. Die nächste Deckung ist ein ganzes Stück entfernt und wird von einer Art Hügel in der schmaleren Mitte der Insel gebildet. Dort wachsen ein paar kleine Bäume auf einem Rasenteppich. Das Ganze bietet nicht sonderlich viel Schutz, doch hinter den Bäumen kann man sich zumindest kurzzeitig verstecken und hoffen, dass Kokowei einen nicht sieht. Allerdings sind die Chancen hoch, dass sich dort auch wieder Owei aufhalten, die ihnen die Deckung nehmen wollen. Darüber können sie sich aber erst Gedanken machen, wenn sie da sind, da es einfach mal die einzige Möglichkeit zur Rast ist, die ihnen bleibt, bevor sich das Plateau vor ihnen erhebt.
 

In einem günstigen Moment nehmen die vier daher die Beine in die Hand und rennen los. Sie haben etwa die Hälfte des Weges zu den Hügeln zurückgelegt, da dreht sich die riesige Palme plötzlich ohne Vorwarnung herum und beginnt auf sie zu zulaufen. Wütend hallt die Stimme des Pflanzen-Pokémon über die kleine Insel. Dank seiner gewaltigen Größe fällt es Kokowei nicht sonderlich schwer den Abstand zu den Trainern zu verringern, sodass es erneut seine Köpfe zu schwingen beginnt, die dann als Drachenhammer auf dem Boden aufschlagen und alles zum Zittern bringt. Die Wucht des Aufpralls wirft die vier fast von den Füßen und es ist nicht zu übersehen, wie sehr sich Wolwerock und Tectass bemühen, dem Drang zu widerstehen, sich einfach diesem Riesen entgegen zu stellen und ihren Begleitern damit die Flucht zu ermöglichen.
 

Die Palme braucht einen Augenblick, um sich wieder aufzurichten und den nächsten Angriff vorzubereiten, was den Jungs hilft, den Vorsprung wieder etwas auszubauen. Dennoch gelingt es ihnen nicht, den Schutz des Hügels zu erreichen, ehe der nächste Einschlag erfolgt. Er ist um einiges heftiger, als der Erste und bringt die Jungs diesmal tatsächlich zu Fall. Hart schlagen sie auf den Grund auf, während um sie herum Gestein, Erde und Vegetation aufspritzen und aufgewirbelter Staub einem kurzzeitig die Sicht nimmt. Die Tatsache, ihre Trainer am Boden zu sehen, versetzt den Wolf und den Käfer in ziemliche Aufregung. Sie können einfach nicht zulassen, dass den beiden etwas passiert, denn der Herrscher wird nicht eher Ruhe geben, ehe er sie nicht kampfunfähig gemacht hat. Knurrend stellt sich die Fähe neben Manuel und fletscht die Zähne. Ihr Nackenfell stellt sich bedrohlich auf und sie legt die Ohren an, bereit für einen Angriff.
 

Bei Tectass sieht es ganz ähnlich aus. Auch der Samurai platziert sich neben seinem Trainer, lässt ein dumpfes Grollen tief in der Kehle hören und schabt mit seinem riesigen Krallen drohend über den Boden. Nur Sekunden trennen die tierischen Begleiter davon, gegen die Palme in den Krieg zu ziehen und diese hat sich inzwischen auch schon wieder aufgerichtet und peilt erneut ihr Ziel an. Geistesgegenwertig drückt sich Kukui vom Boden hoch und schließt den aufgebrachten Wolf fest in die Arme. Auch Bromley erhebt sich und drückt sich gegen die Brust des großen Käfers. „Nein, ihr dürft nicht angreifen, sonst beendet ihr die Prüfung und alles war umsonst!“, teilt der Brünette ihnen mit. „Yeah, uns geht’s gut, also lasst mal stecken, Leute!“, versucht es auch der Schwarzhaarige. Unschlüssig verharren die beiden Pokémon in ihrer Angriffsstellung und fixieren die Pflanze voller Verachtung. Dann besinnen sich die zwei aber und als der nächste Hammer niederkracht, bringen sie ihre Trainer außer Reichweite und schaffen es so, den Schutz des Hügels zu erreichen, bevor sich der Staub wieder legt.
 

Wie sich allerdings herausstellt, ist dies ein trügerischer Schutz. Zwar wendet sich Kokowei wieder ab, da es die vier erneut aus den Augen verloren hat, dafür treten hinter den Bäumen gleich zwei Owei hervor. Durchtrieben werden die Anwärter von den zwölf Eiern gemustert, doch entgegen ihres Kollegen aus dem Gras, fangen sie nicht an zu schreien. Stattdessen sind sie angriffslustig und versuchen die vier zu schwächen, damit sie dem Herrscher nicht mehr so leicht entkommen können. Grinsend öffnen die Owei ihre Mäuler, aus denen kurz darauf hellgrünleuchtende Samenkugel hervorschießen. Die blitzschnellen Geschoße treffen die Fähe und den Käfer wie Pistolenkugeln. Einzig ihrem harten Panzer und der Tatsache, dass sie relativ unempfindlich gegen Pflanzen-Attacken ist, hat es Sweetheart zu verdanken, dass sie diesen Angriff ziemlich gut wegstecken kann. Bei Wolwerock sieht es da ganz anders aus. Es ist sehr empfindlich auf den Pflanzen-Typ und jault daher schmerzlich auf, als es wiederholt von der Attacke getroffen wird.
 

Die Owei zielen dabei fieser Weise erst recht auf die Pfoten des Vierbeiners und zwingen ihn so verhältnismäßig leicht in die Knie. Erschrocken stellt sich Kukui schützend vor den am Boden liegenden Wolf, um ihn vor dem nächsten Angriff abzuschirmen. „Sweetheart, Tiefschlag!“, setzt Bromley zu Gegenmaßnahmen an. Der Samurai bringt sich in Position und wartet einen Moment, welches der Owei einen Angriff vorbereitet. Eines der beiden zieht sich langsam zurück, doch das andere öffnet wieder das Maul, um zu feuern. Darauf hat Tectass nur gewartet. Ehe die Eier ihre Kugelsaat abfeuern können, stürmt der große Käfer mit unglaublicher Geschwindigkeit heran und holt zum Schlag aus. Überrascht wird das Owei hart getroffen und an seiner Attacke gehindert. Es gerät in Panik und trollt sich in den Schutz der Bäume zurück.
 

Das zweite Owei taucht allerdings plötzlich hinter Manuel auf und beschießt nun den wehrlosen Jungen mit den harten Samenkugeln. Sie treffen ihn mitten im Rücken, während er versucht, Wolwerock wieder auf die Füße zu helfen. Schmerzlich schreit der Junge auf und sinkt auf die Knie. Die Augen der Fähe weiten sich erschrocken, dann verengen sie sich zu wütenden Schlitzen. Etwas schwerlich kommt sie aber erstaunlich schnell auf die Beine, bleckt die Zähne, um die sich vernichtende Flammen bewegen und springt dann über ihren Trainer hinweg, genau auf den Eierhaufen. Das Owei gibt einen hilflosen Schrei von sich, als das Feuer sich vernichtend über seine Schalen ausbreitet und setzt dann zur Flucht an. Doch so leicht lässt die Fähe es nicht entkommen. Mit wütendem Knurren hechtet sie hinter den Eiern her und versucht sie erneut zu erwischen. Ehe ihr dies gelingt, läuft sie allerdings Tectass mitten in die Arme. Hartnäckig versucht der große Käfer sie zurückzuhalten. Außer sich fängt das Gesteins-Pokémon an zu zappeln.
 

Als letzte Aussicht setzt der Vierbeiner an, den Samurai mit seinen Flammenzähnen zu beißen, als der Boden auf einmal wieder zu beben beginnt. Sweetheart hebt ihre Mitstreiterin hoch und zeigt ihr dann, wie sich das Kokowei nähert. Nur deswegen hat sie sie daran gehindert, den Owei nachzujagen. Sie müssen schnell weiter, um sich in Sicherheit zu bringen. Endlich hört Wolwerock auf zu zappeln und wird daraufhin wieder auf den Boden gesetzt. Bromley hilft Manuel auf die Beine; gerade noch rechtzeitig, da knallt der Drachenhammer genau an der Stelle nieder, wo der Brillenträger eben noch gehockt hat. Im Schutz der Staubwolke rennt die Truppe wieder los Richtung Schrein.
 


 

7
 

Sie sind noch gar nicht so weit gekommen, da hören sie hinter sich das Pflanzen-Pokémon schon wieder näherkommen. Das Plateau erstreckt sich vor ihnen in die Höhe, doch es ist noch ein gutes Stück weit weg. Zudem entdecken die Jungs auf die Schnelle auch keinen Zugang, der es ihnen ermöglichen würde, hinauf zu kommen – nur einen Weg, der aber von großen Felsbrocken blockiert wird. Da ja auch nicht jeder hierherkommen darf, ist das sicher auch Absicht und es gibt einen versteckten Trick bei dem Ganzen. „Ich glaube – da ist eine – Höhle...“, keucht Kukui außer Atem. Und tatsächlich, im Fuß des Plateaus befindet sich ein kleines Loch im Gestein – wahrscheinlich der einzige Schutz, der ihnen noch bleibt. „Dann los!“, harscht Bromley sie alle an. Hinter ihnen verringert Kokowei immer mehr den Abstand. Sein Drachenhammer kracht abermals zu Boden und sorgt schließlich dafür, dass Manuel stolpert und der Länge nach hinfällt. Schockiert eilt der Schwarzhaarige zu ihm. Auch die beiden Pokémon wenden sich um. Kokowei holt schon wieder zum Schlag aus, doch die mutigen Begleiter verwirren es, indem sie blitzschnell um es herumflitzen, sodass es kein Ziel ausmachen kann.
 

Irritiert versucht es einen von ihnen zu fixieren. Da sie aber viel zu dicht an ihm dran sind, kann es den Drachenhammer nicht gegen sie einsetzen. So ist es nun der Schwanz der großen Palme, der in einem türkisenen Schein zu glühen beginnt und sich dann zu einem grünen Baumstamm zu formen scheint. Damit holt der Herrscher kräftig aus. Allerdings gelingt es den beiden Pokémon dem Angriff auszuweichen, sodass der Stamm mit voller Wucht auf dem Boden aufschlägt. Das Kokowei beginnt zu schwanken und wirkt irgendwie angeschlagen. Diesem Moment nutzen die vier und verkriechen sich in der kleinen Höhle.
 

Sie ist wirklich nicht sonderlich groß, weshalb sich die Truppe eng zusammenkauert, damit sie so weit wie möglich vom Eingang entfernt sind. „Und was jetzt...?“, fragt der Brillenträger atemlos und lässt den Blick durch die Höhle schweifen. Hier gibt es keinen Zugang zum Plateau und wenn Kokowei sie entdecken sollte, sind sie hier drin gefangen und seinem Zorn ausgeliefert. Mit pochendem Herzen versucht auch Bromley wieder Luft zu finden und blickt sich dabei vorsichtig nach dem Herrscher um. Irgendwas ist komisch an ihm. „Keine Ahnung. Aber check das ma‘ aus! Kokowei hat eben ‘ne ganz andre Attacke gegen die zwei benutzt und jetz‘ scheint’s ihm nich‘ so gut zu geh’n.“ Verwundert betrachtet auch Manuel das angeschlagene Verhalten des Herrschers. Allerdings kommt dieser nun wieder zu sich und bewegt sich dann zielstrebig auf die Höhle zu.
 

Erneut beginnt sein Schwanz zu glühen. Ein Baumstamm bildet sich daran aus und dieser schlägt mit voller Wucht gegen den Felsen neben dem Eingang. Sand und kleine Steine rieseln von der Decke herab. Wie schon beim ersten Angriff, scheint es der Palme anschließend auch diesmal nicht so sonderlich gut zu gehen. Hastig kramt Kukui seinen Pokédex hervor und besieht sich den Eintrag von Kokowei noch einmal. Eine Attacke springt ihm dabei sofort ins Auge. „Das war Holzhammer!“, entkommt es ihm aufgeregt und ein breites Grinsen schleicht sich auf sein müdes Gesicht. „Ok? Und warum freuste dich dann so ‘drüber?“ „Verstehst du denn nicht? Das ist die Lösung! So können wir es besiegen, ohne es anzugreifen!“, sprudelt es aus dem Jungen heraus. Der Schwarzhaarige legt nur fragend die Stirn in Falten und dann trifft ein weiterer Angriff die Höhle und lässt alles um sie herum bedenklich erzittern.
 

Manuel richtet sich die verstaubte Brille und hebt dann lehrerhaft seinen Finger. „Holzhammer gehört zu den sogenannten Rückstoß-Attacken. Der Angriff ist unglaublich stark, hat aber den Nachteil, dass sich der Anwender dabei selbst leichten Schaden zufügt! Wenn es uns also gelingt, Kokowei dazu zu bringen, weiterhin Holzhammer gegen uns einzusetzen, dann wird es sich früher oder später selbst besiegen!“ Langsam dringt die Erkenntnis zu Bromley durch und nun fängt auch er an zu grinsen. „Ah, jetz‘ hab‘ ich’s! – Bei dem Brocken wird’s aber sicher ‘ne Weile dauern, bis’er sich selbst plattgemacht hat, ne? Meinste, die Höhle hält das solang‘ aus?“ Kaum hat er seine Worte ausgesprochen, kracht es auch schon wieder. Mehr Sand und Steine rieseln von der Decke herab und ein Gesteinsbrocken löst sich vom Eingang und rutscht zu Boden.
 

„Ich hoffe einfach mal, dass die Höhle es aushält. Solange Kokowei davor hockt, kommen wir eh nicht raus. Also muss uns wohl etwas anderes einfallen, um an den Z-Kristall zu kommen.“ „Yo, aber aufs Plateau klettern is‘ nich‘. Das Grünzeug haut dich in Stücke, eh du auch nur Piep sagen kannst.“ „Auch wieder wahr. Doch, was ist mit Wolwerock? Sie ist schnell und sehr wendig. Sie könnte sich in einem günstigen Moment rausschleichen und den Kristall holen.“ „Klingt gut, aber so hoch kann’se sicher nich‘ spring‘, oder? Und ich glaub‘ kaum, dass es Sweetheart auch gelingt rauszukomm‘, um ihr zu helfen...“ Grübelnd sitzen die Jungs da. „Aus dem Stand kann sie wohl nicht so hoch springen. Doch, wenn wir Kokowei ablenken, kann sie bestimmt genug Anlauf nehmen.“ Fragend blickt er die Fähe an, die den Kopf schief legt und mit dem Schwanz wedelt. „Meinst du, dass du das schaffst?“, fragt Kukui sie. Dabei nimmt er ihren Kopf zwischen die Hände und sieht ihr tief in die blauen Augen. Durchdringend erwidert der Vierbeiner seinen Blick und wirkt dann festentschlossen.
 


 

8
 

Das Herrscher-Pokémon schwankt inzwischen ziemlich angeschlagen hin und her und muss erst einmal wieder zu sich selbst finden. Diesen Umstand nutzt der Wolf nun, um aus der Höhle zu kommen. Aufmerksam späht Wolwerock durch den mittlerweile ziemlich mitgenommenen Eingang. Vermutlich wird er noch zwei oder drei Schlägen standhalten, ehe er völlig zusammenbricht und die Trainer hinter einem Berg Geröll einsperrt. Doch darum kann sich der Vierbeiner jetzt nicht kümmern. Er hat eine Mission und muss sie schnellstmöglich erfüllen, damit nichts Schlimmeres passiert. Kokoweis Köpfe schwanken in einem weiten Bogen herum, weshalb es schon erstaunlich ist, dass es dadurch nicht umfällt. Die Fähe spannt ihre Muskeln an und wartet auf den richtigen Augenblick. Gebannt wird sie dabei von den drei anderen beobachtet. Als die Spitze der Palme am Weitesten von der Höhle entfernt ist, hechtet das Gesteins-Pokémon nach draußen.
 

Zur Überraschung und leichtem Entsetzen aller, verharrt sie jedoch bewegungslos vor der Höhle und starrt die Pflanze nur an. Kukui befürchtet schon, dass seine Partnerin einen anderen Plan verfolgt und das Kokowei möglicherweise einfach ausschalten will, um sich die ganze Mühe zu sparen. Dieser Gedanke verfestigt sich noch, als Wolwerock zum Sprung ansetzt, genau in dem Moment, wo die Köpfe wieder Richtung Eingang schwenken. Manuel springt schon auf, um sie irgendwie zurückzupfeifen, doch Bromley zieht ihn wieder auf den Boden runter. Verständnislos mustert er den Schwarzhaarige. „Sieh doch!“, meint dieser und Kukui wendet den Blick wieder nach draußen. Die Fähe ist nicht dabei, den Herrscher anzugreifen, sondern ist einfach nur auf dessen Köpfe gesprungen, um deren Schwanken auszunutzen und damit so auf das Plateau zu kommen. Das Ganze gleicht einer ausgeklügelten Zirkusnummer und erstaunt den Brillenträger zu tiefst. Er weiß ja, dass Pokémon keineswegs dumm sind, wie manche von diesen Wesen zweifelsohne wirken, aber so eine durchdachte Handlung hätte er der Fähe dennoch niemals zugetraut.
 

Die Palme findet das Ganze allerdings weniger lustig. Sie versucht Wolwerock abzuschütteln, was ihr scheinbar auch gelingt. Dennoch reicht der Schwung aus, um den Vierbeiner an den gewünschten Ort zu bringen. Ungläubig starrt das angeschlagene Pflanzenwesen auf sein winziges Gegenüber, das schwanzwedelnd und mit einem triumphierenden Heulen auf dem Plateau steht. Zornig beginnt der Herrscher wieder seine Köpfe zu schwenken, um den Drachenhammer gegen die Fähe einzusetzen. Doch dazu kommt er nicht. Von ramponierten Eingang der Höhle dringen laute Rufe zu ihm hoch, die seine Aufmerksamkeit auf sich ziehen und so unterbricht er die Attacke und schlägt wieder mit dem Holzhammer auf die Höhle ein, um die drei Verbleibenden damit in Schach zu halten.
 

Etwas unschlüssig tapst der Wolf am Rand des Plateaus entlang, ist sich nicht sicher, ob es nicht doch besser wäre, ihnen zu versuchen zu helfen. Sie gibt ein leicht verzweifeltes Jaulen von sich und wendet sich dann widerwillig ab. Den Blick fest auf den obersten Punkt und somit den Schrein gerichtet, macht sie sich auf den Weg. Hinter jedem Grashalm fürchtet sie ein neues Owei, doch entgegen ihrer Annahme wird sie nicht angegriffen. Dennoch entgeht ihr nicht das verhaltene Rascheln an vielen Stellen oder der durchdringende Geruch der Eierbande. Aber allem Anschein nach halten sie respektvollen Abstand. Die Fähe schickt ein warnendes Knurren aus, um ihnen zu raten, wirklich in ihren Verstecken zu bleiben und dann betritt sie den äußersten Punkt der Insel.
 

Vor ihr erhebt sich ein mannshoher Schrein aus kunstvoll geschlagenem Stein; von der Zeit und der Witterung gezeichnet, aber dennoch wunderschön anzusehen. In einem Hohlraum etwa in der Mitte sitzt auf einem kleinen Ständer der rautenförmige Z-Kristall. Glitzernd funkelt er in der Sonne und wirkt dabei gleichermaßen zerbrechlich wie erhaben. Wolwerock schluckt leicht, dann stellt sie sich auf die Hinterbeine und stützt sich gegen den Schrein. Mit äußerster Vorsicht schließt sie ihr Maul um den Kristall und klemmt ihn sich unter die Zunge. Dabei vernimmt sie das verstimmt Klagen der Owei. Allerdings lässt sich keines von ihnen blicken, als sie sich herumdreht. Noch einmal knurrt sie tief in der Kehle und tritt dann den Rückweg an.
 

Von weitem sieht sie das völlig fertige Kokowei in seinen letzten Zügen schwanken. Wenige Augenblicke später bricht es endgültig zusammen und landet krachend der Länge nach auf dem Boden. Eine dichte Staubwolke steigt empor und versperrt fast eine Minute lang die Sicht. Diese Zeit reicht aber aus, damit Wolwerock zum Rand des Plateaus gelangen kann. Sie wartet, bis sich der Staub einigermaßen gelegt hat und springt dann auf den Boden zurück, um zu sehen, wie es den drei anderen ergangen ist.
 


 

9
 

Zum Glück ist Kokowei so günstig umgefallen, dass es den Eingang der Höhle nicht versperrt. Allerdings hat es ihn mit seinen Attacken so zerstört, dass er völlig eingestürzt ist und somit die anderen in der Höhle einsperrt. Entsetzt betrachtet die Fähe das Ganze und beginnt kläglich zu heulen. Winselnd läuft sie vor dem Geröllhaufen hin und her und ist sich unsicher, ob sie eine Attacke einsetzen soll, um den anderen zu helfen. Aber was, wenn sie es dadurch schlimmer macht und sie verletzt? Hilflos heulend setzt sie sich schließlich vor den Eingang und lässt den Kopf hängen.
 

Plötzlich jedoch vernimmt sie von drinnen ein Geräusch. Feiner Sand und Steine rieseln den Haufen hinunter. Das Geräusch wird lauter und dann bricht das ganze Geröll auf einmal in sich zusammen. Mit einem überraschten aufheulen springt die Fähe zur Seite und blickt dann in das dunkle Loch, das sich aufgetan hat. Wenige Momente später bricht Tectass daraus hervor und schüttelt sich das Staub vom Panzer. Schwanzwedelnd springt die Fähe auf und umrundet den Samurai freudig. Der große Käfer legt ihr die flache Pranke sanft auf den Kopf und streicht darüber, wie es Reißlaus früher immer mit ihren Fühlern gemacht hat.
 

Kurz darauf ertönt ein Husten aus der Höhle und die beiden Jungs treten ins Sonnenlicht hinaus. Überwältigt von Freude werden sie von Wolwerock fast umgerissen. Überglücklich schließt Manuel sie in seine Arme. „Ein Glück ist dir nichts passiert.“, nuschelt er, während er sein Gesicht in ihr Fell drückt. Doch auf einmal reißt sich der Wolf von ihm los. Er fängt an zu würgen und verzieht die Schnauze. Schließlich landet der Z-Kristall auf dem aufgewühlten Boden. „Geiler Scheiß! Sie hat’s geschafft!“, entkommt es Bromley begeistert.
 

Nicht lange später machen sich die vier auf den Rückweg. Das Kokowei kommt auch allmählich wieder zu sich und sieht ihnen betroffen nach. Schwerlich richtet es sich zu seiner vollen Größe auf und stapft hinter ihnen her. Dabei hält es einen gewissen Abstand zu ihnen und deutet allen Owei in der Nähe an, fern zu bleiben. Für heute herrschte auf jeden Fall genug Aufregung und das riesige Pflanzen-Pokémon ist heilfroh, wenn die vier seine Insel wieder verlassen. Doch es wird sicher nicht allzu lange dauern, bis neue Trainer ihnen folgen werden, um hier ihre Prüfung abzulegen. Aber wer weiß, vielleicht findet sich auch vorher ein richtiger Drachen-Trainer und gönnt den Owei und Kokowei hier ihre Ruhe...

Cold as ice


 

1
 

Die Zeit macht vor Niemandem halt. Kein Wunder also, dass sie wie im Flug vergeht. Vor wenigen Tagen hat Bromley seinen dreizehnten Geburtstag hinter sich gebracht und die beiden haben mit Erschrecken festgestellt, dass sie seit zwei Jahren auf Inselwanderschaft sind. Doch nun nähert sich ihr Abenteuer so langsam dem Ende. Nachdem sie ihre Prüfung auf Kokowei Island hinter sich gebracht haben, stand ihnen noch eine weitere bevor und danach der Inselkönig von Poni. Die Jungs haben sich mit Hängen und Würgen durchgeboxt und nun stehen sie mit allen nötigen Z-Kristallen im Dorf der Kapu vor dem mächtigen Mount Lanakila und trauen sich kaum Luft zu holen. Den Berg zu besteigen und auf dessen eisiger Spitze noch einmal gegen alle Inselkönige anzutreten, ist der letzte Akt, der sie noch vom Titel des Champions trennt. Und mit Sicherheit auch der Schwerste.
 

Der Weg dort hinauf ist sehr weit und unglaublich kalt. Auf dem Mount Lanakila leben hauptsächlich Eis-Pokémon und bilden damit ein extremes Gegenteil zum tropischen Klima und dessen Bewohner, die in Alola vorherrschen. Diese unterkühlten Wesen leben sehr zurückgezogen und genießen den Schutz des Berges und die Tatsache, dass sich hier so gut wie nie Menschen herwagen. Nun in dieses fremdartige Biotop einzudringen, bereitet den Jungs einiges an Sorge. Sie sind solch tiefe Temperaturen nicht gewohnt, auch wenn Kukui in seiner Kindheit in Kanto schon ein paar Mal zum Ski-Fahren gewesen ist. Dennoch will er sich gar nicht vorstellen, wie es dort oben aussieht und noch weniger, wie heftig es wird, im Eis die Nacht zu verbringen. Der Aufstieg wird sie einige Tage beschäftigen. Zudem müssen sie in der Kälte auch noch den letzten Z-Kristall suchen, der sich irgendwo im ewigen Eis befindet.
 

Am Fuß des Berges ist es noch ziemlich warm, sodass man das erschreckende Klima der Höhe nicht bemerkt, doch, wenn man die wenigen Stufen emporsteigt, die sich hinter der Barrikade erstrecken, umfängt einen die Kälte so schlagartig, dass es einem völlig unwirklich vorkommt. Ihre gesamte Reise haben die beiden kaum mehr als T-Shirts und Shorts getragen, nur selten lange Hosen. Umso merkwürdiger ist es nun von der jungen Frau, die die Barrikade bewacht, mit Thermohosen, langen Socken, schweren Stiefeln, Handschuhen und dicken Daunenjacken mit Fellkapuze ausgestattet zu werden. Die ganzen Sachen scheinen eine Tonne zu wiegen und noch können sie dem nicht viel abgewinnen, doch das wird sich sehr schnell ändern.
 


 

2
 

Als die beiden Jungs dick eingepackt die Barrikade hinter sich lassen und die wenigen Stufen zur ersten Ebene erklimmen, kommen sie sich ziemlich merkwürdig vor. Dies wird noch durch die Tatsache unterstrichen, dass ihre Pokémon sich in ihren Bällen befinden. Zwar hat Wolwerock ein dickes Fell, das es vor der Kälte schützt, doch es ist ziemlich empfindlich auf Eis-Pokémon und Manuel will kein Risiko eingehen, solange es sich vermeiden lässt. Entgegen dem Gedanken, dass Käfer in eisiger Kälte nicht überleben können, ist Tectass weit weniger sensibel, als die Fähe, was es aber nur ihrem Zusatztypen Wasser zu verdanken hat. Trotzdem ist Bromley nicht der Meinung, das Schicksal herausfordern zu müssen, weswegen die zwei erstmal allein losziehen.
 

Mit schweren Schritten finden sie sich auf einer ziemlich runden Fläche wieder. Hauchfeine Schneeflocken tanzen durch die Luft und schmelzen, ehe sie den noch warmen Boden erreichen. Der Anblick wirkt wie im Traum. Der Brillenträger kann sich ein sanftes Lächeln gar nicht verkneifen. Mit Schnee verbindet er bis jetzt nur gute Erinnerungen, bedeutete er für ihn doch immer nur Urlaub und Spaß. Tief im Geiste weiß er, dass dem jetzt nicht mehr so sein wird und das stimmt ihn doch leicht traurig. Etwas uneinig mit seinen Gefühlen, wirft er einen Blick auf seinen Partner. Bromley steht neben ihm, als wäre er zu einer Salzsäule geworden und betrachtet die Flocken mit so großen Augen, dass er wirkt, wie ein Kleinkind unterm Weihnachtsbaum. Zweifelsohne hat er so etwas in seinem ganzen Leben noch nicht gesehen. In diesem Moment wirkt er unglaublich niedlich, sodass es dem Brünetten ganz warm ums Herz wird.
 

Langsam streckt er seine dick eingepackte Hand aus und greift damit nach der des Schwarzhaarigen. Dieser wendet sich leicht überrascht zu ihm um und strahlt übers ganze Gesicht. „Mann, haste so’n geilen Scheiß schon ma‘ erlebt?“, fragt der große Junge begeistert. „Nein, aber es ist wirklich schön.“, flunkert Manuel ein bisschen. Er will seinen Freund nicht mit seinen Urlaubsgeschichten langweilen und ihm schon gar nicht mit einer glücklichen und behüteten Kindheit zu nahetreten. Immerhin weiß er, was Bromley schon so alles durchmachen musste, da ist es nur fair, mal ein wenig zu lügen. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn sie sich jetzt deswegen streiten und jeder allein den Berg besteigen müsste.
 

Einen Augenblick halten sich die zwei noch an den Händen, dann treten sie näher an den Berg heran. Etwas unschlüssig betrachten sie die gewaltige Formation, die sich vor ihnen ins schier Unendliche zu erheben scheint und dessen Gipfel von dichten Wolken verschleiert wird. Im ersten Moment sehen sie auch keinen Weg hinauf. Der Berg führt fast senkrecht in die Höhe, ehe weit oben eine Art Absatz zu erkennen ist. Die Frau an der Barriere hat ihnen zwar einige Hilfsmittel mitgegeben, doch nicht gerade etwas zum Bergsteigen. Nach einigen Momenten des Grübelns entdecken die Anwärter aber eine Strickleiter, die am Gestein herabhängt und zum Absatz führt. Sie hängt allerdings so hoch, dass es für ein Kind allein völlig unmöglich erscheint, sie zu erreichen. „Steig auf meine Schultern, dann kommste ran.“, meint der Jüngere schließlich und mit etwas Mühe gelingt es Kukui tatsächlich auf die unterste Sprosse der Leiter zu kommen und Bromley hoch zu helfen.
 

Die dünnen Sprossen hinaufzukommen ist alles andere als einfach. Mit jedem Meter sinkt die Temperatur der Umgebung gleich um gefühlt mehrere Grad und die Schneeflocken werden größer und zahlreicher. Zudem setzt ein eisiger Wind etwa auf der Hälfte der Leiter ein, der die ganze Konstruktion bedenklich hin und herschwingen lässt. Mehrmals erstarrt Kukui deswegen förmlich und kann keinen Schritt mehr weiter. Vehement versucht er es zu vermeiden, nach unten zu sehen und klammert sich stattdessen wie ein Ertrinkender an den Sprossen fest. Bromley versucht ihm Mut zu zusprechen, was mit jedem Mal schwerer wird. Stunden scheinen zu vergehen, ehe es ihnen endlich gelingt den Absatz zu erreichen. Völlig fertig bleiben die Jungs auf dem kalten Boden liegen und versuchen Luft zu bekommen.
 

Jeder Atemzug schmerzt wie tausend Nadeln und der Dunst vor ihrem Mund nimmt ihnen beinahe die Sicht. Wenn das schon so schwer war, wie soll dann erst der Rest werden? Keiner von beiden will sich das vorstellen. Dennoch müssen sie weiter und einen Platz für dich Nacht finden, der sie etwas vor dem schneidenden Wind schützt. Schwerfällig kommen sie wieder auf die Füße und blicken sich um. Da sie nun festen Boden unter den Füßen haben, traut sich Manuel doch, einen Blick über den Rand zu werfen. Der Platz, an dem sie gestartet sind, liegt so weit unter ihnen, dass dem Brünetten regelrecht schlecht wird. Er beginnt zu schwanken, bis sich plötzlich zwei starke Arme um ihn schließen und ihn festhalten. „Mach das nich‘...“, haucht der Schwarzhaarige ihm zu und dreht ihn zu sich herum.
 

Hinter ihm kann der Brillenträger jedoch den Rest des Berges aufragen sehen und dadurch wird ihm gleich wieder schwindlig. „Oh heiliges Kapu, worauf haben wir uns da nur eingelassen...“, kommt es stockend von ihm. Bromley sieht ihm fest in die Augen. „Das konnt’n wa‘ doch nich‘ wissen, außerdem is‘ es Teil der Wanderschaft, also mach dir nich‘ in die Hosen. Das friert sonst!“, grinst er halbherzig und versucht ihn damit etwas aufzumuntern. Es entlockt dem Älteren immerhin ein kleines Schmunzeln. „Du hast recht. Lass uns weitergehen...“, es klingt nicht sonderlich überzeugt, aber wieder runtersteigen will er auch nicht wirklich. Also nimmt er all seinen Mut zusammen und gemeinsam gehen sie los.
 

Vor ihnen erstreckt sich ein langer Weg, dessen Ende in der Ferne und dem kalten Nebel nicht zu erkennen ist. Er windet sich leicht ansteigend an der Seite des Berges entlang, besteht aus nacktem Felsgestein, das an einigen Stellen von hartnäckigen, gelben Grasfeldern unterbrochen wird, die laut knistern und rascheln, wenn man sie durchquert. Der Rand des Weges wird beunruhigender Weise nicht mit einem Zaun oder dergleichen gesichert, sodass es dort steil bergab geht. Zum Glück ist der Weg aber ein paar Meter breit und damit recht gut passierbar, solange man sich vom Rand fernhält.
 

Das Vorankommen bei der Kälte, dem immer dichter werdenden Schnee, dem schneidenden Wind und der leichten Steigung ist anstrengender, als die Jungs es vermutet hätten, sodass sie zum Ende des Weges einiges an Zeit brauchen. Zudem werden sie im trockenen Gras zwischendurch auch immer mal wieder von einigen Pokémon überrascht. Allerdings weit weniger, als sie es vom Rest Alolas gewohnt sind. Außerdem scheinen die Wesen hier um einiges friedlicher und scheuer zu sein, bekommen sie hier doch ganz sicher nie Menschen zu sehen. Zwar sind sie noch keinem Eis-Pokémon begegnet, sondern nur bekannten Gesichtern wie Rattikarl, dennoch ziehen diese es eher vor, die Flucht zu ergreifen, als zu kämpfen, was den Jungs nur recht sein kann. Ein traumatisches Erlebnis mit diesen Nagern hat ihnen völlig ausgereicht – zumal sie hier oben von jeglicher Hilfe abgeschnitten sind.
 

Es wird bereits dunkel, als sie nicht mehr weiterkommen. Der Weg ist zu Ende, stattdessen baut sich der Berg wieder vor ihnen auf. Ein Loch im Gestein markiert den Eingang zu einer Höhle, die auf den ersten Blick völlig aus Eis zu bestehen scheint und dennoch das Innere des Mount Lanakila bildet. Dort drinnen ist es noch um einiges kälter als draußen, weshalb die beiden es vorziehen ihr Zelt vor der Höhle an einer möglichst windgeschützten Stelle aufzuschlagen. Behelfsmäßig machen die beiden Dreizehnjährigen ein Feuer mit dem verwelkten Gras und kuscheln sich irgendwie zusammen. Ihre Pokémon tragen dazu einen guten Teil bei, können sie nun endlich wieder raus. Zu viert essen sie etwas und nicht lange später ziehen sie sich ins Innere des Zelts zurück, schmiegen sich eng aneinander und fallen einer Ohnmacht gleich in einen tiefen, traumlosen Schlaf der Erschöpfung.
 


 

3
 

Früh am nächsten Morgen erwachen die jungen Trainer. Vor ihnen liegt heute die Eishöhle, die es zu durchqueren gilt. Auf der Karte, die sie haben, ist der Eingang der Höhle zwar eingezeichnet, doch es ist nicht ersichtlich, wie es im Inneren aussieht oder gar, wie groß sie ist. Die Ungewissheit war ihnen auf ihrer Inselwanderschaft stets eine treue Begleiterin und so ist es auch jetzt. Doch sie hoffen inständig, dass sie das andere Ende erreichen, bevor die Nacht anbricht. In der Höhle ist es um ein Vielfaches kälter, als hier draußen, von daher ist es vollkommen unmöglich dort drinnen das Zelt aufzuschlagen und am nächsten Morgen nicht als Eiswürfel zu enden. Zudem bezweifeln sie stark, dass es in der Höhle etwas gibt, womit sie ein wärmendes Feuer machen können. Diese makabre Vorstellung treibt die beiden hoffentlich genug an, um es rechtzeitig wieder hinaus zu schaffen. Dennoch muss es ihnen auch gelingen, den Z-Kristall zu finden, der sich irgendwo in diesem Labyrinth aus Eis befindet. Ohne ihn können sie die letzte Hürde zum Champion nicht in Angriff nehmen.
 

Wolwerock und Tectass ziehen sich nicht ohne Protest in ihre Pokébälle zurück und dann betreten die zwei Trainer die Höhle. Hier drinnen ist es schummerig, dennoch verbreiten die mit Eis überzogenen Felswände ein sanftes, nahezu mystisches Licht, sodass sie den Weg vor sich ohne Hilfsmittel erkennen können. Trotz ihrer warmen Sachen, ist es jedoch um einiges kälter, als sie angenommen haben und so dauert es nur wenige Augenblicke, bevor ihr Körper völlig davon eingenommen ist und sie zu zittern beginnen. „Derbster Scheiß, is‘ das kalt!“, gebärt sich Bromley laut und schüttelt sich unwillkürlich. Dabei verlässt eine dichte Dunstwolke seine bebenden Lippen, die so weiß ist, dass es aussieht, als hätte er sich ein Stück Stoff aus dem Mund gezogen, das nun vor seinem Gesicht schwebt. Als Antwort erhält er von Kukui ein heftiges Niesen, das in der labyrinthartigen Höhle ein unheimliches Echo erzeugt. Und noch ahnt er auch nicht, was diese banale Körperreaktion für eine fatale Auswirkung haben wird...
 

„‘sundheit...“, erwidert der Schwarzhaarige das Ganze schlicht. „Danke. – Ja, es ist echt wahnsinnig kalt hier...“, meint der Brillenträger schließlich und wischt sich mit dem Handschuh über die Nase, ehe er seinen Schal wieder darüber zieht. Vorsichtig setzten sich die zwei Jungs in Bewegung und betrachten das Innere der Höhle genauer. Zuerst führt sie der Weg nur geradeaus. Doch nach einer Weile macht er eine Kurve nach links und führt dann geradeaus weiter. Allerdings entspringt diesem Arm ein weiterer Weg, der nach rechts führt. Unschlüssig halten sie an und blicken sich nach beiden Seiten um. In keiner Richtung ist ein Ende zu sehen, was ihnen ein ungutes Gefühl vermittelt. „Was meinste, wo lang wa‘ müss’n?“, fragt der Käfer-Trainer skeptisch. „Ich weiß nicht. Doch, um den Z-Kristall zu finden, müssen wir bestimmt die ganze Höhle absuchen. Sicher ist sicher, auch wenn ich bezweifle, dass wir ihn schon so nahe am Eingang finden werden...“, grübelt der Brünette.
 

„Yo, da haste recht. Soll’n wa‘ uns trenn‘? Dann geht’s vielleicht schneller...“, wirft der Größere ein. „Nein!“ Nahezu entsetzt sieht Kukui ihn an. Er hält sich nicht unbedingt für besonders mutig, doch er ist gewiss kein Feigling, zumal er Wolwerock an seiner Seite hat. Doch allein die Vorstellung von Bromley getrennt und in diesem Irrgarten aus Eis verloren zu sein, lässt ihm buchstäblich das Blut in den Adern gefrieren. Der Schwarzhaarige muss ihm die Bedenken praktisch im Gesicht ablesen können, denn er verkneift sich die freche Antwort auf dessen Schreckreaktion und sein kesses Grinsen erstirbt auf seinen Lippen, ehe es richtig an die Oberfläche treten kann. „Hey, ganz ruhig. Wa‘ ja nur ‘ne Idee...“ Bromley senkt beinahe schuldvoll den Blick, als wäre Manuel nicht sein Freund, sondern ein strenger Lehrer, der ihn beim Mogeln erwischt hat und ihn nun vor der gesamten Klasse tadelt.
 

Auch der Brünette senkt kurz den Blick und für einen Moment sehen die beiden fast wie Zwillinge aus. Für den Augenblick herrscht Schweigen, dann durchbricht es der Jüngere wieder. „Yo, lass uns da lang geh’n.“, legt er kurzerhand fest und deutet den Weg weiter geradeaus entlang. „In Ordnung...“, murmelt Kukui und versucht dem Drang zu wiederstehen, sich haltsuchend an dem Arm des anderen festzuklammern, damit dieser ihn auch wirklich nicht allein lässt. Stattdessen setzt er seinen Rucksack ab und beginnt darin nach etwas zu suchen. Fragend betrachtet ihn der Größere. Schließlich findet Manuel sein Taschenmesser und klappt die Klinge heraus. Akribisch ritzt er damit ein Zeichen in die Eisschicht der Höhlenwand. „Ich werde jeden Weg markieren, damit wir uns hoffentlich nicht verlaufen oder im Kreis gehen.“, kommentiert er sein Tun, woraufhin sich der fragende Gesichtsausdruck seines Partners verflüchtigt.
 

So folgen sie dem Weg geradeaus weiter, stellen aber nicht lange später fest, dass es eine Sackgasse ist. Gründlich sehen sie sich um, doch nichts deutet daraufhin, dass sich hier irgendwo der Z-Kristall versteckt oder es einen geheimen Durchgang geben könnte. Der Weg endet einfach mitten am Felsgestein. Nachdem sie sich ein weiteres Mal vergewissern, dass sie auch nichts übersehen haben, treten sie den Rückweg an und gelangen wieder zu der Stelle, an der Kukui die Markierung in der Wand hinterlassen hat. Er setzt eine weitere hinzu, die ihnen später auf dem Rückweg andeuten soll, dass dies die falsche Richtung ist und dann wenden sie sich der rechten Abzweigung zu. Auch dieser Weg führt eine Weile geradeaus weiter und gabelt sich dann, sodass er von oben wohl wie ein Y aussehen muss.
 

Wieder verharren sie unschlüssig und versuchen sich für eine Richtig zu entscheiden. Ganz in der Ferne auf der linken Abzweigung können sie etwas Großes funkeln und glitzern sehen. Es sieht aus wie Eis und daher sind sich die Jungs unsicher, ob es sich dabei nicht vielleicht um ein riesiges Pokémon handelt, das nur auf ein paar unvorsichtige Wanderer wartet oder nicht. Von daher wählen sie lieber den rechten Abzweig, weil sie dort nichts dergleichen sehen können. Manuel markiert wieder die Wand, doch nach wenigen Metern erscheint auf der rechten Seite eine Art Stufe, die hinunter auf einen weiteren Weg zu führen scheint. Allerdings entscheiden sie sich dagegen, sie zu benutzen und folgen stattdessen dem Pfad weiter geradeaus.
 

Irgendwann teilt sich aber auch dieser, diesmal eher in Form eines T. Nach einer weiteren Markierung gehen sie nach rechts. Nun kommt es ihnen so vor, als würden sie abwärtsgehen und das irgendwie in einer Art Halbkreis. Schlussendlich bestätigt sich dieses Gefühl, als sie an dieser seltsamen Stufe ankommen, die sie vorhin gesehen haben. Mit etwas Mühe gelingt es ihnen sie zu erklimmen, dem Weg erneut zu folgen und dann an der Abzweigung nach links zu gehen. Auch hier scheint der Pfad eher einen Bogen zu machen. Je weiter sie gehen, desto mehr beschleicht sie plötzlich das Gefühl beobachtet zu werden. Seit sie die Höhle betreten haben, hatten sie es schon die ganze Zeit, was auch kein Wunder ist, wo es doch hier von Pokémon nur so wimmelt. Allerdings haben sich diese bis jetzt zurückgehalten, sind nur manches Mal als flüchtiger Schatten zu sehen gewesen oder als funkelnde Augen im Dunkeln. Nun jedoch ist das Gefühl weit stärker und ihnen kommt der Gedanke, dass sie dem Z-Kristall jetzt sehr nahe sein müssen...
 


 

4
 

Angespannt gehen sie weiter, stoppen jedoch nach wenigen Metern wieder. Ein merkwürdiges Geräusch wird laut. Es klingt wie ein Schaben auf dem Eis. Gebannt starren sie den Weg entlang, bis Kukui plötzlich niesen muss. Der Laut erzeugt abermals ein Echo und lässt das Schaben für einen Moment verstummen. Dann setzt es wieder ein und auf einmal taucht ein kleines Pokémon vor ihnen auf. Irgendwie hat es Ähnlichkeit mit einem wandelnden Tipi oder, wie etwas, dass sich verkrampft in eine Decke eingewickelt hat, um hier in der Kälte nicht zu erfrieren. Der kleine Körper zittert sogar unaufhörlich und festigt diesen Gedanken damit noch mehr. Laut Pokédex handelt es sich dabei um Schneppke, ein Eis-Pokémon, das sehr zurückgezogen in kleinen Gruppen hoch oben in den Bergen lebt. Es gilt als sehr scheu, doch dieses hier wirkt ziemlich entschlossen, was wahrscheinlich daran liegt, dass es ein Mitstreiter des Herrscher-Pokémon sein könnte, das den Z-Kristall bewacht.
 

Der kleine Schneehut steht zitternd da und blickt die beiden Trainer überraschend finster an. Manuel und Bromley ziehen ihre Pokébälle und lassen ihre Begleiter frei. Beim Anblick des Wolfes und des Samurai wirkt das Schneppke dann weit weniger entschlossen, doch noch ergreift es nicht die Flucht. Stattdessen holt es tief Luft und pustet eine dichte Wolke aus Schnee auf seine Gegner. Der Pulverschnee breitet sich rasant aus und erfasst gleich beide Pokémon auf einmal. Die Attacke ist nicht sonderlich stark, weswegen Tectass sie fast ungerührt über sich ergehen lässt. Wolwerock hingegen ist empfindlicher auf Eis und zieht sich daher hinter den großen Käfer zurück, um möglichst wenig davon abzubekommen.
 

Darüber scheint der Schneehut nicht sonderlich glücklich zu sein und setzt wieder zur selben Attacke an. Dies nutzt Bromley jedoch aus und befiehlt Sweetheart den Gegenangriff. Noch während Schneppke Luft holt, prescht der gepanzerte Käfer heran und holt aus. Der Tiefschlag trifft das Eis-Pokémon völlig überraschend mitten im Gesicht und wirft es schlitternd auf den Rücken. Hilflos zappelt es einen Moment mit den Beinchen, ehe es sich wieder aufrichten kann und taumelnd versucht die Nachwirkungen des Schlages wegzustecken. Darin sieht der Schwarzhaarige die Chance für einen weiteren Treffer. „Sweetheart, setz gleich noch einen mit Schlitzer nach!“, befiehlt er siegessicher. Mit einem kampfbereiten Fauchen stürmt Tectass ein weiteres Mal heran und hebt drohend ihre gewaltigen Klauen, um ihrem Gegner damit einen harten Streich zu verpassen. Doch so leicht lässt sich der kleine Schneehut nicht wieder treffen.
 

Noch ehe der Samurai nahe genug an es herankommt, erzeugt es eine leuchtende Kuppel um sich herum. Die langen Krallen des Käfers treffen mit voller Wucht auf dieses durchsichtige Gebilde, dennoch kommen sie nicht an Schneppke heran. Erst, als der Angriff des Käfers beendet ist, verschwindet die Kuppel wieder. „Es beherrscht Schutzschild!“, entkommt es Kukui erstaunt. Erzürnt wendet Bromley ihm den Blick zu. „Heißt das, dass ich’s nich‘ treffen kann?“, hakt er verstimmt nach. „Ja, zumindest einen Angriff kann es damit abfangen. Danach löst sich der Schild wieder auf. Es kann die Attacke aber nicht zweimal direkt hintereinander einsetzen.“, erläutert der Brillenträger zuversichtlich. Diese Tatsache können die beiden aber nicht gleich ausnutzen, da das kleine Eis-Pokémon eine erneute Schneeladung auf sie abfeuert. Wieder werden Wolwerock und Tectass getroffen und wieder sucht die Fähe hinter ihrer großen Kollegin Schutz.
 

Darin sieht der Brünette nun seine Chance den Kampf zu beenden. „Schnell, Wolwerock! Setz Feuerzahn ein!“, ruft er dem Wolf zu. Dieser sprintet hinter dem Käfer hervor, als sich die Schneewolke lichtet, während glühende Flammen um sein Maul herum züngeln. Der Schock über den bevorstehenden Angriff steht Schneppke buchstäblich ins Gesicht geschrieben. Es beginnt am ganze Körper noch heftiger zu zittern und erzeugt dann wieder sein Schutzschild. Wolwerock bemerkt es allerdings zu spät und knallt in vollem Tempo dagegen. Überrascht heult die Fähe auf und schüttelt sich verwirrt. Als sich der Schild auflöst, versucht sie es allerdings entgegen Kukuis Warnung noch einmal. Doch das stellt sich als schwerer Fehler heraus. Ehe die Flammen zu lodern beginnen, bekommt die Fähe eine heftige Ladung Schnee verpasst, der sie durch die Höhle schlittern lässt und sie dann gegen die harte Felswand wirft.
 

„Oh nein!“, entkommt es dem Brünetten erschrocken und schützend postiert sich Tectass mit weit ausgebreiteten Armen vor ihrer Freundin, als der kleine Schneehut erneut eine Ladung abfeuert. Lange wird sie das aber auch nicht mehr aushalten können, von daher muss ihnen schnell eine Lösung einfallen. „Wenn’s so weitergeht, macht uns das Vieh voll platt!“, gebärt sich Bromley aufgebracht. „Ja, da hast du recht. Doch ich habe eine Idee.“ „Und welche?“ „Lass Tectass noch einmal angreifen, egal mit was.“ „Bringt doch nichts. Es wird sich wieder schützen.“, erinnert der Schwarzhaarige. „Das soll es ja auch, weil es das danach dann nicht gleich wieder tun kann. Sobald der Schild bricht, wird Wolwerock es mit ihrem Feuerzahn kampfunfähig machen. Verstehst du?“, erklärt sich der Kleinere. Nachdenklich mustert ihn der andere und zuckt dann mit den Schultern. „Versuchen wir’s. Sweetheart, Schlitzer!“
 

Mit einem Fauchen saust der große Käfer los und holt mit seinen Klauen aus. Wie Kukui gehofft hat, schützt sich Schneppke tatsächlich wieder vor dem Angriff. Heftig knallen die gewaltigen Krallen auf die leuchtende Kuppel, doch durchdringen können sie sie nicht. „Schnell, Wolwerock! Spring auf Tectass‘ Rücken und greif mit Feuerzahn an!“ Knurrend rennt die Fähe los, als die Kuppel unter dem Schlag zu beben beginnt. Sie springt geschwind auf den harten Panzer des Samurai und entflammt ihre Zähne, genau in dem Moment, als sich die Kuppel in Luft auflöst. Mit weit aufgerissenem Maul lässt sich Wolwerock auf ihr wehrloses Opfer fallen und beißt heftig zu. Schneppke hat nicht mehr die Möglichkeit zu reagieren und wird schwer getroffen. Sein eisiger Körper erliegt den heißen Flammen augenblicklich, sodass es reglos zu Boden geht.
 

Einen Moment verharren die beiden Pokémon noch angriffsbreit auf dem Feld und warten auf eine Reaktion. Schwerlich gelingt es dem kleinen Schneehut sich etwas hoch zu stemmen, sie erschöpft anzublicken und dann bricht es wieder zusammen und rührt sich nicht mehr. Sein Körper beginnt zu dampfen und eisige Luft aus der Umgebung einzusammeln, um sich zu regenerieren, doch eine Gefahr geht von ihm nicht mehr aus, weshalb die Jungs ihren Weg fortsetzen.
 


 

5
 

Sie kommen um eine Kurve. Die Luft hier scheint irgendwie noch kälter zu sein, als im Rest der Höhle. Verwundert blicken sich die Trainer an. Ein überraschtes Jaulen ertönt plötzlich von der Fähe. Suchend streckt sie den Kopf nach oben und dann sehen es auch die anderen. Aus heiterem Himmel setzt auf einmal ein Hagelschauer ein, obwohl sie sich immer noch in der Höhle befinden und es hier drin verständlicherweise auch keine Wolken gibt. Es ist, als würden die scharfkantigen Eiskristalle direkt von der Decke fallen. Sie sind so spitzt, dass es sich wie Nadelstiche anfühlt, wenn sie die Haut berühren. So dick eingepackt, bekommen Manuel und Bromley das aber nur wenig mit, Wolwerock und Tectass hingegen zucken immer wieder überrascht zusammen, wenn sie davon getroffen werden. Man sieht ihnen an, wie unangenehm ihnen das Ganze ist und weder Fell noch Panzerung sie davor zu schützen scheinen.
 

„Wie zum Henker geh’n so was?“, fragt der Schwarzhaarige verständnislos, doch sein Partner weiß darauf auch keine sinnvolle Antwort. Aber vermutlich steckt irgendein Pokémon dahinter. Wirklich wissen wollen die vier es aber nicht, weshalb sie ihren Marsch fortsetzen. Sie kommen jedoch gar nicht dazu einen Fuß vor den anderen zu setzen, da beginnt die Felswand in ihrer Nähe auf einmal zu bröckeln. Tiefe Risse bilden sich in der Eisschicht darauf und ganze Brocken fallen zu Boden. Dann bricht ein besonders großes Stück heraus und mit einem düsteren Laut kommt ein Pokémon daraus hervor. Es gleicht einer riesigen, schwarzweißen Eiskugel, mit zwei spitzen Hörnern auf dem Kopf, großen, finster dreinblickenden Augen und einem alles zermalmenden Kiefer. Sein nahezu kugelförmiger Körper hat einen Durchmesser von mindestens vier Metern und es gleicht einem unerklärlichen Wunder, dass es mit seinem enormen Gewicht über dem Boden schweben kann.
 

Mit stockendem Atem blickt Kukui auf den Pokédex. „Das ist ein Firnontor, die Entwicklung von Schneppke! Dies hier ist allerdings riesig, sodass es ganz sicher das Herrscher-Pokémon ist...“, teilt er seinen Mitstreitern mit. Und wie zur Bestätigung seiner Aussage, flammt in diesem Moment die Herrscher-Aura um die Eiskugel herum auf. „Krasser Scheiß...“, gibt Bromley nur von sich, wobei seine Zähne vor Kälte so sehr klappern, dass man seine Worte kaum verstehen kann. Der Hagel wird immer dichter und setzt dem Wolf und dem Käfer mittlerweile ziemlich zu. Den beiden Trainern muss es also schnell gelingen, den Kampf für sich zu entscheiden, ehe sie dadurch kampfunfähig werden.
 

Auf den Befehl des Schwarzhaarigen hin, stürmt Tectass mit ihrem Überrumpler heran, um sich einen Vorteil zu sichern. Doch da hat sie die Rechnung wohl ohne Firnontor gemacht. Ehe der Samurai seinen blitzschnellen Treffer landen kann, leuchtet auf einmal eine Kuppel um das Eiswesen auf. Erschrocken beobachten die Trainer, wie Sweetheart gegen das Schild knallt und ihr Angriff danebengeht. „Das is‘ doch unmöglich! Meine Attacke hat ‘ne erhöhte Priorität!“, gebärt sich Bromley fassungslos. Auch Manuel ist im ersten Moment ziemlich überrumpelt davon, dann fällt es ihm jedoch wie Schuppen von den Augen. „Schutzschild hat ebenfalls eine erhöhte Priorität! Sogar weit mehr, sodass die Attacke mehr als doppelt so schnell ist, wie dein Angriff!“, gesteht er dem verwirrten Schwarzhaarigen. „Nich‘ dein Ernst? So’n Scheiß! Und jetz‘?“ „In Deckung!“, ruft Manuel entsetzt und duckt sich.
 

Bromley dreht sich gerade noch rechtzeitig um, um zu sehen, wie die Eiskugel ihren Gegenangriff startet. Das schwarzweiße Pokémon saugt heftig Luft ein und stößt sie dann in einer gigantischen Eiswolke aus. Der Blizzard, der dabei entsteht, hat eine so dermaßene Geschwindigkeit, dass er sie alle von den Füßen reißt, auf den Boden drückt oder gegen die nächste Wand schleudert. Der andauernde Hagel verstärkt den Angriff noch und erhöht seine Treffsicherheit, sodass er seine Wirkung nicht verfehlt. Schwer getroffen versuchen sich die vier wieder aufzurappeln. Die Jungs haben einiges an Kratzer abbekommen, doch das Meiste traf ihre Begleiter. Schwerlich richtet sich Tectass wieder auf und schüttelt den Schnee von ihrem Panzer. Sie wirkt noch relativ munter, wenn man die Heftigkeit dieses Angriffs bedenkt. Bei Wolwerock sieht es da schon anders aus. Die Fähe schafft es gerade so, überhaupt auf die Füße zu kommen. Als sie ihr Fell ausschüttelt, wirkt es kraftlos und schwach, weswegen sie ihre Bemühungen auch einstellt, ehe sie fertig ist.
 

Sorgenvoll betrachtet der Brünette den Wolf. Noch so einen Treffer und sie ist erledigt. Und selbst, wenn es ihr gelingt auszuweichen, wird sie der Hagel früher oder später dahinraffen. Ihnen muss es also schnell gelingen, eine Lösung zu finden. „Versuchen wa‘ denselben Trick wie bei Schneppke!“, schlägt Bromley schließlich vor. „Gut, doch ich denke nicht, dass ich es mit einem Schlag erledigen kann. Es ist erheblich schneller und stärker, als Schneppke...“, zweifelt der Brillenträger. „Is‘ klar. Du brauchst Zeit für ‘ne verdammte Z-Attacke!“ „Ja, darauf wird es wohl hinauslaufen. Immerhin kann ich es damit auch treffen, wenn es sich schützt. Doch damit das reicht, müssen wir vorher noch mindestens einen Treffer landen, um es zu schwächen.“ „Dann los! Wie vorhin, Sweetheart! Schlitzer!“
 

Unter den herausfordernden Augen Firnontors läuft Tectass los. Die Eiskugel setzt auch diesmal seinen Schutzschild ein, um den Angriff abzufangen und der Käfer schlägt abermals hart dagegen. In diesem Moment rennt Wolwerock los und springt auf den Rücken des Käfers. „Steinhagel!“, ruft Kukui ihr zu, als er sieht, wie Firnontor wieder zum Blizzard ansetzt. Die Fähe reagiert im letzten Moment. Anstatt auf ihren Gegner zu springen und damit frontal von den Schneemassen getroffen zu werden, macht sie einen großen Satz in die Luft, mit dem sie fast die Decke der Höhle erreicht. Nur knapp entgeht sie so dem Angriff des Eiswesens. Die Fähe nimmt all ihre Kraft zusammen und beschwört Felsbrocken herauf, die sich von den Höhlenwänden und vom Boden lösen. Sie schweben empor und regnen dann als harte Geschosse auf die Eiskugel nieder. Firnontor wird heftig davon getroffen, erst recht, weil es eine Schwäche gegen Gesteins-Attacken hat.
 

Besiegt ist es deswegen aber keinesfalls. Dafür braucht es jetzt die Z-Attacke. „Scheiße!“, entkommt es Bromley aufgebracht, als sich Schnee und Staub wieder legen. Tectass hat die volle Wucht des Blizzards abbekommen, erst recht, weil es zum Zeitpunkt des Angriffs genau vor Firnontor gestanden hat. Dies hat ausgereicht, um den Nebeneffekt der Attacke auszulösen. Der große Käfer ist zu einer Eisskulptur erstarrt und nicht mehr in der Lage einen Angriff auszuführen! „Ach du heiliges Kapu, nein!“, entkommt es auch Manuel voller Entsetzen. Selbst Wolwerock lässt das Ganze nicht kalt. Winselnd läuft sie um ihre gefrorene Partnerin im Kreis herum und leckt an ihrer vereisten Pranke. Ungeduldig ertönt Firnontors Stimme hinter ihnen und die Fähe dreht sich voll wütendem Knurren zu ihm um. Ihre sonst so friedlichen blauen Augen glühen vor wilder Entschlossenheit rot auf.
 

„Bromley, geh in Deckung! Wolwerock und ich werden das jetzt beenden!“, kommt es erstaunlich hart von Kukui, der unbedingt verhindern will, dass sein Partner wieder etwas Unvorsichtiges tut und dadurch wohlmöglich auch eingefroren oder verletzt wird. Der Schwarzhaarige wirft ihm einen zornigen Blick zu, wobei dieses Gefühl nicht unbedingt ihm, sondern eher dem Gegner galt. Dann geht er schwermütig hinter seiner gefrorenen Begleiterin in Deckung. „Reiß dem Mistvieh ordentlich den Arsch auf!“, gibt er noch von sich und kauert sich dann so klein wie möglich zusammen. Manuel nickt entschlossen, innerlich ist er sich aber nicht sicher, ob ihm das so einfach gelingen wird, wenn er niemanden hat, der Firnontor ablenkt, während er die Z-Attacke vorbereitet. Doch mittlerweile gelingt es ihm viel leichter, so einen Angriff auszuführen, da die Bindung zu seinem Pokémon viel stärker ist, als damals und Wolwerocks Entschlossenheit und Konzentration auch eine ganz andere sind. Es muss Kukui nur gelingen, selbst für eine Ablenkung zu sorgen und gleichzeitig nicht den Blick für die Attacke zu verlieren.
 

„Ok, Wolwerock, jetzt gilt es! Versuch es mit Ruckzuckhieb zu verwirren!“, befiehlt er der Fähe. Diese prescht im Zickzack vor, springt dabei elegant an den Wänden hoch und zieht Kreise um die Eiskugel, jedoch ohne sie anzugreifen. Firnontor findet das gar nicht lustig und setzt zu einem erneuten Blizzard an. Die Attacke ist zwar weit gefächert, doch der Wolf ändert immer wieder seinen Standpunkt und das auch in der Höhe, sodass es für das Eiswesen unmöglich ist, sich festzulegen. „Gut...“, murmelt der Brillenträger vor sich hin und positioniert sich. Während die Fähe immer weiter versucht auszuweichen, vollführt Kukui seinen Tanz für die Dynamische Maxiflamme. Als er bei der letzten Pose ankommt, ist es Wolwerock gelungen, das Eis-Pokémon vollkommen zu verwirren. Schwankend hängt Firnontor in der Luft und weiß weder vor noch zurück.
 

Der Wolf landet wieder auf dem Boden und vereint seine Gedanken mit denen seines Trainers. Trotz der unsagbaren Kälte in der Höhle, beginnt die Luft regelrecht zu flimmern, als Wolwerock die flammende Hitze um sich herum aufbaut. Die gewaltige Feuerkugel füllt einen Großteil des Kampffeldes aus und hält dann direkt auf das Eiswesen zu. Firnontors Augen weiten sich erschrocken, als es diesen riesigen Ball reiner Hitze vor sich sieht. Instinktiv benutzt es seinen Schutzschild, um sich vor der alles vernichtenden Attacke abzuschirmen, doch da hat es die Rechnung ohne die Z-Attacke gemacht. Mit einem splitternden Krachen berstet das Schutzschild auseinander, als die Maxiflamme darauf trifft. Das glühende Orangerot hüllt Firnontor komplett ein und explodiert dann in einer gewaltigen Detonation, die die ganze Höhle erzittern lässt.
 

Als sich der Staub legt, liegt das Herrscher-Pokémon kampfunfähig in einer dampfenden Wasserpfütze am Boden. Schwer atmend bringt Manuel ein kleines Lächeln zu Stande und läuft dann zu seiner Fähe hinüber, die ziemlich fertig neben ihrem Gegner steht und dennoch triumphierend knurrt. „Wir haben es geschafft...!“, teilt er ihr erschöpft mit und schließt die Arme um sie. Kurz darauf muss er allerdings heftig niesen. Sekunden später vernimmt er Bromley’s jubelnde Stimme und wendet sich um. Die enorme Hitze der Z-Attacke hat ausgereicht, um Tectass wieder aufzutauen. Trainer und Pokémon schließen einander fest in die Arme und können ihr Glück noch gar nicht ganz fassen.
 

Unbemerkt dessen hat sich Firnontor wieder aufgerappelt. Mit einem missgünstigen Grunzen erhebt es sich schwankend wieder in die Luft und schwebt dann auf die Stelle zu, an der es vor dem Kampf aus der Wand gekommen ist. Angespannt verfolgen die vier das Ganze. Die Eiskugel rammt ihren Körper mit voller Wucht gegen das Felsgestein, sodass etliche weitere Brocken herunterfallen, dann verschwindet es in einem Loch dahinter. Doch da ist noch mehr. Verborgen hinter dem Gestein kommt nun ein goldener Sockel zum Vorschein. Auf einer Halterung in seiner Mitte glitzern zwei Z-Kristalle von Typ Eis und zeugen somit von ihrem Sieg über den Herrscher der Eishöhle.
 


 

6
 

Nachdem sie die Kristalle eingesammelt und etwas verschnauft haben, setzen die vier ihren Weg fort. Er führt sie eine Weile geradeaus und dann entdecken sie etwas Glitzerndes in der Ferne, das große Ähnlichkeit mit dem hat, was sie vor einer Weile in einem anderen Gang gesehen und für ein mögliches Pokémon gehalten haben. Wie sich nun herausstellt, ist es kein Lebewesen und auch nichts anderes, dass ihnen gefährlich werden könnte. Mit ziemlichem Staunen stehen sie vor dem riesigen Felsen. Sein Umfang ist fast so groß, dass er den gesamten Durchgang blockiert und er ist so hoch, dass er Bromley bis zum Hals reicht. Das an sich ist aber nichts Besonderes. Das wirklich Spektakuläre ist seine Oberfläche. Sie ist vollkommen mit Eis bedeckt, das so dick ist, dass der gesamte Felsen weiß zu glühen scheint und so glatt ist, dass er wie blankpoliert wirkt. Er strahlt eine unglaubliche Kälte aus, die die Luft um ihn herum beinahe erstarren lässt. „Das ist unglaublich...“, entkommt es Manuel ehrfürchtig.
 

Völlig davon fasziniert, streckt Bromley die Hand danach aus. Mit Schrecken muss Kukui feststellen, dass sein Partner den Handschuh ausgezogen hat und sich seine nackten Finger nun zitternd und vor Kälte fast schon blau angelaufen, der glatten Oberfläche des Eisfelsens nähern. „Wow...“, gibt er nahezu flüsternd von sich, ehe ihn der Brillenträger beinahe grob zurückzieht. „Nicht!“ Verwundert mustert ihn der Schwarzhaarige. In den schiefergrauen Augen des Größeren kann Manuel eine tiefe Leere erkennen, wie sie sonst nur sichtbar ist, wenn sein Vater von ihm Besitz zu ergreifen scheint und er dann völlig neben sich ist. Überraschung und auch ein wenig Angst legen sich in den Blick des Brillenträgers, während er vehement den Arm des anderen umklammert hält. Dieser merkwürdige Felsen muss eine Art unheimliche Wirkung auf den Jungen haben, die an Kukui scheinbar ungerührt vorbeigeht.
 

Langsam lässt der Käfer-Trainer seinen Arm sinken und zieht sich wieder den Handschuh über. Unverwandt sieht er seinen Kollegen dabei die ganze Zeit an. Doch sein Blick klärt sich wieder. „Was is‘?“, fragt er etwas irritiert. Verhalten räuspert sich der Kleinere. Dunkel kann er sich erinnern, schon mal etwas über so einen Felsen gelesen zu haben, wusste aber nicht, wo er sich befindet. Es hatte irgendetwas mit einem Pokémon und dessen Entwicklung zu tun, doch er kann sich nicht mehr erinnern, um welches es sich handelt und was genau der Felsen damit zu tun hat. Dennoch kann er sich ganz deutlich an eine Warnung erinnern, die dabeistand. „Du darfst den Felsen nicht anfassen, sonst frierst du augenblicklich daran fest!“, versucht der Brünette ihm klarzumachen. Verwundert hebt Bromley eine Augenbraue. „Wieso sollte ich das Ding denn anfassen woll’n? Ich bin doch nich‘ verrückt...“, erwidert er leicht angesäuert und windet sich endgültig aus dem Griff des anderen. „Ähm...“, macht Manuel nur. Der Schwarzhaarige scheint gar nicht gemerkt zu haben, was er da in Begriff war zu tun und dies erschreckt den Älteren doch ziemlich. Unweigerlich stellt er sich die Frage, ob der Felsen nun daran schuld ist oder ob es an Bromley’s labilem Geisteszustand liegt, doch er findet keine Antwort.
 

Stattdessen nuschelt er eine Entschuldigung und senkt den Blick. Der Schwarzhaarige zuckt nur desinteressiert mit den Schultern. „Wie auch immer. Lass uns verschwinden, ehe uns noch der Hintern abfriert...“, gibt er zurück und schiebt sich vorsichtig an dem eisigen Felsen vorbei. Kukui wirft einen letzten Blick auf das weißlich schimmernde Gebilde, doch er verspürt keinen merkwürdigen Drang, wie ihn der Jüngere scheinbar hatte. Mit Bedacht drückt er sich ebenfalls daran vorbei und dann folgen sie wieder dem Weg. Er führt noch eine Weile weiter und dann wird ein mattes Licht in der Ferne sichtbar. Eine ziemliche Erleichterung erfasst die jungen Trainer und ihre Pokémon, als sie feststellen, dass es sich dabei um den Ausgang handelt.
 

Als sie hinaustreten, werden die vier von der Abendsonne begrüßt, die sich mühevoll in einem rotorangen Schleier zwischen den dichten Wolken hindurchzwängt, aus denen unaufhörlich dicke Schneeflocken fallen. Vor ihnen erstreckt sich eine lange Freifläche, die vom Berg umgeben wird. Auch hier wächst ein wenig von dem toten, gelben Gras, das sie schon auf der anderen Seite der Eishöhle gesehen haben. Sonst gibt es nur Felsgestein und Schnee. Ein böiger Wind pfeift durch die Senke und wirbelt die weißen Flocken kurzzeitig zu einer dichten Wand auf. Ganz nahe am Zugang zur Höhle, so dicht wie möglich an den Berg gedrückt, errichten die Jungs ihr Zelt. Sie machen ein Feuer und essen dann etwas. Bevor sie sich zur Nacht begeben, werfen sie einen Blick in die Höhe. Die Spitze des Berges ist nun viel näher. Einen Absatz müssen sie morgen noch erklimmen und dann ist es nicht mehr weit bis zum Gipfel und dem Ziel ihrer Inselwanderschaft...
 


 

7
 

In der Nacht werden sie von einem heftigen Schneesturm erfasst, der ihr Zelt erheblich durchschüttelt. Dennoch sind alle so erschöpft, dass sie es kaum bemerken, obwohl es dadurch ziemlich laut wird. Ungerührt schlafen Bromley und die Pokémon, bemerken nichts von Manuels Kampf. Ein Alptraum nach dem anderen sucht den Jungen heim und dennoch kann er nicht wirklich etwas erkennen. Alles wird von dichtem Schneetreiben verschleiert. Doch das ist nicht alles. Gefangen in diesen bildhaften Visionen breitet sich etwas in ihm aus. Es besetzt jeden Winkel seines zierlichen Körpers mit ungeheurer Geschwindigkeit, lässt ihn erzittern, dann erneut heftig schwitzen. Starke Schmerzen rütteln ihn immer wieder wach, doch kurz darauf wird er wieder in eine Art komatösen Schlaf gezerrt, gegen den er sich nicht wehren kann. So vergehen die Stunden und die Krankheit beißt sich immer mehr in ihm fest.
 

Am nächsten Morgen schlägt Bromley langsam und schwerfällig die Augen auf. Der Sturm hat sich inzwischen verzogen und seichtes Sonnenlicht erhellt das Innere des Zeltes. Dem Winkel des einfallenden Lichts nach zu urteilen, ist der Morgen jedoch schon fast beim Mittag angekommen. Diese Tatsache lässt den Schwarzhaarigen zusammenzucken und all die Müdigkeit abschütteln, die noch hartnäckig an ihm zieht. Kerzengerade setzt er sich auf und blickt auf seine Uhr. Es ist wirklich schon fast Mittag. Irgendetwas stimmt nicht. Während der gesamten Wanderschaft konnte Bromley nicht ein einziges Mal länger als bis sieben, allerhöchstens acht schlafen, weil Kukui ihn stets geweckt hat, damit sie eine möglichst weite Strecke im Tageslichtzurücklegen konnten. Der Käfer-Trainer war von dieser Ruhelosigkeit zwar nie sonderlich angetan, wollte er doch nicht so früh aufstehen müssen, dennoch hat er es immer wortlos hingenommen und sich nie beschwert, denn im Grunde hatte der Brünette damit ja auch recht. Hätten sie jeden Tag bis Mittag geschlafen, so wie es der Jüngere gerngehabt hätte, wären sie jetzt wohl noch Monate vom Mount Lanakila entfernt.
 

Ein Blick auf Wolwerock und Tectass hilft ihm da auch wenig. Die beiden liegen eng zusammengekuschelt am Eingang des Zelts und schlafen tief und fest. Verständlich, nach den harten Kämpfen gestern. Er sieht die zwei noch einen Moment verwundert an, dann wendet er den Blick neben sich. Dort liegt der Brünette, fest eingerollt in seinen Schlafsack, wie eine Raupe, die dabei ist sich zu verpuppen. Er zittert am ganzen Körper und dennoch steht ihm der Schweiß in dicken Tropfen auf der Stirn. Seine unglaublich lang gewachsenen Haare sind aus dem Band gerutscht, das er benutzt, um sie aus seinem Gesicht zu halten, und bilden nun eine wüste Wolke um seinen Kopf – fast so, als würde er auf einem zerplatzten Kissen liegen. Das Gesicht ist Bromley zugewandt, aber es wirkt sehr seltsam auf ihn. Manuel hat die Augen fast krampfhaft zusammengepresst, seine Wangen sind trotz seiner Bräune tiefrot gefärbt, der Rest seiner Haut wirkt hingegen aschfahl; seine Lippen sind staubtrocken und aufgesprungen; sein Mund steht offen und er atmet in einem abgehackten, ziemlich angestrengten Rhythmus.
 

‚Er is‘ krank...!?‘, geht es dem Größeren mit einer Mischung aus Verwunderung und Sorge durch den Kopf. Dunkel erinnert er sich daran, wie der Brillenträger in der Eishöhle ständig niesen musste und es auch nicht besser wurde, nachdem sie sie verlassen hatten. Er hat sich sogar noch darüber geärgert, dass es im Zelt schlimmer und er so vom Einschlafen abgehalten wurde, bis ihn schließlich die Erschöpfung mit sich gerissen hat. In der Nacht muss Manuel nun richtig krank geworden sein, was bei der Kälte hier oben auch gar kein Wunder ist. Nervös schluckt der Schwarzhaarige. Er fühlt sich irgendwie hilflos. Noch nie war er mit jemandem zusammen, der krank geworden ist. In seinem Elternhaus war es stets er selbst, der gelitten hat, in welcher Form auch immer, und um den sich niemand gekümmert hat. Von daher weiß er nun nicht wirklich, was er tun soll. Vorsichtig beugt er sich zu dem anderen Jungen und rüttelt sanft an ihm. „Manu? Wach auf!“ Es dauert eine ganze Weile, doch dann reagiert der Angesprochene. Mühevoll schlägt er die Augen auf, die den anderen wässern und trüb versuchen anzusehen. Ihr Anblick verpasst dem Größeren einen Stich ins Herz und er zuckt unwillkürlich zurück.
 

„Bromley...?“, fragt der Brillenträger schwach, doch das Wort geht fast völlig in einem heftigen Hustenanfall unter, der seinen schmächtigen Körper durchschüttelt, wie es der Schneesturm die Nacht über mit dem Zelt getan hat. Als er endet, klingt sein Atem schrecklich rasselnd und halb erstickt. „Scheiße...“, flüstert der Jüngere den Tränen nahe. Mehr oder weniger gut versucht er sich den Tag über um Kukui zu kümmern. Hingebungsvoll leisten die Pokémon ihren Dienst, doch besser wird es ohne Medizin nicht wirklich.
 


 

8
 

Als Bromley ihn am nächsten Tag weckt, fasst Kukui daher einen folgenschweren Entschluss. Schwerfällig setzt er sich auf und lehnt sich an Wolwerock, das sich wie ein Kissen gegen seinen Rücken drückt und ihn stützt. „Bromley, du musst...“, weiter kommt er erst einmal nicht, da wird er von einem heftigen Hustenanfall durchgeschüttelt. Sorgenvoll reicht ihm der andere etwas Wasser. Nach ein paar Momenten beruhigt sich Kukui wieder. „Was muss ich?“, hakt der Schwarzhaarige schließlich nach. „Du musst ohne mich – weitergehen. Ich schaffe es nicht – und wer weiß, wie lange es noch – dauert, bis es mir bessergeht...“, vollendet der Brünette seine Bitte. Entsetzt sieht der Käfer-Trainer ihn an. „Is‘ nich‘ dein Ernst!? Ich kann dich hier doch nich‘ alleinlassen!“, platzt es aufgebracht aus ihm heraus. Langsam schließt Manuel die Augen, atmet tief und angestrengt durch und blickt seinen Partner dann wieder an.
 

„Doch, du musst gehen! – Ich werde ganz sicher nicht gesund, wenn – wenn ich keinen Arzt bekomme. – Und dann wäre der ganze Aufstieg umsonst gewesen. – Von daher musst wenigstens du – die Wanderschaft zu Ende bringen. – Außerdem habe ich Wolwerock – ich bin also nicht allein...“, er versucht sich an einem Lächeln, doch in seinem momentan so blassen Gesicht sieht es einfach nur mittleidig aus. „Ich kann nich‘. – Ich könnt’s mir nie verzeih’n, wenn dir ‘was passiert...“ Langsam schüttelt Kukui den Kopf. „Mir passiert nichts – ganz sicher. – Bitte, Bromley – tu es für mich...“, flehend sieht er seinen Partner an, mit dem er den weiten Weg bis hierher unerschrocken durchgestanden hat. Tränen kullern über seine erhitzten Wangen, denn er wünscht sich so sehr, dass Bromley es schafft Champion zu werden. Die Tränen des anderen machen dem Schwarzhaarigen dessen Ernsthaftigkeit endgültig klar und so nickt er schließlich langsam und verbittert.
 

„Gut, für dich mach‘ ich’s...“, erwidert er und nimmt dann Wolwerocks Kopf fest zwischen seine Hände. Tief sieht er der Fähe in die Augen. „Ich warn‘ dich nur ‘n einziges Mal. Wenn ihm ‘was passiert, zieh ich dir das Fell über die Ohren! Darauf kannste Gift nehmen! Also pass gefälligst gut auf ihn auf, checkstes?“ Das Gesteins-Pokémon windet sich aus seiner Umklammerung, schlingt seinen Körper enger um Kukui, rollt seinen Schwanz um dessen Brust. Ihre Zunge gleitet liebevoll über seine gerötete Wange und dann sieht sie den Schwarzhaarigen sicher an. Dieser hebt die Hand und streicht ihr kurz über den Kopf. „Yo, gutes Mädchen.“, meint er trocken und wendet sich dann wieder Manuel zu. „Du bist ganz sicher?“, fragt er noch einmal. „Ja, ganz sicher...“, kommt es röchelnd von dem anderen Jungen.
 

So ganz glauben kann Bromley ihm da verständlicherweise nicht, doch er wird nicht eher aufgeben, ehe der Jüngere nicht geht. Da sind sie sich sehr ähnlich – ungebrochene Sturköpfe. „Ok. – Ich versuch‘ mich zu beeilen und dann bring‘ ich dich zum Arzt, versprochen! Versuch nur solang‘ durchzuhalten.“, mahnt er ihn noch einmal. „Mach ich...“ Eine ganze Weile betrachtet der Käfer-Trainer ihn einfach nur ausdruckslos. Manuel will schon fragen, ob bei ihm alles in Ordnung ist, da rührt er sich wieder. Ehe der kranke Junge sich dagegen wehren kann, beugt sich Bromley ganz dicht zu ihm vor. Bestimmend legt er ihm die Hände auf die Wangen und fixiert seinen Kopf, ganz ähnlich, wie er es vorher bei Wolwerock gemacht hat. Verwundert sieht ihn der Brünette an, nur um dann die Augen weit aufzureißen, als sich auf einmal die Lippen der anderen Jungen forsch auf die seinen pressen! Ein tiefes Kribbeln geht von ihnen aus und durchströmt den kraftlosen Körper des Älteren auf seltsame Weise. Doch die Berührung ist zu kurz, fast nur flüchtig, und schon wieder vorbei, bevor Kukui sie genießen kann. Ohne ein weiteres Wort erhebt sich der Größere und verlässt mit Tectass das Zelt, lässt ihn allein mit seinen Gefühlen zurück...
 


 

9
 

Er geht ein paar Meter auf die Felswand zu und stoppt dann. Geistesabwesend hebt er die Hand und lässt sie über seine Lippen gleiten, die eben noch mit denen von Manuel verbunden waren. Es ist irgendwie unwirklich, dieses Gefühl tiefer Zuneigung und Verbundenheit, das er für den Brünetten empfindet. Ganz hinten in seinem Kopf entsteht der Gedanke, dass Jungs andere Jungs nicht küssen, ja, es gar nicht erst dürfen. Doch warum eigentlich? Warum sollte man so etwas nicht tun, wenn es sich doch gut und richtig anfühlt? Nur, weil es nicht normal ist? Nein, definitiv nicht! Denn, was ist schon normal? Nur, weil andere Leute so etwas nicht gern sehen, bedeutet das noch lange nicht, dass es falsch ist! Seine Finger gleiten ein weiters Mal über seine Lippen. Dabei erinnert er sich an den warmen Atem des anderen Jungen. Klar, er hat Fiber, aber dennoch fühlte es sich unglaublich schön an. Allein schon sein überraschter Blick und die schamroten Wangen lassen Bromley’s Herz schneller schlagen. Nein, so ein Gefühl kann unmöglich falsch sein! Sollen die Leute doch sagen, was sie wollen, ist ihm doch egal – solange Manuel nichts dagegen hat!
 

Entschlossen ballt er die Hände zu Fäusten und blickt dann den Berg hinauf. Tectass steht geduldig neben ihm und wartet. Einen Moment später zieht der Schwarzhaarige jedoch ihren Pokéball aus der Tasche und ruft sie zurück. Zuerst weigert sich der Samurai, will ihn nicht ganz allein lassen, doch dann fügt sich Sweetheart und zieht sich zurück. Fest schließt er die Hand um den rotweißen Ball und steckt ihn dann wieder weg. „Wir schaffen das!“, sagt er zu sich selbst. Mit entschlossenen Schritten nähert er sich der Felswand und blickt sich um. Nach einer Weile entdeckt er eine lange Strickleiter, die ihn auf den Absatz bringen wird. Langsam und schwerfällig beginnt er damit sie zu erklimmen. Als er den relativen Schutz der Senke verlässt, erfasst ihn jedoch ein heftiger Wind, der ihn brutal gegen das scharfkantige Gestein drückt. Ihm bleibt fast die Luft weg. Minuten lang, so scheint es ihm, kann er nur ausharren und darauf warten, dass er sich wieder bewegen kann.
 

Er glaubt schon gar nicht mehr daran, dann lässt der Wind endlich etwas nach und er beeilt sich weiterzukommen. Dennoch dauert es fast zwei Stunden, ehe er die endlose Leiter hinaufgestiegen ist und seine Hände sich an einem Pfosten festklammern können. Kraftlos zieht er sich daran hoch und bricht dann bäuchlings auf dem gefrorenen Untergrund zusammen. Hier oben ist es noch um einiges kälter und sein Atem bildet undurchdringliche, weiße Wolken vor seinem Gesicht. Jedes Luftholen ist wie tausend Nadelstiche in seinen Lungen. Bromley’s ganzer Körper fühlt sich unendlich schwer an, so als könnte er überhaupt nicht mehr aufstehen. So als würde ein tonnenschweres Gewicht auf seinem Rücken lasten. Dann jedoch fällt ihm Manuel wieder ein. So krank und hilflos. „Er verlässt sich auf mich...“, bringt er stockend hervor. Auf seinen Lippen beginnt es zaghaft zu kribbeln, so als wäre Kukui hier und würde nun ihn küssen.
 

Dies genügt ihm. Neue Kraft durchflutet seinen müden Körper und er stemmt sich wieder hoch. Taumelnd kommt er auf die Füße und blickt sich um. Um ihm herum ist fast alles weiß. Ein schmaler Weg erstreckt sich von hier zum Gipfel, den er vor lauter Kälte und Wolken nicht sehen kann. Allerdings spürt er, dass er jetzt ganz nah ist. Der Weg führt nach links. Rechts befindet sich ein mörderischer Abgrund ins Ungewisse, der ihm das Blut in den Adern gefrieren lässt – erst recht, weil es keinen Zaun oder dergleichen gibt, der einen vor einem Sturz bewahrt. Eilig läuft der Käfer-Trainer daher nach links. Nach nicht allzu langer Zeit endet der Weg und führt nach rechts weiter. Inzwischen ist das Meiste der neuen Energie wieder verflogen und es fällt ihm unglaublich schwer einen Fuß vor den anderen zu setzen. Die Höhe und ein schneidender Wind tragen ihr Übriges dazu bei. Schwankend wie ein Betrunkener torkelt er den Weg weiter, immer weiter.
 

Gefühlte Stunden scheinen zu vergehen, ehe sich der Pfad ausbreitet und den Gipfel freigibt. Der Gipfel… Er hat es endlich bis zum Gipfel geschafft! Schon allein der Gedanke entzündet einen heißen Funken in seinem Magen und lässt für einen Moment sogar die eisige Kälte vergessen sein. Der Anblick der letzten Stätte seiner Inselwanderschaft löst in ihm aber auch die unterschiedlichsten Gefühle aus – Ehrfurcht, Entsetzen, Vorfreude, Neugierde und Nervosität. Ein Teil von ihm fühlt sich dabei wie ein abergläubischer Eingeborener, der dabei ist eine Tabuzone zu betreten. Der Rest von ihm fühlt sich dagegen wie ein Kind am Weihnachtsmorgen. Dennoch schwingt auch ein großer Teil Wehmut in ihm, weil er hier ganz alleinsteht und nicht mit Manuel, wie es eigentlich hätte sein sollen. Viel Zeit, sich darüber Sorgen zu machen, hat er allerdings nicht, da Hala in diesem Augenblick auf ihn zukommt. In der Ferne kann er die restlichen Inselkönige auf einer prunkvollen Plattform stehen sehen, die alle hier versammelt sind, um gegen ihn anzutreten. Halas Gesicht drückt eine ähnliche Besorgnis aus, wie sie Bromley empfindet, doch das ist noch nicht das Schlimmste…
 


 

10
 

Nachdenklich blickt sich der rundliche Mann um, ehe er vor Bromley zum Stehen kommt und die Stimme erhebt. „Wo steckt Manuel?“, fragt er in einem tadelnden Tonfall. Kein Willkommen, keine Glückwünsche zum gelungenen Aufstieg, nichts. Doch zum jetzigen Zeitpunkt hat der Schwarzhaarige auch nichts anderes erwartet – nicht, wenn Kukui nicht bei ihm ist. Hala blickt ihn streng an, ganz so, als würde er ihn beschuldigen etwas mit der Abwesenheit des Brünetten zu tun zu haben. Beinahe schuldbewusst senkt der Junge den Blick. „Nich‘ hier...“, bringt er schließlich hervor und kämpft mit den Tränen, die sich brennend hinter seinen Augen sammeln, ohne das er versteht wieso.
 

„Wo ist er?“, hakt der Inselkönig in einem noch strengeren Ton nach. Unweigerlich zuckt Bromley leicht zusammen. So hat er den Mann noch nie erlebt. „Er – er ist krank und ruht sich bei der Eishöhle aus...“ „Was? Und du hast ihn einfach schutzlos zurückgelassen?“ Nun steckt ein erschreckender Zorn in der Stimme des sonst so ausgeglichenen Mannes. Diesmal zuckt Bromley noch heftiger zusammen und sieht zu ihm auf. Die ersten Tränen treten über die Ufer und gefrieren augenblicklich auf seinen unterkühlten Wangen, doch Hala scheint diese Tatsache nicht im Geringsten zu kümmern. Hilflos sucht der Schwarzhaarige nach den richtigen Worten. „Ich hab‘ ich nich‘ allein zurückgelassen! Wolwerock is‘ doch bei ihm. Außerdem hat er mich weggeschickt, damit ich Champion werd‘!“, versucht er sich aufgebracht zu rechtfertigen.
 

Der Zorn im Gesicht des Mannes wird immer größer und Bromley befürchtet schon das Schlimmste. Doch dann ganz plötzlich glätten sich seine Züge wieder und er stößt ein schweres Seufzen aus. „Wolwerock ist vollkommen unwichtig, mein Junge. Nur du allein zählst! Wolwerock kann ihm nicht helfen, wenn es ihm schlechter geht...“, versucht er ihm klarzumachen. Trotzig sieht der Junge zu ihm auf. „Ich konnt‘ ihm auch nich‘ helfen, verdammt! Deswegen hat er mich ja weggeschickt!“, platzt es aus ihm heraus. Wieder schlägt sich Zorn auf Halas Gesicht nieder und der Dreizehnjährige fühlt sich schlagartig an seinen Vater erinnert. Oh ja, gleich wird er ausholen und ihm eine saftige Ohrfeige verpassen und dann...
 

Doch das passiert natürlich nicht – so etwas würde der Inselkönig niemals tun. Stattdessen seufzt er nur wieder schwer. „Schon gut, Bromley. – Der Punkt ist aber, dass du hier ohne ihn nicht weiterkommst. Erinnerst du dich daran, was ich euch beim Antritt eurer Reise gesagt habe? Wenn ihr das Ganze zusammen machen wollt, dann müsst ihr es auch zusammen beenden, sonst kann keiner von euch Champion werden.“ Bei diesen Worten entgleiten dem Jungen sämtliche Gesichtszüge. „So’n Scheiß! Das is‘ doch nich‘ dein Ernst! Ich bin den ganzen, verdammten Weg umsonst hier rauf gekomm‘?“, wütend ballt er die Fäuste. „Ich fürchte schon. Doch das ist völlig unwichtig.“, entgegnet der rundliche Mann und geht dann einfach an ihm vorbei den Weg hinab.
 

„Yo, wo willst’en hin?“, brüllt der Schwarzhaarige ihm hinterher. Hala bleibt jedoch nicht stehen. „Geh wieder nach Hause, Bromley! Es ist vorbei!“, ruft er nur zurück. Der großgewachsene Junge wird ganz blass, was ihn bei seiner eh schon blassen Haut wie einen Geist aussehen lässt. Dann verengen sich seine Augen und seine Wangen beginnen zornig zu glühen. „Es is‘ nich‘ vorbei, alter Mann! Hörst du? Es is‘ nich‘ vorbei!“ Wütend stampft er mit dem Fuß auf den schneebedeckten Untergrund, während weitere Tränen auf seinen Wangen erfrieren. Hala jedoch geht einfach ungeachtet der Worte weiter. In seinem Kopf hat im Moment nur ein einziger Gedanke Platz und der ist es Manuel zu finden und ihn heil in ein Krankenhaus zu bringen, bevor es zu spät ist...
 

Für den Käfer-Trainer bricht jedoch eine Welt zusammen. Schwer atmend und kraftlos sinkt er auf die Knie, schlägt mit den geballten Fäusten auf den eisigen Untergrund. Hilflos versucht er sich seinen Tränen zu ergeben, als plötzlich die Stimme seines Vaters in seinem Kopf aufflammt. ‚Bromley? Was treibst du denn da?‘ Die Worte sind so machtvoll, dass der Junge sie im selben Moment laut ausspricht und weit die Augen aufreißt. ‚Du bist so ein elender Nichtsnutz! Ein schwächlicher Versager, der hier nichts zu suchen hat!‘, tönt sein Vater weiter und holt mit dem Dreieisen aus. Im gleichen Augenblick greift der Schwarzhaarige nach einem spitzen Stein, der aus dem Schnee ragt. Mit einem wütenden Knurren hebt er ihn an und lässt ihn kraftvoll auf seinen nackten Handrücken herniedersausen, um die gedankliche Bestrafung durch seinen Vater nachzuahmen.
 

Doch soweit kommt er zum Glück nicht, da schließt sich eine Hand um die seinige und hält ihn davon ab sich selbst zu verletzen. Schlagartig verstummt die Stimme seines Vaters und sein Kopf wird wieder klar. Eine zweite Hand legt sich beruhigend auf seine bebenden Schultern. „Tu das nicht, mein Junge...“ Langsam wendet Bromley den Blick nach hinten und entdeckt Heinrich Eich, der ihn sorgenvoll betrachtet und ihm dann den Stein abnimmt. „Ich – ich bin so’n elender Versager...“, platzt es aus dem Käfer-Trainer hervor und er bricht endgültig in Tränen aus. Mitfühlend geht der Professor neben ihm in die Knie und schließt ihn in die Arme. „Nein, das bist du nicht, mein Junge. – Mach dir keine Sorgen. Sobald es Manuel wieder bessergeht, könnt ihr erneut herkommen und die Wanderschaft gemeinsam beenden. Und ich bin sicher, ihr werdet das ganz hervorragend machen!“, versichert ihm der Grauhaarige.
 

Schluchzend blickt der Junge zu ihm auf, sucht in seinem Gesicht nach etwas, dass seine Worte als Lüge entlarven könnte, doch er findet nichts. Fahrig reibt er sich mit dem Ärmel über seine feuchten Wangen. „Ok...“, gibt er schniefend von sich und lässt sich dann von dem Mann aufhelfen. „Das wird schon. Doch jetzt werde ich dich erst einmal nach Hause bringen, damit du dich ausruhen und neue Kraft schöpfen kannst.“, zuversichtlich lächelt er ihn an. Doch Bromley nickt nur schwermütig und lässt den Kopf hängen. Tröstend legt Eich ihm eine Hand auf den Rücken und führt ihn dann den Berg hinunter und zurück nach Mele-Mele.

Blood and Hope


 

1
 

Eine Woche kämpft Kukui mit seiner Krankheit, ehe er aus dem Hospiz entlassen wird und nun wieder bei seinen Eltern ist, um endgültig zu Kräften zu kommen, und genauso lange haben auch Heinrich Eich und Bromley für den Rückweg nach Mele-Mele gebraucht. Nun steht der Schwarzhaarige ganz allein vor seinem Elternhaus und betrachtet es unschlüssig. Der Professor ist vor etwa einer Stunde gegangen, doch noch konnte sich der Junge einfach nicht überwinden das Gebäude zu betreten. Stattdessen blickt er in den kleinen Garten daneben, wo eine völlig verrottete Schaukel hängt, die ihm als kleines Kind so viele Stunden Freude bereitet hat. Doch das scheint endlos her zu sein, erst recht, nachdem sein Vater damals die Beherrschung verloren und sein Leben völlig zerstört hat. Wehmütig betrachtet er das Gebilde, das an morschen Stützen und durchgerosteten Ketten hängt. Nicht mehr lange und es wird völlig zerfallen und auch die letzte glückliche Erinnerung an seine Kindheit mit sich reißen...
 

Wütend ballt er die Hände zu Fäusten und versucht seinen Zorn und seine Enttäuschung runterzuschlucken. Nach über zwei Jahren der Wanderschaft, der Abenteuer und der tiefgehenden Freundschaft zu Manuel, nun wieder hier zu sein, bereitet ihm tiefes Unbehagen. Im Gegensatz zu dem Brünetten, der immer liebevoll und fürsorglich behandelt wurde und dessen Eltern so viele Tränen vergossen haben, als sie ihn damals verabschiedet haben, verbindet Bromley mit diesem Ort nur Schmerz und Leid. Es gab zwar mal eine Zeit, da war es anders, da hat er die Liebe seiner Mutter sehr genossen und die Strenge seines Vaters als etwas Gutes empfunden, das ihn formen und leiten sollte, doch das war einmal. Seitdem der Golfschläger zum ersten Mal sein Ziel gefunden hat und damit sein Leben und das seiner Mutter zu Grunde ging, ist alles nur noch furchtbar.
 

So wie Heinrich ihn betrachtet hat, weiß er vielleicht sogar, dass in diesem Haus etwas nicht stimmt, doch er wusste wahrscheinlich nicht, wo er sonst mit dem Jungen hinsollte, weshalb er ihn blauäugig hierhergebracht hat. Bromley hätte es ihm zwar sagen können, aber was hätte das schon gebracht? Der Professor hätte ihm wohlmöglich nicht einmal geglaubt oder es heruntergespielt, obwohl er sich ganz sicher noch an die heftige Reaktion seines Vaters erinnern kann, als er Bromley zu seiner Inselwanderschaft abholen wollte. So muss er jetzt damit leben. Allerdings wird er nicht lange hierbleiben, so viel steht fest. Eine Woche, allerhöchstens zwei und dann müsste es Manuel wieder gutgehen und sie können erneut losziehen und endlich die Wanderschaft beenden. Und dann, so ist sich der Schwarzhaarige sicher, kann sein Vater auch nicht mehr behaupten, dass er ein Versager ist! Dann bekommt er vielleicht auch endlich die Anerkennung, die er sich immer von ihm erhofft hat? Und vielleicht hat sich in den zwei Jahren ja auch etwas verändert? Wohlmöglich hat sein Vater seine Aggressionen gegen seinen Sohn mittlerweile im Griff? Der Gedanke ist zu schön, so schön, dass er ihm ein kleines Lächeln auf die verkniffenen Lippen zaubert. Tief holt er Luft, erklimmt dann die wenigen Stufen zu seinem Elternhaus und öffnet die Tür.
 


 

2
 

Mit einem mulmigen Gefühl betritt er die Wohnküche und sieht sich sorgfältig um. Es ist bereits Nachmittag, von daher ist die Küchenzeile ordentlich und aufgeräumt. Das gespülte Geschirr vom Mittagessen steht fein säuberlich neben dem Waschbecken zum Trocknen. Im Wohnbereich läuft der Fernseher mit irgendeiner Wiederholung einer alten Serie, an die sich Bromley dunkel erinnert, weil sein Vater sie früher immer gern angesehen hat. Wo ihm gerade sein verhasster Erzeuger ins Gedächtnis kommt, entdeckt er diesen laut schnarchend auf der Couch ausgestreckt. Der Schwarzhaarige tritt ein paar Schritte näher heran und betrachtet den untersetzten Mann einen Moment. Selbst im Schlaf hat sein Gesicht einen zu tiefst zornigen Ausdruck angenommen und seine Hände sind zu Fäusten geballt. Es wirkt, als könnte er jeden Moment die Augen aufreißen, seinem Sohn ins Gesicht sehen, aufspringen und ihn ohne jeden erkennbaren Grund zusammenschlagen, wie er es früher schon getan hat.
 

Diese grausige Erinnerung weckt nicht etwa Angst in dem Jungen. Nein, im Moment verachtet und hasst er diesen Mann einfach und möchte ihn nur einmal das spüren lassen, was er wieder und wieder ertragen musste, ohne irgendeine Erklärung. Bromley’s Gesicht verzieht sich zu einer zornigen Maske, die ihn Jahre älter aussehen lässt. Auch seine Gedanken scheinen in diesem Moment zu wachsen. Langsam streckt er die Hand aus und greift nach einem der Sofakissen. Fest umklammert hält er es einige Sekunden lang fest, dann beugt er sich damit über den liegenden Mann. Direkt über dessen schlafendem Gesicht hält er noch einmal inne. Sein Atem geht hektisch und dennoch wünscht er sich nichts mehr, als Vergeltung für sein Leid. Aber, wenn er seine Tat vollendet, wäre er auch nicht besser, als dieser Kerl. Nein, er wäre sogar noch schlimmer! Tief in der Kehle gibt er ein Knurren von sich und legt das Kissen widerwillig an seinen Platz zurück.
 

Wie ferngesteuert dreht er sich herum und will sich von der Couch entfernen. Doch auf einmal schreckt er zusammen und sein Gesicht nimmt wieder seine blassen, weichen, noch etwas kindlichen Züge an. Es wirkt nicht mehr so jungenhaft, wie vor zwei Jahren. Dafür hat er inzwischen zu viel durchgemacht. Allerdings ist es auch noch nicht das harte, markante Gesicht, das ihn als Erwachsenen ausmachen wird; das durch Stärke, Dominanz und Charakter bestechen wird. Davon ist er noch etwas entfernt. Dennoch ist deutlich zusehen, wie er die ersten Schritte in die Pubertät zu machen beginnt und der letzte Funken Unschuld immer durchsichtiger wird. All dies wird seiner Mutter plötzlich klar, als sie vor ihm steht. Das Gesicht ihres Sohnes kommt ihr beinahe fremd vor, erst recht mit den inzwischen ziemlichen langen Haaren, die ihm weit über die Schultern reichen, weshalb er sie mit einem Band halbherzig zusammengefasst hat.
 

Mit offenem Mund sehen sich die beiden ein paar Sekunden an, dann beginnt seine Mutter nervös an ihrer Schütze zu zupfen, schüttelt den Kopf und senkt dann den Blick. „Wer bist du, Junge?“, fragt sie verwirrt und sieht ihn dann wieder an. Voller Wehmut kann der Schwarzhaarige die tiefe Leere in ihren Augen erkennen und die sich darin wiederspiegelnde Ratlosigkeit. Tränen beginnen hinter seinen Augen zu brennen und er verachtet sich ganz plötzlich dafür überhaupt weggegangen zu sein. Er hätte hierbleiben und seine Mutter beschützen müssen! Der Käfer-Trainer will sich gar nicht ausmalen, was sie alles an seiner Stelle ertragen musste. Schon vor seiner Abreise war sie nicht mehr sie selbst – war es nicht mehr, seit dem schicksalhaften Tag vor sieben Jahren, als ihr Mann zum ersten Mal richtig ausgerastet und auf ihr einzigen Kind mit einem Golfschläger losgegangen ist. Damals hatte sie versucht ihn davon abzuhalten. Ein einziger Schlag an den Hinterkopf hat jedoch ausgereicht, um sie in einen völlig anderen Menschen zu verwandeln, der jeglichen Blick für die Wirklichkeit verloren hat.
 

Es war das einzige Mal, nach Bromley’s Wissen, dass er die Hand gegen sie erhoben hat und dennoch war es so endgültig. Danach hatte er rundliche Mann sich seinem Sohn zugewandt und ihn halbtot geschlagen und damit auch sein Denken und Handeln vollends zunichtegemacht, sodass er fortan jegliche Kontrolle über seinen geistigen Zustand verloren hat. Sein Erzeuger hat nie auch nur einmal Reue für seine Tat gezeigt. Es war ihm egal, dass er auch seine Frau verletzt hat, die er bis dahin eigentlich immer sehr liebevoll behandelt hatte. Ihm war alles egal und so wurde es mit jedem Jahr schlimmer. Sie jetzt so neben sich zu sehen, bricht dem Schwarzhaarigen das Herz. Seine Lippen beginnen zu zittern und im ersten Moment bekommt er keinen Ton heraus. Dies macht die verwirrte Frau aber nur noch nervöser. „Ich denke, du solltest nach Hause gehen, Junge...“, bringt sie hervor und versucht sich an einem Lächeln.
 

Es schmerzt unglaublich, wenn einen die eigene Mutter nicht mehr erkennt, doch Bromley schluckt seine Wut und Trauer herunter und tritt näher an sie heran. Erschrocken weicht sie einen Schritt vor ihm zurück. Etwas überrascht stellt der Junge fest, dass er inzwischen schon genauso groß ist wie sie, sogar schon ein kleines bisschen größer. Vor zwei Jahren war er noch einen Kopf kleiner und dennoch größer, als alle anderen Kinder in seinem Alter. „Ich bin doch aber zu Haus‘, Mom. Ich bin’s, Bromley, dein Sohn...“, versucht er es vorsichtig und hofft, sie damit nicht zu verschrecken. „Nein, nein. Mein Sohn ist...“ Dann kommt sie unbewusst einen Schritt näher und betrachtet ihn genauer. „Oh...!“, gibt sie verwundert von sich. Sie senkt wieder den Blick Richtung Boden, als müsse sie das alles erst einmal verarbeiten. Als sie den Kopf wieder hebt, ist ihr Blick um ein vielfaches klarer und plötzlich huscht ein Funken durch ihre Augen. „Bromley-Schatz? Das ist aber nett, dass du uns auf deiner Wanderschaft einmal besuchen kommst!“
 

Die Mutter strahlt über das ganze Gesicht, überwindet die kurze Distanz zwischen ihnen und schließt den großen Jungen dann fest in ihre Arme. Der Schwarzhaarige erwidert das Ganze ungehalten und drückt sie an sich, als würde er Angst haben, sie fallenzulassen. Nun kann er auch die Tränen nicht mehr zurückhalten und seiner Mutter scheint es ebenso zu ergehen. Für einen Moment ist alles so, wie es sich Bromley immer gewünscht hat – ganz so, als wären sie eine völlig normale Familie. Langsam trennt sich die Frau von ihm und blickt ihn wieder verwirrt an. „Du bist mein Sohn, nicht wahr? Du bist mein Bromley-Schatz, oder?“, fragt sie matt und mustert ihn. „Yo, Mom, ich bin’s.“, pflichtet er ihr bei. In seiner Stimme liegt eine unglaubliche Ruhe, die er sonst gar nicht aufbringen kann, doch bei ihr kommt sie ganz automatisch.
 

Erneut breitet sich ein herzliches Lächeln auf ihrem Gesicht aus. „Es ist so schön, dich zu sehen, Bromley-Schätzchen! Du warst so lange weg.“, kommt es nun vorwurfsvoll von ihr. „‘tschuldige. War auf Inselwanderschaft.“ „Oh, das klingt wirklich aufregend! Doch sieh dich nur an! Groß bist du geworden und deine Haare. Sie sind so lang. Die sollten wir unbedingt schneiden, damit du nicht wie ein Mädchen aussiehst, Schätzchen!“, meint sie lächelt und zupft an dem Band herum, das seine Strähnen zusammenhält. „Das wär‘ wirklich toll, Mom.“ Innerlich freut er sich, so weit zu ihr durchgedrungen zu sein, da es meist kaum möglich ist, eine richtig Unterhaltung mit ihr zu führen. Dann werden ihre Augen langsam wieder matter und die Ratlosigkeit kehrt in ihr Gesicht zurück. „Bromley? Sieh dich nur an! Deine Haare sind viel zu lang! Ich werde sie dir sofort schneiden!“, entkommt es ihr mit leichtem Nachdruck, als hätte er sich dagegen verweigert. „Yo, is‘ klar, Mom.“ Sanft ergreift sie seine Hand und will ihn in Richtung seines Zimmers führen. Plötzlich legt sich jedoch ein Schatten über ihr Gesicht und sie erstarrt in ihrer Bewegung. Ohne sich umdrehen zu müssen, weiß der Käfer-Trainer, dass sein Vater gerade aufgestanden ist.
 


 

3
 

Grob wird der Junge von hinten im Genick gepackt und dann gegen seinen Willen ruckartig herumgedreht, während seine Mutter einen erschrockenen Laut von sich gibt und dann auf erschreckende Weise jegliches Interesse an ihm zu verlieren scheint. Stattdessen wendet sie sich ab und beginnt damit das trockene Geschirr einzuräumen. Der weilen sieht Bromley in das zornige Gesicht seines Vaters. „Na, sieh mal einer an, wer sich nach so langer Zeit hier mal wieder blicken lässt!“, fährt er den Schwarzhaarigen an und schüttelt ihn kräftig durch. „Was bildest du dir eigentlich ein? Haust Hals über Kopf ab und dann tauchst du wieder auf? Siehst aus wie ein Hippie und machst einen auf fröhlich, ja?“ Hilflos versucht sich der Junge aus dem festen Griff des Mannes zu befreien, doch es gelingt ihm nicht. „Nein, ich – meine Wanderschaft is‘ zu Ende...“, bringt er schwerlich hervor.
 

„Ach? Ist das so, ja? Und dann denkst du, dass du hier einfach so wieder hereinspaziert kommen kannst?“ Wieder schüttelt er seinen Sohn kräftig durch. „Dad, du tust mir weh...“, beginnt der Junge zu wimmern und ringt dabei angestrengt nach Luft. „Wirklich? Ha! Was hat dir dieser ganze Wanderschafts-Mist gebracht, wenn du immer noch so ein weinerlicher Schwächling bist? Und so was schimpft sich einen Champion! Wie tief ist diese Welt nur gesunken!“ Grob stößt er den Schwarzhaarigen zu Boden und baut sich drohend vor ihm auf. „Hab’s nich‘ geschafft Champion zu werden...“, gesteht Bromley schließlich unbewusst, doch das war ein großer Fehler. „Was!“ Der untersetzte Mann hebt warnend die Stimme, sodass die Mutter unwillkürlich zusammenzuckt, ohne wirklich zu wissen, wieso. Ohne den Blick nach ihrem wehrlosen Jungen umzuwenden, setzt sie ihre Arbeit dann aber einfach fort.
 

„Du erdreistest dich hier aufzutauchen und dann auch noch ohne Titel?“ Während er dies sagt, bewegt er sich langsam durch das Zimmer, auf die Ecke zu, in der seine Golftasche wie ein stummes Mahnmal steht. Voller Entsetzen sieht der Käfer-Trainer mit an, wie sein Erzeuger die Hand ausstreckt und blindlinks nach dem verbogenen Dreiereisen greift, ohne ihn dabei auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen. „Bitte, Dad! Ich kann’s bald noch mal versuch’n und dann schaff‘ ich’s ganz bestimmt...“, versucht sich der Junge zu rechtfertigen. Drohend tritt der Vater wieder zu ihm heran und lässt den Schläger dabei immer wieder auf seine Handfläche schlagen. „Na, wenn das nicht wundervoll ist! Und bis es soweit ist, machst du dich hier wieder breit, futterst den Kühlschrank leer und gehst mir auf die Nerven, wie? Das kannst du vergessen, Bengel!“
 

In einem weiten Bogen holt er mit dem Golfschläger aus und lässt ihn dann herniedersausen. Begleitet von einem schmerzlichen Aufschrei trifft der Schläger den linken Unterarm des Jungen, der diesen gerade noch rechtzeitig heben konnte, um seinen Kopf zu schützen. „Bromley! Was treibst du denn da?“, wirft der Vater ihm wutschnaubend entgegen und holt erneut aus. Diesmal gelingt es dem Jungen nicht mehr rechtzeitig den Arm zu heben. Er ist vom ersten Schlag regelrecht taub geworden. Und so kommt es, dass das Dreiereisen mit einem unmelodischen Laut seine Nase trifft. Blut spritzt augenblicklich daraus hervor und der Schwarzhaarige geht zu Boden. „Nun sieh dir mal diese Schweinerei an, du nichtsnutziger Schwächling!“, brüllt der rundliche Mann und holt wieder und wieder aus.
 

Die Schläge finden ihr Ziel jedes Mal mit einer unglaublichen Härte und Präzision, als würde der Vater versuchen, mit einem Hammer einen großen Felsbrocken zu zerschlagen. Stattdessen trifft er sein eigenes Kind im Rücken, an den Rippen, dem Bauch, den Armen und schlussendlich auf dem Kopf. Blut und Tränen verteilen sich auf dem Hartholzboden und versickern ungeachtet langsam darin. Das grausige Martyrium scheint kein Ende nehmen zu wollen. Die Beschimpfungen werden immer wütender und sinnloser, die Schläge immer härter und schneller. Nach einer gefühlten Ewigkeit geht dem rundlichen Mann endlich die Puste aus. Schwer atmend steht er neben seinem bewusstlosen Sohn, der in seinem eigenen Blut liegt und sich nicht mehr rührt. Er betrachtet den Jungen eine Weile, empfindet jedoch weder Reue noch Mitleid. „Lass dir das eine Lehre sein, Junge! Auf der Welt ist kein Platz für Schwächlinge, wie dich!“, entgegnet er ihm noch, bevor er den blutgetränkten Schläger wieder in die Tasche zurückstellt und dann sein Nickerchen auf der Couch fortsetzt, als wäre nichts gewesen.
 

Stille legt sich über das Haus. Während Bromley in seiner Schwärze gefangen ist, beendet seine Mutter ihre Arbeit und wendet sich wieder herum. Für sie hat diese Gräueltat ihres Mannes niemals stattgefunden und sie sieht das Ausmaß dessen auch gar nicht. Stattdessen hockt sie sich neben ihrem Sohn nieder und streicht ihm ein paar verirrte Strähnen aus dem Gesicht. Das sich ihre Finger dabei mit seinem Blut tränken, merkt sie nicht, ihre Berührungen sind jedoch unglaublich hingebungsvoll und sanft. Ein paar Momente vergehen, dann blinzelt Bromley angestrengt und öffnet schwerfällig die Augen. Hilflos und schmerzlich sieht er zu seiner Mutter auf, die ihn sanftmütig anlächelt, als hätte er nur geschlafen. „Du bist so ein gutes Kind, Bromley-Schatz!“, teilt sie ihm liebevoll mit. Die Leere in ihren Augen erschüttert den Jungen regelrecht, dennoch ist er nicht in der Lage etwas zu erwidern. Als sie kurz darauf wieder aufsteht und sich entfernt, wird der Schwarzhaarige erneut von der tröstenden Ohnmacht umfangen.
 


 

4
 

Nach und nach löst sich die Schwärze wieder auf und Bromley kommt allmählich zu sich. Überrascht stellt er jedoch fest, dass es inzwischen schon dämmert. Noch überraschter ist er allerdings, als er merkt, dass er in seinem Bett liegt und jemand seine Wunden versucht hat zu versorgen. Hatte seine Mutter also doch noch einen klaren Moment, um ihm zu helfen? Vorsichtig stützt er sich hoch und sieht an sich hinab. Er trägt nichts weiter, als seine Unterhose. Sein Körper ist übersät mit Pflastern und Verbänden, die mittlerweile jedoch alle hilflos von seinem Blut durchtränkt oder verrutscht sind. Auch das Bettlaken hat sich in einem beachtlichen Ausmaß rot gefärbt und die Luft in seinem Zimmer steht geradezu vor dem schweren Kupfergeruch. Ihm wird schlagartig übel, doch um sich zu übergeben fehlt ihm scheinbar die Kraft, denn mehr als ein trockenes Würgen bringt er nicht zu Stande.
 

Ungelenk lässt er sich wieder auf sein Kissen nieder und will die Augen schließen. Dann jedoch nimmt er eine Bewegung in einer Ecke wahr und schreckt zusammen. Von einer wilden Panik ergriffen blickt er dorthin, weil er fürchtet, es könnte sein Vater sein, der sich dort versteckt und nur auf sein Erwachen wartet, damit er ihn weiter verprügeln kann. Die Erleichterung könnte allerdings kaum größer sein, als er feststellt, dass es nur Tectass ist. Der große Samurai wagt sich langsam aus dem Schatten heraus und kommt in einer seltsam gebückten und unterwürfigen Haltung zu ihm hinüber. Die dunklen Augen des Käfers glänzen, als würde er gleich anfangen zu weinen und dann drückt sich sein großer Kopf gegen Bromley’s Hand. „Sweetheart...“, flüstert der Junge und beugt sich schwerfällig hinab, um die Arme um sein Pokémon zu schließen.
 

Seine Begleiterin beginnt etwas vor sich hin zu brabbeln, während ihr dann doch schwere Tränen die Wangen hinabkullern. Der Schwarzhaarige versteht zwar nicht, was sie ihm genau sagen will, doch ihre Stimme klingt tief besorgt und schuldvoll. Sie macht sich Vorwürfe, weil sie ihm nicht geholfen hat. Doch sie war so von Schock und Angst ergriffen, als dieser Mann mit dem Schläger auf ihn losgegangen ist, dass sie sich einfach nicht überwinden konnte, weshalb sie wenigstens jetzt versucht für ihn da zu sein. „Is‘ schon gut, Mädchen. Is‘ nich‘ deine Schuld...“, versucht er sie etwas aufzumuntern, doch so ganz will es ihm nicht gelingen. „Wird schon wieder...“, meint er nur und schläft dann wieder ein.
 

Schweigend verharrt Tectass die nächsten Tage an seinem Bett und versucht ihn mit ihrer Nähe zu trösten. Nur langsam erholt sich Bromley und nach gut einer Woche ist er wieder halbwegs auf den Beinen. Zumindest kann er wieder aufstehen ohne, dass ihm schwarz vor Augen wird. Am Abend kratzt dann etwas am Fenster und lässt den Samurai warnend aufhorchen. Mit einem tiefen Fauchen nähert sich Sweetheart dem Fenster und blickt hinaus, während ihr Trainer angespannt auf dem Bett sitzt. Wie sich herausstellt, ist es jedoch nur Wolwerock, mit einer Nachricht von Manuel. Erleichtert überfliegt der große Junge die wenigen Zeilen, während sich ein Lächeln auf seinen Zügen ausbreitet. Kukui ist wieder vollständig genesen und schlägt vor, dass sie in zwei Tagen wieder aufbrechen können. Die Abenteuerlust hält Einzug in den immer noch geschwächten Körper des Käfer-Trainers und so schreibt er zurück, dass er nichts lieber tun würde, verschweigt ihm jedoch, was vorgefallen ist, um ihn nicht zu erschrecken, und schickt Wolwerock damit wieder los.
 

„Morgen werden wa‘ wieder losziehen, Sweetheart und dann musste dir keine Sorgen mehr machen.“, erklärt er der Assel und streicht ihr sanft über den Kopf. Der Käfer ist davon sehr begeistert, fühlt er sich hier doch so gar nicht wohl. Allerdings haben die beiden die Rechnung ohne Bromley’s Vater gemacht...
 


 

5
 

Es ist früher Vormittag, als der junge Trainer reisebereit sein Zimmer verlässt. Doch er kann nicht einmal die Hälfte der Wohnküche durchqueren, da baut sich auch schon drohend sein Vater vor ihm auf. „Wo wollen wir denn hin?“, fragt er zornig und umklammert dabei den Golfschläger, als hätte er nur darauf gewartet, dass sein Sohn sein Zimmer wieder verlässt. Versucht trotzig blickt der Schwarzhaarige seinen Erzeuger an. „Meine Wanderschaft beenden...“, meint er knapp und versucht sich an dem Mann vorbeizuschieben. Dieser lässt ihn jedoch nicht durch, sondern holt augenblicklich mit dem Dreiereisen aus. „Was bildest du dir eigentlich ein?“, wirft er dem Jungen an den Kopf, nachdem er ihm in den Magen geschlagen hat. Taumelnd klammert sich Bromley an der Rückseite der Couch fest. „Du spazierst hier einfach rein und wieder raus, als wäre das hier ein billiges Motel! Doch das ist es nicht, Freundchen! Und solange du deine dreckigen Füße unter meinen Tisch stellst, hast du dafür zu löhnen!“
 

Seine sinnlosen Worte dringen kaum zu seinem Sohn durch, denn er holt wieder mit dem Schläger aus und trifft ihn hart an der rechten Schläfe. Warmes Blut rinnt ihm die Wange hinab, während er auf die Knie sinkt. „Du bist so ein nichtsnutziger Schwächling!“, entgegnet ihm der untersetzte Mann und holt wieder mit dem Dreiereisen aus. Er setzt seinen Schlag so an, dass er seinen wehrlosen Sohn mitten auf dem Kopf treffen und ihn damit vielleicht sogar umbringen würde. Doch wenige Millimeter vor dem alles vernichtenden Einschlag, durchbricht aber auf einmal ein helles Licht die Szene. Daraus erhebt sich ein gewaltiger Schatten, der den verdutzten Mann noch ein ganzes Stück überragt. Ein zu tiefst wütendes Fauchen erfüllt den Raum, als Tectass erscheint.
 

Vollkommen fasziniert beobachtet Bromley, wie seine treue Begleiterin all ihre Bedenken fallenlässt. Sie holt mit ihrer mächtigen Pranke aus und schlägt dem Vater das Dreiereisen aus der Hand. Es wirbelt ein Stück durch die Luft, zerschlägt dann polternd eines der Küchenfenster und landet schließlich im Garten. Erschrocken weicht der untersetze Mann zurück und wird plötzlich ganz blass um die Nase. Von seiner Wut und Überlegenheit ist nichts mehr zu sehen, stattdessen sieht es aus, als würde er sich jeden Moment in die Hosen machen. Der große Samurai tritt warnend vor, hebt die messerscharfen Klauen, um diesem miesen Mistkerl endgültig eine Lektion zu erteilen. Der Vater weicht weiter zurück, doch das Pokémon folgt ihm, um sicherzugehen, ihn auch zu treffen. „Um Himmels willen, ruf dieses Monster zurück!“, brüllt sein Erzeuger Bromley schließlich hilflos entgegen, als er nicht mehr ausweichen kann. Zitternd drückt er sich mittlerweile gegen die Küchenzeile.
 

Der Käfer-Trainer betrachtet die Szene jedoch nur ungerührt, so wie dieser Mann ihn stets gefühllos betrachtet hat, wenn er um Gnade gebeten oder verletzt am Boden gelegen hat. Schwerfällig zieht er sich an der Couch hoch, um wieder auf die Beine zu kommen. Blut rinnt in Strömen an seiner Wange hinab und sein Atem geht leicht röchelnd, weil Blut auch seine Nase verstopft. Ihm ist schwindlig und alles dreht sich vor seinen Augen, doch er kann sich auf den Beinen halten. „Weißte was, alter Mann? Es wär‘ nur fair, wenn Sweetheart dich jetz‘ mal ‘n bisschen verdreschen würd‘. Dann würdeste vielleicht mal merken, wie scheiße das is‘. – Aber weißte noch was? Du bist’s nich‘ mal wert verdroschen zu werden. Du bist nichts weiter als Abschaum, der in ‘ner Gosse verrecken sollt‘! Und ‘n elender Feigling biste auch und wenn’de wüsstest, was ich alles auf der verdammten Inselwanderschaft durchgemacht hab‘, dann würdeste mich ganz sicher nich‘ als Schwächling oder Nichtsnutz bezeichnen. Ich hab‘ mich solchen ‚Monstern‘ mit bloßen Händen in ‘nen Weg gestellt, ohne mir in ‘ne Hosen zu scheißen, so wie du grad. Also überleg‘ dir das nächste Mal, mit wem du dich anlegst, denn es könnt‘ ja jemand zurückschlagen!“
 

Bromley’s Stimme ist vollkommen ausdruckslos, doch in seinem Blick liegt die blanke Wut und der abgrundtiefe Hass, den er für diesen Mann empfindet, ihm fehlt momentan nur die Kraft, um dem Ausdruck zu verleihen. Völlig verständnislos blickt ihn der rundliche Mann an. Dann stößt Tectass ein wütendes Knurren aus und setzt zum Angriff an. Der Vater gibt einen spitzen Schrei von sich, rutscht kraftlos an der Küchenzeile herab und landet ungelenk auf seinem Hintern. Den Bruchteil einer Sekunde später schlagen die gewaltigen Klauen des Samurai in den Hartholzboden ein und verfehlen dabei den Unterlieb des Mannes nur um wenige Millimeter. Dem Vater bleibt fast das Herz stehen und er ist nur noch einen Augenblick von der rettenden Ohnmacht entfernt. Ruckartig zieht der große Käfer seine Krallen wieder aus dem Boden und beugt sich dann weit hinab, um seinem Gegenüber in die Augen blicken zu können. Ein tiefes Grollen dringt durch die Barten der Assel hinaus.
 

„Lass stecken, Süße. Wir verschwinden von hier.“, weist Bromley sie schließlich an. Nur sehr widerwillig richtet sich das Pokémon wieder auf, jedoch ohne den am Boden kauernden Mann aus den Augen zu lassen. Als dieser sich unbewusst ein Stück bewegt, wendet sich Tectass sofort wieder zu ihm und stampft kräftig mit dem Bein auf das Holz. Das ganze Haus scheint unter diesem Ausdruck ihres Missfallens zu erzittern. Der Vater schreckt heftig zusammen und presst sich noch fester gegen die Küchenzeile. Sweetheart gibt ein letztes, warnendes Knurren von sich, ehe sie sich zu ihrem Trainer umwendet. Unglaublich liebevoll gleitet sie mit ihrer breiten Zunge über seine blutige Schläfe, dann nimmt sie ihn ganz vorsichtig auf die Arme und trägt ihn Richtung Tür. Nur einen Moment später verschwinden die beiden nach draußen und aus diesem verhassten Leben. Es ist das letzte Mal, dass Bromley seine Eltern sehen wird...
 


 

6
 

Der weilen, ein ganzes Stück entfernt am Strand von Hauholi City, hockt Manuel in seinem Zimmer und überlegt sich, was er alles für die Reise mitnehmen soll. Wolwerock liegt dabei ausgetreckt auf der Schlafcouch neben ihm und beobachtet alles mit müden Augen. Sie sind allein in dem großen Haus. Kukuis Eltern sind bei Freunden, kommen aber morgen früh wieder, um ihren Sohn zu verabschieden. So vergehen die Stunden, während der Brünette immer wieder rastlos kontrolliert, ob er auch nichts Wichtiges vergessen hat. Es wird langsam Abend und Hunger macht sich in den beiden breit. Doch vorher möchte Manuel doch noch einmal seinen Rucksack überprüfen. Etwas genervt verdreht Wolwerock die Augen, doch sie verharrt stillschweigend neben ihm. Zumindest bis sie die Tür hört. Aufgeregt springt sie auf und macht einen gewaltigen Satz nach unten, um nachzusehen. Kukuis Zimmer liegt wie eine Art Loft erhöht in dem Haus und erstreckt sich dabei über dem Bad und dem Schlafzimmer seiner Eltern.
 

Ein neuer Tag

Ein neuer Tag
 

Als der Wolf auf den Boden landet, zuckt er beim Anblick der Besucher überrascht zusammen. Manuel ist jedoch so in seine Arbeit vertieft, dass er gar nichts davon mitbekommt. Erst die Stimme des einen Gastes dringt zu ihm durch. „Yo, Manu! Biste da?“ Auf dem Gesicht des Angesprochenen breitet sich ein begeistertes Grinsen aus. „Ja, in meinem Zimmer!“, ruft er zurück, ohne seine Kontrolle zu unterbrechen. Es dauert einen ganzen Moment, dann erscheint Bromley am oberen Ende der Leiter, die in das Zimmer seines Freundes führt. „Ich habe erst morgen früh mit dir gerechnet, aber es ist wirklich schön, dich wiederzuseh...“, Manuel kann den Satz nicht mehr beenden, da fällt sein Blick auf den Schwarzhaarige. Von oben bis unten mit Blut beschmiert, hievt sich dieser über den Rand und landet dann plumpsend auf seinen vier Buchstaben. Kukui entgleiten alle Gesichtszüge. Er wird schlagartig blass um die Nase und seine Beine beginnen hilflos zu zittern. „Um aller Kapus willen, was ist denn mit dir passiert?“, bringt er stockend hervor, eilt zu dem anderen Jungen hinüber und hilft ihm dann, sich auf einen Stuhl zu setzen.
 

Ich habe so lange darauf gewartet,

Dass ein Wunder geschieht
 

Beinahe keck zuckt Bromley mit den Schultern und grinst erschöpft. „Mein Alter, sonst nichts...“, gibt er schwerfällig zurück und lehnt sich angestrengt atmend gegen die Stuhllehne. Der Brünette zieht bei dieser Aussage scharf die Luft ein, senkt dann für einen Moment betroffen den Blick und nickt schließlich verstehend. Auf ihrer gemeinsamen Wanderschaft hat er im Laufe der Zeit so einiges von dem Jüngeren erfahren, erst recht, was dessen Vater betrifft. Manches Mal war er sich dabei nicht sicher, ob Bromley nicht doch ein bisschen übertreibt. Aber nun muss er mit Erschrecken feststellen, dass sein Freund das Ganze wohl eher noch schöngeredet hat, um Kukui nicht allzu sehr zu erschüttern. „Also – also bist du jetzt hier, weil – weil du weggelaufen bist?“, fragt er vorsichtig und besieht sich die Verletzungen des anderen Jungen genauer. „So kann man’s wohl nennen. Er wollt‘ mich nich‘ geh’n lassen, doch Sweetheart hat mir geholfen und mich hergebracht...“, berichtet der Schwarzhaarige müde.
 

Alle haben mir gesagt, ich soll stark sein

Und niemand teilte meine Tränen
 

Von unten ertönt ein zustimmendes Geräusch des Samurai, der dort mit Wolwerock wartet. „Ich verstehe. – Ich werde Verbandszeug holen, also bleib bloß sitzen, ja?“ Noch immer ganz blass vor Entsetzen, mustert der Ältere sein Gegenüber eindringlich, bevor er sich erhebt. „Keine Panik, ich lauf‘ schon nich‘ weg...“, meint dieser nur und schließt langsam die Augen. Unschlüssig betrachtet der Brünette das Ganze, bevor er hastig die Leiter hinabsteigt und ins Bad eilt.
 


 

7
 

Als er wiederkommt, sitzt Bromley noch immer mit geschlossenen Augen da. Für einen unglaublich schrecklichen Moment überkommt Manuel der vernichtende Gedanke, dass sein geliebter Freund gestorben ist – einfach so gestorben, während er im Bad war, um Verbandszeug für ihn zu holen. Mit schockgeweiteten Augen steht der Brünette wie angewurzelt da. Dann regt sich der große Junge plötzlich und sieht ihn müde an. Kukui fällt ein Stein vom Herzen. Unweigerlich beginnt seine Unterlippe zu zittern und er spürt, wie sich heiße Tränen hinter seinen Augen sammeln. Seine Knie werden ganz weich und er kann es gerade noch verhindern, sich auf den Boden sinken zu lassen und bitterlich zu weinen. Stattdessen stößt er die angehaltene Luft in einem tiefen Seufzen der Erleichterung aus, macht ein paar unsichere Schritte auf den anderen zu und blinzelt vehement die Tränen hinfort.
 

Ob Dunkelheit oder gute Zeiten

Ich wusste, ich würde es schaffen
 

Angestrengt legt Bromley die Stirn in Falten. „Stimmt ‘was nich‘?“, fragt er schwach. Beim Klang seiner Stimme, die sonst immer so viel Kraft und Dominanz ausgedrückt hat, beißt sich der Brünette heftig auf die Lippen, da er fürchtet, nun wirklich heulen zu müssen. „Nein – alles bestens. – Das ganze Blut bringt mich nur – durcheinander...“, flunkert er und schluckt seine Tränen ein weiteres Mal hart hinunter. „Glaub‘ ich dir gern. – Ich seh‘ bestimmt echt scheiße aus...“, ein kraftloses Grinsen schleicht sich über sein mitgenommenes Gesicht und lässt ihn dabei aussehen, wie einen geisteskranken Mörder. Den Älteren durchfährt bei dieser Vorstellung ein kurzer Schock, dann schüttelt er innerlich heftig den Kopf und überbrückt das letzte Stück zwischen Bromley und sich. Ohne auf das ganze Blut zu achten, kniet er sich vor den Stuhl und schließt den anderen Jungen fest in seine Arme. „Nein! Du siehst nicht scheiße aus! Du bist einfach nur unglaublich und ich bin so froh, dass du noch lebst!“, platzt es schließlich aus ihm heraus.
 

Und die Welt dachte, ich hätte alles

Aber ich wartete auf dich
 

Etwas verwundert lässt der Jüngere ihn gewähren. „Wenn’de meinst...“ Vorsichtig blickt Manuel ihm ins Gesicht und mustert ihn ernst. An seinem T-Shirt, seinen Armen, ja sogar seiner linken Wange klebt das Blut des Schwarzhaarigen, doch er nimmt es gar nicht wahr. „Es wäre besser, wenn ich dich ins Krankenhaus bringe! Ich mache mir wirklich große Sorgen um dich!“, kommt es energisch von ihm und er ist schon am Aufzustehen, als sich Bromley’s kräftige Arme plötzlich um seine Taille schlingen und ihn fest an sich drücken. Der große Junge presst sein blutverschmiertes Gesicht gegen die schmale Brust des Kleineren. Dieser kann spüren, wie der warme Lebenssaft immer mehr in sein Hemd vordringt und, als der andere ein heftiges Schluchzen von sich gibt, mischen sich in das Rot auch noch heiße Tränen. „Tu das nich‘, bitte! – Ich brauch‘ nur dich – dich allein, um gesund zu werden! – Nur du kannst mir helfen...“, bringt er abgehakt hervor und drückt sich immer fester gegen ihn.
 

Schweig jetzt

Ich sehe ein Licht am Himmel

Es blendet mich fast
 

Überrascht und etwas erschrocken weiten sich Kukuis Augen. Nur langsam sickert die Bedeutung seiner Worte zu ihm durch, doch dann trifft sie ihn wie ein Vorschlaghammer und er kann die Tränen, die er die ganze Zeit versucht hat zu verbergen, nicht mehr unterdrücken. Zitternd schließen sich seine Arme um Bromley und er fängt ebenfalls heftig an zu weinen. „Lass mich nich‘ allein, bitte. – Das ertrag‘ ich nich‘...“, bringt der Schwarzhaarige hervor und Manuel schüttelt heftig den Kopf. „Nein, das würde ich niemals tun, versprochen!“ Langsam löst er sich etwas von dem anderen und blickt ihn wieder an. Fahrig wischt er sich die Tränen weg und gleitet dann mit den Fingern zärtlich über Bromley’s feuchte Wangen. Sanft haucht er ihm einen Kuss auf die Stirn – auf eine der erschreckend wenigen Stellen, wo sich kein Blut befindet. „Nein, das würde ich niemals tun!“, wiederholt er sein Versprechen mit Nachdruck und trennt sich dann endgültig von ihm, um ihn zu verarzten. Noch ahnt er nicht, dass er es doch irgendwann tun wird und, dass aus ihnen dann die erbitterten Rivalen werden, die sie niemals sein wollten...
 


 

8
 

Immer wieder zwischen hoffnungsloser Hilflosigkeit und angestrengter Entschlossenheit hin und herspringend, beginnt Kukui ganz vorsichtig damit das Gesicht seines Freundes von all dem Blut zu reinigen. Als er damit fertig ist, ist das Wasser in der Schale, die er mitgebracht hat, tiefrot verfärbt und hat mehr Ähnlichkeit mit dem Imbiss eines Vampirs, als mit irgendetwas anderem. Innerlich schüttelt sich der Brünette und breitet dann den Lappen über der Schale aus, um den Anblick nicht mehr sehen zu müssen. Allerdings hat das Säubern der Wunden auch die Überreste der Schläge zum Vorschein gebracht, die Bromley schon vor einer Woche erhalten hat, was die Sorge in dem Kleineren nur noch mehr schürt. Mit allergrößter Vorsicht beginnt er daher damit seinem Gegenüber die blutverschmierten Sachen auszuziehen, nur um dabei noch mehr Verletzungen zu entdecken. „Um aller Kapus willen...“, flüstert er tief betrübt, ohne den Blick des anderen zu suchen. Bromley schweigt aber sowieso lieber. Es wäre auch sinnfrei dem anderen erklären zu wollen, was mit seinem Vater alles nicht in Ordnung ist, da er es selbst kaum versteht. Kukuis Finger zittern leicht, als er akribisch damit beginnt, jeden Zentimeter des misshandelten Körpers abzutasten.
 

Ich kann nicht glauben,

Dass ich von einem Engel mit Liebe berührt wurde
 

Dutzende Kratzer und blaue Flecken dominieren sein Sichtfeld, doch sie erscheinen ihm nicht weiter schlimm. Als er jedoch die Nase kontrolliert, zuckt der Schwarzhaarige zusammen und gibt einen schmerzlichen Laut von sich. Manuel entschuldigt sich und versucht es noch einmal etwas sanfter. „Ich bin mir nicht ganz sicher, doch ich denke nicht, dass sie gebrochen ist...“, meint er schließlich, woraufhin Bromley nur ein gleichgültiges Schnauben von sich gibt. Während ihrer Inselwanderschaft hat sich Kukui einiges medizinisches Wissen angeeignet, wenn auch oftmals nur unfreiwillig, durch die anhaltend selbstverletzende und unvorsichtige Art des Schwarzhaarigen. Dennoch ist er in solchen Momenten froh darüber ihm helfen zu können, ohne in blinde Panik zu verfallen, wie damals nach dem Angriff des Rattikarl.
 

Lass den Regen herunterkommen und deine Tränen wegwaschen
 

„Das wird schon wieder.“, versichert er dem Jüngeren schlussendlich, reinigt dann alle Wunden mit Jod und verteilt jede Menge Pflaster und Bandagen auf ihm. Bromley sitzt die ganze Zeit schweigend da, blickt ihn ab und an dankbar an oder zuckt zusammen, wenn es doch etwas mehr schmerzt. Ihm ist anzusehen, wie heilfroh er darüber ist, nicht ins Krankenhaus zu müssen. Nach einer gefühlten Ewigkeit beendet der Brünette seine Arbeit und beide lassen sich erschöpft auf der Schlafcouch nieder. Nun hat Bromley auch die Gelegenheit seinen Freund richtig zu betrachten und ihm fällt dabei einiges Neues an ihm auf. Beide tragen inzwischen nur noch Shorts, da der Rest mit Blut beschmiert ist, doch das ist ja nichts Ungewöhnliches. Auf ihrer Wanderschaft haben sie das oft gemacht und sich auch mehr als einmal ganz nackt gesehen, von daher kümmert es den Jüngeren kein bisschen.
 

Lass ihn die Mauern zerstören, für eine neue Sonne
 

Auffälliger ist eher, wie ordentlich sie der Brünette die Haare zusammengebunden hat. Als sie noch unterwegs waren, hatte er sie nur locker mit einem Band zusammengefasst, sodass man die leichten Locken, die er von Natur aus hat, sehen konnte. Doch jetzt sind die Strähnen so stramm zu einem Knoten in seinem Nacken gebunden, dass seine Haare völlig glatt wirken. Geistesgegenwärtig hebt Bromley die Hand und zupft das Band heraus, ehe Manuel Einwände dagegen vorbringen kann. „Was machst du?“, fragt der andere Junge leicht verwundert. Etwas überrascht stellt der Angesprochene fest, dass sein Freund sich auch die Haare hat schneiden lassen, da sie ihm nicht mehr weit bis auf den Rücken reichen, sondern gerade noch über die Schultern fallen. „Mit off’nen Haar’n siehste besser aus.“, erwidert er trocken. Auf Kukuis Wangen breitet sich ein leichter Rotschimmer aus, obwohl Bromley ihm das schon ein paar Mal gesagt hat. „Danke, aber es ist doch etwas unpraktisch, wenn sie mir ins Gesicht hängen oder sich irgendwo verfangen. Doch ich will sie nicht so kurz abschneiden, weil das dann doof aussieht...“, erwidert er und nimmt dem anderen das Band wieder ab, legt es jedoch nur auf den Nachttisch.
 

Ein neuer Tag ist gekommen
 

„Und wo haste deine Brille gelassen?“ Instinktiv, so als hätte er selbst gerade erst bemerkt, dass sie ihm fehlt, hebt Manuel die Hand, um das Gestell zu berühren, das aber nicht mehr da ist. „Oh, ich habe jetzt Kontaktlinsen und brauche deswegen keine Brille mehr. Auf unserer Reise habe ich doch ziemlich schnell gemerkt, wie unpraktisch sie war, erst recht, weil sie mir ständig kaputtgegangen ist. – Ohne sie komme ich mir aber irgendwie nackt vor, weil ich mich erst noch daran gewöhnen muss. Von daher habe ich eine Sonnenbrille als Ersatz dafür.“, lächelt er etwas unbeholfen und nimmt sie vom Nachttisch. Mit dem grünen Gestell und den braungetönten Gläsern, sieht er gar nicht mal übel aus. Der Schwarzhaarige lächelt. „Sieh cool aus. Doch mit off’nen Haar’n siehste ohne besser aus.“, meint er etwas keck, wobei sich auch seine Wangen für einen Moment dunkler färben. Der Brünette legt die Sonnenbrille wieder zur Seite. „Schon verstanden. Aber sieh dich mal an! Die langen Haare passen überhaupt nicht zu dir.“, gluckst er und zupft an einer der Strähnen, die Bromley über die Schultern fallen.
 

Wenn es auch dunkel war, jetzt ist da Licht
 

„Ich weiß. Sieht echt dämlich aus. Aber meine Mom konnt‘ sie mir nich‘ mehr schneiden, bevor mein Alter...“, weiter spricht er nicht, sondern senkt betroffen den Blick. „Das tut mir wirklich leid. Aber vielleicht kann es meine Mutter ja morgen früh machen, bevor wir aufbrechen?“, schlägt Kukui vor. Dankbar sieht ihn der andere an und schüttelt dann langsam den Kopf. „Ich würd‘ lieber woll’n, dass du’s machst.“, erwidert er. Überrascht sieht ihn der Ältere an. „Aber ich kann so was doch gar nicht.“ Der Größere grinst ihn nur an. „Is‘ doch halb so wild. Dann sieht’s bestimmt besonders cool aus!“ Manuel kann sich ein Grinsen nicht verkneifen und steht auf, um eine Schere zu holen. „Ok, überredet. Doch beschwer dich im Nachhinein bloß nicht bei mir!“
 

Wenn es auch schmerzhaft war, jetzt ist da Freude
 

Geschwind steigt er die Leiter hinab und stolpert dabei fast über Tectass und Wolwerock, die sich daneben zum Schlafen hingelegt haben. Einen Moment betrachtet er die beiden gerührt. Die zwei Pokémon haben mindestens eine genauso enge Bindung zueinander, wie ihre Trainer und das zeigen sie auch stets ganz offen. So hat sich Sweetheart heben die Leiter gesetzt, während die Fähre auf ihrem Schoß liegt, fest an die gepanzerte Brust geschmiegt und von den großen Armen des Samurai umschlossen. Der Wolf wirkt dabei auf seltsame Weise wie ein übergroßes Stofftier, das von einem gepanzerten Krieger im Arm gehalten wird. Beide atmen tief und friedlich und lassen sich auch nicht durch die Anwesenheit des Jungen stören. Sie rühren sich nicht einmal. Mit einem Lächeln wendet sich Manuel ab und holt eine Schere aus dem Badzimmer.
 


 

9
 

Eine Stunde später liegen auch die beiden Jungs auf der Schlafcouch zusammengekuschelt da. Bromley schläft bereits tief und fest, was Kukui für ein gutes Zeichen hält. Er muss sich unbedingt ausruhen und Kraft tanken, damit sie ihre Reise morgen früh überhaupt wiederaufnehmen können. Im Mondlicht, dass durch das Dachfenster in sein Zimmer fällt, betrachtet der Brünette seinen Freund. Das mit dem Haareschneiden ging seiner Meinung nach gründlich daneben. Der Größere sieht aus, als wäre jemand mit einer stumpfen Heckenschere auf ihn losgegangen. Kreuz und quer stehen ihm die Haare vom Kopf ab und bilden eine wüste Wolke, wie bei einem geplatzten Kissen. Andererseits sieht er damit irgendwie unglaublich niedlich aus. Bei diesem Gedanken zuckt der Ältere unweigerlich leicht zusammen. Ihm ist durchaus bewusst, dass zwischen ihnen mittlerweile etwas ist, dass mehr als Freundschaft zu sein scheint und dennoch kann er es noch immer nicht ganz begreifen. Er fühlt sich zu diesem Jungen auf seltsame Weise hingezogen und möchte ihm wann immer es geht nahe sein. Das ist ihm besonders klargeworden, als er im Krankenhaus war und Bromley nicht bei ihm.
 

Wenn da auch Schwäche war,

Jetzt habe ich meine Stärke gefunden
 

Sanft lächelt er und streicht den Schlafenden eine verirrte Strähne aus der Stirn. Gleichzeitig bricht ihm das Herz, wenn seine Finger über den dicken Verband streichen, der die Wunde an seiner Schläfe umgibt und von der Stirn somit nicht viel übriglässt. „Ich werde nicht zulassen, dass dir nochmal jemand wehtut...“, flüstert er dem Schwarzhaarigen entgegen, nicht ahnend, dass er selbst dieser jemand sein wird. Doch das liegt noch weit in der Zukunft. Als hätte Bromley ihn gehört und würde das Gleiche sagen wollen, schließen sich seine Arme fester um den schmächtigen Körper des Brünetten und drücken ihn enger an sich. Kukuis Ohr liegt dabei nun auf der Brust des anderen Jungen und er kann dessen Herzschlag laut und deutlich pochen hören. Obwohl Bromley ja im Moment eigentlich derjenige sein müsste, der Schutz bräuchte, ist er es jedoch, der Manuel schützend und auch irgendwie auch besitzergreifend in den Armen hält und ihm so ein unglaublich sicheres Gefühl vermittelt. Nachdenklich betrachtet er seinen Freund noch eine Weile, dann schmiegt er sich noch etwas mehr an ihn, genießt seine Wärme und schließt dann langsam die Augen, um in den Schlaf abzudriften.
 


 

10
 

Hell schickt die Sonne ihre Strahlen durch das Dachfenster und kitzelt Kukui damit aus dem Schlaf. Schwerfällig blinzelt er und gähnt, ehe er feststellt, dass er sich in der Nacht wohl herumgedreht haben muss. Er liegt noch immer fest umschlossen von Bromley’s Armen da, doch nun blickt er auf die Rückenlehne der Couch. Ein Erwachsener würde ihm jetzt sagen können, dass er mit seinem Partner Löffelchen liegt, doch er selbst begreift das natürlich noch nicht so ganz. Dennoch ist er sich plötzlich überdeutlich der Nähe des anderen bewusst, als er merkt, wie sein Po sich gegen den Unterleib des anderen Jungen drückt. Das Ganze fühlt sich seltsam an und dennoch gleichzeitig ziemlich gut. Trotzdem entscheidet er sich dafür, etwas mehr Abstand einzuhalten.
 

Das alles in den Augen eines Mannes
 

Ganz vorsichtig rückt er mit seinem Po von dem Käfer-Trainer ab und versucht dabei einen Blick auf seinen Wecker zu werfen. Dies gelingt ihm in dieser Position aber nicht, weshalb er es wieder aufgibt. Ausnahmsweise ist er auch einmal nicht der Ansicht früh aufstehen zu müssen, sondern gönnt dem anderen noch etwas Zeit, um sich auszuruhen. Dieser scheint das auch sehr zu begrüßen und zieht den Älteren dann auch erstmal wieder dichter zu sich heran, sodass Manuels Po wieder gegen seinen Unterleib drückt. Jetzt, wo er so richtig wach ist, spürt er nicht nur die Männlichkeit des anderen unter dem dünnen Stoff, sondern auch, wie erhitzt die Haut dort zu seien scheint. Im ersten Moment kommt Kukui der Gedanke, dass Bromley Fiber haben könnte. Doch anstatt die Stirn des anderen zu fühlen, legt er sich die eigene Hand auf den Unterleib und merkt, dass es auch dort ziemlich warm ist. Also ist das sicher ganz normal. Ist ja nicht so, dass Bromley erregt wäre und sich deswegen gegen ihn drückt.
 

Ich sehe ein Licht in deinen Augen
 

So viel weiß der Brünette dann doch schon. Immerhin ist er nicht mehr drei Jahre alt und fällt auf die Geschichte mit den Bienchen und Blümchen rein. Er weiß ganz genau, wo die Babys herkommen. Allerdings ist weder er noch Bromley ein Mädchen, was es doch wieder schwierig macht, alles richtig zu interpretieren und soweit will er auch gar nicht denken. Stattdessen schiebt er sich ein weiteres Mal vom Unterleib des anderen weg, um nicht völlig durcheinander zu kommen. Doch der Schwarzhaarige macht ihm wieder einen Strich durch die Rechnung und rückt erneut an ihn heran. „Nur noch fünf Minuten...“, nuschelt er dabei verschlafen, als hätte Manuel versucht ihn zu wecken. „Na schön...“, gibt er sich schließlich geschlagen. Er kann sowieso nicht mehr wegrücken, da er inzwischen schon an der Rückenlehne der Couch angekommen ist. Also fügt er sich und verharrt ruhig, während sich der Größere gegen ihn schmiegt und seine Wärme auf ihn zu übertragen scheint.
 

Das alles in den Augen eines Mannes
 

So vergeht unbemerkt eine weitere Stunde, in der der Kleinere sogar noch einmal eingeschlafen ist. Schlussendlich werden die zwei aber von ihren hungrigen Pokémon geweckt. Eine feuchtwarme Zunge streift wiederholt Manuels Wange, bis er schließlich die Augen öffnet und Wolwerock erblickt. Die Fähe steht mit den Vorderpfoten auf der kurzen Seite der Couch und beugt sich als dunkler Schatten über sein Gesicht. Zum zweiten Mal öffnet der Trainer schwerfällig die Augen und wird sich erst dann bewusst, dass er wieder eingeschlafen sein muss. Wolwerock leckt ihm ein weiteres Mal über die Wange und gibt dann ein etwas ungeduldiges Winseln von sich, dass der Junge eindeutig als den Laut identifiziert, den sie immer benutzt, um ihm anzuzeigen, dass sie hungrig ist. „Ist ja gut, ich komme schon. – Oder ich versuche es zumindest...“, erwidert er ihr und überlegt sich, wie er aus der Umklammerung seines Freundes wieder rauskommt.
 

Ich kann nicht glauben,

Dass ich von einem Engel mit Liebe berührt wurde
 

Es will ihm nicht so recht gelingen. „Bromley, wir müssen langsam mal aufstehen! Die Pokémon haben Hunger und meine Eltern kommen auch gleich zurück...“, versucht er ihm klarzumachen. Etwas schwerlich dreht er sich zu ihm herum und sieht ihn an. Mit Erleichterung stellt er fest, dass die Pflaster und Verbände die Nacht über gehalten und nicht durchgeblutet haben. „Was is‘...?“, fragt der Angesprochene mit belegter Zunge und öffnet blinzelnd die Augen. Von unten ertönt nun auch ein ungeduldiges Geräusch von Tectass. Der großen Assel ist es nicht möglich die Leiter hinaufzusteigen, da sie das Gewicht nicht tragen würde, weshalb sie sich so allein nun unwohl fühlt. Als Bromley den Laut vernimmt, fängt ironischerweise sein eigener Magen laut zu knurren an. „Frühstück...“, gibt er knapp von sich. „Wäre eine gute Idee.“, bestätigt ihm der Brünette und endlich lässt der große Junge von ihm ab, sodass Kukui aufstehen kann.
 


 

11
 

Zwei Stunden später stehen die Jungs mit ihren Pokémon in der hellen Sonne. Manuels Eltern treten ebenfalls aus der Tür heraus. „Bist du sicher, dass du auch wirklich alles hast, Liebling?“, fragt seine Mutter zum gefühlt hundertsten Mal, was Bromley ein freches Grinsen entlockt, da sein Begleiter seinen Rucksack nach dem Aufstehen auch schon dutzende Male durchgegangen ist. Ist also nicht zu übersehen, von wem er das wohl hat. Sein Vater hingegen wirkt um einiges lockerer und weist ihn schlichtweg nur daraufhin vorsichtig zu sein und sich von Ärger, wenn es nur irgendwie geht, fernzuhalten. „Ja, Mom. Ich habe alles und wenn nicht, dann ist dann eben so. Aber wir werden uns schon irgendwie behelfen. Immerhin müssen wir ja nur noch einmal den Mount Lanakila besteigen und nicht die ganze Wanderschaft wiederholen.“, versichert er ihr geduldig.
 

Schweig jetzt

Ein neuer Tag
 

„Ich verstehe. Pass trotzdem auf dich auf und viel Glück euch beiden!“, meint sie mit einem schwermütigen Lächeln. Langsam wenden sich die Jungs mit ihren Pokémon herum, verlassen den Strandabschnitt, an dem Kukuis Elternhaus steht und machen sich auf zum Hafen von Hauholi City, um dort mit einem Schiff nach Ula-Ula zu fahren und erneut gegen die Inselkönige anzutreten und diesmal hoffentlich den Titel des Champions zu erlangen.
 

Schweig jetzt

Ein neuer Tag ist gekommen

Feelings deep inside

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

One more...


 

1
 

Voller Erwartung schlendert Kukui auf den Vorplatz der Uni. Inzwischen sind drei weitere Jahre ins Land gezogen und dem angehenden Professor fehlen nur noch zwei Semester bis zum Abschluss. Der Neunzehnjährige kann kaum fassen, wie die Zeit doch vergangen ist und sein Traum mit immer größer werdenden Schritten auf ihn zu geflogen kommt. Doch wir wollen ja nichts überstürzen. Bis zum langersehnten Titel muss er noch allerhand Prüfungen über sich ergehen lassen und die werden nun mal auch nicht einfacher. Manuel muss sogar zugeben, dass er durch die letzten paar gerade so durchgerutscht ist, was ihm so einiges an Nerven gekostet hat. Wenn er Bromley nicht hätte, der sich mit ihm die Nächte um die Ohren geschlagen und ihm immer wieder beim Lernen geholfen hat, wäre er mit Sicherheit schon längst durchgefallen. Der Schwarzhaarige versteht zwar schon lange nicht mehr, was sein Freund da eigentlich pauken muss, doch das hält ihn nicht davon ab, ihn zu unterstützen, wo es nur geht.
 

Etwas mulmig ist dem Brünetten jetzt allerdings doch zu mute. Zwar schreiben sie keinen Test oder dergleichen, dennoch wird heute einiges passieren, dass ihn etwas aus der Bahn werfen könnte. Da in gut einem Jahr die Abschlussprüfungen stattfinden werden, kommen heute Studenten aus ganz Alola und auch aus anderen Regionen hier an, um diese letzten beiden Semester in dieser Lehranstalt zu verbringen. Die Uni von Malihe City ist weltberühmt und von daher zieht es Studenten von überallher hierher, um hier ihren Abschluss zu machen. Erst recht, weil Alolas spezielle Pokémon-Welt ganz neue Möglichkeiten eröffnet, die jungen Wissenschaftler hier allerhand Erfahrungen sammeln und in ihre Heimatregion tragen können. Natürlich kommt es auch vor, dass der ein oder andere für immer hierbleibt. An vielen Stellen Alolas wird sehr intensiv Forschung in jeglichen Richtungen betrieben und da wird oftmals händeringend Nachwuchs gesucht.
 

Aus diesem Grund macht sich Kukui ausnahmsweise mal keine Gedanken über Pokémon-Attacken, sondern darüber, wie wohl die neuen Kommilitonen sein werden. Schließlich wäre es äußerst unschön, wenn er seine bisher sehr friedliche Studienzeit nun durch irgendwelche Idioten zerstört sehe, die nur Partys und Krawall im Kopf haben, anstatt sich um ihre Zukunft zu kümmern. Solche schwarzen Schafe gibt es immerhin in jedem Jahrgang und sie haben stets einen schlechten Einfluss auf ihre Klassenkameraden. Bisher ist Manuel von dergleichen noch verschont geblieben, doch wie prägend dieser Tag heute trotzdem noch werden wird, kann er ja auch nicht ahnen...
 

Hartnäckig versucht er seine schlechten Gedanken beiseite zu wischen und betritt dann das Unigebäude. Auf langen Fluren drängen sich ihm Studenten und Lehrkräfte entgegen. Angeregte Unterhaltungen werden geführt, hier und da ein Grußwort vergeben und einige wenige sehen sich suchend um. Nichts Ungewöhnliches also. Mit etwas Mühe kämpft sich der Brünette zum Hörsaal vor und lässt sich dann mit einem Seufzen auf seinen Platz sinken. Der riesige Raum, mit den Dutzenden Reihen von Tischen und Bänken, war die letzten drei Jahre nur selten mehr als zur Hälfte gefüllt. All seine Kommilitonen sind auch schon anwesend und selbst der Professor steht schon vor der Tafel. Geduldig wartet er darauf, dass die Neulinge ebenfalls in den Saal kommen, damit er sie auf die freien Plätze verteilen kann.
 

Mit einem Anflug von Neugierde wirft Kukui einen Blick in die Masse, kann jedoch nichts Aufregendes entdecken. Doch der Tag ist noch lang und bietet viele Gelegenheiten für Gespräche. So zieht er seinen Laptop aus der Tasche und ruft die Abschrift der letzten Stunde auf, um sie noch einmal kurz zu überfliegen, während die auswärtigen Studenten einen Platz suchen. Er ist so vertieft in sein Tun, dass er zuerst gar nicht mitbekommt, dass jemand neben ihm steht. „Verzeihung...?“, unterbricht ihn schließlich eine Stimme, als der größte Lärm abgeebbt ist. Langsam wendet der Brünette den Kopf um und im selben Augenblick klappt ihm das Kinn herunter. „Dieser Platz ist doch noch frei, oder?“, fragt die junge Frau neben ihm und blickt ihn etwas unschlüssig an.
 

Doch Kukui kann ihr nicht antworten, starrt sie einfach nur an. Ihre Haut hat einen samtigen Karamellton, ganz ähnlich wie seine eigene und ihre Haare sind so weiß wie frisch gefallener Schnee. Ihre grünen Augen mustern ihn verwundert und doch liegt in ihnen etwas Herausforderndes. Ein unschlüssiges Lächeln umspielt ihre sanft geschwungenen Lippen, hinter denen sich ein freches Grinsen zu verbergen versucht. Oh ja, Manuel sieht in diesem Moment sicher zum Totlachen aus, wie er sie so mit offenem Mund anstarrt, gleich einem kleinen Kind ein Regal mit Süßigkeiten. Wartend hebt sie eine Augenbraue und lächelt schief. „Ist dir nicht gut?“, fragt sie schließlich etwas überfordert. Allmählich löst sich die Starre, die ihm umschlossen hat und er fängt entschuldigend an zu lachen. „Oh doch, doch! Mir geht es ganz hervorragend...“ Sie mustert ihn eingehend. „Soso. Also, ist der Platz jetzt noch frei oder brauchst du wirklich zwei?“, fragt sie schelmisch und deutet auf seinen Rucksack, der auf dem freien Stuhl neben ihm steht. Gewohnheitsgemäß hat er ihn dort abgestellt und es gar nicht mitbekommen.
 

Erschrocken blickt er ihn nun an und reißt ihn dann ruckartig vom Stuhl. „Nein! Natürlich ist der Platz frei! Bitte, setz dich doch!“, erwidert er mit hochroten Wangen und verstaut seinen Rucksack hektisch unter seinem eigenen Stuhl. „Vielen Dank!“, grinst sie frech und setzt sich. Manuel möchte am liebsten im Boden versinken. Sie ist so bildschön, doch nach der dümmlichen Nummer hält sie ihn nun ganz sicher für einen völligen Trottel. Was ist das nur, was in ihm vorgeht? Er kann es nicht einordnen, hatte er bisher doch eher wenig Kontakt zu Mädchen. Innerlich könnte er sich aber selbst ohrfeigen. Doch dazu kommt es nicht, da sie ihn vorher wieder anspricht. „Du kannst mir nicht zufällig einen Stift ausleihen? Meinen muss ich irgendwie verloren haben...“ Sie wirkt doch etwas bestürzt, ihn das fragen zu müssen, doch wie könnte er da nein sagen? „Aber natürlich, kein Problem!“, grinst er verlegen und mit roten Wangen. Doch, statt ihr einfach einen Stift zu geben, schiebt er das kleine Mäppchen, in dem er seine Schreibsachen verstaut, in die Mitte zwischen ihnen und deutet ihr an, sich einfach zu bedienen.
 

„Sehr nett, danke. Doch an deiner Stelle würde ich mich langsam mal beruhigen. Nicht, dass du noch vom Stuhl fällst mit deinem roten Kopf!“, lächelt sie ihn keck an. Manuels Gesicht wird noch um mehrere Stufen dunkler und er möchte am liebsten im Boden versinken. „Ich – ich versuche es...“, stammelt er nervös. Für einen Augenblick tritt Schweigen zwischen ihnen ein und der Professor beginnt mit dem Unterricht. Zunächst erläutert er den Neuankömmlingen aber erst einmal ein paar Dinge. Diese scheinen seine Sitznachbarin jedoch nicht zu interessieren, weshalb sie ihn wieder anspricht. „Na, es geht doch! Jetzt muss ich mir keine Gedanken mehr machen, dass du umfallen könntest! Ich heiße übrigens Burnett.“, lächelt sie ihr keckes Lächeln. Schlagartig läuft Kukui wieder rot an und räuspert sich verhalten. Allerdings gelingt es ihm langsam, sich zu entspannen. „Ich bin Manuel, freut mich sehr!“, gibt er zurück und reicht ihr gewohnheitsgemäß die Hand. Etwas überrascht sieht sie sie an, lächelt dann und schüttelt sie. „Freut mich auch. Auf gute Zusammenarbeit!“, flötet sie.
 


 

2
 

Die folgenden Stunden verlaufen recht reibungslos und es gelingt Manuel immer besser ein Gespräch mit Burnett anzufangen. So hat er inzwischen erfahren, dass sie vor ein paar Monaten aus einer anderen Region hierher umgezogen ist und nebenbei auch im neugegründeten Dimensionsforschungsinstitut in Kantai City auf Akala arbeitet, um ihr Studium zu finanzieren. Dort will sie nach ihrem Abschluss auch die Erforschung fremder Welten leiten. Ein wirklich aufregender Gedanke, wie Manuel zugeben muss. Gibt es andere Welten, neben der unseren, fragt er sich unweigerlich. Dem scheint so oder zumindest ist die junge Frau fest davon überzeugt und kann ihm stichhaltige Beweise dafür vorlegen. Auf den Kopf gefallen ist sie auf jeden Fall nicht, auf den Mund schon gar nicht und Temperament hat sie auch noch. Kurzum, eine Wahnsinnsfrau!
 

Schließlich ist der Unterricht für heute beendet und sie gehen gemeinsam zum Ausgang. Nachdem das Eis zwischen ihnen mehr oder weniger gebrochen ist und Kukui sich sicher sein kann, dass sie ihn nicht für einen Trottel hält, versucht er sie immer wieder zum Lachen zu bringen, um eine Bindung zu ihr aufzubauen. Allerdings ist er sich nicht sicher, ob das so gut funktioniert oder, ob sie nur Augen für sein Pokémon hat, das seit dem praktischen Unterricht treu neben ihm herläuft. Hierbei handelt er sich jedoch nicht um seine Fähe. Kurz nach Beginn seines Studiums hat er sie förmlich zur Ruhe gesetzt, da er ja kein ausübender Trainer mehr ist und benutzt sie nun als Gehilfin für seine Attacken-Forschung.
 

Bei seinem jetzigen Begleiter handelt es sich ebenfalls um ein Wolwerock, das er mühevoll vom Welpenalter an aufgezogen hat, allerdings die Nachtform und zudem ein Männchen. Bei den zwei tageszeitabhängigen Entwicklungen von Wuffels bestehen nicht nur Unterschiede im Aussehen und Verhalten, sie lernen zum Teil auch andere Attacken, was eine wichtige Grundlage seiner späteren Forschung werden soll. Bis dahin hat der Rüde aber noch jede Menge zu lernen, weshalb er ihn nun stets an seiner Seite führt. Bromley hat es ganz ähnlich gehalten und wann immer er Zeit findet, trainiert er sein neues Reißlaus. Auch dieses ist ein Männchen und hört auf den klangvollen Namen Buddy.
 

Burnett ist tief beeindruckt von dem roten Wolf und der Tatsache, dass sich ein und dasselbe Pokémon in Anhängigkeit von der Tageszeit in zwei so unterschiedliche Formen entwickeln kann und dennoch denselben Namen trägt. Sie selbst hat noch kein eigenes Pokémon hier in Alola, doch im Forschungsinstitut gibt es einige, die sie verwenden kann, um mögliche Auswirkungen fremder Welten zu untersuchen. Doch ihre Arbeit beschäftigt sich nicht so sonderlich viel mit heimischen Pokémon, weshalb sie auch nicht wirklich einen Begleiter braucht. Doch in ihrer Jugend war sie ein genauso begeisterter Trainer wir der Brünette.
 

Nun sind sie fast an der Tür angekommen und Kukui erzählt eine weitere Anekdote seiner Inselwanderschaft. Dieses alte Ritual Alolas kommt ihr sehr faszinierend vor, gibt es dies doch so nur hier und seine Abenteuer sind wirklich witzig. Allerdings weiß sie auch nicht, dass Manuel die ein oder andere Stelle etwas ausschmückt, da das Ganze bei weitem nicht so lustig war, doch das muss sie jetzt ja auch nicht wissen. Sie gibt ein helles Kichern von sich. Es ist sanft und mild, wie der Hauch einer kühlen Morgenbriese. „Du bist echt witzig!“, erwidert sie lächelnd. Augenblicklich schießt Manuel wieder das Blut in die Wangen. „Findest du? Naja, ich tue mein Bestes…“, grinst er verlegen und kratzt sich nervös am Hinterkopf, während er aufmerksam von dem blutroten Wolf neben sich beobachtet wird. So ein Gefühl hat er bei einem Mädchen noch nie gehabt. Es erinnert ihn vielmehr an das Zusammensein mit Bromley, nur nicht so ruppig und dominant, dafür aber mit mindestens genauso viel Temperament. Sein Kopf fühlt sich so leicht an und er kann gar nicht aufhören, sie anzusehen. Hart schluckt er und hofft, dass sie seine Nervosität nicht bemerkt.
 

Kichernd betrachtet sie ihn und streichelt Wolwerock über den Kopf. Hechelnd beugt sich der große Rüde herab und genießt es sichtlich. „An deiner Stelle würde ich wieder einen Gang runter schalten. Es ist nämlich nicht gesund, wenn sich das Blut ständig so an einer Stelle anstaut. Nicht, dass dir noch dein hübsches Köpfchen platzt!“, neckt sie ihn abermals und wendet sich dann zum Gehen. Ehe Kukui etwas erwidern kann, erreicht sie die Tür der Universität. „Bis morgen!“, flötet sie und zwinkert ihm keck zu. Dann verschwindet sie endgültig aus seiner Sicht und Manuel bleibt mit pochendem Herzen allein zurück. „Bis morgen…“, haucht er ihr nach, obwohl sie schon seit fast zwei Minuten verschwunden ist. Und es dauert gefühlte zehn Minuten, ehe Kukui sich soweit beruhigt hat, dass er sich ebenfalls auf den Weg nach Hause machen kann. Obwohl er wahrscheinlich noch länger dort gestanden hätte, würde Wolwerock ihn nicht anstupsen und verwirrt betrachten. Gedankenverloren legt er dem finster wirkenden Pokémon eine Hand auf den struppigen Nacken. „Schon gut. Lass uns nach Hause gehen, mein Junge.“, lächelt er. Fröhlich jaulend erhebt sich der große Wolf und stapft Richtung Tür, behält Kukui dabei aber genau im Augen, damit dieser auch wirklich mitkommt.
 


 

3
 

Am Abend legt Manuel mit dem kleinen Boot, das er liebevoll als seine Jacht bezeichnet, im Hafen von Hauholi City an. Bis nach Hause ist es nicht mehr weit, dennoch weit genug, um ungewollt seinen Gedanken nachzuhängen. Die Tatsache, heute Burnett kennengelernt zu haben, kommt ihm immer noch fast wie ein Traum vor. Allein an sie zu denken, erfüllt sein Herz mit ungeahnter Wärme und einer seltsamen Hoffnung, die er nicht einordnen kann. Was ist das nur? Der Brünette ist etwas ratlos, erst recht, da er doch sehr glücklich mit Bromley zusammen ist. Bromley! Leicht erschrocken bleibt der angehende Professor ruckartig stehen und reißt die Augen weit auf. Wolwerock sieht verwirrt zu ihm auf, hebt die Schnauze in den Wind und sucht nach einer möglichen Gefahr, die ihm entgangen ist, seinem Trainer aber anscheinend nicht. Der Rüde kann jedoch nichts ausmachen und gibt daher ein irritiertes Jaulen von sich.
 

Geistesgegenwärtig streicht der junge Mann ihm über den Kopf und spricht beruhigend auf ihn ein, während sich in seinem Gehirn alles überschlägt. Seit Burnett ihn angesprochen hat, hat er Bromley förmlich verdrängt! Bewusst oder unbewusst kann er da nicht einmal sagen, aber sein Geliebter war in den letzten Stunden praktisch nicht vorhanden. Beschämt beißt er sich auf die Unterlippe und versucht das Ganze irgendwie zu verstehen, doch es will einfach nicht in seinen Kopf hinein. Beinahe blind setzt er seinen Weg nach Hause fort, während Wolwerock neben ihm herläuft und immer noch verwundert scheint. ‚Was stimmt nur nicht mit mir? Und warum habe ich Bromley vergessen, obwohl er mir doch alles auf der Welt bedeutet?‘, geht es dem Brünetten durch den Kopf. Alles um ihn herum scheint nicht mehr zu existieren, sodass der Rüde aufpassen muss, dass sein Trainer nicht stolpert oder mit einer anderen Person zusammenstößt.
 

Schließlich erreichen sie endlich den Strandabschnitt und die möglichen Gefahren verringern sich drastisch. Erleichtert atmet das Pokémon aus. Als Kukui jedoch abwesend die kurze Treppe zum Haus hinaufsteigen will, stolpert er, ehe der Wolf es verhindern kann. Doch er stürzt nicht. Gedanklich hatte sich Manuel schon auf den pochenden Schmerz eingestellt, der allerdings ausbleibt. Stattdessen findet er sich in zwei starken Armen wieder, die ihn aufgefangen haben. Überrascht blickt er in die schiefergrauen Augen seines Freundes, dem der Stiel eines Lutschers aus dem Mund ragt, er ihn etwas erstaunt anlächelt und ihn wieder auf die Füße stellt. „Yo, immer langsam mit den jungen Fohlen. Wo brennt’s denn, Kumpel?“, fragt er etwas besorgt, als er Kukuis Gesicht sieht. Dieses ist immer noch leicht gekennzeichnet von seiner geistlosen Wanderung und muss auf Bromley daher doch ziemlich komisch wirken, da er ja normalerweise derjenige ist, der abwesend wirkt. „Oh...“, macht der angehende Professor nur und blickt einen Moment ratlos zu Boden.
 

Dann fängt er sich wieder und setzt einen ernsten Gesichtsausdruck auf. „Ich denke, wir müssen miteinander reden...“, gibt er dem Schwarzhaarigen zu verstehen. Dieser legt irritiert die Stirn in Falten und schiebt den Lutscher von einer Seite zur anderen. „Okay? – Hab‘ ich ‘was angestellt?“, fragt der Käfer-Trainer mit einem unguten Gefühl, da er oftmals unbewusst Unfug macht, ohne es zu bemerken. „Nein, aber ich habe vielleicht etwas angestellt...“, erwidert der Kleinere betrübt. Nun ist Bromley’s Verwirrung perfekt. Manuel und etwas angestellt? Das passt ja nun mal überhaupt nicht. „Na, jetz‘ bin ich aber ma‘ gespannt...“, entgegnet er daher ernst und macht Platz, damit sein Freund das Haus betreten kann.
 

Seufzend lässt sich Kukui auf die Couch sinken. Bromley taucht kurz danach neben ihm auf und hält ihm eine Dose Bier entgegen. Dankend lächelt der Brünette ihn an, senkt dann aber wieder betrübt den Kopf und hält die eiskalte Dose ungeöffnet einfach nur in den Händen, als könnte sie ihn davor bewahren, in ein tiefes Loch zu fallen. Mit erhobener Augenbraue mustert Bromley ihn. Manuel war noch nie ein großer Freund von Alkohol und kann sich locker einen ganzen Abend an einem Bier festbeißen, doch für gewöhnlich öffnet er es dennoch immer sofort und nippt wenigstens daran. Sein ungewöhnliches Verhalten macht dem Schwarzhaarigen klar, dass ihn wirklich etwas sehr zu bedrücken scheint. Er verzieht das Gesicht, setzt sich neben ihn, öffnet seine eigene Dose und nimmt einen besonders großen Schluck. Es gibt ein widerlich knackendes Geräusch, als er dann mit den Zähnen den Rest des Lutschers zerbeißt. Der Stiel verweilt jedoch wie immer in seinem Mund und wird vehement von seinen Zähen malträtiert. Die Endgültigkeit in diesem Geräusch erschüttert Kukui förmlich und er wird ganz klein auf der Couch.
 

„Okay, spuck’s aus!“, fordert der Jüngere ihn dann auch noch nachdrücklich auf und Manuel rutscht schlagartig das Herz in die Hose, obwohl er nicht einmal weiß, wieso. Unsicher klammert er sich immer fester an die Bierdose und schluckt schwer. Bromley mustert ihn von der Seite her. „Ich weiß nicht recht, wie ich es sagen soll...“; setzt Manuel nach einer Pause ein, vermeidet aber den Blick zu seinem Freund. Dieser gibt ein Seufzen von sich. „Okay...? Dann machen wir ‘n kleines Spielchen draus. – Ich schätz ma‘, was auch immer du mir sagen willst, is‘ in ‘ner Uni passiert, stimmt’s?“ Leicht zuckt der Brünette zusammen und nickt dann vorsichtig. „So kann man es sagen...“, bestätigt er leise. Nachdenklich sitzt der Schwarzhaarige neben ihm und trinkt sein Bier. „War das heut‘, wo die neuen Schüler komm‘ sollten? Biste deswegen so neben der Spur?“ „Ja und ja...“, meint Kukui knapp. Der Größere nickt verstehend und allmählich fällt die Anspannung etwas von dem angehenden Professor ab. Sein Gegenüber wirkt nicht mehr so besorgt oder gar wütend und Manuel glaubt, dass er es vielleicht sogar verstehen wird.
 

„Geprügelt haste dich aber anscheinend nich‘. Bist eh nich‘ der Typ, der Streit anfängt, also muss es ‘was Andres gewesen sein.“, entgegnet ihm der Käfer-Trainer mit einem leichten Grinsen, das verdeutlichen soll, wie schwer es doch ist Kukui aus der Haut fahren zu lassen. „Nein, es gab keinen Streit, es war eher sehr angenehm. – Eine von den Neuen ist ein echt nettes Mädchen. – Sie heißt Burnett...“, berichtet der Brünette schließlich und zieht ein Foto aus seiner Kitteltasche, das heute von der gesamten Klasse gemacht wurde. Mit dem Finger deutet er auf die junge Frau, die auf dem Bild auch ganz zufällig genau neben ihm steht. Bromley nimmt das Bild an sich und schaut es sich genau an. Unbemerkt von Manuel ist ein dunkler Schatten über seine Augen hinweggeglitten, als er gehört hat, dass es um ein Mädchen geht.
 

In Bromley’s lädiertem Kopf beginnt es hektisch zu arbeiten, während er das Foto überaus genau betrachtet. In seinem Geist entsteht eine ungeahnte Eifersucht, die er in seinem ganzen Leben noch nicht verspürt hat. Ungesehen verschleiern sich seine schiefergrauen Augen, bis sie fast schwarz erscheinen. Der Nervosität seines Freundes entnimmt er, dass er sich in dieses Mädchen ganz offensichtlich verguckt hat und nun Angst davor hat, es seinem Freund zu gestehen. Bromley kann das gut nachvollziehen, ist doch eine Frau das Einzige, das ihrer Beziehung schaden könnte. Ja, diese Burnett könnte sie sicher sehr locker auseinanderbringen und mit Kukui anbandeln. Und, was würde dann aus ihm werden? Er wäre wieder allein, wie zuvor. Ungeliebt und verstoßen von allen! Aber stimmt das überhaupt? Immerhin liebt Manuel ihn doch und das mit allem Drum und Dran. Da kann es doch unmöglich sein, dass so ein dahergelaufenes Weibsbild sie so einfach auseinanderbringen kann!
 

Soll er ihr doch hinterherschwärmen, sich ein bisschen Appetit holen und dann aber heimkommen und alles ist wie immer! Bromley kippt den Rest seines Biers hinunter und knallt die leere Dose dann mit solcher Wucht auf die Platte des Couchtisches, dass sie völlig zusammengedrückt wird. Heftig zuckt Kukui dabei zusammen und kann dem unwiderstehlichen Drang, einfach aufzuspringen und wegzurennen, nur sehr schwer widerstehen. Entsetzt blickt er den Schwarzhaarigen stattdessen an und kann gerade noch verhindern, dass ihm die eigene Dose aus den Händen fällt. Etwas überrascht sieht der Käfer-Trainer ihn an. In seinen Augen deutet nichts mehr auf sein inneres Gefühlchaos hin. „Oh, sorry! Wollt‘ dich nich‘ erschrecken. – Is‘ echt süß die Kleine! Sie gefällt dir, nich‘ wa‘?“ „Ja, irgendwie schon...“ Bromley beginnt zu grinsen. „Is‘ doch klasse! Haste dir etwa Sorgen gemacht, dass ich’s falsch verstehen könnt‘?“, erwidert er in einem Tonfall, der auszudrücken scheint, dass das eine völlig unberechtigte Annahme ist.
 

Verdutzt mustert der Brünette ihn. „Ich habe mir sogar schreckliche Sorgen und Vorwürfe deswegen gemacht. – Es kam mir schon als Betrüg an dir vor, dass ich die Tatsache unserer Beziehung den ganzen Tag über gar nicht wahrgenommen habe, immer dann, wenn sie mich angesprochen hat...“, platzt es nun aus dem angehenden Professor heraus. „Yo, Manu! Deswegen musste dir doch keine Sorgen machen! Sie is‘ ‘n hübsches Mädel, da is‘ es doch ganz normal, wenn du auf komische Gedanken kommst. Is‘ echt nich‘ schlimm, ehrlich! Vergnügt euch so viel ihr wollt, soll mich nich‘ stören, solang‘ du anschließend zu mir zurückkommst!“ Lässig klopf der Größere ihm auf die Schulter. Nun ist Manuels Verwirrung perfekt. „Du meinst, es stört dich nicht, wenn ich wohlmöglich mit ihr ausgehen möchte?“
 

„Nich‘ im Geringsten, Kumpel! Von mir aus könnt ihr auch die ganze Nacht durchs Bett toben und sonst was treiben! – Mir is‘ schon klar, dass ich dir nich‘ alles geben kann, dass dir ‘n Mädel geben kann. Von daher is‘ es völlig in Ordnung, solang‘ du mich trotzdem noch liebst...“, keck zwinkert Bromley ihm zu, doch beim letzten Satz senkt er den Kopf und wirkt sichtlich bedrückt. Ihn so zu sehen, erst recht nach dieser Ansprache, bricht Kukui fast das Herz. So einen Freund wie ihn, hat er wahrlich nicht verdient. „Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich dich doch liebe! Nicht nur deswegen, sondern immerzu! – Ich kann noch gar nicht begreifen, dass dich das scheinbar überhaupt nicht zu stören scheint...“ Der Angesprochene zuckt lediglich mit den Schultern. „Wie könnte es auch? Hab‘ ja schon gesagt, dass ich dir nich‘ alles geben kann, was ‘n Mädel kann. Das is‘ mir klar und ich würd‘ in deiner Situation ganz sicher das Gleiche machen. Muss ja nich‘ heißen, dass wa‘ deswegen kein Paar mehr sind. Ich will, dass du glücklich bist, Manu! Und dafür geb‘ ich sehr viel. Also tu, was immer dazu nötig is‘. Ich werd‘ dich nich‘ aufhalten.“
 

Heiße Tränen kullern dem Brünetten ganz plötzlich über die Wangen. „Ich danke dir so sehr und ich liebe dich noch viel mehr, als du dir auch nur vorstellen kannst. Und das wird sich auch niemals ändern, das verspreche ich dir!“, erwidert Kukui, ohne zu ahnen, wie viele Lügen dahinterstecken. Weinend fällt er seinem Freund in die Arme. Dieser lächelt nur matt, schiebt seine Bedenken für den Moment zur Seite – immerhin steht ja noch nicht fest, ob diese Burnett auch wirklich ein Interesse an ihm hat und Bromley sie dann nicht doch irgendwie ausstechen kann – und verführt ihn dann zu einem innigen Kuss, der sich schnell vertieft und zu einer kaum enden wollenden Zweisamkeit verschwimmt.
 


 

4
 

Wochen ziehen ins Land und entgegen Bromley’s Hoffnungen und Bemühungen vertieft sich die Beziehung von Manuel und Burnett immer mehr. Und obwohl sich die beiden noch nie persönlich begegnet sind, hegen sie eine tiefe Abneigung gegeneinander. Weswegen der Schwarzhaarige sie hat, ist eindeutig, da er seine Partnerschaft mit Kukui auch weiterhin in Gefahr sieht. Burnetts Abneigung ist jedoch nicht so einfach zu deuten. Sie hat zwar schon so einiges von Bromley gehört und weiß, dass er Manuels Assistent ist, doch den wohl entschiedensten Punkt kennt sie nicht – die intime Beziehung der beiden Jungs. Diese Tatsache hat der Brünette ihr ganz bewusst verschwiegen und er hat auch nicht vor, es ihr irgendwann einmal auf die Nase zu binden, da er fürchtet, dass sie es nicht verstehen würde, wo ihre Meinung von dem Käfer-Trainer doch eh keine gute ist. In ihren Augen ist er schlichtweg nur Manuels Assistent und weiter nichts. Doch seine ganze Art gefällt ihr nicht, obwohl sie diese ja nur aus Kukuis Erzählungen interpretiert. Sie zeigt ihr Missfallen zwar ziemlich offen, doch sie akzeptiert die Entscheidung ihres Freundes – zumindest jetzt noch...
 

Heute Abend lässt sie sich aber nett von Manuel zum Essen ausführen und die Zeit ist einfach nur herrlich. In ihren Gedanken ist sie allerdings schon ein ganzes Stück weiter, da sie heute zum ersten Mal die Nacht bei ihm verbringen wird. Sie kann es kaum erwarten, zu sehen, wie er wohnt und daher ist sie auf sehr aufgeregt, als sie schließlich tief in der Nacht das Restaurant verlassen. Gemütlich schlendern sie zum Strandabschnitt hinunter. Im zarten Schein des Mondes brechen sich funkelnd die sanften Wellen des Meeres und das Haus hebt sich als dunkler Schatten davor ab. Tief atmet Burnett die salzig-frische Luft ein, während Manuel die Tür öffnet und sie dann hereinbittet.
 

Etwas überrascht fällt ihr Blick als erstes auf eine kleine Leselampe, die eingeschaltet auf dem Couchtisch steht, obwohl es im Rest des Hauses dunkel und vollkommen verlassen ist. Unzählige Bücher und stapelweise Papier türmen sich chaotisch auf dem Tisch. Kukui scheint dem Ganzen keine Beachtung zu schenken, sieht er doch nicht einmal wirklich hin,- dennoch schaltet er nicht die Deckenbeleuchtung ein, wie es wohl jeder andere getan hätte. Verwundert legt Burnett die Stirn in Falten und will ihn schon darauf ansprechen, als es auf einmal ein Poltern gibt, das von der Couch zu kommen schien. „Was war das?“, fragt sie überfordert und denkt selbstverständlich zuerst an ein Pokémon, das sich dort vielleicht versteckt. Im ersten Moment schweigend, umrundet der Brünette die Couch und lächelt dann unglaublich sanft.
 

„Er hat nur ein Buch fallenlassen, weiter nichts.“, entgegnet ihr Manuel schließlich und hebt besagtes Buch dann auf. Noch immer umspielt seine Lippen dieses seltsam sanfte Lächeln, das sie noch nie bei ihm gesehen hat. „Wer?“, fragt sie irritiert und wirft einen Blick über die Rückenlehne der Couch. Dort liegt ein junger Mann mit zerzausten, schwarzen Haaren und schläft tief und fest. Seine eine Hand ist wohl hinabgerutscht und hat dabei das Buch fallenlassen. Seine andere Hand umklammert noch immer einen Stift, mit dem er wahrscheinlich irgendetwas in dem Text markiert oder Notizen gemacht hat. Er liegt auf dem Rücken und sein Hemd ist ihm etwas hochgerutscht, sodass Burnett seinen durchtrainierten Bauch seinen kann. Sein Mund steht halb offen, der völlig zerkaute Stiel eines Lutschers ragt wie eine vergessene Zigarette daraus hervor und ein dünner Speichelfaden benetzt seine Wange und bildet inzwischen auch einen dunklen Fleck auf dem grünen Polster. Etwas angewidert rümpft sie die Nase.
 

Manuel zieht dem Schlafenden den Stiel aus dem Mund und nimmt ihm den Stift ab, ehe er eine Decke von der Lehne nimmt und ihn damit liebevoll anmutend zudeckt. „Bromley hat sich so viel Mühe gegeben und sich dabei völlig verausgabt.“, lächelt er sanft und ignoriert seine Freundin dabei etwas. „Das ist Bromley, dein Assistent?“, fragt sie dann doch nachdrücklicher, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen. „Ja, ganz genau. Er muss die ganze Nacht die Bücher durchgegangen sein, um die Sachen rauszusuchen, die ich für meinen Vortrag brauche. Ich hatte ihm zwar gesagt, dass das auch noch etwas Zeit hat, aber scheinbar hat er sich so allein doch etwas gelangweilt.“, erläutert der angehende Professor, während noch immer dieses sanfte Lächeln sein Gesicht ziert. Diesen Anblick findet die junge Frau doch mehr als seltsam. Er wirkt nicht wie ein Gefühlsausdruck, dem man einem Assistenten zu teil werden lässt, nicht mal einem, den man schon sehr lange kennt.
 

Sie weiß zwar, dass die beiden gemeinsam auf Inselwanderschaft waren und die besten Kumpels sind, doch selbst dafür wirkt es zu vertraut, zu liebevoll. Aber sie kommt im Moment nicht darauf, was vielleicht dahinterstecken könnte. „Ich dachte, er wusste, dass wir heute ausgehen? Warum hast du ihn denn dann nicht nach Hause geschickt oder ihm den Tag freigegeben?“, will sie nun wissen. Etwas überrascht sieht der Brünette sie an. „Muss ich nicht, er wohnt doch hier. Siehst du? Da oben ist sein Zimmer, mein altes Kinderzimmer.“, erwidert er so locker, als wenn es doch vollkommen offensichtlich wäre und sie es nur vergessen hätte. Ihre Miene verdunkelt sich ein wenig. „Er wohnt hier, wirklich? Und ich dachte, wir wären hier heute ungestört...“, schmollt sie etwas und verschränkt die Arme vor der Brust.
 

„Oh, hatte ich das etwa vergessen zu erwähnen? Das tut mir wirklich schrecklich leid! Er kann sonst nirgendwo anders hin, verstehst du und ich habe ihn gern um mich. Aber das ist doch nicht weiter schlimm! Er wird uns nicht stören, glaub mir. Wenn Bromley erst einmal schläft, weckt ihn nichts mehr auf!“, grinst Kukui etwas verlegen. Abschätzend mustert die Weißhaarige den schlafenden Jungen. Manuel hat sich zwar die ganze Zeit über bemüht, leise zu sprechen, wie man es halt automatisch macht, wenn man sieht, dass jemand anderer schläft; doch Burnett hat dies nicht getan und sogar die Stimme angehoben, um ihre Enttäuschung zu demonstrieren. Der Schwarzhaarige hat sich jedoch nicht ein bisschen bewegt oder auch nur erkennen lassen, dass er gemerkt hat, dass er nicht mehr allein ist. Auch, als Kukui ihn zugedeckt und ihm Stift und Stiel abgenommen hat, regte sich nichts. Vermutlich spricht der angehende Professor also die Wahrheit und den Bengel weckt so leicht nichts auf. Burnett gibt ein resignierendes Seufzen von sich und lässt die Arme wieder sinken. „Na schön, wie du meinst...“ Er lächelt sie an, doch es ist bei weitem nicht dasselbe Lächeln, das er diesem Jungen geschenkt hat. „Geh doch schon mal ins Schlafzimmer. Ich komme gleich nach.“, schlägt er dann vor und deutet ihr die Richtung an.
 

„Okay, aber lass mich nicht allzu lange warten.“, meint sie und wendet sich dann ab. Kurz darauf verschwindet sie in dem Zimmer. Geschwind sammelt Manuel die Bücher und das Papier ein und stapelt alles ordentlich in der Mitte des Tisches übereinander, damit nicht noch etwas herunterfällt. Langsam kniet er sich anschließend vor die Couch und betrachtet einen Moment das schlafende Gesicht seines Liebhabers. „Manuel? Kommst du endlich!“, tönt Burnett aus dem Schlafzimmer hinüber. „Bin sofort da!“, ruft er zurück, zuckt aber im selben Moment zusammen, da er fürchtet, Bromley damit geweckt zu haben. Der Schwarzhaarige regt sich einen Moment schmatzend, dreht sich auf die Seite, ohne aufzuwachen und liegt dann wieder still. Erleichtert stößt Kukui die Luft aus. Sanft streicht er dem anderen ein paar Strähnen aus der Stirn und küsst ihn dann zärtlich auf die Lippen. „Danke für deine Mühe, Bromley! Und schlaf gut!“, flüstert er ihm zu, ehe er das Licht löscht und im Schlafzimmer verschwindet.
 


 

5
 

Etwa eine Stunde später wacht Bromley allerdings doch auf. Er will es nicht, nicht bewusst zumindest, doch ein stechender Druck in seiner Blase zwingt ihn schließlich dazu; völlig ungeachtet seiner vehementen Versuche, das anhaltende Pochen zu ignorieren. Mit einem genervten Stöhnen öffnet er träge die Augen und weiß im ersten Moment gar nicht, wo er sich eigentlich befindet. Er liegt auf einer Couch, doch es ist nicht die Schlafcouch in seinem Zimmer. Als er sich umdreht, um aufstehen zu können, kann er es gerade noch verhindern, runterzufallen und wohlmöglich auch noch gegen den Couchtisch zu knallen. Das verbessert die Situation seiner Blase verständlicherweise kein bisschen. Stattdessen pocht sie nur noch heftiger. Dennoch nimmt sich der Schwarzhaarige einen Augenblick, um sich zu sammeln.
 

Schwerfällig setzt er sich hin und reibt sich die müden Augen. Ein milchiger Streifen Mondlicht scheint durch ein Fenster und erhellt den Wohnbereich zumindest soweit, dass er genug erkennen kann. Nun geht ihm auch auf, wo er sich befindet und ihm fällt wieder ein, wieso. Wie Manuel schon ganz richtig vermutet hat, fing sich Bromley während seiner Abwesenheit an zu langweilen, nachdem er die Hausarbeit fertig hatte und die Pokémon versorgt waren. Kurzerhand hat er sich wieder an Kukuis Vortrag erinnert, der bis nächsten Monat fertig sein muss. Im Labor im Keller fand der Käfer-Trainer dann die nötigen Bücher, die der Brünette vor ein paar Tagen aus der Bibliothek mitgebracht hatte und daneben die Aufgabenstellung des Vortrags. Das Kauderwelsch in den Büchern hat Bromley zwar kaum verstanden, dennoch fand er in den endlosen Texten die richtigen Schlagwörter und notierte die entscheidenden Dinge. So verging die Zeit ganz gut, doch irgendwann umfing ihn die Müdigkeit.
 

Die Erinnerung ist also wieder da und er schätzt, dass es auch Manuel inzwischen ist, da er es ganz sicher war, der das Licht ausgemacht und ihn zugedeckt hat. Ein sanftes Lächeln huscht über das blasse Gesicht des jungen Mannes hinweg. Dann jedoch setzt wieder ein schmerzliches Pochen in seiner übervollen Blase ein und holt ihn zurück in die Wirklichkeit. Verkrampft steht er auf und huscht eilig zum Badezimmer, bevor es noch ein Unglück gibt.
 

Als er schon wieder halb schlafend das Bad verlässt, stellt er sich die Frage, ob er sich die Mühe machen und zu seinem Zimmer hinaufklettern oder, ob er sich einfach wieder auf die Couch hier unten legen soll. Beides hat Vor- und Nachteile, doch zu einem Ergebnis kommt er nicht ganz, da schlurft er schon an Manuels Schlafzimmer vorbei und vernimmt Geräusche durch die geschlossene Tür. Bromley’s Müdigkeit verfliegt ein wenig und er horcht. Ganz hinten in seinem Kopf ist ihm bewusst, dass man so etwas eigentlich nicht machen sollte, aber er ist nun einmal neugierig. Die Geräusche sind auch viel zu eindeutig, als das man sie ignorieren könnte. Ein kleines Grinsen huscht über das Gesicht des Käfer-Trainers. Anscheinend konnte sein schüchterner Freund doch bei dieser Burnett landen.
 

Burnett, Burnett, Burnett, Burnett

Ich flehe dich an, nimm mir nicht meinen Mann

Burnett, Burnett, Burnett, Burnett

Nimm ihn dir nicht, nur weil du es kannst
 

Bromley rückt noch etwas näher an die Tür heran und presst sein Ohr dagegen. Im Zimmer scheint es ziemlich zur Sache zu gehen, weshalb der Schwarzhaarige wieder zu grinsen beginnt. Kaum einen Moment später erstarren seine Gesichtszüge allerdings und diese seltsame Eifersucht, die er seit dem Tag empfindet, an dem Kukui ihm das erste Mal von diesem Mädchen erzählt hat, gräbt sich langsam an die Oberfläche. Sie brennt sich in sein Gehirn ein und raubt ihm fast den Verstand.
 

Deine Schönheit ist unvergleichlich

Mit flammenden Locken aus schneeweißem Haar,

Mit einer Haut wie Karamell und smaragdgrünen Augen
 

Das Grinsen stirbt qualvoll auf seinen Lippen. Stattdessen schlägt er seine Zähne hinein, bis er sein eigenes Blut schmecken kann. Die anfängliche Neugierde ist ebenfalls verschwunden. An ihre Stelle tritt das Gefühl, sich Gewissheit schaffen zu wollen und so öffnet er ganz leise und vorsichtig die Tür einen spaltbreit. Das Licht des Mondes fällt auch hier ins Zimmer und zeigt Bromley somit sehr gut, was er eigentlich niemals sehen wollte.
 

Dein Lächeln ist wie ein Frühlingshauch

Deine Stimme ist weich wie Sommerregen

Mit dir kann ich nicht konkurrieren, Burnett
 

Inzwischen sind die beiden gnädiger Weise fertig mit ihrem Akt, doch das macht es nicht besser. Bromley hatte Manuel zwar gesagt, dass es ihm egal ist, ob er mit diesem Weibsbild schläft oder nicht, doch jetzt, wo er die zwei so im Bett zusammen sieht,- aneinander gekuschelt, Arm in Arm-, wird ihm klar, wie falsch das doch war. Aber bei ihrem Gespräch hatte er schlichtweg auch einfach Angst, dass Kukui aufspringen und verschwinden könnte, wenn er ihm verbietet dieses Mädchen wiederzusehen. Er dachte, dass sich das Ganze vielleicht im Sand verläuft und sie keine Beziehung mit ihm haben will, doch da hat er sich sehr getäuscht.
 

Er redet im Schlaf von dir

Und ich kann mich der Tränen nicht verwehren,

Wenn er deinen Namen ruft, Burnett
 

Nun kann er das alles nicht mehr ändern und es sieht bei weitem nicht so aus, als würden sie sich wieder trennen. Nein, ganz sicher nicht. Bromley allein ist hier das fünfte Rad am Wagen. Doch das ist unfair! Immerhin war er zuerst mit Manuel zusammen und dieses Flittchen hat sich einfach dazwischen gedrängelt! Also sollte er dort jetzt einfach reinspazieren und es ihr mitten ins Gesicht sagen. Sie zwingen zu gehen oder Kukui zwingen, sich für einen von ihnen zu entscheiden. Das ist es! Allerdings kann er das nicht. Irgendetwas tief in ihm hindert ihn daran, das Glück des Brünetten zu zerstören. Immerhin hat er es ihm doch erlaubt. Wie sehe das dann auch aus, wenn er da jetzt reinstürmt und sie anbrüllt?
 

Aber es ist leicht für mich, zu verstehen,

Wie einfach es für dich ist, mir meinen Mann zu nehmen

Aber du weißt nicht, was er für mich bedeutet, Burnett
 

Bromley hat den Gedanken noch gar nicht ganz wieder beiseitegeschoben, da sehen sich die zwei tief in die Augen. Die Erschöpfung ihres Aktes ist ihnen noch deutlich anzusehen. Dennoch lächeln sie sich sanft entgegen. „Ich liebe dich, Burnie!“, haucht der angehende Professor der jungen Frau entgegen. „Ich liebe dich auch, Manuel!“, erwidert sie glücklich und die beiden versinken in einen tiefen Kuss. In diesem Moment stirbt etwas in dem Käfer-Trainer...
 

Burnett, Burnett, Burnett, Burnett

Ich flehe dich an, nimm mir nicht meinen Mann

Burnett, Burnett, Burnett, Burnett

Nimm ihn dir nicht, nur weil du es kannst
 

Schon tausend Mal haben sich Bromley und Manuel diese drei magischen Worte gesagt und dennoch klangen sie gerade vollkommen anders. Die Art und Weise, wie Kukui sie ausgesprochen hat, war so völlig unterschiedlich zu der Art und Weise, wie er sie dem Schwarzhaarigen immer zu teil werden lässt. Zuerst glaubt Bromley, dass er sich das nur eingebildet hat, doch das ist unmöglich. Wie er sie schon anschaut. Es ist kein Vergleich. Seine Gefühle für dieses Mädchen sind weit tiefer und greifbarer, als sie für so einen dahergelaufenen Streuner wie Bromley jemals sein könnten.
 

Du kannst jeden Mann kriegen, den du willst

Aber ich könnte niemals mehr lieben
 

Schon bei ihrem Gespräch war Bromley bewusstgeworden, dass es Dinge gibt, die er Manuel niemals geben könnte. Kinder zum Beispiel. Sie haben zwar nie darüber gesprochen, doch er kann sich sehr gut vorstellen, dass sein Freund eines Tages mal welche haben möchte. Doch das geht nicht mit einem Mann, also ist der hochgewachsene Junge fehl am Platz! Erst jetzt realisiert er das Ganze aber erst so richtig und es bricht ihm das Herz. Vielleicht gibt es noch die Hoffnung, dass sich die beiden wieder trennen und er irgendwann eine andere findet, doch bis dahin wird der Schwarzhaarige dafür kämpfen, dass Manuel bei ihm bleibt, koste es was es wolle!
 

Er ist der Einzige für mich, Burnett

Mein Glück hängt von dir ab

Und dem, wozu du dich entscheidest, Burnett
 

Im Moment jedoch ist er einfach zu niedergeschlagen, um an irgendetwas zu denken. Ganz vorsichtig schließt er die Tür wieder, während Kukui und Burnett langsam in den Schlaf abdriften. Still und heimlich entfernt sich Bromley und klettert in sein Zimmer hinauf. Kraftlos lässt er sich auf die Schlafcouch fallen, umklammert hilflos sein Kissen. Fest drückt er sein Gesicht hinein und benetzt den Stoff mit seinem schweren Tränen. Es dauert eine ganze Weile, doch irgendwann holt ihn der Schlaf wieder ein. Umfängt ihn mit seinem tröstenden, dunklen Armen, hüllt ihn ein und versucht das Geschehene aus seinem lädierten Kopf zu verbannen. Eine Zeit lang wird dies tatsächlich funktionieren, doch die Zukunft hält nichts Gutes für den Käfer-Trainer bereit...
 

Burnett, Burnett, Burnett, Burnett

Ich flehe dich an, nimm mir nicht meinen Mann

Burnett, Burnett, Burnett, Burnett

Nimm ihn dir nicht, auch wenn du es kannst...

Thoughtless huddle...

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Broken hearts


 

1
 

Gewichtig, aber auch sehr sanft und aufmunternd legt sich Halas Hand auf Manuels noch immer bebende Schulter. Der junge Professor gibt ein kraftloses, letztes Schluchzen von sich, wirkt jedoch sehr erleichtert. Langsam blickt er zu dem Inselkönig auf, erkennt in dessen Augen jedoch keine Abneigung, keinen Ekel oder gar Zorn. Nein, er sieht nur Mitgefühl, Hingabe und aufrichtige Ehrlichkeit. So hat er es sich auch irgendwie gewünscht, doch er war sich beim besten Willen nicht sicher, wie der rundliche Mann das Ganze aufnehmen wird. Seit Kukuis Abschlussprüfung ist inzwischen eine Woche vergangen. Vor zwei Tagen bekam er die erlösende Antwort, dass er bestanden hat und ab nächsten Monat darf er offiziell als Professor arbeiten und die Inselwanderschaft mitbetreuen. Gefühlt ganz Mele-Mele kam vorbei, um ihm zu gratulieren und ihm viel Erfolg zu wünschen. Es wurde ausgelassen gefeiert, selbst Burnett und Bromley sahen für ein paar Stunden davon ab, sich giftige Blicke zu zuwerfen, was sich nach der Party aber wieder rasant geändert hat, sodass die Weißhaarige es schließlich vorzog zu gehen.
 

Abgesehen davon war es wirklich wundervoll. Doch bereits gestern hat die junge Frau ihn nachdrücklich an ihre Forderung erinnert und all die Freude war schlagartig verschwunden. Der Käfer-Trainer muss gehen, ob Manuel es nun will oder nicht. Es ist für alle einfach besser so, auch wenn er das jetzt noch nicht erkennen möchte. Daher ist der Brünette auch zu Hala gegangen. Schweren Herzens hat er seinem ehemaligen Lehrmeister von seiner Beziehung mit dem Schwarzhaarigen erzählt, ihm alles gestanden und von seinen weiteren Plänen mit Burnett berichtet. Überrascht hat er festgestellt, dass der alternde Inselkönig das Ganze doch erstaunlich gelassen aufgenommen hat. Kukui hatte sich schon ausgemalt, wie enttäuscht, wütend oder sogar angeekelt der alte Herr sein würde, wenn er erfährt, dass seine einstigen Schützlinge so einen Umgang miteinander pflegen. Doch das Gegenteil war der Fall. Es schien fast so, als hätte Hala es schon gewusst, schon lange, oder es zumindest irgendwie geahnt und wurde jetzt von ihm bestätigt.
 

Er hegt auch überhaupt keine Abneigung gegen ihr unzüchtiges Treiben, bestätigt Manuel aber dennoch, dass es sinnvoller ist, sich von Bromley trennen, um seinem Ruf nicht zu schaden. Dabei verschweigt er dem Brünetten, dass es vor etlichen Jahren mal etwas Ähnliches mit einem Inselkönig gab, der allerdings weit über die Stränge geschlagen hat und deswegen sogar verbannt werden musste. Das ist nun wirklich keine Geschichte, die man einem so jungen Mann erzählen sollte und schon gar keinem, der auf Inselwanderschaft war und nun eine intime Beziehung zu einem anderen Mann pflegt. „Du hast großen Mut bewiesen, dich mir anzuvertrauen, Manuel und das bewundere ich sehr. Ich denke, deine Entscheidung ist völlig richtig. Mach dir also keine Sorgen um Bromley. Ich werde mich sehr gut um ihn kümmern und ihm den richtigen Weg weisen. – Vielleicht beweist er mir dann doch eines Tages noch, dass ich falsch lag und er Captain hätte werden sollen? Und wer weiß, vielleicht kann ich dann ein gutes Wort bei Kapu-Riki für ihn einlegen und er wird irgendwann mein Nachfolger?“, sanft lächelt ihn der rundliche Mann an. In seinen Augen liegt dabei wieder diese tiefe Ehrlichkeit. Ja, er wünscht sich wirklich inständig, dass aus Bromley ein anständiger Trainer und ein glücklicher Mensch wird, der strahlend seiner Zukunft entgegengeht. Innerlich fühlt sich Hala sogar schuldig dafür, dass der Schwarzhaarige immer noch so am Boden ist, weil er nicht Captain werden durfte. Hat der Inselkönig damals wohlmöglich falsch entschieden und hätte ihm mehr Vertrauen entgegenbringen sollen?
 

Das ist eine Frage, die er nicht beantworten kann, doch er hofft, dass er es wieder etwas gerade biegen kann, wenn er den Jungen nun unter seine Fittiche nimmt. Auch Manuel ringt sich ein Lächeln ab. Es wäre wirklich eine tolle Vorstellung, wenn Bromley vielleicht wirklich eines Tages Inselkönig wäre, doch diese Entscheidung liegt ganz bei dem Schutzpatron – diesem launischen Wesen. Aber, wer weiß schon, was die Zukunft bringt und wie viel Einfluss Hala noch auf den Käfer-Trainer ausüben wird? Kukui wünscht sich in jedem Fall nur das Beste für seinen Freund. „Vielen Dank, Meister Hala!“, entkommt es ihm unglaublich erleichtert und er wischt sich die letzten Tränen von den Wangen. „Kein Problem, mein Junge. Ich erwarte Bromley dann wie besprochen heute Abend. Hier, nimm doch Machomei mit. Es wird den kleinen Hitzkopf sicher zu mir bringen.“, der Inselkönig deutet neben sich, wo das große Kampf-Pokémon mit den vier Armen geduldig auf seine nächste Aufgabe wartet. Ein wenig muss Manuel bei der Aussage des Älteren schmunzeln. Bromley kann ein wahrlicher Hitzkopf sein, doch klein ist er keineswegs. Er überragt den rundlichen Mann schon seit mindestens vier oder fünf Jahren um ein beachtliches Stück.
 

Der Brünette tut dies selbst auch, aber bei weitem nicht so sehr. Immerhin überragt Bromley ihn selbst um mehr als einen Kopf. Es fällt nur nicht so sehr auf, weil der Schwarzhaarige sich auf Grund seiner Größe schon früh eine andere Haltung angewöhnt hat. Er läuft und steht immer leicht in den Knien eingebeugt und etwas nach vorne geneigt, sodass er kaum größer als Kukui wirkt. Zudem beugt er sich zu seinem Gegenüber immer weit herunter oder hockt sich hin, damit er wenigstens halbwegs auf Augenhöhe mit jemandem Kontakt aufnehmen kann. Das Ganze wirkt schon irgendwie höflich; insbesondere bei sehr kleinen Leuten oder Kindern wirkt es aber eher herablassend, erst recht, weil er dabei die Hände in die Hüften stemmt, wie eine tadelnde Mutter und das kommt vielen schon fast bedrohlich vor. Der junge Professor ist zwar der Meinung, dass die Leute seinen Freund vollkommen falsch einschätzen und sich von seinem harten Äußeren und seiner unflätigen Ausdrucksweise täuschen lassen, aber sie wissen ja auch nicht wie hingebungsvoll und sanft er sein kann. Dennoch kann er sie irgendwie auch verstehen. Da ist etwas sehr Unberechenbares in diesen schiefergrauen Augen, dass man nicht verdrängen kann, von seinem labilen Geisteszustand ganz zu schweigen.
 

Innerlich schüttelt der junge Professor den Kopf darüber. Er sollte nicht an so etwas denken. Bromley ist eine sehr nette und liebevolle Person und wer das nicht sieht, ist selber schuld! Das er auch anders sein kann, weiß Manuel natürlich und will das auch gar nicht schönreden, aber das ist etwas, dass der Schwarzhaarige weder beeinflussen noch kontrollieren kann und daher kann man ihm da auch gar keine so großen Vorwürfe machen, wie er findet. Tief atmet er durch und wirft dem Pokémon einen Blick zu. Geduldig erwidert ihn der Kraftprotz und stellt sich bereitwillig neben ihn. „Vielen Dank noch mal, Meister Hala. Ich komme dann morgen vorbei und sehe, wie sich Bromley eingelebt hat.“, verkündet er mit dem Anflug eines Lächelns, wendet sich dann um und verlässt das Dorf gemeinsam mit Machomei. Ein Hoffnungsschimmer beflügelt ihn ein wenig, doch das Richtige zu tun. Noch kann er ja auch nicht ahnen, dass Bromley nie bei Hala ankommen wird...
 


 

2
 

Eine Weile später erreichen die beiden das große Haus am Strand. Schnell merkt Manuel allerdings, dass sein Freund gar nicht da ist. Eine Nachricht am Kühlschrank verrät ihm, dass Bromley einkaufen gegangen ist, was auch wirklich nötig wird, da schon fast nichts mehr da und alles für Kukuis Party drauf gegangen ist. Diese Tatsache beruhigt Manuel schon etwas, weil ihm so noch ein bisschen Zeit bleibt, um sich zu überlegen, wie er ihm das Ganze denn mitteilen will. Verkrampft lässt er sich auf die Couch sinken und lässt den Kopf hängen; geht vollkommen in sich, um eine Lösung zu finden, das alles möglichst schmerzfrei hinter sich zu bringen. Dennoch ist ihm schon jetzt zum Heulen zu mute. Machomei blickt sich etwas unschlüssig in dem Haus um und setzt sich dann abwartend neben die Kellertreppe.
 

Keine halbe Stunde später öffnet sich ruckartig die Vordertür und der Käfer-Trainer kommt voll bepackt mit Taschen und Tüten hereingestolpert. Zielstrebig hält er auf die Küche zu. Er sieht nicht, wie heftig der junge Professor auf der Couch zusammenzuckt. Etwas umständlich legt Bromley die ganzen Sachen auf der Arbeitsplatte ab und wendet sich dann schnaufend um. Etwas überrascht fällt sein Blick zuerst auf das große Kampf-Pokémon in der Ecke. „Na, wenn ich gewusst hätt‘, dass du ‘n Machomei mitbringst, hätt‘ ich mit’m Einkauf noch gewartet, statt mir ‘was abzubrechen!“, grinst er leicht und schiebt seinen Lutscher von einer Seite zur anderen. Kukui erwidert aber nichts, sieht ihn nur stumm an. Der Schwarzhaarige legt leicht den Kopf schief, hebt dann eine Augenbraue und wendet sich wieder um, um die Einkäufe wegzuräumen. „Was schausten so? Is‘ es nich‘ gut gelaufen bei Hala? Was wollteste eigentlich von dem Alten?“, fragt er dann und sortiert einige Sachen für das Abendessen aus den Taschen.
 

Langsam erhebt sich Manuel und atmet tief durch, dann nimmt er all seinen Mut zusammen. „Bromley, wir müssen reden!“ Verwundert sieht der Angesprochene auf. „Was’n? So ernst? Aber von mir aus. Schieß los. Ich kann ja auch währenddessen kochen.“, erwidert er schulterzuckend. Nachdrücklich schüttelt der junge Professor daraufhin aber den Kopf. „Nein, das kannst du nicht. – Komm her und setz dich, bitte.“, fordert er ihn dann auf. Geräuschvoll zerbeißt Bromley den Rest seines Lutschers und kaut dann auf dem Stiel herum. „Schön, wie du meinst...“ Er lässt alles stehen und liegen und setzt sich zu seinem Freund auf die Couch. „Was is‘ los? Hat Burnett dir ‘n Laufpass gegeben?“ Eigentlich sollte das ein Scherz sein, auch wenn sich der Käfer-Trainer dennoch darüber freuen würde. Kukui wird aber nur noch ernster. Vorsichtig ergreift er die Hände des Größeren und hält sie fest. „Nein, das ist es nicht. Um ehrlich zu sein, werden wir sogar heiraten...“ Für einen Augenblick entgleiten Bromley’s Gesichtszüge und er kann gerade noch verhindern, den Lutscherstiel zu verlieren; dann breitet sich ein Grinsen auf seinen Lippen aus. „Du bist mir ja vielleicht ‘n Schlingel! Mein‘ Glückwunsch!“
 

Auch, wenn es ihm innerlich kein bisschen passt, so freut er sich doch wirklich für den Brünetten. Sein Denken reicht in diesem Moment aber auch nicht weit genug, um zu begreifen, was für Auswirkungen das haben könnte. Doch der Ausdruck im Gesicht seines Gegenübers macht ihn irgendwie stutzig. Manuel wirkt keinesfalls fröhlich oder ausgelassen, wie man es in so einer Situation zweifelsohne sein sollte. Stattdessen wirkt er tief betrübt und niedergeschlagen, fast so, als wäre gerade jemand gestorben. Bromley runzelt die Stirn und sieht ihn eingehender an. „Is‘ das etwa kein Grund zur Freude?“, hakt er nach. „Doch, das ist es, sehr sogar. – Nur nicht für dich, fürchte ich...“ Der Jüngere gibt ein leichtes Schnaufen von sich. „Ach Quatsch! Ich freu mich für dich auch, wenn ich sie nich‘ leiden kann. Und das heißt ja nich‘, dass wa nich‘ weiterhin zusammen sein könn‘, also...“ „Doch, das heißt es!“, unterbricht der junge Professor ihn etwas harscher, als gewollt.
 

Verstimmt sieht der Käfer-Trainer ihn an und entzieht ihm ruckartig seine Hände. „Was soll’n das heißen?“, fragt er scharf nach. Kukui ballt die Hände im Schoß zu zittrigen Fäusten und senkt den Blick, während er sich krampfhaft auf die Unterlippe beißt, um die aufkommenden Tränen herunterzuschlucken. Dann sprudeln die Worte einfach so aus ihm heraus ohne, dass er den Blick zu seinem Freund sucht. „Ich werde Burnett heiraten und ich werde auch als Professor arbeiten, das steht außer Frage. Doch ich werde diese Dinge ohne dich tun. – Glaub mir, ich will dich nicht verlieren und dich schon gar nicht so mies vor die Tür setzen, nach all dem, was wir durchgemacht haben, doch es ist besser so. Unsere Beziehung hat keine Zukunft und würde früher oder später nur zu Problemen führen, also ist es besser sie zu beenden, bevor es herauskommt. Auch ohne es zu wissen, hat Burnett recht damit. Du magst vielleicht keinen schlechten Einfluss auf mich haben, wie sie gern behauptet, aber doch vielleicht auf meine Arbeit mit den Kindern...“
 

Schweigend hört Bromley sich die Worte an. Ihm entgleiten dabei jedoch abermals alle Gesichtszüge und diesmal kann er es nicht verhindern, dass sich der Stiel des Lutschers verselbstständigt. Ungeachtet fällt er zu Boden und landet unter dem Couchtisch. Der Brünette hat kaum ausgesprochen, da springt der Größere auch schon auf. Sein Gesicht ist vor Wut und Enttäuschung ganz verzerrt und wirkt unglaublich furchterregend, sodass Manuel unweigerlich zusammenzuckt, als er endlich zu ihm aufsieht. „Du setzt mich also vor die Tür? Echt jetz‘? Nur, weil dir dieses kleine Flittchen ‘nen dämlichen Floh ins Ohr gesetzt hat? Das kann doch nich‘ dein Ernst sein?! Ich hab‘ alles für dich aufgegeben und mir den Arsch wund geschuftet, damit du Professor werden kannst und das is‘ jetz‘ der Dank dafür?“ Knurrend ballt er die Fäuste. „So habe ich das nicht gemeint, bitte glaub mir! Ich bin dir unendlich dankbar für deine Hilfe. Ohne dich hätte ich das niemals geschafft, ehrlich!“
 

„Spar dir den Atem, du verlogenes Arschloch! Ich wa‘ doch nur gut genug zum Wäsche waschen, Einkaufen, Essen kochen und um dir den Schwanz zu streicheln, wenn dein kleines Flittchen keine Zeit für dich hatte! Hab‘ also endlich ma‘ die Eier in ‘ner Hose und sag’s mir ins Gesicht, verflucht!“ Betroffen senkt Manuel wieder den Blick und kämpft mit den Tränen. Bisher hat er es noch nie erlebt, dass der Jüngere so heftig ausgerastet ist und seine ohnehin schon gewöhnungsbedürftige Sprechweise dabei einen so abstoßenden Ton angenommen hat. „Sie – sie ist kein Flittchen...“, bringt er leise hervor, traut sich dabei kaum dasselbe Wort zu benutzen. „Und ob sie eins is‘! Immerhin schläft sie mit ‘nem Typen, der schon vergeben is‘! Wie nennt man so was sonst, außer ‘n Flittchen? Aber, um ihr das zu sagen, hast du ja auch nich‘ die Eier in ‘ner Hose, du mieser Feigling! Wie konnt‘ ich nur so blöd sein und dir das mit ihr überhaupt durchgehenlassen? Ach ja, weil ich dich geliebt hab‘ und wollt‘, dass du glücklich bist! Und du nutzt meine Gutmütigkeit einfach schamlos aus! Is‘ es nich‘ so?“ Grob packt er den Brünetten am Kragen seines Kittels und schüttelt ihn durch. „Antworte, verdammt!“, knurrt er ihm entgegen. Hilflos harrt Manuel aus, sieht ihn flehend an. „Bromley, bitte...“
 

„Oh nein! Es hat sich ausgebittet, du Schisser! Dachtest wohl, Machomei kommt dir zur Hilfe, wenn ich dir hier ‘n Szene mache, was? Soll’s das ruhig ma‘ versuchen, aber ich hau‘ dir trotzdem eine runter, Freundchen! Dann fühlste dich vielleicht auch ma‘ so beschissen wie ich!“ Drohend hebt er die Faust, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen und tatsächlich erhebt sich das große Kampf-Pokémon eilig und hält ihn davon ab ohne, dass Manuel es darum bitten muss. „Fass mich nich‘ an, du hässliches Biest!“, entgegnet er dem Kraftprotz und reißt sich von ihm los. Kukui hält er jedoch weiterhin fest im Griff. „Nein – Machomei sollte dich – eigentlich nur zu Hala begleiten...“, gibt der Brünette schließlich zu. „Was? Soll mir der alte Knacker etwa ins Gewissen reden, dass es so besser is‘? Damit ich einseh‘, dass ich immer nur das fünfte Rad am Wagen wa‘? Da pfeif ich drauf!“, grob stößt er seinen Ex-Freund auf die Couch zurück. „Vielleicht. – Aber eigentlich will er dir helfen, ein besserer Trainer zu werden, das Beste aus der zu machen. – Du wohnst bei ihm und...“ „Das hätt‘ der Alte wohl gern, was? Aber das kann er knicken! Er is‘ nämlich nich‘ viel besser als du! Nur leere Versprechungen und wenn’s dann keinen Spaß mehr macht, schmeißt er mich auch einfach raus! Doch nich‘ mit mir!“
 

„Bitte, Bromley! Wir wollen doch nur dein Bestes...“ „Mein Bestes? Mein Bestes hab‘ ich dir jahrelang gegeben, doch es wa‘ wohl nie genug! Aber das lass‘ ich nich‘ auf mir sitzen, Kumpel!“ Erneut packt er Kukui grob am Kragen seines inzwischen zerknitterten Kittels und zerrt ihn zu sich hoch, sodass seine Füße ein Stück in der Luft baumeln. Wütend ballt er die Faust und diesmal droht er ihm nicht nur damit. Weit holt er aus, um all seiner Enttäuschung Luft zu machen. Jedoch sieht sich Machomei wieder dazu gezwungen ihn davon abzuhalten, diesmal nachdrücklicher. Zwei der kräftigen Arme schlingen sich um den Körper des Schwarzhaarigen und pressen ihn gegen die harte Brust des Pokémon. Die beiden anderen Arme befreien Kukui aus seiner misslichen Lage und setzen ihn wieder sanft auf dem Boden ab. „Lass mich sofort los, du Missgeburt!“, gebärt sich der Käfer-Trainer und es bricht Manuel wirklich das Herz, ihn so reden zu hören. Zumindest Pokémon gegenüber hat er sich immer wesentlich netter ausgedrückt, benommen und sie nie in irgendeiner Weise beleidigt. Dennoch kann er ihn irgendwo verstehen. Es ist alles so aufreibend und verwirrend und er muss damit erst umgehen lernen, doch das braucht viel Zeit, die er jetzt auf keinen Fall hat.
 


 

3
 

Manuel Kukui ist nicht gerade ein Mann, den man sich als Feind wünschen würde. Er ist gewöhnlich kaum aus der Ruhe zu bringen. Doch, wenn er einmal gezwungen ist zu handeln, kann ihn nichts mehr aufhalten. Alles, was er dann unternimmt, tut er mit derselben gradlinigen Entschlossenheit, die ihn auch als Student und Pokémon-Trainer ausgezeichnet hat. Doch Bromley wirft ihm in diesem Moment einen so wilden Blick zu, dass er sich äußerst unbehaglich fühlt, klein und schwach, ja geradezu erbärmlich fühlt, wie damals des Öfteren auf ihrer Inselwanderschaft. In den schiefergrauen Augen ist nicht einmal mehr ein Funke von gesundem Menschenverstand übrig geblieben, nur schreckliche Leere – ein völliger Schatten seiner selbst. In diesem Moment ist er seinem ungeliebten Vater ähnlicher, als jemals in seinem ganzen bisherigen Leben.
 

Im festen Griff von Machomei senkt Bromley den Kopf, bis sich die Nasen der ehemaligen Geliebten fast berühren. Kukui hat noch nie einen solchen Zorn, solche Rage, Entschlossenheit und Erniedrigung im Gesicht eines Menschen gesehen. Jener Zorn und Schmerz über erlittene Erniedrigung, jene unverkennbare Mischung aus Liebe und Hass, zu der nur junge Männer im Stande zu sein scheinen, die man aufs Übelste im Stich gelassen hat. Und nie wieder soll er so einen Ausdruck sehen. Doch an diesem Nachmittag sieht er ihn und begreift dabei, dass es vernünftiger ist, jetzt den Mund zu halten, wenn er nicht für den Rest seines Lebens Schuldgefühle haben will.
 

Doch da ist noch etwas anderes im Gesicht des Schwarzhaarigen. Es ist der Anblick eines Mannes, der sich langsam von der Realität löst und dabei ganz methodisch vorgeht – ein Seil nach dem anderen lockert, bis er unweigerlich abstürzt. Das Gesicht eines Mannes, der sich aus dem hellen, freundlichen Blau des Himmels entfernt und sich in den schwarzen, kalten Abgrund des Wahnsinns begibt,- wie damals, als sie in dem verlassenen Laden von den Geister-Pokémon angegriffen wurden-, nur jetzt scheint er nicht zu verblassen, sondern eine grausame Endgültigkeit anzunehmen. Noch ahnt es Kukui nicht, aber dieser Wahnsinn wird Bromley noch sehr lange begleiten und ihn immer fester umklammern, bis er nicht mehr von ihm loskommt. Traurig wendet der junge Professor schließlich den Blick von seinem einstigen Geliebten ab und gibt dem großen Kampf-Pokémon den Befehl ihn wegzubringen; wie er hofft, in eine bessere Zukunft. Doch schon am nächsten Morgen soll Manuel feststellen, dass dem nicht so ist und das Bromley wohlmöglich für immer verloren sein könnte…
 

„Du verdammtes Arschloch! Ich mach‘ dich fertig, verlass dich drauf! Wir ham uns heut‘ nich‘ zum letzten Mal gesehen, hörst du?“, platzt es irre aus dem Käfer-Trainer heraus, während Machomei fester die Arme um ihn schlingt und ihn dann langsam zur Tür trägt. Der Brünette versucht seine Worte zu ignorieren, doch es gelingt ihm kaum. Als die Tür endlich geräuschvoll ins Schloss knallt, bricht er endgültig zusammen. Seine Knie geben unter ihm nach und er sackt auf den Boden nieder. Heiße Tränen rinnen ungehalten seine Wangen hinab, ihm ist heiß und kalt gleichzeitig und zudem unglaublich schlecht. Er zittert am ganzen Körper und bekommt kaum mehr Luft. Seine Finger krallen sich Halt suchend in den Teppich neben der Couch, auf dem sie sich vor gefühlten tausend Jahren einmal geliebt haben, und umklammern plötzlich etwas Hartes. Geistesgegenwärtig hebt er es auf und sieht es an. Es ist der völlig zerkaute Stiel des Lutschers, den Bromley in seiner Fassungslosigkeit hat fallen lassen. Sein Anblick gibt Kukui vollends den Rest. Er stößt einen markerschütternden Schrei der Verzweiflung aus, rollt sich auf dem Boden zusammen, presst den Stiel an seine Brust wie ein Ertrinkender und weint, weint stundenlang, bis die Erschöpfung ihren Tribut fordert...
 


 

4
 

Während Manuel einen regelrechten Zusammenbruch erleidet, ergeht es Bromley auch nicht so viel besser. Inzwischen benutzt Machomei alle vier Arme, um den kräftigen Jungen irgendwie zu halten. Im Verhältnis ist das Pokémon natürlich weit stärker, als der junge Mann, doch dieser zappelt und gebärt sich so wild, dass der Kraftprotz Schwierigkeiten hat, ihn festzuhalten, ohne ihm dabei wohlmöglich ernsthaft weh zutun. Dabei gleicht es einem Wunder, dass niemand auf sie aufmerksam wird. Obwohl das vielleicht nicht so ungewöhnlich ist, da sich das Haus des jungen Professors ja ein ganzes Stück vom Stadtrand entfernt befindet und bis nach Lili’i ist es sehr, sehr viel weiter. Nur die Route eins trennt sie davon und diese wird nur von verschiedenen Pokémon bewohnt und besteht ansonsten überwiegend aus Gras, einigen Felsen, Büschen und Bäumen und ganz am Rand aus flachen Klippen zum Meer hinab. Da sie den Beginn einer jeden Inselwanderschaft markiert, ist sie nicht sonderlich schwierig oder gar gefährlich, doch es gibt viele Möglichkeiten, um sich zu verstecken oder aus dem Hinterhalt zu springen, wenn einem der Sinn danach steht.
 

„Jetz‘ lass mich endlich runter, du dämlicher Muskelprotz!“, schimpft der junge Mann weiterhin, wird jedoch unermüdlich von dem Kampf-Pokémon ignoriert. Unbeirrt führt es seinen Weg fort und bringt den Schwarzhaarigen immer näher zu Hala. Knurrend und brüllend versucht sich der Käfer-Trainer zu befreien. Es scheint unmöglich, bis es ihm irgendwann dann doch gelingt einen Arm freizubekommen. Machomei verzieht leicht das Gesicht und versucht ihn wieder festzuhalten, doch da hat es die Rechnung ohne Bromley’s ungehaltenes Temperament gemacht. Bevor es dem Kraftprotz gelingt, den freien Arm des Jungen zu erwischen, rammt ihm dieser seine Finger mitten in die Augen! Erschrocken und schmerzlich heult das Pokémon auf und hält sich die Augen. Zu seinem Pech hat es den Schwarzhaarigen so aber nur noch mit einem Arm im Griff und das reicht bei weitem nicht aus.
 

Ein heftiges Rucken später ist Bromley wieder frei und greift nach einem seiner Pokébälle. „Los Sweetheart, Überrumpler!“, befiehlt er dem großen Samurai kaum, dass er erschienen ist. Dieser gibt ein kampfbereites Fauchen von sich, fixiert den Gegner und stürmt dann vor. Zwar haben Käfer-Attacken keine allzu große Wirkung auf das Kampf-Pokémon, doch Machomei ist immer noch blind von dem hinterhältigen Angriff des Schwarzhaarigen und daher ist es nicht in der Lage auszuweichen. Tectass reißt es daher regelrecht von den Füßen. Schwerfällig blinzelt der Kraftprotz und lässt die Arme wieder sinken. Er versucht aufzustehen, doch da befiehlt Bromley schon den nächsten Angriff. „Wasserdüse, schnell!“ Der harte Stahl trifft Machomei ebenso unvorbereitet, wie der erste Angriff und setzt im beinahe genauso sehr zu. Das vierarmige Wesen braucht einen Moment, um sich wieder zu fangen. Diesen kurzen Augenblick nutzt der Käfer-Trainer aus, ruft sein Pokémon wieder zurück und rennt dann davon. Als der Kraftprotz schließlich auf die Beine kommt, ist der Schwarzhaarige längst über alle Berge...
 


 

5
 

Bromley rennt und rennt. Er rennt mit all der Verzweiflung im Herzen, angetrieben von seiner Trauer und tiefgreifenden Enttäuschung. Diese Gefühle tragen ihn weit die Route eins entlang. Währenddessen blickt er sich immer wieder panisch um, da er fürchtet, dass Machomei nach ihm suchen wird. Dem ist auch so, doch im Moment sucht es noch in der völlig falschen Richtung. Auch ohne dieses Wissen wird der junge Mann nicht langsamer. Er will nur weg, weg von allem, was ihn verletzt hat, und nie wiederkommen!
 

Ich will nicht sehen, was ich sehe

Nicht hören, was ich höre von dir
 

In seinem Kopf hallen immer noch Manuels Worte nach, die ihm das Herz gebrochen haben. Doch sie haben sich unbemerkt verändert, klingen nur noch böswillig und gemein. Worte, die der junge Professor niemals sagen würde und doch scheinen sie für den Verstoßenen von niemand anderem zu kommen. In sie mischen sich immer wieder auch die höhnenden Worte seines Erzeugers, der ihn für seine Dummheit und seine Schwäche auslacht. Das alles brennt sich regelrecht in seinen geschundenen Geist ein und treibt ihn nur noch mehr an, die Flucht vor alledem zu ergreifen, um endlich so etwas wie Frieden zu finden.
 

Ich will nicht wissen, was ich weiß

Denn es tötet die Hoffnung in mir
 

Irgendwann geht ihm jedoch die Luft aus und er blickt sich hektisch um. Inzwischen hat er gut die halbe Strecke nach Lili’i zurückgelegt, doch da will er ganz sicher nicht hin – dann hätten Kukui und Hala ja gewonnen. Ganz weit in der Ferne kann er die nahezu verzweifelten Rufe des Kampf-Pokémon hören, das nun scheinbar den richtigen Weg eingeschlagen hat. Allerdings ist es noch so weit weg, dass es ihm unmöglich sein dürfte, ihn wiederzufinden, ehe er einen geeigneten Unterschlupf gefunden hat. Trotzdem versetzt es Bromley in nackte Panik. Er will unter keinen Umständen zu Hala, diesem verlogenen Bastard. Also muss er sich ein Versteck suchen, bis die Luft wieder rein ist und dann weitersehen, wo der Wind Alolas ihn hintreibt...
 

Es ist mir ganz egal, wer der Schuldige war

Ich will dich zurück, was auch immer geschah
 

Seine Gefühle überschlagen sich und er kann noch immer nicht fassen, was eigentlich passiert ist. Noch vor zwei Tagen haben sie gemeinsam seine bestandene Abschlussprüfung gefeiert und anschließend innig miteinander geschlafen, nachdem die letzten Gäste gegangen waren. Nichts hat auf irgendetwas hingedeutet. Burnett hat auch nichts verlauten lassen, obwohl sie das mit der Hochzeit da doch sicher schon gewusst hat. Noch heute Morgen sind sie zusammen aufgestanden, haben anregend geduscht und ausgelassen gefrühstückt, ehe jeder seinem Tagwerk nachgegangen ist. Und jetzt, nur Stunden später, liegt seine ganze Welt in Trümmern und er versteht gar nicht, wie das nur passieren konnte.
 

Ich will nicht gehen, in eine Welt ohne dich

Nichts ist so leer, wie eine Welt ohne dich

Nichts ist so leer, wie eine Welt ohne dich
 

Ein letztes Mal blickt er zurück in die Richtung, in der sein Zuhause war, dann vernimmt er wieder Machomeis Rufe und setzt sich abermals in Bewegung. Zwischen dichten Büschen bahnt er sich den Weg bis zu einem Zaun, der verhindern soll, dass man die Klippen hinab ins Meer stürzt. Für einen Moment blickt er in das aufgewühlte Blau hinunter. Die Sonne küsst schon fast den Horizont, bald wird es Nacht sein. Langsam steigt Bromley über den hüfthohen Zaun hinweg und steht plötzlich am Abgrund. Sein Herz hämmert wie wild und ein kräftiger Wind zerrt an ihm, als würde er an einer hundert Meter hohen Klippe stehen und nicht an einem drei Meter tiefen Felsvorsprung.
 

Ich will nicht fühlen, was ich fühle

Nicht glauben, was man mir erzählt
 

Würde er hier hinunterspringen, würde es ihn keinesfalls töten, außer er würde zulassen, dass er ertrinkt. Ist also nicht wirklich eine Option. Mit Bedacht kniet er sich hin und klettert dann den kurzen Hang ein Stück hinunter. Suchend blickt er sich um. Als Kind hatte er hier in der Nähe mal eine kleine Höhle entdeckt, doch er ist sich nicht mehr ganz sicher, wo sie sich genau befunden hat. Im allmählich rotorange verfärbten Licht erblickt er dann ein schwarzes Loch. Vorsichtig hangelt er sich dorthin. Und tatsächlich ist es die Höhle. Geschwind krabbelt er hinein und kauert sich zusammen. Hier kann er darauf warten, dass Machomei seine Suche aufgibt und sich ausruhen.
 

Ich will nicht hassen, wen ich liebe

Wenn mir deine Liebe so fehlt
 

Doch nun, wo er nach und nach wieder zu Ruhe kommt, schlagen erneut seine Gefühle auf ihn ein. Mit tränenfeuchten Augen hockt Bromley in der kleinen Höhle, fernab des Weges und blickt in die Richtung, in der Kukuis Haus liegt, auch, wenn er den Strand von hieraus gar nicht sehen kann. Sein Zuhause – doch jetzt nicht mehr… Zuhause ist ein Ort, an dem man dich aufnehmen muss, wenn du hinkommst, hat einmal ein kluger Kopf gesagt. Aber der Schwarzhaarige tut gut daran, nicht zu vergessen, dass er hier nicht wirklich zu Hause war,- es irgendwie nie irgendwo so richtig war-, nur den Platz für jemand anderen warmgehalten hat. Vielleicht der schlimmste Fehler, den ein Mann machen kann, ist der, das Haus eines Freundes für sein eigenes zu halten, besonders dann, wenn der Freund jemand ist, in dessen Bett man einst gelegen hat.
 

Diese Bilder von dir, rauben mir den Verstand

Sind wie Schüsse ins Herz, ins Gedächtnis gebrannt
 

Kein Zuhause, ganz und gar nicht. Seinen Platz in den weichen Laken hat nun jemand anders eingenommen und er ist nur noch Geschichte; war ein Lückenfüller, bis Manuel etwas Passenderes gefunden hat. Dieser Gedanke ist wie ein Schlag in die Magengrube. Plötzlich fühlt sich Bromley grenzenlos einsam. Klangvoll schnappen allerdings die beiden Pokébälle an seinem Hosenbund auf und Tectass und Reißlaus erscheinen in der erdrückenden Enge der Höhle neben ihm. Sweetheart schließt ihren verzweifelten Trainer in ihre großen Arme und drückt ihn schützend an sich, während Buddy mit besorgtem Blick auf Bromley’s Schoß krabbelt und sich fiepend an ihn schmiegt.
 

Ich will nicht gehen, in eine Welt ohne dich

Nichts ist so leer, wie eine Welt ohne dich

Nichts ist so leer, wie eine Welt ohne dich
 

Doch der Käfer-Trainer nimmt ihre Anwesenheit und ihre verzweifelten Versuche ihm zu helfen, gar nicht war. Er ertrinkt nur in seiner Einsamkeit. Nichts existiert mehr, rein gar nichts und so schnell wird sich das wohl auch nicht ändern. Sein ganzes bisheriges Leben war stets von Leid und Schmerz geprägt. Doch dann traf er Manuel und fing an zu glauben, dass es für ihn doch so etwas wie Hoffnung gibt. Glaubte daran seinen Seelenverwandten gefunden zu haben, jemanden, mit dem er alles teilen konnte und der ihn immer versteht, ganz egal wie verrückt sein Kopf zwischendurch auch gespielt haben mag. Kukui hat nie ein schlechtes Wort darüber verloren, war stets bereit ihm zu helfen, wieder in die Realität zurückzufinden.
 

Nur mit Tränen im Blick, denk ich an dich zurück

Wenn ich geh, wird der Abschied sehr schwer
 

Doch nun muss Bromley schweren Herzens feststellen, dass er die ganze Zeit über blind und naiv war. Blind vor Liebe zu diesem Jungen und naiv zu glauben, dass sich irgendwann das Blatt für ihn einmal zum Guten wenden könnte. Er ist wohl einfach dazu bestimmt, unglücklich, einsam und verzweifelt zu sein. Diese Tatsache sollte er akzeptieren lernen oder einfach alles beenden und hoffen, dass es ihm im nächsten Leben besser ergeht. Der Schwarzhaarige stößt einen heiseren Schrei der Verzweiflung aus, kauert sich zusammen und wünscht sich von ganzem Herzen tot zu sein…
 

Nichts ist so leer, wie eine Welt ohne dich

Nichts ist so leer, wie eine Welt ohne dich

Nichts ist so leer, wie eine Welt ohne dich

The lady and the tramp


 

1
 

Mit einem ziemlich gleichgültigem Blick starrt die Blondine aus dem großen Panoramafenster des Restaurants. Schwere Tropfen prallen gewichtig gegen das Glas und machen es nahezu unmöglich das Nachbargebäude zu erkennen. Regen ist in Alola zu meist eine Seltenheit. An manchen Orten, wie der nahe gelegenen Wüste hier auf Ula-Ula oder dem Canyon von Poni, regnet es nie. Andere Orte werden öfter einmal gewässert, wie zum Beispiel der Ziergarten hier in Malihe City. Am Unwirklichsten erscheint einem aber wahrscheinlich das Dort Po’u ganz im Norden Ula-Ulas, in dem es seit vielen Jahren förmlich ununterbrochen regnet und niemals ein Strahl Sonne die dicke Wolkendecke durchbricht. Das Ganze hat seinen Ursprung in der Strafe des erzürnten Schutzpatrons. Was in diesem einst prunkvollen Dorf passiert ist, ist wirklich furchtbar und verdient daher eine Bestrafung und so ist Po’u zu einem unwirklichen Ort geworden, an dem heute niemand mehr wohnt. In Malihe City regnet es allerdings auch eher selten, nur manchmal gelingt es den aufgedunsenen Wolken vom Wind erfasst zu werden und ihre gesamte Ladung nicht über dem Ziergarten abzuwerfen, sondern hier nieder gehen zu lassen. Doch diese Schauer dauern meistens nur wenige Minuten, sind dafür aber nicht selten sehr heftig.
 

Beim Anblick der großen Tropfen ist Samantha schon froh, dass sie sich dazu entschieden hat, heute früher essen zu gehen, sonst wäre sie jetzt wohl nass bis auf die Knochen. Wirklich darüber freuen kann sie sich jedoch nicht, da ihre Gedanken ganz bei ihren beiden Kindern sind. Es sind allerdings keine schönen Gedanken. Ihr Sohn Gladio und ihre Tochter Lilly haben sich vor kurzem gegen sie gewandt, obwohl sie immer nur das Beste für sie wollte, ihnen all ihre Liebe gegeben hat. Und, als wenn das nicht schon schlimm genug wäre, haben sich die beiden auch noch erdreistet und ihr zwei ihrer wertvollsten Pokémon gestohlen. Eine wirklich unerhörte Frechheit, wo sie doch genau wissen, dass sie sie für ihre Forschung braucht. Wäre doch bloß ihr Mann Mohn noch hier, dann wäre das Ganze sicher gar nicht erst passiert... Doch das Schicksal meint es einfach nicht gut mit ihr. So leicht lässt sich Samantha aber nicht hinters Licht führen. Früher oder später findet sie schon einen Weg, um die beiden Ausreißer wiederzufinden und die Pokémon zurückzubekommen und dann werden sie schon sehen, was sie davon haben, sich gegen ihre eigene Mutter zu stellen!
 

Sie gibt ein verstimmtes Schnauben von sich, das all ihren Zorn zum Ausdruck bringt und dennoch sehr resignierend klingt. Eigentlich weiß sie gar nicht, wie es ihr gelingen soll, die beiden zu finden. Sie könnten schlichtweg überall sein und weder sie, noch ihre zahlreichen Mitarbeiter haben die Zeit ganz Alola nach ihnen zu durchkämmen. Ihr muss also eine andere Lösung einfallen und das möglichst bald. Sie steht so kurz vor einem Durchbruch, doch ohne die beiden Pokémon kommt sie nicht weiter. Gedankenversunken starrt sie auf den Teller hinab, den der Kellner gerade vor ihr abgestellt hat. Sie dankt ihm und schenkt ihm ein herzliches Lächeln, obwohl sie mittlerweile gar keinen Appetit mehr hat. Sie macht sich einfach zu viele Sorgen und Vorwürfe, als, dass sie jetzt etwas essen könnte.
 


 

2
 

Die Zeit vergeht, das Essen vor ihr sicher auch schon kalt, doch sie hat noch nicht einen Bissen davon genommen. Stattdessen schiebt sie die einzelnen Bestandteile nur trübsinnig mit den glänzenden Zinken ihrer Gabel von einer Seite des Tellers zur anderen. Fieberhaft sucht sie nach einer Lösung. Nur am Rande bekommt sie mit, wie sich die Tür öffnet und ein junger Mann hereinkommt. Nicht sonderlich interessiert betrachtet sie ihn kurz. Bei seinem Anblick verzieht sich jedoch im ersten Moment angewidert ihr Gesicht. Er wendet ihr den Rücken zu, sodass sie sein Gesicht nicht sehen kann, aber das muss sie auch gar nicht. Inzwischen hat der Regen längst wieder aufgehört, doch dieser junge Mann muss die volle Ladung davon abbekommen haben. Von oben bis unten ist er tropfnass und es dauert daher nur wenige Sekunden, ehe sich zu seinen Füßen eine beachtliche Pfütze gebildet hat.
 

Er scheint ziemlich rum gekommen zu sein oder hat einen harten Kampf hinter sich. Auf jeden Fall sieht er sehr mitgenommen oder eher heruntergekommen aus. Sein einst wohl gelbes Hemd steht geradezu vor Dreck, sodass man die eigentliche Farbe nur halbherzig erraten kann und der Regen hat es auch nicht viel besser gemacht, zudem hat es überall lange Risse und große Löcher. Seine vermutlich einst dunkelgrüne Hose sieht nicht viel besser aus. Die zerfetzten Aufschläge reichen ihm sogar nur noch bis zu den Knien. Außerdem hat er keine Schuhe an, dafür sind seine Füße aber mit einer dicken Schlammschicht bedeckt, die der Regen auch nicht wegspülen konnte. Verständlicherweise sind die Kellner in diesem eher feineren Restaurant nicht gerade angetan vom Anblick des jungen Mannes und versuchen ihn daher in der Nähe der Tür zu halten, damit möglichst wenige Gäste ihn zu sehen bekommen. Bemüht freundlich versuchen sie ihn wieder nach draußen zu bringen, doch da spielt der Bursche wie es scheint nicht mit.
 

Vielleicht wird das Ganze ja doch noch irgendwie interessant für Samantha und kann sie etwas von ihren eigenen Gedanken ablenken? „Kommt mir ja nich‘ zu nahe, ihr gestriegelten Vögel!“, plustert sich der Streuner auf und nimmt eine Drohhaltung ein, bei der deutlich die Muskeln und Sehnen an seinen kräftigen Armen hervortreten. „Sir, sie müssen wirklich wieder gehen!“, setzt der eine Kellner nachdrücklich an. „Sie belästigen mit ihrem Aufzug unsere Gäste!“, erwidert der andere. „Is‘ mir doch egal, was die feinen Pinkel von mir halten! Ich will doch bloß was essen, verdammt noch ma‘! Ich hat‘ seit Tagen nichts mehr, also macht euch nich‘ ins Hemd!“, hält der junge Mann wütend dagegen. „Es tut mir wirklich leid, dass zu hören, Sir. Aber Sie sehen nicht so aus, als ob Sie sich den Aufenthalt hier leisten könnten.“, erwidert der erste Kellner ungerührt. „Und außerdem haben Sie unseren Teppich ruiniert!“, kommt es prompt von dem zweiten. „Ich scheiß auf euren Teppich und außerdem könnt‘ ich mein Essen doch auch abarbeiten!“
 

Die beiden Kellner blicken sich etwas verstört an. „Mit Ihrem unflätigen Mundwerk dürften Sie hier nicht einmal die Teller spülen!“, kommt es entschieden von dem ersten Kellner. Doch das scheint das Fass endgültig zum Überlaufen zu bringen. „Was haste da gesagt? Du willst wohl, dass ich dich plattmache, was?“, zornig funkelt ihn der junge Streuner an und zieht dann einen Pokéball hervor. Überrascht weichen die beiden Kellner ein Stück zurück. In dieser Hinsicht sind sie unbewaffnet und für gewöhnlich haben Pokémon hier auch absolut nichts zu suchen. Dann jedoch betritt der Geschäftsführer den Ort des Geschehens. „Wenn Sie sich mit jemandem anlegen wollen, dann doch wohl mit mir!“, kommt es von diesem, ebenfalls mit einem Pokéball in der Hand.
 

Nun wirft der Bursche einen leicht hektischen Blick durch das Restaurant, als versuche er herauszufinden, wer sich außer dem Personal noch gegen ihn wenden könnte und da kann sie ihn zum ersten Mal richtig sehen. Der erste Gedanke, der ihr kommt, ist, dass er ein junger Mann mit einem alten Gesicht ist – besser kann sie seinen völlig fertigen Anblick einfach nicht beschreiben. Doch er hat Züge an sich, die sie seit dem Verschwinden ihres Mannes und der Rebellion ihrer Kinder oft an sich selbst gesehen hat, wenn sie in den Spiegel geschaut hat. Obwohl der Bursche – nach seinen Händen, den Bewegungen und seinem ganzen Auftreten nach zu schließen – kaum älter als zwanzig sein kann, ist sein Gesicht von unglaublich leidvollen Erfahrungen geprägt, und seine durchdringenden schiefergrauen Augen, unter denen schwere, violett-graue Schatten liegen, lassen einen nicht nur gehetzten, sondern auch einen tieftraurigen Ausdruck erkennen.
 

Dennoch sieht er verdammt gut aus, mit seiner blassen Haut, den hervortretenden Muskeln und dem langen, struppigen Haar, das ihm fast bis auf die Schultern reicht und das er vor geraumer Zeit wohl weiß gebleicht hat, es dann aber heraus gewachsen ist, sodass es nun zur Hälfte in tiefem Schwarz nach gesprossen ist. Zudem ist er unglaublich groß, was ihr schon fast eine Gänsehaut beschert. Für einen kurzen Moment schließt sie die Augen und lässt sein Aussehen auf sich wirken. Unweigerlich erinnert er sie dabei an ein Wesen aus einer anderen Welt, dessen Existenz sie entdeckt und dem sie so gern leibhaftig begegnen würde. Als sie die Augen wieder öffnet und sieht, wie hilflos und doch kämpferisch sich dieser junge Bursche gibt, wird ihr klar, dass er der Richtige ist – dass er allein ihr helfen kann ihren Traum zu erfüllen!
 

Eilig steht sie auf und nähert sich der kleinen Truppe. Der junge Mann und der Geschäftsführer stehen sich inzwischen drohend gegenüber. Der Bengel wirkt wieder sicherer, sogar sehr entschlossen, da sich sonst niemand gegen ihn zu stellen scheint und sich die beiden Kellner kleinlaut zurückziehen, um die Gäste zu beruhigen, die langsam Wind von der Sache bekommen. „Yo, Alter, wenn du’s so ham‘ willst, bitte. Doch ich bin dein schlimmster Alptraum, verlass‘ dich drauf!“, gebärt sich der Langhaarige und Samantha kann schon jetzt Unsicherheit im Gesicht des Geschäftsführers sehen. Von daher wird es Zeit einzuschreiten, ehe ihr schöner Plan zu Grunde geht und das ganze Restaurant in hellen Aufruhr versetzt wird. Flink bahnt sie sich einen Weg zwischen den Tischen hindurch und wirft sich dem jungen Mann dann ungeniert an den Hals. „Da bist du ja endlich, Herzchen! Ich dachte schon, du schaffst es nicht mehr!“, flötet sie und schmiegt sich an ihn, obwohl sie ein weißes Kleid trägt, das augenblicklich von seinen nassen Sachen durchtränkt und auch der ein oder andere Schmutzfleck übertragen wird.
 

Hey, hübsches Mädchen mit den High Heels,

Du machst mich an, wie niemand zuvor
 

Völlig perplex verharren alle Anwesenden in ihrer Position. Der junge Streuner versteht die Welt nicht mehr. „Was zum...“, gibt er überfordert von sich. Ihre langen Finger streichen ihm einen Schlammspritzer von der rechten Wange, so hauchfein und sanft, dass es gar nicht in seinen Kopf hinein will. „Du liebe Güte, sieh dich nur an! Ich hatte befürchtet, dass der Auftrag schwierig wird, aber so schwierig? Es tut mir wahnsinnig leid, dass du das alles nur meinetwegen durchgemacht hast! Doch ich bin unglaublich stolz auf dich!“ Samanthas Stimme schwappt fast über vor gespielter Sorge, doch es verfehlt seine Wirkung nicht. Entschuldigend haucht sie ihm einen warmen Kuss auf die kühle Wange und blickt ihn dann durchdringend an. Der junge Bursche wird ganz rot um die Nase und versucht zu begreifen, was hier eigentlich gespielt wird. Doch in den tiefgrünen Augen der Blondine liegt die innige Bitte, das Ganze einfach wortlos mitzuspielen.
 

Du bist einfach ein Produkt der Anmut,

Ich mag die Art, wie du gehst, wie du redest, wie du dich kleidest
 

Als er sie richtig ansieht, klappt ihm fast der Unterkiefer herunter. Sie ist so atemberaubend schön. Und das ist noch längst nicht alles. Trotz seiner nassen, schmutzigen Sachen, drückt sie sich so fest gegen ihn, dass er das Gefühl hat, jeden Moment spüren zu können, welche Farbe ihr Höschen hat. Hinzu kommt die zarte Rundung ihrer kleinen, aber äußerst wohlgeformten Brüste. Sie hält sich da auch kein bisschen zurück, wie ihm scheint und das erregt ihn ungemein. Ein leicht überraschter Funken huscht durch ihre Augen, als sie die wachsende Beule in seiner Hose bemerkt. Keck schmunzelt sie ihm daraufhin zu. „Alles in Ordnung, Liebster? Dir fehlt doch nichts, oder?“, fragt sie gespielt besorgt und drückt sich noch fester gegen ihn. Hart schluckt der junge Streuner und grinst dann verwegen. „Solang‘ du bei mir bist, Baby, kann mir gar nichts fehlen!“, erwidert er frech und zieht sie zu einem Kuss zu sich heran. Verlangend vereinigt er seine Lippen mit den ihrigen und verliert sich augenblicklich in dem intensiven Gefühl. Wieder huscht eine leichte Überraschung durch ihre Augen, die er mit seinem nachdrücklichen Temperament erwidert. Er hatte erwartet, dass sie nicht so weit mit ihrem seltsamen Spielchen gehen und ihn wegstoßen würde, doch stattdessen geht sie ungerührt darauf ein und erwidert den Kuss sogar nahezu ausgehungert.
 

Ich fühle dich auf Meilen weiter Entfernung,
 

Völlig sprachlos stehen die beiden Kellner und der Geschäftsführer daneben, bis sich Letzterer verhalten räuspert. „Miss Lusamine? Kennen Sie diesen – Gentleman – etwa?“, fragt er vorsichtig. Die Angesprochene löst den Kuss mit dem Fremden und sieht den überforderten Geschäftsführer durchdringend an. „Aber selbstverständlich! Oder wollen Sie etwa behaupten, ich würde mich irgendwelchen dahergelaufenen Männern an den Hals werfen, die ich nicht einmal kenne?“, sie klingt ehrlich entsetzt, sodass ihr Gegenüber leicht zusammenzuckt. „So etwas würde ich natürlich niemals behaupten und ich bitte vielmals um Entschuldigung. Es kam nur alles so unerwartet...“, versucht er sich zu verteidigen. „Schon gut, vergessen wir das Ganze. Bringen Sie meinem Liebsten stattdessen ein Handtuch! Nicht, dass er sich Ihretwegen noch erkaltet! Und dann wollen wir endlich essen, wenn es recht ist.“, winkt die Blondine ab, nimmt den jungen Streuner bei der Hand und führt ihn zu ihrem Tisch hinüber. Stillschweigend lässt dieser es geschehen, während sich das Personal zerstreut, um ihren Wünschen nachzukommen.
 


 

3
 

Noch ziemlich perplex lässt sich der junge Mann auf den Stuhl fallen und rubbelt sich mit dem dargereichten Handtuch so gut es geht trocken. Geduldig steht der eine Kellner neben ihm und wartet darauf, ihm die Karte gegen zu können. Stattdessen nimmt sie ihm aber Samantha ab. Sie wirft einen Blick auf die wenigen Seiten und dann auf dem jungen Burschen ihr gegenüber. Ein sanftes Lächeln huscht über ihr Gesicht, während er sie nur verwundert ansieht. „Trödeln Sie nicht so herum und bringen Sie dem jungen Mann endlich sein Essen!“, befiehlt sie dem Kellner schließlich. Dieser legt nur fragend die Stirn in Falten. „Was soll ich ihm denn genau bringen, Miss Lusamine?“, hakt er vorsichtig nach. „Na, einfach alles!“, erwidert sie, als wäre es völlig offensichtlich und er nur zu dumm es zu verstehen. „A-alles?“, fragt der Kellner entgeistert nach. „Ja, was ist daran so schwer zu verstehen?“
 

Ich lass dich in meinen Wagen,

Dann werden wir diese Stadt unsicher machen
 

„Nun, nichts, denke ich. Aber bei alles handelt es sich immerhin um sechs Vorspeisen, elf Hauptgerichte und vier Desserts.“, zählt der Kellner auf. „Das weiß ich selbst. Aber sehen Sie sich den armen Burschen doch mal an! So groß und kräftig und dennoch hat er seit Tagen nichts gegessen. Da ist das doch eine Kleinigkeit für ihn. Also trödeln Sie nicht so! Marsch, marsch!“, forsch schickt sie den Kellner hinfort. Der junge Streuner lässt das klatschnasse Handtuch ungeachtet zu Boden fallen, fährt sich durch die strähnigen Haare, um wenigstens etwas Ordnung hineinzubringen, sieht sie dabei schief an und beugt sich dann über den Tisch, um besser mit ihr sprechen zu können. „Sag ma‘, Püppchen? Was ziehsten hier für ‘ne Show ab? Dir is‘ schon klar, dass ich kein Geld hab‘, oder? Also klemm‘ die Schenkel ma‘ schön wieder zusamm‘ oder mach’s mir umsonst!“ Entgeistert blickt sie ihn an und holt dabei scharf Luft. „Erstens: nennst du mich nicht noch einmal Püppchen, sonst wirst du es bereuen, mein Junge. Und zweitens: bin ich sicher keine billige Straßendirne, damit das klar ist! Ich bin die Präsidentin der Æther-Foundation!“, pikiert sie sich.
 

Küss mich einfach,

Und sag mir, dass du die Richtige für mich bist
 

Der junge Mann macht große Augen, lehnt sich etwas peinlich berührt wieder auf seinem Stuhl zurück, während sich ein roter Schimmer über seine Wangen schiebt. „Oh, sorry. – Aber ma‘ ehrlich, was sollte die krasse Nummer eben, Püppchen?“ Er hat das Wort kaum ausgesprochen, da trifft ihn die harte Spitze ihres Schuhs genau am Schienbein, nur knapp unterhalb der Kniescheibe. Schmerzlich zuckt er zusammen und kann es gerade noch so vermeiden, ihr sein Leid in unziemlichen Worten lautstark an den Kopf zu werfen. „Ich hatte dich gewarnt, also stell dich nicht so an! Und außerdem wollte ich lediglich deine Aufmerksamkeit und gleichzeitig verhindern, dass dich diese Trottel wieder vor die Tür setzen. – Zudem habe ich genau gemerkt, wie sehr es dir doch gefallen hat, also bitte. Und das Essen geht selbstverständlich auf meine Kosten Kümmere dich also nicht darum, sondern iss ordentlich.“, erwidert sie keck und lächelt zweideutig. „Scheiße Mann, du bist echt krass, weißste das?“ „Durchaus, doch das ist erst der Anfang. Ich habe große Pläne, mein Junge.“ Weiter kommt Samantha erst einmal nicht, da der Kellner damit beginnt, das ganze Essen irgendwie vor dem Streuner zu platzieren.
 

Die Art, wie du mich fühlen lässt

Du machst mich richtig an
 

Kaum, dass er wieder weg ist, betrachtet der Hochgewachsene nahezu fassungslos die vielen Varianten an Suppe, Salat, Fisch, Fleisch, Gemüse, Reis Nudeln, Obst, Kuchen und Eis. In seinem ganzen Leben hat er noch nicht so viel Essen auf einem Haufen gesehen und schon gar nicht nur für sich allein. Schon vor seiner Inselwanderschaft war er es eher gewohnt mit ziemlich wenig auskommen zu müssen oder sich selbst darum zu kümmern. Seit er vor einem Jahr von Kukui rausgeworfen wurde, ging es aber stetig weiter bergab. Zusammen mit seinen beiden Pokémon hat er sich mehr schlecht als recht durch die Wildnis Alolas getrieben und sich so gut es ging von Menschen ferngehalten. Nicht ohne den Hintergedanken, so zu verhindern seinem Ex-Freund oder dessen selbstgefälliger Frau über den Weg zu laufen. Er wollte den Mythos seines Verschwindens oder sogar seines möglichen Todes auskosten, um dem Brünetten Schuldgefühle einzutrichtern. Umso härter wird es so für den jungen Professor, wenn sie sich eines Tages doch wieder über den Weg laufen werden und der Käfer-Trainer ihm gehörig für all das, was er erlitten hat in den Arsch tritt.
 

Du haust mich glatt um

Meine einsamen Tage sind vorbei
 

Im Moment weiß er aber gar nicht, wo ihm der Kopf steht. „Mein Name ist übrigens Samantha und wie heißt du?“, hakt die Blondine nach, während er noch überlegt, womit er nur anfangen soll und sein Magen dabei immer lauter zu knurren beginnt. „Bromley...“, gibt er daher nur knapp von sich und greift dann mit den Händen einfach auf die Teller. Unter ihrem doch ziemlich erschütterten Blick schiebt er sich das Essen so regelrecht in den Mund. Wobei es wahrlich erstaunlich ist, dass er dabei noch Luft zum Atmen findet. Einen Augenblick betrachtet sie dieses skurrile Schauspiel noch, dass sie an ein übergroßes Kleinkind erinnert; dann ergreift sie die Gabel, die eigentlich für ihn bestimmt war und rammt sie mit voller Wucht in die Tischplatte,- so knapp neben seinen Fingern, dass er vor Schreck fast vom Stuhl fällt. „Fuck Mann, was soll’n der Scheiß?“, bringt er atemlos hervor. „Nichts Schlimmes. Ich fände es nur herzallerliebst, wenn du auch das Besteck zum Essen benutzen würdest, anstatt dich wie ein wildes Tier darauf zu stürzen. Weiter nichts.“
 

Ich mag das Gefühl, das du mir gibst,

Halt mich und ich bin high
 

Sie lächelt und Bromley hat noch nie im Leben ein solches Lächeln gesehen. Es ist herausfordernd, durchdringend und zynisch zugleich und er zuckt angesichts dieser ungeahnten Stärke erneut unwillkürlich zusammen. Mit einem nervösen Ausdruck im Gesicht wischt er sich die schmutzigen Finger an einer Serviette ab, ergreift dann vorsichtig die Gabel und zieht sie aus der Tischplatte. Die vier glänzenden Zinken hinterlassen kleine, runde Löcher in der schneeweißen, sonst vollkommen makellosen Tischdecke. Ihr Anblick hat etwas erschreckend Endgültiges und ihm wird klar, dass diese Frau nicht so dumm und naiv ist, wie es Blondinen gern nachgesagt wird. Nein, sie ist kraftvoll, gebieterisch und weiß ganz genau, was sie will.
 

Ich werde von neun bis fünf arbeiten,

Um dir Sachen zu kaufen,
 

Unbewusst steigt in Bromley der tiefe Wunsch auf, sie zu besitzen. Es ist wahrscheinlich das völlig falsche Wort dafür, aber er möchte ihr nahe sein; sie spüren, ihre Stimme in der Dunkelheit an seinem Ohr wispern hören, sich vielleicht sogar von ihr befehligen lassen… Sie ist einfach atemberaubend und irgendwie auch furchteinflößend, doch gerade das macht sie so anziehend für ihn. Noch nie hat er sich in Gegenwart einer älteren Frau so gefühlt und normalerweise hat er auch kein Interesse an solchen Damen, aber Samantha vereint dennoch alles, was man sich nur wünschen kann. Leicht nervös drückt er die Gabel in sein Essen und sieht prüfend zu ihr auf. Sie lächelt wieder, diesmal ein so reizvolles Lächeln, dass er sich sofort wieder in sie verleibt, wenn man dieses Gefühl tief in ihm, als ein solches bezeichnen kann. Sie hat Macht über ihn, unglaubliche Macht, doch das ist ihm jetzt noch nicht ganz bewusst. Im Moment ist es eher die Macht, die eine Mutter über ihr Kind hat. So stellt er es sich zumindest vor. Seine Mutter lebte ja in ihrer eigenen Welt, von daher kann er es nicht genau sagen. Dennoch hätte er es sich wohl so von ihr gewünscht. Das Samanthas Macht aber noch weit, weit tiefer reicht, wird er schon bald erfahren und es wird einen weiteren Tiefpunkt in seinem verkorksten Leben darstellen…
 

Um dich bei mir zu halten

Ich war noch nie so verliebt wie jetzt
 

„Na, siehst du. Ist doch gleich viel besser, nicht wahr?“, schmunzelt sie sanft. Vorsichtig nickt Bromley und versucht sich die wenigen Tischmanieren ins Gedächtnis zu rufen, die er in seinem Leben gelernt hat. Das ist nicht sonderlich einfach. Manuel hat sich zwar auch oft über viele Dinge pikiert, aber im Grunde genommen war er doch auch nur ein Junge und legte nicht so viel Wert darauf, solange sie zu zwei waren. Doch allein mit einer Frau hat der Käfer-Trainer noch nie gegessen und schon gar nicht in so einem feinen Schuppen. Anstatt sich ihrem eigenen Teller zu widmen, der inzwischen völlig kalt geworden ist, beobachtet sie nur weiterhin ihr Gegenüber, bis es diesem schließlich zu viel wird. „Sag ma‘, hab‘ ich was im Gesicht, oder warum starrst du mich die ganze Zeit so an?“ „Oh, das tut mir leid. Ich musste nur gerade an meine Kinder denken.“, meint sie lächelnd und zeigt ihm ein Bild, das vor ein paar Monaten aufgenommen wurde.
 

Versprich mir nur, dass du mich für immer lieben wirst
 

Bromley verschluckt sich fast an seinem Essen. Er hatte zwar vermutet, dass Samantha etwas älter als er selbst ist, doch das überrascht ihn nun wirklich. „Heilige Scheiße, du hast Kinder? Und dann auch noch so’ne Halbstarken? Sag ma‘, wie alt bist ‘n du eigentlich?“ Kichernd hält sich die Blondine eine Hand vor den Mund. „Du liebe Güte, Junge! Man fragt eine Frau nicht nach ihrem Alter! Aber ich nehme das gern als Kompliment an! Und wenn ich dich so anschaue, könnte ich vielleicht sogar deine Mutter sein.“, witzelt sie ein bisschen, obwohl es rein rechnerisch durchaus möglich ist. Ein weiteres Mal verschluckt sich der Käfer-Trainer und beginnt erstickt zu husten. „Heilige Scheiße, nich‘ dein Ernst!?“, doch ihr Blick verrät ihm das Gegenteil. „Du bist wirklich süß, weißt du das?“, kichert sie wieder, doch dann trübt sich ihre Ausgelassenheit schlagartig und sie senkt betroffen den Kopf, als wäre sie noch ein junges Mädchen, das von ihrem Lehrer getadelt wird.
 

Ich schwöre, ich stelle dich zufrieden,

Weil du die Richtige bist
 

Langsam fängt Bromley wieder an zu essen und mustert sie dabei verwundert. „Hey Püpp – ich mein‘ Samantha. Was’n los?“, hakt er nach. Sie gibt ein tiefes Seufzen von sich und betrachtet einen Moment schweigend das Bild ihrer Kinder. Als es aufgenommen wurde, war noch alles in Ordnung – abgesehen von der Tatsache, dass ihr Mann Mohn da schon verschwunden war. Dennoch haben sie auch zu dritt versucht eine glückliche Familie zu sein. Samantha versteht einfach nicht, was dieses Glück zerbrochen ist, wann ihr die beiden zu entgleiten begannen. „Weißt du, wir waren mal sehr glücklich. Eine ganz normale, glückliche Familie. Mein Mann und ich haben gemeinsam in der Æther-Foundation in der Forschung gearbeitet. Irgendwann geschah ein Unglück bei einem Experiment und mein Mann verschwand dabei spurlos. Seitdem habe ich ihn nicht mehr gesehen, obwohl ich alles versucht habe, um ihn wiederzufinden. Ich weiß nicht einmal, ob er noch lebt...“, setzt sie an und starrt dabei unentwegt auf das Foto von Gladio und Lilly.
 

Die Art, wie du mich fühlen lässt

Du machst mich richtig an
 

„Yo, dass tut mir echt leid...“, wirft Bromley ein, doch sie scheint es gar nicht zu hören. „Danach habe ich versucht allein weiterzumachen. Meine Kinder großzuziehen und einen Weg zu finden, in diese andere Welt zu gelangen, die mir meinen Mann genommen hat. Bisher leider vergebens. Ich dachte, dass Gladio und Lilly das verstehen würden, ihnen fehlt ihr Vater doch ganz sicher auch. Doch die beiden hatten nichts Besseres zu tun, als von Tag zu Tag immer aufmüpfiger zu werden und sich meiner Liebe und meiner Forschung in den Weg zu stellen. Sie behaupten, ich wäre richtiggehend besessen davon. Meinen, es würde mir nicht um meinem Mann gehen, sondern nur darum, diese andere Welt betreten zu können und, dass ich damit das Gleichgewicht zu zerstören würde. Schlussendlich sind sie sogar so weit gegangen und haben mir zwei sehr wichtige und überaus seltene Pokémon gestohlen, die für meine Forschung unverzichtbar sind. Ist das denn zu fassen?“, entsetzt blickt sie ihn an und er kann die brennende Leidenschaft für die Forschung förmlich in ihren Augen sehen. Er schweigt, erwidert nur ihre Betroffenheit. Mehr kann er im Moment wohl eh nicht tun, da er sich nicht ganz sicher ist, was sie mit alledem meint und ob es wirklich eine andere Welt gibt. Dunkel erinnert er sich daran, dass auch Burnett öfter von so etwas geredet hat und dahin ihre Forschung ausrichten wollte.
 

Du haust mich glatt um

Meine einsamen Tage sind vorbei
 

„Das Pokémon, das Gladio mitgenommen hat, wurde eigens in einem meiner Labore gezüchtet, um diese fremde Welt betreten zu können und dort mit möglichen Lebewesen fertig zu werden. Wenn sich nun wieder ein Riss auftut, wie damals bei meinem Mann, und diese Wesen in unsere Welt kommen, dann können wir dem nichts entgegenbringen! Von daher ist es von äußerster Wichtigkeit, dass ich diese beiden Pokémon wiederbekomme!“, eindringlich sieht sie ihn an. In ihrem Blick liegt die pure Ehrlichkeit und Sorge, doch in ihr sieht es ganz anders aus. Natürlich vermisst sie ihren Mann, doch sein Verschwinden hat sie verändert. Was aus dieser Welt wird, kümmert sie nicht mehr und auch nicht, was aus ihren Kindern wird. Sie sind ihr inzwischen völlig egal. Sie will nur diese fremden Wesen sehen und begreifen, wie sie leben. Ihnen nahe sein, ein Teil von ihnen werden. Doch dafür braucht sie Hilfe und dieser Streuner kommt ihr da gerade recht. Er hat ihren Köder schon geschluckt, da war er noch nicht einmal ganz ausgeworfen. Ihr jugendliches Aussehen macht ihn völlig verrückt und da scheint noch mehr zu sein. Er wirkt irgendwie leicht beeinflussbar, sogar verwirrt und mindestens ebenso sitzengelassen, wie sie sich fühlt. Das verbindet sie.
 

Ich war noch nie so verliebt wie jetzt,

Versprich mir nur, dass du mich für immer lieben wirst
 

„Yo Mann, das klingt ja alles echt mies. – Ich wünscht‘ ich hätt‘ so’ne nette Familie gehabt, wie du sie hattest. So viel Liebe. – Ich dacht‘, dass ich sie gefunden hätt‘, die wahre Liebe. Doch das war’n schwerer Fehler. Und jetz‘ hat er ‘ne andere geheiratet und ich sitz‘ auf der Straße...“, betrübt lässt Bromley die Schultern hängen und stochert in den wenigen Resten seiner riesigen Mahlzeit herum. Etwas verwundert lässt Samantha seine Worte auf sich wirken. Scheinbar hatte der junge Streuner keine besonders glückliche Kindheit und wenn sie sich nicht verhört hat, war er zudem auch noch mit einem anderen Mann leiert gewesen, was ihn aber wohl nicht davon abhält, etwas für Frauen zu empfinden. Das wird ja immer interessanter! Das kann sie mit Sicherheit ausnutzen, um ihn dazu zu bringen, ihr zu helfen. Langsam gleitet ihre Hand über den Tisch und legt sich herrlich warm auf die seinige. Liebevoll lächelt sie ihm zu, als er den Blick hebt. „Dieser Dummkopf weiß doch gar nicht, was für ein wundervoller und wertvoller Mensch du bist, mein Hübscher. Also hat er definitiv einen schweren Fehler begangen, sich von dir zu trennen und nicht du. Somit sein Pech. Doch dir wird es bessergehen, glaube mir. Ich werde dafür sorgen, dass es dir an nichts mehr fehlen wird und du ihn ganz schnell vergisst!“, raunt ihm die Blondine zu.
 

Ich schwöre, ich stelle dich zufrieden,

Weil du die Richtige bist
 

Überrascht sieht er sie an, hatte er doch gedacht, dass sie es vielleicht unschön finden könnte, zu hören, dass er mal mit einem Kerl zusammen war. Aber das Ganze ist ihm einfach so rausgerutscht ohne, dass er es verhindern konnte. Doch scheinbar kümmert sie das nicht. „Yo, dass klingt echt prima. Versteh‘ das jetz‘ aber nich‘ wieder falsch, denn ich hab‘ so das Gefühl, dass du doch was von mir willst...“ Bromley sieht sie durchdringend an. In ihm brodelt es förmlich und wenn sie hier nicht in einem Restaurant wären, würde er sie liebend gern auf den Tisch werfen und ihr zeigen, wo es langgeht. Allerdings fürchtet er, allein für den Gedanken schon einen schmerzhaften Tritt kassieren zu werden, weshalb er lieber nachfragt. Ungerührt seiner Worte, hält sie weiterhin seine Hand und lächelt ihn sanft an. „Oh, ich habe nie ausgeschlossen, dass zwischen uns etwas passieren wird, mein Hübscher. Ich habe lediglich gesagt, dass ich mich für solche Dinge nicht bezahlen lasse, Herzchen. Doch darüber können wir später noch reden. Erst einmal will ich dir wieder auf die Beine helfen und wäre hocherfreut, wenn du mir im Gegenzug dabei helfen könntest meine Forschung voranzutreiben. Du scheinst mir genau der Richtige dafür zu sein. Groß, stark, unerschrocken, beeindruckend. Wir haben viel gemeinsam und das macht uns zu sehr guten Partnern, findest du nicht?“
 

Die Art, wie du mich fühlen lässt

Du machst mich richtig an
 

Als Bromley hört, dass er ihr bei seiner Forschung helfen soll, muss er unweigerlich wieder ein Kukui denken. Ein wehmütiger Schmerz gleitet über sein Herz hinweg. Dann wird ihm klar, dass sie gerade zugegeben hat, an ihm interessiert zu sein, ja sogar vielleicht mit ihm ins Bett zu steigen und schlagartig ist Manuel völlig vergessen. Unschlüssig sieht er sich an, während der Kellner die Rechnung auf den Tisch legt und wieder geht. „Und? Was sagst du dazu, mein Hübscher? Kommen wir ins Geschäft?“, fragt sie zuckersüß. Er sucht noch nach den passenden Worten, da spürt er wieder ihren Fuß an seinem Bein. Diesmal ist es jedoch nicht die harte Spitze ihres Schuhs, die ihm nachdrücklich ihren Standpunkt verdeutlichen will, sondern nur das sanfte Rauschen ihres Seidenstrumpfs, der zärtlich seinen Unterschenkel auf und abstreicht. Als er dann geschickt Bromley’s Knie erklimmt und sich auch noch verstohlen auf die Innenseite seines Oberschenkels stiehlt, schluckt der junge Mann schwer.
 

Du haust mich glatt um

Meine einsamen Tage sind vorbei
 

Ihr Gesicht ist dabei so ungerührt, als würde sie sich immer noch nett mit ihm unterhalten und rein gar nichts deutet daraufhin, was sie gerade unter dem Tisch anstellt. Krampfhaft sucht der Käfer-Trainer nach seiner Beherrschung, doch es fällt ihm wirklich schwer, sie zu finden. Angestrengt beißt er sich auf die Unterlippe, bis es schmerzt. Was macht sie nur mit ihm? Noch nie ist er einer so aufregenden Frau begegnet, die ihm nicht schlagartig auf die Nerven ging und allerhöchstens für einen Quickie oder One Night Stand genügt hätte. Nein, Samantha ist weit mehr. Jemand, den er um jeden Preis beschützen will, lieben und für den er alles tun würde, nur um sie lächeln zu sehen. Sie macht ihn völlig blind und willenlos und dennoch könnte er sich nichts Schöneres vorstellen, selbst wenn er nicht einmal in die Nähe ihrer Unterwäsche kommen dürfte. Seit der Trennung von Manuel hat er mit unzähligen Frauen geschlafen, aber auch mit allerhand Männern, doch es war nie etwas auch nur halbwegs Bedeutungsvolles dabei. Nie hat er den Wunsch verspürt, diese Personen im Nachhinein wiedersehen zu wollen. All das passiert nur zwischen Tür und Angel, im Schutz der Dunkelheit und war spätestens mit dem ersten Sonnenstrahl vorbei.
 

Doch Samantha ist anders. Er würde zwar unglaublich gern mit ihr schlafen, doch es würde ihn auch nicht stören, dürfte er sie nur ansehen. Er hat nicht das Verlangen sie fallen zu lassen, wie all die anderen. Ganz im Gegenteil. Sie ist die Eine, die ihn aus dem Sumpf seiner Einsamkeit wieder herausholen kann. Die Eine, die er lieben kann, bis zum bitteren Ende. „Yeah, das hört sich toll an. Wär‘ echt klasse dir helfen zu könn‘.“ Er hat seinen Satz kaum beendet, da freut sie sich auch schon wie ein kleines Schulmädchen. „Wunderbar! Ich danke dir so sehr dafür! – Bist du denn auch satt geworden?“, fragt sie dann und besieht sich die wenigen Reste auf den vielen Tellern. „Mehr als das, kannste mir glauben. Ich platz‘ gleich...“ „Das freut mich. Ich hoffe nur, dass dir bei der Überfahrt dann nicht schlecht wird...“, entgegnet sie ihm etwas sorgenvoll und legt dann ungeachtet seiner Blicke das Geld in die Rechnung.
 

„Was’n für ‘ne Überfahrt?“, kommt es verdutzt von Bromley. „Mein Wohnsitz und die Æther-Foundation befinden sich auf einer künstlichen Insel draußen im Meer vor Mele-Mele und Akala, dem Æther Paradies. Um dorthin zu gelangen, müssen wir ein Schiff nehmen.“, erläutert ihm die Blondine. „Ach so. Nee, das is‘ kein Problem. Bin schon oft mit ‘nem Boot gefahren.“ „Dann ist es ja gut und bis zum Pier von Malihe City ist es auch noch ein ganzes Stück. Die frische Luft hilft dir sicher beim Verdauen und dann wird es bestimmt gehen.“ Sie lächeln ihn wieder an, dann erhebt sie sich und markiert damit den Moment des Aufbruchs.
 


 

4
 

Unter den immer noch argwöhnischen Augen der Kellner und des Geschäftsführers verlassen die beiden schließlich das Restaurant. Durch den Regen ist die Luft regelrecht rein gewaschen und tatsächlich noch etwas frisch. Doch das wird sich schnell wieder ändern und die Sonne die Oberhand gewinnen. Aber noch ist es angenehm und in der Ferne kann Bromley sogar die hauchzarten Reste eines Regenbogens erkennen. Gemeinsam betrachten sie ihn, bis er vollständig verschwunden ist und wenden sich dann in Richtung des Piers. Nicht gerade ein kurzer Fußmarsch, aber doch ziemlich angenehm, wie der Käfer-Trainer zugeben muss. Angenehm durch seine nette Begleitung und die Hoffnung, dass es jetzt endlich mal bergauf für ihn geht.
 

Den Großteil des Weges redet Samantha fröhlich vor sich hin. Über ihre Forschung, das Æther Paradies, ihr Kinder und ihren Mann, einfach über Gott und die Welt. Ganz typisch Frau eben. Bromley schafft es nicht, ihr die ganze Zeit aufmerksam zuzuhören, dafür ist sein Magen zu voll und er einfach zu erschöpft, obwohl er sonst ein recht guter Zuhörer ist. Dennoch gelingt es ihm ganz ausgezeichnet an den richtigen Stellen die richtigen Antworten zu geben, damit es ihr nicht auffällt. So vergeht die Zeit ziemlich gut und der junge Mann ist schon fast erstaunt, wie schnell sie dann doch die Pier erreichen.
 

Zwischen ein paar kleinen Booten tut sich dort eine riesige Yacht auf, die sich strahlend weiß aus dem Blau des Meeres erhebt und dadurch irgendwie völlig fehl am Platz wirkt. „Geiler Scheiß...“, ist alles, was der Käfer-Trainer dazu sagen kann. Kichernd führt Samantha ihn auf die Yacht und kurz darauf schippern sie auch schon los. Es dauert eine ganze Weile, doch dann tauchen am Horizont die Umrisse der künstlichen Insel auf, die sich ebenso weiß wie die Yacht aus dem blauen Meer erhebt. Ehrfürchtig betrachtet Bromley das von Menschenhand geschaffene Eiland, das eigentlich dem Schutz und Erhalt von Pokémon dienen soll. Hier werden bedrohte oder geschwächte Populationen oder Einzel-Pokémon betreut und wieder aufgepäppelt, um sie dann wieder in die Wildnis zu entlassen.
 

Doch das ist nur der äußere Schein, wie ihm Samantha schnell klar macht, auch ohne ihm konkret zu sagen, was sie so alles macht. Aber nur eine Hand voll ihrer eigenen Mitarbeiter wissen überhaupt von den wahren Absichten ihrer Präsidentin und helfen ihr bei der Durchführung des Ganzen. Der Rest der Leute beschäftigt sich hingebungsvoll und ehrgeizig damit, die unzähligen Pokémon aufzupäppeln und erforscht die bestmögliche Pflege für jede Art. Das Wort Paradies steht dabei ganz hoch oben, doch jedes Paradies hat auch einen Haken und wenn man ihn erst einmal gefunden hat, bricht alles zusammen, was man sich mühevoll aufgebaut hat...

Business relationship…?


 

1
 

Als sie gemeinsam dieses riesige, hell erleuchtete, fast völlig weiße Gebäude auf der künstlichen Insel betreten, fühlt sich Bromley schlagartig fehl am Platz, was zum großen Teil daher rührt, dass er noch immer zerfetzte Sachen trägt, von oben bis unten mit Dreck beschmiert ist und vermutlich riecht wie etwas, das gerade in der Sonne verfault, was auch der Regenguss nicht wirklich besser machen konnte. Das alles scheint Samantha jedoch nicht zu stören. Leichtfüßig schreitet sie vom Anlegesteg in Richtung einer dreieckigen Plattform im Boden, die wohl so etwas wie ein Fahrstuhl sein soll. Um sie herum wuseln allerhand geschäftige Leute in ebenso weißen Klamotten, die den jungen Trainer an einen Haufen Ärzte oder Wissenschaftler erinnern. Schmerzlich wird ihm bewusst, dass Manuel ganz ähnlich aussah, wenn er seinen Kittel trug und ihn das immer halb um den Verstand gebracht hat vor Erregung; er jetzt aber nichts weiter als Wut und Schmerz empfindet, wenn er an den Brünetten zurückdenkt. Schwerlich schluckt er den dicken Klos herunter, der sich in seinem Hals gebildet hat und setzt sich langsam wieder in Bewegung, um ihr zu folgen.
 

Systematisch versucht er dabei die teils irritierten, teils angewiderten Blicke dieser weiß gekleideten Leute zu ignorieren. Dennoch kommt er sich schrecklich auf dem Präsentierteller vor. Mit einem warnenden Brummen senkt er den Blick zu Boden; verbirgt sein Gesicht so gut es geht hinter seinen strähnigen, langen Haaren und zieht die Schultern hoch, um sich versucht lässig vor ihren Blicken abzuschirmen. Es klappt sogar ganz gut, auch, wenn er ihr Tuscheln dennoch hören kann, indem eindeutig ihr Missfallen über seine Anwesenheit hier und sein schäbiges Äußeres liegt. Doch damit kann er leben; er gehört nicht dazu und will es auch gar nicht, von daher stört es ihn nicht wirklich.
 

„Du liebe Güte! Wer hat denn diesen dreckigen, stinkenden Lumpen hier reingelassen? Das ist ja wirklich eine unerhörte Beleidigung!“, pikiert sich auf einmal jemand lautstark hinter ihm. Die männliche Stimme hat etwas so dermaßen Hochtrabendes und Herabwürdigendes an sich, dass es Bromley wirklich schwerfällt, sich nicht herumzudrehen. Versucht ruhig geht er einfach weiter, doch der Kerl scheint es geradezu darauf anzulegen.
 

„Bleib sofort stehen, du zu tiefst widerlicher Schmutzfink! Als hochangesehener Regionalleiter der Æther-Foundation befehle ich dir augenblicklich stehen zu bleiben!“ Genervt beginnt Bromley tief in der Kehle zu knurren – gleich einem Wolf, der einem jeden Augenblick mit gebleckten Zähnen ins Gesicht springt. Dennoch bleibt er stehen und dreht sich langsam herum, um festzustellen, was für ein Arschloch ihn da so blöd von der Seite anmacht. Sein Blick fällt auf einen schlanken, hochgewachsenen Blonden mit Kinnbart und einer seltsam grün verglasten Brille auf der Nase, die ihn wie das hässlichste Insekt aller Zeiten aussehen lässt. Seine weißen Sachen runden das Ganze noch mehr ab und lassen ihn wie eine groteske Mischung aus Gottesanbeterin und geisteskrankem Wissenschaftler wirken. Seine ganze Körperhaltung drückt seine tiefe Abneigung aus, sprüht aber gleichzeitig vor ungebrochenem Stolz und Überheblichkeit, sodass Bromley es nicht einmal in Worte fassen kann. Mit ausladenden Schritten kommt der Blonde heranstolziert, als wäre er der große Star einer Show, die ihres Gleichen sucht. Entweder,- so geht es dem jungen Trainer unweigerlich durch den Kopf-, ist dieser Typ der Inbegriff einer Tunte oder ihm sind bei der Geburt die Eier flöten gegangen und er bildet jetzt das fehlenden Bindeglied zwischen Mann und Frau.
 

Doch er hat nicht mehr die Zeit, sich für eins davon zu entscheiden, da steht der Typ auch schon vor ihm. Der blonde Mann setzt ein pikiertes, beinahe schmollendes Gesicht auf und zupft an seinem Bart herum, während er Bromley mit so tiefem Ekel betrachtet, das er schon greifbar scheint. „Ist dir eigentlich klar, was für einen abstoßenden Anblick du abgibst, junger Mann?“, fragt er im Tonfall einer genervten Lehrerin, die einen zurückgebliebenen Schüler zu tadeln versucht. „Nee! Aber vielleicht is‘ dir ja klar, was für ‘ne beschissen gestriegelte Tunte du bist?“, erwidert Bromley herausfordernd und starrt auf den kleineren Mann herab. Dessen Gesichtsausdruck nimmt noch an Pikiertheit und Abneigung zu, falls das überhaupt noch irgendwie möglich ist, und er stemmt wütend die Hände in die Hüften. „Was fällt dir eigentlich ein, Bürschchen? Du weißt wohl nicht, wer hier vor dir steht, sonst würdest du nicht so ein freches Mundwerk haben!“ „Selbst, wenn ich wüsst‘, wer du bist, wär’s mir scheißegal, also…“, Bromley kann seinen Satz nicht beenden, da schallt Samanthas Stimme vom Fahrstuhl herüber. „Fabian, lass ihn in Frieden, ja? Er gehört zu mir! Bromley-Schätzchen, sei so gut und komm her, wir haben noch viel zu tun!“
 

Der Regionalleiter gibt ein helles Kichern von sich. „Na los, sei ein braves Schoßhündchen und lauf schon!“, amüsiert er sich, als der Käfer-Trainer zu ihr gehen will. Ruckartig bleibt der Langhaarige stehen und dreht sich erneut zu ihm um. „Wie wa‘ das, du abgefuckte Saubohne?“, knurrt er warnend. Für einen Augenblick verzeiht Fabian beleidigt das Gesicht, dann grinst er wieder überlegen. „Du hast mich schon verstanden. Also mach brav Männchen, wenn die Präsidentin pfeift!“, erwidert er kichernd hinter vorgehaltener Hand. Das reicht nun aber wirklich! Sich von diesem Lackaffen beleidigen zu lassen, ist ja eine Sache, aber solche Behauptungen in den Raum zu stellen, langt nun endgültig! Ehe einer der umstehenden Mitarbeiter reagieren kann, packt Bromley Fabian grob am Kragen und rammt ihn so heftig gegen einen Stapel großer Holzkisten, die hier überall am Anlegesteg verteilt stehen, dass dieser für mehrere Momente nur noch Sterne sieht.
 

Drohend holt der Langhaarige mit der Faust aus. Für den Bruchteil einer Sekunde steht dem Blonden noch seine Überheblichkeit ins Gesicht geschrieben, dann wird ihm jedoch klar, dass all seine Untergebenen nur rumstehen und zusehen, anstatt ihm,- dem großen Fabian, allseits beliebter Regionalleiter und letzte, unüberwindbare Bastion der Æther-Foundation-, zu helfen. Eine Art lähmende Angst ergreift von ihm Besitz, die er vehement versucht zu unterdrücken, damit seine Leute ihn nicht für einen Feigling halten. Doch lange kann er diese Fassade nicht aufrechterhalten, zumal nicht einmal Samantha es jetzt für nötig hält, ihren allem Anschein nach tollwütigen Streuner zurückzupfeifen. Stattdessen steht sie einfach nur vor dem Fahrstuhl und beobachtet die Szene völlig ausdruckslos. „Lass mich auf der Stelle los, du brutaler Grobian!“, versucht es Fabian ein letztes Mal, wobei seine Stimme schon nicht mehr ganz sicher klingt. „Werd‘ ich, aber erst polier‘ ich dir deine hässliche Fresse!“, gebärt sich der junge Mann und setzt zum Schlag an. Instinktiv zuckt der Blonde zusammen und schließt die Augen. Doch der Schmerz bleibt wundersamer Weise aus. Irritiert, aber vorsichtig, öffnet er wieder die Augen. Keine Sekunde später lässt Bromley ihn auch schon los und starrt die kleine Frau neben sich geistlos an, die ihm beruhigend eine Hand auf die geballte Faust gelegt hat.
 

„Ich denke, die Präsidentin wartet auf dich, mein Junge. Vielleicht solltest du jetzt zu ihr gehen?“, sie lächelt ihn so sanft an, dass Bromley sie nur mit offenem Mund anstarrten kann, ehe er sich wortlos dem Fahrstuhl zuwendet. „Ist alles in Ordnung, Fabian?“ Für einen Moment ist der Angesprochene noch völlig perplex durch die gerade so skurril entschärfte Situation, dann jedoch besinnt er sich wieder und wird ernst. „Ja, alles bestens.“, erwidert er knurrend, während er seine Kleidung penibel glattstreicht und seinen nichtsnutzigen Mitarbeitern einen warnenden Blick zuwirft. Diese senken beschämt den Blick zu Boden und trollen sich schnell wieder an ihre Arbeit. „Aber ich habe dir schon hundert Mal verboten, mich mit dem Vornamen anzusprechen, Pia! Wann unterlässt du diese Respektlosigkeit endlich?“, faucht er sie dann regelrecht an, was ihr aber nicht wirklich etwas auszumachen scheint. Mehr bekommt der Käfer-Trainer davon nicht mit, dann gleitet der Fahrstuhl auch schon lautlos nach oben und wenig später betreten sie ein Zimmer in Samanthas imposanter Villa, die sich auf dem hinteren Teil der künstlichen Insel befindet. Hier wird Bromley die nächsten paar Tage verbringen, ehe sie wieder an ihn herantritt.
 


 

2
 

Es ist schon sehr lange her, dass der großgewachsene Trainer in einem Bett geschlafen hat, von daher verwundert es ihn nicht, dass es schon weit nach Mittag ist, als er am nächsten Tag die Augen öffnet. Schwerfällig und mit einem ausgiebigen Gähnen setzt er sich hin und streckt sich erst einmal. Noch halb schlafend blickt er sich in dem großzügigen Zimmer um, doch Bromley braucht mehrere Minuten, ehe er begreift, wo er sich hier eigentlich befindet und was alles passiert ist. Nach und nach kommt die Erinnerung zurück, was das Zimmer allerdings nicht sonderlich wohnlicher macht. Es ist sehr groß, aber völlig weiß gestrichen und zudem auch noch fast vollkommen weiß eingerichtet. Es wirkt schrecklich steril, fast wie ein Operationssaal im Krankenhaus. Den einzigen Farbtupfer bildet ein bunter Strauß frischer Blumen auf einem Tisch, der von zwei Stühlen gesäumt wird. Mit einem erneuten Gähnen legt Bromley ratlos die Stirn in Falten und blickt sich dann suchend um.
 

Neben der Blumenvase, die unglaublich teuer und antik aussieht, entdeckt er seine beiden Pokébälle. Bei ihrem Anblick entspannt er sich merklich, war er sich doch nicht sicher, ob man sie ihm wohlmöglich aus Sicherheitsgründen abgenommen hat, als er schlief. Dafür sind aber seine zerfetzen Klamotten verschwunden, die er einfach vor dem Bett hatte fallenlassen. Der wenige Inhalt seiner Taschen befindet sich allerdings fein säuberlich aufgereiht neben seinen Pokémon. Unter dem Tisch steht ein neues, weißes Paar Turnschuhe. Über die Rückenlehne des Stuhls wurden ihm neue Klamotten gelegt. Etwas verwundert erhebt er sich, um sie genauer zu betrachten. Da findet sich ein schlichtes, weißes T-Shirt. Eine dunkelgraue Hose mit einem weißen Rautenmuster um das untere Ende der Beine. Zudem eine ebenso dunkelgraue Jacke. Bromley ist sich jedoch nicht sicher, ob er sie vielleicht eher als Weste bezeichnen soll, da ihm die Ärmel nur bis zu den Ellenbogen reichen. Ein weißes Zickzackmuster befindet sich auf den kurzen Ärmeln, das eine gewisse Ähnlichkeit mit dem auf der Hose aufweist. Doch es verläuft nicht einmal rundherum, wie bei der Hose, sondern einfach nur an der Oberseite entlang. Außerdem hat die Jacke auch noch eine Kapuze. Auf dem Rückenteil prangert zudem ein weißschwarzes Muster, das große Ähnlichkeit mit einem Totenschädel hat, gleichzeitig aber wie der Buchstabe S aussieht, wenn man es etwas schräg betrachtet.
 

Der Käfer-Trainer zuckt leicht die Schultern. „Immer noch besser, als die weißen Klamotten von diesen ganzen Idioten hier...“, murmelt er vor sich hin. Er greift nach den beiden weiß-roten Bällen und befreit erst einmal seine zwei Begleiter, die sich erleichtert darüber äußern und sich neugierig in dem Zimmer umblicken. „Geht doch auf den Balkon etwas frische Luft schnappen.“, schlägt er ihnen vor und deutet in die Richtung der zweiflügligen Glastür nahe des Bettes. Freudig machen sich die beide Pokémon auf den Weg. Nach einem kurzen Versuch gelingt es Sweetheart die vergoldete Klinke zu betätigen und schon huscht Buddy an ihr vorbei in die warme Sonne. Schmunzelnd sieht Bromley ihnen hinterher und widmet sich dann wieder dem Tisch. Er findet auch eine frische Unterhose, weshalb er seine alte einfach zu Boden fallen lässt und sich dann kurzerhand zu der Tür begibt, die seinem Bett gegenüberliegt. Dahinter befindet sich ein geräumiges Bad mit ebenerdiger Dusche und genau die braucht er jetzt auch ganz dringend. Zwar hat er gestern Abend schon geduscht, bevor er zu Bett gegangen ist, dennoch kommt er nicht umhin, diesen unerwarteten Luxus auszukosten, solange er ihn hat. Wer weiß schon, wann er wieder unverhofft vor die Tür gesetzt wird und gezwungen ist, unter den Sternen Alolas zu schlafen...
 

Ein wolliges Seufzen verlässt seine Kehle, als das warme Wasser auf seinen geschundenen Körper niedergeht und ihn in eine tröstliche Umarmung schließt. Minuten lang steht er mit geschlossenen Augen einfach nur da und genießt die prasselnden Tropfen. Irgendwann, als er schon fast wieder einzuschlafen droht, reißt er sich doch wieder zusammen und beginnt damit sich einzuseifen. Auf einem schmalen Regal in der Dusche findet er fast zwei Dutzend Flaschen mit verschiedenen Duschgels und Shampoos, sodass es wirklich schwer ist, sich für irgendetwas zu entscheiden. Instinktiv greift er jedoch nach der Flasche, die er gestern schon benutzt hat, da es die einzige ist, die nicht nach zum Kotzen süßen Früchten oder dergleichen riecht, sondern herb und irgendwie männlich. Bromley ist sich bei dieser ganzen Auswahl nicht sicher, ob das hier ein reguläres Gästezimmer ist oder es normalerweise eher von einer Frau bewohnt wird, die aber gerade nicht hier ist. Doch eigentlich ist ihm das auch völlig egal. Gründlich seift er jeden Zentimeter seines Körpers ein und shampooniert sich danach die Haare.
 

Anschließend verlässt er die Dusche und betrachtet sich einen Augenblick in dem Spiegel über dem Waschbecken. Seine langen Haare, die zur Hälfte schwarz und zur Hälfte weiß sind, wirken eher wie eine Perücke. Etwas angewidert rümpft er die Nase. Sie müssen dringend wieder gebleicht werden und geschnitten wahrscheinlich auch, doch da ist er sich noch nicht so sicher. Obwohl er mehr als zwölf Stunden geschlafen hat, liegen noch immer tiefe, purpurne Ringe unter seinen Augen. Nachdenklich betastet er sie vorsichtig mit den Fingern. Als Kind hatte er das auch immer. Im Laufe seiner Inselwanderschaft sind sie dann irgendwann verschwunden. Diese Tatsache fand er ziemlich erstaunlich, da er dank Kukui eigentlich nie ausschlafen konnte. Irgendwann kam er zu dem Schluss, dass sie also gar nichts mit Schlaflosigkeit zu tun haben. Er hat damals zwar auch viel geweint, ehe er auf Wanderschaft gegangen ist, doch die dunklen Ringe waren zu dauerhaft, um daher zu stammen. Letztendlich entschied er, dass sie wohlmöglich ein Ausdruck seines fragwürdigen Geisteszustandes und seiner Verzweiflung waren und verschwanden, weil er endlich einen Freund gefunden hatte, der das alles erträglicher für ihn gemacht hat.
 

Wie aufs Stichwort, tauchten sie auch prompt wieder auf, nachdem Manuel ihn vor die Tür gesetzt hatte und seitdem ist er sie nicht mehr losgeworden. Vielleicht gelingt es ja Samantha, so wie es damals dem Brünetten gelungen ist? Die Zeit wird es zeigen. Was allerdings niemals verschwinden wird, sind die vielen Narben, die fast seinen gesamten Körper bedecken. Auf seiner blassen Haut sind sie zwar nicht so deutlich sichtbar, doch das grelle Licht der Lampe über dem Spiegel offenbart eine wahre Landkarte seiner Qualen – zugefügt von seinem eigenen Vater und dessen Golfschlägern. Einige wenige stammen auch von ihm selbst, wenn er sich in diesem leeren Zustand befindet, der eintritt, sobald er die Stimme seines Erzeugers in seinem Kopf vernimmt und er dann keinen anderen Ausweg mehr sieht, als sich selbst Schmerzen zu zufügen, um die Bestrafung des Golfschlägers damit ungewollt nachzuahmen. Seine Unterarme zeugen davon, scheint sich doch kaum ein Zentimeter zu finden, den er nicht schon mit irgendetwas geritzt hat. Ärgerlich knurrend beißt er die Zähne zusammen. Warum nur kann er dieses Ekel nicht aus seinem Kopf bekommen? Dies ist eine Frage, zu der er wohl niemals eine Antwort finden wird, da es nicht einmal aufgehört hat, als er mit Manuel glücklich zusammen war. Vielleicht lag es aber auch nur daran, dass dieser ein Mann war und sein Vater damit wohl nicht einverstanden, obwohl er leibhaftig nie etwas davon gewusst, geschweige denn ihn kennengelernt hat. Also kann Samantha ihm dabei wohlmöglich auch helfen?
 

Ratlos betrachtet er sein Gesicht ein letztes Mal, wirft sich dann ein Handtuch über die Schultern, mit dem er sich die Haare trockenreiben kann und verlässt anschließend splitternackt das Badezimmer. Wieso auch nicht? Immerhin hat er dieses Zimmer ja auch für sich ganz allein. Nur seine Pokémon sind hier und diese stören sich nicht daran. Zumindest dieser Gedanke stimmt, aber mittlerweile ist er nicht mehr mit seinen beiden Käfern allein. Kaum, dass er das Zimmer in all seiner Freizügigkeit betreten hat, zuckt er auch schon erschrocken zusammen und starrt die Frau vor sich mit überraschtem Blick an. Diese erwidert das Ganze nicht minder erstaunt. Sie gibt einen überraschten Laut von sich und hält sich peinlich berührt eine Hand vor den Mund. Dann schlägt sie die Augen nieder und presst eine Entschuldigung hervor.
 

Ehe Bromley ihr etwas entgegnen kann, stürmen aber auch schon seine beiden Pokémon heran, da sie Gefahr befürchten. Bedrohlich fauchend steht Sweetheart der Violetthaarigen gegenüber und richtet ihre scharfen Krallen auf die völlig überforderte Frau. Buddy postiert sich direkt vor seinem Trainer, nimmt all seinen Mut zusammen und gibt ebenfalls ein Fauchen von sich, das allerdings noch nicht sonderlich gefährlich klingt. Dennoch verfehlt es seine Wirkung nicht. Die weiß gekleidete Frau weicht angsterfüllt zurück. Was sie bei Bromley’s Anblick gerade noch verhindern konnte, tritt nun ein und klirrend fallen daher die Dinge zu Boden, die sie mitgebracht hat. Irritiert besieht sich der junge Trainer Schere, Kamm, einen Handspiegel, Pinsel und einige Fläschchen, deren Inhalt er nicht zuordnen kann. „Yo, Leute! Chillt ma‘!“, teilt er den beiden Pokémon nun mit.
 

Der große Samurai wirft einen letzten, prüfenden Blick auf den Eindringling, dann entfernt er sich langsam. Auch die kleine Assel beruhigt sich wieder und huscht aufgebracht um die Füße ihres Besitzers herum, als wäre ihr plötzlich aufgegangen, dass sie doch Angst haben müsste. Ungeachtet dessen betrachtet der Langhaarige nun sein Gegenüber. „Yo, Missy? Du bist doch die Puppe, die mich davon abgehalten hat, diesen schmierigen Lackaffen plattzumachen, nich‘ wa‘?“, fragt er sie, macht aber immer noch keine Anstalten, seine Blöße zu bedecken. Kein Wunder also, dass es ihr ziemlich schwerfällt, da zu antworten. „Ja – das stimmt. – Mein Name – ist Pia. – Die Präsidentin schickt mich, – um mich um dich zu – kümmern...“, bringt sie schließlich nach einigen Anläufen hervor. Die Schamröte steht ihr tief ins Gesicht geschrieben und da geht Bromley auf, dass er noch immer nichts anhat.
 

Einem Instinkt folgend, hockt er sich einfach hin, während sich auch auf seinem Wangen ein roter Schimmer ausbreitet. Reißlaus beendet seine Runden und postiert sich direkt vor seinem Trainer, wendet ihm aber den Rücken zu. Versucht mutig gibt Buddy ein Fiepen von sich und hebt dabei den flachen Schwanz an. Bewusst oder auch nicht, gelingt es dem Käfer so halbwegs, das beste Stück seines Trainers zu verdecken, was diesen dazu bewegt sich etwas zu entspannen. Sanft streicht er der Assel über den gewölbten Rücken. „Danke Kumpel!“ Freudig fiept Buddy erneut auf und schmiegt sich seiner Hand entgegen, dennoch darum bemüht, die Position seines Schwanzes nicht zu ändern. Langsam hebt Pia den Blick und sammelt vorsichtig die herabgefallenen Sachen wieder auf.
 

Fasziniert beobachtet sie dabei, wie Bromley nun versucht sich die frische Shorts zu angeln. Doch er kommt nicht an den Stuhl heran, ohne sich zu weit von Reißlaus entfernen zu müssen. Tectass begreift seine Misere allerdings auch und fischt das Stück Stoff mit der Spitze ihrer Kralle auf und reicht es dem jungen Mann hinüber. Dankend nimmt Bromley es entgegen und lächelt dem Pokémon zu. Dieses nähert sich ihm ungeniert und drückt für einen Moment seine breite Schnauze gegen die Lippen seines Trainers. Für Pia wirkt es fast so wie ein hauchfeiner Kuss zwischen ihnen. Zärtlich krault der Großgewachsene dem schwer gepanzerten Krieger unter dem Kinn, woraufhin dieser ihm mit seiner breiten Zunge über die Wange leckt. Etwas ungelenk lässt sich der Langhaarige dann auf seine vier Buchstaben fallen und zieht sich endlich etwas über. Als er wieder aufsteht, wird aber deutlich, dass es so nur bedingt besser geworden ist, da der tiefschwarze Stoff sehr enganliegend sitzt und jede Stelle ziemlich gut betont. Das Schwarz nimmt dem Ganzen aber wenigstens etwas von seiner Deutlichkeit, kann aber nicht verhindern, dass Pia wieder rot wird.
 

„Was’n?“, fragt Bromley sie schließlich. Ertappt räuspert sich die kleine Frau verhalten. „Oh, nichts! Ich finde es nur wirklich schön, wie liebevoll du mit deinen Pokémon umgehst. Sie scheinen dich wirklich sehr zu mögen...“, versucht sie sich zu rechtfertigen und sich selbst etwas vom Anblick des jungen Mannes abzulenken. „Yeah, die zwei sind echt klasse.“, bestätigt Bromley, streichelt die Käfer noch einmal kurz, bevor er sie wieder in ihre Bälle zurückruft. „Yo und was versteht die Präsidentin jetz‘ drunter, wenn du dich um mich kümmern sollst?“, hakt er schließlich nach. Etwas unschlüssig betrachtet Pia die Sachen auf ihrem Arm einen Moment, bis ihr wieder einzufallen scheint, was sie gesagt hatte. „Ähm ja, sie meinte, dass dir ein Haarschnitt guttun würde und, dass ich sie dir wieder bleichen soll, wenn du das möchtest. Sie meinte, dass weiß dir besser stehen würde, als das strenge Schwarz...“ Etwas argwöhnisch betrachtet er sie. Ihm fällt wieder ein, wie er vor wenigen Minuten im Bad darüber nachgedacht hat, sich die Haare wieder zu bleichen und als hätte sie seine Gedanken aufgefangen, steht Pia jetzt genau deswegen hier vor ihm. Schon irgendwie witzig.
 

Ein paar Augenblicke später sitzt Bromley auf dem freien Stuhl. Ein großes Handtuch breitet sich auf seinen Schultern aus, damit die abgeschnittenen Haare nicht überall an seinem Körper kleben und Pia kämmt gewissenhaft durch die noch leicht feuchten Strähnen. „Was’n eigentlich los mit Samantha? Sie reißt sich ja förmlich ‘n Bein für mich aus und dabei ham wa‘ uns doch erst gestern kenn’gelernt.“, fragt der Käfer-Trainer irgendwann. „Hm, ich weiß es nicht genau. Sei meinte nur, ich soll mich etwas um dich kümmern, bis sie Zeit für dich hat. Sie ist immer sehr beschäftigt, musst du wissen. Doch ich bin nicht befugt über alles informiert zu sein, was sie macht. Aber ich bin sicher, sie hat ihre Gründe dich hierher zu holen.“ „Ihr Modegeschmack is‘ zumindest nich‘ der Schlechteste.“, erwidert Bromley und deutet auf den Haufen Stoff, der über dem anderen Stuhl hängt. „Schön, dass dir die Sachen gefallen. Ich hoffe, sie passen auch. Du bist ganz schön groß, weißt du das? Da war es schwierig, etwas Passendes anfertigen zu lassen.“, kommentiert Pia nachdenklich, während sie die Schere ansetzt.
 

„So viel Mühe und das ausgerechnet meinetwegen? Mann, muss alles echt wichtig sein.“ „Hat sie dir denn gar nichts erzählt? Du wirst doch mit Sicherheit nicht einfach so mit ihr mitgegangen sein, oder?“, etwas Sorge schwingt in der Stimme der kleinen Frau mit, scheint sie sich doch gerade auszumalen, wie Samantha diesen jungen Burschen wohl von sich überzeugt hat. Und als würden ihre Gedanken in die richtige Richtung gehen, räuspert sich der Streuner etwas verlegen. „Nee, natürlich nich‘. – Sie hat mir von ihren entlaufenen Kindern und irgend ‘nem Forschungsprojekt erzählt, das sie deswegen nich‘ weitermachen kann. – Sie meinte, dass ich ihr irgendwie dabei helfen kann und außerdem wa‘ sie ziemlich – nett zu mir...“, erklärt er sich, obwohl der letzte Teil eher ungewollt zu Tage tritt, da er sich nicht sicher ist, ob Pia vielleicht bewusst ist, was ihre Chefin so alles macht. Für einen kleinen Augenblick stoppt allerdings die Schere in ihrer Arbeit und macht dann ungetrübt weiter. „Das hört sich doch ganz so an, als wärst du ein sehr netter und hilfsbereiter, junger Mann. Und ich denke, die Präsidentin weiß das sehr zu schätzen und möchte daher auch, dass es dir gutgeht.“, fügt sie schließlich hinzu und versucht es dabei neutral klingen zu lassen, was ihr aber nicht ganz gelingt.
 

Damit ist das Gespräch auch erst einmal beendet und Bromley lässt die weitere Behandlung schweigend über sich ergehen. Als der Haarschnitt beendet ist und das Bleichmittel seinen Dienst tut, fängt Pia an das Bett zu machen. Der bald Weißhaarige ist sich sicher, dass das nicht unbedingt zu ihren Aufgaben gehört, sie aber einfach etwas zu tun haben möchte, um die Wartezeit zu überbrücken. Irgendwann gibt sie dann ein tiefes Seufzen von sich und er fragt sie, was los ist. Betrübt lässt sie sich auf das Bett nieder. „Es ist nur – ich begreife nicht, was mit Gladio und Lilly so plötzlich los ist. Sie waren immer so liebe und nette Kinder. Als sie noch klein waren, habe ich oft auf sie aufgepasst, musst du wissen. Von daher weiß ich, wie sie sich gewöhnlich geben. Doch seit einer Weile sind sie vollkommen anders. – Zuerst dachte ich, es wäre nur eine Phase. Wie Kinder in der Pubertät halt sind. Aber das Ganze nahm doch immer schlimmere Züge an, sodass ich diesen Gedanken bald verworfen habe. – Ich kann verstehen, dass sie sich nicht sonderlich gut fühlen, seit ihr Vater verschwunden ist. Aber sich gerade dann auch noch gegen die eigene Mutter wenden. – Das macht für mich alles keinen Sinn und ich fürchte, dass dort mehr dahintersteckt, als die Präsidentin zugeben will und das bereitet mir alles große Sorgen...“
 

Leidvoll sieht sie ihn an. Es ist für ihn nicht schwer zu sehen, dass ihr wirklich viel an diesen Kindern liegt und Bromley wünscht sich, dass er damals so jemanden wie sie gehabt hätte, der sich um ihn kümmert, wenn seine Eltern es mal wieder nicht konnten. Langsam steht sie auf, um das Farbergebnis zu kontrollieren. Als sie sich wieder entfernen will, ergreift er jedoch ihr Handgelenk. Durchdringend sieht er sie an. „Mach dir ma‘ keine Sorgen und Vorwürfe schon gar nich‘! Wenn ich Samantha wirklich helfen soll, dass alles wieder grade zu biegen, dann werd‘ ich mein Bestes geben. Das wird schon wieder. Ich versprech’s! Also schau nich‘ mehr so traurig, yo? Das passt nich‘ zu so ‘nem hübschen Mädel, wie dir!“, aufmunternd lächelt er sie an und sie kann den entschlossenen Tatendrang in seinen schiefergrauen Augen sehen. Doch etwas sprachlos betrachtet sie ihn und haucht ihm dann sanft einen kleinen Kuss auf die Stirn. „Vielen Dank!“, entgegnet Pia ihm zuversichtlich und begleitet ihn dann ins Bad, um das Bleichmittel auszuwaschen.
 


 

3
 

Die nächsten zwei Tage verlaufen weniger aufreibend. In dieser Zeit bekommt Bromley Samantha aber nicht ein einziges Mal zu Gesicht, sondern ist ausschließlich mit Pia zu Gange, die ihm alles Wichtige über die Æther-Foundation erzählt und ihn herumführt. Die künstliche Insel gleicht einem Irrgarten aus Laboratorien und den verschiedensten Lebensräumen, die möglichst nahe an die natürlichen Verhältnisse der Pokémon angepasst sind, die darin leben. Sie sollen sich hier wie zu Hause fühlen und nicht den Gedanken erhalten, gefangen zu sein, auch wenn sie von hier nicht wegkommen und täglich umsorgt und gefüttert werden. Sobald es ihnen bessergeht, werden sie aber wieder ausgewildert. Bromley hat zwar ausschließlich ein Herz für Käfer-Pokémon, dennoch erstaunt es ihn schon ziemlich, wie viele gequälte und verletzte Wesen hier Zuflucht gefunden haben, deren eigentlicher Lebensraum beispielsweise zerstört oder sie einfach nur schlecht von ihren Trainern behandelt wurden.
 

All das wird aber schlagartig zur Nebensache, als die Blondine nach ihm rufen lässt. Erwartungsvoll steht er vor ihrer Zimmertür und klopft. Von drinnen ertönt ihre gedämpfte Stimme und er tritt ein. Der Raum ist riesig, aber wie so viele andere in der Villa fast völlig weiß und irgendwie steril. Kaum etwas Persönliches fällt ihm auf, fast so, als wäre dies hier nur ein großes Hotel, in dem alle dauerhaft wohnen und keine pompöse Luxusvilla mit jedem nur erdenklichen Komfort. Auch in Samanthas Zimmer gibt es einen Balkon, zwei Stühle um einen Tisch und ein geräumiges Bad. Der Unterschied zu dem Zimmer, in dem Bromley die letzten Tage verbracht hat, besteht darin, dass es hier noch eine weitere Tür gibt, die irgendwie Ähnlichkeit mit einem Fahrstuhl aufweist und ein großes Himmelbett, das den Raum einnimmt, wie in einem Märchenschloss. Unweigerlich fragt sich der Weißhaarige, wo dieser seltsame Aufzug hinführen mag und ob sie es ihm irgendwann zeigen wird. Andererseits fragt er sich, ob er diese Information überhaupt haben will, da er irgendwie ein komisches Gefühl bei alledem hier hat.
 

„Ah, Bromley, mein Hübscher! Nun sieh dich nur mal an! Pia hat wirklich ganze Arbeit geleistet. Was für ein stattlicher, junger Mann du doch bist!“, entkommt es Samantha, kaum, dass er das Zimmer betreten hat. Aus ihm unerfindlichen Gründen fühlt er sich dabei irgendwie von Scham erfüllt und es wird noch um einiges schlimmer, als sie nun um ihn herumläuft und sich jeden Zentimeter seines neuen Ichs genau betrachtet. Langsam schleicht sich eine gewisse Röte in seine Wangen, die er vehement zu unterdrücken versucht, was ihm aber nur schwerlich gelingt. Schließlich bleibt sie vor ihm stehen und streicht ihm durch die Haare. Dank Pia sind sie jetzt wieder ziemlich kurz, aber dennoch chaotisch zerzaust. Alles ist schneeweiß, abgesehen von den Koteletten und den Haaren in seinem Nacken, die kurz rasiert und immer noch schwarz sind. „Wundervoll! Du siehst so richtig schön rebellisch aus! Das passt zu dir und genauso habe ich es mir auch vorgestellt.“, erläutert sie und zupft dann an seiner Jacke herum. „Es scheint dir ja auch alles zu passen, wie ich sehe. Pia und ich hatten schon Sorge, dass wir nicht die richtige Größe anfertigen lassen können, da du ziemlich außerhalb des Standards liegst, wie man ja unschwer erkennen kann.“
 

Über diese Bemerkung zuckt Bromley nur die Schultern. Seine Größe war in dieser Hinsicht schon immer ein Problem und je älter er wurde, desto schwieriger war es, etwas Passendes zu finden. Doch seine imposante Statur war ihm auch weit öfter sehr hilfreich. Durch die Tatsache, dass er jedem locker über den Kopf ragt, hat er durchaus etwas Gefährliches an sich, das noch durch sein unvorhersehbares Verhalten unterstützt wird. „Tja, dagegen kann ich nichts machen, aber ich weiß damit umzugehen.“, grinst er ihr zweideutig entgegen und versucht damit seine Unsicherheit zu überdecken. Auch Samantha lächelt keck. „Oh, das will ich doch hoffen, junger Mann. Wäre doch sonst wirklich schade drum.“, erwidert sie und zwinkert ihm dann schelmisch zu, um ihm zu verdeutlichen, dass sie seine unanständigen Gedanken durchschaut hat. Unweigerlich muss der Käfer-Trainer hart schlucken. ‚Sie ist einfach ‘ne Wucht...‘, geht es ihm etwas hilflos durch den Kopf.
 

Verwundert beobachtet er nun, wie sie sich auf das große Bett setzt und ihn zu sich winkt. Ungewollt driften seinen Gedanken wieder ab und stellen sich vor, wie es wäre, ihre samtige Haut unter seinen Fingern zu spüren. Wie ferngesteuert nähert er sich dem Bett, bleibt dann jedoch davorstehen. Er ist zwar ein ziemlicher Draufgänger und würde sich nie eine Möglichkeit entgehen lassen, wenn sich ihm eine bietet, doch das hier ist anders. Samantha ist keines von den kleinen Flittchen, mit denen er sich aus Frust über die Trennung mit Manuel versucht hat hinwegzuhelfen. Nein, sie ist eine richtige Frau, eine Dame und unaufgefordert betritt man weder das Zimmer einer solchen und schon gar nicht dringt man in die persönliche Zone ihres Bettes ein, ohne ganz sicher zu sein. Er ist zwar bei weitem kein Gentleman und hat es auch nicht vor so schnell zu werden, doch so viel Anstand hat er dann doch, zumindest ihr gegenüber, da sie etwas ausstrahlt, das ihn schon beinahe dazu zwingt, sich anständig zu benehmen.
 

Diese Tatsache scheint sie ziemlich amüsant zu finden, da sie hinter vorgehaltener Hand zu kichern beginnt, als er fragend vor ihr stehenbleibt. „Nun setz dich doch. Wir haben noch viel zu besprechen, mein Hübscher.“, fordert Samantha ihn schließlich auf und er kommt ihren Worten auch augenblicklich nach. „Yo, was willste denn besprechen?“, fragt Bromley gerade heraus. Sie schenkt ihm den warmen Blick einer Mutter, die geduldig darauf wartet, dass ihr Kind das ganz Offensichtliche von selbst begreift. „Nun, die letzten Tage hast du dich sicher gefragt, was genau deine Aufgabe hier sein soll. Außerdem hat dir Pia nicht die gesamte Foundation gezeigt. Es gibt hier geheime Labore, in denen ich eine eher fragwürdige Forschung betreibe. Ein wenig davon hatte ich dir schon bei unserem ersten Treffen angedeutet. Doch da steckt natürlich noch viel mehr dahinter. Aber alles zu seiner Zeit, mein Lieber.“, setzt sie an und wirft einen verschwörerischen Blick in Richtung der seltsamen Fahrstuhltür.
 

„Deine Aufgabe besteht jetzt darin, mir zuzuarbeiten. Ich möchte, dass du nach meinen Kindern Ausschau hältst, mir einige Pokémon besorgst, mit denen ich experimentieren kann und vieles andere mehr. Der Großteil deiner Arbeit besteht aber darin, jeden Verdacht von mir abzuwenden, dass ich etwas vorhaben könnte, das Alola vielleicht Schaden zufügen würde. Du sollst also etwas Action machen, damit die Aufmerksamkeit ganz bei dir liegt und so tun, als hättest du überhaupt nichts mit Æther zu tun, verstehst du?“ „Denke schon. So’ne Art Ablenkungsmanöver also, damit jeder denkt, dass ich der Böse bin und ihr nur die Opfer?“, hakt er etwas verunsichert nach. „Ganz recht. Und damit das Ganze einen guten Start bekommt, erwecken wir etwas wieder, das vor einigen Jahren zu Grunde ging und von dem sicher niemand gedacht hätte, dass es jemals wiederkommen würde.“, vielsagend zupft sie wieder an seiner Jacke herum.
 

„Ich habe diese Sachen nicht ohne Grund für dich ausgesucht, auch, wenn das Ganze noch nicht komplett ist.“, sie deutet zum Tisch hinüber. Darauf entdeckt der Weißhaarige eine goldene Uhr, eine gelb gerahmte Sonnenbrille, deren eines Glas rund ist und das andere aussieht wie eine auf der Seite liegende Mondsichel. Außerdem sieht er noch eine schwere Goldkette, mit großen Gliedern und einem glänzenden Anhänger in Form des Musters auf seiner Jacke. „Es war nicht leicht, diese Relikte wiederzufinden, aber ich denke, es hat sich durchaus gelohnt. „Was bedeutet ‘n das Ganze?“, will Bromley nun wissen, da ihm das alles immer merkwürdiger und verschwörerischer vorkommt.
 

„Das ist eine etwas kompliziertere Geschichte. Vor etwa acht Jahren gab es auf Ula-Ula ein tragisches Ereignis. Der damalige Inselkönig war ein Spezialist für Elektro-Pokémon, doch er hatte eine düstere Vorliebe...“, beginnt sie. Unweigerlich erinnert sich der Käfer-Trainer an diesen schmierigen Typen. Bei ihm haben Manuel und er ebenfalls ihre Prüfung abgelegt. Er kam ihnen schon damals recht seltsam vor. Schien sich irgendwie komisch auf den Brünetten zu fixieren und hat ihnen merkwürdige Frage gestellt, die rein gar nichts mit der Prüfung zu tun hatten. Er war regelrecht aufdringlich und schien nach einer Möglichkeit zu suchen, die zwei voneinander zu trennen, was ihm glücklicherweise aber nicht gelungen ist. Jetzt, wo Samantha ihn erwähnt und Bromley inzwischen alt genug ist, dass Ganze zu verstehen, begreift er, dass sie beide damals nur knapp einem Unglück entkommen sind. Einzig und allein der Tatsache, dass sie gemeinsam unterwegs waren, haben sie es wohl zu verdanken, dass ihnen nicht das Gleiche widerfahren ist. An seinem Gesichtsausdruck erkennt Samantha, dass seine Vermutungen in die richtige Richtung gehen, dennoch erzählt sie ungerührt weiter.
 

„Der Inselkönig hatte eine unzüchtige Vorliebe für kleine Jungs. Irgendwann konnte er dieses Verlangen nicht mehr unterdrücken und hat sich eines jungen Trainers auf Inselwanderschaft bemächtigt, der bei ihm die Prüfung ablegen wollte. Tage lang hat er ihn in seiner Villa in einem abgelegenen Dorf Ula-Ulas festgehalten und unaussprechliche Dinge mit ihm angestellt. Doch das ist bei weitem noch nicht der Gipfel. Die Dorfbewohner haben davon gewusst und kein Wort nach außen dringen lassen, haben ihm weiterhin seinen Gelüsten stattgegeben, ihm sogar dabei noch geholfen. Erst, als der Rivale des Jungen ebenfalls ins Dorf kam, um seine Prüfung zu machen, flog das Ganze auf. Daraufhin war der Schutzpatron der Insel so erzürnt, dass er den König seines Amtes enthob und das Dorf von der Außenwelt abriegelte.
 

Das ließen die Bewohner und der einstige König aber nicht auf sich sitzen und so taten sie sich zusammen und gründeten eine Truppe von Raufbolden und Tunichtguten, die nichts Besseres zu tun hatten, als den anderen Bewohnern Alolas das Leben schwer zu machen und ihr Recht einzufordern. Sie quälten Menschen und Pokémon, zerstörten heilige Stätte, randalierten und vieles mehr. Sie waren kaum zu bändigen und ließen ihren Unmut über den Schutzpatron freien Lauf. Lange konnte das natürlich nicht gutgehen und die Menschen Alolas lehnten sich gegen die Truppe auf. Gemeinsam mit den vier Schutzpatronen gelang es ihnen schließlich, diese unwürdigen Leute zu fangen und letztendlich wurden sie aus der Region verbannt. Seither hat man nichts mehr von ihnen gehört und Team Skull, wie sie sich nannten, geriet in Vergessenheit. Heute kennt kaum jemand mehr den Namen der Truppe und keiner wagt es über den ehemaligen Inselkönig und was damals passiert ist, zu reden. Einziger sichtbarer Zeuge des Ganzen und Mahnmal an alle, die sich gegen das Wohl Alolas stellen, ist heute nur noch das verlassene und abgeriegelte Dorf auf Ula-Ula, das noch heute dem Missfallen der Schutzpatrone ausgeliefert ist, indem es nie wieder die Sonne sehen wird.“
 

Mit offenem Mund sitzt der Weißhaarige neben ihr und lauscht ihren Worten. Dennoch kann er kaum glauben, was er da hört; war das Dorf doch von glänzendem Wohlstand erhellt, als er und Kukui dort Station gemacht haben. „Heilige Scheiße! – Ich – ich hab‘ damals auch meine Prüfung bei ihm abgelegt. – Der Kerl kam mir gleich so komisch vor, doch – ich wa‘ damals zu dumm, um’s Offensichtliche zu begreifen und nich‘ allein, checkstes? Ich hatt‘ einen Partner, wenn man so will und...“, er stockt und schluckt hart, als er an Manuel denken muss. Sanft legt sich die Hand der Blondine auf seinen Oberschenkel. „Was hast du?“, fragt sie besorgt. Eine Weile blickt er sie schweigend an, nicht in der Lage, die richtigen Worte zu finden, ohne, dass sie es falsch verstehen könnte. „Naja, mein – mein Partner von damals war – war später – wirklich mein Partner...“, gesteht er stockend und kämpft mit seinen Gefühlen. „Du hast ihn sehr geliebt, nicht wahr? Das kann ich dir doch ansehen.“ „Yo, hab‘ ihn mehr als alles andere auf der Welt geliebt, doch – doch es wa‘ nich‘ genug...“
 

Mitfühlend sieht Samantha ihn an. „Was ist passiert?“, fragt sie vorsichtig. In ihr keimt die Neugierde auf. Sie hat zwar von Anfang an vermutet, dass dieser Streuner einiges durchgemacht hat, dass ihn so hat werden lassen, doch das hatte sie nicht vermutet. Sieht man es Bromley doch nicht unbedingt an, dass er sich zu anderen Männern hingezogen fühlen könnte. „Tja, irgendwann is‘ diesem selbstgefälligen Arschloch aufgegangen, dass es angeblich nich‘ richtig is‘ mit ‘nem andern Kerl ins Bett zu steigen und, dass ich damit auch seiner Karriere im Weg steh’n würd‘. Also hat er mich rausgeschmissen und sich ‘n selten dämliches Weib angelacht, das er dann auch noch geheiratet hat...!“, den letzten Teil knurrt er förmlich nur noch. Dennoch gelingt es der Blondine alles zu verstehen. Innerlich breitet sich ein Grinsen in ihr aus. Dieser junge Bursche ist einfach nur perfekt! Diese ungezügelte Wut, diese Leidenschaft, einfach atemberaubend! Genau, wonach die gesucht hat. Dieser Zorn und diese Ablehnung sind genau die richtige Grundlage für den Wiederaufbau von Team Skull!
 


 

4
 

Während Bromley noch völlig gefangen in seinen traumatischen Erinnerungen ist, überrumpelt Samantha ihn kurzerhand einfach. Ehe er auch nur irgendwie reagieren kann, packt sie ihn schon beinahe grob an den Schultern und presst ihn dann erstaunlich nachdrücklich auf das Laken nieder. Ihr Gesicht bekommt einen wilden Ausdruck und dieser jagt Bromley irgendwie Angst ein. Sie ist nicht die erste Frau, mit der er schläft, aber ganz sicher die Erste, die genau weiß, was sie will und alles daransetzt es auch zu bekommen.
 

Einfach kommen, schnell wieder gehen, so lebst du

Nehmen, nehmen, nehmen ist alles, was du kannst,

Aber du gibst niemals
 

Sie ist unglaublich schön und der Weißhaarige ist komplett gefangen in der plötzlichen Liebe zu ihr. Das wäre wohl jeder gewesen, zumindest jeder Mann, aber vielleicht auch jede Frau, da ist sich Bromley nicht so sicher. Doch trotz der Schmetterlinge in seinem Bauch, hat er eine unbewusste, tiefsitzende Angst vor ihr, weil sie in diesem Moment nicht nur atemberaubend erregend aussieht, sondern auch so, als könnte sie ihn mit einer unglaublichen Leichtigkeit einfach so töten, sobald er die Augen schließt oder ihr widerspricht.
 

Hätte vom ersten Kuss an wissen sollen, dass du Ärger machst

Hattest deine Augen weit offen - Warum waren sie offen?
 

Er schluckt schwer und sie spürt deutlich seine Unsicherheit. Samantha lächelt ihn sanft und voller Liebe an. Aber der tot bringende Ausdruck in ihren Augen bleibt bestehen. Dann ihre sanften, weichen Lippen auf den seinigen; ihre kleinen, aber festen Brüste, die sich verlockend gegen ihn pressen und sein Schicksal besiegeln, jetzt und für alle Zeit…
 

Gab dir alles, was ich hatte

Und du hast es in den Wind geschossen

Du hast es in den Wind geschossen
 

Der Weißhaarige weiß gar nicht, wo ihm der Kopf steht. Alles scheint sich regelrecht zu überschlagen und er bekommt keinen klaren Gedanken mehr zusammen. Und irgendwie will er das auch gar nicht. Er ist verloren und er weiß es und dennoch genießt er dieses brennende Gefühl der Hilflosigkeit mehr als alles andere auf der Welt. „Scher dich nicht um diesen dummen Nichtsnutz, mein Hübscher. Er weiß doch gar nicht, was er an dir hatte. Weine ihm nicht nach, dass ist er nicht wert! Lass dich einfach fallen und vergiss ihn!“, raunt Samantha ihm entgegen.
 

Mir all deine Liebe zu geben, ist alles, was ich je verlangt habe,

Denn, was du nicht verstehst…

Ich würde eine Granate für dich fangen
 

„Ja...“, erwidert er atemlos. Er hört die kriecherische Unterwürfigkeit in seiner Stimme, aber er kann nichts dagegen tun. Bromley kann sie nur ansehen und versuchen zu begreifen, was hier eigentlich gerade vorgeht. Doch es ist unmöglich, sein Kopf ist völlig leer. Sein Handeln wird nur noch von seinem Körper bestimmt, der ihr mittlerweile vollkommen erlegen ist.
 

Meine Hand auf eine Klinge für dich schlagen

Ich würde vor einen Zug für dich springen

Du weißt, dass ich alles für dich tun würde
 

Samanthas Hände streichen verlangend über die Brust des Liegenden, betasten dort die festen Muskeln, die sich an den dünnen Stoff des T-Shirts schmiegen. Mit verhangenen Augen sieht sie ihm fest ins Gesicht. „Zeig mir, wie unbedeutend dieser Bursche für dich geworden ist! Zeig mir, wie sehr du ihn für alles, was er dir angetan hat, verachtest! Zeig mir einfach alles!“, fordert ihn die Blondine heftig auf. In ihrem wilden Blick lodert die Erregung und ihr Körper reibt sich dabei so verlangend an dem seinigen.
 

Ich würde durch all diesen Schmerz gehen

Eine Kugel direkt durch meinen Kopf jagen

Ich würde für dich sterben, Baby
 

Sie sieht ihn mit ihren leuchtenden, grünen Augen an, die so einen verwegenen Ausdruck haben, als wolle sie sagen: Halt deine Sonnenbrille fest, Bromley und steig aufs Pferd. Ich werde Erste sein und du Zweiter, und die Übrigen soll alle der Teufel holen! Und ihr Lächeln drückt genau dasselbe aus. Er ist wie hypnotisiert von ihr, ganz ähnlich dem, als er sie neulich im Restaurant kennengelernt hat.
 

Doch du würdest nicht Dasselbe tun

Nein, nein, nein, nein
 

Nur noch ein einziger, klarer Gedanken scheint in seinem mitgenommenen Gehirn Platz zu haben: Er will sie! Mehr als alles andere auf dieser Welt will er sich in ihr verlieren. Ihr folgen, wohin der Weg sie auch immer führt und tun, was auch immer sie von ihm verlangen mag. Er ist ihr hilflos erlegen, als wäre sie eine neue Droge, deren Wirkung er nicht kennt, die ihn aber schlagartig süchtig macht und von der er nie mehr lebend loskommen wird...
 

Schwarz, schwarz, schwarz und blau,

Schlugen sie mich, bis alles taub war
 

Ihre Worte genügen dem Käfer-Trainer voll und ganz. Nun kann er sich sicher sein, dass sein Handeln ihren Wünschen entsprechen wird. Herausfordernd grinst er sie einen Moment lang an. Dann überrumpelt er sie, wie sie es zuvor schon bei ihm getan hat und drückt sie in die Laken. Etwas überrascht von seiner plötzlich so impulsiven Art, schaut sie fast schon scheu zu ihm auf.
 

Sag es dem Teufel, wenn du dahin zurückgehst,

Wo du herkamst

Wahnsinnige Frau, böse Frau, dass ist es, was du bist
 

„Keine Sorge. Ich werd‘ den Dreckskerl ganz sicher vergessen! Wie könnt‘ ich’s auch nich‘, wenn du bei mir bist?“, raunt der Weißhaarige ihr mit tiefer Stimme entgegen. Äußerlich schenkt sie ihm ein hingebungsvolles Lächeln. Innerlich hakt sie einen weiteren Punkt auf ihrem Plan ab, um endlich an ihr Ziel zu kommen. Endlich einen Weg zu ihren geliebten Ultrabestien zu finden. Nur das zählt, einzig und allein das und sonst nichts! Nicht dieser hoffnungslos idiotische Bengel, nicht ihre verlogenen Kinder, nicht ihr treuloser Ehemann und schon gar nicht dieses nichtssagende Alola mit all seiner falschen Fröhlichkeit.
 

Du lächelst mir ins Gesicht,

Während du die Bremsen meines Autos durchtrennst

Gab dir alles, was ich hatte
 

Als Bromley sie wieder küsst und seine Hände langsam beginnen ihren Körper zu erforschen, denkt Samantha nur an diese fremde Welt – die Ultradimension – und die wundervollen Wesen, die dort leben und nur darauf warten von ihr mit all ihrer Liebe überschüttet zu werden. Nicht einmal im Traum hätte sie gedacht, dass es so leicht werden würde, diesen hirnlosen Streuner von sich zu überzeugen. Erst recht nicht, nachdem er ihr offenbart hat, dass er eine Beziehung mit einem anderen Mann hatte.
 

Und du hast es in den Wind geschossen

Du hast es in den Wind geschossen

Mir all deine Liebe zu geben, ist alles, was ich je verlangt habe
 

Doch sie scheint Glück zu haben, dass er sich nicht völlig auf dieser Seite des Ufers fest gebissen hat. Und selbst, wenn dem so wäre, geht ihm das Ganze scheinbar immer noch so nahe, dass ihm jede Art von Trost recht ist, nur um ihn zu vergessen. Und genau darin liegt ihre Stärke. Sie nutzt die zerbrechliche Schwäche seines Geistes und das angerissene Band seiner verkümmerten Emotionen für sich aus und wiegt ihn in Sicherheit. Doch der Tag wird kommen, da braucht sie ihn nicht mehr und dann wird sie mit dem scharf geschliffenen Messer hinter ihm stehen und es ihn ohne jedes Gefühl in den Rücken rammen. Sich daran ergötzen, wie er elendig zu Grunde geht, während sie mit ihren über alles geliebten Ultrabestien in die vollkommene Glückseligkeit eintritt!
 

Denn, was du nicht verstehst…

Ich würde eine Granate für dich fangen

Meine Hand auf eine Klinge für dich schlagen
 


 

5
 

Als es endet, sinkt er keuchend mit dem Kopf auf ihren Bauch hinab. Samantha hingegen starrt nur mit großen Augen zur Decke empor. Sie kann es gar nicht glauben. So hat sie sich das Ganze nicht vorgestellt! Eigentlich sollte sie, sie allein die Führung bei diesem Spielchen haben, doch Bromley hat sie irgendwann einfach überwältigt.
 

Ich würde vor einen Zug für dich springen

Du weißt, dass ich alles für dich tun würde

Ich würde durch all diesen Schmerz gehen
 

Die anfängliche Wut darüber, verflog jedoch nur einen Augenblick später und wich einer Erregung, die sie seit der Geburt ihrer Kinder nicht mehr erlebt hat. Sie war schlichtweg fassungslos von seiner jugendlichen Triebhaftigkeit. Dabei wirkte er jedoch keineswegs forsch und selbstgefällig, wie es junge Männer oft sind, im Gedanken sich einer älteren Frau gegenüber beweisen zu müssen. Ganz im Gegenteil, er hat sich unglaublich hingebungsvoll um sie gekümmert, was so gar nicht seinem rebellischen Charakter zu entsprechen scheint. So etwas hätte sie ihm nun wirklich nicht zugetraut.
 

Eine Kugel direkt durch meinen Kopf jagen

Ich würde für dich sterben, Baby

Doch du würdest nicht Dasselbe tun
 

Noch immer ist sie deswegen völlig durcheinander, was aber nicht bedeutet, dass sie diesem kleinen Streuner mehr Gefühl als nötig entgegenbringen muss. Was zwischen ihnen ist, ist vollkommen bedeutungslos für sie. Es dient einzig und allein dem Zweck, dass er ihr hilft, einen Zugang zu ihren geliebten Ultrabestien zu finden! Außerdem hat er es doch tatsächlich gewagt, sie im Moment größter Erregung ‚Sammy‘ zu nennen. Ein Spitzname, den ihr verschollener Ehemann in so einem Moment auch immer benutzt hat und der nur ihm vorbehalten war, weil sie ihn sonst abgrundtief hasst, da er so maskulin klingt.
 

Wenn mein Körper brennen würde

Du würdest nur zusehen, wie die Flammen mich niederstrecken
 

Als Bromley ihr diesen Namen so unbewusst entgegen hauchte, kamen all die Gefühle für Mohn wieder in ihr hoch. Wie verletzt und einsam sie sich seit seinem Verschwinden doch fühlt. Wie undankbar ihre eigenen Kinder sich ihr gegenüber seither verhalten und vieles mehr. Nein, er sollte sie nicht so nennen, niemals! Daher wird es jetzt auch Zeit, ihm dies ein bisschen mehr klar zumachen. Sie merkt, dass er sich inzwischen wieder etwas beruhigt hat und nun langsam in die Müdigkeit abzudriften beginnt. Wut staut sich plötzlich in ihr auf.
 

Du sagtest, dass du mich liebst, du bist ein Lügner,

Denn du hast das nie jemals getan, Baby
 

„Runter von mir!“, fährt sie ihn grob an. Irritiert wendet Bromley ihr sein verschlafenes Gesicht zu, doch die Worte scheinen nicht zu ihm durchgedrungen zu sein. „Ich habe gesagt, runter von mir, du widerlicher Mistkerl!“ Heftig zuckt der Weißhaarige unter ihrer strengen Stimme zusammen, drückt sich ungelenk hoch und sieht sie hilflos verwirrt an. „Weg, habe ich gesagt!“, kommt es außer sich von ihr und sie versetzt ihm einen kräftigen Schubs. Damit hat er nun wirklich nicht gerechnet und so wirft es ihn nach hinten und er schlägt hart mit dem Kopf gegen den metallischen Zierrand am Fußende.
 

Aber Schatz, ich würde immer noch eine Granate für dich fangen

Meine Hand auf eine Klinge für dich schlagen
 

Schmerzlich stöhnt er auf und blickt entsetzt zu ihr hinüber. Ja, jetzt hat sie ihn da, wo sie ihn haben will! Jetzt wird er spüren, wer hier das Sagen hat und, dass er nichts weiter ist, als ihr Fußabtreter! „Was bildest du dir eigentlich ein, wer du bist? Und was fällt dir eigentlich ein, mich so zu demütigen und zu beschmutzen?“, faucht sie ihn an. Schuldbewusst zuckt Bromley zusammen, auch, wenn er nicht die geringste Ahnung hat, was sie eigentlich meint. Schließlich hat sie sich die ganze Zeit über nicht ein einziges Mal beschwert.
 

Ich würde vor einen Zug für dich springen

Du weißt, dass ich alles für dich tun würde
 

Samantha kann deutlich sehen, wie labil sein Verstand in diesem Moment ist und, dass jedes weitere Nachbohren in der Wunde das Fass zum Überlaufen bringen kann. Der Anblick gefällt ihr durchaus. Dieses Gefühl von Macht ist genau das, was sie sich immer gewünscht hat. Plötzlich reißt Bromley aber weit die Augen auf. In seinem mitgenommenen Kopf entstehen auf einmal Bilder, grauenvolle Bilder, die ihm weiß zumachen versuchen, er hätte ihr wirklich schreckliche Dinge angetan. Fassungslos sitzt er da, starrt sie an und zittert unkontrolliert. „Nein…“, flüstert er hilflos. „Du brauchst es gar nicht zu leugnen, du mieses Schwein!“, entgegnet sie ihm vergnügt, ohne zu wissen, was ihn jetzt eigentlich so verschreckt. Es werden immer mehr Bilder, immer furchtbarere, bis ihm fast der Kopf platzt. „Nein!“, presst er erneut hervor. Hilflos kauert er sich zusammen, rauft sich die Haare und beginnt hemmungslos zu weinen. „Nein, bitte! Es tut mir leid…!“, wimmert er und kauert sich immer mehr zusammen. Sein Kopf schmerzt, ihm stockt fast der Atem, sein Herz wummert mit der Gewalt eines Vorschlaghammers gegen seine bebende Brust und sie ergötzt sich an seinem Leid.
 

Ich würde durch all diesen Schmerz gehen

Eine Kugel direkt durch meinen Kopf jagen
 

Dann plötzlich taucht in seinem überforderten Geist das Bild seines Vaters auf. Wütend kommt er immer näher, drohend den verbogenen Golfschläger in der Hand. ‚Bromley, was treibst du denn da?‘, brüllt er ihm zornig entgegen, als wäre er noch ein kleines Kind. Dieser Satz ist für den jungen Mann noch immer wie ein böses Mantra, sodass er ihn im selben Moment laut ausspricht. ‚Du bist ein Nichtsnutz! Ein Schwächling und dafür werde ich dich jetzt bestrafen!‘, verkündet sein Vater, wie all die Jahre seiner traumatischen Kindheit und holt mit dem Golfschläger aus. „Nein! Nein, bitte nich‘…“, wimmert der Käfer-Trainer verzweifelt. „AH!“, schreit er hemmungslos hinaus, als das Dreiereisen brutal auf ihn hernieder saust. Dann ist plötzlich alles schwarz in seinem Kopf und er stürzt in einen bodenlosen Abgrund. Fasziniert beobachtet die Blondine das merkwürdige Schauspiel. Doch, als sein entsetzlicher Schrei die Stille zerreißt, schreckt auch sie zusammen. Ihr wird klar, dass Bromley wohl irgendeine Grenze überschritten hat und nun dringend Hilfe braucht, ehe er daran wohlmöglich noch völlig zu Grunde geht. Doch das ist jetzt überhaupt nicht angebracht, immerhin braucht sie ihn doch noch eine Weile. So etwas wie Sorge durchflutet ihren Körper und sie streicht ihm sanft über den bebenden Rücken.
 

Ich würde für dich sterben, Baby

Doch du würdest nicht Dasselbe tun
 

„Alles wird gut, mein Hübscher. Du hast nichts falsch gemacht.“, versucht sie ihn zu beruhigen. Ganz langsam hebt er den Kopf und blickt sie mit feuchten Augen an. „Was?“, fragt er leise, längst vergessen sind die bösen Worte, die sie ihm entgegen geworfen hat. „Es ist alles in Ordnung, Bromley. Du musst dir keine Vorwürfe machen.“ Ungläubig mustert er sie. „Ich – ich hab‘ dir nich‘ weh getan?“, kommt es hoffnungsvoll von ihm. „Nein, mir geht es gut. Aber, was hast du denn?“ Besorgt wischt sie ihm die feuchten Wangen trocken. „Ich weiß nich‘. - Ich dacht‘, ich hätt‘ dich verletzt und…“, seine Stimme bricht. „Nein, mir fehlt wirklich nichts.“ Liebevoll nimmt sie ihn in die Arme. Zitternd holt er Luft und schmiegt sich an sie. Wenig später ist er an ihrer Brust eingeschlafen, wie ein neu geborener Säugling.
 

Nein, du wirst nicht Dasselbe tun

Du würdest nicht Dasselbe tun
 

Mit einem triumphierenden Gefühl streicht sie durch seine wirren Haare, als würde sie einen treuen Schoßhund streicheln. Ja, ein Schoßhund, genau das ist er! Sie muss ihn nur noch ein bisschen zu ihren Gunsten erziehen und dabei aufpassen, dass sie es nicht ganz so übertreibt, damit er nicht völlig den Verstand verliert. Dann steht der Erfüllung ihres Traumes nichts mehr im Wege! Mit diesem schönen Gedanken fallen auch ihr die Augen zu und sie sinkt wohlbehalten in den Schlaf, während sich die Nacht über der künstlichen Insel ausbreitet, wie ein dunkles Tuch.
 

Oh, du tust niemals Dasselbe

Nein, nein, nein, nein

New home


 

1
 

Zwei weitere Tage vergehen, in denen sich Bromley angestrengt versucht daran zu erinnern, was an dem Nachmittag passiert ist, als Samantha ihn zu sich bestellt hat. Doch es will ihm einfach nicht richtig gelingen. Undeutlich erinnert er sich daran, dass sie eine Weile geredet haben. Worum es dabei genau ging, bekommt er nicht mehr hundertprozentig zusammen. Einzig die grausige Geschichte von diesem perversen Inselkönig hallt noch in seinem Kopf wieder und lässt ein unangenehmes Schaudern über seinen Rücken wandern. Dann nur noch viele Lücken, als hätte er sich die ganze Nacht betrunken und jetzt einen gewaltigen Hangover. Beim Versuch, sich an das restliche Gespräch zu erinnern, schmerzt ihm nur der Kopf, weshalb er es schnell wieder aufgibt. Wenn es wirklich wichtig war, wird er sich schon irgendwann daran erinnern oder, aber Samantha wird es ihm erneut erklären müssen. Darauf ist er allerdings nicht sonderlich scharf, denn irgendwie hat er bei ihr ein seltsam ungutes Gefühl, das er sich nicht richtig erklären kann.
 

Beim Gedanken an sie, kommt eine weitere Erinnerung in dem Weißhaarigen hoch. Er hat mit ihr geschlafen! Oh, ja. Genau das war es. Er war mit ihr im Bett und es war einfach unglaublich! So etwas hat er noch nicht erlebt und dabei hat er sich seit seiner Trennung von Kukui mehr als nur ausgetobt. Nun überkommt seinen Körper ein warmer Schauer und er beißt sich unbewusst auf die Unterlippe, versucht die Erregung zurückzudrängen, die sich an die Oberfläche zu kämpfen versucht. Allerdings gelingt ihm dies kaum. Schließlich wird dieses heiße Prickeln aber durch etwas anderes beinahe gnadenlos erstickt. Nachdem sie miteinander geschlafen haben, ist noch etwas passiert. Aber, was nur? Es ist wie ein tiefes, schwarzes Loch in seinem Geist. Verwundert versucht er es zu ergründen, doch er wird nur mit einem allzu bekannten Schmerz vertrieben. Aber, warum versucht sein Vater ihn mit diesem elenden Golfschläger daran zu hindern, sich daran zu erinnern, was passiert ist? Bromley findet keine Antwort und gibt es irgendwann dann einfach auf.
 

Gerade noch rechtzeitig, wie sich herausstellt, da klopft es auch schon an der Tür und die Blondine betritt sein Zimmer. Sie mustert ihn einen Moment mit einem vollkommen unergründlichen Blick, dann verschwindet er plötzlich und sie lächelt sanft, mit einem Anflug von Sorge. „Stimmt etwas nicht, mein Hübscher?“, fragt sie schließlich. Angestrengt reibt sich der Angesprochene die Schläfen, als hätte er schreckliche Kopfschmerzen, was aber komischerweise nicht der Fall ist. Mit leeren Augen erwidert er ihren Blick und erhebt sich dann schwerfällig vom Bett. „Nee, alles bestens. Musste nur grad an ‘was denken...“, bringt er mit belegter Stimme hervor. „Etwa wieder dein Ex-Freund?“, fragt ihn die Frau mitfühlend. Verwundert sieht der Käfer-Trainer sie etwas entgeistert an. Haben sie neulich etwa auch darüber geredet? Das wäre ja wirklich furchtbar! Doch anscheinend hat sie kein Problem mit dieser Vorstellung, wie es aussieht. Immerhin waren sie dennoch miteinander im Bett. Hatte sie vielleicht versucht ihn zu trösten? Ihrem Blick jetzt nach zu urteilen muss dem schon irgendwie so gewesen sein.
 

Etwas verlegen räuspert sich der junge Mann. „Nee, den versuch‘ ich zu vergessen. Aber...“, setzt er an und kommt doch nicht weiter. Sie tritt an ihn heran und streicht ihm sanft über die Wange, ehe sie ihm einen kleinen Kuss auf die Lippen haucht. „Ist schon gut. So etwas ist sehr schwer und, wenn du es erzwingst, wird es dich erst recht nicht loslassen, mein Lieber. Doch ich denke, ich habe etwas, dass dich ablenken kann. Komm mit, die Arbeit ruft!“, entgegnet sie ihm in einer Mischung aus Forderung und Ausgelassenheit, und wendet sich schon wieder der Tür zu. Irritiert sieht Bromley ihr nach. Langsam fällt ihm dann doch wieder ein, dass sie an dem fraglichen Tag auch über seine Aufgabe hier gesprochen haben und, dass das Ganze etwas mit seinen neuen Klamotten und diesem Inselkönig zu tun hat. Er gibt ein müdes Seufzen von sich. Das alles wird sich schon noch aufklären und zwar ziemlich bald, wie ihm scheint.
 


 

2
 

Wenig später erreichen die beiden die Stelle, an der Bromley die künstliche Insel das erste Mal betreten hat. Zielstrebig wandert Samantha den Anlegesteg entlang. Etwas überrascht stellt der Käfer-Trainer fest, dass hier heute gar kein so geschäftiges Treiben herrscht, wie bei seiner Ankunft. Lediglich zwei dieser weiß gekleideten Leute treten in sein Blickfeld, verschwinden aber schnell wieder, nachdem sie Samantha berichtet haben, dass alle Vorbereitungen abgeschlossen sind und das Schiff fertig zum Auslaufen ist. Die Blondine hat wohl alle anderen weggeschickt, damit nicht auffällt, was hier gespielt werden soll. Und scheinbar werden sie und Bromley zu einer anderen Insel fahren. „Und? Wie findest du es?“, ertönt dann die Stimme der Blondine und reißt ihn aus seinen Gedanken. Als er aufblickt, erhebt sich vor ihm ein Schiff. Allerdings ist es nicht die Yacht, mit der er hierhergekommen ist. Diese hier ist pechschwarz und auf den Seiten und dem Bug prangert das totenschädelähnliche Zeichen, das sich auch auf dem Rücken seiner Jacke befindet – das Logo von Team Skull. Sichtbar klappt dem Weißhaarigen der Mund auf.
 

„Geiler Scheiß! Is‘ das etwa...“, er kann den Satz gar nicht zu Ende führen, so überrascht ist er. „Ganz recht, Herzchen. Das ist deine ganz eigene Skull-Yacht.“, hilft sie ihm kurzerhand aus. Nun werden seine Augen nur noch größer und er betrachtet das Schiff, wie ein kleines Kind den reich geschmückten Weihnachtsbaum. „Danke, Mann! Das is‘ echt nich‘ wa‘...“, bringt er stockend hervor. „Oh, du musst mir nicht danken. Sieh es als eine Art Arbeitsmittel an. Immerhin muss doch dafür Sorge getragen werden, dass du deine Aufgaben auch erfüllen kannst, nicht wahr? Und mit Rumsitzen wirst du das schließlich nicht schaffen.“, lächelt sie ihm liebevoll entgegen. Es hält aber nur einen Moment, dann weicht der Ausdruck der Erkenntnis eines plötzlichen Einfalls. „Du meine Güte! Ich habe ganz vergessen zu fragen, ob du überhaupt ein Schiff steuern kannst...“, fragend sieht sie ihn an und ihr ist anzusehen, wie sehr es ihr missfällt, diese Offensichtlichkeit vergessen zu haben. Vielleicht einfach nur, weil es in Alola üblich ist, mit dem Schiff zu fahren und sie immer jemanden hat, der sie fährt?
 

Er grinst sie breit an, doch als er antwortet, vergeht ihm das Grinsen schnell wieder und er wird trübsinnig. „Yo, kein Ding! Bin schon hundert Mal mit so ‘ner Nussschale rum gefahren. Mein Freund hatte so’n mitleiderregendes Teil, das er auch noch als Yacht bezeichnet hat und da hab‘ ich – oh...“ Er bringt den Satz nicht zu Ende, sondern lässt wehmütig die Schultern hängen. Vor seinem geistigen Auge entstehen die Bilder von Kukui und ihm, wie sie zum ersten Mal allein mit seinem Boot rausgefahren sind. Manuel war zuvor schon oft mit seinen Eltern auf See gewesen und hatte daher eigentlich kein Problem, selbst mit stärkerem Wellengang. Doch Bromley hat so dermaßen Gas gegeben und ist damit halsbrecherisch durch die sich auftürmenden Wellen gebrettert, dass dem Brünetten alle Farbe aus dem gebräunten Gesicht gewichen ist und ihm noch Stunden später unglaublich schlecht war. An sich eine unheimlich lustige Geschichte, zumindest für den Weißhaarigen, der ihn damit noch ewig aufgezogen hat. Doch die Erinnerung an seine einstige große Liebe, lässt sich sein Herz schmerzhaft zusammenziehen, sodass er angestrengt das Gesicht verzieht.
 

Samantha bedenkt ihn mit einem mitfühlenden Blick, innerlich verdreht sie jedoch leicht die Augen, da ihr Bromley’s Ex-Freund langsam aber sicher doch ziemlich auf die Nerven geht, obwohl sie nicht einmal seinen Namen kennt. Dennoch gelingt es diesem miesen Kerl ständig, ihre wundervolle Marionette zu Fall zu bringen und sie damit abermals in ihrem Vorhaben zurückzuwerfen. Dennoch ist sie zuversichtlich, dass sich das rasch ändern wird, wenn er erstmal in seinem neuen Zuhause ist und seine Mitstreiter kennengelernt hat. Dann wird er gar nicht mehr die Zeit dazu haben, an diesen Trottel zu denken! Naja, sie hofft es zumindest. Ansonsten muss sie wohl härtere Saiten aufziehen...
 

„Na dann, Leinen los, Seemann!“, fordert sie ihn auf, statt ihn erneut zu bemitleiden und betritt ungerührt die schwarze Yacht. Der Käfer-Trainer kämpft noch einen Moment mit sich selbst, dann setzt er sich langsam in Bewegung und klemmt sich hinter das Steuerrad. Abwartend hat sich Samantha auf eine der Bänke gesetzt und beobachtet nun, wie Bromley den Motor des Schiffes aufheulen lässt, wie einen geschlagenen Gossenhund und dann sicher den Pier der künstlichen Insel verlässt, als hätte er nie etwas anderes getan. Schweigend nimmt der Weißhaarige Fahrt auf, übertreibt es aber nicht ganz so, da er sich keinen Ärger mit der Blondine einhandeln will, die scheinbar eh nicht mehr so eine gute Laune hat, nachdem ihm wiederholt sein Ex-Freund herausgerutscht ist. Sie akzeptiert diesen Bestandteil seines Lebens scheinbar zwar, doch sonderlich glücklich ist sie damit nicht, was er nur allzu gut nachvollziehen kann. Es ist in letzter Zeit aber auch wirklich penetrant, wie oft ihm Manuel ungewollt im Kopf herumschwirrt oder er über ihn redet, ohne es kontrollieren zu können. Mit einem Knurren schaltet er einen Gang höher.
 

„Wo soll’s ‘n eigentlich hingeh’n?“ „Nach Ula-Ula. Um genau zu sein, nach Po’u. Das ist das verlassene Dorf des Inselkönigs, von dem ich dir neulich erzählt habe. Allerdings würde ich dich bitten, nicht in Malihe City anzulegen, sondern Po’u direkt von hinten anzusteuern. Dort befindet sich ein kleiner, versteckter Pier, den nur dieses Dorf benutzt hat und den auch kaum ein anderer kennt.“ „Aye-Aye, Präsidentin...“, gibt er zurück, wendet gekonnt die schwere Yacht und steuert Richtung Ula-Ula.
 

Es ist ein herrlich sonniger Vormittag, als das schwarze Schiff am Pier von Malihe City vorbeifährt, doch je näher sie dem Dorf Po’u kommen, desto dunkler wird der Himmel. Schwere Wolken hängen bald so tief, dass man das Gefühl hat, sie berühren zu können oder sich zu fragen, ob sie einen jeden Moment auf den Kopf fallen könnten. Das Schiff dringt in die Gewässer Po’us ein und förmlich im selben Augenblick wird es von großen, eisigen Tropfen umfangen, die Bromley fast die Sicht rauben. Unter dem wolkenverhangenen, regnerischen Frühlingshimmel hat die leicht aufgewühlte See die Farbe von mattem Silber, durchzogen von sich kräuselnden, weißen Schaumstrudeln, die aussehen wie die Adern eines Androiden. Dem Käfer-Trainer wird etwas flau im Magen, doch irgendwie hat der stetige Regen auch etwas seltsam Beruhigendes an sich. Er wäscht schlechte Gedanken ebenso fort, wie Tränen und hüllt einen mit einer undurchdringlichen Zärtlichkeit ein, die der Weißhaarige noch nie erlebt hat. Bromley kann innerlich nur den Kopf schütteln, wenn er daran denkt, dass dieses Szenario eigentlich die Enttäuschung und Wut der Schutzpatrone widerspiegeln soll; auf ihn aber so viel Geborgenheit ausübt, wie er sie sein Leben lang nicht erfahren hat...
 


 

3
 

Mit etwas Mühe gelingt es Bromley das Boot doch recht sanft an den kurzen Pier heranzusteuern und dort anzulegen. Als sie von Bord gehen, spannt Samantha einen Schirm auf, um sich vor dem Regen zu schützen. Dem Weißhaarigen macht das recht deprimierende Wetter nicht wirklich etwas aus und, selbst wenn, die Blondine wirkt alles andere, als würde sie ihn mit unter ihren Schirm lassen wollen. Innerlich zuckt er mit den Schultern und betrachtet sich lieber das gewaltige Haus, auf dessen Rückseite sich der Pier befindet. Von hier aus sieht es schon recht eindrucksvoll aus, doch als sie zur Vorderseite gehen, offenbart das Gebäude seinen ganzen, einstigen Stolz. Die zweistöckige Backsteinvilla wirkt mehr als imposant. Die tiefroten Ziegel trotzen dem Regen mit stummer Eleganz, doch der Verfall des verlassenen Bauwerks ist dennoch deutlich zu sehen und wirkt in der Düsternis der Wolken beinahe unheimlich. Etliche Fenster sind eingeschlagen, einzelne Steine aus dem wohlmöglich einmal weißen Mauerwerk gebrochen, doch die Fassade ist inzwischen eher hellgrau; eine kaputte Stelle im Dach nur behelfsmäßig mit einigen Brettern ungeschickt geflickt und die Eingangstür hängt doch etwas schief in ihrem Rahmen.
 

Trotz des vielen Regens hat sich die Natur sehr weit vorgewagt. Als sich Bromley umwendet und das verlassene Dorf mit seinen vernagelten Häusern betrachtet, wird er fast von der üppigen Flora erschlagen. Dicht drängen sich hohe Palmen und üppige Büsche aneinander. Der Rasen ist an einigen Stellen kniehoch und nicht wenige Pflanzen haben die Platten der Gehwege und Straßen regelrecht gesprengt und wachsen in dicken Büscheln daraus hervor. Neben der Villa befindet sich ein Pool, bei dem viele Fliesen heraus gebrochen sind und es grenzt fast an ein Wunder, wie der Käfer-Trainer findet, dass er bei dem Regen nicht schon überläuft. Aber wahrscheinlich hat ein schlauer Mensch irgendwann den Stöpsel gezogen oder er ist schlichtweg kaputt. Undeutlich kann der Weißhaarige erkennen, dass das gesamte Dorf von einer mindestens drei Meter hohen Mauer umgeben ist, die in der Ferne in einem schweren Stahltor endet, das den gesamten Komplex wie eine Festungsstadt oder ein Gefängnis aussehen lässt. Schon während seiner Inselwanderschaft hat er sich gefragt, warum die Bewohner sich so dermaßen von der Außenwelt abschotten, doch inzwischen kennt er den Grund...
 

„Na, was sagst du?“, reißt Samantha ihn schließlich aus seinen Gedanken und er wendet sich ihr überrascht zu. „Is‘ echt heftig, aber besser kann man’s sich wohl kaum wünschen!“, erwidert er ehrlich und folgt ihr dann zur Vordertür. Im Innern wird er fast von all den Eindrücken erschlagen, weshalb er der Blondine einen fast schon eingeschüchterten Blick zuwirft, den sie erstaunlich aufmunternd erwidert. Es vermag die Leere in seinem Leben dennoch nicht zu füllen. Nicht die Lücke, die jener Mann hinterlassen hat, als er ihn vor die Tür gesetzt hat,- dennoch möchte er ihm nicht allein für diese Sache die Verantwortung zuschieben, immerhin hat Burnett ihm ja diesen Floh ins Ohr gesetzt-, sondern das Loch, das schon immer vorhanden war. Jener dunkle, verworrene Strudel, der in seinem tiefsten Innern nie zur Ruhe kommt. Samantha füllt dieses Loch – irgendwie. Sie bringt ihn zum Handeln. Sie macht ihn auf seltsame Weise zu einer imposanten Gestalt.
 

Und dies spürt er nun völlig unbewusst. Etwas sicherer wirft er einen Blick durch die Eingangshalle der Villa. Hier drinnen ist der Verfall weit deutlicher, als draußen, wie ihm sehr schnell auffällt. Überall liegen kaputte Gegenstände herum. Matratzen stapeln sich in förmlich jeder Ecke, genau wie unzählige Kisten. Ein wahres Labyrinth. Der weinrote Teppich, der sich durch die ganze Villa zu ziehen scheint, ist übersät mit undefinierbaren Flecken. Die Scheiben der Fenster sind so trüb, als wären sie noch nie geputzt worden und viele der Holztüren und Möbel sind hoffnungslos bei der hohen Luftfeuchtigkeit hier drinnen aufgequollen oder verzogen. Ein gewaltiger, goldener Kronleuchter ist auf die Treppe zum zweiten Stock gefallen und blockiert damit den Weg auf der rechten Seite völlig, sodass man nur links hinaufgehen kann. Zudem liegen überall Scherben von Scheiben, Geschirr und Vasen herum. Es riecht feucht und muffig und irgendwie nach totem Tier. Seine Käfer-Pokémon werden sich hier definitiv sehr wohl fühlen, sind Reißlaus doch dafür bekannt, gern die Müllabfuhr zu mimen und alles zu fressen, was zu Boden fällt und nur irgendwie verwertbar erscheint.
 

Etliche, teuer aussehende Gemälde hängen auch noch an den Wänden, was Bromley zu dem Schluss kommen lässt, dass die Bewohner doch ziemlich überstützt vertrieben wurden. Zwar haben sie mit dem Packen begonnen, was die vielen Kisten wohl beweisen, doch wirklich etwas mitnehmen durften sie wohl nicht, ehe sie von den Bewohnern Alolas und den Kapus verbannt wurden. Irgendwie schon traurig, doch Bromley empfindet dabei rein gar nichts, sie haben ihre gerechte Strafe bekommen. „Wie du sehen kannst, ist die Villa ein wahres Prachtstück und dürfte dir und deinem Team ausreichend Platz und Möglichkeiten bieten. Viele Dinge funktionieren zwar nicht mehr, doch darum werden wir uns bei Bedarf nach und nach kümmern, damit das Wohnen hier keinem Überlebenskampf gleicht. Strom gibt es allerdings nur noch hier in der Villa. Das rechtliche Dorf, einschließlich dem Pokémon-Center, ist völlig tot und das lässt sich auch nicht mehr ändern, fürchte ich. Das Stromnetz der Villa ist außerdem nicht unbedingt stabil, sodass es gelegentlich zu einigen Aussetzern kommt. Doch das pendelt sich für gewöhnlich nach einer Weile wieder ein.“, berichtet die Blondine mit der Stimme einer erfahrenen Maklerin, die ein völlig runtergekommenes Gebäude als Palast verkaufen will und es auch schafft.
 

Wirklich zuhören tut der Weißhaarige ihr allerdings nicht. Stattdessen versucht er sich auf ein anderes Geräusch zu konzentrieren. Es kommt direkt vom Fuß der großen Treppe und klingt nach leisem Stimmengewirr. Bromley kann zwar nicht ein einziges Wort verstehen, dennoch scheinen es mindestens drei oder vier junge Leute zu sein, Mädchen wie Jungs. Auch die Präsidentin scheint die Stimmen zu hören und merkt, wie abgelenkt ihr Streuner deswegen zu sein scheint. Sie stößt ihm nicht gerade liebevoll die Spitze ihres Schirms in den rechten Fuß und ehe er sich darüber mokieren kann, deutet sie ihm schon an mitzukommen.
 


 

4
 

Wie der Käfer-Trainer es schon richtig vermutet hat, sitzen auf der Treppe tatsächlich zwei Mädchen und zwei Jungs und unterhalten sich gedämpft miteinander. Sie bemerken die Anwesenheit der beiden Ankömmlinge gar nicht. Dies gibt Bromley die Möglichkeit, sie etwas genauer in Augenschein zu nehmen, während sich Samantha einen Moment abwendet, um zu telefonieren. Die vier Teenager wirken noch recht jung, sind kaum älter als siebzehn oder achtzehn. Die beiden Mädchen haben pink gefärbte, schulterlange Haare und gleichen sich so fast wie Zwillinge. Sie tragen ein hautenges, schwarzes Tank-Top, auf dem sich auf Höhe des Bauches zwei weiße Streife kreuzen. Dazu haben sie weiße, ausgefranste Hot-Pants an, die so dermaßen kurz und enganliegend sind, dass Mann Mühe hat, überhaupt noch eine Fantasie zu entwickeln, die einem nicht schon direkt vor die Nase gehalten wird. Unweigerlich fragt sich der Weißhaarige, ob darunter überhaupt noch Platz für ein Höschen ist und ob sie dergleichen anhaben oder nicht. Der aufreizende Anblick wird noch von einem schwarzweißen Strumpfband gekrönt, das sie um einen Oberschenkel tragen.
 

Ihr Anblick bringt einen also regelrecht um den Verstand. Vielleicht liegt darin sogar die Absicht? Bromley ist es einerlei, auch wenn ihn die Aufmachung nicht unbedingt kalt lässt. Um den Hals tragen die beiden dieselbe Kette, wie der Käfer-Trainer, nur das sie nicht goldfarben, sondern silbern ist und die Glieder aus kleinen Perlen bestehen. Ihre Köpfe sind gekrönt von einer weißen Mütze, die zwei schwarze Flecken hat. Zusammen ergibt sich hier wieder die Anlehnung an einen Totenschädel, zumindest dessen Augenhöhlen. Aber das wohl Auffälligste an dem Äußeren der Mädchen ist wohl das schwarze Tuch mit einem weißen Absatz an der oberen Kante, das Mund und Nase verdeckt. Bei genauerer Betrachtung fällt dem Weißhaarigen auf, dass das Tuch mit der Mütze harmoniert. Durch die weißen Absätze auf dem schwarzen Stoff entsteht der Anschein von Zähnen und damit würde sich der Schein des Totenschädels der Mütze vervollständigen. Eine wirklich clevere Idee, wie er zugeben muss und außerdem verschleiert die ganze Aufmachung auch noch die wahre Identität der Mädchen, da sie auf den ersten Blick vollkommen gleich aussehen.
 

Bei den zwei Jungs sieht es ganz ähnlich aus. Sie tragen dasselbe Tank-Top, wie ihre weiblichen Mitstreiter, nur das es bei ihnen weit ausladend sitzt und nicht enganliegend. Sie haben ebenfalls die gleiche Mütze und den Mundschutz, so wie die silberne Kette. Allerdings tragen sie keine weißen Hot-Pants, sondern weite, schwarze sieben-achtel Hosen, an deren Seite dasselbe weiße Zickzackmuster verläuft, wie an den Ärmeln von Bromley’s Jacke. Glücklicherweise sind ihre Haare auch nicht pink gefärbt, sondern blau und kurzgeschnitten, sodass nur ein wenig davon an den Seiten der Mütze hervorschaut. Alle vier tragen aber die gleichen weißen Turnschuhe.
 

Es dauert noch einen Augenblick, dann bemerken die vier, dass sie nicht mehr allein sind und blicken den Käfer-Trainer überrascht an, mustern ihn von oben bis unten genau. In ihren Gesichtern – so viel man davon noch sehen kann – entdeckt der Weißhaarige jedoch keine Abneigung oder ähnliches, sondern nur Neugierde und Erwartung. Gerade, als einer der Jungs zu einem halbherzigen Gruß ansetzen will, ertönt jedoch ein nachdrückliches Geräusch, das sie alle leicht zusammenzucken lässt. Samantha ist scheinbar mit ihrem Telefonat fertig und hat nun laut in die Hände geklatscht, um die Aufmerksamkeit der anderen zu bekommen. Verwundert wenden ihr die fünf jungen Leute das Gesicht zu.
 

„Schluss jetzt mit dem faulen Rumgesitze! Ich habe euch euren zukünftigen Boss mitgebracht, der ab jetzt das Team anführen wird. Also erwarte ich, dass ihr seinen Anweisungen folgt und mir keine Schande bereitet. Ich hoffe, wir haben uns da verstanden?“, mahnend betrachtet sie die vier Jugendlichen und wirft dann auch einen Blick zu Bromley hinüber. Keiner von ihnen scheint ein Problem zu haben, weshalb sie ihre Ansage fortführt. „Ok, ihr Rüpel. Macht euch mal nützlich! Die Yacht hinter der Villa ist randvoll mit Sachen für euch, also ladet alles aus. Als erstes bringt ihr davon aber das goldfarbene Motorrad auf den Platz vor die Villa. Ich will nicht länger, als nötig hier sein, also beeilt euch gefälligst!“, weist sie die Teenager streng an. Diese geben ein leises, aber missgünstiges Murmeln von sich und trollen sich dann nicht gerade eilig nach draußen, um ihrer Aufforderung nachzukommen.
 

„Mann, scheint ja so, als wärste echt fleißig gewesen...“, staunt der Weißhaarige nicht schlecht über das alles. Selbstzufrieden lächelt die Blondine. „Ich habe das Nötigste schnell erledigt, wenn man so will. Doch die Hauptarbeit liegt dennoch bei dir und deinen Rüpeln.“ „Yo, wo komm‘ die Kids eigentlich her?“, fragt er sie etwas irritiert. „Überall und nirgendwo. Ähnlich wie du, sind sie kleine Streuner, die nichts zu Stande gebracht, von zu Hause ausgerissen oder einfach aufgegeben haben, weil ihnen das Leben nicht sonderlich gut mitgespielt hat. Sie sind kleine Rebellen, die sich von den Bewohnern Alolas losgesagt haben und nach ihren eigenen Regeln handeln wollen, mit dem Zweck, möglichst viel Chaos anzurichten und ihr Missfallen auf die Gesellschaft, die sie im Stich gelassen hat, Ausdruck zu verleihen. Kurz gesagt, ganz im Sinne des ursprünglichen Team Skull. Dennoch musst du streng mit ihnen sein, damit nicht alles aus dem Ruder läuft und ihre Tölpelhaftigkeit nicht meinen ganzen Plan kaputtmacht. Das fällt sonst nämlich alles auf dich zurück und den Ärger willst du lieber nicht haben, mein Hübscher!“, erläutert sie nachdrücklich. Stumm nickt der Weißhaarige, auch wenn er sich noch nicht so sicher ist, wie er diese Teenager anleiten soll. Aber ihm wird sicher etwas einfallen...
 


 

5
 

Kurz darauf verlässt er gemeinsam mit Samantha wieder die Villa. Wie von ihr gewünscht, haben die Rüpel in der Zwischenzeit dort das Motorrad abgestellt und verdrücken sich jetzt wieder um die Hausecke, um den Rest aus der Yacht zu räumen. Der Käfer-Trainer gibt derweilen ein beeindrucktes Pfeifen von sich, als er das Bike betrachtet. Dabei handelt es sich ganz unzweifelhaft um ein Suzuka GSX-R 6000 Custom Bike. Der Hinterreifen ist hierbei mehr als doppelt so breit, wie der vordere. Links und rechts auf dem Tank und über dem vorderen Scheinwerfer prangert das Skull-Logo in blutroter Farbe und hinter dem Sitz klemmt eine kurze Fahnenstange, auf deren Stoffstück ebenfalls der Totenschädel sitzt – fast wie bei einer Piratenflagge. Das Ganze harmoniert erstaunlich gut mit der gold-schwarzen Lackierung des Bikes und lässt es irgendwie bedrohlich wirken. „Ein schönes Stück, nicht wahr?“, merkt die Blondine unter ihrem Schirm hervor an. „Auf jeden...“, ist alles, was der Weißhaarige erwidern kann.
 

In Alola gibt es zwar einige wenige Autos, sie werden aber so gut wie nie benutzt, um die Natur nicht zu zerstören, die Pokémon nicht zu belästigen oder wohlmöglich einen Unfall mit einem zu haben. Motorräder gibt es hier aber nicht, da sie oftmals viel zu laut sind und weit gefährlicher, als ein Auto. Außerdem gibt es in der ganzen Region nicht eine einzige Tankstelle, weshalb man alternative Brennstoffe heranziehen muss, wenn man unbedingt fahren will. „Hab‘ gar nich‘ gewusst, dass es hier so’ne geilen Bikes gibt...“, entkommt es dem jungen Mann dann schließlich doch, während er das Motorrad langsam zum Eingang des Dorfes schiebt. Samantha läuft neben ihm her und kichert leicht bei seiner Bemerkung. „Die gibt es hier auch nicht. Ich habe sie speziell bauen und einschiffen lassen. Diese aufgemotzten Dinger werden die Leute sicher sehr schnell aufwecken und dann weiß bald jeder, dass ihr Ärger bedeutet.“
 

„Soll das etwa heißen, das is‘ für mich?“, klappt dem Käfer-Trainer der Kiefer herunter. „Das heißt es und für jeden deiner Rüpel gibt es auch eines, mein Lieber.“ „Scheiße Mann! Für das alles kann ich mich doch unmöglich jemals revanchieren...“, bricht es etwas fassungslos aus ihm heraus. Wieder kichert sie, hell und klar, wie ein junges Schulmädchen. „Mach dir darüber mal keine Gedanken. Ich finde schon einen Weg, damit wir quitt sind.“ Bromley mustert sie aufmerksam, doch er kann beim besten Willen nicht sagen, was sie damit meinen und, was noch alles auf ihn zukommen könnte. Schweigend verlassen sie Po’u nach einer Weile und finden sich auf der Route siebzehn wieder. In der Ferne kann man zerklüftete Felsformationen erkennen, die fast bis an die Straße heranreichen und ein stufenartiges Plateau bilden. Durch den unaufhörlichen Regen wirkt die Route beinahe erdrückend und irgendwie unheimlich, so ganz im Schatten der dunklen Wolken. Es gibt zwar einige Laternen, die die Straße säumen, doch die meisten davon sind kaputt und tot.
 

Bromley stellt die Suzuka vor dem Tor des Dorfes ab und sieht Samantha dann etwas unschlüssig an. So ganz kann er das alles noch nicht begreifen. Noch vor einer Woche hat er draußen in der Wildnis Alolas geschlafen und versucht, sich und seine Pokémon ohne Geld irgendwie über Wasser zu halten. Er hatte einfach nichts und dann begegnet er dieser atemberaubenden Frau und alles ändert sich förmlich über Nacht. Jetzt steht er hier im Regen, hat eine Villa, ein Motorrad und ist der Anführer einer Truppe durchgeknallter Halbstarker. Das muss man erst einmal verdauen. Ganz hinten in seinem Kopf beginnt er sich ungewollt zu fragen, wie es Manuel wohl gerade ergeht. Ob er glücklich mit seiner Entscheidung und seiner Ehe ist oder, ob er sich manchmal vor Sehnsucht in den Schlaf weint, so wie es der Käfer-Trainer monatelange getan hat. Mit einem unterdrückten Knurren verdrängt er den Gedanken an seinen einstigen Liebhaber schnell wieder. So etwas kann er jetzt nun wirklich nicht gebrauchen, er hat wichtigere Dinge zu erledigen.
 

Abwartend mustert ihn die Blondine, doch schließlich wird es ihr zu viel und sie unterbricht seine Gedankengänge. „Wie lange lässt du mich hier eigentlich noch im Regen stehen?“, fragt sie ihn angesäuert. Überrascht blinzelt der Weißhaarige sie an. „Was’n?“ „Denkst du etwa, ich will hier den ganzen Tag so rumstehen und zusehen, wie meine Schuhe ruiniert werden, von meinen Sachen ganz zu schweigen? Also fahr mich endlich zum Pier von Malihe City, damit ich zurück nach Hause komme!“, fährt sie ihn grob an. Leicht zuckt Bromley unter ihren strengen Worten zusammen. „Dir is‘ aber schon klar, dass ich noch nie mit so ‘nem Ding gefahr’n bin, ne?“, meldet er sich dennoch etwas kleinlaut zu Wort. Sie zuckt aber nur mit den Schultern. „Das ist nicht schwer. Es ist fast wie Fahrrad fahren, also stell dich nicht so an und mach schon!“ Für einen kurzen Moment überlegt der junge Mann, ob er ihr sagen soll, dass er nicht zu den glücklichen Kindern gehörte, die ein Fahrrad hatten, verwirft es aber schnell wieder.
 

In ihren kalten, grünen Augen spiegelt sich etwas wieder, dass ihm einen unangenehmen Schauer über den Rücken jagt, weshalb es wohl keine so gute Idee wäre, ihr zu widersprechen. Also atmet er tief durch und schwingt sich auf das Bike. Ein seltsames Gefühl, diesen harten Ledersitz zwischen den Schenkeln zu spüren, doch absolut nicht unangenehm. Mit einem kurzen Blick findet er den Anlasser und startet die Suzuka. Plötzlich und für ihn völlig unvermittelt, erwacht der hundertzwanzig PS starke Motor heulend zum Leben und versetzt dabei die ganze Maschine in eine immer wärmer werdende, endlose Vibration. Überrascht holt Bromley ruckartig Luft, stößt sie dann seufzend wieder aus und beißt sich anschließend erregt auf die Unterlippe. Er schluckt schwer. So etwas hat er nun wirklich nicht erwartet. Es ist einfach unglaublich und für einen Moment vergisst er alles um sich herum und taucht tiefer in dieses fremde Gefühl ein, das über ihn hinwegschwappt, wie ein endloser Orgasmus.
 

Samantha findet das aber keines Falls lustig und stößt ihm daher hart mit dem Griff ihres Schirms in den Rücken. Schlagartig befindet sich der Weißhaarige wieder in der Wirklichkeit und blickt sie ertappt, wie ein geprügelter Hund an. „Was soll denn das werden? Jetzt mach endlich!“, giftet sie ihn so harsch an, dass er sich fragt, wie sie überhaupt jemals so nett sein konnte, wie sie sich gern gibt. Allerdings sieht er nicht unbedingt ein, sich von ihr einfach alles verderben zu lassen, wo es doch ein so traumhaftes Gefühl ist. „Jetz‘ mach aber ma‘ ‘n Punkt, Püppchen und lass mir ‘ne verdammte Minute, klar?“, gibt er trotzig zurück und funkelt sie herausfordernd an. Er hat den Satz kaum beendet, da verpasst sie ihm auch schon eine schallende Ohrfeige, die seinen Kopf zur Seite wirft und ihn für einen Moment Sterne sehen lässt. „Ich hatte dir ausdrücklich untersagt, mich so zu nennen! Und jetzt ist Schluss mit diesen Spielchen! Wenn du mich nicht auf der Stelle zum Pier bringst, kannst du was erleben, Freundchen!“, faucht sie wie eine Wildkatze und ihre Augen scheinen dabei regelrecht Funken zu sprühen.
 

Ganz unbewusst gleitet Bromley’s Hand hinauf zu seiner Wange und betastet dort die heiße, pochende Stelle. Für eine Sekunde bleibt noch der trotzige Ausdruck in seinem Gesicht, verstärkt sich sogar noch, und am liebsten würde er sie jetzt erwürgen, weil sie ihn hier so vorführt, als wäre er noch ein unartiger Fünfjähriger und kein erwachsener Mann von einundzwanzig. Dann jedoch schlägt er schuldbewusst und kindlich die Augen nieder und murmelt eine Entschuldigung, während sich seine warme Erregung so schlagartig verflüchtigt, als hätte sie sie eigenhändig umgebracht. Er weiß selbst nicht so genau, warum er sich jetzt so schlecht fühlt. Die Wut in ihm ist verschwunden und irgendwie kommt ihm der Gedanke, dass Samantha entfernt Ähnlichkeit mit seinem Vater hat, herrisch und dominant, und das schüchtert ihn auf merkwürdige Weise ein, ganz ohne, dass er sich dagegen zu Wehr setzen kann. Also rückt er auf dem Sitz ein Stück nach vorn, damit sie ausreichend Platz hat und wartet dann, dass sie sich hinsetzt.
 

Das macht sie auch wortlos und legt dabei eine Hand um seine Brust, damit sie sich festhalten kann. In der anderen hält sie weiterhin den Schirm. „Ähm, willste nich‘ ‘n Helm aufsetzen?“, fragt er sie etwas vorsichtig. Plötzlich spürt er jedoch ihre Nägel, die sich in seine Haut graben, bis es schmerzt. „Oh nein! Der ruiniert mir nur die Frisur. Also fahr gefälligst vernünftig, damit der Schirm nicht umschlägt!“, weist sie ihn nachdrücklich an. Grimmig verzieht der Käfer-Trainer das Gesicht, sagt jedoch nichts. Stattdessen kickt er den Ständer der Suzuka hoch, lässt den Motor noch einmal ohrenbetäubend aufheulen, betätigt dann die Kupplung und gibt vorsichtig Gas. Das Bike schwankt einen Augenblick bedenklich, doch es fängt sich wieder, ehe Samantha abermals ihre Fingernägel in sein Fleisch drücken kann.
 

Erleichtert atmet Bromley durch und bahnt sich unter lautem Röhren des Motors einen Weg die Route siebzehn entlang. Kurz nachdem sie das Dorf hinter sich gelassen haben, taucht ein Haus am Straßenrand auf. Dabei handelt es sich aber nicht um ein Wohnhaus, wie der Weißhaarige schnell feststellt, sondern um eine alte Polizeiwache. Sie wirkt fast genauso mitgenommen, wie die Villa von Po’u. Die Tür steht offen und ein ältlicher Mann sitzt auf einem Stuhl unter der Zarge, um nicht nass zu werden. Auf seinem Schoß liegt schlafend ein Mauzi, dem er bedächtig über den Rücken streicht, wie ein Ganove in einem schlechten Agentenfilm. Dabei mustert er Bromley und Samantha ganz genau, als sie an ihm vorbeifahren, sagt jedoch kein Wort. Er wirkt müde und abgeschlafft, trägt allerdings auch keine Uniform, wohl aber das Polizeiabzeichen am Ärmel seiner Weste.
 

„Wer is‘ ‘n das?“, fragt Bromley die Blondine. „Mach dir darüber mal keine Gedanken. Das ist nur der alte Yasu.“, meint sie schulterzuckend. „Is‘ er ‘n Bulle?“ „Das war er früher mal, doch jetzt ist er seit ein paar Jahren im Ruhestand und nur noch bei größeren Notfällen zu Gange. Dennoch hat er es sich zur Aufgabe gemacht, über Po’u zu wachen, damit sich dort niemand unbefugt Zugang verschafft. Aber er wird euch keine Schwierigkeiten machen, solange ihr ihm nicht auf die Nerven geht. Er ist ziemlich gleichgültig, weil er zudem auch noch der Inselkönig von Ula-Ula ist, worauf er überhaupt keine Lust hat. Doch der Schutzpatron hat ihn dazu gezwungen, nachdem die Bewohner von Po’u vertrieben worden sind und dem kann er sich nicht widersetzen. Was aber nicht heißt, dass er sich sonderlich dafür angegiert. Er sitzt eigentlich nur hier rum und vertreibt sich die Zeit mit seinen Mauzis. Ziemlich wunderlicher Kerl, wenn du mich fragst.“, erläutert sie ihm und wirkt dabei ganz so, als hätte sie sich überhaupt nicht über Bromley aufregen müssen. Unweigerlich fragt sich der junge Mann, wie wunderlich dieser Yasu sein muss, wenn diese ausgeflippt Blondine ihn schon so bezeichnet. Doch vorstellen will er es sich beim besten Willen nicht...
 


 

6
 

Nachdem der Weißhaarige Samantha am Pier von Malihe City abgesetzt hat, fährt er wieder zurück nach Po’u. Als er in die beständigen Regenwolken der Route siebzehn eintaucht und von der nahezu erdrückenden Melancholie der verlassenen Umgebung eingenommen wird, bemerkt er, dass Yasu noch immer auf seinem Platz sitzt. Obwohl Bromley gut zwei Stunden unterwegs war, sich inzwischen langsam der Abend neigt und es um einige Grad kühler geworden ist, die den Regen nahezu penetrant machen, hat sich der ehemalige Polizist nicht einen Zentimeter bewegt und auch das Mauzi auf seinem Schoß schläft noch immer ungerührt. Der leere, fast schon teilnahmslose Blick des Grauhaarigen beschert ihm einen unangenehmen Schauer, der seinen Rücken hinabkriecht und den kalten Regen dabei wie eine sanfte Dusche wirken lässt. Unweigerlich schüttelt sich der Käfer-Trainer, was Yasu immerhin dazu bewegt, fragend eine Augenbraue zu heben, als die laute Maschine an ihm vorbeifährt.
 

„Was glotzte denn so blöd, Alter?“, giftet der Größere ihn scharf über den Motorenlärm hinweg an, doch der Angesprochene blinzelt nicht einmal. Er wirkt wie eine überdimensionale, gruselige Puppe – die Art von Puppe, die aufsteht und dich umbringt, wenn du ihr den Rücken zukehrst... Dieser Gedanke beschert Bromley einen erneuten eiskalten Schauer und so beschleunigt er das Bike noch etwas, um möglichst schnell von diesem unheimlichen Typen wegzukommen. Yasu blickt ihm müde und desinteressiert hinterher. Das Mauzi auf seinem Schoss ist allerdings vom Lärm der Suzuka wach geworden und sieht sich etwas verwirrt um. Langsam, beinahe mechanisch streicht der alte Mann ihm durchs graue Fell. „Mit der Ruhe ist es jetzt wohl vorbei, denke ich...“, teilt er dem Pokémon tief seufzend mit. Dieses gähnt herzhaft und rollt sich wieder auf seinem Platz zusammen. Der ehemalige Polizist lässt den Blick Richtung Po’u schweifen, wo Bromley gerade hinter dem großen Tor verschwindet. „Mal sehen, was daraus wird...“, gibt Yasu nach einer längeren Pause von sich. Sein Gesicht ist immer noch vollkommen ausdruckslos und gelangweilt, doch durch seine Augen huscht ein wilder Funke, der seine einstige Begeisterung für seinen früheren Job widerspiegelt und ihn auf seltsame Weise bedrohlich aussehen lässt... Einmal Polizist, immer Polizist, wie es so schön heißt.
 


 

7
 

Der Käfer-Trainer ist jedoch heilfroh, den alten Knacker nicht mehr sehen zu müssen. Allerdings gestaltet sich der Anblick in der Villa auch nicht so viel besser. Etwas verwundert bleibt er im Foyer stehen und betrachtet die vier Teenager, die nun seine sogenannten Rüpel sind. Sowohl die zwei Jungs, als auch die beiden Mädchen wirken betrübt und müde. Zudem hat jeder von ihnen eine Flasche Bier in der Hand. Auf dem Boden liegen auch schon einige leere Flaschen und die Bande wirkt daher etwas angetrunken. „Was’n hier los?“, fragt er sie also. Überrascht sehen sie auf und ein Lächeln gleitet über ihre Gesichter hinweg. Ihr Mundschutz hängt nun ungeachtet um ihren Hals und lässt sie so ein bisschen wie Gauner in einem alten Western aussehen. „Yo, der Boss is‘ wieder da!“, flötet der eine Junge begeistert und die anderen grüßen ihn ebenfalls und heben ihre Flaschen.
 

Leicht verlegen kratzt sich der Weißhaarige am Hinterkopf. „Könnt ihr mich nich‘ Bromley nenn‘?“, gibt er etwas überfordert zurück. So angesprochen zu werden, ist er einfach nicht gewöhnt. „Geht nich‘. Man spricht seinen Boss nich‘ mit’m Vornamen an. Das is‘ respektlos.“, entgegnet ihm eines der Mädchen ziemlich ernst. Innerlich fängt der Ältere an zu lachen. Schon witzig ausgerechnet von so einem dahergelaufenen Haufen Halbstarker eine Belehrung in Sachen Respekt zu bekommen, obwohl er schwören könnte, dass die vier das Wort nicht einmal fehlerfrei schreiben können. Äußerlich grinst er leicht schief und zuckt die Schultern. „Wenn’s sein muss. – Aber vielleicht könnt ihr mir ja eure Namen sagen, dann muss ich euch nich‘ Rüpel nenn‘, so wie die Präsidentin?“, versucht es Bromley erneut.
 

„Die meinte, wa‘ soll’n uns nur mit ‘nem Anfangsbuchstaben oder so anreden, damit es keiner mitkriegt.“, meint der zweite Junge. „Yo, genau. Irgendwann sind wa‘ eh zu viele. So was kann sich ja keiner merken.“, ergänzt das erste Mädchen. „Also sind die Jungs A und B und wa‘ sind R und S.“, setzt das zweite Mädchen fort. Bromley seufzt tief und kratzt sich wieder am Kopf. „Oh Mann, ok. – Noch sind wa‘ aber nur fünf, also kann’s wohl kaum so schwer sein, sich eure Namen zu merken. Auf der Straße könn‘ wa‘ das ja dann anders machen. Also?“, versucht es der Käfer-Trainer etwas nachdrücklicher. Die vier sehen sich etwas unschlüssig an und zucken dann mit den Schultern. „Yo, von mir aus. Dann sind wa‘ halt Aaron, Bryan, Rose und Sonja.“, kommt es vom Jungen auf der rechten Seite, der sich als Aaron vorstellt. „Na, seht ihr. So schwer war’s doch nich‘. Und, warum sitzt ihr hier so rum und betrinkt euch?“, will der frisch ernannte Boss nun wissen.
 

„Weil wa‘ Hunger ham und nichts zu essen da is‘...“, kommt es niedergeschlagen von Sonja. Verwundert legt Bromley die Stirn in Falten. „Wie jetz‘? Die Yacht wa‘ doch bis unters Dach voll mit Essen und so ‘nem Zeugs, oder nich‘?“ „Schon, aber das sind alles nur so Dosen mit Gemüse und so’n Zeug und nichts fertiges, checkstes?“, erwidert Bryan seufzend, als wäre das ein wirklich unlösbares Problem, vor dem sie stehen würden. „Is‘ doch klar, weil’s hier noch keinen Kühlschrank gibt. Aber, warum kocht ihr euch denn dann nichts?“ Fast schon entgeistert blicken ihn die vier an. „Weil wir’s nich‘ könn‘...“, meint Rose, ganz so, als wäre es offensichtlich. „Echt nich‘?“ Bromley versteht gar nichts mehr. „Ich hab‘ ma‘ versucht gebratenen Reis zu machen, aber das ging gründlich in die Hose...“, gesteht Aaron kleinlaut. „Ich kann nur Spiegeleier machen, aber wa‘ ham keine Eier...“, setzt Bryan die Reihe fort.
 

„Ich kann nur Tee kochen, dass dafür aber ganz gut.“, meint Rose weiter. „Und ich kann’s überhaupt nich‘...“, endet Sonja. „Was bisten du für’n Mädchen, wenn du nich‘ ma‘ deinem Stecher ‘was kochen kannst?“, fährt Bryan sie plötzlich an, ehe Bromley etwas sagen kann. „Eins, das nich‘ auf Typen steht, du Arschloch!“, kommt es beleidigt von ihr zurück. Dem Blauhaarigen entgleiten die Gesichtszüge. „Du bist ‘ne verdammte Lesbe? Nich‘ dein Ernst? Reicht’s denn nich‘ schon, dass ich mit der Schwuchtel hier hausen darf? Is‘ denn hier niemand normal, verflucht?“ Bryan hat den Satz kaum beendet, da rammt ihm Aaron auch schon hart den Ellenbogen in die Rippen. „Nu langt’s aber! Ich bin keine Schwuchtel, sondern bi und das hat dich die ganze Zeit noch nich‘ gestört, also spiel dich jetz‘ nich‘ so auf, als müssten wa‘ uns ein Bett teilen!“, pikiert sich Aaron und verschränkt wütend die Arme vor der Brust.
 

„Yo Mann! Stört mich doch auch nich‘, solang ich da noch ‘n Ausgleich hab‘, wenn du mir ständig auf den Hintern starrst.“, versucht sich Bryan zu verteidigen. „Ich starr dir ganz sicher nich‘ auf den Hintern. So toll is‘ der nämlich nich‘ und Sonja hat ganz recht, du bist ‘n homophobes Arschloch!“, schmollend dreht sich Aaron von ihm weg. Bryan verdreht nur die Augen. „Is‘ doch nich‘ wa‘. – Yo Rose, was’n mit dir?“, fragt er stattdessen, mit einem kleinen Anflug von Hoffnung. „Ich bin normal, wie du’s so toll ausdrückst. Doch ich steh nich‘ auf so Typen wie dich, Arschloch!“, erwidert sie keck und streckt ihm die Zunge raus. Angefressen wendet sich der Blauhaarige ab und nippt lieber an seinem Bier. Belustigt hat Bromley das ganze Spektakel betrachtet und versucht sich jetzt das Lachen zu verkneifen. Diese Kids haben echt Probleme, wirklich süß. Doch irgendwie ist er ganz froh, dass er nicht der Einzige ist, der das andere Ufer betreten hat. Auch, wenn es ihm etwas Sorgen bereitet, dass Bryan so eine Abneigung dagegen zu haben scheint, selbst wenn er es nicht so ganz offen zugeben will.
 

Mit dieser Erkenntnis kommt auch gleich wieder eine Erinnerung an sein früheres Leben zum Tragen und er verdrängt sie nachdrücklich, ehe sich ein Bild seines einstigen Geliebten völlig ausformen kann. „Yo Leute! Beruhigt euch ma‘ wieder. Wir finden ‘ne Lösung. Ich koch uns ‘was, ok?“, wirft der Käfer-Trainer schließlich ein. Erneut blicken ihn die vier vollkommen entgeistert an. „Sag bloß, du kannst so was?“, stammelt Aaron. „Und ob ich’s kann. Meine Mutter hat’s nich‘ so mit dem Kochen gehabt. Hatte andere Sorgen. Also hab‘ ich’s mir selbst irgendwie beigebracht. Und, als ich dann mit meinem...“, er bringt den Satz nicht zu Ende, sondern stockt kurz. Nach der hitzigen Diskussion der Rüpel über die Vorlieben eines jeden, will Bromley ihnen nicht gleich auf die Nase binden, dass er mit einem Kerl zusammengelebt hat. „Was haste denn, Boss?“, fragt Rose leicht besorgt. „Nichts! Ich meinte nur, ich hab‘ ‘nen paar Jahre mit jemandem zusammengelebt und hab‘ da auch immer gekocht, weil die Person das so überhaupt nich‘ konnt‘, weiter nichts. Also kommt jetz‘ mit in die Küche, wenn ‘ner nich‘ verhungern wollt.“, rettet er sich noch mal und wendet sich um. Noch etwas verwundert erheben sich die Teenager und folgen ihm dann.
 


 

8
 

Gekonnt wirft der Weißhaarige einen Blick in die gut gefüllte Speisekammer. Ein wenig überrascht es ihn dabei schon, wie ordentlich und nahezu gewissenhaft die Rüpel die Unmengen an Konservendosen, Flaschen, Schachteln und andere Sachen in die Regale eingeräumt haben. Alles ist nach dem Inhalt sortiert und fein säuberlich aufgereiht. Er selbst hätte es wohl kaum besser machen können. Im Geiste spricht er den vieren daher ein Lob aus, doch es dringt nicht nach außen, da er viel zu sehr damit beschäftigt ist, die unterschiedlichen Sachen zu etwas Sinnvollem zu verbinden. Die Auswahl ist jedoch beachtlich, sodass es ihm ziemlich schwerfällt, sich für ein Gericht zu entscheiden. Dann fällt ihm allerdings wieder ein, dass er hier der Einzige ist, der richtig kochen kann. Folglich wäre etwas Einfaches die beste Lösung, um die vier auch mit einzubeziehen und so eine Art Bindung zu ihnen aufzubauen. Nach dieser Erkenntnis überfliegt er noch einmal die bunten Etiketten und greift dann nach den entsprechenden Sachen, die er den Rüpeln wortlos in die Hände drückt. Diese wirken mit alledem immer noch ziemlich überfordert und scheinen sich beim besten Willen keinen Reim auf das machen zu können, was ihr Boss ihnen dort gibt.
 

Kurz darauf betreten sie alle die Küche. Sie ist ziemlich geräumig, allerdings herrscht auch das reinste Chaos und die jahrelange Vernachlässigung ist mehr als deutlich. Überall liegen Töpfe, Pfannen, Geschirr und Bestecke verstreut. Teilweise hoffnungslos verrostet, in tausende Scherben zerbrochen oder buntschillernd mit Schimmel überzogen. Zentimeterdicker Staub türmt sich auf den Arbeitsflächen und dem Elektroherd. Die zwei Fenster im Raum sind so dick mit Schmutz und Fett verschmiert, dass man nicht einmal ohne den stetigen Regen sagen könnte, ob jetzt Tag oder Nacht herrscht. Dem Boden geht es nicht viel besser, weshalb die Schuhe der fünf bei jedem Schritt eine Art schmatzendes Geräusch erzeugen, wenn sie sich widerwillig vom klebrigen Grund lösen. Ein kurzer Tisch liegt seitlich auf dem Boden, doch immerhin hat er noch alle vier Beine. Ein kleines Lächeln huscht über das blasse Gesicht des Käfer-Trainers. Es ist schon so lange her, dass er das letzte Mal in einer Küche gestanden und gekocht hat, da kümmert ihn der Schmutz und die Unordnung kein bisschen. Außerdem war er noch nie von der ordentlichen Sorte, weshalb es ihn erst recht nicht kümmert. Nur wo Chaos herrscht, sieht man, dass gearbeitet wird, ist da das Motto. Den Rüpeln scheint es ähnlich zu gehen, rümpfen sie bei dem Anblick doch nicht einmal die Nase.
 

Hoch motiviert ergreift Bromley den Tisch und stellt ihn wieder auf die Füße. Kurz testet er, wie stabil das Ganze noch ist und deutet den Teenagern dann an, die ganzen Sachen darauf abzustellen. Erwartungsvoll blicken ihn die vier an. „Ich denk‘, wa‘ fangen mit ‘was Einfachem an und mach’n Chili. Da müssen wa‘ eigentlich nur alles in ‘nen Topf werfen und kochen.“, erläutert er ihnen, doch die Überforderung steht den Jüngeren buchstäblich ins Gesicht geschrieben, können sie sich wohl nicht vorstellen, dass es wirklich so einfach ist. Und natürlich gehört noch ein wenig mehr dazu, aber das muss er ihnen ja nicht sagen. In einem Schrank findet Bromley immerhin zwei große Töpfe, die nicht verrostet und doch ziemlich sauber sind und stellt sie auf den Herd. Mit etwas, das wohl mal ein Handtuch gewesen sein mag, wischt er sie einmal aus und putzt auch kurz über die Kochfelder. Er will die ganze Bude hier schließlich nicht in Brand stecken, weil das Zeug darauf Feuer fängt, wenn er die Flammen einschaltet – falls sie überhaupt noch funktionieren.
 

Während er versucht den Herd zur Arbeit zu überreden, öffnen die Rüpel die verschiedenen Dosen und lassen das Gemüse über dem Spülbecken abtropfen. „Ähm, Boss? Macht man Chili nich‘ eigentlich mit Fleisch?“, fragt Bryan nach einer Weile unschlüssig. Er ist sich nicht sicher, ob der Weißhaarige ihn überhaupt gehört hat, scheint er doch ganz mit dem Herd zu Gange zu sein. Mit einem nachdrücklichen Knurren in der Kehle schlägt der Käfer-Trainer plötzlich mit der Faust auf die Schaltfläche des unwilligen Gerätes und erschreckt die vier damit ziemlich. Für einen Moment sind sie sich unschlüssig, ob das ein Zeichen seines Missfallens ihnen gegenüber war oder tatsächlich dazu diente, den Herd in Gang zu bekommen. Irritiert beobachten sie dann auch noch, wie Bromley die flache Hand auf eine der Platten legt und dann wieder mit der Faust auf die Schaltfläche schlägt. „Verdammtes Miststück!“, knurrt er vor sich hin und drückt wieder die flache Hand auf die Platte.
 

„Boss...?“, fragt Rose nun vorsichtig. Jetzt wendet ihr der Weißhaarige das Gesicht zu. Einen Moment später verzieht er es jedoch schmerzlich, da seine Hand noch auf der Kochplatte liegt und diese sich nun doch dazu entscheidet, heiß zu werden. „Oh fuck...!“, gibt er erschrocken von sich und entfernt sich ein Stück vom Herd. „Boss!“, entkommt es Sonja entsetzt, doch er hält sie auf Abstand. „Schon gut, alles prima...“, versichert er ihr und betrachtet seine Hand, die er gerade noch rechtzeitig wegziehen konnte. „Ja, Chili macht man normalerweise mit Fleisch. Doch das, was wa‘ hier ham, is‘ dafür echt nich‘ zu gebrauchen. Also mach’n wa‘ es halt ohne. Kein Problem.“, beantwortet Bromley dann sogar noch Bryans Frage, der ihn nun verdutzt ansieht, weil er so gar nicht mehr mit einer Antwort gerechnet hat.
 

Die Zeit vergeht, während die Rüpel versuchen den Anweisungen ihres neuen Anführers zu folgen. Nebenbei unterhalten sie sich über alles, was ihnen so durch den Kopf geht. Zwischendurch ist aber der Herd der Meinung, die Nase voll zu haben, doch irgendwie bekommt der Käfer-Trainer ihn immer wieder in Gang. Das lässt die Unterhaltung jedes Mal stocken, da die vier zusammenzucken und einzuordnen versuchen, wie lange die Geduld des großgewachsenen, doch ziemlich schwer einzuschätzenden Mannes das noch mitmacht. An seinem Verhalten ist sowieso etwas ziemlich komisch, wie es ihnen auffällt. Er regt sich ständig aus heiterem Himmel über etwas auf und schon im nächsten Augenblick wirkt es so, als hätte es diesen Zwischenfall nie gegeben und er wieder lammfromm. Fast so, als wäre er gar nicht immer er selbst. Zudem scheint es so, als würde er Selbstgespräche führen. Aber, wenn sie alle normal wären, wären sie auch gar nicht hier, oder?
 

Erneut nehmen sie ihr Gespräch wieder auf, während das Chili auf dem Herd vor sich hin blubbert, sie langsam den Müll zusammensammeln und in einen Sack stopfen. Sie haben vielleicht nicht unbedingt Lust, den ganzen Dreck wegzumachen, den andere hier hinterlassen haben, aber den eigenen kann man zumindest halbwegs wegräumen, ehe der Geruch noch irgendwelche wilden Pokémon ins Haus lockt, die dann die Vorräte auffressen. „Meine Ma hat mich allein aufgezogen und wa‘ deshalb auch ziemlich streng. Deswegen bin ich irgendwann abgehau’n und schließlich hier gelandet.“, berichtet Rose gerade und wendet sich zu Bromley. „Wie sind deine Eltern so?“, fragt sie ihn, da er sich als Einziger noch nicht dazu geäußert hat. „Darüber will ich nich‘ reden...“, erwidert er aber knapp. Allerdings ist die Stimmung inzwischen so gelockert, dass sich die vier mit dieser Antwort nicht gerade zufriedengeben. „Nun sei kein Spielverderber, Boss! Kann doch auch nich‘ schlimmer sein, als bei uns!“, drängt ihn Sonja nun.
 

Eine Weile sieht er die vier einfach nur schweigend an. Dabei können sie deutlich beobachten, wie etwas in ihm vorgeht. Seine schiefergrauen Augen werden plötzlich ganz glasig und dunkel, als hätte er starkes Fiber. Sie scheinen ins Nichts zu blicken, die Teenager gar nicht mehr wahrzunehmen. Seine Lippen pressen sich zu einer strengen, schmalen Linie zusammen und kurz kann man sogar hören, wie er vor Anstrengung mit den Zähnen knirscht. Seine Hände ballen sich zu Fäusten, sodass seine kurzgeschnittenen Nägel tiefe Furchen auf den Innenseiten hinterlassen und die Haut an seinen Knöcheln noch weißer wird. Alles zusammen wirkt, als würde er jeden Moment ausrasten und auf das Erstbeste einschlagen, dass das Pech hat, ihm in die Finger zu fallen. Sonja öffnet den Mund, um ihre Aussage zurückzunehmen, sich sogar dafür zu entschuldigen, doch Bromley fällt ihr schon ins Wort.
 

„Mein – mein Alter war’n mieses Arschloch. – Er hatt‘ nichts Besseres zu tun gehabt, als mir immer wieder den Schädel mit ‘nem dreckigen Golfschläger einzuschlagen und dass, schon seit ich ‘n kleiner Bengel wa‘! – Oh, er hatt‘ so richtig Freude dran gehabt, kann ich euch sagen. Sah mich gern am Boden in mei’m eignen Blut liegen. – Lachte mich aus und sagte mir immer wieder, was für ‘ne Enttäuschung ich doch für ihn bin. – Dabei hab‘ ich alles versucht, um seinem Willen gerecht zu werden. – Es hat mich verändert. – Mein Denken und Handeln, einfach alles. – Nur ‘n einziges Mal hat er auch meine Mutter mit’m verdammten Schläger erwischt, weil sie mir helfen wollt‘. – Danach wa‘ sie nich‘ mehr sie selbst. – Vergisst immer wieder, wer vor ihr steht oder was sie grad mach’n wollt‘. – Doch sie is‘ trotzdem so unglaublich lieb, dass ich diesem Schwein dafür am liebsten den Hals umdrehen will und eines Tages werd‘ ich das auch!“, bringt er vor Zorn stockend hervor.
 

Erschrocken blicken ihn die vier wieder an und wissen nicht, was sie darauf erwidern sollen ober, ob schweigen nicht eine bessere Idee wäre. Und plötzlich klären sich Bromley’s Augen wieder und er wirkt so normal wie vorher. „Was’n los?“, fragt er die Rüpel etwas verwundert und rührt dann das Chili um. „Au Backe! Scheint ‘n ganz heißes Eisen beim Boss zu sein...“, meint Aaron leise zu den anderen. „Yo, da sollten wa‘ uns lieber ‘n andres Thema suchen.“, stimmt Rose ihm zu. Nach einer kurzen Pause des Sammelns und Nachdenkens beginnen sie ein neues Gespräch und lassen sich nun über ihre ehemaligen Partner und Bettgeschichten aus. „Mann wa‘ das ‘ne dämliche Kuh, kann ich euch sagen. Die wa‘ auch nur froh, wenn sie an mir rumnörgeln konnt‘...“, pikiert sich Bryan, während er den zweiten Topf mit Wasser füllt, damit sie darin Reis kochen können. Seine Geschichte löst heiteres Gelächter bei den anderen aus, an dem sich sogar Bromley beteiligt.
 

„Hey, Boss! Erzähl du ma‘ was!“, fordert ihn der Blauhaarige dann auf und stellt den vollen Topf auf dem Herd ab. „Da gibt’s nich‘ viel zu erzählen. – Wa‘ nur einmal mit jemandem zusamm‘ und er hat mich für ‘ne andre sitzen lassen...“, gibt der Käfer-Trainer betrübt zurück, während er das Gewürzregal in Augenschein nimmt. Bryan legt verwundert die Stirn in Falten und sieht seine Kollegen an. „Yo, hat er grad gesagt, dass er mit ‘nem Kerl zusamm‘ wa‘?“ Die anderen schweigen jedoch, da sie nicht wollen, dass die Situation wohlmöglich wieder ausartet, wenn sie jetzt nachbohren. „Und, wenn schon! Geht dich doch nichts an!“, erwidert ihm Aaron streng, in der Hoffnung, dass sein Mitstreiter es dabei bewenden lässt, anstatt seiner unterbrückten Homophobie wieder freien Lauf zu lassen. „Geht mich vielleicht nichts an, will’s aber trotzdem wissen! Also Boss, warste echt mit ‘nem Kerl zusamm‘ in ‘ner Kiste und hast ihn dir dann auch noch von so ‘ner Tusse ausspannen lassen?“ Innerlich wie äußerlich können sich die drei anderen nur mit der Hand gegen die Stirn schlagen.
 

„Checkstes echt nich‘? Lass ihn in Ruhe, verdammt!“, faucht Aaron nun nachdrücklicher, doch es ist schon zu spät. Er hat den Satz gerade mal zu Ende gesprochen, da verfinstern sich die Augen des Weißhaarigen erneut und er streckt so schnell die Hand aus, dass Bryan nicht mehr reagieren kann. Eine Sekunde später knallt der vorlaute Rüpel hart mit dem Rücken auf die Platte des kleinen Tisches. Einige Schachteln und Dosen fallen dabei zu Boden und der überwältigte Junge sieht einen Moment nur noch Sterne. Völlig erstarrt weichen die drei anderen ein gutes Stück zurück, ist der Zorn im Gesicht ihres temperamentvollen Anführers doch förmlich greifbar. „Ah, scheiße Mann, das hat gesessen...“, bringt Bryan schwerfällig hervor, nachdem er den ersten Schock überwunden hat. Doch damit hat es sich noch längst nicht erledigt. Grob packt Bromley ihn an seinem Tank-Top und presst ihn fester auf den Tisch. Seine schiefergrauen Augen sprühen regelrecht Funken und er scheint weit jenseits seiner selbst zu sein.
 

In seinen Gedanken existiert nur noch Kukui und wie sehr er ihm doch wehgetan hat. Der Käfer-Trainer fühlt sich an diesen schicksalhaften Tag zurückversetzt. In seinem Geist befindet er sich nicht in einer alten, verlassenen Villa, sondern im Haus am Strand. Vor ihm liegt kein überforderter Rüpel auf einem Tisch, sondern Manuel. Sein Blick für die Wirklichkeit ist verschwunden und er durchlebt den Augenblick seiner Trennung noch einmal, aber in einer Version, die er damals nicht durchführen konnte, weil Machomei ihn zurückgehalten hat. „Du! Du mieses, kleines Miststück wagst es mich vor die Tür zu setzen?“, faucht er Bryan an, der überhaupt nicht versteht, was eigentlich los ist. Außer Stande sich zu wehren, verharrt er daher regungslos im festen Griff des Größeren und starrt ihn nur entsetzt und etwas ängstlich an. Von seiner großen Klappe und all den hochtrabenden, herablassenden Worten ist nichts mehr geblieben. Doch dieser Tag wird ihn nachhaltig prägen, sodass er nie wieder etwas Schlechtes über einen seiner Kollegen sagt, der nicht am selben Ufer angelegt hat, wie es von der Gesellschaft eigentlich gewünscht ist.
 

„Boss...“, presst er unterwürfig hervor, doch Bromley hört das Wort gar nicht. Stattdessen holt er aus und schlägt dem wehrlosen Jungen kräftig mit der Faust ins Gesicht. Hart knallt Bryans Kopf dabei auf die Tischplatte und er sieht wieder nur Sterne. Blut rinnt ihm aus Mund und Nase und er gibt ein ersticktes Husten von sich. „Fuck...“, kommt es leise und fassungslos von Aaron. „Das hat er jetz‘ von seiner großen Klappe...“, erwidert Sonja nicht minder erschrocken. „Das war’s für ihn...“, beendet Rose die kurze Unterhaltung mit atemloser Endgültigkeit. Dann starren sie alle wieder gebannt auf die unwirkliche Szene.
 

„Was bildeste dir eigentlich ein, wer du bist? Hab‘ ich nich‘ alles für dich geopfert? Meinen Traum Captain zu werden, nur damit du studieren konntest? Hab‘ ich nich‘ alles für dich getan, damit sich dein verdammter Wunsch erfüllt? Hab‘ ich mich nich‘ sogar für dich gefreut, als du mir erzählt hast, dass du ‘n Mädel kennengelernt hast? Ich hab‘ mich nich‘ mal beschwert, als du mit ihr ins Bett gestiegen bist, obwohl du mit mir zusamm‘ warst! Und das alles, weil ich wusst‘, dass wir nich‘ für die Ewigkeit zusamm‘ sein könn‘. Das jeder irgendwann sein‘ eignen Weg geh’n muss. Aber ich hab’s nich‘ verdient von dir vor die Tür gesetzt zu werden, weil dein Flittchen mich nich‘ leiden kann! Also, was um Himmels willen kann sie dir geben, was ich dir nich‘ auch gegeben hätt‘?“ Erneut holt Bromley mit der Faust aus, während Bryan noch irgendwie in den Kopf zu bekommen versucht, was sein Boss ihm da alles unfreiwillig gesagt hat. „Antworte, du mieser Schweinehund!“, befiehlt ihm der Käfer-Trainer drohend und gibt dabei ein dunkles Knurren von sich, gleich einem wilden Tier, das einem jeden Augenblick ins Gesicht beißt, weil man ihm zu nahe gekommen ist.
 

Bryan ist völlig hilflos und weiß nicht, was er tun soll. Hinter seinen aufgerissenen Augen brennen heiße Tränen der Angst und er beginnt am ganzen Leib zu zittern. Nie in seinem ganzen Leben hätte er auch nur vermutet, dass es jemanden geben könnte, der ihm so eine Blöße verschafft und dem er sich widerstandslos unterwerfen würde, doch nun hat er ihn wahrhaftig gefunden und kann es einfach nicht glauben. Die anderen Rüpel sind nicht minder überfordert mit alledem. Ihr Boss scheint Schreckliches durchgemacht zu haben, das ihn immer noch nicht loslässt. Zudem scheint er dadurch vollkommen den Blick für die Realität verloren zu haben und wer weiß schon, wo das enden könnte? Im schlimmsten Fall ist Prügel wohl noch Bryans kleinste Sorge...
 

Sie müssen ihm also irgendwie helfen. Allerdings kann es keiner von ihnen auch nur ansatzweise mit Bromley aufnehmen. Doch, wenn Kraft nicht hilft, dann vielleicht Worte? Plötzlich kommt Sonja die rettende Idee. „Kinder!“, ruft sie laut aus. Aaron, Rose und auch Bryan sehen sie nur perplex an. Der Weißhaarige reagiert jedoch nicht auf sie, sondern fixiert den Rüpel fester auf dem Tisch und holt zum Schlag aus. „Verstehstes nich‘? Es sind Kinder, die sie ihm geben kann, der Boss aber nich‘!“ Verständnislos blickt der machohafte Junge sie an. „Biste bekloppt? ‘n Mädel könnt‘ ihm doch wohl was viel Besseres, als so’n paar nervige Bälger geben!“, erwidert er der Pinkhaarigen keck, obwohl seine Situation das gar nicht zulässt. „Wie blöd biste eigentlich, wenn du das nich‘ siehst, Bryan? Sag’s einfach, bevor er die Scheiße aus dir rausprügelt!“, beharrt sie zornig.
 

Nur Millimeter, bevor Bromley’s Faust wieder in seinem Gesicht landen kann, besinnt sich der Junge dann doch, wenn auch widerwillig. „Kinder! Es sind Kinder, die sie mir geben kann. Du aber nich‘. Checkstes?“, bringt er atemlos hervor und presst angespannt die Augen zusammen, in Anbetracht des nahenden Schlages. Plötzlich hält der Ältere jedoch inne. „Was? Kinder? – Fuck...“ Langsam huscht die Erkenntnis über das Gesicht des Anführers hinweg, doch sein Blick für die Wirklichkeit ist weiterhin getrübt. „Ich hatt‘ ja keine Ahnung, dass du dir so was wünschst...“, setzt er verstehend hinterher und lockert seinen Griff um Bryans Top. Für eine Sekunde wirft der Blauhaarige einen Blick zu Sonja hinüber, der so etwas wie Dankbarkeit beinhaltet, dann richtet er seine Aufmerksamkeit wieder auf den großen Mann, der immer noch über ihn gebeugt dasteht. „Sorry, Boss...“, teilt er dem Älteren ganz ehrlich mit. Dieser kämpft noch damit, dass alles zu begreifen. „Schon gut. – Vergib mir. Ich wollt‘ dir nich‘ wehtun...“
 

„Kein Ding...“, erwidert Bryan und hofft inständig, dass es jetzt vorbei ist. Bromley ist aber anderer Ansicht, lässt ihn noch nicht gehen. „Ich – ich lieb‘ dich so sehr, Manuel!“, langsam rinnt eine einzelne Träne seine Wange hinab und dieser Anblick verschlägt allen Rüpeln kurzzeitig die Sprache. Ganz plötzlich begreift Bryan, was für eine Rolle er hier gezwungen wird zu spielen. Zu sehen, wie sein Boss anfängt zu weinen, zeigt ihm, wie wahr seine Worte doch sind und das er ihm irgendwie helfen muss, das Ganze zu überwinden, indem er nun die Rolle dieses Idioten übernimmt, der Bromley einst so wehgetan hat. „Ich werd‘ dich auch immer lieben!“, verkündet er daher kurzerhand und überrascht damit seine drei Kollegen noch mehr, als die Tränen ihres Anführers es schon tun. Nun ist es der Käfer-Trainer, der zu zittern beginnt. Seine Unterlippe ebbt und weitere Tränen bahnen sich ihren Weg ins Freie. „Danke. – Du hast gewonn‘. Ich werd‘ geh’n. – Ich hoff‘, du wirst glücklich mit ihr. – Ich will nur noch einmal...“
 

Er beendet den Satz nicht, sondern beugt sich tief zu dem Jungen hinab, den er auf den Tisch gedrückt hält. Für einen Moment treffen sich ihre Blicke. Bryan hält unbewusst die Luft an. Das Ganze hat irgendwie etwas Magisches, anders kann er es nicht beschreiben. Noch ehe er ein Wort herausbringen kann, überwindet der Weißhaarige den kurzen Abstand zu ihm und zieht ihn zu einem innigen Kuss heran! Der Rüpel ist völlig außer Stande etwas zu tun. Sein ganzer Körper versteift sich im nackten Entsetzen dieser ungewollten und gedanklich so verhassten Berührung. „Du heilige Scheiße...“, gibt Sonja perplex von sich. „Das glaub‘ ich jetz‘ echt nich‘...“, erwidert Rose mit leichtem Kopfschütteln. „Mann, hat der ‘n Glück...“, schnaubt Aaron mit einem leichten Anflug von Eifersucht, doch die Mädchen überhören seine Worte.
 

Bromley hingegen bekommt nichts von alledem mit. Seine Aufmerksamkeit gilt einzig und allein Manuel, auch wenn dieser überhaupt nicht hier ist – es niemals war. Verlangend vertieft er den Kuss daher noch und drückt sich mehr als deutlich gegen seinen Partner. Bryan hingeben weiß beim besten Willen nicht, was er tun soll. Er hat nicht die Kraft, um sich gegen den Größeren zu wehren und selbst, wenn er sie hätte, ist er viel zu überrumpelt, um dem etwas entgegenzusetzen. Hilflos zittert er am ganzen Körper, während sich ein seltsam warmes Gefühl in ihm ausbreitet, das sonst nur Mädchen in ihm auslösen können. Die heißen Tränen, die er bis jetzt erfolgreich zurückgehalten hat, treten nun über die Ufer und rinnen ungehalten seine Wangen hinab. Ein stummer Ausdruck seiner Angst und Verwirrung. Kraftlos hebt er die Hände, presst sie gegen Bromley’s Schultern und versucht den anderen so von sich zu drücken. Doch es gelingt ihm nicht. Stattdessen handelt er vollkommen gegen seinen Willen und öffnen den Mund, als der Größere überraschend sanft um Einlass bittet.
 

Die warme, neugierige Zunge des Käfer-Trainers löst nur noch mehr Angst in dem überforderten Teenager aus. Entgegen seines versucht starken Auftretens, fängt er an kläglich in den Kuss hinein zu wimmern. Doch anstatt einen weiteren Versuch zu unternehmen, den anderen von sich zu drücken, klammert er sich nun wie ein Ertrinkender an der Jacke des Größeren fest und ermutigt diesen dadurch unbewusst sogar noch. So drückt sich der Ältere noch fester gegen ihn. Dabei kann Bryan überdeutlich dessen Erregung spüren, was ihm noch mehr Verzweiflung verschafft, da er nicht einordnen kann, wie weit das alles noch gehen könnte. Und, als würden sich seine Befürchtungen bestätigen, merkt er nur einem Moment später, wie sich Bromley’s Hand zielstrebig in seine Hose schiebt und dort nach seiner empfindlichsten Stelle tastet.
 

Noch perplexer, als ohnehin schon, betrachten die drei anderen das irgendwie bizarre Schauspiel. „Denkt ihr, der Boss wird ihn...“, setzt Rose an, doch sie kann es einfach nicht aussprechen. „Ja, irgendwie schon...“, entgegnet ihr Sonja schwer schluckend. „Scheiße Mann! Das wär‘ doch...“, meldet sich auch Aaron, doch das Wort, das ihm im Kopf herumschwirrt, kann er nicht aussprechen. Denn, obwohl er in gewisser Hinsicht eifersüchtig ist, tut Bryan ihm jetzt doch ziemlich leid, auch wenn es sich das Ganze selbst zu zuschreiben hat. Dennoch macht er das Ganze ja nicht freiwillig mit und das ist schon echt heftig. Wohl möglich macht ihn dieses Erlebnis vielleicht sogar noch richtig homophob?
 

Langsam löst Bromley den Kuss und setzt seine Lippen an den Hals des anderen Jungen, während sich seine fordernde Hand fest um Bryans Männlichkeit schließt. Der Blauhaarige gibt einen erstickten Laut von sich und zieht scharf die Luft ein. Seine Nägel graben sich tief in die Schultern seines Partners ein. Das hilflose Wimmern des Rüpels wird immer lauter, bis es schon einem Schluchzen gleicht. Weinend drückt er sein Gesicht gegen die Brust des Mannes über ihm, vergisst all seinen Stolz und die Tatsache, dass sie gar nicht allein sind. „Boss, bitte! – Ich – ich kann das nich‘...“bringt er tränenerstickt hervor. „Bitte, hör auf...!“ Die Worte dringen nicht wirklich zu dem Weißhaarigen durch, dennoch ist etwas anders. Manuel hat sich immer sehr schnell von ihm erregen lassen. Manchmal hat schon eine einzige Berührung oder auch nur ein Kuss ausgereicht und er war ihm hilflos erlegen. Doch jetzt? Nichts! Keine noch so kleine Regung.
 

Verwundert trennt sich der Käfer-Trainer von seinem Gegenüber und blickt ihn an. „Manu, was...“, setzt er an, doch, was er vor sich sieht, ist nicht Kukui. Nein, ganz und gar nicht! Es ist Bryan, einer seiner Untergebenen. Völlig verwirrt schaut sich Bromley in dem Raum um. Es ist eine große Küche, doch ganz sicher nicht die, im Strandhaus. Und da sind auch noch die anderen drei Rüpel und wirken ziemlich verstört. „Boss...?“, fragt Aaron ihn hilflos. Die Augen des Weißhaarigen klären sich wieder und er sieht erneut zu Bryan. Der vollkommen verstörte Junge hat sich auf den Tisch zurücksinken lassen und blickt ihn durch die dicken Tränen hindurch an, die unaufhaltsam an seinen geröteten Wangen hinab laufen. Er zittert am ganzen Körper und wimmert. „Boss, bitte tu’s nich‘...“, kommt es halb im Schluchzen erstickt von ihm. Erst jetzt bemerkt der Weißhaarige, dass er die Hand in der Hose des Liegenden hat und er begreift, dass das alles eben nur seiner verzweifelten Fantasie entsprungen ist. Bryan nur das Pech hatte, ihr zum Opfer zu fallen. Hastig entfernt er sich von dem Teenager und atmet hektisch ein und aus.
 

„Was – was hab‘ ich nur gemacht?“, stellt er sich selbst die unausweichliche Frage, während die vier Rüpel wieder zusammenfinden. Plötzlich hört Bromley jedoch eine Stimme in seinem Kopf und erstarrt in jeglicher Bewegung. „Bromley? Was treibst du denn da?“, jagen die altbekannten, zornigen Worte lautstark durch einen Kopf, sodass er dieses verhasste Mantra, die nicht zu unterdrückende Stimme seines Vaters, im selben Augenblick laut ausspricht. Doch sein Erzeuger ist noch lange nicht fertig mit ihm. „Was bist du nur für ein widerliches Schwein? Erst fickst du diesen dämlichen Professor, vögelst dich dann durch halb Alola, rennst dieser blonden Hure hinterher und jetzt das? Du bist wirklich die reinste Enttäuschung. Aber ich werde dir schon zeigen, wie es richtig geht, verlass dich drauf!“, tönt der ältere Mann voller Abscheu und Hass. Kraftlos sinkt Bromley auf die Knie, Tränen rinnen seinen Wangen hinab und er zittert am ganzen Leib.
 

„Nein, bitte nich‘!“, bringt er noch hervor, da holt sein Erzeuger auch schon mit dem Golfschläger aus. Der Schmerz bleibt verständlicherweise aus, dennoch explodiert ihm fast der Kopf. Er gibt einen heiseren Schrei von sich, rauft sich die Haare und blickt sich dann suchend um. Die vier Rüpel verstehen mittlerweile überhaupt nichts mehr. Als ihr aufgelöster Boss jedoch nach einem der Messer greift, wird ihnen der Ernst der Lage schlagartig klar. Vergessen ist alles, was eben zwischen ihm und Bryan vorgefallen ist. Hastig stürzen die vier auf ihn zu, doch es ist schon zu spät. Der scharf geschliffene Stahl dringt schon ungehalten in die weiche Haut seines linken Unterarms ein, verfehlt die Pulsader zum Glück aber um einige Millimeter. Dennoch scheißt das dünne Blut regelrecht aus der tiefen Wunde hervor und tropft auf den schmutzigen Fußboden.
 

„Um Himmels willen, Boss! Mach das nich‘!“, ruft Sonja ihm noch entgegen, da setzt er schon zu einem neuen Schnitt an. „Er hört dich nich‘! Nehmt ihm schnell das Messer ab!“, geht Rose dazwischen. Fest entschlossen nähert sich ihm Bryan und mit etwas Mühe gelingt es ihm tatsächlich, dem Älteren das Messer zu entreißen. Völlig in seiner eigenen Welt gefangen, versucht Bromley es jedoch wieder zu bekommen und geht erneut auf den Blauhaarigen los. Diesmal ist Aaron aber schnell genug. Er schafft es zwischen die beiden und verpasst dem Käfer-Trainer dann eine schallende Ohrfeige. „Jetz‘ reiß dich ma‘ zusamm‘, Boss und lass die Scheiße! Bitte...“ Das letzte Wort ist schon fast in seiner Verzweiflung erstickt und kaum mehr als ein Flüstern, doch es zeigt Wirkung. Die Stimme seines Vaters ist weg und er wieder Herr über seinen Geist.
 

Unverständlich sieht der Ältere erst zu Aaron auf und dann auf seinen Arm hinunter. Unaufhörlich fließt das Blut daraus hervor. „Fuck...“, flüstert er kaum hörbar, während sich die Rüpel langsam entspannen. Die beiden Mädchen stehen auf und verlassen die Küche, um Verbandszeug zu suchen, während die Jungs sicherstellen, dass Bromley wieder er selbst ist. „Yo, Boss? Sorry, dass ich dich geschlagen hab‘...“, kommt es nun kleinlaut von Aaron. Im ersten Moment versteht der Größere nicht, was er damit meint, dann spürt er die Hitze auf seiner Wange und beginnt kraftlos zu schmunzeln. „Kein Problem. Das hab‘ ich echt gebraucht! Danke, Mann.“
 


 

9
 

Wenig später ist die Blutung gestoppt und ein dicker Verband an Bromley’s Arm angebracht. Schweigend sitzen die fünf auf dem klebrigen Küchenboden und versuchen die Geschehnisse irgendwie zu verarbeiten. Ihnen ist mittlerweile ziemlich gut klar geworden, warum sie alle hier zusammen sind. Sie teilen ganz ähnliche Schicksale und jeder von ihnen hat Schlimmes durchgemacht, das sie jetzt verbindet. Dem Käfer-Trainer hat das Leben dennoch weit mehr mitgespielt, als den anderen zusammen, weshalb sie es ziemlich bewundern, dass er sich dennoch darum bemüht, sich um sie zu kümmern. Aber jetzt wissen die Teenager immerhin, dass bestimmte Themen in seiner Gegenwart eher tabu sind, oder vielmehr, dass man nicht nachbohren sollte, wenn er nicht darüber reden will. Aber das kann wohl kaum so schwer sein, also Augen zu und weitermachen!
 

Das Schweigen wird schließlich ungewollt davon durchbrochen, dass Bryan laut der Magen zu knurren beginnt. Überrascht sehen ihn die anderen an. „Was glotzter denn so? Nach dem ganzen Scheiß hab‘ ich halt trotzdem Hunger, na und?“, giftet er sie an und verschränkt bockig die Arme vor der Brust. Erst jetzt bemerken die anderen den durchdringenden Duft des Chilis in der Küche, der sich heiß und köstlich über sie legt, wie eine kuschlige Decke in einer kalten Winternacht. „Yo, Leute! Habt ihr immer noch Hunger? Das Chili müsst‘ jetz‘ fertig sein und das Wasser kocht schon seit ‘ner Ewigkeit, also sollt‘ der Reis da bald ma‘ rein.“, merkt Bromley an und wie aufs Stichwort hin, fängt auch sein Magen laut zu knurren an. Die Rüpel unterdrücken ein zaghaftes Kichern und stimmen dann zu. Die ganze Aufregung hat ihren Hunger zwar für den Moment gehemmt, jetzt jedoch sind sie förmlich am Verhungern.
 

Während sich der Weißhaarige mit dem Reis beschäftigt, betreten die Rüpel den angrenzenden Speisesaal, oder zumindest das, was davon noch geblieben ist. Eigentlich deuten nur ein paar kaputte Stühle daraufhin. Schulterzuckend räumen sie die Bruchstücke etwas zur Seite und schleppen ein paar der Matratzen hinein, die in der ganzen Villa verstreut zu liegen scheinen. Ein paar alte Decken und Kissen gesellen sich ebenfalls dazu und schon ist es ziemlich gemütlich geworden. Als sie fertig sind, linst der Weißhaarige durch die Tür, da das Essen auch so weit ist. „Hey, das sieht ja klasse aus hier!“, verkündet er grinsend und schleppt dann die beiden Töpfe hinein.
 

Teils mit den Händen und teils mit etwas Besteck stürzen sich die fünf auf das Essen, bis kaum noch etwas davon übrig ist. Dabei setzen sie blauäugig wieder zu einer Unterhaltung an. Allerdings reden sie jetzt über ihre Pokémon, die inzwischen ebenfalls neben ihnen sitzen und sich über die Reste in den Töpfen hermachen. Dieses Thema scheint Bromley nicht aufzuregen, auch wenn er an einigen Stellen seiner Erzählungen kurzzeitig stockt, weil ihm Kukui wieder einfällt. Allerdings drängt ihn diesmal keiner zu Weiterreden und er tut es aus freien Stücken. Doch er verdrängt Manuel vehement. Und so nimmt das Ganze doch noch ein gutes Ende. Pappsatt lassen sich alle anschließend auf die Matratzen fallen und es dauert auch gar nicht lange, da sind die Pokémon und das wiederauferstandene Team Skull tief und fest eingeschlafen.

Team Skull!


 

1
 

Gedankenversunken lungert der Weißhaarige auf dem throngleichen Stuhl in seinem Zimmer und kaut auf dem lädierten Stiel eines Lutschers herum. Auf seinem Schoß hat sich ein rotes Reißlaus ausgebreitet – ein seltenes Shiny – und genießt es sichtlich, von ihm gekrault zu werden. Auf einmal ertönen jedoch laute Stimmen auf dem Flur. Genervt wendet Bromley den Blick zur Tür, die nur einen Augenblick später ruckartig aufgerissen wird und dann so hart gegen die Wand knallt, dass die Klinge einen großen Brocken Putz herausreißt, der dumpf rieselnd zu Boden geht. Eine junge Frau mit langen pinken Haaren, zwei blonden Strähnen und einem strengen Ausdruck im Gesicht, betritt unaufgefordert das Zimmer. Japsend versucht sich einer der Rüpel an ihr vorbei zu drücken, während sich weitere in der Tür versammeln.
 

„Boss – Boss…“, kommt es atemlos von dem Blauhaarigen. „Wa‘ ham versucht die Tussi aufzuhalten – doch sie hat uns einfach fertiggemacht…“ Jammernd sinkt Bryan auf die Knie und wirft der Störenfriedin einen zornigen Blick zu, der jedoch eher so aussieht, als würde er gleich in Tränen ausbrechen. Sein anfänglich so machohaftes Gehabe hat in den letzten Monaten ziemlich gelitten. Er kennt nun seinen Platz und ist dadurch deutlich ruhiger geworden, muckt höchstens noch auf, wenn er mit seinen Kollegen allein ist. Doch es ist viel passiert, dass sie alle verändert hat. Die Rüpel, die sich in der Tür zusammendrängen, sehen nicht viel besser aus und Bromley könnte schwören, dass einige der Jungs tatsächlich geheult haben.
 

Schon irgendwie seltsam, der Anblick. Als sie zu ihm kamen, waren die meisten Mädchen schüchtern, verstört und bekamen kaum ein Wort heraus, die meisten Jungs dagegen eher wie Bryan, übermäßig von sich selbst überzeugt und unnahbar. Doch die normalen Geschlechterrollen sind innerhalb des Teams durch die Zusammenarbeit ziemlich verschoben worden, sodass die Mädchen beinahe die Machorolle eingenommen haben und nun große Töne spucken, die Jungs dafür eher sensibel, geradezu verletzbar rüberkommen. Den Weißhaarigen stört es nicht, solange sie alle friedlich miteinander auskommen und sich nicht ständig streiten. Auf der Straße benehmen sie sich alle wie die Rabauken, die sie repräsentieren sollen und das ist alles, was zählt. Was hinter der Fassade passiert, muss ja keiner wissen.
 

Unweigerlich muss er auch an Gladio denken, der vor einer Woche eine ganz ähnliche Nummer abgezogen hat, wie diese junge Frau hier jetzt. Der Unterschied bestand nur darin, dass er nicht unerlaubterweise hier eingedrungen ist, wie sie, sondern von den Rüpeln auf der Route siebzehn vor der Stadtmauer entdeckt und regelrecht verschleppt wurde, als er es wagte ihnen gegenüber patzig zu werden. Und genau wie die Pinkhaarige ist es auch ihm gelungen, die Rüpel zu besiegen. Woraufhin sie ihn dann mit sich geschleift haben, damit ihr Boss ihm mal ordentlich den Kopf wäscht. Gladio war nach der schwachen Nummer der Rüpel nicht gerade überzeugt davon, dass ihr sogenannter Boss ein ernst zunehmender Gegner für ihn wäre, weshalb er sich ihm ziemlich siegessicher entgegengestellt hat. Allerdings scheiterte er dann erschreckend kläglich an Bromley und wurde rücksichtslos von ihm plattgemacht. Dem Weißhaarigen ist dabei nicht entgangen, dass es sich bei dem Bengel unzweifelhaft um Samanthas entlaufenen Spross handelt, weshalb er ihn gefragt hat, ob er nicht bei ihnen Mitglied werden wolle. Die Rüpel sind augenblicklich auf die Barrikaden gegangen und wollten ihn nicht in ihrer Nähe haben,- obwohl sie bis jetzt nicht wissen, dass er Samanthas Sohn ist und auch Gladio nicht weiß, dass Team Skull hinter der Hand für seine Mutter arbeitet-, und auch der Bengel schien nicht sonderlich angetan.
 

Doch Bromley fand ihn sehr interessant und wollte sich auch irgendwie eine Möglichkeit schaffen, Samantha vielleicht mal mit ihm unter Druck zu setzen. Sich etwas für die ganzen Erniedrigungen rächen, die sie ständig an ihm ausübt. Doch Gladio blieb stur. Er fand es zwar schon reizvoll, sich so einer Truppe anzuschließen, so ein wenig der Einsamkeit zu entgehen, die er sich durch seine Flucht von Zuhause selbst auferlegt hat, doch irgendwie gefiel ihm ihre Handlungsweise überhaupt nicht. So hat Bromley ihn einfach zu einer Art Handlanger gemacht, ein Spion könnte man sagen. Als junger Trainer kommt er viel in Alola rum und kann sicher ein paar nützliche Informationen ranschaffen. Dafür muss er auch nicht unbedingt bei ihnen wohnen, was die Rüpel eh nicht wollen und der Blonde noch viel weniger. Und es ist durchaus von Vorteil, wenn er nicht aussieht, wie einer der seinigen. Gladio erklärte sich damit einverstanden, was die Rüpel aber nicht davon abhält, ihn so oft es nur geht zu ärgern, weil sie natürlich in gewisser Weise eifersüchtig sind, da Bromley ihn in ihren Augen irgendwie bevorzugt behandelt. Das Mädel hier vor ihm wirkt aber viel entschlossener und hat es immerhin auch gewagt, hier einfach so aufzutauchen, also muss ihr Anliegen schon ernsthafter sein, zumal sie auch keine so halbe Portion mehr ist, wie Gladio.
 

Lady, die beim lauten Knall der Tür gegen die Wand die Flucht ergriffen hat, schaut nun zitternd einen Moment unter dem großen Bett hervor, verschwindet jedoch gleich wieder, als sich die junge Frau in Bewegung setzt. Alles andere als glücklich betrachtet der Weißhaarige die Schreckreaktion seines geliebten Pokémon. Für einen Augenblick wirft er der Fremden einen vernichtenden Blick zu, dann scheinen sich seine Augen zu vernebeln, so als wäre er mit seinen Gedanken ganz weit weg. Sein Anblick wirkt auf die junge Frau aber alles andere als bedrohlich. Erst recht durch den weißen Plastikstiel, der in seinem Mundwinkel steckt, wirkt er eher wie ein kleines, bockiges Kind oder ein halbstarker Teenager, der sich verzweifelt versucht das Rauchen anzugewöhnen, um von der ortsansässigen Clique akzeptiert zu werden,- anstatt wie der gefährliche Anführer einer gefürchteten Gaunerbande.
 

Innerlich kann sie über seinen Anblick nur belustigt den Kopf schütteln, doch sie ahnt ja auch noch nicht, dass der junge Mann vor ihr weit ernst zunehmender ist, als er auf den ersten Blick vermuten lässt. Ohne Vorwarnung steht er dann plötzlich auf. „Macht, dasser wegkommt, verdammt noch ma‘! Was seiter eigentlich für Waschlappen?“, motzt er die Rüpel an. Seine strenge Stimme wirkt dabei rein gar nicht kindlich, sondern tief, etwas rau – was wahrscheinlich vom Alkohol herrührt, dessen leere Flaschen überall im Zimmer verteilt liegen – und geradezu anrüchig. Es ist eine Stimme, die einem durchaus eine Gänsehaut beschert, wenn man sie unerwartet in einem dunklen Zimmer hört,- was gleichermaßen negativ wie positiv auf einen wirken kann. Einige der Rüpel geben einen überraschten, beinahe verletzten Laut von sich. Schließlich verschwinden sie mit hängenden Schultern und traurigen Mienen.
 

Nun stehen sich der Boss von Team Skull und die junge Frau allein gegenüber und wieder legt sich ein Schleier über Bromley’s Augen. Irritiert beobachtet sie das Ganze, fragt sich, ob er vielleicht irgendwie high oder so etwas in der Art ist. Dann bemerkt sie jedoch, dass er einfach nur verträumt die wohlgeformte, zarte Rundung ihres Busens betrachtet, der in dem tiefsitzenden Ausschnitt ihres Tops ja geradezu dazu einlädt, und dass, obwohl er nun wirklich nicht groß ist. Man muss nur wissen, wie man sich richtig in Szene setzt, dann ist das auch völlig egal. Angewiderte Wut steigt dennoch in ihr auf, da sie das ganz sicher nicht erzielen wollte, nicht bei ihm, und sie holt mit der flachen Hand aus, um ihm eine gehörige Ohrfeige zu verpassen.
 

Doch ehe ihr das gelingt, packt er ihr heranschnellendes Handgelenk mit einer solch behänden Schnelligkeit, dass es kaum möglich zu sein scheint, und hindert sie daran, ihn zu schlagen. Fest hat er sie ihm Griff und starrt sie durchdringend an. Langsam nimmt er den zerkauten Plastikstiel aus dem Mund und lässt ihn gleichgültig zu Boden fallen. „Du hast meine Mädels plattgemacht und meine Jungs zum Weinen gebracht…“, konfrontiert er sie mit dunkler Stimme, während sich sein Griff um ihr Handgelenk noch verstärkt. Morgen wird sie dort einen hässlichen Bluterguss finden, der sie noch eine ganze Weile an sein unberechenbares Wesen erinnern wird. Doch jetzt lässt sie sich den pochenden Schmerz, der sich langsam in ihrem Arm ausbreitet, nicht ansehen und blickt finster zurück. „Ja, das habe ich und ich würde es jeder Zeit wieder tun!“, erwidert sie streng und versucht seinem Blick stand zuhalten.
 

Ohne jede Vorwarnung lässt er sie wieder los und fängt heftig an zu lachen. Völlig verwirrt beobachtet sie ihn. „Du gefällst mir, Mädel! Ja, das tuste wirklich!“, bringt er schließlich heraus. „Na, wenn das so ist, kann ich doch sicher deinem Team beitreten?“, merkt sie an. Prüfend umrundet er sie und scheint dabei jeden Zentimeter ihres schlanken, agilen Körpers förmlich mit seinen Augen abzutasten – gleich einem listigen Waschbären, der in einem trüben See nach Futter sucht. ‚Was ist das nur für ein Widerling?‘, geht es ihr durch den Kopf, doch sie bleibt ruhig. „Selbstverständlich kannste mitmach’n, Süße. So was wie dich könn‘ wa‘ hier immer brauchen. Ich bin sicher, du wirst mein‘ Rüpeln ‘n paar Manieren beibringen. Nich‘ wa‘, Schätzchen?“ Plötzlich spürt sie jedoch überraschend forsch seine Hand auf ihrem Po. Das reicht nun aber wirklich! Blitzartig dreht sie sich zu ihm um und rammt ihm mit aller Kraft die Faust in den Bauch. Bromley gibt daraufhin einen erstickten Laut von sich und taumelt ein paar Schritte zurück. Das hat er jetzt nun wirklich nicht kommen sehen. Innerlich macht er jedoch einen Haken neben ihrem Bild in seinem Kopf, als Zeichen dafür, dass sie seinem kleinen Test standgehalten hat und somit durchaus fähig ist, hier eine etwas bedeutendere Rolle einzunehmen und ihn zu unterstützen, da ihm die vielen Rüpel langsam etwas über den Kopf wachsen.
 

„Erstens mal: Finger weg! Und zweitens: ist mein Name weder Süße, noch Schätzchen oder sonst so ein Scheiß, sondern Fran! Und drittens: bist du hier wohl derjenige, dem man mal Manieren beibringen sollte!“, faucht sie ihn ungehalten an. Bromley beginnt nur wieder zu lachen und lässt sich schwerfällig auf seinem Bett nieder. „Versuch‘s ruhig. Da ham sich schon andre die Zähne ausgebissen!“, scherzt er lässig. Dann jedoch verdunkelt sich sein Gesicht und er sieht sie so durchdringend an, dass ihr ein eiskalter Schauer über den Rücken gleitet. „Tu, waste willst, Mädel. Doch solltestes noch ma‘ wagen, meiner Lady Angst zu mach’n, wirste vom großen, bösen Bromley aber ma‘ so richtig plattgemacht, checkstes Weib?“ Während er seine Drohung ausspricht, beugt er sich hinab und nimmt das noch immer zitternde Pokémon schützend in die Arme, ohne Fran dabei auch nur einen Moment aus den Augen zu lassen. Bis eben hatte die Pinkhaarige das Reißlaus überhaupt nicht gesehen. Überrascht stellt sie fest, dass es sich dabei um ein Shiny handelt. In Bromley´s Worten und seinem Blick liegt jedoch so viel überdeutliche Ernsthaftigkeit, dass ihr jeder weitere Kommentar für den Moment im Hals stecken bleibt. Einen Augenblick hält sie seiner eiskalten Miene noch stand, dann dreht sie sich um und verlässt tonlos das Zimmer.
 


 

2
 

Als die Tür geräuschvoll hinter ihr ins Schloss fällt und sie wieder auf dem Flur steht, stößt Fran seufzend die Luft aus. So viel wohl dazu. Sie ist aufgenommen, auch wenn sie sich das Ganze so nicht vorgestellt hat. Aber immerhin wieder ein Dach über dem Kopf und eine Aufgabe, die ihr hoffentlich hilft, ihre Vergangenheit hinter sich zu lassen. Mit leeren Augen blickt sie sich im Flur um. Es herrscht das reinste Chaos, aber das scheint in der ganzen Villa normal zu sein, trägt sie allem Anschein nach doch nicht umsonst den Namen Lottervilla. Von den vorlauten Rüpeln ist nichts zu sehen. Nach dem Anranzer von ihrem Boss haben sie sich wohl irgendwo hin verzogen. Das kann ihr nur recht sein. Diese Kids sind ganz schön anstrengend. Fragt sich nur, wie das werden soll, wenn sie ab jetzt ständig mit ihnen zu tun hat? Doch soweit kann sie noch nicht denken. Erst einmal muss sie jetzt den Kopf wieder frei bekommen und das ganze Theater mit Bromley verdauen.
 

Sie blickt sich noch einmal um und entdeckt dann gegenüber der Treppe eine große, halbrunde Fensterfront. Viele der Fenster sind so groß, dass sie schon Türen sein könnten. Fran vermutet dahinter vielleicht einen Balkon und als sie näher herantritt, bestätigt sich ihre Annahme. Sie öffnet eine der Türen, die allerdings schon ziemlich wackelig in ihrem Rahmen hängt und streckt den Kopf heraus. Augenblicklich treffen sie kühle, schwere Regentropfen. Allerdings stört es sie nicht wirklich, immerhin ist sie ja schon im Regen hergekommen. Die Pinkhaarige stellt sich direkt unter die Türzarge, sodass ihr Gesicht vom Regen benetzt wird, wenn sie es anhebt. Sie verschränkt die Arme vor der Brust, schließt die Augen und lässt die Wassertropfen auf sich wirken, damit sie ein wenig von ihren Sorgen mitnehmen.
 

So verharrt sie eine ganze Weile stillschweigend und merkt gar nicht, wie die Zeit an ihr vorbeistreicht. Unbeachtet zieht eine Stunde dahin und plötzlich tippt ihr jemand auf die Schulter. Zuerst bekommt es Fran gar nicht mit, so vertieft ist sie in ihren Gedanken – schon beinahe eingeschläfert vom Regen. Als sie ein weiteres Mal angetippt wird, öffnet sie aber die Augen und dreht sich widerwillig herum. Einer der Rüpel – ein pinkhaariges Mädchen – steht vor ihr und sieht sie etwas schüchtern an. Fragend hebt die Ältere eine Augenbraue. „Der Boss sagt, du kannst jetz‘ in dein Zimmer.“, erwidert ihr Gegenüber schließlich. „Was denn für ein Zimmer?“, kommt es prompt von der Gift-Trainerin, da sie keine Ahnung hat, wovon das Mädchen überhaupt redet. Der Rüpel deutet den Flur hinunter. „Is‘ da ganz hinten. Nur für dich allein. Sieh’s dir an oder eben auch nich‘, sagt der Boss.“ Sie zuckt mit den Schultern und verschwindet dann wieder, ohne auf eine Antwort von der Älteren zu warten.
 

Doch etwas irritiert sieht Fran ihr nach. Sollte sich dieser machohafte Idiot etwa wirklich die Mühe gemacht haben, ihr ein Zimmer zuzuteilen? Bei dem ganzen Chaos hier, will sie sich das gar nicht so genau vorstellen, wie das aussehen soll. Aber, was bleibt ihr schon übrig, wenn sie die Nacht nicht auf einem der stinkenden Sofas auf dem Flur verbringen will? Seufzend nimmt sie ihren Rucksack und wendet sich dann den Flur entlang. Ihr Zimmer ist das letzte auf dem Gang und befindet sich, wie sie schnell feststellt, neben einem der Schlafzimmer der Mädchen. Neben der Tür türmt sich ein Haufen Zeug, etliche Kartons und sogar ein weiteres, zerschlissenes Sofa. Mit erhobener Augenbraue sieht sie darüber hinweg und ergreift die Klinke. Sie hält jedoch einen Moment inne, da sie merkwürdige Geräusche aus dem Zimmer hören kann. Ungewollt überkommt sie ein ungutes Gefühl, doch sie versucht es zu verdrängen und öffnet dann doch die Tür.
 

Überrascht bleibt sie unter der Zarge stehen und beobachtet, wie Bromley höchstpersönlich gerade dabei ist, ein großes, umgefallenes Regal wieder aufzustellen. Das weiße Holzkonstrukt überragt den großgewachsenen Mann noch um ein kleines Stück und ist so breit, dass er Mühe zu haben scheint, es allein zu stemmen. Dennoch ist er ganz allein im Zimmer. Fran wundert sich, warum er sich keine Hilfe geholt hat. Auch, wenn sie nicht glaubt, dass die Rüpel sonderlich gut dafür geeignet wären, doch aber ganz sicher irgendein Pokémon. Mit einem kräftigen Rumpeln, das sogar den Boden unter ihren Füßen leicht erzittern lässt, gelingt es dem Käfer-Trainer dann schließlich, dass Regal wieder aufrecht an die Wand zu stellen. Die ganze Sache sah in Frans Augen unglaublich schwierig aus und die dicken Sehnen und Adern, die an den Armen des Weißhaarigen hervorgetreten sind, scheinen das auch zu bestätigen. Trotzdem wirkt er nicht so, als hätte es ihn angestrengt. Er muss verdammt stark sein. So etwas wie Bewunderung huscht durch den Geist der Gift-Trainerin, doch nach außen dringt davon nichts.
 

„Geht doch! Jetz‘ kannste dich hier austoben, ohne ständig über das Ding steigen zu müss’n.“, meint Bromley knapp und verlässt das Zimmer dann wieder. Etwas überfordert blickt sie ihm nach. „Danke...“, entkommt es ihr, doch er winkt nur ab, ohne sich umzudrehen und verzieht sich dann wieder in seinem eigenen Zimmer. Einen Moment sieht Fran ihm noch hinterher. Er wirkte nicht so, als wäre ihm diese Aktion lästig gewesen, was sie nach diesem holprigen Start vorhin vollkommen verstanden hätte. Er hat sogar leicht gelächelt, nachdem das Regal endlich wieder stand. Vielleicht ist er doch kein so schlechter Kerl, wie es Fran ihr erster Eindruck weißmachen wollte? Die Zeit wird es wohl zeigen. Dann betritt sie den Raum, der ihr also zugeteilt wurde.
 

Das Zimmer ist nicht sonderlich groß, dafür wirkt es aber seltsam gemütlich. Unter dem Fenster, gegenüber der Tür, steht ein Bett, auf dem sogar frische Laken, Kissen, eine silberne Kette mit dem Skull-Logo, einige Klamotten,- von denen Bromley vielleicht hofft, dass sie sie anzieht-, ein weißes Paar Turnschuhe und eine Packung mit Henna-Farbe liegen. Bei der Farbe kommt ihr der Gedanke, dass die violetten Skull-Logos auf Bromley’s Unterarmen, die sie anfänglich für Tätowierungen gehalten hat, wohl eher mit Henna gemacht sind und er nun sicher möchte, dass auch sie sich irgendwo das Logo hinmalt. Noch ist sie sich nicht sicher, was sie von alledem halten soll, aber wenn sie eine Nacht darüber geschlafen hat, fällt es ihr bestimmt leichter.
 

Auf einem kleinen Nachtisch neben dem Bett steht eine altmodische Schirmlampe und taucht den Raum in ein warmes Licht. Der Boden ist mit dunkelblauem Teppich ausgelegt, der zudem auch noch überraschend sauber aussieht. Neben dem Nachttisch steht ein Schreibtisch aus dunklem Holz mit einem Stuhl davor, der zwar auch schon bessere Tage gesehen hat, dennoch stabil zu sein scheint. Direkt daneben steht das Regal, das Bromley aufgestellt hat und dann ist das Zimmer auch schon komplett. Trotz der Schlichtheit, ist sie sehr angetan davon, schon beinahe gerührt; kommt es ihr doch so vor, als hätte sich dieser grobschlächtige Macho alle Mühe gegeben, es ihr hier schön zu machen. Wahrscheinlich haben ihm die Rüpel dabei geholfen, aber das spielt eigentlich auch irgendwie keine Rolle.
 

Mit einem Seufzen schließt sie die Tür hinter sich und stellt ihren Rucksack auf dem Bett ab. Langsam packt sie ihn aus und verteilt ihre wenigen Habseligkeiten im Zimmer. Zum Schluss holt sie ein gerahmtes Foto hervor. Es zeigt Fran vor etwa fünf Jahren, damals noch völlig blond. Neben ihr steht ein kleiner Junge, ein paar Jahre jünger als sie, aber ebenfalls blond. Sie beide grinsen fröhlich in die Kamera. Es ist die letzte Aufnahme, die sie gemeinsam zeigt, da ihr kleiner Bruder nur einen Monat später bei einem tragischen Unfall ums Leben kam; kurz bevor er seine langersehnte Inselwanderschaft hätte antreten dürfen. Kraftlos lässt sich Fran aufs Bett sinken und kämpft mit den Tränen, während sie das Bild betrachtet. Sie konnte ihm nicht helfen, ihm nicht einmal auf Wiedersehen sagen und das bereut sie jeden Tag aufs Neue, da sie glaubt, als große Schwester schrecklich versagt zu haben. Entgegen jeder vorherrschenden Meinung über Geschwister haben sie sich immer sehr gut verstanden und haben alles zusammen gemacht, waren unzertrennlich.
 

Sein Tod hat nicht nur ihr das Herz gebrochen, sondern auch das ihrer Eltern. Sie haben sich nach der Beerdigung völlig von allem zurückgezogen und Fran praktisch über Nacht gar nicht mehr wahrgenommen. Sie konnte das anfänglich gut verstehen, ging es ihr damit doch nicht viel besser. Irgendwann wurde es ihr aber doch zu viel. Schließlich ist sie nicht tot und braucht ihre Eltern doch, um darüber hinweg zu kommen. Also fing sie an zu rebellieren, färbte sich die Haare, versuchte alles, um von ihnen Beachtung und Trost zu bekommen, doch vergebens. Vor ein paar Monaten ist sie schließlich von Zuhause abgehauen, weil sie es einfach nicht mehr ertragen konnte. Nun ist sie hier. Durch Zufall hat sie von dieser Chaotentruppe gehört, die in dem verlassenen Dorf haust und dachte, dass sie hier vielleicht neu anfangen könnte; frei von allen Regeln und Hindernissen, frei von ihrer quälenden Vergangenheit. Die Idee erscheint ihr immer noch gut, auch wenn die Rüpel sie sehr an ihren Bruder erinnern, der auch immer ziemlich aufgedreht und verplant war. Er hatte sogar ziemliche Ähnlichkeit mit Bromley, wenn sie so darüber nachdenkt. Doch im Gegensatz zu ihm, war er sehr nett und liebenswürdig. Aber vielleicht ist der Weißhaarige das ja auch und sie hat es nur noch nicht gesehen? Irgendwie wünscht sie sich das sogar. Vielleicht braucht er nur jemanden, der ihn führt und die guten Seiten in ihm wachkitzelt? Ein wehmütiges Lächeln huscht über ihr Gesicht und eine einzelne Träne landet auf dem Glas des Fotos. „Ja, vielleicht...“, flüstert sie zu sich selbst und stellt das Bild dann vorsichtig zu ihren anderen Sachen ins Regal.
 


 

3
 

Es ist spät geworden und die Lottervilla liegt im Schweigen der Nacht. Die Rüpel haben sich in ihre Zimmer zurückgezogen und die Meisten von ihnen schlafen auch schon tief und fest. Auch Fran ist mehr als fertig nach diesem aufreibenden Start und will nur noch ins Bett. Nachdem sie sich wieder halbwegs unter Kontrolle hatte, erkundete sie ein wenig die Villa, um sich mit allem etwas vertraut zu machen und auch das ein oder andere Wort mit ein paar der Rüpel zu wechseln. Auf dem Weg zu ihrem eigenen kleinen Reich kommt sie jetzt an Bromley’s Zimmer vorbei, obwohl es eigentlich in einer ganz anderen Richtung liegt, doch sie hat ein wenig die Orientierung in dem großen Anwesen verloren. Die Tür steht aber noch immer offen und auch das Licht brennt noch. Vorsichtig blickt sie hinein. Sie weiß selbst nicht wieso, irgendwie ist sie aber neugierig, was er so spät noch machen könnte. Vielleicht kann sie ja ein paar Worte mit ihm wechseln, um seinem Wesen etwas mehr auf den Grund zu gehen, hat sie ihn doch nicht mehr gesehen, seit er das Regal in ihrem Zimmer aufgerichtet hat.
 

Der Weißhaarige liegt jedoch ausgestreckt auf dem übergroßen Bett, wie ein Erschossener und schläft tief und fest. Er hat es vielleicht nicht geschafft, das Licht auszumachen und die Tür zu schließen, doch das Ausziehen war ihm wohl nicht zu schwierig. So liegt er nur mit seiner engen, schwarzen Unterhose und der schweren Goldkette bekleidet auf den zerwühlten Laken des Bettes, während es sich Lady auf seinem flachen Bauch bequem gemacht hat und bei jedem seiner Atemzüge sanft auf und nieder gewiegt wird. Unverständlich brabbelt er im Schlaf irgendetwas vor sich hin. Die offene Bierflasche in seiner Hand neigt sich dabei gefährlich dem Bett zu, auf dessen Laken auch ein halbgelutschter Lolli klebt.
 

Wie sie ihn da so betrachtet, hat Fran schon fast vergessen, was für ein Arschloch er vor wenigen Stunden bei ihrer Ankunft gewesen ist. In ihr kommen Erinnerungen hoch; Erinnerungen an ihr Zuhause, dass sie vor langer Zeit verlassen hat. Die Jungs hier, darunter auch Bromley, erinnern sie wieder an ihren kleinen Bruder, der auf so sinnlose Weise vor ein paar Jahren ums Leben kam. Oh, wie sehr sie ihn doch vermisst… Trotz des aufreibenden Starts, fühlt sie sich hier jedoch irgendwie Zuhause, so als wäre sie nach einer langen Reise endlich angekommen. Die Rüpel können ihr zwar ihren toten Bruder nicht ersetzen, aber vielleicht kann sie ja so etwas wie eine große Schwester für sie sein, damit sie wieder eine Aufgabe im Leben hat? Der Gedanke kam ihr vorhin immerhin auch schon mal, als sie sich mit einigen der Jungs und Mädchen unterhalten hat, doch nun scheint er sich richtiggehend festzusetzen und somit beschlossen zu sein. Zudem meinte Bromley doch auch, sie solle den Rüpeln ein paar Manieren beibringen und wer, außer einer großen Schwester, könnte das besser? Eine liebende Mutter vielleicht, doch die haben die Wenigsten hier nicht. Fast alle Rüpel sind Waisen, Halbwaisen oder heimatlos, einfach abgehauen, weil es Zuhause unerträglich geworden ist, sodass sie hier wie ein großer Haufen Brüder und Schwerstern zusammenleben, die vom Ältesten angeführt werden. Und da Fran nun das älteste Mädchen ist, wäre es nur logisch, wenn sie die Rolle der großen Schwester einnimmt.
 

Vorsichtig schleicht sie ins Zimmer und nähert sich dem Bett. Sie ist noch nicht ganz angekommen, da erwacht Lady und flitzt aufgebracht über das Laken. Verängstigt huscht sie dabei immer wieder über ihren Trainer hinweg, doch dieser scheint einen sehr tiefen Schlaf zu haben und das zwölf Kilo schwere Pokémon gar nicht zu bemerken. Er rührt sich keinen Millimeter. Das beruhigt Fran doch ziemlich, denn sie möchte nicht wirklich miterleben, wie es aussieht, wenn Bromley ernsthaft wütend wird, weil sie ungefragt in sein Zimmer gekommen ist und ihn auch noch beim Schlafen beobachtet. Ungeachtet des aufgebrachten Pokémon, das sich nun wieder unter dem Bett versteckt, erhascht sie die Bierflasche genau in dem Augenblick, als sich ihr verbliebener Inhalt auf das Laken ergießen will. Mit einem milden Lächeln betrachtet sie den schlafenden, jungen Mann. Unter dem Bett beginnt Reißlaus nervös zu fiepen. Das Pokémon möchte definitiv, dass sie verschwindet. Doch bevor sie geht, zieht sie noch die Decke über ihren schlafenden Boss und entfernt den Lutscher vom Laken. Dann wendet sie sich mit schnellen Schritten der Tür zu. Dort angekommen, sieht sie noch einmal zurück. Nervös kann sie Ladys Fühler an der Bettkante entlang tasten sehen.
 

Als sie sich umdreht, um zu gehen, hört sie plötzlich Bromley’s Stimme. „Franny~“, haucht er verschlafen. Überrascht dreht sie sich um, doch der Käfer-Trainer schläft noch immer tief und fest. Niemand, außer ihrem geliebten kleinen Bruder hat sie je mit dieser Verniedlichung ihres Spitznamens gewagt anzusprechen und nun hört sie ihn allen Ernstes aus dem Mund dieses ungehobelten Typen!? Noch während sie das Ganze als Unfug abtut, streckt er schlagartig die geballte Faust zur Decke empor. „Ich werd‘ euch alle plattmachen!“, verkündet er halblaut und lässt die Hand dann wieder aufs Bett fallen. Er scheint wohl irgendetwas zu träumen. Schließlich dreht er sich auf die Seite und rollt sich wie eine Raupe unter der Decke zusammen. Geschwind huscht Lady zurück aufs Bett und in seine Arme. Dort fühlt sie sich sicher. Bromley beginnt im Schlaf zu lächeln. „Omelett wär‘ toll…“, murmelt er vor sich hin und drückt das Pokémon wie ein Stofftier an sich. Dann herrscht Stille. Mit einem Schmunzeln verlässt Fran das Zimmer schließlich endgültig, löscht das Licht und schließt die Tür. Eigentlich ist er ja ganz niedlich – wenn er schläft.
 


 

4
 

Am nächsten Morgen steigt Bromley der köstliche Duft von Kaffee, heißem Kakao und Essen in die Nase. Verschlafen öffnet er die Augen und schnuppert. Mit einem herzhaften Gähnen erhebt er sich ungelenk aus dem Bett und schlurft die Treppe hinunter Richtung Esszimmer, dicht gefolgt von der roten Reißlaus. Noch völlig neben sich, erreicht er das Esszimmer und starrt irritiert in den großzügigen Raum. Noch gestern Abend gab es hier nur Kissen und alte Matratzen, auf denen sie immer zum Essen gesessen haben. Nun stehen dort in einer langen Schlange Tische hintereinander aufgereiht, rundherum Stühle aufgestellt und auf jedem davon sitzt ein Skull-Mitglied. All die Kissen und Matratzen sind auf wundersame, aber nicht endgültige Weise verschwunden. Die Tische haben zwar auch schon bessere Tage erlebt, weil sich die Rüpel in ihrer Langeweile oder ihrem Frust daran vergangen haben, dafür sind sie jetzt aber umso liebevoller gedeckt. Überall stehen Teller verteilt, gesäumt von Besteck und Tassen. Kannen mit Kaffee und heißem Kakao stehen bereit. Dort sind Obst, selbstgemachte Malasadas, Reis und Omelett.
 

Bromley traut seinen Augen kaum, hat er doch gar nicht gewusst, dass sie so viele Teller und Bestecke haben, und starrt wie hypnotisiert in die Runde. Und noch etwas ist anders. Normalerweise sind sie alle schreckliche Morgenmuffel und warten nur darauf, dass sich irgendjemand bequemt und Kaffee macht, der dann die anderen halbwegs aus dem Bett lockt. Allerhöchstens mit Unterwäsche bekleidet haben sie dann zusammengesessen und versucht wach zu werden; zu meist mit den Fingern gegessen, wie ein paar Penner unter einer Brücke. Doch jetzt sitzen alle Rüpel vollzählig und vollständig angezogen am Tisch und wirken überraschend wach und ausgeschlafen. Erschreckend leise unterhalten sie sich zudem miteinander, während Fran das Essen an alle verteilt. Schließlich sehen sie ihren Anführer in der Tür stehen. „Morgen, Boss!“, begrüßen sie ihn in einem ausgelassenen Chor,- mittlerweile immerhin bestehend aus vierzehn Jungs und zwölf Mädchen-, der bei dem Weißhaarigen schlagartig Kopfschmerzen verursacht.
 

Darauf weiß Bromley auch gar nichts zu erwidern, zu sehr verwirrt ihn das alles. Er hat auch nicht die Chance sich eine Antwort zu überlegen, da Fran sich nun an ihn wendet. „Auch schon wach? Wie wäre es, wenn du dir erstmal etwas anziehen würdest, großer Junge? Sonst bekommst du kein Frühstück!“, erklärt sie bestimmend, obwohl es schon Mittag durch ist. Der Weißhaarige sieht sie nur vollkommen verständnislos an und reibt sich kindlich und ungläubig mit den Fäusten die Augen. „Wie wäre es wenigstens mit einer Hose, Schlafmütze?“, fragt sie erneut, wo seine enge Shorts doch kaum Platz für Fantasie zu lassen und die Blicke nicht weniger Rüpel magisch anzuziehen scheint. „Was…?“, erwidert der Ältere träge. Er versteht immer noch nicht, was hier eigentlich los ist. Doch dann steht Aaron plötzlich hinter ihm und drückt ihm seine Klamotten in die Hand. „Hier, Boss!“, flötet er fröhlich und setzt sich schnell wieder auf seinen Platz. Bromley starrt den Haufen Stoff an, als hätte er ihn noch nie im Leben gesehen. Doch dann beginnt er sich wie in Zeitlupe vor den Augen der anderen anzuziehen. Als das geschafft ist, schlurft er gähnend zum Kopf des Tisches, zum einzig noch freien Platz, und lässt sich schwerfällig auf den Stuhl fallen. Fran füllt seinen Teller mit Omelett und seine Tasse mit heißem Kakao und setzt sich dann ebenfalls, ihm gegenüber ans andere Ende des Tisches.
 

Noch immer neben sich, nippt Bromley an dem heißen Getränk. Es schmeckt herrlich herbsüß und sahnig zugleich, füllt sein Innerstes mit Wärme und lässt ihn langsam wach werden. Wie automatisch streckt er ein Bein zur Seite aus und lässt Lady auf seinen Schoß krabbeln. Aufmerksam beobachtet Fran das Schauspiel, was aber außer ihr niemanden zu interessieren scheint. Noch etwas unkoordiniert kämpft sich Bromley mit der Gabel durch sein Omelett. Während er wieder an seinem Kakao nippt, sinkt die gefüllte Gabel aber unbewusst etwas herab und Lady schnappt sich das Stück darauf mit vergnügtem Fiepen. Beinahe fassungslos sieht Fran dann mit an, wie sich das Pokémon anschließend wie selbstverständlich auf dem Teller seines Trainers zu bedienen beginnt und Bromley einfach weiter isst, dabei gedankenverloren über den Kopf der großen Assel streichelt. „Hey, Pokémon haben am Tisch nichts zu suchen und gefüttert werden sie dort schon mal gar nicht!“, fährt Fran ihn an. Immerhin hatte sie genug Mühe, das den Rüpeln zu untersagen.
 

Ein kindliches Kichern geht durch die Runde der Rüpel, doch der Angesprochene reagiert nicht. „Hörst du nicht, Bromley!“, setzt sie wieder an. Diesmal sieht er zu ihr hinüber, doch sein Blick wirkt weiter abwesend. Ein erneutes Kichern umrundet den Tisch. Die Rüpel scheinen sichtlich ihren Spaß daran zu haben, die beiden zu beobachten. Fran fühlt sich jedoch überhaupt nicht ernst genommen. Klar, Bromley steht im Rang der Truppe über ihr, was aber noch längst nicht heißen muss, dass er sie völlig ignorieren und so zum Gespött den anderen gegenüber machen kann. Immerhin fehlt es der Truppe auch so schon genug an Disziplin und Ordnung und jeder macht eigentlich nur, was er will und kaum mal, was er soll. Ungehalten erhebt sie sich und schlägt die flachen Hände nachdrücklich auf den Tisch, um sich endlich Gehör zu verschaffen. Schließlich hat es sie unendlich viel Mühe gekostet, dass alles vorzubereiten, die Rüpel aus dem Bett zu bekommen und ihre gewohnten Schlaksigkeiten zu unterbinden, damit sie vernünftig zusammen essen können. In diesem Moment klärt sich der Blick des Skull-Führers blitzartig und ehe sie etwas Neues sagen kann, fällt er ihr auch schon grob ins Wort. „Nun bleib ma‘ aufm Teppich, Weib! Noch bin ich hier der Boss und ich kann mach’n, was ich will, is‘ das klar!?“, schnauzt er sie an und richtet dabei auch noch drohend die Gabel auf sie.
 

Überrascht zuckt sie zusammen, ebenso einige der Rüpel. Abwartend beobachten sie alles, kennen sie die plötzlichen Ausbrüche ihres Anführers doch inzwischen recht gut. Fran resigniert schließlich doch, da sie in den Gesichtern der Rüpel förmlich lesen kann, dass es besser für sie wäre. Es passt ihr zwar überhaupt nicht, doch sie will sich auch nicht gleich unbeliebt bei allen machen. Fran verschränkt die Arme vor der Brust und setzt sich wieder. „Schön, dann füttere es eben, ist mir doch egal…“, seufzt sie. Überlegen grinst Bromley sie an und schnippt dann mit den Fingern. Ein kindliches Jubeln geht durch die Reihen der Rüpel, die sich bis dahin schwer versucht haben, unter ihrem strengen Blick zu benehmen,- gefolgt vom charakteristischen Schnappen der sich öffnenden Pokébälle. Auf einmal ist das ganze Zimmer angefüllt mit den hungrigen Begleitern eines jeden Rüpels. Aus einem großen Sack verteilen sie gestohlene Pokébohnen und Futterbriketts an die hungrigen Tierchen und nicht wenige von ihnen bekommen etwas von Frans mühevoll zubereitetem Frühstück. „Wie im Kindergarten…“, gibt sie schmollend von sich und stochert in ihrem Essen herum, doch bei dem jetzigen Lärmpegel hört sie eh keiner mehr und der Appetit ist ihr auch gründlich vergangen.
 


 

5
 

Nach alledem zieht sich Fran erst einmal zurück. Sollen die anderen doch das Chaos aufräumen, schließlich haben sie es ja auch veranstaltet. Seufzend setzt sie sich auf den Dachvorsprung neben dem Balkon der Villa und betrachtet die grauen Wolken, die so schwer und tief hängen, dass man das Gefühl hat, sie berühren zu können. Im Moment regnet es erstaunlicherweise mal nicht, doch es wird sicher bald wieder anfangen. Lange bleibt Fran jedoch nicht mit ihren Gedanken allein. Kurze Zeit später setzt sich eines der Mädchen neben sie. Sie schwingt lässig die Beine über den Rand des Daches und lässt sie wie ein kleines Kind baumeln. Erst nach einem Moment erhebt sie die Stimme. „Yo, Sis? Darf ich mich zu dir setzen?“, fragt die Pinkhaarige überflüssigerweise. Fran ignoriert diese Sinnlosigkeit jedoch, zu sehr nagt das alles noch an ihr. „Klar, gern…“, antwortet sie daher knapp. Wieder setzt Schweigen ein. Gedankenversunken zieht Fran die Knie an und legt den Kopf darauf ab. So hat sie sich das Ganze nun wirklich nicht vorgestellt.
 

„Yo, mach‘ dir nichts draus.“, erwidert das Mädchen neben ihr plötzlich. Fragend blickt die Ältere sie an. Etwas verlegen kratzt sich die Maskierte am Hinterkopf. „Yo, ich mein‘, der Boss is‘ manchma‘ etwas strange, also mach‘ dir nichts draus, Schwester.“ „Strange nennst du das? Ich würde eher sagen, er hat nicht mehr alle Tassen im Schrank…“ Der Rüpel gibt ein kurzes, helles Kichern von sich, welches von dem schwarzen Tuch vor ihrem Mund etwas abgedämpft wird, dennoch klingt es überaus herzlich und erfreut. „Auf jeden! Aber ma‘ ernsthaft jetz‘. Der Boss is‘ echt ‘n Supertyp!“ Verständnislos mustert Fran das Mädchen neben sich. „Ich glaube, ihr beide solltet nicht so viel von Was-auch-immer schlucken…“ Irritiert sieht die Jüngere sie an. Dann plappert Rose einfach munter weiter, als wäre nichts gewesen. „Ich mein’s voll ernst! Der Boss wirkt zwar immer total neben sich, aber er is‘ ‘n ganz feiner Kerl. Er kümmert sich voll gut um uns; hat uns von ‘ner Straße geholt, uns hier ‘n Zuhause gegeben und so’n Zeug.“ Verträumt lässt sie den Blick in die Ferne schweifen. „Völlig egal, wie genervt er manchma‘ auch is‘, er hat immer noch ‘n Ohr für uns frei. Was auch immer du für’n Problem hast, kannst immer zu ihm geh’n und er hört dir zu und versucht zu helfen.“
 

Fran ist sich nicht sicher, was sie davon halten soll. So hat sie ihn jedenfalls nicht eingeschätzt. In ihren Augen ist er nicht mehr, als ein postpubertierendes Arschloch mit einem zu groß geratenen Ego; erst recht, wo es keiner der Rüpel auch nur ansatzweise wagt, ihn mit dem Vornamen anzusprechen – nicht einmal, wenn er gar nicht in der Nähe ist. „Ach echt?“ „Ja, Mann! Er is‘ keiner von den Typen, die zuerst an sich selbst denken. Voll das Gegenteil! Er würd‘ alles tun, damit es uns und den Pokémon gutgeht, egal wie viel Scheiß er dafür einstecken muss.“ Skeptisch mustert Fran ihr Gegenüber. „Klingt eher so, als wärst du in ihn verknallt und willst nicht, dass ich etwas Schlechtes über ihn denke.“ Erschrocken zuckt Rose zusammen und hebt abwehrend die Hände. „Yo, Sis! Jetz‘ ma‘ halblang! – Erwischt! Aber, wer is‘ das nich‘? Ganz Skull liegt ihm förmlich zu Füßen, aber in sein Bett oder sein Herz hat’s bisher noch keiner geschafft. Er sieht uns einfach nich‘…“, erwidert sie traurig. „Muss wohl daran liegen, dass ihr alle gleich ausseht.“, bemerkt die Ältere stirnrunzelnd.
 

„No way! Das is‘ Taktik! Wenn wir krumme Dinger drehen, soll man ja nich‘ gleich rauskriegen, wer’s genau wa‘. Und wer legt sich schon freiwillig mit ganz Skull an? Das der Boss uns vielleicht nich‘ immer auseinander halten kann, hat auch sein Gutes. Wenn einer Scheiße baut und es nich‘ freiwillig zugibt, nennt er das Teamwork und verzichtet oftmals auf ‘ne Strafe. Einer für alle und alle für Skull, checkstes? – Er sieht uns einfach nich‘, weil Samantha, diese selten dämliche Bitch, ihn total um den Finger gewickelt hat…“, erklärt sie aufgewühlt und ballt heftig die Fäuste auf ihren Oberschenkeln. „Wer ist denn Samantha?“, hakt Fran nach. Das Mädchen neben ihr gibt einen angewiderten Laut von sich und verdreht theatralisch die Augen. „Das is‘ die Präsidentin der Æther-Foundation. Eigentlich arbeiten wa‘ heimlich für die, weil sie irgendwelche krassen Ideen hat und als Obertussi kann sie das alles hinter der Hand mach’n, während die andren Æther-Trottel denken, sie würden wichtige Forschung zum Erhalt der Pokémon betreiben. Sie wa‘ es auch, die dem Boss bei der Neugründung von Team Skull geholfen hat. – Mann, musste ma‘ seh’n, wie er sie angafft, völlig high! Ich weiß nich‘, was sie mit ihm macht, dasser so drauf is‘, aber ihre Blicke sagen alles. Sie hat voll was am Laufen mit’m Boss und manipuliert ihn irgendwie, damit er ihr hilft mit ihrem krassen Zeug und deswegen is‘ kein Platz in seinem Herz für uns…“
 

Entgeistert starrt Fran sie an. „Was? Die beiden haben was miteinander? Aber sie ist doch bestimmt doppelt so alt wie er!“ Dunkel kann sich Fran daran erinnern, Samantha als Kind mal im Fernsehen gesehen zu haben, als sie die Foundation von ihrem verstorbenen Vater geerbt hat. Traurig erwidert Rose ihren Blick und nickt nur. „Scheiße ja, Mann! Aber sie hat ihn voll in ‘ner Hand. Sie hat ihm wieder auf die Beine geholfen, nach der Sache mit Kukui und jetz‘ is‘ er ihr wohl ‘was schuldig oder so…“ „Ist das nicht dieser komische Pokémon-Professor von Mele-Mele, der kein T-Shirt zu besitzen scheint? Was hat Bromley denn mit dem zu schaffen?“ Überrascht sehen sich die beiden, jungen Frauen an. „Oh shit! Das weißte ja noch gar nich‘! – Der Boss wird immer sehr redselig, wenn’er betrunken is‘ oder man ihm lang genug auf die Nerven geht und dann erzählt er aus seiner Vergangenheit und flippt meist auch völlig aus deswegen. Im Nachhinein kann’er sich an das Gespräch zwar meist auch nich‘ mehr erinnern, weswegen man ihn damit nich‘ grad konfrontieren sollte, aber er sagt immer die Wahrheit. Betrunkene könn‘ halt nich‘ lügen, ne? Und so temperamentvolle Kerle auch nich‘. – Ok, ich werd’s dir erzählen, aber das haste absolut nich‘ von mir!“, mahnt sie Fran. Plötzlich ist deren Neugierde geweckt. Vielleicht erfährt sie ja so, wo Bromley angefangen hat, seinen Verstand zu verlieren?
 

„Ok, Mann, ich muss ‘n bisschen weiter ausholen, also nich‘ wundern. – Als Junge wa‘ der Boss auf Inselwanderschaft, ‘ne? Er und dieser Kukui waren damals voll die guten Kumpels und ham den Trip gemeinsam durchgezogen. Als sie fertig war’n, hätten sie eigentlich zu ihren Familien zurückkehren könn‘. Doch der Boss wollt‘ nich‘. Seine Alten sind nämlich voll die Penner. Seine Mutter hat ihn immer ignoriert und weggeschaut, wenn’er Probleme hatte, weil sie nich‘ mehr ganz richtig im Kopf is‘. Und sein Vater wa‘ ständig grundlos wütend auf ihn und hat ihn dann mit ‘nem Golfschläger verdroschen…“ Fassungslos folgt Fran ihren Worten. ‚Daher hat er wohl auch all die Narben…‘, geht es ihr durch den Kopf. Als sie ihn gestern Nacht zugedeckt hat, hat sie diese Tatsache nicht weiter beachtet, doch jetzt erinnert sie sich an die unzähligen, weißen Linien quer über seine Brust, den Bauch, die Beine und die Arme. Plötzlich hat sie Mitleid mit ihm. Sie selbst ist so behütet aufgewachsen und hat ihre Familie freiwillig verlassen, weil sie das Elend nach dem Tod ihres kleinen Bruders einfach nicht mehr verkraftet hat. Solche Erlebnisse zeichnen einen ganz schön und jeder versucht auf eine andere Weise damit fertig zu werden, vermutet sie.
 

„Der Boss is‘ wieder mit Kukui auf Reisen gegangen, weil sie beide Captain werden wollten und es beim ersten Anlauf nich‘ geschafft ham Champ zu werden, weil der blöde Kukui krank geworden is‘ und sie es aber nur zusamm‘ zu Ende bringen durften. Hat aber auch diesma‘ nich‘ geklappt und so weiter und Kukui hat dann stattdessen angefangen zu studieren. Der Boss is‘ bei ihm geblieben, weil er nich‘ wusste, wohin. Daraus is‘ viel geworden. Die beiden sind über vier Jahre lang ‘n Paar gewesen…“ Plötzlich entgleiten Fran alle Gesichtszüge. „Moment mal! Bromley ist schwul!?“, fragt sie entgeistert und vergisst dabei völlig, dass er doch angeblich ein Verhältnis mit Samantha hat. Sie kann es gar nicht glauben, so wie er sie bei ihrem ersten Treffen gestern angestarrt hat. Das Mädchen neben ihr bricht in haltloses Gelächter aus. „Scheiße nein! Er steht auf Mädchen und Jungs, checkstes? Aber dieser Kukui wa‘ halt sein erster Freund.“ Aus irgendeinem ihr noch nicht ersichtlichen Grund, fällt Fran jetzt ein Stein vom Herzen.
 

„Yo, aber dieser seltendämliche Prof is‘ ja jetz‘ mit so ‘ner andren Professor-Tussi verheiratet, ‘ne? Die hat er während seines Studiums kennengelernt, als er noch mit’m Boss zusamm‘ wa‘. Irgendwann wa‘ ihr das dann aber zu blöd, dass der Boss ständig bei Kukui rumgehangen hat, obwohl der Boss ja auch sein Assistent wa‘ und Kukui hat ihn schließlich ihretwegen vor die Tür gesetzt. Is‘ dem Boss gar nich‘ gut bekomm‘. Halb verrückt geworden is‘ er, weil er ihn so geliebt hat. Daraufhin is‘ der Boss dann abgehauen und keiner wusste, wohin. Bis vor vier Monaten, da hat Samantha ihn gefunden und aufgepäppelt…“ „Klingt ja echt schlimm…“, erwidert die Ältere ehrlich. „Is‘ es auch! Ich hab‘ voll Mitleid mit’m Boss. Wa‘ ham alle Scheiße durchgemacht, hatten ‘ne Scheißkindheit, haben’s zu nichts gebracht und das verbindet uns jetz‘. Doch der Boss hat am Meisten zu tragen. Da is‘ es echt bewundernswert, dasser sich so um uns und die Pokémon kümmert.“ „Da hast du wohl recht. Aber ist das mit seiner Reißlaus nicht doch etwas übertrieben?“ „Meinste Lady? Das würdeste aber nich‘ denken, wenn du dabei gewesen wärst.“ „Dann lass doch mal hören, wenn du es besser weißt!“
 

„Yo, klar. Das haste aber auch nich‘ von mir, ne? – Dazu musste aber vielleicht wissen, dass Reißlaus damals das erste Pokémon vom Boss wa‘. Nach seiner Inselwanderschaft hat er sie – Sweetheart – zur Ruhe gesetzt und ‘ne neue trainiert – Buddy. Das sind die beiden Tectass, die hier draußen rumlaufen und ‘n bisschen die Gegend im Auge ham.“ Sie deutet mit dem Finger auf die beiden riesenhaften, bedrohlich wirkenden Käfer, die gemächlich über die feuchte Wiese vor der Villa streifen, wie überdimensionale Wachhunde. „Das Reißlaus, das er jetz‘ im Team hat – Pote – is‘ das Baby von den beiden da. Doch das Reißlaus, das ihm immer hinterherläuft – Lady – is‘ ‘was Besonderes. Sie is‘ nich‘ zum Kämpfen da, sondern eher wie so’n Schoßtier, was zum Kuscheln, checkstes? Der Boss hat sie vor gut zwei Monaten gerettet und seitdem sind sie unzertrennlich.“ „Gerettet, ja?“, hakt Fran nach. So recht glauben kann sie es nicht. Denn, was sie bisher so gesehen hat, scheint Bromley doch eher ruppig mit Menschen wie auch Pokémon umzugehen.
 

„Glaub’s ruhig, Schwester. Das wa‘ total krass! Mir läuft’s jetz‘ noch kalt den Rücken runter, wenn ich dran denk‘. – Wa‘ war’n da gemeinsam mit’m Boss auf ‘nem echt großen Raubzug, ham unsre Bikes so richtig eingeweiht, ‘ne? Hat alles dufte geklappt und wa‘ war’n voll Stolz und so. Aufm Weg zurück zur Villa sind wa‘ dann so ‘nem Typen begegnet. Der schlug immer wieder mit’m Stock auf ‘was ein. Wa‘ wollten schon weiterfahren, uns nich‘ die Laune vermiesen lassen, als der Boss auf einmal dermaßen in die Eisen gestiegen is‘, dass ich ‘nen Moment lang dacht‘, sein Hinterreifen würd‘ uns gleich um die Ohren fliegen oder er landet mit’m Gesicht im Dreck. Aber nichts dergleichen. Er hatt‘ so’nen krassen Ausdruck in ‘n Augen, dass man fast tot umgefallen wär‘. Er is‘ auf den Typen losgegangen, wie’n wildes Tauros, kann ich dir sagen! Hat ihn so dermaßen verdroschen, dass ich nich‘ ma‘ sicher bin, ob der das überhaupt überlebt hat! Wir ham nur erschrocken zugesehen und wussten nich‘, was wa‘ mach’n sollten. Bis dahin wa‘ er immer eher friedlich gewesen. – Erst, als der Typ sich nich‘ mehr bewegt hat, ham wa‘ gesehen, dass er mit’m Stock ‘n Reißlaus verdroschen hat. Es gehörte dem Typen und er hat es wohl für zu schwächlich gehalten oder so und wollte es durch die Prügel abhärten.
 

Der Boss konnt‘ das nich‘ ertragen, schon gar nich‘ bei ‘nem Shiny, so’n seltener Scheißer. Und erst recht, da er von seinem Alten ja auch immer verdroschen wurde und der ihn dabei nur zu gern ‘nen Schwächling oder Nichtsnutz genannt hat. Der Boss hat das Reißlaus mitgenommen und sich ‘n Arsch aufgerissen, es wieder auf die Beine zu kriegen, obwohl es verdammt schlecht um es stand. Tagelang sah es aus, als hätt‘ ihr letztes Stündlein geschlagen, doch er hat nich‘ aufgegeben und jetz‘ weicht es ihm nich‘ mehr von der Seite.“ Fran fehlen die Worte, so viel Gefühl für andere hätte sie Bromley weiß Gott nicht zugetraut. „Kaum zu glauben…“, sagt sie schließlich. „Yo, nich‘? Und genauso kümmert er sich auch um uns. Als Sonja ma‘ von so ‘nem geilen, alten Bock blöd angemacht wurde, hätt‘ er den auch verdroschen, wenn der Kerl nich‘ vorher abgehauen wär‘. – Meinste jetz‘ immer noch, dass der Boss nich‘ mehr alle Tassen im Schrank hat?“
 

Fran kann sich ein Lächeln irgendwie nicht verkneifen. „Doch, dass glaube ich immer noch, aber auf eine irgendwie liebenswerte Weise!“ „Dann werdeter euch bestimmt doch gut verstehen! Er kann‘s nur nich‘ ertragen, bevormundet zu werden, immerhin is‘ er ja der Boss, ‘ne? Sonst kann man sich aber alles mit ihm erlauben, solang man seine Käfer-Pokémon nich‘ schlecht macht, ‘ne?“ „Schon klar. Ich werde mich etwas mit seinen Marotten arrangieren und dann wird es schon irgendwie gehen.“ Lächelnd betrachten die beiden Mädchen den grauen Himmel, bis es kurz darauf wieder zu regnen beginnt und sie sich nach drinnen verziehen.

Annoying meeting…


 

1
 

Gut ein Jahr ist seitdem vergangen und Team Skull hat sich in der Zwischenzeit überall in Alola einen Namen gemacht. Die Chaotentruppe zieht pöbelnd und lärmend von einer Insel zu anderen und hat nichts als Chaos und Zerstörung im Sinn. Die Menschen fürchten sie zwar nicht unbedingt, doch sie empfinden sie als ziemlich lästig und anstrengend; ein Ärgernis, das sie einfach nicht mehr loszuwerden scheinen. Innerhalb des Teams läuft es dafür immer besser. Fran hat ihren Platz als Vorstand von Skull nun mehr perfekt eingenommen. Die Rüpel unterliegen zu meist ihrer Führung und so nimmt sie Bromley viel Arbeit ab. Zu ihrem Leidwesen hat er so aber weit mehr Zeit, um mit Samantha zu agieren, was ihr irgendwie sauer aufstößt, obwohl sie nicht sagen kann, wieso genau. Die Blondine hat in den letzten Monaten einiges zu Stande gebracht und es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis sich ihr Wunsch erfüllt und sie mit einer Ultrabestie Kontakt aufnehmen kann. Und je weiter sie damit kommt, desto mehr verlangt sie nach dem Weißhaarigen, der ihr zumeist bereitwillig zur Hand geht. Ist er nicht mit ihr beschäftigt, streunt er oftmals mit ein paar Rüpeln umher und scheucht die Leute auf. So ist es auch heute, wo er sich den Ziergarten von Malihe City ausgesucht hat.
 

Eigentlich soll dieser speziell und sehr mühevoll angelegte Garten der Erholung und Entspannung der Besucher, sowie auch der dort lebenden Pokémon dienen. Ein Ort sein, an den man sich zurückziehen und neue Kraft tanken kann. Aus diesem Grund sind hier auch keine mobilen Pokémon gestattet, um das Bild des Gartens nicht zu zerstören. Kämpfe dürfen zwar schon ausgetragen und wilde Pokémon gefangen werden, es gehört hier aber nicht zur allgemeinen Norm und sollte daher nach Möglichkeit auch in Grenzen gehalten werden. Also ein perfekter Ort, der geradezu danach schreit, mal etwas aufgemischt zu werden!
 

An diesem lauen Vormittag wird die Stille daher radikal zu Nichte gemacht, als Bromley mit seinen beiden Rüpeln im Garten Einzug hält. Das grausame, nahezu ohrenbetäubende Röhren und Dröhnen der drei Suzukas zerschneidet die entspannende Ruhe so schlagartig, wie ein hinterrücks ausgeführter Messerangriff. Grölend und johlend rasen die drei über die Nuggetbrücke hinweg, sodass es den wenigen Besuchern gerade noch gelingt, aus dem Weg zu springen und nicht unter die Räder zu kommen. Verständnislos blicken sie den lautstarken Rabauken hinterher, die sich in den hinten Teil des Gartens begeben und dort ungestört weitermachen. Unschlüssig tauschen die Besucher ein paar Blicke und Wörter miteinander, wissen aber nicht so recht, wie sie diesen Wilden Herr werden sollen. Zumal die meisten Leute, die hierherkommen, keine Trainer mehr sind oder es auch nie waren und dem Ganzen somit ziemlich hilflos gegenüberstehen.
 

Der entfernte Lärm ebbt langsam ab, was aber nicht bedeutet, dass Team Skull sich nun zur Ruhe gesetzt hat und den friedlichen Anblick des Gartens genießt. Ihnen fällt definitiv etwas ein, um sich die Zeit zu vertreiben und den Leuten Ärger zu bereiten. Doch immerhin können sich die Besucher im vorderen Teil des Gartens erstmal wieder etwas entspannen. Vielleicht finden sie ja gemeinsam sogar eine Lösung für das alles und es gelingt ihnen irgendwie, diese Chaoten wieder loszuwerden?
 


 

2
 

Ein wenig Hoffnung keimt auf, als zwei neue Gesichter unvermittelt den Garten betreten. Mit einem Lächeln führt Kukui seinen Schützling vor die Nuggetbrücke und beginnt ihm etwas über den Ziergarten zu erzählen. Aufmerksam lauscht Sun seinen Worten und blickt sich mit großen Augen um. Der Elfjährige ist seit knapp einem Jahr auf seiner Inselwanderschaft, nachdem er, ähnlich wie einst Manuel, von Kanto hierher gezogen ist. Er ist der erste Trainer, den der junge Professor auf seiner Reise begleitet, weshalb sich Kukui auch alle Mühe gibt, ihn zu unterstützen und zu fördern. Der Kleine ist auch sehr talentiert und hat schon allerhand hinter sich, was den Brünetten sehr stolz macht, hätte er doch nie gedacht, dass sich das alles zu einem noch größeren Abenteuer, als seine eigene Wanderschaft aufbauen würde. Zudem wohnt seit ein paar Monaten auch noch ein junges Mädchen bei hm, das er auf Bitten von Burnett bei sich aufgenommen hat. Sie hatte Lilly zu ihrer Zeit bewusstlos an einem Strand gefunden. Keiner von ihnen ahnt allerdings, dass es sich dabei um Samanthas entlaufene Tochter handelt, die verzweifelt versucht einen Weg zu finden, um ihre Mutter aufzuhalten. Die kleine Blondine gibt sich alle Mühe Manuel nebenbei bei seiner Arbeit zu helfen und dabei hoffentlich etwas über das äußerst seltene Pokémon herauszufinden, das sie ihrer Mutter entwendet hat.
 

Lilly ist jetzt jedoch nicht hier, sondern versucht einen Hinweis auf ihr Pokémon in der Bibliothek von Malihe City zu finden, sodass Sun und der Professor allein in den Ziergarten gegangen sind. Eigentlich will Kukui ihm ein paar interessante Pokémon zeigen, die nur hier im Garten vorkommen und ihm die Schönheit der ausgefallen Natur nahebringen. Allerdings kommt er damit nicht sonderlich weit. In der Ferne vernehmen die beiden ein merkwürdiges, grollendes Brummen, das sie im ersten Moment nicht einordnen können. Einige der Besucher wenden sich daraufhin hilfesuchend an ihn und berichten ihm, dass Team Skull im Garten ist und Unruhe stiftet. Dieser Gedanke gefällt dem jungen Professor gar nicht. Er hat schon einiges von dieser Truppe gehört, was wahrlich nicht schön ist und ihn mit Sorge versieht. Vieles sind seiner Meinung nach nur Gerüchte der überforderten Gesellschaft des sonst so unglaublich friedfertigen Alolas, sodass er nicht allem Glauben schenkt, was er darüber hört. Andere Sachen will er gar nicht glauben und versucht sie vehement zu verdrängen, da er sich einfach nicht vorstellen kann, dass sein ehemaliger Geliebter damit etwas zu tun haben könnte.
 


 

3
 

Am anderen Ende des Gartens starten Aaron und Bryan wieder ihre Motoren und verursachen so das Geräusch, das Kukui und die anderen hören. Sie wollen zurück zur Brücke fahren, um die Leute dort ein bisschen aufzumischen, während sich ihr Boss noch mit dem Teehaus hier beschäftigt. Das Heulen ihrer aufgemotzten Maschinen ist meilenweit zu hören und kündigt ihr Kommen schon weithin an. „Yo, Bryan! Is‘ das da hinten nich‘ dieser Kukui? Der Ex vom Boss?“, fragt Aaron und deutet auf den jungen Mann im weißen Kittel hinter der Brücke. Der Blauhaarige kneift die Augen zusammen und folgt dem Fingerzeig seines Kollegen. Als er den Professor erkennt, kommt die ganze unterdrückte Homophobie und Wut in ihm hoch, die er bis dahin dachte besiegt zu haben. Doch der Brünette macht seine ganze Arbeit zu Nichte, weil er so mies mit Bromley umgesprungen ist, sodass er jetzt immer noch davon beeinflusst wird. „Auf jeden, das is‘ er! Den mischen wa‘ jetz‘ ma‘ so richtig auf!“, knurrt er über den Motorenlärm hinweg und sein Gesicht unter der Maske verzieht sich zu einer zornigen Fratze. Aaron erwidert seine Wut und gemeinsam nähern sie sich der kleinen Gruppe Leute, in deren Mitte sich Manuel aufhält.
 

Ungeachtet des näherkommenden Lärms, erzählt Kukui erst einmal ungerührt weiter und versucht Sun von seinem Traum zu berichten, hier in Alola eine richtige Pokémon-Liga zu errichten, die irgendwann einmal das Ende der Inselwanderschaft markieren und das tropische Paradies so auf dieselbe Ebene heben soll, wie die anderen Regionen der Welt. Dort gibt es keine Inselwanderschaft, sondern die jungen Trainer ziehen aus und kämpfen in verschieden Arenen gegen besondere Trainer, um sich Orden zu verdienen, die es ihnen dann erlauben, an der Liga teilzunehmen und so Champion zu werden. Durch den Abschluss der Liga einer Region sind sie dann weltweit als Trainer anerkannt und können in andere Regionen reisen und dort ebenfalls an der Liga teilnehmen und noch viel mehr Erfahrungen sammeln. Alola ist jedoch die einzige Region, die keine Liga hat und somit fern ab von alledem, sodass es die Trainer nach ihrer Inselwanderschaft schwer haben, woanders Fuß zu fassen. Und genau das will Kukui ändern und ein wenig mit den alteingesessenen Traditionen brechen, die es hier seit Ewigkeiten gibt. Nicht, dass etwas schlecht an der Wanderschaft wäre, im Gegenteil, sie ist etwas ganz Besonderes und soll es auch bleiben, doch am Ende sollen die Anwärter die gleiche Chance haben ihre Zukunft bestreiten zu könne, wie überall sonst auf der Welt.
 

Seine Worte dringen auch zu den beiden Rüpeln vor, die nun ihre Kreise um Sun und den Professor drehen, um ihn etwas von den anderen Besuchern abzuschneiden. Schließlich stoppen sie und der Lärm verstummt. Verärgert treten die zwei näher und mustern den jungen Professor, der sie überrascht betrachtet, stand er Team Skull bis jetzt doch noch nicht persönlich gegenüber. Angst empfindet er deswegen aber keinesfalls. Stattdessen glaubt er, ziemlich leicht mit ihnen fertig werden zu können. Denn, wie er gehört hat, hat Skull eine Schwäche. Keiner von ihnen ist in der Lage Z-Attacken einzusetzen, was sie in gewisser Weise unterlegen macht. Ein schneller Blick ans Handgelenk der beiden genügt ihm, um diese Vermutung zu bestätigen. Manuel will das Können dieser Wilden dadurch zwar nicht unterschätzen, doch seine Chancen gegen sie zu bestehen, steigen dadurch doch um ein Vielfaches an.
 

Großspurig bleiben die beiden Jungs vor ihm stehen und plustern sich so richtig auf. Wild beginnen sie vor ihn zu gestikulieren, als wären sie richtig harte Gangsterrapper, doch irgendwie kann der Professor dem nichts abgewinnen. In seinen Augen wirkt es eher ärmlich, wie ein verzweifelter Ruf nach Aufmerksamkeit und was anderes kann er im allgemeinen Verhalten des ganzen Teams auch nicht herauslesen. Sie verfolgen keine absurden Pläne von Weltherrschaft oder Unterdrückung der Bevölkerung, um ihre Forderungen durchzusetzen. Nein, sie sorgen einzig und allein für Chaos und Zerstörung und rächen sich so an der Gesellschaft, von der sie sich im Stich gelassen fühlen. Kurz gesagt sind sie nichts weiter, als rebellierende Teenager, die nichts Besseres mit ihrer Zeit anzufangen wissen und gern andere ärgern. „Yo, yo, yo, Kukui!“, gibt Aaron pampig von sich. „Du willst ’ne Pokémon-Liga gründen? Da lach‘ ich mich ja schief!“, setzt Bryan nach und lacht verachtend.
 

Manuel kann innerlich nur den Kopf schütteln und ihnen stumm sein Mitleid aussprechen. Was für eine Verschwendung ihres Trainerdaseins. Nach außen hin gibt es sich jedoch möglichst cool und belächelt die Worte der beiden kurzerhand. „Vier Runden!“, erwidert er ihnen daher siegessicher und hält ihnen ungerührt stand. Die beiden Rüpel verstehen gar nichts mehr und halten kurz verwirrt mit ihrer Show inne. „Was?“, entkommt es Aaron ungläubig und er wechselt einen irritierten Blick mit seinem Kollegen, der nur die Schultern zucken kann. Manuel lächelt nur wieder. Er hat die beiden genau da, wo er sie haben will. „Greift ruhig beide auf einmal an! Niemand kennt sich mit Pokémon-Attacken so gut aus, wie ich. Mit Sternschauer oder Einäschern schicke ich euch in vier Runden auf die Bretter. Wenn ihr Ärger wollt, regeln wir das in einem Battle Royale!“, tönt er, um sie noch mehr zu verunsichern.
 

Entgeistert sehen sich die zwei erneut an. „Nich‘ dein Ernst?“, platzt es nach einer Pause aus Aaron heraus. Doch Bryan stößt ihm daraufhin etwas ungehalten mit dem Ellenbogen in die Rippen. „Mach’n wa‘ ’n fertig!“, knurrt er angesäuert und greift schon nach seinem Pokéball. Nun mischen sich auch die Zuschauer ein, um Kukui Mut zu zusprechen. „Sie schaffen das, Professor!“, meint ein Mann in der Nähe und versucht damit einschüchternd zu wirken. „Damit habt ihr euch übernommen, Team Skull!“, kontert eine junge Frau noch mehr. Die beiden Rüpel sehen einander abermals an. Diesmal jedoch voller Siegeswille, immerhin steht die Ehe des Teams und ihres Bosses auf dem Spiel und sie sind gewillt, beides um jeden Preis zu verteidigen! Bevor es jedoch dazu kommt, ertönt erneut Motorenlärm in der Ferne, der schnell näherkommt.
 


 

4
 

Die Zuschauer erkennen den Neuankömmling zuerst. „Es ist Bromley...“, raunen sie unbehaglich und treten etwas zurück. Was seine Untergebenen nicht an Ausstrahlung haben, dass vermittelt den Leuten der Weißhaarige schon eher, allein durch seine imposante Größe und Kraft. Unter den beiden Rüpeln bricht daraufhin gehässige Freude aus. „Hier kommt der Boss!“, gibt Aaron lachend von sich und bestätigt damit die Gerüchte, denen Manuel keinen Glauben schenken wollte. Mit quietschenden Reifen kommt der junge Mann auf der Mitte der Nuggetbrücke zum Stehen und hinterlässt dabei absichtlich eine qualmende, schwarze Bremsspur auf den goldfarbenen Steinen. „Drei Gegner auf ein‘ Streich plattmachen? Mir gefällt dieser Battle Royale!“, höhnt Bromley großspurig und steigt von seinem Motorrad. Manuel ist augenblicklich wie versteinert.
 

Hat mich kalt erwischt,

Dass ich dich sehe, war nicht geplant,

Alles wieder da…
 

Als Kukui seinen ehemaligen Geliebten die Nuggetbrücke hinab kommen sieht, traut er seinen Augen kaum. Bromley hat sich sehr verändert. Nicht nur sein Äußeres wirkt jetzt strenger, beinahe gefährlich, nein, er strahlt auch eine unglaubliche Selbstsicherheit aus, die Manuel in dieser Form so an ihm noch nie gesehen hat. Unweigerlich fragt er sich, ob er ihn nun fürchten muss, so wie einige der umstehenden Passanten. Doch das kann er einfach nicht. Immerhin war er über vier Jahre mit diesem Mann glücklich zusammen. Hat sein Leben, sein Bett und sogar seinen Körper mit ihm geteilt. Ihm allein hat er es zu verdanken, dass er sich heute Professor nennen darf! Und, wenn er es sich so recht bedenkt, fühlt er sich immer noch sehr zu ihm hingezogen. Kukui muss daher dem plötzlichen, unbändigen Drang widerstehen, ihm entgegen zulaufen und ihn fest in seine Arme zu schließen; ihn vielleicht sogar zu küssen, sich an seiner Brust auszuweinen und tausend Mal um Vergebung zu bitten. Oh, wie sehr vermisst er es von ihm berührt zu werden, seinen Duft zu riechen oder morgens neben ihm aufzuwachen! Er fehlt ihm jeden Tag immer noch genauso sehr, wie damals…
 

Dass du dort stehst,

Ein Bild, dass mir den Atem raubt,

Ich liege im Staub
 

Doch das geht einfach nicht, das darf nicht sein! Immerhin ist er jetzt verheiratet. Stattdessen atmet er tief durch, versucht professionell zu wirken, erst recht vor Sun, der das Ganze mit leichtem Schrecken auf sich wirken lässt, und setzt ein schiefes Lächeln auf, um so etwas wie Überlegenheit zu demonstrieren. Innerlich ist er aber jetzt schon völlig fertig, doch er kann sich einfach keine Blöße vor all den Leuten geben. Also keine Schwäche zeigen und schon gar keine fragwürdigen Gefühle, die niemand verstehen würde! Cool bleiben, Manuel! Doch Bromley scheint seinen inneren Kampf nicht zu sehen. Sein Blick ist Kukui gegenüber eiskalt, voll enttäuschter Wut und verschmähter Liebe, sodass der Brünette hart schlucken muss und mehr als froh ist, dass der inzwischen Weißhaarige die begonnene Diskussion erst einmal fortsetzt und er sich etwas zurechtlegen kann, um ihm die Stirn zu bieten.
 

Die Welt verbrennt vor meinen Augen,

Und ich kann nichts dagegen tun
 

„Kein Erbarmen! Keine Gnade! Ich bin euer schlimmster Alptraum! Oh yeah, ich bin der große, böse Bromley! Aufgepasst, ihr Maden! Sperrt schön die Glotzer auf! Es kommt zum Showdown zwischen Bromley, dem Anführer von Team Skull, und Kukui!“, höhnt er laut über das unruhige Getuschel der Zuschauer hinweg. Dann stellt er sich direkt vor seinen Ex-Freund und blickt auf ihn hinab, als wäre er nichts, absolut nichts mehr für ihn. Dieser Blick bricht Manuel förmlich das Herz, dennoch lässt er es sich nicht anmerken. „Kukui, Kukui. – Eins ham wa‘ zwei ja gemeinsam. Wa‘ hatten beide nich‘ das Zeug zum Captain. Ich kann ja verstehen, dass du was Neues auf die Beine stellen willst. Mir wär‘ ‘ne vernünftige Liga auch lieber, als unsre sogenannten Inselkönige und Captains, diese überflüssigen Relikte aus der Vergangenheit. Da gibt’s nur ‘nen kleinen Haken, mein Freund! Die Liga ist so überflüssig wie du! Denn, wer hier der Stärkste is‘, das is‘ doch schließlich längst entschieden!“, bohrt der Käfer-Trainer weiter und verpasst seinem Gegenüber damit nur noch mehr Leid. Allein schon, wie Bromley ihn anspricht. Ihn einfach nur so abwertend ‚Kukui‘ schimpft, als würden sie sich gar nicht kennen, als würde sie nichts verbinden, tut so schrecklich weh. Doch abermals versucht der Brünette darüber hinwegzusehen und seine Fassade aufrecht zu halten, damit die Leute nicht merken, was einmal zwischen ihnen war.
 

Du sagst irgendetwas,

Aber es kommt nicht bei mir an,

So nah, so fern…
 

„Da liegst du falsch, Bromley. Ich hätte durchaus Captain werden können. Aber ich wollte lieber meinen – meinen Wunschtraum verwirklichen. Als ich auf der Suche nach einer Attacke war, mit der ich gegen Hala gewinnen könnte, da hatte ich einen Geistesblitz! So etwas wie eine ultimative Attacke gibt es nicht. Worauf es ankommt, ist, die richtige Attacke zur richtigen Zeit einzusetzen. Das macht einen guten Trainer aus! Und damit Trainer solche Situationen üben können, brauchen wir eine Pokémon-Liga!“, versucht er sich zu rechtfertigen und trifft damit irgendwie einen wunden Punkt bei dem Jüngeren, was diesen etwas die Fassung verlieren lässt. „Ach ja, du Möchtegern-Professor? Ich pass‘ auf diesen elenden Haufen von Taugenichtsen auf! Und niemand macht meine Leute so blöd von der Seite an, schon gar nich‘ du, checkstes? Captain hin oder her – wer Bromley heißt, der braucht keinen abgedrehten Titel, um das zu beschützen, was ihm wichtig is‘!“, knurrt er ihm entgegen, sodass es Kukui eiskalt den Rücken hinunterläuft.
 

Es ist aussichtslos,

Sagt mein Verstand und schließt die Tür,

Doch ich bleibe hier!
 

„Ach Boss, das haste aber schön gesagt!“, kommt es ganz gerührt von Aaron. „Klappe halten!“, wirft der Weißhaarige zurück, doch es klingt keineswegs wütend. Eher völlig neutral, beinahe liebevoll und er blickt sich kurz nach seinen zwei Mitstreitern um, während die Andeutung eines Lächelns über seine Lippen huscht. Manuel verfolgt diese kurze Szene fasziniert. Scheinbar hegt sein Ex-Freund eine sehr vertraute und enge Bindung zu seinen Untergebenen, sodass nicht einmal das Wort ‚Taugenichtse‘ etwas Abwertendes für sie an sich hat. Er hätte es nie für möglich gehalten, dass Bromley überhaupt einmal in der Lage sein könnte ein Team zu führen. Nicht bei seinen ganzen Marotten, Ticks und Problemen. Klar, auf ihrer Inselwanderschaft schien es immer eher so, als hätte er die Führung und Kukui ist ihm beinahe blind gefolgt, doch er wirkte stets so verloren und planlos auf ihn, selbstzerstörerisch noch obendrein.
 

Die Welt verbrennt vor meinen Augen,

Und ich kann nichts dagegen tun
 

Mit Pokémon hat er sich immer besser verstanden, als mit Menschen und nun sieh ihn nur mal einer an! Der Anführer einer gefürchteten Verbrecherbande, die nur aus halbstarken Teenagern besteht und sie folgen ihm genauso hoffnungsvoll und blind, wie es Manuel einst getan hat – es auch heute noch jeder Zeit tun würde. Innerlich kann der junge Professor nur schmunzeln. Trotz allem, was passiert ist, hat es sein ehemaliger Liebhaber weit gebracht, wenn auch auf der falschen Seite, und so schnell wird ihn sicher nichts zu Fall bringen und das macht ihn irgendwie ein bisschen stolz. Doch ehe sein Lächeln doch noch den Weg an die Oberfläche schafft, vernimmt er das Tuscheln der umstehenden Passanten und besinnt sich wieder, dass er sich hier keine Blöße geben darf. Also setzt er ein keckes Grinsen auf und neckt seinen Ex-Freund noch etwas weiter, in der Hoffnung, das Ganze möglichst bald zu beenden, bevor einer von ihnen doch noch etwas Dummes tut.
 

Wer liebt, der glaubt nicht an das Ende

Wer liebt, setzt alles auf eine Zahl
 

„Na los, Bromley, zeig doch mal, dass du nicht nur eine große Klappe hast, sondern auch ein paar tolle Attacken einsetzen kannst. Also, sofern du das kannst. – Schließlich ist Sun auch mit von der Partie. Stimmt’s?“, hoffnungsvoll blickt er zu seinem kleinen Begleiter hinab. Aus irgendeinem Grund wird ihm bewusst, dass er keine Chance gegen den Käfer-Trainer hätte – mit oder ohne Z-Attacken – und es besser wäre, Sun das Ganze machen zu lassen. Immerhin kennt Bromley seine Kampftechnik in und auswendig, hat ihn in so gut wie jeden ihrer Trainingskämpfe haushoch besiegt und das selbst mit Manuels Z-Attacken, und Kukui hat daher vermutlich nichts, womit er ihn noch beeindrucken, geschweige denn überraschen könnte. Sun jedoch ist neu für ihn, unbekannt und, was noch wichtiger ist, er kann ebenfalls Z-Attacken einsetzen und ist nicht nur damit dem Größeren einen Schritt voraus. „Ja, klar!“, entkommt es Sun, auch wenn ihn der Anblick des rebellischen Skull-Führers schon etwas einschüchtert.
 

Wer liebt, der kann das Schicksal wenden,

Weil Liebe nicht sterben kann!
 

Verwundert hebt Bromley eine Augenbraue, als hätte er den kleinen Jungen jetzt erst bemerkt, und mustert ihn eingehend und herablassend zu gleich. „Oho, ‘n Junge auf Inselwanderschaft? Siehst nich‘ grad wie Halas Enkel aus...“, geht es ihm durch den Kopf, kann er sich doch erinnern, dass der Bengel des Inselkönigs eine braunere Haut hat, statt dieses Milchbrötchens hier vor sich. Andererseits hat er den Bengel bisher nur einmal gesehen und das ist auch schon ewig her. „Das ist Sun. Er ist erst letztes Jahr nach Alola gezogen und hat seitdem eine ganze Menge Abenteuer erlebt, Entdeckungen gemacht und Erfahrungen gesammelt. Die Attacken, die Sun und seine Pokémon einsetzen können, hauen jeden aus den Socken! Wenn du dich für den stärksten Trainer hältst, dann solltest du gegen ihn kämpfen, Bromley!“, meint Manuel herausfordernd.
 

Du bist wie ein Stern,

Den ich noch sehe, obwohl ich längst

Erloschen bin
 

Der hochgewachsene Mann lacht nur herabwürdigend auf. „Jetz‘ hetzt mich dieser Attacken-Heini auch noch auf sein‘ armen Schützling los! Was erhoffste dir von dieser Sache mit der Inselwanderschaft, du Zwerg?“ Sun wirft einen etwas hilflosen Blick zum Professor, dieser lächelt ihm aufmunternd entgegen. „Das weiß ich noch nicht so genau…“, gesteht er schließlich ehrlich und bringt den Käfer-Trainer damit nur erneut zum Lachen. „Pah! Was für’n Armutszeugnis! Und was dich angeht, Kukui…“, er tritt noch näher an ihn heran, damit nicht jeder mitbekommt, was er nun zu sagen hat. „Glaub bloß nich‘, dass ich schon alles vergessen oder dir verziehen hätt‘, Freundchen! Das wird noch ein böses Ende für dich nehm‘!“, knurrt er ihm entgegen, woraufhin Manuel erschrocken zusammenzuckt und unbewusst einen Schritt zurücktritt.
 

Dass, was richtig war,

Kam leider nur zur falschen Zeit,

Nicht zum Glück bereit…
 

Dann erhebt Bromley wieder die Stimme. „Bevor ich dich so richtig plattmache, Kukui, zerstöre ich alles, was dir wichtig is‘! Und anfangen werd‘ ich mit deinem Hosenscheißer hier! Denn ich bin die Zerstörung in Person! Ich werd‘ dir zeigen, was es heißt, so richtig plattgemacht zu werden, Kleiner!“ Wilde Funken scheinen aus seinen schiefergrauen Augen zu sprühen, als er Sun mit seinem Blick regelrecht zu durchbohren scheint und dabei siegessicher seinen Pokéball aus der Tasche zieht.
 


 

5
 

Unsichtbar grinsend freuen sich die beiden Rüpel schon auf den bevorstehenden Kampf. Mit wilden Gesten drängen sie die Zuschauer und auch Kukui von den zwei Gegnern weg. „Los Leute, macht ma‘ ‘n bisschen Platz für den Boss!“, tönt Aaron laut. „Yo, sonst seiter selbst schuld, wenn ihr eins auf die Nuss bekommt!“, fügt Bryan hinzu und beiden ist anzusehen, dass sie sich darüber jedoch besonders freuen würden. Erst recht, wenn dieser jemand der dümmliche Professor ist. Doch der Brünette fügt sich bereitwillig. Sein junger Schützling wirft ihm einen etwas hilflosen und überforderten Blick zu. Manuel versucht ihn aufmunternd zu erwidern, was ihm aber nur mäßig gelingt. „Du schaffst das, Sun! Ich glaube an dich, solange du nicht den Glauben an deine Pokémon verlierst!“, ruft er dem kleinen Jungen noch zu, ehe er von den Rüpeln regelrecht weggeschupst wird. „Ruhe hier auf ‘n billigen Plätzen, du Kittelträger, sonst setzt’s was!“, drohend ballt Bryan die Faust und hält sie dem Älteren direkt unter die Nase. Beschwichtigend hebt Kukui die Hände und tritt noch ein paar Schritte zurück.
 

Da nun endlich genug Platz zum Kämpfen ist, postieren sich die beiden Trainer, mustern sich über das Feld hinweg sehr genau. Auf Bromley’s Gesicht liegt ein verwegenes Grinsen, das Manuel noch sehr gut von früher kennt, tauchte es doch immer dann auf, wenn sich der Käfer-Trainer seines Sieges mehr als sicher war. Sein Gegenüber hingegen wirkt etwas eingeschüchtert, ist er es doch nicht gewohnt vor einer solchen Menge zu stehen, die jeden seiner Schritte genau beobachtet und so möglicherweise ein Urteil über ihn fällt. Was ist, wenn er also gegen diesen Rabauken verliert? Hat er dann überhaupt noch eine Chance als Trainer ernst genommen zu werden? Werden die Leute ihn vielleicht sogar auslachen und er sieht sich dann gezwungen, seine Inselwanderschaft und seinen Traum vom Titel des Champions aufzugeben? Der Schwarzhaarige fühlt sich hin und her gerissen. Doch der Professor hat recht. Er darf nicht aufgeben, muss seinen Pokémon blind vertrauen und alles geben! Es steht viel auf dem Spiel und das Böse – wenn man diese verirrten Halbstarken und ihren Boss denn überhaupt so bezeichnen kann – darf einfach nicht gewinnen!
 

Also setzt Sun einen entschlossenen Blick auf, der von Bromley allerdings nur belächelt wird. Der Junge wirft einen letzten Blick zum Professor hinüber und konzentriert sich dann auf seinen Gegner. Unbemerkt dessen fällt Manuel aber in einen tiefen, inneren Konflikt. Selbstverständlich möchte er, dass sein Schützling Erfolg hat und diese Chaoten mal zurechtstutzt. Andererseits wünscht er sich unverständlicherweise auch das Gegenteil. Er möchte, dass Bromley diesen Kampf gewinnt – am besten sogar haushoch! Er soll sich damit an ihm rächen können, für all das Leid, das er seinetwegen erfahren musste, damit so etwas wie ein Abschluss zwischen ihnen zustande kommen kann. Doch was kommt danach? Welches Ziel verfolgt Team Skull wirklich? Wo soll das alles hinführen? Kukui findet darauf keine Antwort. Doch, wenn er könnte, würde er alles ungeschehen machen, die Zeit zurückdrehen und verhindern, dass es soweit kommt. Verhindern, dass er sich auf Burnett einlässt oder vielleicht sogar verhindern, dass er überhaupt mit Bromley zusammenkommt. Doch egal, für was er sich entscheiden würde, er allein würde über die Zukunft aller entscheiden und es wäre mit Sicherheit weit besser, als es jetzt der Fall ist.
 

Seine Gedanken überschlagen sich immer heftiger und er weiß schon gar nicht mehr, für was er sich entscheiden soll, obwohl es doch nur eine sinnvolle Antwort gibt. Aber er will sie nicht sehen! Will sie nicht wahrhaben. Manuel atmet tief durch, versucht sich zu beruhigen. Ob ihn der Ausgang dieses Kampfes erfreuen oder erschüttern wird, lässt er besser ganz den Zufall entscheiden. Er will sich nicht auf etwas festlegen, da er in jedem Fall enttäuscht werden würde. Also lässt er sein Herz die Entscheidung treffen, wenn es soweit ist. Nun jedoch beginnt erst einmal der Kampf. Und wie er es schon befürchtet hat, schickt Bromley ein Tectass in den Ring. Zuerst denkt Kukui, es würde sich dabei um Buddy handeln, welchen er zuletzt bei dem Weißhaarigen gesehen hat. Doch bei genauerem Hinsehen, fällt ihm auf, dass es ein anderes Tectass ist, das er noch nicht kennt und es demzufolge auch nicht einschätzen kann. Aber so, wie er seinen Ex-Freund kennt, wird dies absolut kein leichter Gegner für Sun werden.
 

Auch der junge Anwärter schreckt etwas vor dem großen Samurai zurück und befragt erst einmal seinen Pokédex. „Das Ding wird dir auch nich‘ helfen, Junge. Also mach endlich!“, harscht der Käfer-Trainer ihn an. Der Schwarzhaarige lässt sich jedoch nicht aus der Ruhe bringen. Nach kurzem Nachdenken entscheidet er sich schließlich für sein Snobilikat. Als die sandfarbene Großkatze auf dem Kampffeld erscheint, runzelt der Ältere für einen Moment verwundert die Stirn. Hier in Alola sind die Snobilikat grau gefärbt und haben einen plumperen Körper, der sie weniger elegant aussehen lässt. Sun hat das Pokémon aber aus Kanto mitgebracht. Wirklich kümmern tut diese Tatsache den Skull-Boss aber nicht, er sieht sich dennoch im Vorteil. Also hockt er sich ganz gemütlich hin und gibt seinem Pokémon den ersten Befehl.
 

„Los Pote! Überrumpler!“ Blitzartig schießt Tectass nach vorn und holt aus. Für einen Moment ist Sun völlig überwältigt von der Geschwindigkeit, die dieses plump aussehende Wesen an den Tag legt. „Snobilikat, halt mit Kratzer dagegen!“ Die Großkatze gibt ein Fauchen von sich, macht dabei einen Buckel und fährt die scharfen Krallen aus. Ehe sie jedoch angreifen kann, wird sie von Pote gewaltsam von den Füßen gerissen und zur Seite geschleudert. Ein überlegenes Grinsen huscht über Bromley’s Gesicht hinweg. Noch gibt sich der Kater allerdings nicht geschlagen und stemmt sich schwerfällig wieder auf die Beine. Im Gegensatz zur Alola-Form trägt er den Normal-Typ. Das hier heimische Snobilikat ist jedoch vom Typ Unlicht und damit äußerst empfindlich auf Angriffe von Käfern. Aber auch diese Tatsache kümmert den Weißhaarigen nicht sonderlich, hat sein Angriff doch ziemlich gesessen.
 

Er lässt Sun auch nicht die Zeit zum Nachdenken und befiehlt schon den nächsten Angriff. „Zeig’s diesem räudigen Fellhaufen mit Kalkklinge!“ Angriffsbereit prescht Pote wieder vor. „Snobilikat, benutz Finte!“, hält Sun dagegen. Der sandfarbene Kater schafft es, dem Angriff des Samurai auszuweichen und gelangt dabei so in dessen Rücken. Leicht verwundert blickt sich der Käfer um und der Vierbeiner nutzt seine Chance und landet einen harten Treffer. Überrascht taumelt Tectass ein paar Schritte vorwärts. Bromley entkommt ein missgünstiges Knurren und er befiehlt der Riesenassel den Angriff zu wiederholen. Sein Gegner verfolgt aber die gleiche Taktik und so kommt es, dass die Großkatze erneut einen harten Treffer landen kann.
 

Geschwächt stützt sich Tectass auf seine langen Klauen. Seine Kraft hat einen kritischen Bereich unterschritten und seine Fähigkeit aktiviert sich dadurch automatisch. Diese ermöglicht dem großen Käfer nun den sofortigen Rückzug. Mit schweren Schritten kommt er auf Bromley zu, blickt ihn entschuldigend an und lässt sich dann hinter ihm ins Gras plumpsen. Wehmütig betrachtet der Weißhaarige sein Pokémon und erhebt sich. Sanft streicht er dem Samurai über den gepanzerten Rücken. „Haste prima gemacht, Kumpel. Ruh dich ‘n Moment aus.“, teilt er seinem Partner mit liebevoller Stimme mit. Dankbar sieht ihm Tectass in die Augen. Doch etwas überrascht verfolgt Sun die Szene, hätte er im Leben nicht gedacht, dass dieser Rabauke mit seiner unflätigen Ausdrucksweise, so freundlich mit seinen Pokémon umgehen würde.
 

Auch Kukui rührt der Anblick und entlockt ihm ein sanftes Lächeln. So viel sich auch zwischen ihnen geändert haben mag, so scheint sein Ex-Freund doch immer noch der Gleiche zu sein, zumindest, was den Umgang mit seinen geliebten Käfern anbelangt. Eine Beständigkeit, die Manuel die Hoffnung gibt, dass es eines Tages, wenn das alles hier irgendwie überstanden ist, vielleicht wieder so werden könnte wie früher und aus Bromley doch noch ein ehrbarer Trainer wird.
 

Ungeachtet dessen geht der Kampf weiter. Der Weißhaarige zieht einen weiteren Pokéball hervor, aus dem sich nun eine große, vierbeinige Spinne manifestiert. Mit kampfbereitem Blick schaut sich Ariados auf dem Feld um und schlägt dabei immer wieder seine großen Kieferzangen zusammen, um bedrohlicher zu wirken und seine Angriffslust zu signalisieren. Dabei erzeugen die scharfen Werkzeuge ein klickendes, schabendes Geräusch, fast so, als würde eine Frau mit hohen Absätzen schnell über einen Holzboden laufen. Snobilikat rümpft verstimmt die Nase und gibt ein missgünstiges Fauchen von sich. Auf Suns Befehl hin flitzt der Kater dann mit gebleckten Zähnen auf seinen Gegner zu und beißt ihn in den empfindlichen Hinterleib. Die große Spinne gibt ein klägliches Fiepen von sich, schafft es aber, den Angreifer wieder loszuwerden.
 

„Sehr gut und jetz‘ Stachelfinale!“, tönt Bromley über das Kampffeld. Ariados bäumt sich auf und schlägt wieder klickend die Kieferzangen zusammen. Der große Stachel an seinem Hinterleib beginnt violett aufzuleuchten, ebenso der große Stachel auf der Stirn des Arachniden. Einen Moment später hebt Ariados den Hinterleib an und die beiden Stacheln schießen mit mächtiger Geschwindigkeit auf die Großkatze zu. Diese versucht noch auszuweichen. Der erste Stachel streift sie jedoch an der ungeschützten Flanke, was sie aus der Bahn wirft, woraufhin sich der zweite Stachel mit fataler Präzision in ihren Rücken bohrt. Mit einem entsetzlichen Mauzen geht Snobilikat zu Boden und kann nicht mehr weiterkämpfen. Begeistert beginnt die große Spinne mit ihrem Hinterleib zu wackeln und blickt sich nach ihrem Trainer um, der ihr ein stolzes Lob ausspricht. Doch das ist noch lange nicht alles. Da es Ariados gelungen ist, seinen Gegner mit Stachelfinale zu besiegen, steigt dadurch nun sein Angriff um ein Vielfaches an!
 

„Jetz‘ biste fällig, du Rotznase!“, höhnt Bromley zuversichtlich, während Sun sein besiegtes Pokémon zurück in den Ball ruft. Das enttäuschte, betroffene Raunen der Menge blendet er vehement aus und greift nach einem anderen Ball. Der Haken an der Sache ist aber, dass es sein letztes Pokémon ist, da er zurzeit erst zwei besitzt. Er ahnt ja auch nicht, dass es Bromley da genauso geht. Daher fasst Sun den Schluss, die Spinne mit einem einzigen Schlag fertigmachen zu müssen, damit er noch genug Kraft hat, um es mit allem anderen, was ihm dieser Gauner entgegenbringt, aufnehmen zu können. Und er weiß auch schon genau, wie er das anstellen muss. Geschickt wirft er den Pokéball aufs Feld und eine weitere Katze springt daraus hervor. Diesmal ist es jedoch ein Miezunder, ein kleiner Feuertiger. Er hofft inständig, dass er den Kampf damit gewinnen und Kukui stolz machen kann, hat er die Vorstufe des orange-schwarz gestreiften Katers doch als Geschenk vom Professor zu Beginn seiner Reise bekommen.
 

Bromley wirkt nur belustigt beim Anblick des zweiten Katers. „Sag ma‘, Kleiner. Haste etwa ‘ne Vorliebe für Mietzen?“, neckt er den Jungen gehässig lachend und muss dabei unweigerlich ein bisschen an den alten Yasu mit seinen vielen Mauzis denken. „Und wenn schon!“, erwidert der Schwarzhaarige patzig und versucht sich nicht davon aus dem Konzept bringen zu lassen. Er muss sich jetzt konzentrieren, da er nur einen einzigen Versuch hat, um Ariados zu erledigen. Bevor er jedoch soweit ist, greift die große Spinne auch schon wieder an. „Miezunder, ausweichen!“, entkommt es ihm erschrocken. Nicht sonderlich überrascht stellt der Junge allerdings fest, dass der Kater dazu nicht mehr in der Lage ist, da auch die jetzige Attacke des Käfer-Trainers eine erhöhte Priorität hat. Ariados‘ Schatten wird plötzlich sehr lang und rast ungehalten auf den Feuertiger zu. Als er ihn erreicht, taucht förmlich eine Faust aus der Schwärze auf und verpasst dem Kater einen mächtigen Schattenstoß.
 

Das reicht jetzt! Sun darf keine Zeit mehr verlieren, sonst ist der Kampf entschieden. Entschlossen sucht er den Blick seines Pokémon und dieses versteht sofort, was sein Trainer von ihm erwartet. Unter Bromley’s verhasstem Blick, beginnt der kleine Junge damit, einen Z-Tanz aufzuführen, der das Schicksal der großen Spinne besiegeln wird. „Dynamische Maxiflamme!“, ruft Sun über das Getöse hinweg. Augenblicklich springt der Weißhaarige erschrocken auf, weiß er doch nur zu gut, was nun folgen wird. „Nein!“, brüllt er entsetzt, doch da ist es schon zu spät. Die gewaltige Feuerkugel hält auf den fluchtunfähigen Arachniden zu und hüllt ihn gänzlich ein. Die entsetzlichen Schreie des Käfer-Pokémon dringen aus der Flammenhölle heraus und brennen sich regelrecht in den Kopf des Skull-Führers ein.
 

Gedankenlos setzt er dazu an, seinem Partner zur Hilfe zu eilen. Allerdings wird er im letzten Moment von Tectass zurückgehalten. Der kräftige Samurai schließt ihn in seine großen Arme ein und hält ihn davon ab, sich selbst zu verbrennen. Schockiert beobachtet Kukui den fast schon verzweifelten Akt Tectass‘, seinen Trainer vor dieser Dummheit zu bewahren. Innerlich schüttelt der junge Professor den Kopf. Es scheint so, als sei sein einstiger Geliebter immer noch nicht in der Lage, einem Kampf freien Lauf zu lassen, wenn es schlecht um sein Team steht.
 

Als sich die Flammen endlich legen, lässt Pote seinen Trainer widerwillig aber tonlos wieder los und betrachtet wehleidig seinen gefallenen Kameraden. Ariados liegt besiegt am Boden und rührt sich nicht mehr. Von seinem verbrannten Körper steigen schwere Rauchschaden auf und ein widerlich süßer Gestank liegt in der Luft. Augenblicklich stürzt Bromley in den Ring und hebt die dreißig Kilo schwere Spinne auf den Arm, als wäre sie nur ein Fliegengewicht. „Sag doch ‘was, bitte!“, fordert er den Arachniden verzweifelt auf. „Irgendwas...“ Nach einem schier endlos erscheinenden Moment, öffnet Ariados schwerfällig die Augen und blickt ihn kraftlos an. „Oh fuck...“, bringt Bromley erleichtert hervor. „Geht’s dir gut?“, fragt er mit wenig Hoffnung und leicht bebender Stimme. Ariados bewegt sich jedoch etwas in seinen Armen und streckt den Kopf nach oben. Nach einem Augenblick gelingt es der Spinne seine Kieferzangen zu öffnen und sie ganz vorsichtig um die Nase ihres Trainers zu legen.
 

Diese Geste erwärmt Kukui wahrlich das Herz. Die Bindung zwischen Bromley und seinen Pokémon ist so unglaublich schön und stark, dass er schon nachvollziehen kann, warum es der Weißhaarige nicht unterlassen kann, auf das Kampffeld stürmen zu wollen, wenn seine Partner Schaden erleiden oder besiegt werden. Dennoch ist es nicht richtig und schrecklich gefährlich. Auch Sun tut es schon fast ein bisschen leid, dass er so eine mächtige und überaus effektive Attacke gegen die Spinne eingesetzt hat. Trotzdem hatte er nicht wirklich eine andere Wahl. Der zornige Blick des Käfer-Trainers trifft ihn schwer, als sich dieser mit seinem verletzten Pokémon im Arm zurückzieht. „Das wirste mir büßen!“, gibt er ihm auch noch zu verstehen, bevor er sich zu Tectass umwendet und die Spinne vorsichtig ins Gras legt.
 

Der Samurai weiß sofort, was von ihm erwartet wird, erhebt sich und stapft wieder auf das Feld. Die Augen der großen Assel funkeln wild entschlossen. Kurz darauf stürmt Pote auch schon los und setzt zu seinem Überrumpler an. Miezunder versucht noch verzweifelt auszuweichen, doch es ist nahezu unmöglich. Heftig wird der Kater zu Boden geworfen und hat alle Mühe wieder auf die Füße zu kommen. „Setz Biss ein!“, befiehlt Sun dem kleinen Tiger. Fauchend rennt dieser los, während Tectass schon zu seiner Kalkklinge ansetzt. Diese Wasser-Attacke würde das Feuer-Pokémon sofort besiegen. Doch im allerletzten Augenblick gelingt es dem Vierbeiner auszuweichen. In Windeseile dreht er sich herum und beißt mit aller Kraft zu. Getroffen gibt Pote ein klägliches Jammern von sich und schüttelt die Katze von sich.
 

Erneut befehlen beide Trainer ihren Pokémon die Attacke zu wiederholen. Beide Seiten sind schwer angeschlagen, sodass ihre Bewegungen einiges an Elan verloren haben. Sie wirken schon beinahe schwerfällig, atemlos. Dennoch steuern sie fest entschlossen auf einander los. Diesmal ist es noch viel knapper. Miezunder kann die scharfen Klauen des Samurai schon über seinen Rücken schrammen spüren. Trotzdem trifft die Attacke nicht und der kleine Tiger versenkt abermals seine spitzen Zähne im Körper des Käfers. Der Schrei, den Tectass dabei ausstößt, hat vieles von seiner Kraft verloren und ist Zeugnis seines mitgenommenen Zustandes. Es gelingt ihm nicht einmal mehr, den Vierbeiner abzuschütteln. Stattdessen sinkt er auf die Knie und bricht dann endgültig zusammen.
 


 

6
 

Für einen Moment herrscht geradezu ersticktes Schweigen unter allen Anwesenden, dann bricht heftiger Jubel unter den Zuschauern aus. Erst der laute Chor ihrer Stimmen macht Sun klar, dass er tatsächlich gewonnen hat. Fassungslos starrt er Miezunder an, das erschöpft aber zufrieden mit erhobenem Haupt auf ihn zu gelaufen kommt. Bromley hingegen versteht die Welt nicht mehr. Wie konnte er nur verlieren und dann auch noch gegen einen solchen Anfängerzwerg? „Abgefahren – Du bist echt abgefahren!“, entkommt es dem Käfer-Trainer atemlos, dennoch hört Sun ihn über den Jubel der Menge hinweg laut und deutlich. „Das war ein toller Kampf!“, entgegnet er dem Älteren lächelnd und vollkommen ehrlich. Im selben Augenblick verspürt Kukui einen heftigen Stich im Herzen. Er kann es kaum glauben, doch er würde Sun am liebsten dafür verfluchen, dass er Bromley vor all diesen Leuten hier so vorgeführt hat. Langsam ballt er die Fäuste und versucht seine Enttäuschung runterzuschlucken und sich einzureden, dass es so doch viel sinnvoller und richtiger ist; dass das Gute stets über das Böse triumphieren sollte. Doch stimmt das wirklich? Bromley ist nicht von Grund auf böse und wird es seiner Meinung nach auch niemals sein. Irgendjemand benutzt ihn daher sicher nur, da ist sich Manuel völlig sicher. Doch wer? Und wieso?
 

Die Welt verbrennt vor meinen Augen,

Und ich kann nichts dagegen tun
 

Er kann seine Gedanken nicht mehr ordnen, da passiert etwas, von dem er inständig gehofft hatte, es nie wieder sehen zu müssen. Während die Zuschauer Sun in ihre Mitte ziehen und ihm herzlichst gratulieren, versinkt Bromley in einem tiefen Loch. Gebrochen sinkt er mit glasigen Augen auf die Knie. „Nein...“, wimmert er schon fast und ruft seine beiden geschlagenen Pokémon in ihre Bälle zurück. Aaron und Bryan stehen hilflos neben ihm und wissen nicht recht, was sie tun sollen. Der Käfer-Trainer stürzt immer tiefer in das Loch der Niederlage, Schmach und Schande, und plötzlich hört er eine Stimme in seinem schmerzenden Kopf. Eine Stimme, die er nicht hören will und sich ihr dennoch nicht widersetzen kann. ‚Bromley, was treibst du denn da?‘, höhnt sein Vater wütend in seinen mitgenommenen Gedanken und der Weißhaarige spricht dieses grausame Mantra im selben Moment laut aus und erschreckt Kukui damit fast zu Tode. ‚Was bist du nur für ein elender Versager? Verlierst gegen ein kleines Kind? Eine größere Enttäuschung kann es ja gar nicht mehr geben! Doch ich weiß schon, wie ich dich wieder auf den rechten Pfad bringe, du jämmerlicher Bastard!“, tönt sein Vater wildentschlossen und holt mit dem Golfschläger aus...
 

Wer liebt, der glaubt nicht an das Ende

Wer liebt, setzt alles auf eine Zahl
 

Bromley gibt einen ersticken Schrei von sich, den niemand außer Kukui und den beiden Rüpeln zu hören scheint. Die Zuschauer sind viel zu sehr mit Sun beschäftigt, als das sie noch einen Funken Interesse an diesen Rabauken hätten. „Boss? Is‘ alles in Ordnung?“, fragt Aaron vorsichtig, ist er sich doch nur zu gut bewusst, was dieser gerade durchmacht. Der Weißhaarige kann ihm jedoch nicht antworten, sondern blickt sich mit leeren Augen um. Ein Zittern geht durch den jungen Professor und erneut setzt ein innerer Konflikt in ihm ein. Soll er seinem ehemaligen Geliebten helfen oder einfach nur zuschauen und hoffen, dass die Rüpel das allein hinbekommen? Zumindest wirken die beiden nicht so, als wäre das erschreckende Verhalten ihres Anführers neu für sie. Unschlüssig tauschen die zwei dennoch einen Blick aus. Und dieser kurze Moment genügt Bromley, um einen faustgroßen Stein zu finden, der beim Kampf aus dem Boden gerissen wurde.
 

Wer liebt, der kann das Schicksal wenden,

Weil Liebe nicht sterben kann!
 

Den Bruchteil einer Sekunde betrachtet er den Stein mit der verzweifelten Faszination eines Geisteskranken, dann schlägt er sich diesen scharfkantigen Splitter mit voller Wucht gegen die Stirn! Klirrend zerspringt das linke Glas seiner Sonnenbrille und das lädierte Gestell landet klappernd auf dem Boden. Augenblicklich sprudelt ein Stoß Blut aus der Wunde hervor und überzieht sein blasses Gesicht mit einem grotesken Muster; gleich der wilden Kriegsbemalung eines rachsüchtigen Indianers, der den Lebenssaft seines Opfers wie eine Trophäe in seinem Gesicht zur Schau stellt. Gleichzeitig scheint es so, als hätte Bromley den Schlag gar nicht gespürt, hat er doch noch nicht einmal eine Winzigkeit gezuckt, irgendeinen Laut von sich gegeben oder auch nur eine Regung in seinem Antlitz gezeigt. Noch ehe Manuel den Anblick verkraften kann, hebt der Weißhaarige den Stein erneut zu einem zweiten Schlag.
 

Die Liebe geht ganz leise,

Und das, was jetzt noch bleibt
 

Erstickt holt Kukui Luft, vergisst für den Moment all die anderen Leute um sich herum und stolpert einen Schritt nach vorn. „Nein!“, stößt er den Tränen nahe aus. Nun werden auch die Rüpel auf das Ganze aufmerksam. „Scheiße, Boss! Mach das nich‘!“, entkommt es Aaron der Verzweiflung nahe. Schnell hockt er sich neben den Größeren und windet ihm geschickt den Stein aus den kraftlosen Fingern. Sanft schließt der Blauhaarige den Käfer-Trainer in die Arme und wiegt ihn wie ein kleines Kind hin und her. Bromley lässt das Ganze wortlos über sich ergehen, ist aber noch völlig neben sich. Bryan hockt sich vor die beiden und zieht ein Taschentuch hervor, mit dem er den Großteil des Blutes versucht wegzuwischen. Völlig erstarrt betrachtet der junge Professor diese Szene, hin und her gerissen zwischen der Liebe und Sorge zu Bromley und der tiefen Dankbarkeit den Rüpel gegenüber, dass sie sich so um ihn zu bemühen versuchen.
 

Sterne fallen ins Dunkel,

Versinken im Meer der Zeit
 

Langsam tritt der Brünette einen Schritt näher, vielleicht kann er ja doch so etwas wie erste Hilfe leisten, wie er es all die Jahre getan hat, die er mit dem Größeren verbrachte? Leider hat er da die Rechnung ohne die Rüpel gemacht. Aaron sieht, dass er sich unerlaubter Weise nähert und schließt Bromley augenblicklich fester in die Arme. Seine blauen Augen erdolchen Kukui regelrecht mit ihren Blicken. „Vergiss es, Freundchen!“, faucht er den Professor förmlich an. Schlagartig erhebt sich Bryan und wendet sich zu ihm um. Mit geballten Fäusten tritt er an Manuel heran. „Was is‘, du Heini? Ja, sieh genau hin! Das is‘ deine Schuld! Deine verfickte Schuld, du elender Mistkerl!“, brüllt er ihn ungehalten an. Erschrocken weicht Manuel einen Schritt zurück. „Ja aber – ich will doch bloß...“, versucht er sich zu erklären.
 

Wer liebt, der glaubt nicht an das Ende

Wer liebt, setzt alles auf eine Zahl
 

„Verpissen willste dich, sonst gar nichts!“, entgegnet ihm Aaron aufgebracht. „Aber...“, setzt Manuel erneut an und macht unbewusst einen Schritt vorwärts. Prompt schubst Bryan ihn wieder zurück und packt ihn dann grob an seinem Kittel. „Du hast’s gehört! Verpiss dich und geh dein verdammtes Flittchen ficken, du Arschloch! Mach, dass du Land gewinnst, bevor ich mich vergess‘!“, knurrt der Blauhaarige ungehalten und schubst den Professor erneut, diesmal so heftig, dass Kukui fast zu Boden stürzt. Entsetzt blickt er die beiden Rüpel an, die plötzlich nichts Mitleidiges und Armseliges mehr an sich haben, und kämpft mit den Tränen. „Es – es tut mir leid...“, bringt er stockend hervor und versucht sich zu beruhigen, da Sun und die Zuschauer langsam Wind von der Sache bekommen.
 

Wer liebt, der kann das Schicksal wenden,

Weil Liebe nicht sterben kann!
 

„Den Scheiß kannste ma‘ schön stecken lassen, Alter! Das glaubt dir eh keiner!“, erwidert Aaron bösartig. Dann zieht er sich das Tuch vom Gesicht und haucht Bromley liebevoll einen Kuss auf die Wange. „Das wird schon wieder, Boss...“, haucht er ihm liebevoll entgegen. Diese simple Geste scheint auszureichen, um Bromley wieder in die Wirklichkeit zurückzubringen. Blinzelnd kommt er zu sich und sieht sich etwas verwirrt um. Mit einem unwillkürlichen Zittern verfolgt Manuel die innige Bindung der Rüpel zu seinem einstigen Geliebten. Schmerzhaft wird ihm dabei klar, dass er Bromley verloren hat, wohlmöglich für immer verloren hat. Sein Team gibt ihm die Liebe, Aufmerksamkeit und Hilfe, die er so dringend braucht und da kann Kukui einfach nicht mithalten. Ihm bricht das Herz und er würde sich am liebsten umdrehen und ganz weit wegrennen. Sich irgendwo verkriechen und weinen bis in alle Ewigkeit. Doch das kann er nicht, da Sun in diesem Moment an seinem Kittel zupft.
 

Weil Liebe nicht sterben kann!
 

Erschrocken blickt der Brünette zu ihm hinab. „Ist alles in Ordnung, Professor?“, fragt der kleine Junge ehrlich besorgt. Kukui wirft einen letzten Blick zu Bromley und seinen Rüpeln. Die zwei sind gerade damit beschäftigt, ihrem Boss wieder auf die Beine zu helfen. Dann betrachtet er die verwunderte Menge, die nicht mitbekommen hat, was zwischen ihm und Team Skull vorgefallen ist. Kurz schließt er die Augen und holt tief Luft, begräbt seine immer noch unsagbar tiefen Gefühle für den Weißhaarigen endgültig, wie er hofft. Schließlich sieht er wieder zu Sun, der immer besorgter wirkt. Manuel bringt ein fast schon erschreckend überzeugendes Lächeln, ja schon fast ein Grinsen, zustande und streicht dem kleinen Jungen durchs Haar. „Natürlich ist alles in Ordnung, mein Junge. Du hast ganz ausgezeichnet gekämpft und das sollten wir unbedingt feiern!“, flötet er schon fast.
 

Im Augenwinkel sieht er, wie Bromley nun wieder steht und seine Mitstreiter dankend ansieht. Dann löst er sich von ihnen und kommt hinüber. Die Zuschauer weichen bei seinem Anblick ein ganzes Stück zurück, läuft ihm doch immer noch Blut übers Gesicht. Finster funkelt er den Brünetten aus seinen schiefergrauen Augen an, dass es Kukui schon wieder das Herz bricht und ihm das aufgesetzte Lachen gründlich vergeht. „Wa‘ zwei sind noch längst nich‘ fertig mit’nander, Professor! Merk dir das!“, zischt er seinem Ex-Freund entgegen und wendet sich dann an den Schwarzhaarigen. Zornig stemmt er die Hände in die Hüften, gleich einer Mutter, die ihr unartiges Kind tadelt, und blickt auf den kleinen Jungen hinab. „Sun, richtig? Den Namen werd‘ ich mir merken. Das nächste Mal biste fällig!“, gibt er ihm zu verstehen.
 

Dann wendet er sich um und steigt wieder auf sein Motorrad. Seine Rüpel tun es ihm gleich. Das laute Motorengeheul schallt ohrenbetäubend durch den Ziergarten. Mit halsbrecherischer Geschwindigkeit jagt Bromley aus dem Garten hinaus und verschwindet aus dem Sichtfeld aller, während ihm der Lärm seiner Maschine noch lange nachhallt. Auch die beiden Rüpel fahren los, halten aber noch einmal kurz vor Sun. „Der Boss hat dich bloß gewinn‘ lassen! Du wirst schon merken, wenn er Ernst macht!“, versucht Aaron die Niederlage seines Anführers zu rechtfertigen. „Genau! Er versohlt dir so dermaßen den Hintern, daste dir wünscht, ihm nie begegnet zu sein!“, kommt es gehässig von Bryan. Nach diesem letzten Ausbruch verschwinden die beiden ebenfalls aus dem Ziergarten und folgen lärmend ihrem Boss.
 

„Gegen ein Kind auf Inselwanderschaft zu verlieren. – Was für eine Blamage für Team Skull!“, höhnen die Zuschauen anschließend, als hätte es den Streit und das Blut gar nicht gegeben. Sie zerstreuen sich sogar wieder und führen ihren Besuch im Ziergarten fort, als wäre überhaupt nichts gewesen; das Ganze vielleicht sogar nur eine schlecht gemachte Showeinlage, die zu ihrer Erheiterung dienen sollte. Ungläubig sehen Manuel und Sun ihnen nach. Der Professor gibt ein schweres Seufzen von sich und legt dem kleinen Jungen anschließend eine Hand auf die Schulter. Fragend sieht dieser zu ihm auf. „Komm, ich lad dich zur Belohnung zum Essen ein!“, meint er lächelnd. „Gern. – Aber, ist wirklich alles in Ordnung? Diese Rüpel haben Sie ganz schön mies behandelt...“ Innerlich schluckt der Brünette schwer. Scheinbar hat Sun doch mehr mitbekommen, als er gehofft hatte. Äußerlich lässt er sich jedoch nichts anmerken und grinst nun wieder breit. „Ach was. Die wollen sich nur aufspielen und sind froh, wenn sie einen finden, den sie ärgern können. Denk nicht mehr darüber nach und lass uns gehen.“, winkt er ab und führt den Jungen dann aus dem Garten hinaus, in das Restaurant, in dem Bromley vor über einem Jahr seine schicksalhafte Begegnung mit Samantha hatte...

Drunken words...


 

1
 

Die fatale und erst recht ungewollte Begegnung mit Kukui nach dieser langen Zeit, und die umso erniedrigende Niederlage gegen diesen Bengel Sun, machen Bromley mehr als fertig. Als er mit seinen Rüpeln weit genug vom Ziergarten entfernt ist, schickt er die beiden daher auch weg und verschwindet, ohne ihnen zu sagen, was er macht und wohin er fährt. Bryan und Aaron fügen sich nach einer kurzen Diskussion seinem Wunsch, sind sich jedoch nicht sicher, ob es wirklich eine gute Idee ist, ihn jetzt in diesem Zustand vollkommen allein zu lassen, weshalb sie sich nur widerwillig und mit einem flauen Gefühl im Magen auf den Weg zurück nach Po’u machen. Doch immerhin ist Bromley ja kein kleines Kind mehr und wird schon irgendwie wissen, was er tut – hoffen sie zumindest...
 

In der Lottervilla angekommen, werden sie auch sogleich von Fran in Empfang genommen. „Wo treibt ihr zwei euch denn den ganzen Tag rum und wo zur Hölle ist Bromley?“, fragt sie die beiden Rüpel gerade heraus und stemmt dabei drohend die Hände in die Hüften. „Yo, Sis, ganz ruhig! Wa‘ war’n mit’m Boss auf Ula-Ula und ham den verschärften Garten da unsicher gemacht.“, erwidert ihr Aaron kleinlaut. Fragend hebt Fran eine Augenbraue und mustert die beiden noch ernster. „Und weiter?“, hakt sie nach, da sie den Rabauken ansehen kann, dass das noch längst nicht alles ist. „Tja, da wa‘ dieser Kukui und dieser dämliche Bengel Sun...“, setzt Bryan an. Frans Augen weiter sich bei den beiden Namen merklich und sie versteift sich etwas in ihrer Haltung. Ein Anflug von Sorge huscht durch ihre Gedanken, den sie aber noch nicht offen zeigt.
 

Dennoch weiß sie nur zu gut, was so ein Treffen mit Bromley’s Ex-Freund bedeuten könnte. Zudem ist dieser Sun ein echt verdammt unangenehmer Gegner, wie sie aus eigener Erfahrung weiß. Vehement verdrängt sie die Erinnerung an ihren Kampf mit dem jungen Anwärter und besinnt sich wieder auf die Tatsache, dass der überaus labile Weißhaarige mit seinem ehemaligen Geliebten zusammengetroffen ist. „Kukui? – Verdammt!“, entkommt es ihr mit leichtem Zähneknirschen, auch wenn sie den Professor nur aus dem Fernsehen und dergleichen kennt, was wahrscheinlich auch besser für ihn ist. Sie gibt ein schweres Seufzen von sich und atmet dann tief durch. „Ok, kann man nicht mehr ändern. Wie war’s?“, fragt sie schließlich, obwohl sie glaubt die Antwort schon zu kennen, kann sie sie den beiden doch praktisch vom Gesicht ablesen. Aaron und Bryan tauschen einen flüchtigen Blick miteinander aus, der der jungen Frau zudem ungewollt schon beinahe alles sagt, was sie befürchtet.
 

„Kukui hat sich ‘n Spaß draus gemacht, den Boss vor all den Leuten zu ärgern und dann – dann gab’s ‘n Kampf zwischen dem Boss und diesem Sun...“, berichtet Aaron betroffen. „Yo, is‘ gar nich‘ gut gelaufen. Der Bengel hat den Boss richtig derb vorgeführt...“, ergänzt Bryan. „Oh, nicht doch! – Er hat sich doch hoffentlich nicht wieder selbst verletzt, oder?“, will die Pinkhaarige nun wissen. Erneut tauschen die beiden Rüpel einen vielsagenden Blick aus. „Doch. – Wa‘ echt schlimm...“, gesteht Aaron traurig und lässt die Schultern hängen. „Und dieser selten dämliche Prof wa‘ auch noch der Meinung, sich da einmischen zu woll’n! Doch das hab‘ ich nich‘ zugelassen!“, entkommt es Bryan und er ballt wütend die Fäuste, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. Die junge Frau kann ihm deutlich ansehen, wie sehr ihm der Brünette gegen den Strich geht und sie will sich daher gar nicht so sehr vorstellen, wie das Ganze ausgeartet sein könnte. Obwohl sie schon ein bisschen stolz darüber ist, dass Bryan seinen Anführer scheinbar so vehement verteidigt hat, wo die zwei doch einen so aufreibenden Start miteinander hatten. Der Blauhaarige hat sich im letzten Jahr aber sehr gemausert und ist nun ein genauso loyales und anhängliches Mitglied geworden, wie der Rest von Skull, auch wenn er weiterhin daran festhält, nichts mit Jungs am Hut haben zu wollen. Aber da ist er ja auch nicht der Einzige, dennoch eine Minderheit.
 

„Okay, schon gut! Es gab also Stress mit den beiden. Aber, wo ist Bromley jetzt?“ „Wissen wa‘ nich‘...“, meint Aaron knapp. Fran legt wieder die Stirn in Falten. „Was soll das heißen, ihr wisst es nicht?“ „Tja, der Boss wa‘ ganz schön fertig danach und brauchte ‘ne Auszeit. – Hat uns weggeschickt und is‘ allein losgezogen. – Sorry, Sis...“, gesteht Bryan das Ganze schließlich und lässt nun auch die Schultern hängen. Von seiner Wut ist nichts mehr geblieben und er wirkt wie Aaron nur noch betroffen und erschöpft. Die Gift-Trainerin gibt ein weiteres Seufzen von sich und reibt sich die Schläfen, als hätte sie ganz plötzlich heftige Kopfschmerzen bekommen. Einerseits würde sie den beiden gern den Marsch blasen, wegen ihrer Unfähigkeit; andererseits kann sie es wiederum nicht, da keiner der Rüpel auch nur ansatzweise in der Lage wäre, Bromley von irgendetwas abzuhalten, das er sich einmal in den Kopf gesetzt hat – dafür ist er einfach zu stark und zu stur und die Rüpel zu unterwürfig ihm gegenüber. „Schon gut. Ihr könnt ja nichts dafür. Hoffen wir also, dass Bromley den Weg wieder nach Hause findet und nichts anstellt, das ihm noch mehr den Schädel verbiegt. – Und, wenn er bis morgen früh nicht wieder da ist, sollten wir nach ihm suchen, verstanden?“ Die zwei Rüpel nicken eifrig, doch froh wirken sie deswegen keinesfalls; höchstens darüber, dass Fran sie nicht runtermacht.
 


 

2
 

Die Stunden vergehen, ohne ein Zeichen von dem Weißhaarigen. Der Nachmittag wird zum Abend und schließlich zur düsteren und Regen verhangenen Nacht, wie sie so typisch für Po’u ist. Betroffene Stille liegt überaus seltsam über der gesamten Villa, hat sich die Nachricht über die Ereignisse des Tages doch sehr schnell unter den Teenagern rumgesprochen. Vor dem Zubettgehen schärft Fran allen noch einmal ein, sich für den Morgen bereitzuhalten, um nach dem verschwundenen Käfer-Trainer zu suchen. Dann begibt sie sich ebenfalls zur Ruhe, auch wenn sie diese noch lange nicht findet. Ungewollt kreisen ihre Gedanken immer wieder zu dem Weißhaarigen und bittere Sorge scheint sie von innen heraus zerfressen zu wollen. So wirklich versteht sie das Ganze aber nicht. Dieser Idiot macht ständig Mist und veranlasst sie so, sich ungewollt Sorgen um ihn zu machen, wie um ein kleines Kind.
 

Sie will das nicht, schließlich steht er im Rang der Truppe über ihr, was bedeuten müsste, dass er weiß, was er tut. Und, selbst wenn sein Kopf ihn oft genug im Stich lässt, ist er dennoch sehr gut in der Lage auf sich selbst aufzupassen und will auch gar nicht von ihr bemuttert werden. Da hat sie mit den Rüpeln sowieso schon genug zu tun. Aber etwas tief in ihr sieht das anders und möchte für ihn da sein. Ihm helfen, doch nicht wie eine Mutter oder Kollegin. Nein, viel mehr. Das kotzt sie erst recht an. Bromley ist so ein dämlicher Idiot und brutaler Flegel, da will sie sich gar nicht vorstellen, wie es sein könnte, mit ihm so etwas wie eine Beziehung zu führen, auch wenn er sich den Rüpeln und Pokémon gegenüber oftmals sehr liebevoll verhält und ihn beide Seiten daher praktisch ununterbrochen anbeten. Trotzdem kann Fran nicht abstreiten, dass er auch für sie etwas an sich hat, dass sie schon irgendwie interessant findet. Grummelnd dreht sie sich von einer Seite zur anderen und zieht sich die Decke über den Kopf. Sie sollte wirklich nicht über dergleichen nachdenken. Es ist hoffnungslos und wird es auch immer sein, also Schluss damit! Allerdings ist es nicht so einfach los zu lassen und daher wälzt sie sich noch eine ganze Weile im Bett herum, ehe sie schließlich von der Erschöpfung übermannt wird.
 


 

3
 

Es ist weit nach Mitternacht, als Fran ungewollt aus dem Schlaf gerissen wird, weil sie Lärm auf dem Flur vernimmt. Zuerst versucht sie ihn zu ignorieren, doch er wird immer lauter und nähert sich zudem stetig ihrem Zimmer. „Diese verdammten Rüpel...“, grummelt sie halblaut mit belegter Stimme und setzt sich schwerfällig im Bett auf. Gähnend reibt sie sich die Augen und schaltet die Lampe auf ihrem Nachttisch ein. Ehe sie jedoch wach genug ist, um aufzustehen, endet der Lärm plötzlich. Schlaftrunken blickt sie zur Tür und versucht zu lauschen, doch alles ist wieder ruhig. Die Gift-Trainerin gibt ein verstimmtes Brummen von sich und will sich schon wieder hinlegen, da wird ihre Tür auf einmal so dermaßen ruckartig geöffnet, dass sie polternd gegen die Wand knallt. Schlagartig ist die Pinkhaarige hellwach und zum Angriff bereit. Geistesgegenwärtig greift sie dabei auch noch nach ihrer Decke, da sie nur Unterwäsche trägt und sich dem ungebetenen Gast nicht gleich halbnackt präsentieren will.
 

Schon einen Moment später entspannt sie sich aber wieder etwas und frische Wut kommt in ihr hoch. Bei dem ungebetenen Gast handelt es sich um Bromley, der sturzbetrunken in ihrer Tür steht und sie angrinst, als wäre sein Verhalten gerade völlig normal. „Franny!“, flötet er lautstark, lehnt sich etwas unkoordiniert gegen die Türzarge und nimmt einen Schluck aus seiner Bierflasche. „Sag mal, hast du sie noch alle? Sei gefälligst leise, oder willst du etwa das ganze, verdammte Haus aufwecken?“, empört sie sich und steht auf. Sie vergisst dabei sogar den Gedanken an ihre Decke, die sie einfach auf dem Bett zurücklässt. Der Weißhaarige grinst nur dümmlich und legt sich kindisch einen Finger vor die Lippen. „Pst, schon klar.“, verkündet er nicht gerade leiser und nimmt noch einen Schluck aus der mittlerweile leeren Flasche. Inzwischen ist Fran bei ihm angekommen und zieht ihn erst einmal ins Zimmer hinein, damit der nicht die anderen alle weckt und die Nacht damit endgültig zum Tag macht. „Was machst du denn hier?“, fragt sie ihn dabei. „Hab‘ dir ‘n Bier mitgebracht.“, meint er grinsend und hält ihr die leere Flasche entgegen. Die Tatsache, dass sie nur in Unterwäsche vor ihm steht, scheint vollkommen an ihm vorbei zu gehen, zumindest macht er darüber keinen blöden Kommentar oder starrt sie offensichtlich auf diese Weise an. Wäre er nüchtern, würde sie sich aber die tollsten Sachen anhören müssen, wie scharf sie doch aussieht und dergleichen.
 

Die Pinkhaarige seufzt tief. Als wäre es unter normalen Umständen nicht schon manchmal schwer genug mit ihm zu reden, so ist es noch schlimmer, wenn er betrunken ist. Auch, wenn sie verstehen kann, dass er sich nach so einem Tag in den Alkohol flüchtet, um ein bisschen zu vergessen. Dennoch hat sie wenig Geduld dafür, erst recht mitten in der Nacht. „Du weißt doch, dass ich kein Bier mag.“, gibt sie daher verstimmt zurück und schließt die Tür. Er blickt sie einen Moment mit großen Augen verwundert an. Dann kommt ihm die Erkenntnis und er schmeißt die Flasche mit voller Wucht auf den Boden. Dank des Teppichs wird der Aufprall in seinem Lärm abgedämpft, dennoch zerspringt das Glas in tausend Stücke. „Scheiße ja, hast recht!“, empört er sich über seine eigene Taktlosigkeit.
 

Erschrocken zuckt die junge Frau beim Bersten der Flasche zusammen und fragt sich, ob es wirklich eine gute Idee war, ihn in ihr Zimmer zu holen, anstatt ihn auf dem Flur stehen zu lassen. Bromley ist nüchtern schon unberechenbar, da man nie weiß, wann sich sein Gehirn verabschiedet und er sich von der fremden Macht in seinem Schädel lenken lässt – doch betrunken ist es noch weit schlimmer und er sogar noch reizbarer, wenn man ihm dumm kommt. Zum Glück wirkt er im Moment nicht so, als wäre ihm nach Streit zumute, dennoch sollte sie lieber vorsichtig sein mit dem, was sie sagt. Etwas wehmütig betrachtet sie die Scherben und ist nur froh, dass die Flasche schon leer war. Trotzdem breitet sich der malzig-schwere Geruch von Bier augenblicklich in ihrem Zimmer aus und bereitet ihr Übelkeit. Zielstrebig läuft sie daher an ihm vorbei und öffnet das Fenster über ihrem Bett.
 

Als sie sich allerdings umdreht, sitzt Bromley am Fußende ihres Bettes und lässt sich schwerfällig ins Laken sinken. Geistlos starrt er zur Decke empor und grinst vor sich hin, als würden ununterbrochen Witze in seinem Kopf abgespielt werden. „Was machst du denn da?“, fragt sie unschlüssig und setzt sich neben ihn, bemüht die Decke über ihren Körper zu ziehen, damit er nicht doch noch auf dumme Gedanken kommt. Das Bett ist jedoch eigentlich nur für eine Person gedacht, weshalb es etwas beengt ist und sie nicht mehr an ihm vorbeikommt, ohne über ihn drüber steigen zu müssen. Doch darüber macht sie sich jetzt erst einmal keine Gedanken. Sie wird ihn schon noch früh genug wieder rauswerfen. Aber zuerst würde sie schon gern wissen, was alles vorgefallen ist. Bromley beantwortet ihre Frage jedoch nicht, sondern lächelt sie nur wieder an. „Hey, Franny!“, summt er vor sich hin, als hätte er sie jetzt erst gesehen. Die Angesprochene massiert sich nur wieder die Schläfen. Das wird eine lange Nacht...
 

„Hey, Bromley. Warum erzählst du mir nicht, was heute passiert ist? Aaron und Bryan haben mir gesagt, du hast Kukui getroffen und diesen Sun.“, setzt sie an, in der Hoffnung, etwas aus ihm herauszubekommen. Der Weißhaarige grinst allerdings nur wieder und plappert dann irgendwelchen Stuss zusammen, der keinerlei Beziehung zu der Frage hat, die Fran ihm gestellt hat. Er redet einfach nur, ganz ohne etwas zu sagen. Innerlich könnte sich die Gift-Trainerin eine Ohrfeige nach der anderen verpassen, dass sie ihn überhaupt gefragt hat. Sie hätte ihn gleich rauswerfen oder noch besser, in sein Zimmer bringen sollen. Aber nein! Und jetzt hat sie den Salat. Er hört gar nicht mehr auf zu reden. So kommt sie also nicht weiter. Vermutlich muss sie warten, bis er wieder etwas nüchterner geworden ist, wenn sie wirklich wissen will, was alles vorgefallen ist und wo er sich rum getrieben hat. Zumindest kann sie sich gut vorstellen, wie er sich selbst verletzt hat, da die Wunde auf seiner Stirn deutlich sichtbar ist und ihm das getrocknete Blut im halben Gesicht klebt. Außerdem hat das eine Glas seiner verqueren Sonnenbrille einen Sprung. Sein anhaltender Redefluss gibt ihr allerdings die Möglichkeit ihren eigenen Kampf mit Sun Revue passieren zu lassen.
 


 

4
 

Einen Monat zuvor...
 

Sanft steigt die Sonne über dem Hügel des Gedenkens auf und verspricht einen friedlichen Tag. Noch etwas müde durchquert Sun die Ruhestätte. Heute ist ein großer Tag und er versucht sich mental auf den Kampf vorzubereiten, der vor ihm liegt. In ein paar Stunden wird er an den Ruinen des Lebens sein und dort kann er dann gegen die Inselkönigin antreten, um den letzten Z-Kristall von Akala zu bekommen, und dann endlich zur nächsten Insel weiterreisen zu können. Die Aufregung macht sich so allmählich in seinem Magen breit. Die Herrscherin wird Gesteins-Pokémon einsetzen, wie er bereits in Erfahrung bringen konnte, also eine echt harte Nuss. Von daher versucht er sich fieberhaft eine möglichst geeignete Taktik zurechtzulegen, um gegen sie bestehen zu können. Die Friedlichkeit dieses Ortes hier, ist dabei eine große Hilfe und so denkt er darüber nach, noch etwas länger hier zu verweilen, bis ihm etwas Passendes eingefallen ist. Allerdings hat er sich dabei ganz sicher nicht das vorgestellt, was ihn nun aus seinen Gedanken reißt.
 

Am Ende des Friedhofs, wo er in den Akala Küstenstreifen übergeht, an dem Bromley und Kukui vor etlichen Jahren von den Rattfratz und dem Rattikarl angegriffen wurden, ertönt lauter Motorenlärm. Er wirkt dermaßen unpassend an diesem Ort, dass dafür eigentlich nur eine Ursache in Frage kommt: Team Skull! Sun ist diesen Rüpeln schon ein paar Mal auf seiner Wanderschaft unfreiwillig in die Arme gelaufen und jedes Mal war es wirklich lästig. Ein wenig wünscht er sich, sich jetzt einfach umzudrehen und das Ganze ungesehen an sich vorüber gehen lassen zu können. Doch das kann er nicht. Was wäre er denn auch für ein Trainer, wenn er es einfach so zulässt, dass solch ein Getöse an so einem friedfertigen Ort verursacht wird? Genau, ein ganz schlechter und damit auch nicht viel besser, als diese idiotischen Halbstarken! Doch, warum müssen sie eigentlich immer dann auftauchen, wenn er Wichtigeres zu tun hat? Fast so, als würden sie es riechen können. Vielleicht beobachten sie ihn auch seit ihrem ersten Zusammentreffen damals auf Mele-Mele und warten nur auf einen günstigen Moment, um ihm dazwischen zu funken?
 

Leicht schüttelt sich der Junge bei diesem Gedanken. Doch das ist ganz unmöglich, dafür haben die Rüpel weder die nötige Intelligenz noch das Durchhaltevermögen. Er gibt ein schweres Seufzen von sich und bahnt sich dann seinen Weg zwischen den Gräbern und Hecken hindurch, um herauszufinden, was diese Hohlschädel nun wieder planen. Es dauert nicht lange, da ist der Lärm ihrer aufgemotzten Motorräder so laut, dass er wohl selbst die Toten hier aufwecken könnte, was eine ziemlich makabere Vorstellung auf einen Friedhof ist, weshalb er sie schnell wieder verdrängt. Abrupt endet der Lärm dann jedoch ganz plötzlich. Überrascht geht Sun erst einmal hinter einer Hecke in Deckung und beobachtet die Szene. Die beiden Rüpel haben bis eben noch ihre Kreise um ein wehrloses Pokémon gedreht, dessen sie sich wohl bemächtigt haben. Nun jedoch beginnen sie einen Streit mit zwei anderen Leuten, die das Flegmon scheinbar aus seiner misslichen Lage befreien wollen. Vielleicht kommt Sun so ja doch noch um ein Zusammentreffen mit diesen Rabauken herum? Aber erstmal weitersehen.
 

Bei den zwei anderen Leuten handelt es sich um einen weiß gekleideten, blonden Mann und eine weiß gekleidete, junge Frau, die ihm jedoch beide völlig unbekannt sind. In diesem Aufzug wirken sie aber irgendwie wichtig, fast wie Wissenschaftler. Ein bisschen erinnern sie Sun an Professor Kukui, aber nur ein ganz kleines bisschen. Vorsicht schiebt sich der Schwarzhaarige näher heran, um verstehen zu können, was sie sagen. „Team Skull! Ihr gebt jetzt auf der Stelle das gestohlene Pokémon zurück, na los!“, fordert die junge Frau nachdrücklich von den beiden selbstgefälligen Teenagern. Die Blauhaarigen sehen aber verständlicher Weise nicht ein, warum sie dem nachkommen sollen. Außerdem ist es zu komisch, das Æther-Personal an der Nase herumzuführen – wissen diese doch noch nicht einmal, dass ihre hochgeschätzte Präsidentin mit ihnen unter einer Decke steckt. Das macht es gleich doppelt so lustig, diese beiden Vogelscheuchen zu ärgern. Ganz besonders diesen hochtrabenden Fabian, der sich ja für den Allergrößten hält, aber doch nichts weiter ist, als ein angeberischer Möchtegern.
 

„Jetz‘ komm uns doch hier nich‘ mit so was, Puppe!“, entgegnet ihr Cameron anrüchig und drängt das verstörte Pokémon hinter sich, sodass es nicht mehr an den blauen Suzukas vorbeikommt. „Wa‘ verhökern die Pokémon ja nich‘ zum Spaß, Alter! Schließlich müss’n wa‘ auch von was leben, kapiert? Aber wie du willst. Wenn ihr’s unbedingt zurückham wollt, dann aber nur mit ‘nem Kampf!“, kontert sein Kollege Flo lässig und tritt drohend vor. Fabian verzieht angewidert das Gesicht und wendet sich kurzerhand an seine Untergebene. „Ärmel hochgekrempelt und ran an den Feind! Das würde jetzt unsere wehrte Präsidentin sagen.“, teilt er der jungen Frau neben sich mit, um sie praktisch in den Kampf zu drängen, damit er sich nicht die Finger an diesen Verrückten schmutzig machen muss. Er versteht sowieso nicht, wie man nur so ein Leben führen kann. Den ganzen Tag nichts Besseres zu tun hat, als anderen die Arbeit zu erschweren und dann auch noch rotzfrech werden. Unweigerlich fällt ihm da dieser Streuner Bromley ein, den Samantha vor über einem Jahr angeschleppt hatte und der sich ihm gegenüber so aufgespielt hat. Ein wirklich furchtbarer Zeitgenosse. Fabian ist nur heilfroh, dass er wieder weg ist, obwohl er schwören könnte, ihn das ein oder andere Mal auf Æther herumschleichen gesehen zu haben. Das sollte er vielleicht einmal nachprüfen, wenn sie diese Trottel hier wieder losgeworden sind?
 

Auf die Worte des Blonden hin, wendet sich seine Untergebene nun etwas erzürnt an ihn. „Sie haben leicht reden, Herr Regionalleiter! Schließlich mache ich immer die ganze Arbeit...“, pikiert sie sich, da er ihr ständig nur Befehle gibt, die oftmals weit über ihre Zuständigkeit hinausgehen. Der Angesprochene rümpft verstimmt die Nase. „Aber ich bin nun mal die letzte Bastion der Æther-Foundation! Und als solche kann ich mich wohl schlecht in den erstbesten Kampf stürzen, oder?“, gibt er ihr angesäuert zu verstehen. Schließlich kann Fabian es ja nicht auf sich sitzen lassen, dass sie seine Autorität vor diesen zwei Halbstarken infrage stellt. Wo kommen wir denn da hin? Team Skull besteht ohnehin schon nur aus respektlosen Idioten, dass muss man nun wirklich nicht auch noch unterstützen, indem man sich auf genauso eine Ebene herablässt. Das wird noch ein Nachspiel für sie haben, wenn das hier vorbei ist, so viel steht fest!
 

Die beiden Rüpel finden das Ganze verständlicher Weise ziemlich witzig, sind aber dennoch bereit, diese Æther-Heinis mal so richtig aufzumischen. Die Diskussion spitzt sich immer weiter zu, sodass Sun sich schließlich mehr oder weniger gezwungen sieht, einzugreifen, bevor diese Rabauken doch die Lust am Ganzen verlieren und mit dem armen Flegmon abhauen, weil sich die anderen beiden nicht einig werden können. Entschlossen nähert er sich daher der Truppe und wird auch sogleich von Fabian erblickt, noch ehe er überhaupt ein Wort sagen kann. „Hey, du da! Du kommst gerade recht. Ich überlasse dir die Ehre, die Schergen von Team Skull zu verjagen!“, teilt er dem Schwarzhaarigen locker mit, als sei er einer seiner Leute. Seine Untergebene runzelt nur fragend die Stirn, kann sie sich doch nicht so wirklich vorstellen, wie ein kleiner Junge gegen diese Rüpel bestehen soll. Andererseits ist sie schon irgendwie froh, dass sie diese Aufgabe nun nicht mehr übernehmen muss.
 

Die beiden Blauhaarigen sehen sich belustigt an. Erst im Nachhinein wird ihnen aufgehen, mit wem sie es hier zu tun gehabt haben, da sie ja nicht die ersten Rüpel sind, die sich Sun gegenüberstellen. Doch die Peinlichkeit, von einem kleinen Jungen auf Inselwanderschaft vorgeführt zu werden, hat die bisher besiegten Mitglieder der Chaotentruppe immer davon abgehalten, es an die große Glocke zu hängen. Nur völlig betrunken haben sie sich ihren Kollegen anvertraut, die zumeist genauso betrunken waren, wodurch das Geheimnis also praktisch nicht ans Licht gekommen ist. Zu Fran oder Bromley ist das Ganze bisher aber glücklicherweise auch noch nicht durchgedrungen, sonst hätten die Rüpel mit Sicherheit ganz schön Ärger bekommen. Allerdings hatte auch ihr ungewolltes Mitglied Gladio vor kurzem das Vergnügen gegen Sun verlieren zu dürfen, was den ohnehin schon sehr aufgewühlten Blonden nur noch mehr verärgert hat. Die Rüpel haben ihn dafür auch noch ausgelacht, ganz einfach, um sich selbst besser zu fühlen. Auch Bromley und Fran fanden es eher amüsant, Gladios Ausführungen dahingehend zu lauschen, weshalb sich der Junge erst einmal wieder etwas von ihnen abgeseilt hat, bis hoffentlich Gras über die Sache gewachsen ist...
 

So steht Cameron Sun nun völlig unbescholten gegenüber und sieht sich natürlich haushoch als Gewinner. „Na? Biste bereit für diesen Fight, du Zwerg?! Ich wurd‘ ja schon bereit gebor’n!“, höhnt der temperamentvolle Teenager keck und wird auch sogleich von Flo angefeuert. Dummerweise ist der Kampf schneller vorbei, als die zwei Halbstarken gucken können und ganz ohne, dass Sun oder sein Pokémon sich auch nur anstrengen mussten. Fassungslos starrt Cameron auf sein besiegtes Rattikarl hinab, das ihn schmerzlich und um Vergebung bittend ansieht, ehe es sich schließlich seiner Ohnmacht hingibt. „Yo, yo, Kleiner! Mit dir is‘ nich‘ zu spaßen, wa‘? – Ich glaub‘, ich spinn‘, Mann!“, entkommt es ihm getroffen, während er seine Ratte zurück in ihren Ball ruft. Auch sein Mitstreiter begreift langsam, was hier schief läuft und, dass es besser wäre, das Weite zu suchen. „Das olle Pokémon brauchen wa‘ eh nich‘! Nehmt’s und gebt gefälligst Ruhe! Weg hier, Bro!“, verkündet er schlicht und schiebt das Flegmon grob von den Motorrädern weg. Keine Minute später durchschneidet das grölende Brummen wieder die friedliche Stille des Gedenkhügels, kurz darauf sind sie auch schon außer Sichtweite.
 

„Fuck Mann! Fran wird uns den Arsch aufreißen...“, kommt es nun kleinlaut von dem sonst so selbstsicheren Cameron. Mit seinem Verhalten und seiner ganzen Art übertrifft er den anfänglichen Bryan noch bei weitem. Mit dem kleinen Unterschied, dass Bromley ihm seine tiefsitzende Homophobie noch nicht austreiben konnte. Wenn sich ihm der Weißhaarige in dieser Hinsicht auch nur ansatzweise genähert hat, hat der Blauhaarige auf der Stelle die Flucht ergriffen, da er beim besten Willen nicht so angegangen werden will, wie es Bryan damals in der Küche passiert ist. Doch im Gegensatz zu seinem Kollegen früher, sieht Cameron nur zu, nicht selbst belästigt zu werden und äußerst sich nicht abgeneigt über die Vorlieben der anderen Skull-Mitglieder. Jetzt jedoch kommt er sich wie ein kleines Kind vor, das sich bewusst wird, dass es von seiner Mutter jeden Moment übers Knie gelegt werden könnte. Der Gedanke an sich hat für ihn durchaus etwas Reizvolles, ist Fran in seinen Augen eine echte Granate, doch den Spaß wird sie ihm wohl kaum gönnen. Schon gar nicht nach so einer Niederlage. Und, wenn man vom Teufel spricht, erreichen die beiden gerade den Eingang des Friedhofs, an dem ihre stellvertretende Führerin schon ungeduldig auf sie wartet.
 

Lässig lehnt sie an ihrer eigenen violett-weißen Suzuka und wartet mit verschränkten Armen darauf, dass die zwei zu ihr kommen. Verstimmt legt sie die Stirn in Falten. „Was hat denn da so lange gedauert? Und wo ist das verdammte Flegmon, das ihr klauen solltet?“, entkommt es ihr säuerlich, kaum, dass die zwei zum Stehen gekommen sind. Reumütig tauschen die beiden Jungs einen flüchtigen Blick aus. „Sorry, Sis. – Wa‘ ham’s nich‘...“, gesteht Flo schließlich. „Was soll das heißen? Sagt jetzt nicht, dass euch dieses lahme Vieh davongelaufen ist.“ „Nee, aber da war’n so’n paar Typen von der Æther, die Stress gemacht ham. Dieser schmierige Fabian...“, erwidert Cameron aufgebracht und ballt knurrend die Fäuste. Verstimmt verzieht Fran das Gesicht. „Wirklich? Fabian? Und von diesem gestriegelten Lackaffen habt ihr euch das Pokémon wieder abnehmen lassen?“, fragt sie ungläubig.
 

„Nee, von dem nich‘. Aber da wa‘ auch so’n Bengel und der hat uns total plattgemacht.“, erläutert Flo. „Echt jetzt? Das kann doch nicht euer Ernst sein! Ihr lasst euch von einem dahergelaufenen Bengel fertigmachen, wie ein paar jämmerliche Anfänger?“. Langsam ist Frans Geduld am Ende und sie hebt merklich die Stimme an, was die zwei unweigerlich zusammenzucken lässt. „Das wa‘ kein gewöhnlicher Bengel! Das wa‘ der Zwerg, der auch Gladio plattgemacht hat! Der is‘ voll die Härte, sag ich dir!“, setzt Cameron zu einem letzten Versuch an, seine angeschlagene Ehre zu verteidigen.“ Plötzlich vergeht der Gift-Trainerin die Wut auf die beiden Rüpel. Leichtes Entsetzen kommt in ihr auf. „Was? – Nun gut. Dann habe ich euch ja vielleicht Unrecht getan und ihr könnt gar nichts dafür. Dennoch entschuldigt das nicht eure Unfähigkeit! Immerhin ist der Bengel noch ein dummes Kind, zudem auf Inselwanderschaft und sollte euch somit unterlegen sein! Also strengt euch beim nächsten Mal gefälligst mehr an, verstanden? Wie sieht das denn auch aus, wenn sich Team Skull von so einer Rotznase fertigmachen lässt?!“, zornig mustert sie die beiden.
 

Die Jungs machen sich auf ihren Bikes ganz klein und nicken dann überschwänglich. „Schön. Dann fahrt zurück nach Po’u und trainiert mal ein bisschen! Wird euch sicher gut tun. Ich werde mir diesen Sun mal vornehmen! Und kein Wort zu Bromley, bis ich wieder da bin!“, legt sie streng fest und deutet den beiden dann an zu verschwinden. Nur allzu bereitwillig düsen die Rüpel davon, während sich Fran wieder auf ihr Motorrad schwingt und den Friedhof Richtung Küste entlangfährt. Da das Ganze ja eben erst passiert ist und es von dort keinen anderen Ausweg gibt, dürfte es ja nicht allzu schwer sein, den Bengel einzuholen. Und sie soll damit auch recht behalten. Auf dem Friedhof kommen ihr sogar noch Fabian und seine Untergebene entgegen, inklusive dem Flegmon. Angesäuert mustert sie die beiden, die sie jedoch keines Blickes würdigen, obwohl sie ihnen absichtlich fast über die Füße fährt.
 

Nach dieser unschönen Begegnung erreicht sie kurz darauf den Küstenstreifen und erblickt dabei auch sogleich mal den Schwarzhaarigen, der sich genervt herumdreht, als er den Lärm ihrer Maschine hört. Für einen Moment ist Sun der festen Überzeugung, die beiden Rüpel haben nur geblufft und kommen nun wieder, um ihn so richtig aufzumischen. Er glaubt zwar nicht, dass ihnen das gelingen wird, dennoch ist der Gedanke unschön. Immerhin könnten sie ja auch auf einen Pokémon-Kampf verzichten und ihn einfach so zusammenschlagen. Er würde es ihnen in jedem Fall zutrauen und dann hätte er keine Chance mehr gegen sie. Umso überraschter ist er daher, als er statt der beiden Jungs, auf einmal eine junge Frau entdeckt, die allerdings ganz unzweifelhaft ebenfalls zu Team Skull gehört. Diese Chaoten haben ihn wohl bei ihr verpfiffen und nun will sie eine Revanche dafür. Der Gedanke gefällt ihm nicht, doch tun kann er dagegen wohl nichts. Ihr Anblick unterscheidet sie ziemlich von den Rüpeln, mit denen Sun bisher zu tun hatte, weshalb er vermutet, dass sie höher gestellt ist und somit durchaus ein ernst zunehmender Gegner sein könnte. Zum Glück war der letzte Kampf ja ein Kinderspiel, weshalb seine zwei Begleiter das wohl ganz gut hinbekommen dürften.
 

Die Pinkhaarige stellt ihr Bike ab und kommt lässig, aber mit äußerst strenger Miene auf ihn zu. „Du bist also der, von dem Gladio und die Rüpel erzählt haben. Hm. – Für mich siehst du wie ein ganz gewöhnlicher Junge aus. – Ich bin Fran. Ich halte Team Skull zusammen. Ich bin dort so was wie die große Schwester für alle. Wie du weißt, sind die alle nicht unbedingt die Hellsten. Aber gerade das ist es, was sie so liebenswert macht. Verstehst du, was ich meine? Und du hast es gewagt meine süßen Geschwister zu ärgern, also muss ich dem ein Ende setzen!“ Etwas verunsichert mustert Sun sein Gegenüber. Diese Fran wirkt bei weitem nicht so dümmlich und schwach, wie die Rüpel, die ihm ständig auf die Pelle rücken. Sie könnte also durchaus eine ernst zunehmende Gegnerin für ihn werden. Doch seine Bedenken lässt er sich nicht ansehen. Man sollte seinem Gegner nie etwas geben, dass ihm klar macht, man könnte schwach sein, selbst wenn das der Fall sein könnte. Immer Überlegenheit und Stärke symbolisieren! Das ist zwar weit leichter gesagt, als getan, aber eine Tatsache, die einen weit bringt.
 

Fran fackelt da auch gar nicht lange und schickt ihr erstes Pokémon in den Ring, bevor Sun ihr überhaupt antworten kann. Auf dem Gras manifestiert sich auch sogleich ein Golbat. Die große Fledermaus schlägt ein paar Mal mit den Flügeln und erhebt sich damit in die Luft. Mit weit aufgerissenem Maul und gebleckten Zähnen schwebt es über dem Kampffeld und fixiert den Schwarzhaarigen mit seinen kleinen, aber durchdringenden Augen. „Na gut. Wenn Team Skull immer noch nicht genug hat, also ein Kampf.“, seufzt der Junge schon fast und schickt sein Mauzi auf das Feld. Der kleine, sandfarbene Kater aus Kanto blickt sich neugierig um, schreckt jedoch unwillkürlich zusammen, als das andere Pokémon ein wütendes Fauchen von sich gibt. Etwas verunsichert blickt sich Mauzi nach Sun um, der es aufmunternd betrachtet. Dann wendet sich der Vierbeiner wieder zu seinem Gegner um und rümpft verstimmt die Nase.
 

Fran sieht dem Kampf siegessicher entgegen und setzt zu ihrem ersten Befehl an. Allerdings macht ihr Sun da schon einen Strich durch die Rechnung, den sein Pokémon auch gleich fortsetzt. „Schnell, Mogelhieb!“ Bevor die Gift-Trainerin ihren Angriff aussprechen kann, gleitet schon ein wild entschlossenes Funkeln über Mauzis Augen hinweg. Der Kater stürmt blitzschnell vor, springt in die Luft und schlägt Golbat seine Pfoten ins Gesicht. Getroffen schwankt die Fledermaus einen Moment in der Luft, fängt sich dann aber schnell wieder und führt ungerührt ihren Gegenangriff aus. „Du hast mich mit deiner Attacke vielleicht kalt erwischt, aber mein Golbat wird nicht vor dir Zurückschrecken, Kleiner. Das ist nämlich seine spezielle Fähigkeit.“, höhnt die Pinkhaarige verstimmt. Sun hat so etwas schon befürchtet, doch immerhin ist ihm der Erstschlag gelungen und das genügt ihm schon mal.
 

Nun allerdings führt Golbat seinen Angriff aus. Es starrt Mauzi durchdringend an und dann lösen sich seltsame Lichtpunkte aus seinem Augen, die wild um den Kater herumzufliegen beginnen. „Mist...“, schimpft der Junge in sich hinein, als er mit ansehen muss, wie sein Pokémon durch den Konfustrahl verwirrt wird. Taumelnd dreht sich der Vierbeiner im Kreis und weiß nicht mehr, wo oben und unten ist. So kann Sun unmöglich eine Z-Attacke einsetzen. Das Risiko, dass sich sein Pokémon dabei selbst verletzt oder der Angriff völlig fehlgeleitet wird, ist einfach zu groß. Also muss es halt so irgendwie gehen. „Ok, Mauzi! Setz Kratzer ein!“ Der Kater schwankt noch immer, dennoch fährt er die Krallen aus und läuft los. Das Ganze wirkt jedoch nicht sonderlich sicher, sodass es Fran leicht gelingt, mit ihrem Angriff zu kontern. „Windschnitt!“, befiehlt sie der großen Fledermaus, die daraufhin heftig mit den Flügeln zu schlagen beginnt.
 

Die heftige Böe, die dabei entsteht, reißt den kleinen Vierbeiner augenblicklich von den Füßen. Getroffen mauzt das Pokémon auf, dennoch gelingt es ihm wieder aufzustehen. „Versuch es gleich noch einmal!“, ermutigt Sun es. Bemüht lässt der Kater ein weiteres Mal seine Krallen ausfahren und diesmal gelingt ihm ein Treffer. Es lässt Golbat aber eher kalt und so wird Mauzi von einem erneuten Windschnitt zu Boden geworfen. Diesmal gelingt es dem Vierbeiner deutlich schwerlicher wieder aufzustehen, was Fran ein überlegenes Lächeln entlockt. Ein bisschen beginnt sie sich zu fragen, wie dieser Bengel es wohl geschafft haben mag, die ganzen Rüpel zu besiegen und erst recht Gladio, der doch einiges mehr drauf hat. Aber egal, wichtig ist nur, dass sie ihm jetzt eine ordentliche Lektion erteilt, die er so schnell nicht wieder vergessen wird und dann kann sich Team Skull endlich etwas freier bewegen.
 

„Das machst du sehr gut, Mauzi! Benutz nun Biss!“, fordert Sun und hofft, dass sein Pokémon bald von der Verwirrung loskommt, ehe es sich wohlmöglich noch selbst verletzt. Als hätte der Kater seine Gedanken gelesen, bleckt er in diesem Moment angriffslustig die Zähne. Doch entgegen seiner Hoffnung, verbeißt sich der Kater damit in seiner eigenen Pfote und heult kläglich auf. „Nein!“, entkommt es dem jungen Trainer erschrocken. Fran gibt ein herablassendes Lachen von sich und wiegt sich noch etwas mehr in Sicherheit. „Du bist schwach, Junge! Sieh es ein, du hast keine Chance gegen mich!“, tönt sie keck. „Das werden wir ja sehen!“, harscht der Schwarzhaarige zurück. Noch etwas neben sich, wirft Mauzi ihm einen Blick zu. „Versuch es noch einmal, mein Junge!“ Der Kater gibt ein verstehendes Mauzen von sich und tritt einen Schritt vor. Als es seinen Blick auf Golbat ausrichtet, schwirrt ihm jedoch erneut der Kopf und es verbeißt sich nun in seine andere Pfote.
 

Das schmerzliche Heulen des Katers erfüllt ein weiteres Mal die friedliche Stille des Küstenstreifens und versetzt Sun in leichte Panik, weiß er doch nicht, was diese Fran noch so alles auf der Hinterhand hat. „Das Ganze wird mir jetzt doch etwas zu langweilig. Ist ja wirklich mitleiderregend, dein Kätzchen. Los, Golbat, erledige es mit Windschnitt!“ Die große Fledermaus gibt ein zustimmendes Fauchen von sich und schlägt wieder heftig mit den Flügeln. Der Vierbeiner wird abermals zu Boden geschleudert, doch diesmal gelingt es ihm nicht mehr, wieder aufzustehen. „Mauzi, nein!“, erschrocken nimmt Sun sein bewusstloses Pokémon an sich und wirft Fran einen finsteren Blick zu. Diese streicht ihrem Golbat lobend über den Kopf und lacht in sich hinein.
 

„Du solltest aufgeben, Kleiner. Damit würdest du dir immerhin die Schande ersparen zu verlieren und deine Begleiter vor weiteren Schmerzen bewahren.“ „Das kannst du vergessen! Ich werde euch das Handwerk legen, egal wie oft ihr euch mir noch in den Weg stellt! Das Gute siegt schließlich immer über das Böse!“, gibt der Schwarzhaarige trotzig zurück. Ein wenig verzieht die Gift-Trainerin das Gesicht. „Dein Mut in allen Ehren, Junge. Doch, wer sagt denn, dass wir hier unbedingt die Bösen sind? Vielleicht interpretierst du unser Handeln einfach nur falsch und siehst nicht das große Ganze, das hinter alledem steckt.“ Irritiert legt Sun die Stirn in Falten. Es ist doch wohl völlig offensichtlich, dass Team Skull hier die Bösen sind, was gibt es da also falsch zu verstehen? Sie blufft ganz sicher nur, um ihn aus dem Konzept zu bringen. Anders kann es gar nicht sein.
 

„Selbstverständlich seid ihr die Bösen! Warum sonst solltet ihr wehrlose Pokémon stehlen und verkaufen?“, hält er dagegen. Fran zuckt nur mit den Schultern. Natürlich weiß sie ganz genau, warum sie das machen. Es dient hauptsächlich der Ablenkung, damit keiner mitbekommt, dass Samantha in Wirklichkeit das wahre Böse ist, erst recht, weil sie Skull schon lange nicht mehr finanziell unterstützt, wie am Anfang. Sie sich daher mühevoll alles selbst irgendwie organisieren müssen, was ohne Geld doch recht schwer ist. Für Fran daher vollkommen unverständlich, warum sich das Team dennoch so den Arsch für diese billige Kuh aufreißt. Aber Bromley sieht das scheinbar nicht, da sie ihn ja um ihren Finger gewickelt hat und die Rüpel folgen ihrem Boss mindestens genauso blind. Fran lässt sich davon nicht so einfach täuschen, aber ihr sind in vielerlei Hinsicht nun mal die Hände gebunden. „Wir stehlen die Pokémon ja nicht aus Langeweile, Kleiner. Schließlich müssen wir auch von etwas leben. Von daher brauchen wir nun einmal Geld. Aber das tut hier überhaupt nichts zur Sache. Du kannst deine Meinung über uns haben, das ist mir vollkommen egal. Mich interessiert nur, ob du aufgibst oder nicht.“
 

„Ich werde niemals aufgeben!“, beharrt der kleine Junge stur und wirft ihr einen zutiefst finsteren Blick zu. Fran zuckt nur mit den Schultern. „Wie du meinst. Aber heul mir nachher nicht die Ohren voll, wenn du verloren hast.“ „Keine Sorge, den Gefallen tue ich dir ganz sicher nicht!“, gibt er schmollend zurück und wirft seinen zweiten Pokéball. Miezunder erscheint auf dem Feld und blickt sich fauchend um. Bei seinem Anblick verzieht Fran unbewusst das Gesicht, lässt sich sonst aber nichts anmerken. „Los, Golbat! Konfustrahl!“ So leicht macht es Sun ihr diesmal aber nicht, weiß er doch jetzt, was für eine Taktik sie verfolgt. „Miezunder, sieh zu Boden und benutz dann Feuerzahn!“, befiehlt er seinem Pokémon daher.
 

Gehorsam senkt der Feuerkater den Kopf und starrt zu Boden, während er die Zähne bleckt, um die sich hitzige Flammen ausbreiten. Als Golbat seine Attacke einsetzt, rennt der Vierbeiner los, hält den Kopf weiterhin unten und schafft es so, den verwirrenden Lichtpunkten zu entgehen. Dann springt er kraftvoll in die Luft und verbeißt sich in einem der empfindlichen Flügel der großen Fledermaus. Die Flammen greifen auf ihren Körper über wie ein Steppenbrand und so geht sie schwer getroffen zu Boden und kann nicht mehr weiterkämpfen. „Pff, das war nur Glück, Freundchen, also freu dich nicht zu früh!“, entgegnet ihm Fran angesäuert und ruft Golbat zurück. In Sun breitet sich ein Funken Erleichterung aus, sind sie jetzt doch wieder gleichauf.
 

„Daran wirst du dir die Zähne ausbeißen!“, gibt Fran ihm nun zu verstehen und lässt ihr letztes Pokémon in den Ring. Vor Suns Augen schlüpft ein Molunk aus dem Ball und blickt sich keck um. Die anfängliche Freude des Schwarzhaarigen vergeht nun, da es sich bei dieser kleinen, schwarzen Echse um den Typ Gift und Feuer handelt. So ist der junge Trainer also wortwörtlich dazu gezwungen Feuer mit Feuer zu bekämpfen. Doch im Gegensatz zu Team Skull ist er sehr wohl in der Lage Z-Attacken einzusetzen, was hoffentlich die entscheidende Wendung in diesem Kampf bringen wird. Allerdings hat er nicht mit Frans erstem Angriff gerechnet, was das Ganze vielleicht zum Scheitern verurteilt. „Molunk, benutz Giftwolke!“ „Miezunder, ausweichen und Kratzer!“, hält der Schwarzhaarige dagegen.
 

Die kleine Echse bäumt sich auf und speit eine dichte, lilafarbene Wolke aus, die sich rasant auf dem ganzen Feld ausbreitet. Fauchend setzt Miezunder zur Flucht an, um seine eigene Attacke einzusetzen, doch das Giftgas ist so allumfassend, dass der Kater nicht ausweichen kann. Es frisst sich in seinen Körper hinein und vergiftet ihn. In diesem Moment wird Sun klar, dass er seinem Pokémon nicht helfen kann. Er war so auf die Vorbereitungen für den Kampf mit der Inselkönigin fixiert und dann von den Rüpeln abgelenkt worden, dass er völlig vergessen hat, im Dorf neue Items zu kaufen. So hat er nun rein gar nichts, um die Vergiftung zu heilen oder sein Pokémon aufzupäppeln. Demzufolge muss er diesen ungewollten Kampf nun umso schneller beenden, da Miezunder mit jeder verstreichenden Minute immer mehr von dem Gift geschwächt wird und irgendwann wahrscheinlich gar nicht mehr die Kraft aufbringen kann, eine Z-Attacke einzusetzen.
 

Der Schwarzhaarige wechselt einen schnellen Blick mit seinem angeschlagenen Begleiter und dieser versteht sofort, was zu tun ist. Beide konzentrieren sich und Sun beginnt mit der Z-Pose. „Oh nein, so leicht mache ich es dir ganz sicher nicht! Molunk, Funkenflug, schnell!“, versucht Fran die beiden aus dem Konzept zu bringen. Die kleine Echse bäumt sich erneut auf, ihr Schwanz schlägt Funken und als sie das Maul aufreißt, scheißt daraus eine große Feuerblase hervor. Auf ein Zeichen hin, weicht Miezunder der Attacke im letzten Moment aus. Zwar macht Feuer dem Kater ja nicht sonderlich viel aus, aber die Konzentration könnte doch erheblich darunter leiden, wenn er sich erst davon erholen muss, und das Gift kommt ja auch noch hinzu. Allerdings hat Sun den Beiklang von Frans Angriff übersehen.
 

Als die Feuerblase heftig auf dem Boden aufschlägt, zerplatzt sie wie ein prall gefüllter Wasserballon und verspritzt nach allen Seiten flüssige Funken, die dem Gegner immer Schaden zufügen, da sie keinem festen Typen unterliegen, wie der Hauptanteil des Angriffs. So kommt es also, dass der Vierbeiner der Attacke ausweichen kann, doch er wird von den umherfliegenden Funken getroffen und erleidet dadurch einen leichten Schaden, der jedoch etwas größer wird, weil sich auch das Gift zu Wort meldet. Irgendwie allerdings gelingt es den beiden ihre Konzentration nicht zu verlieren und die Z-Attacke weiterhin fehlerfrei aufzuladen. Frans anfängliche Hoffnung, Sun damit zu verwirren, scheitert somit und sie muss daher mehr oder weniger hilflos mit ansehen, wie ihr Gegner diese gewaltige Macht in sich aufnimmt.
 

In ihrer Verzweiflung befiehlt sie Molunk einen weiteren Angriff, doch es ist bereits zu spät. Miezunder erstrahlt in Z-Kraft und stürmt in einem unglaublichen Tempo mit seinem Hyper-Sprintangriff auf die kleine Echse zu. Die Pinkhaarige kann gar nicht hinsehen und wendet daher das Gesicht ab. Stattdessen muss sie aber den Schmerzensschrei ihres Pokémon hören und das widerliche Geräusch, mit dem die schwarze Echse bewusstlos auf dem Boden zu ihren Füßen aufschlägt. Nach diesem unschönen Laut traut sie sich gar nicht die Augen zu öffnen, hofft irgendwie noch, dass es doch noch nicht vorbei ist und Molunk noch weiterkämpfen kann. Erst, als sie Suns Jubel hört, wird ihr schmerzlich klar, dass auch sie ihm unterlegen ist und Team Skull somit scheinbar einfach keine Chance gegen ihn hat.
 

Unwillentlich öffnet Fran nun doch die Augen und betrachtet wehmütig ihr besiegtes Pokémon, das reglos vor ihr auf dem Rücken liegt. Langsam beugt sie sich hinab und ruft es in den Ball zurück. „Tut mir so leid, Süße. Aber du hast dich wacker geschlagen...“, teilt sie der Echse sanft mit, ehe sie sich wieder erhebt und Sun einen wütenden Blick zuwirft. „Ha, du bist ganz schön stark. Aber, wenn du uns weiter im Weg stehst, mache ich nächstes Mal Ernst.“, harscht sie den Jungen grob an, um sich nicht anmerken zu lassen, wie tief enttäuscht sie von dieser Niederlage ist. Wie machtlos sie ihm letztendlich doch gegenüberstand. Besiegt von einem kleinen Jungen auf Inselwanderschaft, einfach unfassbar! Aber nun wirklich kein Wunder mit diesen miesen Z-Attacken.
 

Der Schwarzhaarige sieht sie etwas verwundert an, lächelt dann jedoch. „Das war ein guter Kampf. Ich danke dir!“, teilt er der Gift-Trainerin ehrlich mit. „Du weißt nicht, was du da sagst, Junge. Also sei lieber still und denk an meine Worte! Ich mache keinen Spaß, verstanden?“, macht sie ihm noch einmal deutlich. Fran wartet jedoch auf keine weitere Antwort, sondern wendet sich ab, geht zu ihrem Motorrad und fährt davon...
 


 

5
 

Die Erinnerung an diesen äußerst unschönen Kampf beschert ihr jetzt noch Kopfschmerzen, kann sie doch noch immer nicht begreifen, wie ein so kleiner Bengel solche Kraft und Bindung zu seinen Pokémon aufbauen kann und das schon während seiner Inselwanderschaft. Damals, als die Welt für sie noch in Ordnung war und ihr kleiner Bruder noch lebte, hat sie auch ihre Wanderschaft begonnen. Schnell hat sie allerdings gemerkt, dass sie es nicht übers Herz bringen kann, ihre Familie und ganz besonders ihren kleinen Bruder, solange allein zu lassen, weshalb sie sie nach kurzer Zeit wieder abgebrochen und stattdessen mit ihrem Bruder trainiert und gelernt hat, damit er einen guten Start für seine Wanderschaft bekommt. Ja, sie wollte sogar mit ihm zusammen nach einmal von vorn beginnen, damit sie gemeinsam losziehen können. Doch es kam ja leider ganz anders und sie hat nie wieder den Versuch unternommen, eine Inselwanderschaft zu bestreiten.
 

Niemand hat mir gesagt, dass das Leben so laufen wird

Mein Job ist ein Witz, ich bin getrennt,

Mein Liebesleben ist zum Scheitern verurteilt
 

Jetzt, wo die Bilder ihrer Niederlage gegen Sun wieder in ihr hochkommen, kann sie noch besser verstehen, was Bromley dazu bewegt hat, sich zu betrinken oder sich selbst zu verletzen. Sie wünscht sich jetzt sogar selbst etwas Alkohol, um ihren Kopf freizubekommen, aber in ihrem Zimmer gibt es davon nichts, was auch ganz gut ist. Doch es wäre mit Sicherheit sowieso ein großer Fehler sich zu betrinken. Früher oder später wird man eh wieder nüchtern und erinnert sich im schlimmsten Fall erneut an alles. Und wer weiß schon, was dann passieren würde, wenn sie sich so gehen lässt und der Weißhaarige noch bei ihr ist. Sie will es sich nicht vorstellen. Also verdrängt sie den Gedanken an Sun und wendet sich wieder Bromley zu, der noch immer neben ihr im Bett liegt und vor sich hinplappert.
 

Es ist, als würdest ich immer im zweiten Gang stecken bleiben,

Wenn es nicht mein Tag, meine Woche,

Mein Monat oder mein Jahr ist,

Aber…
 

Langsam wendet sich Fran seinen Worten wieder zu und stellt überrascht fest, dass sie inzwischen an Sinn gewonnen haben. Irgendwann, während sie ihrer eigenen Erinnerung nach hing, muss er angefangen haben, über seinen Kampf mit Sun zu reden. Überrascht lauscht sie seinen erstaunlich ausführlichen und klaren Schilderungen, wie es der Bengel geschafft hat, ihn so mühelos zu schlagen. Als er damit durch ist, schwenkt er plötzlich um und erzählt vom Anfang des Ganzen, als er Kukui im Ziergarten begegnet ist.
 

Du wirst für mich da sein,

Wenn es zu regnen beginnt
 

„Kannste dir den Scheiß vorstellen? Nach all der langen Zeit steht der Typ plötzlich einfach so da und grinst so selbstgefällig vor sich hin, dass man ihm nur in die Fresse schlagen will...“, kommt es mit belegter Stimme von dem Käfer-Trainer. Betroffen blickt Fran ihn an. Bromley hat ihr gegenüber noch nie über seine Gefühle oder seine Beziehung zu Kukui geredet. Alles, was sie weiß, haben ihr im Laufe der Zeit verschiedene Rüpel erzählt. Das allein hat ihr schon genügt, nicht selbst nachzufragen, da sie ihn nicht aufregen wollte. Solche Gespräche endeten förmlich alle damit, dass er sich selbst verletzt hat, um irgendwie zu vergessen und das will sie nun wirklich nicht riskieren. Zumal sie die Wunde auf seiner Stirn ja jetzt noch sehr gut sehen kann.
 

Du wirst für mich da sein,

Wie du schon früher da warst
 

Ungewollt zieht sie einige Parallelen zwischen Kukui und ihrem verstorbenen Bruder. Zwar gleichen sie sich kein bisschen, doch sowohl Bromley, als auch sie wurden unfreiwillig von ihnen verlassen und leiden auch noch nach so langer Zeit darunter. Der Weißhaarige wird sicher noch weit mehr zu leiden haben, da er seinem Ex-Freund immerhin praktisch täglich über den Weg laufen könnte und somit ständig daran erinnert wird. Fran hat nur ein Foto, das sie an ihrem Bruder erinnert. Seufzend sitzt die Pinkhaarige neben ihm. „Das kann ich mir nur zu gut vorstellen. Ginge mir sicher nicht viel anders...“, pflichtet sie ihm daher bei.
 

Du wirst für mich da sein,

Denn ich bin auch für dich da
 

Plötzlich schwenkt er wieder um und erzählt ihr von seiner Inselwanderschaft, wie sie kurz vor ihrem Ziel standen und Kukui dann krank geworden ist. „Ich hatt‘ solche Angst um ihn, checkstes? Wusst‘ weder ein noch aus. Kam mir so verloren vor, weil ich ihm nich‘ helfen konnt‘. Hat mir echt das Herz gebrochen, ihn so zu seh’n und allein weitergeh’n zu müssen...“ Er blickt sie an und auf einmal laufen ihm dicke Tränen die Wangen hinab.
 

Ich bleibe bis zehn im Bett und mein Job begann um acht

Mein Frühstück habe ich verbrannt, soweit läuft alles gut
 

Nahezu erschrocken betrachtet Fran das Ganze, hat sie ihn doch noch nie so gesehen. In ihr entbrennt ein wahrhafter Hass auf diesen Professor, dem sie noch nie gegenüberstand. Doch vielleicht sollte sie ihm mal einen Besuch abstatten und ihm in Bromley’s Namen eine scheuern? Vielleicht findet sie ja irgendwann Zeit dafür? Jetzt jedoch bricht es ihr beinahe selbst das Herz, den sonst so temperamentvollen Mann weinen zu sehen, wie ein kleines Kind. Laut schnieft er vor sich hin, als wäre er wieder der verletzte Junge auf dem Mount Lanakila, der um seinen Freund bangen muss.
 

Meine Mutter warnte mich vor Tagen wie diesen,

Aber sie erzählte mir nicht,

Dass mich die Welt schon in die Knie gezwungen hat
 

Das alles erinnert sie noch weit mehr an ihren kleinen Bruder, der so sinnlos sterben musste. Ihr kommen selbst die Tränen, doch sie unterdrückt das Schniefen, da sie sich diese Blöße nicht vor Bromley geben will, betrunken oder nicht, auf seine dämlichen Kommentare kann sie in jedem Fall verzichten. Stumm rinnen die heißen Perlen daher ihre Wangen hinab. „Ich weiß genau, wie du dich gefühlt hast...“, gibt sie kurz angebunden zurück, damit er nicht das beginnende Zittern in ihrer Stimme mitbekommt.
 

Du wirst für mich da sein,

Wenn es zu regnen beginnt
 

Ein weiteres Mal wechselt er aus heiterem Himmel das Thema und erzählt jetzt irgendetwas von seiner Mutter, doch Fran kann ihm nicht mehr zuhören. Sie ist viel zu aufgewühlt, von der Erinnerung an ihren Bruder. Sie will nur noch allein sein und weinen, hat aber nicht mehr die Kraft, den Käfer-Trainer vor die Tür zu setzen. Also legt sie sich einfach neben ihn, dreht ihm den Rücken zu und schluchzt stumm in ihr Kissen hinein.
 

Du wirst für mich da sein,

Wie du schon früher da warst
 

Dabei bekommt sie gar nicht mit, wie Bromley irgendwann nichts mehr erzählt und nur noch die Zimmerdecke betrachtet, als würde er alles noch einmal Revue passieren lassen wollen, dass er ihr gerade gesagt hat. Vielleicht, um herauszufinden, ob etwas dabei war, das er nicht hätte sagen sollen? Vielleicht aber auch, um zu sehen, was er ihr noch nicht erzählt hat und was es wert wäre noch Erwähnung zu finden?
 

Du wirst für mich da sein,

Denn ich bin auch für dich da
 

Im Endeffekt ist es Fran vollkommen gleich, sie will kein einziges Wort mehr mit ihm reden oder gar von ihm hören. Will nur noch allein sein. Sie könnte sich selbst erneut dafür ohrfeigen, ihn überhaupt in ihr Zimmer gelassen zu haben, nur damit er ihr jetzt solchen Kummer bereitet. Als würde es seinen eigenen Schmerz damit vertreiben. Der Verzweiflung nahe umklammert sie ihr Kissen fester und sucht nach einer Möglichkeit ihn vor die Tür zu setzen. Soll er doch auf dem verdammten Flur übernachten oder jemand anderen belästigen, Hauptsache sie ist ihn los.
 

Niemand wird mich je verstehen können

Niemand wird mich je richtig sehen können!
 

Der ganze Kummer macht sie jedoch schrecklich müde, sodass ihr einfach nichts einfallen will. Schwerfällig schließt sie ihre feuchten Augen und versucht zu schlafen. Aber dafür geht es ihr jetzt einfach zu schlecht. Sie kann die Gedanken schlichtweg nicht mehr vertreiben. Erneut beginnt sie heftig zu schluchzen und es kümmert sie auch schon gar nicht mehr, ob er sie hören kann oder nicht.
 

Es ist, als wärst du die Einzige,

Die versteht, was es heißt ich zu sein

Jemand, mit dem ich den Tag überstehen kann
 

Nur unterbewusst bekommt sie mit, wie er sich herumdreht. Plötzlich schmiegt er sich jedoch eng an sie und nimmt sie dann auch noch fest in die Arme. Erschrocken zuckt Fran zusammen, wird sie sich dabei doch nur allzu klar, dass sie ja nur Unterwäsche trägt. Seine warmen, großen Hände umschließen erstaunlich sanft ihren flachen Bauch und er drückt sein Gesicht in ihre langen Haare hinein, die sie zum Schlafen immer offen trägt. Tief saugt er ihren süßen Duft ein und gibt ein wohliges Seufzen von sich. Schlagartig ist Frans Traurigkeit verflogen und weicht einer etwas ängstlichen Wut. Warum zum Teufel kommt er ihr jetzt so nahe?
 

Mit dem ich den Rest durchstehen kann

Jemand, mit dem ich immer lachen kann!
 

Ungelenk versucht ihm die Pinkhaarige ihren Ellenbogen in den Magen zu rammen, um ihn auf Abstand zu halten, doch sie verfehlt ihn. Stattdessen zieht er sie noch enger in seine Umarmung. „Franny...“, haucht er ihr in einer kaum deutbaren Stimmlage zu. Ein eiskalter Schauer gleitet ihren Rücken hinab und lässt sie leicht erzittern. „Lass mich auf der Stelle los, du dämlicher Idiot!“, fährt sie ihn grob an, doch durch ihre erst kürzlich vergossenen Tränen, hört es sich eher verzweifelt und hilflos an. „Ich lieb‘ dich, Franny!“, kommt es dann von dem Weißhaarigen und es klingt kein bisschen mehr betrunken, auch nicht müde oder weinerlich. Nein, es klingt völlig ernst und ehrlich.
 

Es ist, als würde ich immer im zweiten Gang stecken bleiben,

Wenn es nicht mein Tag, meine Woche,

Mein Monat oder mein Jahr ist
 

Überrascht weiten sich die Augen der Gift-Trainerin. Hat er das wirklich gerade gesagt? Sie ist hin und her gerissen. Einerseits findet sie seine Worte in diesem Moment mehr als unpassend und will sich so was auch gar nicht vorstellen. Andererseits könnte sie sich jetzt nichts Schöneres vorstellen, nichts Tröstenderes. Und eigentlich hat sie tief in ihrem Inneren darauf gewartet, dass er einmal so etwas Nettes zu ihr sagt. „Was – was hast du gesagt?“, fragt sie daher nach, um sich Klarheit zu verschaffen, hält sie das Ganze doch nur für betrunkenen Schwachsinn.
 

Du wirst für mich da sein,

Wenn es zu regnen beginnt
 

„Ich lieb‘ dich, Fran! Voll und ganz!“, haucht ihr Bromley entgegen und es klingt erneut so ehrlich und ernst, dass für sie eigentlich gar kein Zweifel mehr bestehen kann. Nur kann sie ihm einfach nichts erwidern, nicht in diesem Moment. Dennoch fühlt sie sich ganz plötzlich unglaublich zu ihm hingezogen und ist sehr froh, dass er noch hier ist und sie in den Armen hält. „Danke, Bromley...“, erwidert sie daher sanft. Sie schmiegt sie etwas mehr gegen ihn und schließt langsam wieder die Augen. Kurz darauf sind sie beide eingeschlafen.
 

Du wirst für mich da sein,

Wie du schon früher da warst
 


 

6
 

Der nächste Morgen legt sich schwer und regnerisch über Po’u und unterscheidet sich damit praktisch nicht von all den anderen Tagen zuvor. Einen Unterschied gibt es allerdings jedoch schon: Fran ist nicht allein in ihrem Bett! Als sie schwerfällig die Augen öffnet, merkt sie wie verkrampft ihr ganzer Körper doch ist und das außer ihr noch jemand in dem schmalen Bett liegt. Zuerst denkt sie geistesabwesend an einen der Rüpel, die sich gern mal in ihr oder Bromley’s Bett kuscheln, wenn sie einen Alptraum hatten oder einfach jemanden zum Reden brauchen. Doch für gewöhnlich passiert das bei ihr nur sehr selten und auch nur dann, wenn Bromley nicht da ist oder in seinem großen Bett doch tatsächlich mal kein Platz mehr sein sollte. Allerdings kommt es ihr jetzt irgendwie nicht so vor. Ungelenk gelingt es ihr, sich in den starken Armen, die sie halten, herumzudrehen.
 

Du wirst für mich da sein,

Denn ich bin auch für dich da
 

Mit einem Schreck stellt sie fest, dass es sich bei der Person neben ihr um Bromley höchstpersönlich handelt. Schlagartig fällt ihr wieder alles ein. Wie er betrunken des nachts in ihr Zimmer kam und sie geredet haben und all das andere. Der großgewachsene Mann hält sie noch immer liebevoll in den Armen und drückt sie an seine Brust, als wären sie ein frisch verliebtes Pärchen. Moment mal! Liebe?! Auf einmal fällt ihr wieder ein, was der Käfer-Trainer zu ihr gesagt hat und ihr Herz setzt ein paar Schläge aus, nur um dann mit doppeltem Tempo los zu rennen. Ruckartig versucht sie sich aus seiner Umklammerung zu befreien, doch es will ihr nicht gelingen. Er hält sie so vehement fest, als würde er fürchten, sie sonst fallen zu lassen. Etwas ungehalten schlägt sie ihm mit der Faust auf die Brust. „Bromley, lass mich los, verdammt!“
 

Du wirst für mich da sein!
 

Daraufhin kommt ein wenig Bewegung in den Weißhaarigen. „Noch fünf Minuten...“, nuschelt er verschlafen und macht keine Anstalten von ihr abzulassen. „Mit Sicherheit nicht! Wach endlich auf!“, kommt es nun ungehalten von ihr. Unwillig öffnet er nun doch die Augen und sieht sie an, jedoch ohne etwas zu sehen. „Was is‘?“, fragt er mit belegter Stimme. „Lass mich los!“ Bromley gähnt herzhaft und löst den Griff um sie, mehr aus Reflex, als bewusst. Etwas ruppig entfernt sich Fran von ihm, setzt sich auf und zieht die Decke hoch, damit er sie nicht doch noch in Unterwäsche sieht.
 

„Und nun raus aus meinem Zimmer!“, fährt sie ihn dann an. Es dauert einen ganzen Moment, ehe er merkt, was hier falsch ist. Als er sie schließlich anschaut, kommt ihm auf einmal die Erkenntnis. „Franny?“, fragt er überfordert mit heftig pochenden Kopfschmerzen und setzt sich dann schwerfällig hin. „Ja, um Himmels willen und jetzt raus hier!“ Verwirrt blickt er sie an. Plötzlich nimmt sein Gesicht einen betroffenen Ausdruck an. „Is‘ alles in Ordnung? Ich mein‘, ich hab‘ dir doch nich‘ irgendwie weh getan, oder?“, fragt er sie sichtlich mitgenommen. Sein Anblick bringt sie dazu, wieder etwas ruhiger zu werden, sie weiß selbst nicht so genau, warum. Doch der großgewachsene Mann neben ihr scheint sich wirklich ernsthaft Sorgen zu machen, etwas Falsches getan zu haben, ohne sich daran erinnern zu können.
 

„Nein, es ist alles in Ordnung. Mir geht es gut und du hast nichts gemacht. Erinnerst du dich an deinen Kampf gegen Sun gestern?“ Eine ganze Weile scheint der Angesprochene darüber nachzudenken, dann nickt er niedergeschlagen. „Danach hast du dich betrunken und bist dann nachts in mein Zimmer gestolpert. Ich habe dich hier schlafen lassen und wir haben etwas darüber geredet, weiter nichts.“, berichtet sie möglichst neutral. Er mustert sie eingehend. „Das is‘ alles, ehrlich? – Na gut. Ich wollt‘ dich nich‘ belästigen, wenn’s vielleicht so rüber gekomm‘ is‘. – Aber danke, dass ich hier penn‘ durfte und du mir zugehört hast.“, gibt er demütig zurück. Das Ganze scheint ihn immer noch etwas mitzunehmen, geht es Fran durch den Kopf, andernfalls würde er nicht so mit ihr reden.
 

„Ach, schon gut. Der Bengel ist doch auch echt eine Plage, also halb so wild.“, sie bringt ein Lächeln zu Stande. Nachdenklich sitzt der Ältere neben ihr und sie lässt ihn noch etwas gewähren. Irgendwann wirft er dann einen Blick auf den Wecker, der auf ihrem Nachttisch steht. Ungläubig nimmt er das kleine Gerät in die Hand und starrt es an, als hätte er es zuvor noch nie gesehen. Dann entgleiten ihm alle Gesichtszüge. „Oh fuck! Is‘ es wirklich schon so spät?“ „Ja, sieht so aus...“, entgegnet sie ihm mit hochgezogener Augenbraue, versteht sie doch seine plötzliche Aufregung nicht. „Scheiße! Muss mich beeilen! Samantha bringt mich um, wenn ich zu spät komm‘!“, bringt er hervor, wirft ihr dann den Wecker zu und springt hektisch aus dem Bett, als wären die Nachwirkungen der letzten Nacht plötzlich nicht mehr da. Weder die Trauer, die Wut, noch die Kopfschmerzen.
 

„Wart‘ nich‘ auf mich!“, ruft er ihr von der Tür noch zu und schon ist er verschwunden. „Nein, mache ich ganz sicher nicht...“, flüstert Fran mehr zu sich selbst. Dann umklammert sie wütend den Wecker und wirft ihn mit voller Wucht gegen die Wand neben der Tür. Gerade noch hatte sie sich über seine Liebesbekundung gefreut – irgendwie unterbewusst zumindest – und jetzt redet er schon wieder von dieser dämlichen Kuh, als wäre nichts gewesen. Als hätte es diese schönen Worte von ihm gar nicht gegeben, sie doch nur ein Produkt seiner Trunksucht gewesen. Und wohlmöglich waren sie nur ein Ausdruck seiner Verzweiflung in seinem betrunkenen Zustand und sowieso nicht so ernst gemeint, wie sie in ihren Ohren geklungen haben...
 

„Blödes Arschloch!“, flüstert sie und kämpft gegen neuerliche Tränen an. Empfindet sie vielleicht wirklich so viel für ihn und will es einfach nur nicht wahrhaben, da sie keine Zukunft mit ihm sieht, solange Samantha da ist? Die Möglichkeit will sie nach dieser Nacht gar nicht mehr ausschließen, dennoch wünscht sie sich, sie könnte es, damit es nicht so wehtut, ihn zu ihr gehen zu lassen. „Irgendwann zahle ich dir das heim, da blondes Miststück!“, knurrt sie in sich hinein. Kurz darauf steht sie auf, zieht sich etwas an und scheucht dann die Rüpel aus den Betten. Vielleicht gelingt es ihr, sich etwas zu beruhigen, wenn sie die Jungs und Mädels mal wieder ordentlich rumkommandieren kann? Zumindest wird es sie eine Zeit lang auf andere Gedanken bringen.

Kidnapping


 

1
 

Ein paar Monate sind ins Land gezogen, in denen die Mitglieder von Team Skull ihre zahlreichen Niederlagen gegen Sun Revue passieren lassen haben. Nach Bromley’s verlorenem Kampf haben schließlich auch die Rüpel den Mut gefunden, ganz offen über ihre Fehlschläge zu reden, sodass Fran und der Weißhaarige mittlerweile bestens im Bilde sind. Inzwischen sind auch Samantha und die Æther mit dem kleinen Bengel bekannt und teilen eine ganz ähnliche Meinung wie das Team: der Junge muss aus dem Weg geräumt werden und ein für alle Mal eine Lektion bekommen, die er so schnell nicht wieder vergisst! Von Gladio, der Sun mehr oder weniger folgt, ihn öfter zu irgendwelchen Kämpfen herausfordert und ihm etliche Dinge erzählt, um ihn möglichst in die gewünschte Richtung zu steuern, wissen sie, dass der Schwarzhaarige sich nun im Dorf der Kapu aufhält, um sich dort auf seine nächste Prüfung im verlassenen Laden vorzubereiten. Doch so weit wird es nicht kommen. Der Käfer-Trainer hat einen Plan ausgeheckt, der das nervige Balg direkt ins Messer laufen lassen soll...
 

So warten die Rüpel ab, bis sich der Bengel vom hiesigen Captain praktisch direkt in ihre Arme führen lässt. Unweit vom Dorf gibt es ein Gebäude der Æther, das einer Art Kindergarten gleichkommt, wo die Jüngsten an den Umgang mit Pokémon herangeführt werden. Der Captain ist oft in diesem Æther-Haus und kümmert sich um die Kinder und Pokémon. Lässt es sich daher auch nicht nehmen, Sun und seinen Begleitern Lilly und Tali die Einrichtung zu zeigen, ehe es Zeit für die Prüfung der beiden Jungs wird. Allerdings muss der Captain vorher noch etwas erledigen, weshalb sie Lilly und die Anwärter allein im Haus zurücklässt, um sie später wieder abzuholen. Allerdings ahnt sie nicht, dass Team Skull nur auf diesen Moment gewartet hat. Zum Glück ist Gladio nicht auch noch hier, sonst hätte er sicher etwas dagegen, dass die Rüpel frech zu seiner kleinen Schwester werden könnten und das würde den ganzen Plan erheblich gefährden. Auch, wenn er ihr hundert Mal gesagt hat, dass sie sich nicht solch einer Gefahr aussetzen soll, wo sie doch kein Trainer ist und das geheimnisvolle Pokémon in ihrem Besitz nicht in der Lage ist, sie zu beschützen. Doch natürlich hört sie nicht auf ihn und sieht Sun als einen guten Beschützer an, der ihr mittlerweile schon oft aus der Patsche helfen musste. Allerdings gestaltet sich das Ganze diesmal doch etwas schwieriger für den aufgeweckten Trainer.
 


 

2
 

Nachdem sich der Captain von ihnen verabschiedet hat, tritt Lilly aus dem Æther-Haus heraus, um die noch frische Luft dieses Vormittags zu genießen. Geistesgegenwärtig redet sie mit dem Pokémon in ihrer Handtasche, das darin herumzappelt, da es ganz offensichtlich auch heraus möchte. Doch das kann die junge Blondine keinesfalls zulassen, zu große wäre die Gefahr, dass es jemand sehen könnte und dadurch Chaos ausbricht. „Nun beruhige dich doch bitte wieder!“, weist sie das Pokémon an, das weiterhin in der Tasche zappelt. Auf einmal taucht jedoch eine Gestalt vor ihr auf und versucht nach dem Träger der Tasche zu greifen. Erschrocken weicht Lilly zurück und stellt mit Entsetzen fest, dass es sich bei dieser Gestalt um einen Skull-Rüpel handelt.
 

„Was soll das? Lass das bitte…“, fordert sie ihn nicht sonderlich überzeugend auf und versucht dabei die Tasche aus seiner Reichweite zu halten. „Was’n? Deine Handtasche hat sich plötzlich bewegt, da wird man doch wohl noch neugierig sein dürfen! Es könnt‘ ja ‘n seltnes Pokémon drin sein. Die klauen wa‘ nämlich, um uns ‘was dazuzuverdienen! Aber auch weniger seltne Pokémon bringen Geld ein, also lass ma‘ rüberwachsen!“, fährt sie Flo keck an und versucht abermals die Tasche zu fassen zu bekommen. In diesem Moment werden jedoch auch die beiden Jungs wie geplant auf das Ganze aufmerksam und kommen flugs aus dem Haus heraus. „Sun! Tali!“, entkommt es Lilly mit einem sichtbaren Anflug von Erleichterung. „Was ist denn hier los?“, fragt der Enkel von Hala auch sogleich, doch seine Worte gehen einfach unter. „Schon klar. Jetz‘ komm‘ die mutigen Trainer, die das Mädel in Not beschützen. Aber die Tour vermasseln wa‘ euch, wartet’s nur ab!“, kommt es schnippisch von Cameron, der sich auch sofort auf Tali stürzt. Flo tritt der weilen gegen Sun an.
 

„Gleich biste nich‘ mehr so mutig, du Hosenscheißer!“, gibt der Rüpel garstig von sich und schickt sein Pokémon in den Ring. Dabei handelt es sich um ein Traumato, das sich mit hypnotisch anmutenden Bewegungen auf dem Feld vor dem Haus manifestiert. Sun lässt sich jedoch nicht vom Gerede des anderen beeinflussen und setzt sein Snobilikat ein. Fauchend tritt der Kater seinem Gegner gegenüber. „Dein Fellball hat keine Chance gegen mich und mein‘ Bro Traumato! Los, Giftwolke!“, gibt Flo siegessicher von sich. Die dichte, lila Wolke breitet sich augenblicklich auf dem Kampffeld aus und hüllt den Kater in sich ein. Erschrocken weichen Lilly und Sun zurück. Tali und Cameron sind jedoch weit genug von ihnen entfernt und kümmern sich daher nicht darum. Sun erinnert sich allerdings noch sehr gut an seinen Kampf mit Fran, die ebenfalls zu allererst diese Attacke eingesetzt hat, von daher weiß er nur zu gut, was das bedeutet.
 

Und er behält recht damit. Getroffen mauzt sein Snobilikat auf, während sich das Gift in seinem Körper ausbreitet und ihm immer mehr zusetzt. Also muss der Schwarzhaarige den Kampf möglichst schnell für sich entscheiden. „Setz Finte ein!“, befiehlt er seinem Partner daher entschlossen. Wütend fauchend stürmt der Vierbeiner vor und landet einen harten Treffer gegen Traumato. Das Psycho-Pokémon hat eine große Schwäche gegen die Unlicht-Attacke, weshalb es ihm ziemlich schwer fällt, sich danach noch auf den Beinen zu halten. „Das haste nich‘ umsonst gemacht, du Zwerg! Komm schon, Bro! Psystrahl!“, schimpft Flo vor sich hin. Traumato rappelt sich so gut es geht wieder auf und feuert dann einen pulsierenden, regenbogenfarbenen Strahl auf sein Gegenüber ab. Sonderlich viel bringt es gegen den Kater aber leider nicht. Dieser schüttelt sich anschließend mauzend das kurze Fell und faucht dann wütend, während Flo langsam die Fassung verliert. Das Gift schwächt den Vierbeiner zwar ebenfalls etwas, doch nicht schnell genug, um diesen Kampf noch gewinnen zu können.
 

„Beende das Ganze jetzt, Snobilikat! Benutz Biss!“, kommt es siegessicher von Sun und schon sprintet sein Pokémon vor. „Scheiße!“, schimpft der Rüpel noch ungehalten, da wird Traumato auch schon von dem Kater in die Mangel genommen. Das Psychowesen sinkt schließlich kampfunfähig zu Boden. „Okay, genug! Mein Bro Traumato sieht auch schon total gelangweilt aus. Tschüssikowski!“, gibt Flo kurz angebunden von sich und setzt dann zum Rückzug an. Sun lässt ihn gewähren, es würde eh nichts bringen, außer noch mehr Ärger. Doch er hat das ungute Gefühl, dass das erst die Spitze des Eisbergs war. Tali hingegen hat den Kürzeren gegen Cameron gezogen, was den Rüpel mächtig freut. Dennoch tritt auch er den Rückzug an. Allerdings gehört das alles zum Plan.
 

Kurz darauf treffen sie mit Fran zusammen, die alles aus der Ferne beobachtet hat und nun gemeinsam mit den beiden wieder zurück zu den Kindern geht, die noch dabei sind, sich vom ersten Schrecken zu erholen. Sie wissen jedoch noch nicht, dass der kurze Kampf eben nur eine Art Ablenkungsmanöver war! Und somit hat Sun ganz recht mit seinem unguten Gefühl...
 


 

3
 

Wild gestikulierend und gehässig lachend kommen die beiden Rüpel auf die jungen Anwärter zu. Instinktiv zuckt Lilly zusammen und tritt ein paar Schritte zurück. „Nicht schon wieder...“, entkommt es Tali, der noch ziemlich geknickt von seiner Niederlage eben ist und somit einiges von seiner sonst so überschäumenden Fröhlichkeit eingebüßt hat. Sun verdreht leicht genervt die Augen. Langsam aber sicher fangen die Rüpel an, ihm wirklich auf die Nerven zu gehen und er findet es gar nicht mehr witzig, ständig von ihnen aufgehalten zu werden. Die Inselwanderschaft an sich ist ja schon anstrengend genug, doch so macht das Ganze ehrlich gesagt auch keinen wirklichen Spaß mehr. Diese Idioten könnten sich ruhig mal einen anderen suchen, den sie belästigen oder schlichtweg erwachsen werden. Allerdings sind die zwei nicht allein wiedergekommen, wie die kleine Truppe nun feststellt und das beunruhigt sie doch schon etwas mehr. Zwar hatte Sun vor einer Weile ja schon mal einen Kampf gegen Fran, doch das heißt ja noch lange nicht, dass er das deswegen jetzt auf die leichte Schulter nimmt, immerhin hat sie doch deutlich mehr drauf, als diese Hohlschädel, mit denen sie sich umgibt.
 

Die beiden Rüpel stoppen schließlich und machen den Weg für ihre Vorgesetzte frei, die mit einem herablassenden Blick direkt vor Sun stehenbleibt. „Wow! Den Kleinen habt ihr ausnahmsweise ja mal richtig schnell abgefertigt! Das bin ich von euch lahmen Enton gar nicht gewohnt. Bisher habt ihr euch ja von jedem dahergelaufenen Balg fertigmachen lassen…“, setzt sie erst einmal dazu an, ihre beiden Begleiter zu loben, dass es ihnen doch tatsächlich gelungen ist, gegen Tali zu gewinnen. Dann verfinstert sich ihr Blick aber und sie fixiert nur noch den Schwarzhaarigen. „Aber um den da kümmere ich mich trotzdem lieber selbst! Ich hoffe, du erinnerst dich noch an das, was ich bei unserem letzten Treffen gesagt habe? Wenn du uns weiter im Weg stehst, mache ich nächstes Mal Ernst! Sag also nicht, ich hätte dich nicht gewarnt!“, zischt die Gift-Trainerin wütend und verschränkt die Arme vor der Brust.
 

Sun hält ihrem eisigen Blick jedoch ungetrübt stand. „Keine Sorge. Wie könnte ich das auch vergessen?“, erwidert er daher keck und schenkt ihr ein Lächeln, das ihr weiß machen soll, wie sehr er seinen Sieg damals doch genossen hat. Verstimmt verzieht Fran das Gesicht. „Spiel dich ruhig weiter so auf, Kleiner, und du wirst eines Tages mächtig auf die Nase fallen und, wenn du Glück hast, ist heute schon dieser Tag!“, höhnt sie, tritt ein paar Schritte zurück und wirft einen Pokéball in den Ring. Daraus hervor springt das Golbat, das Sun noch vom letzten Kampf mit ihr kennt. Jetzt jedoch wirkt es um einiges zorniger und stärker. Allerdings lässt sich der junge Trainer davon nicht unterkriegen. „Sun, sei vorsichtig!“, ruft ihm Lilly zu und drückt ihre Tasche fester an sich, was das Pokémon darin nur wieder unruhig macht. „Du schaffst das!“, flötet ihm Tali zu. Auf dem Gesicht des eigentlich immer fröhlichen Jungen, breitet sich ein fast schon gehässiges Grinsen aus, das ihn richtiggehend fremd aussehen lässt.
 

Beim Anblick der großen Fledermaus und dem Abrufen der Erinnerung an den letzten Kampf, ist der Schwarzhaarige sehr froh, dass Fran nicht gemeinsam mit den Rüpeln aufgetaucht ist, sondern erst jetzt vor ihm steht. So hatte er wenigstens etwas Zeit, um sein Snobilikat von Lilly wieder aufpäppeln zu lassen. Die junge Blondine ist zwar sehr ängstlich und unsicher, möchte keinem Pokémon zu nahe kommen, wenn es nicht unbedingt nötig ist, doch sie ist immer auf alles vorbereitet und schleppt ständig Unmengen an Heilitems mit sich herum, sodass der Kater nun aufgefrischt und frei von der Vergiftung Traumatos in den Kampf ziehen kann. Dementsprechend ist der Vierbeiner auch zuversichtlich und faucht Golbat umso wütender an. Wahrscheinlich erkennt auch er die junge Frau und ihr Pokémon wieder und erinnert sich an das unschöne Zusammentreffen von damals, als es noch ein Mauzi war und einiges einstecken musste.
 

„Benutz Mogelhieb, bevor es dich wieder verwirrt!“, befiehlt Sun dem Kater auch sogleich. „Du hast anscheinend dazu gelernt, Kleiner. Aber das wird dir auch nichts nützen! Giftzahn!“, hält Fran dagegen. In diesem Moment wird die große Fledermaus aber auch schon von Snobilikat geschlagen, hält der Attacke jedoch stand. Kurz darauf setzt Golbat selbst zum Angriff an und Sun muss feststellen, dass das Pokémon diese Attacke beim letzten Mal noch nicht eingesetzt hat, und er ihr damit wohlmöglich wieder in die Falle gelaufen ist. Mit gebleckten Zähnen, die vor lauter Gift regelrecht lila glühen, verbeißt sich die Fledermaus in dem Kater. Dieser schreit schmerzlich auf und versucht seinen Gegner von sich zu schütteln, doch so leicht lässt sich dieser nicht vertreiben. Stattdessen rammt er seine Zähne noch tiefer in den zappelnden Körper und pumpt mehr und mehr Gift hinein. Als Golbat endlich von dem Kater ablässt, sieht dieser gar nicht gut aus. Der Angriff hat deutliche Spuren hinterlassen und die Menge an Gift ist beträchtlich höher, als bei den anderen Attacken, die er bisher gesehen hat.
 

„Mist...“, schimpft Sun in sich hinein. Sein Begleiter leidet nun nur seinetwegen, weil er das Ganze zu leicht genommen hat. Das ist nicht gut. Schmerzlich wird ihm bewusst, dass er auf seiner Reise zwar schon sehr weit gekommen ist, aber dennoch noch sehr viel zu lernen hat, ehe aus ihm ein perfekter Trainer werden wird. Diese idiotischen Teenager sind zwar kaum mehr, als ein schlechter Scherz, trotzdem sollte er sich angewöhnen, sie auf Grund ihres Auftretens und allem, nicht zu unterschätzen und das alles zu leichtfertig zu nehmen. Tali und Lilly geben hinter ihm einen erschrockenen Laut von sich, wirken verunsichert. Der Kampf hat zwar gerade erst begonnen, dennoch kann es sein, dass damit schon alles entschieden ist. Keuchend erhebt sich Snobilikat wieder und sieht betroffen zu seinem Trainer hinüber, dennoch ist es auch weiterhin kampfbereit.
 

Beim Anblick des Katers kommt Lilly schließlich eine Idee und sie beginnt in ihrer Tasche zu kramen. „Sun, ich habe noch ein Gegengift!“, meint sie gehetzt und will es ihm reichen. „Oh nein! So haben wir nicht gewettet, Püppchen! Du und dein dümmlicher Freund werdet euch schön raushalten! Das ist ganz allein eine Sache zwischen Team Skull und diesem Bengel hier! Jungs!“, wirft Fran bestimmend ein. Augenblicklich setzen sich die beiden Rüpel in Bewegung und drängen Tali und Lilly noch ein ganzes Stück weg vom Kampffeld, unterbinden jede Hilfe, die sie Sun zuteil werden lassen könnten. „Haltet euch gefälligst raus, ihr Zwerge!“, faucht Cameron die beiden an. „Genau, sonst mach’n wa‘ euch noch ma‘ so richtig platt!“, setzt Flo zornig nach. Machtlos ergeben sich die beiden Jüngeren ihren Worten.
 

„Ich warne dich! Lass sie in Frieden!“, kommt es nun von Sun. „Keine Sorge. Ich werde ihnen nichts tun, solange du dich schön brav weiterhin auf unseren Kampf konzentrierst.“, erwidert Fran streng. „Das werde ich! – Snobilikat, setz Krater ein!“ „Konter mit Windschnitt!“, hält die Gift-Trainerin dagegen. Dennoch gelingt es dem Kater dem Angriff zu entkommen und Golbat seine Krallen spüren zu lassen. Als der Vierbeiner allerdings wieder auf dem Boden landet, setzt ihm das Gift erneut zu. Schwer atmend blickt er sich um, während ihm die Sicht kurzzeitig verschwimmt. ‚Snobilikat hält das nicht mehr lange aus und für eine Z-Attacke ist es schon viel zu geschwächt. – Ich muss mir dringend etwas einfallen lassen! Eine neue Attacke wird sicher nicht das Einzige sein, was sie mir bieten wird...‘, geht es dem Schwarzhaarigen hektisch durch den Kopf, während er sein Pokémon mitleidig betrachtet.
 

Fieberhaft denkt er nach und entscheidet sich schließlich dafür, doch alles auf eine Karte zu setzen. „Komm zurück!“, befiehlt er dem Kater daher und richtet den Pokéball auf ihn. „Gibst du etwa schon auf, Kleiner?“, höhnt Fran. Sun ignoriert sie allerdings und blickt stattdessen auf den rot-weißen Ball in seiner Hand. Das Gift wird dadurch zwar leider nicht neutralisiert, aber immerhin kann er so verhindern, dass der Kater besiegt wird. Jede Minute weiter auf dem Kampffeld würde ihm nur kostbare Kraft rauben. So hofft er einfach, dass sein zweiter Begleiter den Kampf entscheiden kann. „Ich gebe ganz sicher nicht auf!“, wirft er der jungen Frau dann entgegen und schickt sein zweites Pokémon in den Ring.
 

Fran ist jedoch nicht die Einzige, die einige Neuerungen vorzuweisen hat. Denn Miezunder hat sich seit ihrem letzten Aufeinandertreffen entwickelt! Der überaus kräftige und mittlerweile auf zwei Beinen stehende Feuerkater heißt nun Fuegro und trägt zusätzlich den Unlicht-Typ. Er bietet einen äußerst beeindruckenden Anblick und ist dermaßen kampflustig, dass es schon beinahe schwer ist, ihn unter Kontrolle zu halten. Fran registriert die neue Form allerdings lediglich mit erhobener Augenbraue. „Golbat, Giftzahn!“ „Schnell, Fuegro, Feuerzahn!“ Fauchend rasen die beiden Pokémon auf einander zu und es ist schwer zu sagen, wer von ihnen den entscheidenden ersten Treffer landen wird. Für den Bruchteil einer Sekunde herrscht Totenstille und alle betrachten gebannt die beiden Kontrahenten. Wie aus dem Nichts ertönt schließlich ein Schmerzensschrei und lodernde Flammen gleiten über den Körper der Fledermaus hinweg. Fauchend schleudert Fuegro sie anschließend zu Boden, wo sie in einer qualmenden Wolke liegen bleibt.
 

Fassungslos betrachtet Fran ihre besiegte Begleiterin und gibt einen verstimmten Laut von sich. „Diese Runde mag vielleicht an dich gehen, doch ich bin noch längst nicht fertig mit dir!“, entgegnet sie Sun angesäuert, ruft Golbat zurück und schickt ihr zweites Pokémon ins Rennen. Überrascht stellt der Schwarzhaarige dabei fest, dass es nicht wie beim letzten Mal Molunk ist, sondern deren Weiterentwicklung Amfira. Listig und anrüchig blickt sich die Matriarchin auf dem Kampffeld um, während ungeduldige Funken um ihre großen Hände zucken. Zwei Feuer-Pokémon auf dem Feld – das wird nicht gerade einfach...
 

„Amfira, Toxin!“, befiehlt Fran schließlich. Sun hat so etwas schon befürchtet, dennoch kann er sich dem nicht entziehen. Ehe Fuegro zu einer eigenen Attacke ansetzen kann, bespuckt die Echse ihn schon mit einer zähen, lila Flüssigkeit, die sich in seinen Körper hineinfrisst und ihn schwer vergiftet. ‚Das ist ja noch weit schlimmer, als der Giftzahn. – Ich muss es unbedingt schaffen, sie zu besiegen...!‘, geht es Sun wieder durch den Kopf und ihm bleiben nur wenige Runden, ehe das Gift seinen Partner dahinraffen wird. Mit Feuer wird er hier allerdings nicht sonderlich weit kommen und sein Fuegro beherrscht sonst nur Biss und das ist eine Unlicht-Attacke. So kann er also nicht, wie erhofft auf eine Z-Attacke zurückgreifen, da er den Kristall für den Unlicht-Typ noch nicht besitzt und er dem Kater dummerweise seine Normal-Typ-Attacke hat verlernen lassen. Eine echte Zwickmühle!
 

„Fuegro, setz Biss ein!“, entscheidet er daher. „Amfira, Funkenflug!“, erwidert die Gift-Trainerin daraufhin. Mit einem düsteren Fauchen rennt der angeschlagene Feuerkater los und es gelingt ihm sogar, der Attacke der Matriarchin auszuweichen. Sun wiegt sich schon in Sicherheit, da wird sein Begleiter von den platzenden Feuerkugeln getroffen. Angespannt ballt der Junge die Fäuste. Schon zum zweiten Mal ist ihm der Nebeneffekt dieser Attacke entfallen. Er muss sich verdammt noch mal mehr konzentrieren! Zum Glück ist der Treffer nur sehr schwach und der kräftige Kater wird davon nicht beirrt und versenkt stattdessen seine langen Zähne in dem weichen Körper seiner Gegnerin. Der Schrei, den die Echse daraufhin ausstößt, ist nahezu ohrenbetäubend – schrill wie das Weinen eines Babys. Wild schlägt sie mit ihren glühenden Handflächen auf Fuegro ein, der lässt sich davon jedoch nicht abbringen und führt den Angriff zu Ende aus.
 

Als die Matriarchin wieder frei ist, wirft sie dem Kater einen so dermaßen hasserfüllten Blick zu, der wohl am ehesten an den Blick einer betrogenen Ehefrau heranreicht, aber dennoch nicht einmal ansatzweise alles widerspiegelt, was die Echse gerade empfindet. Frans Blick ist nicht minder wütend, dennoch betrachtet sie beinahe schadenfroh, wie Fuegro nach seinem Angriff kurzzeitig auf ein Knie hinab sinkt, als das Gift noch heftiger zuschlägt. Vielleicht besteht für Team Skull doch noch die Chance, als Sieger aus diesem Kampf herauszukommen? Der Gedanke wäre durchaus schön und Fran würde nichts lieber tun, als mit diesem miesen Bengel den Boden auszuwischen. Allerdings würde das auch den ganzen Plan zerstören, den sich Bromley ausgedacht hat. Oder auch nicht. Fran kommt da gerade eine ganz hervorragende Idee, die Sun zwingen wird, dem Plan des Weißhaarigen auch dann noch zu folgen, selbst, wenn er ihr jetzt unterliegen sollte. Und, wenn der Zwerg doch gewinnt, dann ist ihre Idee immer noch als prima Zusatz anzusehen, der erheblich an dem Schwarzhaarigen nagen wird!
 

„Sehr gut, Fuegro! Gleich noch einmal!“, legt Sun nun nach. „Amfira, setz Drachenwut ein!“, hält Fran dagegen, was ihr Pokémon durchaus freut, kann es so seinem Zorn doch etwas Luft machen. Während der Kater auf die Echse zu rennt, begibt sich die Matriarchin auf alle viere, lässt ihren lodernden Schwanz wild durch die Gegend schlagen und reißt dann fauchend das Maul auf. Heraus kommt eine kräftige Schockwelle, die all die Wut ihrer Erzeugerin bündelt. Sie trifft Fuegro, doch so leicht lässt sich der Kater nicht in die Knie zwingen. Schwerfällig stemmt er sich dagegen und schafft es schließlich durchzubrechen und seine Zähne wieder in der Echse zu versenken. An sich ist Drachenwut eine ganz gute Attacke, die sich prima kalkulieren lässt, da sie stets den selben Schaden anrichtet. Dies ist besonders gut bei schwächeren Gegnern, die dadurch mit einem Schlag besiegt werden können. Allerdings ist diese Kontinuität aber auch der größte Nachteil des Angriffs. Spätestens, wenn man damit auf einen stärkeren Gegner trifft, ist es so erheblich mühsamer, ihn zu besiegen.
 

Somit ist das Ganze also entschieden. Dem Feuerkater gelingt es, der nächsten Drachenwut auszuweichen und zum dritten Mal kräftig zuzubeißen. Damit ist Amfira schlussendlich doch besiegt, auch, wenn nicht mehr viel fehlt, um den vergifteten Zweibeiner in die Knie zu zwingen. Zähneknirschend besieht sich Fran ihr am Boden liegendes Pokémon, ehe sie es zurückruft und um Fassung ringt. Wieder geschlagen, einfach schrecklich! „Hmpf! Ich kann mich selbst nicht mehr ausstehen und dich noch viel weniger! Aber Mann, du hast es echt drauf! Jetzt verstehe ich, warum die Jungs dich nicht in Nullkommanichts vom Platz fegen können. Und es mir auch nicht gelingen will...“, teilt sie Sun nach einem Moment mit. Unbemerkt gibt sie ihren beiden Jungs dabei allerdings ein Zeichen. Diese nicken nur und können sich denken, was sie vorhat. Während Cameron Tali und Lilly noch etwas mehr einschüchtert, verschwindet Flo nahezu unbemerkt in das Æther-Haus.
 

Mit Wohlwollen betrachtet Fran das Ganze und redet weiterhin mit Sun, damit dieser nicht noch auf die Idee kommt, dazwischenfunken zu wollen. „Darum will unser Boss auch, dass du Team Skull einen Besuch abstattest. Ein endgültiger, letzter Versuch könnte man sagen, dich aufzuhalten oder, aber auch der letzte Versuch für dich, uns aufzuhalten. Ganz wie du willst.“, meint sie Schulter zuckend. Im Hinterkopf hat sie aber noch Samantha. Sollte es Sun tatsächlich gelingen ganz Skull fertigzumachen – sehr unwahrscheinlich, aber bei dem Bengel weiß man ja nie-, so kann er dennoch nicht aufhalten, was diese verrückte Blondine in Begriff ist zu tun! Argwöhnisch betrachtet der Schwarzhaarige sie, während Flo ungesehen aus dem Æther-Haus herauskommt. „Das hätte dieser Verrückte wohl gern! Warum kommt er nicht her, wenn er so scharf darauf ist, gegen mich zu kämpfen?“, hält Sun trotzig dagegen.
 

„Ganz einfach: Er ist der Boss und du nur ein trauriger, kleiner Wurm! Und damit du auch brav zu uns kommst, haben wir ein Pokémon aus dem Haus hier mitgehen lassen.“, höhnt sie triumphierend. Flugs taucht Flo neben ihr auf und hält das heftig zappelnde Mangunior in die Höhe. Wild gebärt sich das kleine Pokémon und versucht mit seinen äußerst scharfen Zähnen um sich zu beißen. Der Rüpel hält es jedoch erstaunlich geschickt so im Nacken gepackt, dass es ihn nicht erreichen kann. Zudem verpasst Fran der Manguste nun auch noch einen stabilen Maulkorb und eine Art Würgehalsband, damit es Flo nicht doch noch entkommt. Fassungslos betrachten die drei Kinder das Schauspiel und ihnen wird klar, wie ernst es Team Skull zu meinen scheint.
 

„Wenn du willst, dass wir diesen bissigen Flohteppich wieder zurückgeben, musst du zu uns kommen. Und zwar ganz allein! Unser Boss kann es kaum erwarten, dich in unserer Basis in Po‘u willkommen zu heißen.“, höhnt Fran ein letztes Mal, ehe sie sich abwendet und das wehrlose Mangunior einfach hinter sich her schleift. Sun und Tali wollen dem armen Ding selbstverständlich zu Hilfe kommen, doch sie werden vehement von Cameron und Flo daran gehindert, bis Fran mit ihrem Motorrad abgezogen ist. „Macht’s gut, ihr Pfeifen!“, flöten die Rüpel nahezu ausgelassen und verschwinden ebenfalls laut jubelnd und grölend auf ihren aufgemotzten Maschinen.
 

„Diese miesen...“, setzt Sun wütend an und ballt ungehalten die Fäuste. Betroffen sieht Tali seinen Freund an und kann dennoch kaum begreifen, was gerade alles passiert ist. Lilly ist ebenso fassungslos und den Tränen nahe. Dann jedoch zieht sie hörbar erschrocken die Luft ein. Auf den Stufen des Æther-Hauses steht ein kleines Mädchen, vielleicht fünf Jahre alt, neben ihr ein ebenso alter kleiner Junge. Beide wirken sehr mitgenommen. „Armes, kleines Mangunior...“, sagt das Mädchen mit bebender Stimme und bemüht sich fieberhaft nicht zu weinen. Das reicht nun aber wirklich! Sun ist außer sich. Ihn zu ärgern ist ja eine Sache, aber diese kleinen Kinder da auch noch mit rein zuziehen, überschreitet das Maß wirklich bei weitem! „Das werden sie mir büßen! – Aber ich muss zugeben, das war ein ziemlich cleverer Schachzug von diesen Hohlschädeln…“, entkommt es dem Schwarzhaarigen kraftlos.
 

„Ja. – Es gibt nur eine Möglichkeit, dass Pokémon zu retten! Sun muss allein nach Po‘u gehen, so wie sie es gesagt haben…“, mitleidig betrachtet der Grünhaarige seinen Freund und Rivalen und wünscht sich inständig, er könnte ihm beistehen. Auch auf die Gefahr hin, dass er wahrscheinlich eher hinderlich, als hilfreich für ihn sein würde. Lange mustert Sun Tali. Er hat den Ekel des Inselkönigs noch nie so niedergeschlagen und freudlos gesehen, wie in diesem Augenblick. Ein eiskalter Schauer gleitet seinen Rücken hinab, doch ihm bleibt wohl keine andere Wahl.
 

Unsicher kommen die beiden, kleinen Kinder die Treppe herunter und wenden sich an den Schwarzhaarigen. „Bitte hilf meinem kleinen Mangunior…“, fleht das Mädchen ihn schließlich an und bricht nun doch in Tränen aus. Der Kleine hält es einen Moment länger aus, fängt dann aber ebenfalls an zu weinen. Es bricht Sun regelrecht das Herz. Vorsichtig kniet er sich hin und zieht die zwei ungeschickt in seine Arme. „Ich werde alles tun, was nötig ist, versprochen!“
 


 

4
 

Schon wenig später macht sich der junge Trainer mit frisch gestärkten Pokémon auf den Weg. Zur Sicherheit hat er sich die Taschen diesmal auch mit allerhand Items gefüllt – wer weiß schon, was diese Spinner so alles auffahren, um ihn zu stoppen... Zudem hat er ja auch nur zwei Pokémon und da muss er besonders darauf achten, dass es ihnen stets gut geht, sonst ist er ganz schnell weg vom Fenster.
 

Das abgeriegelte Dorf der Skull liegt zwar gar nicht so weit vom Æther-Haus entfernt, dennoch ist der Weg lang und beschwerlich. So kommt es, dass er die Route siebzehn erst nach ein paar Tagen erreicht. Es überrascht den Schwarzhaarigen jedoch nicht wirklich, dass es hier in Strömen regnet. Die ganze Gegend liegt in einem bedrückenden, dunklen Schleier und vermittelt Sun damit ziemlich gut das beklemmende Gefühl, das diese Hohlschädel sonst nahezu verzweifelt versuchen in ihm wach zu rufen. Auf jeden Fall ist das hier seiner Meinung nach genau der richtige Ort für diese Möchtegerne.
 

Seufzend tritt er in den stetigen Regen hinein, der ihn augenblicklich mit einer fast schon erschreckenden Kälte einhüllt, obwohl er sich eigentlich angenehm warm anfühlt. Zudem hat er etwas äußerst Kummervolles, Bedrückendes an sich, wie eine unerwartete Beerdigung. Unbewusst schüttelt sich der Junge kurz bei diesem Gedanken und geht dann weiter. Wenige Meter vor ihm erhebt sich ein kleines Gebäude, das eine Polizeiwache zu sein scheint. Allerdings wirkt sie irgendwie verlassen, obwohl Licht brennt und Sun deutlich sehen kann, wie sich drinnen eine Gestalt bewegt. Dennoch glaubt er nicht wirklich, dass dies ein ausübender Polizist ist, sonst würde Team Skull hier wohl kaum wohnen. Vielleicht steckt er aber auch mit ihnen unter einer Decke oder wird von ihnen bedroht? So ganz möchte sich der Schwarzhaarige das aber auch gar nicht vorstellen. Für sich selbst hält er jedoch schon einmal fest, dass er hier wohl keine Hilfe erwarten kann. So geht er einfach weiter und lässt die Wache unangetastet hinter sich.
 

Er merkt gar nicht, dass der alte Yasu ihn ganz genau beobachtet. Schon vor einigen Tagen ist ihm aufgefallen, dass etwas mit diesen durchgedrehten Teenies hinter der Mauer nicht stimmt; dass sie scheinbar etwas Großes planen. Es gab lautes Gepolter, als würden sie die ganze Villa auf den Kopf stellen und auch im Rest von Po’u irgendwelche Umbauten vornehmen. Klammheimlich hat Yasu einen Blick riskiert und festgestellt, dass sich die Bande noch weiter als ohnehin schon verbarrikadiert hat, als würden sie sich auf einen heftigen Angriff von außen gefasst machen. Als er jetzt diesen kleinen Bengel hier so fest entschlossen vorbeimarschieren sieht, kommt ihm der Gedanke, dass er vielleicht der Grund dafür sein könnte. Wer sonst würde sich auch freiwillig hier heraustrauen? Doch kann es wirklich sein, dass sich Team Skull, die jedem versuchen das Fürchten zu lehren, vor so einem Dreikäsehoch verschanzt? Irgendwie kann sich Yasu das nicht so recht vorstellen.
 

Von Hala hat er zwar schon Einiges über einen gewissen Sun gehört, der auf Inselwanderschaft ist und somit auch irgendwann bei ihm aufschlagen wird, um den Unlicht-Kristall zu erwerben, aber er kann sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass das dieser Junge ist und er es wohlmöglich auch noch mit ganz Skull aufnehmen will. Wenn ihm das wirklich gelingen sollte, dann braucht sich Yasu nicht einmal die Hoffnung zu machen, den jungen Anwärter mit irgendetwas einschüchtern oder beeindrucken zu wollen. Eigentlich könnte er ihm auch gleich so den Z-Kristall in die Hand drücken, würde viel Arbeit ersparen. Aber erst einmal abwarten, ob der Bengel da überhaupt lebend wieder rauskommt. Gedankenverloren streicht der ehemalige Polizist einem seiner Mauzis über den Kopf. „Was meinst du? Soll ich den Bengel im Auge behalten?“, fragt er das Pokémon matt. Die Katze streckt sich neben ihm auf dem Schreibtisch aus und schnurrt entspannt vor sich hin. „Vermutlich hast du recht, aber ich werde doch mal einen Blick riskieren. Habe keine Lust, Ärger mit dem Kapu zu bekommen, nur, weil dem Bengel was passiert und ich dabei zugesehen habe...“, seufzt er schwer und erhebt sich langsam.
 

Der weilen hat Sun schon fast das solide Tor erreicht, das Po’u vom Rest der Welt abzuschneiden scheint. Es überrascht ihn nicht wirklich, dass das ganze Dorf von einer meterhohen Mauer umgeben ist. Allerdings kann er sich nicht wirklich vorstellen, dass diese Hohlschädel sie aufgestellt haben, dafür sieht sie einfach mal zu perfekt und zu alt aus. Fragt sich also, was hier passiert ist, dass diese Mauer nötig gemacht hat. Vielleicht kann ihm der Typ in der Polizeiwache dazu etwas erzählen, wenn er das hier alles hinter sich hat? Falls es ihn dann noch interessiert, heißt das natürlich. Jetzt entdeckt er erstmal, dass Team Skull scheinbar so etwas wie Wachen aufgestellt hat. Zumindest stehen zwei der Rüpel vor dem Tor und blicken sich um. Dann kann der Spaß also beginnen!
 

Zielstrebig nähert sich Sun den beiden, die ihn auch gleich blöd anmachen. „Na, willste etwa bei Team Skull mitmach’n?“, fragt ihn der Junge keck, obwohl sich der Schwarzhaarige nicht vorstellen kann, dass sie nicht Bescheid wissen. Sie wollen ihn ganz sicher nur ärgern und ablenken. „Nein, ganz sicher nicht.“, erwidert er daher schlicht. Überrascht blickt ihn das Mädchen an. „Wart‘ ma‘, das is‘ doch so ‘n Abzeichen?!“, entkommt es ihr und Sun kann gerade noch verhindern, dass sie es von seinem Rucksack abzieht. „Hey!“, gibt er zurück, doch die zwei ignorieren es scheinbar. „Ey, was geht ab?! Biste auf Inselwanderschaft oder was?!“, entkommt es Linus patzig. Allerdings gibt er Sun gar nicht die Chance zu antworten. „Oder wart‘ ma‘! Jetz‘ hab‘ ich’s geschnallt! Du willst uns nur dissen, weil wa‘ die Inselwanderschaft hingeschmissen ham!“, fährt ihn nun Dalia an. „Nein, das ganz bestimmt nicht. Ich will nur...“, versucht sich der junge Trainer zu rechtfertigen.
 

Aber wieder kann er nicht wirklich zu Wort kommen. „Du glaubst doch nich‘ etwa, du kannst hier einfach so aufkreuzen und uns runtermach’n?“, tritt Linus nun energisch an ihn heran und zieht einen Pokéball hervor. So hat sich Sun das Ganze sicher nicht vorgestellt, aber, was bleibt ihm schon anderes übrig? „Ja, natürlich bin ich nur hier, um euch auszulachen...“, gibt er daher augenrollend zurück. „Hab‘ ich’s doch gewusst!“, wirft ihm der Blauhaarige wütend entgegen und lässt sein Traumato frei. Der Kampf ist allerdings überraschend schnell erledigt und das Psycho-Pokémon am Boden. Ungläubig betrachtet der Rüpel seinen gefallenen Partner, ehe er aufsieht und Sun einen verletzten Blick zuwirft. „Ha, du bist so viel krasser drauf als ich! Da kann ich nur noch lachen…“, versucht sich der Blauhaarige hinter seiner Enttäuschung zu verstecken.
 

Seine Kollegin schenkt ihm einen entschlossenen Blick und tritt nun vor, um es mit dem Störenfried aufzunehmen. „Na wart’s nur ab, Kleiner! Jetz‘ biste fällig!“, höhnt sie siegessicher. Tragischer Weise muss aber auch sie feststellen, dass sie mit ihrem Alpollo keine Chance gegen Suns Snobilikat hat. Da hilft ihr auch kein noch so starker und furchterregender Spukball. „Boah ey, Mann! Dieses Inselwanderding scheint dir ja echt gut zu tun! Starke Trainer kann ich nich‘ ab!“, schmollt sie vor sich hin und ruft ihren geschlagenen Geist wieder zurück. „Nur, weil du uns besiegt hast, lassen wa‘ dich noch lang‘ nich‘ hier durch!“, legt Dalia dann nach und streckt ihm kindlich die Zunge raus. Ehe Sun auch nur irgendetwas erwidern kann, huschen die beiden hinter die Mauern und verriegeln lautstark das schwere Tor.
 

Perplex starrt der junge Trainer es an und weiß nicht recht, was er jetzt tun soll. In jedem Fall ist die Mauer viel zu hoch und durch den Regen auch viel zu glitschig, um daran hochzuklettern. Folglich muss ihm schnell eine andere Lösung einfallen, wenn er das Mangunior retten will. Fieberhaft grübelt er nach und geht ein Stück den Weg zurück, in der Hoffnung einen anderen Eingang zu finden, oder eine Möglichkeit doch noch über die Mauer zu kommen. Dabei stößt er fast mit einer anderen Person zusammen, die plötzlich vor ihm auftaucht. „Oh, Verzeihung...“, gibt der Schwarzhaarige kurz angebunden von sich und will schon an ihr vorbei. Dann bemerkt er jedoch das Polizeiabzeichen an Hemdärmel des Mannes und ihm fällt wieder die alte Wache am Anfang der Route siebzehn ein.
 

„He, Junge. Du siehst so aus, als wolltest du hier rein. Bist du dir da auch ganz sicher?“, fragt ihn Yasu in einen nicht sonderlich überraschten Tonfall – es klingt sogar eher gelangweilt. Etwas irritiert mustert Sun den Grauhaarigen einen Moment. „Ja, ich muss da rein und ja, ich bin mir ganz sicher!“, entgegnet er ihm daher selbstsicher. Der ehemalige Polizist nickt schwerfällig und blickt ihn weiterhin müde an. „Bereite dich lieber gut darauf vor, denn hinter dieser Tür wartet Team Skull auf dich. – Wer durch diese Pforte schreitet, tritt ihnen entweder bei oder fordert sie heraus! Hast du dir das gut überlegt?“, fragt der Alte ihn ein weiteres Mal. Innerlich rollt Sun nur mit den Augen und fragt sich, warum er ihm erzählt, was er eh schon weiß und er doch scheinbar selbst nichts gegen diese Rabauken unternimmt. Oder hat er das vielleicht sogar schon und ist gescheitert?
 

Allerdings hat der Schwarzhaarige keine Zeit, sich solche Fragen durch den Kopf gehen zu lassen. Wer weiß schon, was diese Grobiane dem armen Pokémon antun? „Ich habe mir das sehr gründlich überlegt und denke, dass ich damit fertig werden kann. Außerdem haben diese Hohlschädel ein wehrloses Pokémon in ihrer Gewalt! Da fällt die Entscheidung nun wirklich nicht schwer!“, beharrt der Junge nachdrücklich. Yasu nickt nur wieder gemächlich und tritt dann an das Tor heran. „Du wirst schon wissen, was du tust. Jeder von uns hat so seine Gründe. – Hier, ich öffne dir die Tür. Und keine Sorge, solltest du es nicht schaffen, werde ich deiner Familie Blumen schicken.“, gibt der Alte tonlos von sich, ohne auch nur den Funken einer Regung in seinem Gesicht. Perplex betrachtet Sun ihn einen Moment. Dieser Kerl ist mindestens genauso unheimlich, wie die bedrückende Stimmung der gesamten Route. Er passt hier demnach ebenso gut hin, wie diese Rabauken.
 

„Danke, doch ich denke nicht, dass das nötig sein wird. Ich werde sicher mit ihnen fertig!“, erwidert er ein letztes Mal und schiebt sich dann flink durch den Spalt im Tor. Yasu sieht ihm nur ausdruckslos hinterher und verriegelt die Tür dann wieder, als wolle er das Schicksal des Jungen damit eigenhändig bestimmen. „Wir werden sehen...“, murmelt er vor sich hin und trottet dann wieder zu seiner Wache zurück. Von dort aus kann er das Ganze zumindest im Trockenen etwas beobachten. In jedem Fall wird es nicht zu überhören sein, wenn alles vorbei ist – ganz egal, wie es auch ausgehen mag...
 


 

5
 

Den jungen Trainer überkommt ein ziemlich ungutes Gefühl, als das Tor hinter ihm zuschlägt. Er atmet ein paar Mal tief durch und versucht wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Das ist äußerst wichtig, damit er nicht dem Unfug dieser ganzen Spinner erliegt und sich von ihnen hinters Licht führen lässt. Nach einigen Minuten fühlt er sich dann doch bereit, weiterzumachen. Langsam blickt er sich um. Dichtes Gras, hohe Büsche und undurchdringliche Hecken dominieren seine Sicht. Die Vegetation scheint sich also nicht vom stetigen Regen unterkriegen zu lassen, wie es scheint. Ganz anders die Gebäude. Mit einem gewissen Bedauern betrachtet Sun die vernagelten Häuser und Geschäfte, die einst der ganze Stolz des Dorfes waren. Jetzt jedoch ist ihnen der Verfall deutlich anzusehen und sie sind über und über mit Schmierereien und Graffitis bedeckt. Team Skull hat sich hier also ziemlich ausgetobt. Etwas wehmütig schüttelt der Schwarzhaarige den Kopf und setzt sich dann in Bewegung.
 

Sonderlich weit kommt er jedoch nicht, da steht er auch schon vor einer brusthohen Barrikade, die die ganze Breite der Straße einnimmt und links und rechts von dichten Hecken und Büschen ergänzt wird. Skull scheint sich wohl wirklich etwas einfallen gelassen haben, um ihn am Weiterkommen zu hindern. So leicht wird Sun aber keineswegs aufgeben! Entschlossen nähert er sich daher der Absperrung, hinter der auch schon zwei Rüpel auf ihn warten. Die beiden wirken nicht sonderlich gut gelaunt, was vielleicht auch daran liegen könnte, dass sie hier im Regen stehen müssen. Andererseits ist das Sun auch ziemlich egal, denn immerhin ist er selbst schon nass bis auf die Knochen. Außerdem wollten es diese Spinner doch so.
 

„Yo! Check ma‘ diese Pfeife da aus, Bro! Was geht?! Der stört voll unsren Flow!“, gibt der eine auch sogleich von sich, kaum, dass Sun in Sichtweite gekommen ist. „Lass den Knirps im Regen stehen! Wa‘ ham schließlich unsre Ballade. – Äh, ich mein‘ natürlich Barrikade! Willste die jetz‘ extra aus’m Weg räumen, um dem Balg eins überzuziehen?“, meint sein Partner Nathan nur gehässig. „Da haste recht, Alter!“, stimmt ihm Matt siegessicher zu und entspannt sich merklich. „Mach ‘ne Biege! Du Fliege! Kannst da draußen gern versauern!“, brummt Nathan dem jungen Trainer finster zu und langt mit der Faust über die Barrikade, als wolle er Sun einen ordentlichen Schlag verpassen. Etwas überrascht weicht dieser jedoch einen Schritt zurück und wird so nicht mehr getroffen. Die beiden Rüpel geben nur ein abwertendes Schnauben von sich und beachten ihn dann nicht mehr weiter.
 

Es muss einen anderen Weg geben, um an den beiden vorbei zu kommen, Sun muss ihn nur finden. Während sich die Rüpel in ein unsinniges Gespräch zu vertiefen scheinen, nutzt der Schwarzhaarige die Chance und entfernt sich unbemerkt. Vorsichtig wendet er sich den Hecken neben der Absperrung zu und sucht sie nach einem Durchgang ab. Nach einer Weile entdeckt er zwischen den üppigen Pflanzen ein verwelktes Stück. Es ist gerade groß genug, dass er sich durchzwängen kann, jedoch nicht ohne, dass ihn die nackten Äste schmerzlich die Arme und Beine verkratzen. Ein ganz besonders fieser Zweig krallt sich sogar an seinem Hemd fest und reißt ein Loch hinein. Auf der anderen Seite angekommen, betrachtet sich der Junge den Schaden und verzieht verärgert das Gesicht. Doch er darf sich davon nicht ablenken lassen. Schließlich braucht das arme Mangunior ihn ganz dringend und dazu ist ihm Einiges recht!
 

Zu seinem Missfallen sind die beiden Rüpel jedoch weit aufmerksamer, als er es ihnen zugetraut hat und so haben sie ihn auch schon entdeckt. „Was geht’n jetz‘ ab?! Wie kommst du Eumel auf einma‘ hier rein?! Aber is‘ ja auch total egal! Das wirste nämlich jetz‘ gleich bereuen!“, plustert sich Matt stocksauer vor ihm auf. Kurz darauf wirft der Blauhaarige auch schon seinen Pokéball aufs Feld und heraus springt ein kleines Weberak. Die grün-blau gefärbte Spinne sieht sich mit ihren großen Augen etwas nervös um und fixiert Sun dann kampflustig.
 

Mit einem Seufzen greift der Junge an seinen Gürtel und lässt sein Fuegro frei, das der kleinen Spinne fauchend gegenübersteht. Weberak wirkt auf einmal sehr unsicher und würde wohl am liebsten weglaufen, scheint es doch zu ahnen, was ihm blühen könnte. Ungeachtet dessen schickt Matt es aber dennoch in den Kampf. „Los, Tiefschlag!“, grölt er dem leicht verängstigten Arachniden entgegen. Weberak nimmt all seinen Mut zusammen und huscht geschwind auf seinen sechs Beinen los. Der Treffer beeindruckt den großen Kater jedoch nicht sonderlich. „Fuegro, Feuerzahn!“, befiehlt nun Sun. Daraufhin beginnt die kleine Spinne panisch im Kreis zu rennen, um dem Ganzen irgendwie zu entkommen. Leider gelingt es ihr nicht und so wird sie von den glühenden Zähnen erwischt und auf die Matte geschickt. Die Tatsache, dass der Regen den Feuer-Angriff um Einiges abschwächt, behindert Sun jedoch keineswegs, da die kleine Spinne ja so empfindlich darauf ist, dass sie eh keine Chance hatte.
 

Mit weit aufgerissenen Augen und völlig ungläubig betrachtet Matt sein rauchendes Pokémon, bevor er ein schweres Seufzen von sich gibt. „Ich würd‘ gern in die Zeit vor diesem Kampf zurückreisen und mei’m damaligen Ich sagen, den Quatsch sein zu lassen. – Wär‘ ich doch bloß nich‘ so auf die Barrikaden gegangen! Jetz‘ hab‘ ich den Salat...“, schmollt er nun und wendet sich ab. Aufmunternd legt ihm sein Kollege eine Hand auf die Schulter. „Wa‘ sind auch ohne Barrikade krass stark! Das kriegste heimgezahlt und zwar sofort!“, tönt Nathan nun und schickt sein Sleima in den Kampf.
 

Der Müll liebende, grüne Schleimhaufen glibbert aus seinem Ball heraus und streckt seine unförmigen Arme nach dem Feuerkater aus. Dieser rümpft angewidert die Nase und stellt sich ihm fauchend entgegen. „Los, Sleima, Knirscher!“, höhnt der Rüpel. Das formlose Pokémon gleitet geschwind über den Boden und versucht nach Fuegro zu schnappen. Dem Kater gelingt es einige Male auszuweichen und einen flammenden Gegenangriff zu starten, doch das Giftwesen ist bei weitem nicht so empfindlich auf Feuer, wie es die Spinne eben war, erst recht, wo sein Angriff durch den Regen ja eh geschwächt wird. Dennoch scheint Sun vorn zu liegen. Zumindest, bis sich der große Tiger in Sleima verbeißt. Der Angriff sitzt gut, doch Fuegro scheint es dafür anschließend nicht mehr so blendend zu gehen. „Ha! Das haste nich‘ komm‘ seh’n, wa‘? Mein Bro hat die Fähigkeit Giftgriff und wird dich damit fertigmach’n!“, kommt es lachend von dem Blauhaarigen.
 

Etwas überrumpelt muss Sun feststellen, dass sein Begleiter tatsächlich unter einer Vergiftung leidet, die ihn zusehens schwächt. Trotz alledem gibt der Schwarzhaarige nicht auf und sein nächster Angriff trifft das schleimige Wesen mit aller Härte und zwingt es schlussendlich zu Boden. Gerade noch rechtzeitig, bevor das Gift dem Kater den Rest geben kann. Tiefe Erleichterung kommt in Sun auf, während er sein Pokémon entgiftet. Nathan hingegen sinkt geschlagen auf die Knie und wird nun seinerseits von seinem Partner getröstet. „Ich hab‘ versagt! Total versagt! – Jetz‘ schalt aber ma‘ ‘nen Gang zurück! Ohne Barrikade sind wa‘ doch bloß Fassade!“, jammert er und lässt sich dann von Matt wieder aufhelfen.
 

„Ihr habt gut gekämpft, wenn euch das ein Trost ist!“, meint der junge Trainer mit dem Anflug eines Lächelns. Verwundert betrachten ihn die beiden Älteren. „Ach sei doch still!“, faucht Matt zurück und droht ihm mit der geballten Faust. „Genau, sei still und schwing dein‘ Arsch weg hier! Die andren werden dich ordentlich versohlen! Dann haste nich‘ mehr so’ne große Klappe!“, setzt Nathan wütend nach. Beschwichtigend hebt der Junge die Hände und entfernt sich dann von den beiden. „Schon gut, schon gut...“, meint er noch und trollt sich dann endgültig.
 


 

6
 

Unmittelbar hinter der Barrikade entdeckt Sun zu seiner Erleichterung, wie auch Verwunderung, ein Pokémon-Center. Unter den wachsamen Augen der zwei geschlagenen Rüpel, die sich ein überaus fieses Grinsen nicht verkneifen können,- welches der Schwarzhaarige wegen ihrer Maskerade natürlich nicht sehen kann-, nähert er sich dem verfallenen Gebäude. Er glaubt nicht wirklich, dass er dort eine Krankenschwester antreffen wird, die seine Begleiter wieder aufpäppeln kann. Doch vielleicht findet sich etwas Medizin oder wenigstens ein ruhiges Plätzchen, wo er einen Moment rasten und sein weiteres Vorgehen überdenken kann?
 

Etwas unschlüssig steht Sun noch für einen Moment vor der verzogenen Eingangstür und blickt sich prüfend um. Niemand scheint ihn zu sehen und abgesehen von den beiden Rüpeln an der Barrikade, ist auch keine Menschenseele auszumachen. Das Ganze kommt Sun äußerst komisch vor. Von Augenblick zu Augenblick bekommt er immer mehr das Gefühl in einen Hinterhalt oder gar eine Falle zu tappen. Doch, was soll er schon tun? Das Mangunior braucht dringend seine Hilfe, da führt kein Weg dran vorbei. Er selbst ist dabei erst mal nebensächlich, auch, wenn er ungern direkt ins Messer laufen will. Daher hofft er inständig, dass der alte Yasu sich nur einen morbiden Scherz erlaubt hat, als er meinte, dass er seinen Eltern Blumen schicken würde, wenn Sun das hier nicht übersteht. Der Trainer kann sich auch nicht wirklich vorstellen, dass Team Skull soweit gehen und ihn ernsthaft verletzten würde, oder gar Schlimmeres, nur um ihm eine Lektion zu erteilen.
 

Dennoch kann er das mulmige Gefühl in seinem Magen nicht mehr unterdrücken. Seine Finger beginnen leicht zu zittern und er schluckt schwer. Eigentlich wäre das hier ja auch nicht die Aufgabe eines halbwüchsigen Anwärters, sondern die eines richtigen Polizisten oder Inselkönigs. Aber darauf kann er wohl lange warten. Yasu wird sich nicht darum bemühen, dass ist ihm anzusehen. Also muss sich eben Sun darum kümmern. Allerdings hat er so das Gefühl, dass Professor Kukui hier auch hilfreich wäre. Immerhin sah es im Ziergarten so aus, als hätte Bromley noch ein Hühnchen mit ihm zu rupfen und der Brünette wollte sich augenscheinlich davor drücken und hat Sun vorgeschickt. Wenn es sich der Schwarzhaarige so recht bedenkt, war das eine ganz schön miese Nummer vom Professor. Hätte er sich dem Weißhaarigen selbst gestellt, hätte Sun jetzt mit Sicherheit kein Problem. Sollte er das hier also überstehen, dann sollte er vielleicht mal ein ernstes Wort mit seinem Mentor reden. Wie sieht denn das auch aus, wenn sich so ein angesehener Professor ängstlich vor einer Auseinandersetzung drückt und ein kleines Kind für sich in den Kampf schickt?
 

Klar war es ein gutes Gefühl, einen scheinbar ihm so überlegenen Gegner zu besiegen, aber es hätte ja auch ganz anders ausgehen können. Bromley hätte einen von ihnen verprügeln können, statt sich selbst zu verletzten. Schon beim Gedanken daran, läuft es Sun eiskalt den Rücken herunter und ihm wird nicht zum ersten Mal bewusst, dass er hier völlig auf sich allein gestellt ist. Wenn der große Boss von Team Skull diesmal die Nase voll hat, könnte er ihn locker um die Ecke bringen und Niemand würde etwas davon mitbekommen. Vermutlich würde dieser gruselige Yasu das Ganze noch herunterspielen, wenn er seinen Eltern die schlechte Nachricht überbringt und es wohlmöglich wie einen ziemlich tragischen Unfall aussehen lassen. Um aller Kapus willen, woran denkt er hier nur?! Energisch schüttelt der Schwarzhaarige den Kopf, um diese schrecklichen Visionen seines möglichen Endes wieder loszuwerden, doch es gelingt ihm kaum. Stattdessen bewegt sich seine Hand wie ferngesteuert und er stolpert förmlich in das Pokémon-Center hinein.
 

Was er drinnen sieht, lässt ihn allerdings erst einmal all seine Sorgen vergessen und er weiß im ersten Moment auch gar nicht, ob er lachen oder sich vorsehen soll. Das Pokémon-Center liegt im Halbdunkeln. Nur ein paar Kerzen erhellen den Annahmebereich. Hinter dem Tresen steht ein weiblicher Rüpel und neben dem PC ihr männliches Pendant. Ein zweiter Junge liegt in der Ecke vor dem ehemaligen Café und schläft tief und fest. Rührt keinen Muskel. Auch nicht, als die beiden anderen Sun entdecken und augenblicklich zu rappen beginnen. „Hey! Yo! Was haste hier zu suchen, Bro?“, wendet sich Oliver an ihn. Es klingt nicht sonderlich musikalisch, andererseits aber auch nicht abweisend oder böse. Sun kann ein Schmunzeln nur knapp unterdrücken.
 

„Wa‘ stehen hier im Dunkeln, ham null Bock auf Munkeln! Nur Beats, richtig derbe, sind unser Gewerbe! Wa‘ soll’n Wache stehen, doch woll’n Däumchen drehen! Was willste, ‘nen Kampf? Ach komm, lass den Krampf!“, ertönt es nun von Ellen. Wild gestikulieren die zwei während ihrer Darbietung herum. Sun ist sich nicht sicher, ob die Rüpel wirklich keine Lust haben, ihrer zugeteilten Arbeit nachzugehen ober, ob das vielleicht nur Tarnung ist und ihn in Sicherheit wiegen soll. Doch egal, was es ist, es lenkt den Schwarzhaarigen zumindest für den Augenblick von seinen Sorgen ab, weshalb er einfach stehenbleibt und ihnen weiter zuhört.
 

„Yo, platz‘ hier nich‘ rein, wie’n wildes Kleinstein! Wenn du meinst, dass Team Skull an nix denkt, als Krawall, haste leider ‘n Knall, denn das is‘ nich‘ der Fall! Wa‘ woll’n hier nur gammeln und gechillt Staub ansammeln!“, kommt es nun wieder von dem Blauhaarigen. Das Auftreten der Rüpel wirkt so sorgenfrei und überzeugend, dass sich der junge Trainer das Lachen nun wirklich nicht mehr verkneifen kann. Kichernd hält er sich die Hand vor den Mund, damit sie es nicht gleich mitbekommen. Zu seiner Überraschung gehen sie jedoch überhaupt nicht darauf ein und machen ungetrübt weiter. „Hier in Pokémon-Center herrscht Stromausfall, und zwar permanenter! Komm, bring Licht ins Dunkel mit Münzen, die funkeln! Zehn Stück an der Zahl, das reicht allemal! Wirf sie uns in den Rachen, um dein Team fit zu mach’n!“, meint das Mädchen nun.
 

In ihren Worten liegt so viel Bitten, dass Sun sich zu fragen beginnt, wie das Team hier eigentlich lebt. Der ständige Regen ist sicher keineswegs angenehm. Ein Stromausfall auch nicht gerade. Sie sind hier völlig abgeschnitten von der Außenwelt ganz auf sich allein gestellt. Irgendwie kann sich der junge Anwärter da schon vorstellen, warum sie dann überall randalieren und die Leute bestehlen. Was bleibt ihnen schon anderes übrig, wenn sie sonst keine Perspektive im Leben zu haben scheinen? Ganz plötzlich empfindet Sun einen Anflug von Mitleid für Team Skull. Es rechtfertigt keinesfalls ihr schlechtes Verhalten und schon gar nicht, dass sie das arme Mangunior gestohlen haben, nur um ihm eine Abreibung zu verpassen, aber sie wirken irgendwie so hilflos. Auf der Straße versuchen sie hart zu sein, damit man sie ernst nimmt und fürchtet, doch in ihren eigenen vier Wänden sind sie gebrochen, einsam und traurig. Was muss das nur für ein Leben sein?
 

Der Schwarzhaarige mag sich das gar nicht vorstellen wollen. Dennoch glaubt er, dass er nun viel davon mitbekommen wird, wenn er dem Mangunior helfen will. Er wird in die Heiligtümer des Teams eindringen und sehen, was dem Rest der Welt verborgen bleibt. Fragt sich nur, ob er damit umgehen kann? Jetzt zumindest vergeht ihm erst einmal das Lachen und er wühlt in seiner Tasche herum. Schnell findet er die zehn Dollar. Der Preis ist ein echter Witz, wie er findet. Klar, normalerweise wird man in jedem Pokémon-Center stets kostenlos behandelt. Aber für zehn Dollar kann man sonst auch überhaupt nichts kaufen. In keinem Markt, nicht einmal im aller billigsten, würde er auch nur eine Sache damit bezahlen können. Von daher fällt es ihm überhaupt nicht schwer, dass bisschen abzugeben, um ihnen eine Freude zu machen und sich selbst vor einer weiteren Konfrontation zu bewahren.
 

Unter ihren äußerst wachsamen Augen nähert sich Sun soweit, dass er Oliver das Geld in die Hand fallen lassen kann. Perplex starren ihn die beiden Rüpel daraufhin an, haben sie wohl nicht damit gerechnet, dass er tatsächlich ihren Worten Folge leistet. Daher dauert es auch einen Moment, ehe sie sich wieder fangen. Warmherzig lächelt der kleine Junge sie an, woraufhin sich auch ein Lächeln in die Augen der beiden Rabauken schleicht. „Wow, krass, du lässt es krachen! Gleich biste fit, keine halben Sachen! Geld is‘ unser Lebenselixier, Geld is‘ der Hit! Biste alle, komm zu uns, wa‘ mach’n dich fit!“, flötet der Blauhaarige schließlich fröhlich und lässt die Münzen in seiner Tasche verschwinden.
 

Ellen reicht ihm einen Top-Trank über den Tresen, den Sun seinerseits in seiner Tasche verschwinden lässt. Sobald er wieder aus dem Pokémon-Center raus ist, wird er Fuegro damit füttern und dann ist alles wieder beim Alten. „Danke, Leute! Ihr seid echt in Ordnung!“, meint der Schwarzhaarige schließlich und wendet sich von ihnen ab. Kaum, dass er durch die Tür ist, blicken sich die beiden Rüpel an. „Is‘ schon irgendwie ‘n netter Bursche, nich‘?“, meint die Pinkhaarige etwas bedrückt. „Yo, schon fast ‘ne Schande, dass der Boss ihn plattmach’n wird...“, erwidert ihr Kollege leicht trübsinnig. In diesem Moment öffnet der zweite Junge die Augen und erhebt sich langsam. „Is‘ aber besser so. Der Bengel bringt nur Unglück und das wisster!“, kommt es gähnend von Toni. Eindringlich mustert er seine beiden Mitstreiter.
 

„Yo, wissen wa‘...“, erwidern diese nach einer kurzen Pause. Der dritte nickt zustimmend und schleicht sich dann aus dem Pokémon-Center hinaus zur Villa, um Bericht zu erstatten. Oliver und Ellen bleiben allein zurück und warten darauf, dass Sun wohlmöglich noch einmal wiederkommt oder das Ganze schlussendlich vorbei ist.
 


 

7
 

Nach dieser doch recht skurrilen Begegnung, setzt der Schwarzhaarige seinen Weg nun fort. Von dem verfallenen Pokémon-Center kommt er ein gutes Stück voran, bis er erneut vor einer Barrikade steht. Zu seiner Überraschung ist diese jedoch unbewacht oder zumindest kann er niemanden ausmachen. Nach kurzem Suchen findet Sun wieder eine Lücke in der dichten Hecke, die an die Absperrung grenzt, durch die er sich zwängen kann. Soweit so gut. Als er der Straße weiter in das Dorfinnere folgen will, entdeckt er allerdings einen roten Pick-up Truck, der so schief auf dem beschmierten Asphalt steht, dass er die ganze Straße blockiert. Da er aber nicht von irgendwelchen Büschen oder Hecken flankiert wird, ist es nicht sonderlich schwer an ihm vorbei zu kommen.
 

Das denkt der junge Trainer zumindest. Als er seinen Weg jedoch fortführen will, ertönt auf einmal eine Stimme. „Eins, zwei, drei! Auf ‘n Sandsack geht der Hieb! Vier, fünf, sechs! Oder in dein Gesicht, wenn du nich‘ stehen bleibst!”, tönt Gus von Dach des Trucks aus. Erschrocken zuckt Sun zusammen. Innerlich könnte er sich selbst ohrfeigen, weil er seine Umgebung so gar nicht im Auge hatte. Immerhin hätte das auch echt böse enden können. Der Rüpel sieht jedoch alles andere als freundlich aus. Drohend stapft er auf die Motorhaube und wirft auch schon seinen Pokéball. Heraus springt ein sehr mies gelauntes Imantis, dessen scharfkantige Blattarme bedrohlich im Regen schimmern. „Bis hier hin haste es vielleicht geschafft, Zwerg. Aber jetz‘ biste fällig!“, höhnt der Rüpel vielsagend und lässt sein Pokémon den ersten Angriff ausführen, kaum, dass Fuegro auf dem Feld erschienen ist.
 

Imantis‘ Arme beginnen grün aufzuleuchten und es stürmt mit wahnsinniger Geschwindigkeit heran, um den Feuerkater mit seinen Laubklingen zu verletzen. Der Treffer sitzt ziemlich gut, doch der Tiger gibt sich dadurch noch lange nicht geschlagen. Seine flammenden Zähne beenden diese Runde schnell, aber noch nicht den Kampf. „Das haste nich‘ umsonst gemacht, Bengel!“, gebärt sich der Blauhaarige wütend und schickt sein zweites Pokémon auf das Feld. Diesmal ist es ein Molunk. Der kleinen Echse ist Sun ja schon ein paar Mal begegnet und jedes Mal ist er auf dessen Attacke hereingefallen. Doch das wird ihm diesmal ganz sicher nicht passieren!
 

Schnell tauscht er Fuegro gegen Snobilikat aus und lässt es Mogelhieb einsetzen, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Es klappt auch und so entgeht er fürs erste einer neuerlichen Vergiftung. Wie er befürchtet hat, folgt aber nun der hinterhältige Funkenflug. Die sandfarbene Katze entkommt zwar dem Angriff, doch den platzenden Blasen natürlich nicht. Da der Nebeneffekt der Attacke aber typenlos ist, hält sich der Schaden glücklicherweise in Grenzen. Eine Finte und einen Biss später rührt sich die kleine Echse dann auch schon nicht mehr und Sun ist einen Schritt weiter. „Volle Kanne ausgeknockt, Baby! Und ausgezählt bis zehn, da kam der Gong!“, schnaubt Gus vor sich hin und lässt sich auf die Motorhaube plumpsen. „Mach, daste weiterkommst, Junge, ehe ich ein Comeback starte!“, warnt er ihn dann noch, woraufhin sich der junge Anwärter abwendet.
 

Durch eine Fehlstelle in einem Metallzaun gelangt er schließlich auf den Vorplatz der imposanten Villa, die Team Skull ihr Zuhause nennt. Nervös betrachtet er das gewaltige Bauwerk. Dort drinnen wird es mit Sicherheit weit härter werden, als hier draußen. Viele Nettigkeiten kann er sich dann wohl auch nicht mehr erhoffen, aber das ist egal. Er hat ein Ziel und er ist bereit es auch zu erreichen!
 


 

8
 

Mit äußerster Vorsicht und die Augen nach allen Richtungen blickend, öffnet Sun die marode Tür der Villa und tritt in das Halbdunkel des alten Gebäudes hinein. Wie er schnell feststellt, scheint es hier zumindest Strom zu geben. Einige unscheinbare, halb kaputte Lampen zieren die Wände und vertreiben die völlige Finsternis der regnerischen Bleibe immerhin soweit, dass man nicht über seine eigenen Füße fällt. Das wenige Licht reicht aber auch aus, um deutlich zu zeigen, in welchen Verhältnissen Team Skull hier wohnt. Es ist offensichtlich, dass die Rabauken einiges selbst dazu beigetragen haben, wie es hier aussieht, doch Sun fragt sich schon, wie der Zustand war, bevor sie diesen Ort erobert haben. Alles wirkt einfach zu verlassen und verfallen, als das es nur durch die Hände dieser hirnlosen Chaoten so gekommen ist.
 

Unschlüssig tritt er ein paar Schritte von der Tür weg und blickt sich aufmerksam um. Der Boden ist mit einem dunkelroten Teppich ausgelegt, der an seinen Seiten mit einem wahrscheinlich einmal goldfarbenen Band versehen ist. Wäre die Villa keine Ruine, würde der Teppich sehr gut den Stand und den Stil der Bewohner verdeutlichen. Nun jedoch ist er an vielen Stellen von Löchern und Schnitten durchzogen und nicht wenige Bereiche sind mit Farbe beschmiert, als hätten sich hier ein paar Kleinkinder ausgetobt. Suns Blickfeld wird von einer Ansammlung an herumliegenden Kartons aller Größen dominiert. Die meisten wirken nass oder verfallen. Einige sind aber auch zu Türmchen aufgestapelt. Tische, Regale, ja sogar ein Bett und ein Sofa stehen kreuz und quer überall verteilt. Das Ganze wirkt sehr strukturlos, als hätte jemand angefangen auszumisten und dann einfach die Lust verloren.
 

Andererseits kommt dem jungen Anwärter der Gedanke, dass nicht alles davon einfach nur wahllos herumsteht, sondern wohlmöglich extra so platziert wurde, um ihn am Weiterkommen zu hindern, beziehungsweise ihm eine Richtung vorzugeben, wenn er nicht über all den Müll hinwegkrabbeln und so vielleicht irgendetwas oder irgendjemandem in die Arme laufen will. Kurz gesagt, dies ist wahrlich kein Ort, den man gern aufsuchen möchte oder an dem man sich länger als irgend nötig aufhalten will. Zu allem Überfluss riecht es hier drinnen auch noch feucht, schimmlig und nach so vielen verschiedenen Pokémon und anderen Dingen, dass ein Zoo dagegen wirkt wie das reinste Parfum. Ein weiteres Mal geht dem Schwarzhaarigen der Gedanke durch den Kopf, wie Team Skull hier nur wohnen kann. Unwillkürlich schüttelt er sich leicht und macht dann noch ein paar Schritte in die große Eingangshalle hinein.
 

Direkt vor ihm erstreckt sich eine große Treppe, die in den ersten Stock führt, doch bis zu ihr kommt er gar nicht erst. Im Halbschatten direkt daneben bewegt sich etwas und schnell wird ihm klar, dass das sein erster Gegner zu sein scheint. Mit hängenden Schulter, aber doch irgendwie energisch, tritt Hektor aus dem Schatten heraus. „Ich taug‘ selbst als Rüpel nich‘ viel, aber hier hab‘ ich wenigstens mein‘ Platz gefunden.“, teilt er Sun mit. In seiner Stimme liegt etwas, dass dem Schwarzhaarigen klar macht, wie froh sein Gegenüber darüber ist, irgendwo hinzugehören. Unweigerlich fragt sich der junge Trainer, was dieser Bursche wohl durchgemacht haben mag, um so eine Einstellung an den Tag zu legen, da er nicht glaubt, dass das nur Show ist. In ihm kommt sogar kurz der Wunsch auf, ihn danach zu fragen, doch dafür lässt der Ältere ihm keine Chance. „Und du wirst mir diesen Platz ganz sicher nich‘ ruinieren!“, kommt es nun mit weit mehr Elan von Hektor, während er seinen Pokéball aufs Feld wirft.
 

Heraus kommt ein kleines Zubat, das sich aber nicht lange behaupten kann, ebenso nicht wie seine beiden Mitstreiter Nebulak und Molunk. Sun tut es schon fast leid, den anderen Jungen so schnell und einfach fertiggemacht zu haben, obwohl er es schon beachtlich findet, dass Hektor tatsächlich drei Pokémon besitzt. Sonst ist er das von Team Skull ja nicht gewohnt. Als alles vorbei ist und Hektor seine geschlagene Echse in den Ball zurückruft, lässt sich der Blauhaarige schwerfällig auf den Boden plumpsen und bleibt dort einfach sitzen, wie ein kleines Kind, das keine Lust mehr hat weiterzulaufen. „Wa‘ eigentlich klar, dass der Kampf so ausgehen würd‘. Passend für jemanden wie mich. Ende. Aus…“, gibt er betrübt von sich und lässt die Schultern hängen. Erneut überkommt Sun ein Anflug von Mitleid. Doch, als er sich dem Rüpel nähern will, wirft dieser ihm einen so strengen Blick zu, dass er es doch lieber bleiben lässt.
 

Stattdessen wendet er sich wieder der Treppe zu. Direkt daneben befindet sich eine Tür, die halboffen steht. Schwaches Licht dringt daraus auf den Flur. Vorsichtig geht Sun darauf zu und späht hinein. Im ersten Moment kann er nichts Ungewöhnliches erkennen. Der Raum scheint eine Art Esszimmer oder dergleichen zu sein. Als er ein paar Schritte in den Raum hinein macht, ertönt hinter ihm plötzlich ein Geräusch, das ihm gar nicht behagt. Die Tür ist zugefallen! Ruckartig dreht er sich um und stellt mit leichtem Entsetzen fest, dass der Ausgang nun von zwei Rüpeln versperrt wird. Der Junge und das Mädchen mustern ihn streng. „Endstation, Kleiner!“, kommt es von der Pinkhaarigen, während ihr Partner ein finsteres Lachen von sich gibt.
 

Sun überkommt ein eiskalter Schauer. Er war zu unvorsichtig und jetzt sitzt er in der Falle! Was werden sie nun mit ihm machen? Tragischer Weise würde er diesen Chaoten einfach alles zutrauen, das ist das Problem an der Sache. Dennoch versucht er sich seine beginnende Panik nicht anmerken zu lassen. Irgendwie kommt ihm auch der seltsam tröstende Gedanke, dass die beiden ihn nicht einfach zusammenschlagen und dann irgendwo liegen lassen werden. Das wäre ganz sicher nicht im Interesse ihres Bosses, der doch auf dieses Treffen bestanden hat. Sie werden ihm durchaus das Leben schwer machen, aber sie werden auch dafür sorgen, dass er es zu Bromley schafft, irgendwie und vielleicht sogar in einem Stück...
 

Allerdings stellt sich schnell heraus, dass die zwei nicht mit ihm kämpfen wollen, sondern eine dritte Person, die sich nun zu erkennen gibt. Rose nähert sich ihm vom anderen Ende des Raumes und zückt dabei ihren Pokéball. „Eindringlingen wie dir servier‘ ich immer ’n Drei-Gänge-Menü an Pokémon-Attacken!“, tönt sie und schickt ihr Garstella in den Kampf. Hierbei handelt es sich um ein Wesen von Typ Gift und Wasser, das äußerst fies werden kann, oder besser gesagt sehr garstig. Der Quälstern stützt sich auf die flexiblen Fortsätze, die aus seinem Kopf herauswachsen und die mit giftigen Dornen übersät sind. Sun ist diesem Pokémon bisher nur sehr selten begegnet, da sie sich für gewöhnlich gut verstecken und ihre Beute aus dem Hinterhalt angreifen. Dennoch weiß er, dass es sehr gefährlich werden kann, allein schon wegen seinem starken Gift.
 

Der Schwarzhaarige hat keine Attacke, der sehr effektiv auf Garstella wirken würde. Zudem könnte jede Berührung dafür sorgen, dass sein Pokémon vergiftet wird. Die Endscheidung fällt ihm wirklich schwer. Seine wirkungsvollsten Angriffe wären die vom Typ Unlicht, also schickt er Snobilikat in den Ring, das immerhin zwei dieser Attacken beherrscht. Die erste Finte sitzt ganz gut und bringt den kleinen Quälstern ins Wanken. Doch nicht lange, da reißt es sein Maul auf und überschüttet den Kater mit einer grün glühenden Flüssigkeit, die wie giftiger Schleim überall zu kleben scheint. Sun kann von Glück sagen, dass dieser Giftschock der sandfarbenen Katze nicht allzu sehr zusetzt und noch erleichterter ist er darüber, mal nicht gleich bei der ersten Gelegenheit vergiftet zu werden.
 

Auch die nächste Finte wird ein Volltreffer und bringt Garstella beinahe aus dem Gleichgewicht. Finster mustert es seinen Gegner und stellt sich für seinen Angriff dann plötzlich senkrecht auf seine Fortsetze. Die vielen spitzen Dornen, die die Oberseite seines Körpers bedecken, sind nun direkt auf Snobilikat gerichtet und fliegen dem Kater kurz darauf auch schon um die Ohren. Er hat sichtlich Mühe der Dornkrone auszuweichen und nicht wenige der Nadeln treffen oder streifen ihn schmerzlich. Angeschlagen mobilisiert Snobilikat seine Kräfte und setzt zur dritten Finte an, die die entscheidende Wendung bringt. Völlig erledigt sinkt Garstella in sich zusammen und entlockt den drei Rüpeln ein verstimmtes Geräusch.
 

„Puh, die Mahlzeit, die du mir da reingedrückt hast, wa‘ aber ganz schön schwer verdaulich!“, entkommt es Rose getroffen. „Mag sein, aber du hast dich gut geschlagen!“, erwidert ihr Sun aufmunternd. Auf so etwas haben die Rüpel aber überhaupt keinen Bock. „Halt die Klappe!“, faucht das Mädchen zurück, während ihre beiden Mitstreiter den Ausgang wieder freigeben. „Raus hier!“, blafft ihn der Junge noch an und versucht ihn sogar durch die Tür zu schieben, doch Sun entkommt seinem Griff noch ganz knapp. Ungehalten knallt die Tür hinter ihm wieder ins Schloss und Sun kann die aufgewühlten Stimmen der drei von drinnen hören, zudem heftiges Poltern, als würden sie ihre Wut nun an den Möbelstücken auszulassen versuchen.
 

Seufzend entfernt sich der Schwarzhaarige und biegt neben der Treppe in einen kurzen Flur ein, indem sich auch einige der Schlafzimmer befinden. Allerdings kommt er nicht so weit, dies herauszufinden, denn Sonja wartet im Gang schon auf ihn. „Sorry, aber bei mir is‘ Endstation für dich. Der Boss soll sich ja nich‘ ärgern müss’n!“, meint sie knapp und schickt ein Alpollo ins Rennen. Der Geist segnet aber schnell das Zeitliche, da Seinesgleichen von Natur aus auf so gut wie alles empfindlich reagieren. „Auweia. – Wegen dir muss unsre Villa echt noch dran glauben. – Ich hoff‘, du bist stolz auf dich...“, entgegnet sie ihm angesäuert und jagt ihn dann aus dem Flur heraus, ehe er sich genauer umsehen kann. Das soll ihm jedoch egal sein. Die ganze Villa ist ein einziges Trauerspiel, da ist es besser, wenn man nur so wenig wie nötig zu Gesicht bekommt...
 


 

9
 

Nach einer kurzen Rast geht Sun wieder zur Treppe zurück. Eine Weile blickt er sich noch im Eingangsbereich davor um, doch alle anderen Wege werden von Kisten, Möbelstücken und allerhand Müll dermaßen blockiert, dass sie praktisch nicht passierbar sind. Also bleibt ihm eigentlich nur der Weg in den ersten Stock. Als er auf dem ersten Absatz der langen Treppe ankommt, teilt sich der Weg nach rechts und links. Die rechte Seite wird jedoch völlig durch einen riesigen Kronleuchter versperrt, der mitten auf die Stufen gefallen ist. Allerdings ist seine Lage schon merkwürdig. Als Sun zur Decke schaut, bemerkt er, dass die Aufhängung des Leuchters eigentlich genau an der Stelle ist, an der er gerade steht. Folglich hat jemand den Leuchter die Stufen hoch gewuchtet, um den Durchgang zumindest auf einer Seite der Treppe freizumachen.
 

So muss Sun wenigstens nicht lange überlegen, welchen Weg er einschlagen soll und geht nach links. Am Ende der Treppe erstrecken sich einige Zimmer, doch bis auf eines, sind alle Türen verschlossen. Es ist schon fast zu offensichtlich, dass die Rüpel ihn dort hinein locken wollen. Andererseits muss er ja auch Bromley finden, um das Mangunior zu befreien. Und, um das zu schaffen, muss er sich wohl oder übel diesem Spielchen beugen und jedem Hinweis nachgehen. Mit einem leicht genervten Seufzen nähert er sich also der angelehnten Tür und findet sich sogleich in einer Art Fernsehzimmer wieder. Sessel, ein Sofa, allerhand Kissen und Matratzen liegen kreuz und quer verteilt, vor gleich mehreren TV-Geräten. Ja sogar ein paar Spielekonsolen entdeckt er. Der Anblick ist irgendwie seltsam beruhigend. Alles hier wirkt so trostlos, doch dieser Raum macht ihm klar, dass Team Skull doch nur ein Haufen Teenager ist, der ganz normalen Dingen nachgeht, ja vielleicht sogar allabendlich zusammensitzt und gemeinsam einen Film schaut oder sich ein paar aufregende Rennen liefert.
 

Dinge, die ganz normale Leute auch machen. Wieder entkommt ihm ein Seufzen, doch diesmal wirkt es eher traurig. Sein Mitleid für diese Bande Chaoten wird immer größer ohne, dass er es verhindern kann. Im Grunde sind sie nichts weiter als fehlgeleitete und im Stich gelassene Seelen, die versuchen sich ihr Dasein in dieser Welt so erträglich wie irgend möglich zu machen. Es ist zwar kaum vorstellbar, aber vielleicht hilft es dem Team ja sogar, wenn er ihnen allen einen Denkzettel verpasst? Vielleicht finden sie dadurch den Weg in die Wirklichkeit zurück und können irgendwann ein normales, gesittetes Leben führen? Der Schwarzhaarige würde es ihnen in jedem Fall gönnen auch, wenn er ihre Missetaten damit weder verteidigen, noch entschuldigen will. Doch ein wenig hat er das Gefühl, dass ihre bemitleidenswerte Lebensweise schon so etwas wie eine Strafe für sie ist und der Rest wird sich schon zeigen.
 

Sun ist mit seinen Gedanken noch gar nicht ganz durch, da ertönt die Stimme eines weiteren Rüpels von einem der Sessel. Ungelenk erhebt sich Ivan und stellt sich ihm gegenüber. „Hmpf! Ganz schön derb von dir, einfach so in Zimmer andrer Leute reinzukomm‘! Meinste nich‘?“ „Ja, vermutlich.“, entgegnet ihm Sun. „Ganz schön frech, wa‘?“ „Vermutlich auch das, aber vielleicht können wir das hier etwas beschleunigen?“, legt der Schwarzhaarige nach. Verstimmt schickt Ivan sein Imantis in den Kampf. Eine kräftige Feuer-Attacke von Fuegro reicht aber schon aus, um es weg zu pusten, besonders da nun kein störender Regen sie mehr abschwächt. „Also dein Pokémon is‘ ja auch ganz schön derb…!“, kommt es schmollend von dem Blauhaarigen, ehe er sich wieder zurück auf den Sessel fallen lässt und Sun keines Blickes mehr würdigt. Schulter zuckend verlässt der junge Trainer das Zimmer wieder und setzt seinen Weg fort.
 

Auf dem Flur läuft er aber praktisch schon dem nächsten Rüpel in die Arme. „Was geht? Haste ‘n Einladungsschreiben von Team Skull oder, was willste hier?“, fragt ihn John ganz locker. Innerlich verdreht Sun die Augen. Langsam aber sicher gehen ihm die dümmlichen Sprüche dieser Hohlschädel auf die Nerven – Mitleid hin oder her. „Nein, das habe ich nicht. Aber es wäre echt nett, wenn du mich vorbeilassen würdest.“ Der Ältere gibt nur ein fieses Lachen von sich. „Sicher, aber nich‘ ohne ‘n Kampf, Freundchen!“ Das Traumato des Jungen bringt Sun nicht gerade ins Schwitzen, von daher ist auch dieser Kampf schnell erledigt. „Du hast mir echt ‘n heftigen Kampf geliefert! Aber ‘n Einladungsschreiben ersetzt das nich‘!“, motzt John ihn an und stapft dann grummelnd an ihm vorbei – nicht aber, ohne ihn dabei anzurempeln.
 

Zum gefühlt hundertsten Mal gibt der Schwarzhaarige ein Seufzen von sich. Er kann nur hoffen, dass er nun endlich bald auf Bromley trifft, bevor er noch den Rest seiner angekratzten Beherrschung verliert und wohlmöglich etwas sehr Dummes tut...
 


 

10
 

Er hat seinen Weg noch gar nicht wirklich fortgesetzt, da quatscht ihn auch schon der nächste Rüpel an. Er steht vor einer großen Glastür, die wohl zum Balkon führt, den er von draußen sehen konnte. „Hey, du da!“ Schnell wirft Sun einen Blick den Rest des Flures entlang, muss aber feststellen, dass er hier nicht weiterkommt, da der Weg von etlichen Kisten versperrt wird und er damit wahrscheinlich gezwungen ist über den Balkon zu gehen. In der Ferne des versperrten Flures kann er eine einzige Tür erkennen. Hinter ihr wartet ganz sicher Bromley auf ihn, also wendet er sich dem Rüpel zu.
 

„Du willst sicher ‘ne Audienz beim Boss, hm? Da musste erst die drei Losungswörter nenn‘!“, kommt es grinsend von Karlo. Verwundert legt Sun die Stirn in Falten. Das kann ja heiter werden. „Losungswörter?“ „‘türlich! Oder denkste etwa, ich lass‘ dich einfach so durch? Wo bleibt ‘n da der Spaß?“ Also, wenn das Spaß sein soll, dann hat Sun definitiv schon genug davon gehabt. „Na, schön...“, gibt sich Sun geschlagen. Grinsend zieht der Rüpel eine Karte aus der Tasche, auf der drei Attacken-Namen vermerkt sind. „Okay, du Schlauberger! Dann nenn‘ mir jetz‘ ma‘ die Lieblings-Attacke vom Boss!“, höhnt Karlo siegessicher. Der Schwarzhaarige legt nur wieder die Stirn in Falten und will ihm schon entgegnen, dass er das doch unmöglich wissen kann. Dann besinnt er sich und liest sich die drei Attacken durch.
 

Von Professor Kukui und dem Kampf gegen Bromley weiß er, dass der Weißhaarige eine Vorliebe für Käfer-Pokémon hat. Dummerweise stehen auf der Karte keiner Attacken dieses Typs, also muss es eine andere Lösung geben. Grübelnd starrt er die Worte an, die für ihn alle unlogisch klingen. „Na, gibste schon auf?“, fragt der Blauhaarige keck. „Ruhe, ich denke nach!“, gibt Sun angesäuert zurück. „Lass das lieber, das bringt eh nichts!“ ‚Ja, dir wahrscheinlich nicht...‘, geht es dem Schwarzhaarigen gehässig durch den Kopf. Dann fällt es ihm plötzlich wie Schuppen von den Augen und er fragt sich, wie er das Offensichtliche nur so lange übersehen konnte. „Prügler! Es ist Prügler!“, platzt es schließlich aus ihm heraus.
 

Verdutzt sieht Karlo ihn an. „Yo, stimmt! Weiter im Text. Dann nenn‘ mir jetz‘ ma‘ das Lieblings-Pokémon vom Boss!“ Diesmal bekommt Sun keine Auswahlmöglichkeiten, was den Rüpel sichtlich zu freuen scheint. Nachdenklich schließt der junge Trainer die Augen. Er weiß ja, dass Bromley Käfer bevorzugt. Im Kampf gegen ihn hat er Tectass und Ariados eingesetzt. Beides Käfer. Also ist eines davon vielleicht sein Lieblings-Pokémon? Hatte Kukui da nicht auch etwas erzählt? Das Bromley zu seiner Inselwanderschaft einen schwierigen Start hatte, weil sein Pokémon so flüchtig war? Ja, genau! „Es ist Tectass!“, bringt er hervor. Wieder sieht Karlo ihn verdutzt an. „Himmel, wie kommste denn da drauf?“ Innerlich zuckt der Kleinere zusammen, da er fürchtet ,die falsche Antwort gegeben zu haben.
 

„Yo, Mann, das stimmt total! Okay, letzte Frage! Nenn‘ mir jetz‘ ma‘ das Lieblingsgetränk vom Boss!“, grinst Karlo so breit, dass Sun es schon durch das Tuch vor seinem Mund zu sehen glaubt. Wie absurd ist denn diese Frage bitte? Auch diesmal bekommt er keine Hilfe und weiß auch beim besten Willen nicht, wie er das beantworten soll. Immer mehr Verzweiflung macht sich in ihm breit und ihm will auch so gar nichts einfallen. Der Professor hat ihm zwar ein bisschen was über Bromley erzählt. Das sie zusammen auf Inselwanderschaft waren, aber mehr auch nicht. Weshalb der Käfer-Trainer bei ihrem Zusammentreffen so sauer auf Kukui war, weiß Sun bis heute nicht und er konnte dem Gespräch auch nicht wirklich folgen. Manuel muss nur irgendetwas getan haben, was Bromley sehr wütend gemacht hat, sodass sie jetzt keine Freunde mehr sind. Da hielt er sich aber sehr bedeckt und vermeidet es auch meistens über den Weißhaarigen zu reden, geht allen Fragen dahingehend aus dem Weg, was Sun schon verstehen kann.
 

Aber gerade jetzt hilft ihm das überhaupt nicht weiter! Fieberhaft denkt er an irgendwelche Getränke, doch er kann sich so gar keines bei diesem Irren vorstellen. Wahrscheinlich ist es auch etwas völlig Absurdes oder Ekelerregendes. Ihm platzt fast der Kopf und dann spricht er einfach das aus, was ihm als erstes in den Sinn kommt – dumm nur, dass es sein eigenes Lieblingsgetränk ist... „Eneco-Kakao!“ Diesmal sieht Karlo ihn nicht verdutzt an, sondern setzt sein Poker-Face auf, was Sun mehr als nur beunruhigt. „Die Losungswörter lauten deiner Meinung nach also Prügler, Tectass und Eneco-Kakao. Biste dir da sicher?“, hakt der Rüpel nun wieder grinsend nach.
 

Der Schwarzhaarige weiß jedoch überhaupt nicht mehr, was er denken soll und senkt resignierend den Kopf. Dabei fällt ihm etwas ein, dass Team Skull oft in seiner Gegenwart gesagt hat, wenn sie etwas abstreiten oder nicht glauben wollten. Wie automatisch kommen ihm die Worte nun über die Lippen ohne, dass er es verhindern kann. „No way...“ Das war es endgültig. Zu seinem Erstaunen fängt Karlo nun aber richtig heftig an zu lachen, sodass ihm schon fast die Tränen kommen. „Hahaha! Du kennst die Vorlieben vom Boss und antwortest dann noch rotzfrech mit ‚No way‘?! An dir is‘ echt ’n prima Skull-Rüpel verloren gegangen! – Für ‘ne Audienz beim Boss musste nur übers Dach latschen. Das kannste gar nicht verfehlen!“, bringt er schließlich hervor und tritt dann zur Seite, damit Sun auf den Balkon hinausgehen kann. Mit großen Augen mustert der Junge den Rüpel und kann es immer noch nicht fassen. Dann huscht er schnell an ihm vorbei, damit dieser es sich nicht noch anders überlegen kann.
 


 

11
 

Während sich Sun durch die Villa immer weiter zu Bromley durchkämpft, sitzt der Käfer-Trainer in seinem Zimmer auf seinem thronähnlichen Stuhl und beobachtet den Rüpel, der bei ihm ist. Pascal hockt vor einem kleinen Käfig, in den der Weißhaarige das entführte Mangunior gesperrt hat. Er weiß so gar nichts mit diesem überaus bissigen Fellball anzufangen und fragt sich zum wiederholten Mal, warum Fran ihn überhaupt angeschleppt hat. Sie hat es ihm zwar erklärt, doch so ganz will er nicht wahrhaben, dass dieser nervige, kleine Trainer nur zu ihm kommt, weil er das Vieh hier hat und Sun es retten will. Der Bengel sollte sich glücklich schätzen, die Gelegenheit zu bekommen, ihn hier besuchen zu dürfen. Ja, es sollte ihm sogar eine Ehre sein! Aber vermutlich bildet sich der kleine Furz ganz schön was darauf ein, dass er Bromley schon mal geschlagen hat, weshalb die Idee seiner Kollegin vielleicht doch nicht die Schlechteste ist.
 

Doch, warum in aller Welt musste es so eine Beißzange sein? Wer will so ein Biest schon haben? Seufzend bringt er sich in eine etwas aufrechtere Position und will dem Rüpel gerade sagen, dass er nicht schon wieder den Finger zwischen die Gitterstäbe stecken soll, da gibt dieser auch schon einen spitzen Schrei von sich, macht einen ungeschickten Satz nach hinten und landet dann unsanft auf seinen vier Buchstaben. „Ah, du verfluchtes Mistvieh, ich zieh dir das Fell über die Ohr’n!“, wimmert Pascal und steckt sich wie ein kleines Kind den blutigen Finger in den Mund. Geräuschvoll saugt er daran herum und versucht sich die Tränen zu verkneifen. Bei dem Anblick weiß Bromley nun wirklich nicht mehr, ob er nun lachen oder eher weinen soll.
 

Klar sind seine Rüpel echte Spielkinder, doch so dumm kann man doch nun wirklich nicht sein und drei Mal hintereinander seinen Finger in den Käfig zu stecken, wenn man schon zwei Mal gebissen wurde. Leicht verdreht der Größere die Augen und seufzt tonlos. „Pascal, komm doch ma‘ her.“, weist der Käfer-Trainer ihn schließlich an. Der Rüpel erhebt sich etwas schwerfällig, mit dem Finger im Mund und tapst auf ihn zu. Sein Gesichtsausdruck gleich dabei einem kleinen Kind, das gerade von Größeren schikaniert wurde und sich nun Trost bei seinem Vater oder Bruder erhofft. Kurz bevor er richtig vor ihm steht, nimmt er den Finger aus dem Mund, dreht sich um und streckt dem wütend fauchenden Mangunior die Zunge raus. Der Weißhaarige schnipst daraufhin mit dem Finger vor seiner Nase herum, um endlich seine Aufmerksamkeit zu bekommen und deutet dann auf die Armlehne seines Stuhles.
 

Pascal schiebt sich seinen blutigen Finger wieder in den Mund und grinst. Etwas ungeschickt setzt er sich dann auf die Lehne und sieht seinen Boss mit großen Augen an. Ein roter Schimmer breitet sich auf seinen Wangen aus, weil er wohl hofft, dass Bromley ihm jetzt ein wenig Trost spendet, wo er doch so schwer verletzt ist. Der Ältere lässt sich auch gar nicht lumpen, ihn in dem Glauben zu lassen, weiß er doch ganz genau, was im Kopf des Jüngeren so vorgeht. Beruhigend streicht er dem anderen Jungen über den Oberschenkel und wandert dabei gefährlich weit nach oben. Der Blauhaarige wird noch röter um die Nasenspitze und beginnt erwartungsvoll auf seiner Unterlippe herum zu kauen – sein verletzter Finger ist jetzt nur noch Nebensache. Mit einem sanften Lächeln nähert sich ihm der Größere, bis sie nur noch wenige Zentimeter voneinander trennen.
 

„Pascal...“, haucht Bromley mit tiefer, rauchiger Stimme. Den Rüpel überkommt augenblicklich ein wohliger Schauer, der ihn regelrecht unter der Hand des anderen erzittern lässt. „Ja, Boss...“, gibt er schluckend zurück. „Lass endlich den Scheiß!“, knurrt Bromley ihn plötzlich unmissverständlich an. Erschrocken zuckt der Junge zurück und kann dabei gerade noch verhindern von der Armlehne zu fallen. „Was’n für’n Scheiß, Boss...?“, fragt er unsicher. Beinahe grob packt der Weißhaarige nun seine Hand und erinnert ihn damit an seine Bisswunden. „Diesen Scheiß!“ „Oh...“, gibt Pascal kleinlaut zurück. „Sorry, Boss...“
 

„Du brauchst dich nich‘ bei mir zu entschuldigen. Tu dir einfach selbst ‘nen Gefallen damit. Sieh lieber zu, daste von dem verdammten Vieh wegbleibst, ehe es dir noch ‘n Finger abbeißt!“, kommt es tadelnd von dem Käfer-Trainer. „Is‘ gut, Boss..., eingeschüchtert lässt der Junge die Schultern hängen und senkt den Blick. Nun tut es Bromley schon beinahe leid, ihn so angefahren zu haben, aber er hat ja nun mal auch recht damit. Schließlich ist er für diesen Haufen liebenswerter Trottel verantwortlich und will nicht mit ansehen müssen, wie sie sich selbst zu Grunde richten. Sanft schließt sich daher nun seine Hand um das Kinn seines Gegenübers, damit dieser ihn wieder ansieht. „Mach nich‘ so’n Gesicht, Kleiner...“, raunt er ihm zu und haucht ihm dann einen flüchtigen Kuss auf die Wange.
 

Überrascht weiten sich die Augen des Jüngeren und der Rotschimmer kehrt auf seine Wangen zurück. „Boss...?“ Bromley lächelt sanft. „Wir ham heut‘ noch viel vor uns, weißte? Und ich brauch‘ dich dafür in einem Stück, checkstes?“ Langsam nickt Pascal. „Gut. Dann sei jetz‘ ‘n braver Junge, hol dir ‘n verdammtes Pflaster und sieh nach, wie weit dieser Rotzlöffel Sun schon gekomm‘ is‘!“ „Yo, mach‘ ich, Boss!“, kommt es mit dem Anflug eines Grinsens von dem Rüpel. Er rutscht von der Armlehne hinunter und wendet sich zum Gehen, bleibt dann aber stehen und dreht sich noch einmal um. Seine Wangen glühen mehr denn je und er tapst nervös von einem Bein auf das andere, als müsse er ganz dringend aufs Klo. „Boss, kann ich vielleicht...“, setzt er an, doch Bromley lässt ihn nicht aussprechen, da er genau weiß, was Pascal jetzt für Fantasien durch den Kopf gehen. Doch dafür hat er keine Lust und es ist auch absolut keine Zeit. „Nee, kannste nich‘ und jetz‘ mach hin, bevor ich dich übers Knie leg‘!“, giftet er daher zurück, obwohl er sich gut vorstellen kann, dass das dem Rüpel keineswegs etwas ausmachen würde.
 

Erschrocken zuckt der Junge zusammen und schämt sich augenblicklich für seine Gedanken, hatte er doch gehofft, einen richtigen Kuss von ihm stibitzen zu können. Doch da ist der Käfer-Trainer knallhart. Wenn er das einem von ihnen durchgehen lässt, dann wollen die anderen es auch und das artet dann in etwas aus, das außerhalb jeglicher Kontrolle liegt und das will der Weißhaarige auf keinen Fall riskieren. Er will sich weder selbst so einer Enttäuschung hingeben, noch sie einem anderen wünschen. Dafür wurde er von Kukui einfach zu sehr verletzt, um sich so leichtfertig in dergleichen zu stürzen. Das wäre keine echte Liebe, sondern nur Spielerei für ihn und das hat er längst hinter sich gelassen. „Sorry, Boss. – Bin schon weg...“, kommt es dann reumütig von Pascal, ehe er sich wieder umdreht und dann wirklich das Zimmer verlässt. Seufzend sieht Bromley ihm nach, während ungewollt wieder einmal die Gedanken an sein Leben mit Manuel in ihm wach werden. Wütend schlägt er mit der Faust auf die Armlehne, auf der sein Rüpel gerade noch gesessen hat – schlägt wieder und wieder darauf ein, bis seine Hand fast völlig taub ist...
 


 

12
 

Der weilen betritt Sun den Balkon. Er hat eine halbrunde Form und schenkt einem einen atemberaubenden Blick über das ganze Dorf. Würde jetzt die Sonne zwischen den Wolken hervorschauen, wäre es sicher eine ganz unglaubliche Aussicht. Doch es regnet – unablässig. Und das wird sich wahrscheinlich auch niemals ändern. Unter den kalten Tropfen, die schwer auf seiner Seele zu liegen scheinen, wendet sich der Schwarzhaarige nach rechts. Als er jedoch um die Kurve biegt, steht er vor einer Sackgasse. Einige Kisten stapeln sich unordentlich in der Ecke des Balkons und vor ihnen liegt quer an das Geländer gelehnt, der fehlende Flügel der Tür. Das untere Glas ist zerbrochen und der Regen beginnt langsam damit, die Farbe abzuschälen. Einen Augenblick denkt der junge Trainer nach und dann fällt ihm ein, dass das Zimmer, das er für Bromley’s gehalten hat, ja auf der linken Seite des Flurs war. Gedanklich tadelt er sich selbst für seine Unachtsamkeit und wendet sich dann nach links.
 

Für gewöhnlich wäre auf dieser Seite natürlich auch eine Sackgasse, doch dem ist jetzt nicht so. Sun ist sich nicht sicher, ob die Rüpel diesen Aufbau seinetwegen dorthin gemacht haben, oder ob er schon länger da ist. Jedenfalls liegen einige lange Bretter an das Geländer gelehnt und weitere auf dem Dachvorsprung daneben. Zusammen bilden sie eine Art Brücke, die an einem offenen Fenster endet. Die Konstruktion sieht nicht sonderlich stabil aus und einige Dachziegel sind darunter verschoben, locker oder sogar runtergefallen. Doch einen anderen Weg gibt es wohl nicht, also muss er da durch. Vorsichtig testet er die Bretter, die an das Geländer gelehnt wurden. Sie scheinen sein Gewicht zu halten, also steigt er langsam an ihnen hoch.
 

„Na sieh ma‘ einer an, was der Regen da angespült hat!“, ertönt plötzlich eine Stimme kaum, dass er die Schräge hinter sich hat. Verdutzt sieht der Anwärter auf und entdeckt einen weiblichen Rüpel, die den Durchgang zum Fenster versperrt. Sie muss sich bis eben ihm Schatten der Hausecke versteckt haben, da Sun sie vorher gar nicht gesehen hat. „Kannst du mich bitte einfach durchlassen? Die Bretter sind ziemlich wacklig und rutschig vom Regen. Wenn wir kämpfen, fallen wir wohlmöglich vom Dach...“, entgegnet er ihr sachlich. Queeny rümpft allerdings nur die Nase und setzt sich dann demonstrativ auf das Fensterbrett. „Ich fall‘ bestimmt nich‘ runter, die Klugscheißer!“, kontert sie frech und schickt auch schon ihr Golbat in den Kampf.
 

Schnell wird Sun klar, dass sie damit gleich zwei Vorteile hat. Ganz vorsichtig tritt er zurück, schlittert die Bretter wieder hinab zum Balkon und ruft Snobilikat herbei. Mit einem missfallenden Fauchen kommentiert der Kater die unschöne Situation auf dem Dach und krallt sich am Untergrund fest. Dieser Kampf ist wirklich mehr als bescheiden und mehrmals fürchtet Sun, dass sein Pokémon haltlos abstürzen könnte. Die sandfarbene Katze fängt sich aber glücklicherweise immer wieder im letzten Moment und schafft es schließlich auch, die Fledermaus vom Himmel zu holen. „Das holt mich echt auf ‘n Boden der Tatsachen zurück...“, erwidert die Pinkhaarige geknickt und erhebt sich anschließend vom Fensterbrett, sodass Sun es erreichen kann.
 

„Mich haste vielleicht besiegt, aber der wirkliche Schrecken erwartet dich erst noch!“, gibt Queeny ihm zu verstehen und rutscht dann an der Bretterkonstruktion herab, um wieder nach drinnen zu gehen. Ihre Aufgabe ist erfüllt und sie hat sich ein trockenes Plätzchen verdient. Einen Moment sieht der Schwarzhaarige ihr noch nach, dann steigt er auf das Fensterbrett und schlüpft in die Villa zurück. Als er auf dem Boden landet, stellt er fest, dass das Fenster gar nicht offen war, sondern die Schiebe in funkelnden Scherben auf dem Teppich verteilt liegt. Ein kräftiger Windstoß fegt kalten Regen hinein und lässt den Jungen einen Augenblick erzittern. Wieder fragt er sich, ob die Scheibe schon länger kaputt ist oder, nur seinetwegen zerschlagen wurde.
 

Er wird keine Antwort darauf bekommen und im Moment ist es ihm auch völlig gleich. Er will nur dem kleinen Mangunior helfen und dann möglichst schnell von hier verschwinden, bevor er selbst noch auf komische Gedanken kommt. Das Wetter und der ewige Regen haben etwas derart Bedrückendes an sich, dass er glaubt, dass nicht mehr viel fehlt und er könnte ebenfalls den Verstand verlieren. Nachdrücklich schüttelt er den Kopf, um wieder auf andere Gedanken zu kommen und überbrückt dann das letzte Stück Flur zu Bromley’s Zimmer.
 

Vor der massiven Tür haben sich Aaron und Bryan postiert und mustern ihn finster. Sun will schon nach seinem Pokéball greifen, da winken die beiden ab. „Lass ma‘ stecken, Kleiner!“, meint Aaron. „Yo, bist weit genug gekomm‘. Wa‘ mach’n dir kein‘ Ärger.“, entgegnet Bryan. Dann treten die zwei zur Seite und öffnen ihm die Tür zum alles entscheidenden Kampf...
 


 

13
 

Einen Moment verweilt Sun unter der Zarge und betrachtet unsicher den Weißhaarigen, wie er abwesend auf seinem Stuhl lungert und scheinbar auf ihn wartet. Dann nimmt er all seinen Mut zusammen und tritt in den Raum hinein. Einer Endgültigkeit gleich schließt sich hinter ihm die Tür und völlige Stille breitet sich aus. Bromley scheint gar nicht mitbekommen zu haben, dass er nicht mehr allein ist, weshalb der junge Trainer nun ein Räuspern von sich gibt. „Boss, Boss!“, ertönt es auf einmal aufgeregt aus einer Ecke des Zimmers. Erst jetzt bemerkt Sun, dass der Käfer-Trainer gar nicht, wie von ihm angenommen, allein im Zimmer, sondern einer seiner Rüpel bei ihm ist. Der Schwarzhaarige blickt zu ihm und entdeckt neben ihm auch einen Käfig, in dem das entführte Mangunior nun lautstark seinen Unmut kundtut. Mit etwas Wohlwollen sieht Sun ebenfalls, dass der Rüpel einige Pflaster an den Fingern trägt.
 

Nun endlich hebt auch Bromley den Kopf und realisiert die Situation. Grinsend setzt er sich etwas aufrechter hin und beugt sich dann herausfordernd nach vorn. „Das is‘ echt ma‘ ‘ne schöne Abwechslung! Biste extra den weiten Weg zu mir gekomm‘, um von mir plattgemacht zu werden?“, fragt der Größere frech und mustert den Jungen vor sich eingehend. Sun findet das aber ganz und gar nicht witzig. „Lass sofort das Mangunior frei?“, kontert er trotzig und tritt etwas näher. Fragend sieht ihn der Ältere an, ehe ihm wieder einfällt, was der andere meint. „Mangunior? Ach, stimmt, ich wollt‘ ja, daste herkommst. – Du hast dich also für’n fremdes Pokémon ganz allein in unser Versteck geschlichen? Reicht’s dir nich‘, daste dich schon um deine eignen Pokémon kümmern musst?!“
 

„Das ist doch ganz allein meine Sache! Also lass es wieder gehen!“, beharrt der junge Anwärter. „Du bist ‘n ganz schöner Spinner, weißte das? Und, was macht man, wenn die Technik ma‘ wieder spinnt? Man haut ordentlich drauf! Jedenfalls funktioniert das bei mir immer. – Ich muss zugeben, dass dann meistens nich‘ mehr viel davon übrigbleibt. – Egal, jetz‘ biste dran!“, kommt es grob von dem Weißhaarigen, ehe er sich ruckartig erhebt und sein Tectass aufs Feld schickt, bevor Sun noch etwas erwidern kann. Gedanklich versucht sich der Schwarzhaarige an seinen ersten Kampf mit Bromley zu erinnern. Die Taktik damals war gut gewesen, obwohl er noch nicht wusste, was ihn erwartet. Nun hofft er, sie wieder anwenden zu können und keine böse Überraschung zu erleben, wie bei Fran. Daher schickt er Snobilikat ins Rennen.
 

Wie es sich Sun schon gedacht hat, befiehlt der Ältere seinem Pokémon seine wirkungsvollste Attacke. Der junge Trainer ist jedoch darauf vorbereitet und lässt seinen Kater Mogelhieb benutzen. Die Priorität dieser Attacke ist höher, als die von Tectass‘ Überrumpler, was es dem Vierbeiner erlaubt vor ihm einen Treffer zu laden und es dem Samurai so unmöglich macht, seinen Angriff einzusetzen. So steckt die große Assel den Schaden ein und schreckt zudem auch noch vor seinem Gegner zurück. Wütend beginnt Bromley zu knurren. „Freu dich bloß nich‘ zu früh, Kleiner! Mit so hinterhältigen Angriffen kommste bei mir nich‘ weit!“, wirft er dem Jungen vor, wobei sich Sun gerade noch die Bemerkung verkneifen kann, dass sein Angriff genauso hinterhältig ist, hätte er getroffen.
 

Stattdessen schweigt er lieber und konzentriert sich auf den Kampf. Da Tectass zurückgeschreckt ist, kann Snobilikat nun ein weiteres Mal angreifen, was dem Schwarzhaarigen äußerst recht ist. Je schneller das hier alles vorbei ist, desto besser. „Setz nun Finte ein!“, befiehlt er seinem Pokémon. Tatenlos muss der Käfer-Trainer mit ansehen, wie sein Partner einen weiteren Treffer einstecken muss. Doch Tectass ist noch kampfbereit und denkt noch nicht an Rückzug. Wütend faucht es dem Kater entgegen, als es selbst endlich angreifen darf. Blitzartig prescht es hervor, während seine großen Krallen bedrohlich zu leuchten beginnen. Snobilikat versucht noch auszuweichen, doch die scharfkantigen Kalkklingen erwischen es dennoch schwer. Grob wird der Kater zu Boden geworfen, schafft es aber noch, wieder aufzustehen.
 

„Halt durch, Snobilikat! Setz noch einmal Finte ein!“ „Pote, mach’s noch ma‘!“, hält Bromley dagegen und schon stürmen die beiden Kontrahenten aufeinander zu. Sun sieht sich schon im Vorteil, doch da unterschätzt er die erstaunliche Geschwindigkeit, mit der Tectass aufwartet. Die Assel wirkt mit ihrer Größe so unglaublich plump, dass der Schwarzhaarige nur fassungslos zusehen kann, wie sein Pokémon erneut in die Mangel genommen wird. Zu seinem Schrecken gelingt es Snobilikat diesmal auch nicht, wieder aufzustehen. „Na, Kleiner? Wie fühlt es sich an, von mir so richtig plattgemacht zu werden?“, höhnt Bromley siegessicher. „Der Kampf ist noch lange nicht zu Ende!“, hält Sun dagegen und ruft seinen Kater zurück. Der Weißhaarige grinst nur.
 

Einen Moment starrt der junge Anwärter seinen zweiten Pokéball einfach nur an und hofft, dass es ihm gelingen wird, diesen Verrückten zu besiegen. Ehe der Käfer-Trainer aber noch ungeduldig wird, schickt er Fuegro in den Kampf. Eine Regung huscht durch die grauen Augen des Größeren, der Sun entnimmt, dass ihm gerade aufgegangen ist, dass sich das Miezunder von damals inzwischen weiterentwickelt hat. Doch dieser verräterische Glanz hält nur ganz kurz, dann grinst er wieder und sieht sich überlegen. Damit könnte er sogar recht haben, denn immerhin ist Fuegro ein Feuer-Pokémon und Kalkklinge eine Wasser-Attacke.
 

Die beiden Gegner stürmen aufeinander zu und, obwohl es so aussieht, als wäre der Kater langsamer, gelingt es ihm dennoch, an Tectass vorbeizukommen und ihn kräftig in seinen schutzlosen Bauch zu beißen. Schmerzlich hallen die Schreie des Samurai durch das Zimmer und brennen sich regelrecht in Bromley’s Kopf ein. Es ist fast so, als würde er mit ihm leiden. Geschwächt zieht sich Pote schließlich zurück, was sein Trainer ihm gar nicht verübeln kann. Mit einem eher unguten Gefühl, schickt er nun sein Ariados in den Kampf.
 

Der großen Spinne gelingt es, einen heftigen Tiefschlag zu landen, doch schon kurz darauf wird sie erbarmungslos von der Feuerwalze der Z-Attacke niedergemäht. „Wie – wie kannste nachts eigentlich noch ruhig schlafen, wenn du so’ne miese Scheiße mit mir abziehst?“, fragt Bromley sein Gegenüber aufgebracht, während er sein qualmendes Pokémon zurückruft. „Ich kann sehr gut schlafen. Danke der Nachfrage.“, erwidert Sun trocken und wird daraufhin förmlich von den glühenden Augen des anderen durchbohrt. „Du kommst dir wohl ganz toll vor, mit diesen beschissenen Z-Attacken...“, mault der Weißhaarige und schickt Tectass wieder aufs Feld. Der Schwarzhaarige entgegnet ihm diesmal jedoch nichts, da er fürchtet, dass das Ganze sonst in eine Richtung ausarten könnte, der er nichts entgegenbringen kann. Nur zu gut erinnert er sich noch daran, was nach seinem ersten Kampf mit Bromley passiert ist. Er hofft, dass so etwas diesmal nicht auch vorkommen wird. Doch, um das zu verhindern, müsste er sich wahrscheinlich von ihm besiegen lassen und das kann er dem armen Mangunior einfach nicht zumuten.
 

Nun, da Pote wieder auf dem Schlachtfeld steht, kann er erneut zu einem Überrumpler ansetzen und diesmal gelingt er auch. Allerdings bemerkt Sun dabei, dass der Samurai doch weit geschwächter zu sein scheint, als es zuerst aussah. Der Treffer hat Fuegro aber auch ganz schön zugesetzt. Von daher muss es Sun schnell gelingen, ebenfalls einen effektiven Angriff zu landen, ehe er selbst zu Boden geht. Sollten ihn die Kalkklingen auch nur einmal treffen, ist alles aus! Genau in diesem Moment sieht der Kater sie auch schon auf sich zusteuern. Fauchend versucht er der Assel zu entkommen und eine gute Position für den eigenen Schlag zu finden. Mit gebleckten Zähnen steuert er wieder den ungeschützten Bauch von Tectass an.
 

Der Samurai reagiert jedoch blitzschnell und korrigiert seinen Trefferpunkt. Vernichtend dringen die Kalkklingen in den Körper des Feuer-Katers ein, gerade in dem Augenblick, als Fuegro seine Zähne in das weiche Fleisch der Assel hineinrammt. Sekundenlang herrscht absolute Stille und alle starren auf die beiden Pokémon, die wie versteinert in ihrer Position eingefroren scheinen. Keiner von ihnen rührt sich, eine Entscheidung scheint unmöglich. Wohl möglich haben sie sich gegenseitig ausgeknockt? Dann jedoch beginnt Pote zu schwanken, tritt wackelig einige Schritte zurück und fällt dann einfach um. Fuegro liegt vom Angriff ebenfalls noch am Boden. Es sieht aus wie ein Unentschieden. Doch plötzlich rührt sich der Kater wieder und stemmt sich ganz langsam und mühevoll auf die Füße zurück. Ein kleiner Funken Kraft steckt noch in ihm und kürt Sun somit zum Sieger!
 


 

14
 

Sprachlos stehen sich die beiden Kontrahenten gegenüber, zwischen ihnen ein schwer schnaufendes Fuegro, das einen erschöpften, aber sehr zufriedenen Ausdruck im Gesicht trägt. Langsam hebt Sun den Arm, um das Pokémon in seinen Ball zurückzurufen. Noch ehe dies geschieht, reißt Bromley erschrocken die Augen auf. Im Kopf des Weißhaarigen wird die Stimme seines herrischen Vaters laut. „Bromley! Was treibst du denn da?!“, faucht er seinen Sohn regelrecht an. Die Worte haben für den Käfer-Trainer so viel Gewicht, dass er sie im selben Moment laut ausspricht und sich die Haare zu raufen beginnt. Erschrocken zuckt Sun zusammen und lässt die Hand wieder sinken, noch bevor sein erschöpfter Partner zurückgekommen ist. Auch der Rüpel in der Ecke rührt sich nun. Unbehaglich weicht er einen Schritt zurück. Der junge Anwärter fragt sich, ob der Blauhaarige das schon einmal miterlebt hat. Irgendwie hofft er es sogar, denn er wüsste nicht, ob Bromley es zulassen würde, dass er ihm im Ernstfall hilft, wo er ihn doch gerade fertiggemacht hat.
 

Unbemerkt sind die beiden aber nicht die Einzigen, die das Verhalten des Weißhaarigen mit Schrecken beobachten. Aaron und Bryan haben den ganzen Kampf durch den Türspalt beobachtet und auch Fran ist bei ihnen und wollte sich das Ganze nicht entgehen lassen. Nun ist sie mehr als schockiert, wie fremd ihr der Ältere auf einmal vorkommt. Die beiden Rüpel kennen das Verhalten ihres Bosses ja schon, haben es mehrfach miterlebt und konnten ihm stets irgendwie beistehen. Für Fran ist das aber eher Neuland und sie kennt es nur aus den Erzählungen der Rüpel. Tiefe Sorge macht sich in ihr breit – die unerklärliche Angst ihn zu verlieren, wie einst ihren geliebten Bruder, obwohl sie beim besten Willen nicht weiß, wieso.
 

In der Zwischenzeit sinkt Bromley kraftlos auf die Knie. Seine Augen sind völlig ausdruckslos und leer. Die Stimme seines Vaters schallt weiterhin in seinem Kopf, auch, wenn er die Worte nicht mehr wiederholt. ‚Du bist so ein jämmerlicher Versager! Wie kann man sich nur zwei Mal von so einem dahergelaufenen Zwerg fertigmachen lassen? Du bist so eine Enttäuschung und verdienst es gar nicht anders!‘, höhnt der Mann wütend und zieht auf einmal den Golfschläger hinter dem Rücken hervor. Im selben Augenblick wirkt Bromley wie ferngesteuert. Nahezu zielsicher tasten seine Finger den Boden ab, bis sie den Hals einer zerbrochenen Flasche zu greifen bekommen. Vollkommen abwesend umklammert er ihn ganz fest und setzt den scharf gezackten Rand dann an seinen linken Unterarm, drückt das kalte Glas gegen seine weiche Haut.
 

Erschrocken zucken alle Beteiligten zusammen, selbst Fuegro scheint zu realisieren, dass das nicht richtig ist und gibt ein unbehagliches Grummeln von sich. Tectass schlägt gerade die Augen wieder auf und erkennt schnell, was mit seinem Trainer nicht stimmt. Gerade, als sich Sun dazu entschließt, doch etwas unternehmen zu müssen, setzen sich Pote und der Rüpel förmlich zeitgleich in Bewegung. Die großen Arme des Samurai schlingen sich von hinten um Bromley und ziehen ihn in eine feste Umarmung. Pascal hockt sich vor seinen Boss und versucht ihm die kaputte Flasche aus der Hand zu winden. „Boss, mach das nich‘...“, wimmert er schon fast und gibt sich alle Mühe nicht zu weinen. Langsam löst sich auch der Schock bei den dreien vor der Tür, doch sie halten sich erst einmal noch fern.
 

Sun hält sich ebenfalls zurück und ruft nun doch endlich Fuegro in seinen Ball. „Boss, bitte...“, jammert der Blauhaarige und bekommt endlich die Flasche zu fassen. Erleichtert wirft er sie ans andere Ende des Zimmers. Vorsichtig hebt er Bromley’s Kopf an, um ihm in die Augen sehen zu können. Noch immer sind sie vollkommen leer. „Boss, kannste mich hörn?“, fragt Pascal etwas hilflos, doch es kommt keine Reaktion. Langsam drückt er seine Stirn gegen die des Älteren. „Boss...?“ Plötzlich geht ein Zucken durch den großgewachsenen Mann. „Was is‘?“, nuschelt er schwach. „Oh Boss! Geht’s dir gut?“, fragt der Rüpel mit einem Anflug von Hoffnung. Allmählich kehrt der Glanz in die grauen Augen zurück. „Ja, ich denk‘ schon...“
 

Etwas umständlich lässt sich Bromley von dem Blauhaarigen aufhelfen. Kaum, dass er wieder steht, entdeckt er jedoch Sun und seine Erinnerung an den verlorenen Kampf kehrt zurück. Grob anmutend schiebt er den Rüpel von sich. „Hey, du da! Gib ihm das Pokémon zurück, das wa‘ gestohlen ham!“, weist er den Jüngeren dann streng an. Etwas überrascht braucht Pascal einen Moment, um zu verstehen, was sein Anführer von ihm will. Dann wendet er sich dem Käfig zu. Sicherheitshalber stellt er sich dahinter, um so weit wie möglich von diesem bissigen Vieh weg zu sein und öffnet dann den Riegel. Die Gittertür springt auf und das Mangunior kommt mit einem verstimmten Fauchen heraus. Zielstrebig flitzt es zu Sun hinüber, der es vorsichtig auf den Arm nimmt.
 

„Irgendwann mach‘ ich dich platt! Ich hab‘ noch ’n Ass im Ärmel! Wirst schon sehen.“, verkündet Bromley ihm nun, ganz in seinem altbekannten, selbstsicheren Tonfall. Dann lässt er sich auf seinen thronartigen Stuhl fallen und mustert Sun nur noch finster. „Auf das Ass bin ich sehr gespannt!“, erwidert der Schwarzhaarige ehrlich. In dem Moment öffnet sich die Tür völlig und Fran betritt den Raum. „Du hast, was du wolltest, Junge. Also mach, dass du Land gewinnst, ehe wir es uns anders überlegen!“, droht sie ihm verstimmt. Aaron und Bryan betreten ebenfalls das Zimmer, um dem Ganzen noch mehr Nachdruck zu verleihen. „Keine Sorge, ich gehe...“, seufzt der junge Trainer, drückt das fauchende Mangunior schützend an sich und verlässt dann das Zimmer. Fran und die Rüpel begleiten ihn allerdings noch bis nach unten und stellen sicher, dass er auch keinen Unfug mehr anstellt. Als er endlich durch die Eingangstür ist, knallt die Pinkhaarige sie zu und verzieht sich dann in ihr eigenes Zimmer. Diese Niederlage muss Team Skull erst einmal verdauen...

Po-Town Blues


 

1
 

Nach der verheerenden Niederlage gegen Sun, wird es ziemlich schnell erschreckend ruhig in Po’u. Eine erdrückende Stille legt sich über die Villa und die Herzen von Team Skull. Ein jeder scheint nur seinen eigenen Gedanken nachzuhängen und keinen Elan mehr für irgendetwas anderes zu finden. Dennoch bemühen sich die Rüpel darum, alles wieder in seinen gewohnten Zustand zu versetzen. Sie räumen schweigend und mit hängenden Schultern alle Barrikaden und Absperrungen weg und sorgen dafür, dass man sich wieder ungehindert durch die Villa bewegen kann, ohne über einen Haufen Schutt und Kisten klettern zu müssen. Die Rüpel nicht ausgelassen und verdreht miteinander sprechen zu hören, ist dabei wirklich ein seltsamer Anblick, der einem bewusst macht, wie schwer getroffen sie alle von den Ereignissen dieses Tages doch sind. Tief drinnen hoffen sie, dass Bromley das Ganze auch irgendwie übersteht und bald wieder lachen kann. Zumindest bis Samantha davon erfährt...
 

Die Blondine rückt der Erfüllung ihres Traums immer näher und es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis ihre Ultra-Bestien ganz Alola überschwemmen werden, wie eine tödliche, unheilbare Krankheit. Da kann sie sich keinen Fehltritt und schon gar keine Verzögerung mehr erlauben. Zudem befürchtet sie, dass inzwischen ungewollt von allen Seiten Informationen nach außen gedrungen sind und, dass es daher sicher nicht mehr lange dauern wird, bis Sun sich auch ihr in den Weg stellt. Und, wenn es soweit ist, dann braucht sie den vollen Einsatz von Team Skull mehr denn je, um ihn und seine nervigen Begleiter daran zu hindern. Die jetzige Niederlage wird sie daher erst recht nicht erfreuen, aber ändern lässt sich das Ganze so oder so nicht mehr und sie muss damit leben. Doch ganz sicher wird ihr etwas einfallen, um den Bengel aufzuhalten, sollte Skull ein weiteres Mal kläglich scheitern. Andererseits könnte diese Tatsache sich auch als nützlich erweisen. So könnte sie Sun selbst ganz allein fertigmachen und sehen, welch unglaubliche Kraft in ihren geliebten Ultra-Bestien steckt, bevor sie sie auf das gesamte Inselparadies loslässt!
 

Doch so weit ist es noch nicht. Aber sie wird in jedem Fall vorbereitet sein, wenn der Junge und seine Begleiter hier aufschlagen. Bis dahin können diese nutzlosen Trottel in ihrer Villa verrotten! Zum Glück ahnen die Rüpel noch nicht, was ihnen allen bald bevorstehen wird und sind im Moment ganz darauf konzentriert nichts anzustellen, dass ihren Boss zusätzlich auf die Palme bringen könnte. Ein Grund mehr, warum sie ihrer Arbeit schweigend nachgehen. Allerdings zieht es der Käfer-Trainer dann doch vor, am frühen Abend das Anwesen und Po’u hinter sich zu lassen und ohne ein Wort zu verschwinden. Sie lassen ihn gehen und hoffen, dass er mit besserer Laune zu ihnen zurückkommen wird. Bis dahin blasen sie weiterhin Trübsal und versuchen es sich nicht auch noch mit Fran zu verscherzen, die sich seit dem Rauswurf von Sun in ihrem Zimmer verkrochen hat.
 


 

2
 

Ein lautes Poltern reißt ihn ungewollt aus dem Schlaf. Noch völlig neben sich, stellt Yasu fest, dass er auf der Couch eingeschlafen ist, was ihm sonst nie passiert. Der Film, den er eigentlich sehen wollte, ist längst vorbei und nur noch das nächtliche Testbild läuft über den Bildschirm – ein paar Palmen, die sich sanft in der Brandung wiegen. Der Horizont im Hintergrund ist von Sternen übersät. Je näher der Morgen rückt, desto mehr werden sie verblassen und irgendwann steigt dann die Sonne auf und bringt einen neuen Tag und damit auch das Programm wieder zurück. Oben in der linken Bildecke ist eine kleine Digitaluhr zu sehen. Sie zeigt jetzt an, dass es kurz nach halb zwei Uhr morgens ist, was Yasu mit ungläubiger Miene zur Kenntnis nimmt.
 

Während er geschlafen hat, haben sich fast alle seine Mauzis zu ihm gekuschelt. Doch, als das Poltern eingesetzt hat, ist ein Großteil von ihnen aufgesprungen. Manche haben sich erschrocken versteckt, andere haben sich einen neuen Schlafplatz gesucht und wieder andere knurren und fauchen nun Richtung Tür, als fürchten sie einen Angriff. Der Inselkönig ist noch vollkommen neben sich, reibt sich verschlafen die Augen, als es erneut poltert. Weitere Pokémon machen ihrem Unmut darüber Luft, was den Alten dann doch dazu bewegt, aufzustehen und nachzusehen. Ungelenk stemmt er sich von der Couch hoch – war definitiv ein Fehler darauf einzuschlafen. „Ganz ruhig, Leute! Ich sehe nach, was da los ist und dann legen wir uns alle wieder ins Bett...“, teilt er der Katzenbande mit, die daraufhin widerwillig schweigt und alles genau beobachtet.
 

Etwas angespannt öffnet Yasu schließlich die Tür und der nächtliche Besucher fällt ihm praktisch direkt vor die Füße. Nicht unbedingt überrascht sieht der Grauhaarige zu Bromley hinab, der dort ausgestreckt auf seiner Türschwelle liegt und leicht das Gesicht verzieht, da er sich beim Umkippen ganz sicher den Kopf auf dem harten Fliesenboden angeschlagen hat. Doch darum kümmert sich der ehemalige Polizist nicht sonderlich. Seiner Meinung nach gibt es im verqueren Schädel dieses Spinners eh nicht mehr viel, was beschädigt werden kann. Kurzerhand stupst er den jungen Mann mit dem Fuß an der Schulter an. „Hey, Junge! Was soll das?“, fragt er ihn trocken. Langsam öffnet der Angesprochene die Augen und Yasu kann allein daran schon erkennen, dass er sturzbetrunken ist, noch bevor er auch nur ein Wort von sich gibt.
 

„Ey, Alter! Was geht?“, fragt der Weißhaarige nuschelnd. Mit einem Gähnen fährt sich Yasu durch die kurzen Haare. „Das will ich ja von dir wissen. Warum machst du hier mitten in der Nacht solchen Lärm?“ Etwas verwundert sieht sich der Jüngere um, als würde ihm jetzt erst auffallen, dass es dunkel ist. „Wie spät is‘ es denn?“, will er schließlich wissen. „Halb zwei morgens und du bist stockbesoffen.“, erwidert der Ältere matt und lehnt sich mit verschränkten Armen an den Türrahmen. Von seinem Gegenüber geht ganz sicher keine nennenswerte Gefahr aus, weshalb er sich merklich entspannt. Schwerfällig setzt sich Bromley aufrecht hin. „Sag mal, hast du dich so voll laufen lassen, weil dich dieser Hosenscheißer vorhin so fertiggemacht hat?“, kommt es nach einer Weile grinsend von Yasu. „Das geht dich überhaupt nichts an, Alter!“, giftet der Angesprochene wütend zurück. Das Grinsen des Grauhaarigen wird nur noch breiter. Selbstverständlich weiß er ganz genau, dass Sun Team Skull erledigt hat, immerhin hat er den Bengel vorhin frohen Mutes mit dem Mangunior abziehen sehen.
 

„Wirklich erbärmlich, Junge! Und du willst der Boss von irgendwas sein? Also mal ehrlich...“ Bromley wirft ihm einen finsteren Blick zu und versucht aufzustehen. Es gelingt ihm aber nicht und so plumpst er zurück auf seine vier Buchstaben. „Ach, halt’s Maul, Alter! Oder willste, dass ich dich plattmach‘?“, knurrt er ungehalten. „Passt schon.“, erwidert Yasu nichtssagend und beendet die Diskussion damit. Sie haben zwar noch nie gegen einander gekämpft, dennoch hat der Inselkönig keine Lust von diesem Verrückten vorgeführt zu werden. Seine Unlicht-Pokémon sind Bromley’s Käfern vom Typ her weit unterlegen. Eine Niederlage gegen ihn würde nur dazu führen, dass Team Skull ihn noch weniger ernst nimmt, als sie es jetzt schon tun und darauf kann er getrost verzichten.
 

„Du solltest nach Hause gehen, Junge.“, teilt er ihm daher mit. Der Weißhaarige antwortet nicht, scheint schon halb eingeschlafen zu sein. Zudem glaubt Yasu nicht wirklich, dass es Bromley ohne Hilfe wieder zurück in die Villa schaffen würde. Dieser Gedanke geht ihm jetzt schon auf die Nerven. Ganz sicher wird er ihm nicht helfen, wie sehe das denn auch aus? Aber vor der Tür hocken lassen will er ihn auch nicht, dann wird er bestimmt wieder anfangen zu lärmen. Yasu könnte ihn aber auch zu sich in die Wache holen und ihn in die Ausnüchterungszelle stecken, wie er es schon einmal gemacht hat. Doch diese Erfahrung war für sie beide nicht sonderlich angenehm, erst recht nicht, wenn er dann wieder nüchtern und angriffslustig ist.
 

Mit erhobener Augenbraue betrachtet er sein Gegenüber und versucht sich halbherzig für das geringste Übel zu entscheiden. Es fällt ihm wirklich schwer, doch dann bemerkt er im Augenwinkel eine Bewegung, die ihn ganz sicher aus dieser misslichen Lage befreien wird. „Spar dir das Rumgeschleiche, Kid! Ich habe dich schon längst gesehen. Also komm her und mach die nützlich!“, teilt er dem überraschten Jungen mit, der sich versucht hat unbemerkt dem Dorf zu nähern. Ertappt zuckt Gladio zusammen und fragt sich nicht zum ersten Mal, warum er ausgerechnet mitten in der Nacht hierherkommen musste. Die Antwort ist eigentlich ganz einfach: Er wollte nicht gesehen werden. Schon gar nicht von den Rüpeln, die ihn immer ärgern, weil sie ihn nicht leiden können. Er wollte sich in die Villa schleichen, sich irgendwo verstecken und dann bei der nächsten Gelegenheit mit Bromley reden. Doch das kann er jetzt wohl vergessen.
 

Unwillig wendet er sich Yasu zu und entdeckt auch den Weißhaarigen. Verwundert kommt er näher. „Was willst du, alter Mann? Ich habe keine Zeit für deinen Unsinn.“, gibt er kurz angebunden von sich. Langsam schlägt Bromley wieder die Augen auf. „Hey, Kiddo!“, flötet der Käfer-Trainer und grinst wie ein kleines Kind übers ganze Gesicht. Augenblicklich wird dem Blonden klar, dass sein ungewollter Boss betrunken ist und er tritt wieder einen Schritt zurück. In diesem Zustand kann er sehr anhänglich werden und darauf hat der Junge absolut keine Lust. Das letzte Mal hat ihm da definitiv gereicht. „Ganz einfach. Ich will, dass du diesen Trottel zurück nach Po’u bringst, damit er mir hier nicht auf die Türschwelle kotzt.“, erläutert Yasu nun wenig begeistert.
 

„Das kannst du ganz schnell wieder vergessen! Mach es doch selber!“, gibt Gladio verstimmt von sich und dreht sich mit verschränkten Armen von den beiden weg. „Wenn du meinst. Ich kann euch beide natürlich auch wieder in die Ausnüchterungszelle sperren, wenn dir das lieber ist?“, hält der ehemalige Polizist dagegen. Erschrocken wendet sich der Blonde wieder um. „Du bluffst doch nur!“ „Denkst du das wirklich? Du weißt, dass ich das kann!“, hält Yasu dagegen und unweigerlich erinnert sich Gladio an das letzte Mal. Es war eine ganz ähnliche Situation, nur, dass die beiden sich schon vorher begegnet sind und eher einen unfreiwilligen Zwischenstopp bei dem Alten eingelegt haben. Dann ging alles ganz schnell und nach einem kurzen, aber sehr unschönen Streit mit dem Grauhaarigen fand er sich mit Bromley zusammen in der engen Zelle wieder. Es war der reinste Horror nicht wegzukönnen und Bromley’s perfidem Unsinn ausgeliefert zu sein. Yasu hat sich nur über ihn lustig gemacht und Gladio hat die ganze Nacht kein Auge zugemacht.
 

Nein, so etwas braucht er nicht noch einmal, nun wirklich nicht! Yasu mag zwar alt und lustlos sein, doch er ist immer noch erschreckend schnell und kräftig, wenn es sein muss. Einmal Polizist, immer Polizist, wie es so schön heißt. „Und, wenn ich mich trotzdem weigere?“, setzt der Blonde zu einem letzten, verzweifelten Versuch an. „Oh, dann könnte ich dich auch in Gewahrsam nehmen und dich zurück zu deiner Mutter nach Æther bringen. Die sucht nämlich schon eine Weile nach dir.“, erwidert Yasu mit einem fast schon durchtriebenen Grinsen. Gladio entgleiten alle Gesichtszüge. „Das würdest du nicht wagen!“ Das wäre ja noch schlimmer, als die Nacht mit Bromley in einer Zelle eingesperrt zu werden. Nach allem, was er getan hat und wie sehr ihr Wahnsinn inzwischen fortgeschritten ist, wäre das ganz sicher sein Ende, von seinem entwendeten Pokémon ganz zu schweigen!
 

„Du könntest dich natürlich auch dazu entscheiden diesen Spinner wieder nach Po’u zu bringen. Dann haben wir alle etwas davon, meinst du nicht?“ Eine ganze Weile steht Gladio einfach nur da und starrt den Inselkönig schweigend an. Schließlich lässt er resignierend die Schultern hängen. „Schon gut, du hast gewonnen! Aber kein Wort zu meiner Mutter, verstanden?“, kommt es nachdrücklich von dem Jungen. „Du hast mein Wort, Kid. Aber vielleicht sollest du dir trotzdem überlegen, ob das hier das Richtige für dich ist? Versau dir nicht deine ganze Zukunft. Du...“ „Ach, sei doch endlich still! Auf deine Ratschläge kann ich gut verzichten! Also geh wieder rein und lass mich in Ruhe!“, giftet der Blonde ungehalten zurück und wirkt dabei wie ein trotziges Kind. Yasu zuckt nur gleichgültig mit den Schultern und stößt Bromley wieder mit dem Fuß an. „Hey, Schlafmütze, dein Chauffeur ist da!“
 

Grummelnd öffnet der Weißhaarige wieder die Augen und versucht nach ihm zu schlagen, was ihm aber nicht gelingt. „Lass den Scheiß und geh ‘n paar Muschis streicheln, Alter!“, schnauzt er den ehemaligen Polizisten ungehalten an. Dieser verzieht für einen Moment verstimmt das Gesicht, fängt sich aber schnell wieder. Immerhin will er diesem unverschämten Spinner keine weitere Steilvorlage für noch mehr Unflätigkeiten liefern. Stattdessen blickt er zu Gladio hinüber, um diesen an seine Aufgabe zu erinnern. Der Blonde sieht jedoch etwas beschämt aus. Seine leicht geröteten Wangen verraten dem Ältesten, dass er scheinbar auch die zweifache Bedeutung hinter Bromley’s Worten verstanden hat und dieses Bild nun vehement zu verdrängen versucht. „In fünf Minuten seid ihr weg, oder ihr verbringt die Nacht zusammen in der Zelle!“, wirft Yasu noch in den Raum, dann verzieht er sich nach drinnen und schließt die Tür.
 


 

3
 

Gefühlte zehn Minuten starrt Gladio einfach nur verständnislos die verschlossene Tür an, ehe er ein genervtes Seufzen von sich gibt und zu Bromley sieht. Dieser scheint sehr froh darüber zu sein, dass Yasu endlich weg ist und lächelt den Blonden daher versonnen in seiner Trunkenheit an, wie ein glückliches Lamm auf der Weide. Innerlich muss sich der junge Trainer eine Ohrfeige verpassen, dass er jetzt keinen schnippischen Kommentar von sich gibt, der die Laune des Älteren zerstören könnte. Zusätzlich beißt er sich kräftig auf die Unterlippe – das ist heute einfach nicht sein Tag...
 

Etwas ruppig legt sich Gladio Bromley’s Arm um die Schulter, damit er ihm aufhelfen kann, doch das ist leichter gesagt, als getan. Der Käfer-Trainer ist erheblich größer, als er und schwerer selbstverständlich auch. „Komm schon! Es wird Zeit zu gehen.“, teilt der Blonde ihm mit wenig Geduld mit. Zuerst scheint der Weißhaarige jedoch so gar nicht zu verstehen, was der andere bezwecken will und versucht ihn stattdessen zu sich zu ziehen. „Verdammt, lass den Mist und steh endlich auf!“, faucht der Blonde ihn schließlich an und setzt zu einem letzten Versuch an. Und tatsächlich erhebt sich der junge Mann. Doch durch den Alkoholeinfluss schwankt er stark, sodass Gladio gerade noch verhindern kann, dass er wieder umfällt.
 

Schwer stützt sich der Größere auf ihn und scheint das alles dennoch ziemlich lustig zu finden. Sinnlos kichert er vor sich hin und brabbelt irgendetwas Unverständliches, was der junge Trainer nur augenrollend über sich ergehen lässt. Nach ein paar weiteren Versuchen setzen sich die beiden dann endlich in Bewegung und nähern sich langsam und bedächtig den Mauern des Dorfes. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis sie das Tor erreichen und zwei weitere, bevor sie schlussendlich vor der Villa stehen. Das Ziel – Bromley’s Zimmer – ist allerdings noch ein ganzes Stück entfernt. In dieser Zeit hat der junge Trainer aber zumindest genug Gelegenheit zum Nachdenken. Es wäre auf jeden Fall eine gute Idee nicht mehr nachts hierher zu kommen, nur um den Gehässigkeiten dieser hirnlosen Rüpel aus dem Weg zu gehen.
 

Heute wird er eh kein Gespräch mehr mit Bromley zustande bringen, also wäre es klug, selbst ins Bett zu gehen, darüber zu schlafen und dann zu sehen, ob es morgen besser passt. Wahrscheinlich wäre es auch eine ganz gute Idee, dem Käfer-Trainer dabei zu eröffnen, dass er nicht mehr Teil dieser verrückten Truppe sein will. Sich von ihnen lösen und lieber zusehen, dass er seine Mutter wieder auf den rechten Pfad bekommt, bevor alles zu spät ist. Vielleicht sollte er sich dafür sogar Sun und seinen Freunden anschließen? Doch nach allem, was gewesen ist, ist sich Gladio nicht sicher, ob sie seine Hilfe annehmen würden. Immerhin hat er Sun das Vorankommen genauso erschwert, wie Team Skull und zudem seine Schwester ganz allein bei Samantha zurückgelassen, um dem misshandelten Pokémon, das er seiner Mutter gestohlen hat, wieder einen Lebenssinn zu geben. Lilly hat Furchtbares durchmachen müssen, ehe ihr selbst die Flucht mit dem anderen Pokémon ihrer Mutter gelungen ist. Sie irrte so lange schutzlos umher, bis sie endlich Hilfe fand, da ist es fraglich, ob sie ihm überhaupt noch trauen oder verzeihen kann.
 

Seufzend öffnet er die Tür der Villa und befördert Bromley ins Trockne. Ja, eine Nacht darüber zu schlafen und sich dann von Team Skull zu trennen, ist wirklich eine gute Idee. Er muss vorher nur noch diese Aufgabe hier erfüllen. Doch der Weißhaarige macht es ihm absolut nicht leicht. Kaum, dass sie die Villa betreten haben, wird er munterer. Er kann zwar kaum geradeaus gehen, geschweige denn dies allein tun, dafür drängt er Gladio aber vom Weg ab und so kommt es, dass sie schließlich vor Frans Zimmer Halt machen, anstatt zu Bromley’s weiterzugehen.
 


 

4
 

Schwer seufzend dreht sich die junge Frau von einer Seite auf die andere. Mürrisch wirft sie einen Blick auf ihren Wecker. Es ist inzwischen zwei Uhr morgens und sie hat noch nicht mal eine Minute geschlafen. Verstimmt setzt sie sich schließlich auf und schaltet die Lampe auf ihrem Nachttisch ein. Sie zieht die Knie an und bettet ihren Kopf darauf, umschlingt die Beine mit ihren Armen. Mit leeren Augen starrt sie die Wand gegenüber an. Ihre Gefühle gleichen einem hektischen Chaos, das sie einfach nicht kontrollieren kann. Als Fran vorhin mit ansehen musste, wie sich Bromley beinahe vor den Augen aller die Pulsadern mit einer zerbrochenen Bierflasche aufgeschnitten hätte, da ist etwas in ihr beinahe gestorben. Sie versteht gar nicht, warum sie sich deswegen so mies fühlt. Der Käfer-Trainer ist nichts weiter, als ein riesiger, dummer Trottel und das wird sich wohl auch niemals ändern.
 

Außerdem verkehrt er mit dieser widerlichen Samantha. Warum also sorgt sie sich so sehr um ihn und wird seinetwegen ständig an ihren verstorbenen Bruder erinnert? Sie will nicht immerzu daran denken müssen, was sie so tragisch verloren hat. Fran könnte ihm nie im Leben dieselbe Liebe entgegenbringen, die sie für ihren Bruder empfunden hat. Dafür ist er einfach zu – zu – ja, zu was eigentlich? Zu dumm? Zu groß? Zu stark? Zu vorlaut? Fran findet keine Antwort. Könnte es nicht aber sein, dass sie gar nicht dieselbe Liebe für ihn empfinden kann, weil sie eine andere Liebe für ihn hegt? Oh nein! Das will sie sich noch viel weniger vorstellen. Was soll sie denn bitte auch mit einem so hirnlosen, machohaften Arschloch anfangen? Das ist so gar nicht die Art von Partner, die sie sich vorstellen mag.
 

Ihre Mutter hat früher immer gesagt, dass Fran ein braves Mädchen sein soll, dann bekomme sie auch einen guten Ehemann und das sei das Wichtigste im Leben. Die Pinkhaarige war damals noch zu klein, um zu begreifen, dass das ganz sicher nicht das Wichtigste im Leben ist. Aber damals war auch noch alles in Ordnung und ihre Welt heil und farbenfroh. Doch mit dem Tod ihres Bruders ist alles anders geworden. Sie verlor die Zuneigung ihrer Eltern und jegliches Interesse an einfach allem. Sie wollte sich nicht mehr von solchen Gefühlen kontrollieren lassen, um nicht wieder so verletzt zu werden. Von daher wurde sie stark, rebellisch und abgehärtet, um sich in dieser männerdominierten Welt behaupten zu können. Ihr Herz wurde sogar unempfänglich für das männliche Geschlecht. Sie hatte gehofft, wenn sie sich auf ein Mädchen einlassen würde und damit die Kontrolle bekäme, würde alles anders werden, einfacher...
 

Doch dem war nicht so und sie wurde nur wieder verletzt. Ihre Mutter hat das Ganze ziemlich gut mitbekommen und einen letzten, eher makaberen Versuch unternommen, sie auf ein Leben als liebende Ehefrau und Mutter vorzubereiten. Frans Mutter war stets eine zurückhaltende, liebenswürdige Frau, die niemals laut geworden ist und schon gar keine Kraftausdrücke oder dergleichen benutzt hat. Daher schockierte es Fran schon ziemlich, als sie ihr dies sagte. „Franziska, mein Kind. Das Wichtigste im Leben ist ein guter Ehemann! Strak und ausdauernd sollte er sein und durchsetzungsfähig. Doch damit er gut zu dir ist, musst du ihm auch eine gute Ehefrau sein! Und das geht nur, wenn du ihn jeden Tag, wenn er erschöpft von der Arbeit heimkommt, mit heißem Essen, kaltem Bier und weit gespreizten Beinen empfängst! Also verliere keine Zeit und finde ihn, solange du jung und er scharf auf dich ist!“
 

Bei diesen Worten sind Fran alle Gesichtszüge entglitten, doch für ihre Mutter war das Thema damit ein für alle Mal abgeschlossen. Bis heute fragt sich die Pinkhaarige allerdings, warum sie selbst diesen Worten nicht gefolgt ist. Ihre Mutter war zwar eine wunderbare Köchin, doch bei ihnen Zuhause gab es keinen Alkohol. Ihr Vater hat nie einen Tropfen getrunken und war auch alles andere, als ein Vorzeige-Mann. Dürr, schlaksig, klein, schüchtern und wortkarg. Er ist nie laut geworden oder hat eines seiner Kinder bestraft, geschweige denn sich mit irgendjemand anderem angelegt. Ihre Eltern waren immer nett zueinander, doch zu mehr als einem Begrüßungs- oder Gutenachtkuss kam es zwischen ihnen nicht. Sie hatten lediglich Sex miteinander, um einen Stammhalter zu produzieren und als Frans kleiner Bruder geboren war, war diese Aufgabe damit erfüllt. Daher fragt sich Fran schon, warum dann ausgerechnet sie ihren zukünftigen Mann so umsorgen soll.
 

Hinzu kommt auch noch, dass Bromley weit besser kochen kann, als sie und auch sonst wahrscheinlich viel besser in das Idealbild einer Ehefrau passen würde, wie ihre Mutter es sich von Fran gewünscht hat. Hat sicher auch etwas damit zu tun, dass der Weißhaarige immerhin schon mal eine lange, feste Beziehung hatte, in der er die Rolle des Hausmannes eingenommen hat, gleichzeitig aber dennoch der Dominante sein konnte. Doch das wäre nichts für Fran. Sie kann zwar ein bisschen kochen und hat keine Probleme damit, einen Haushalt zu führen, aber auf so eine weibliche, niedere Rolle hinunter reduziert werden, die ihrem Göttergatten dient und seien Gelüsten nach Belieben zur Verfügung steht, ohne ein Wort zu sagen, will sie beim besten Willen nicht. Bromley würde ihr da aber vermutlich gar keine andere Wahl lassen, mit seinem machohaften, überheblichen Getue und das, obwohl er jeden Tag für das ganze Team in der Küche steht. Andererseits kuscht er ja auch vor Samantha. Fran ist jedoch bei weitem nicht so durchsetzungsfähig, wie die Blondine und so fies will sie auch gar nicht sein, schon gar nicht zu jemandem, den sie lieben soll.
 

Eine echte Zwickmühle. Dennoch sind da Gefühle für diesen Spinner, die sie nicht ignorieren kann, auch, wenn es vielleicht keine richtige Liebe ist – ganz sicher aber weit mehr Liebe, als Samantha ihm zuteil werden lässt. Fragt sich nur, ob der Käfer-Trainer sie auch liebt? Er hat es zwar beim letzten Mal gesagt, als er betrunken in ihr Zimmer kam, aber das ist auch alles. Nüchtern bringt er solche Worte ihr gegenüber nicht zustande, weshalb sie nicht einschätzen kann, wie viel Wahrheit darin liegt. In jedem Fall tut es weh, sie zu hören, wenn er betrunken ist. Erst recht, da sie sonst das Gefühl hat, dass er sie nicht sonderlich gut leiden mag, weil sie immer wieder versucht ihn und seine Methoden in Frage zu stellen. Tief seufzt sie in sich hinein und schließt die Augen. Eine einzelne Träne rinnt ihre Wange hinab und fällt ungesehen auf das Bettlaken.
 

Wie sehr wünscht sie sich doch manchmal, sie könnte sich von alldem lossagen und verschwinden. Doch, wo soll sie schon hin? Was soll sie machen, so ganz ohne Perspektive und dem schlechten Ruf, der ihr jetzt anhaftet? Tief in ihre Gedanken vergraben, versucht sie eine Lösung zu finden, als sie auf einmal Stimmen vor ihrer Tür wahrnimmt. „Nein! Das ist der falsche Weg! Nun komm endlich!“ Das war eindeutig Gladios Stimme. Doch, was treibt er so spät nachts hier? Es klingt aber so, als wäre er nicht allein. Fragend betrachtet Fran die Tür einen Moment und überlegt, ob sie aufstehen und nachsehen soll. Allerdings wird ihr diese Entscheidung schon kurz darauf abgenommen. Ruckartig öffnet sich die Tür und knallt dabei fast gegen die Wand.
 

„Was soll der Scheiß, verdammt?“, blafft der Blonde weiterhin. Sein Begleiter scheint darauf keine Antwort zu haben, weigert sich aber vehement, sich von ihm woanders hinbringen zu lassen. Stattdessen taumelt Bromley gegen die Türzarge und grinst dümmlich vor sich hin. „Das würde ich auch gern wissen!“, wirft Fran schließlich ein und erlangt so die Aufmerksamkeit der beiden Jungs. Gladio schreckt überrascht zusammen und blickt zu ihr hinüber. Eine Sekunde später wendet er den Blick aber mit hoch rotem Kopf wieder ab. Die Pinkhaarige hat sich beim Ertönen der Stimmen vor der Tür, an den Rand ihres Bettes begeben und war schon im Begriff aufzustehen. Wie bei Bromley’s letztem, nächtlichen Besuch, trägt sie aber nur wieder Unterwäsche und das scheint Gladio mächtig aus der Fassung zu bringen.
 

Der Käfer-Trainer stört sich daran gewohnheitsgemäß natürlich nicht, falls er es überhaupt richtig wahrnimmt. Stattdessen grinst er sie breit an. „Hey, Franny!“, flötet er und schwankt sichtlich in der Tür. „Da siehst du, was du angerichtet hast!“, grummelt Gladio ungehalten und versucht zu verschwinden, weil er damit nichts mehr zu tun haben will. Soll Fran doch sehen, wie sie ihn in sein Zimmer bekommt. Aber Bromley lässt ihn nicht gehen. Dafür klemmt er ihn zwischen sich und der Türzarge ein und kommt ihm damit absichtlich viel zu nahe. „Wohin so schnell, Kleiner?“, raunt er dem sichtlich überforderten Jungen zu. „Weg von dir!“, kommt auch prompt die Antwort und der Blonde versucht ihn von sich zu schieben. Es gelingt ihm jedoch nicht, stattdessen packt der Größere ihn am Kinn, sodass er ihn ansehen muss.
 

„Warum so zickig?“, haucht er dem Blonden entgegen und sieht ihm tief und erstaunlich nachdrücklich in die Augen. Die Wangen des Jüngeren färben sie wieder tiefrot vor Scham. „Ist das nicht offensichtlich? Nimm deine dreckigen Hände von mir!“ Gladio versucht überlegen zu klingen, doch Fran kann ganz deutlich die aufkeimende Flucht in seiner Stimme hören. Sie fragt sich, was gerade im Kopf des Blonden vor sich geht; was er sich vorstellt, das Bromley als Nächstes tun könnte. Seinem erschrockenen Blick nach zu urteilen befürchtet er das Schlimmste, doch das würde der Weißhaarige ganz sicher nicht tun. Nicht, wenn er betrunken ist. Wenn er allerdings nicht er selbst ist, würde sie für nichts garantieren; hat sie doch die Geschichte des aufreibenden Starts der vier Rüpel mit Bromley damals gehört.
 

„Du bist gemein...“, lässt Bromley beinahe traurig verlauten und lehnt sich dann gegen die andere Seite der Türzarge. Somit ist Gladio wieder frei und denkt nur noch daran das Weite zu suchen. „Na und? Such dir einen anderen, wenn du es so nötig hast!“, gibt er angewidert zurück, wirft Fran einen verärgerten Blick zu, da er wohl gehofft hatte, sie würde ihm helfen, und verschwindet dann endgültig. Bromley sieht ihm nach, wie ein Hund, der seinem Herrchen nicht folgen darf und gezwungen ist, allein zu bleiben. „Was hatter denn?“, fragt er Fran schließlich kaum noch verständlich. Diese seufzt tief. „Keine Ahnung. Er ist eben schwierig...“, meint sie knapp und zuckt gleichgültig mit den Schultern.
 


 

5
 

Nachdem Gladio abgezogen ist, kehrt wieder etwas mehr Ruhe in die Villa ein. Dennoch lässt es sich Fran nicht nehmen, dies auch zu überprüfen. Langsam steht sie auf, geht zu Bromley an die Tür und linst auf den Flur hinaus. Niemand ist zu sehen. „Was machsten da?“, fragt sie der Weißhaarige. „Pst!“, kommt es nachdrücklich von ihr und sie strengt sich an, etwas in dem großen Gebäude zu hören. Kindlich schlägt sich der Käfer-Trainer die Hände vor den Mund und versucht ein Kichern zu unterdrücken. Die Pinkhaarige braucht in diesem Moment ihre ganze Selbstbeherrschung, um ihrem Boss nicht eine reinzuhauen. Unbewusst erinnert er sie nämlich wieder an ihren kleinen Bruder. Nicht selten wollte dieser bei seiner Schwester übernachten, wenn er einen Alptraum hatte oder sich allein fühlte. Dann stand Fran auch immer in ihrer Zimmertür und hat versucht herauszufinden, ob ihre Eltern bemerkt haben, dass der Junge nicht mehr in seinem Zimmer ist. Dabei hat er sich auch immer versucht das Kichern zu verkneifen, da er es für etwas ganz Tolles hielt, ihre Eltern an der Nase herumzuführen, auch wenn Fran später raus fand, dass sie ganz genau Bescheid wussten und somit ihre Kinder die Angeschmierten waren.
 

Allerdings versucht die junge Frau diese Gefühle und Erinnerungen vehement hinter sich zu lassen, was aber alles andere als einfach ist. Nach ein paar Augenblicken entscheidet sie sich dafür, dass die Rüpel das Ganze wahrscheinlich gar nicht mitbekommen haben oder es aber ignorieren. Seufzend schiebt sie Bromley schließlich ins Zimmer hinein und schließt die Tür. Wortlos geht sie dann zu ihrem Bett zurück und legt sich mit dem Gesicht zur Wand hinein, als wäre damit alles erledigt. Sie will nur noch schlafen und diesen beschissenen Tag vergessen.
 

Es dauert aber nur wenige Augenblicke, dann senkt sich die Matratze neben ihr hinab und ein großer, warmer Körper schmiegt sich an sie. Die kräftigen Arme des Weißhaarigen schlingen sich um ihren Bauch und ziehen Fran noch etwas dichter zu sich. Hin und her gerissen zwischen ihren Gefühlen lässt sie ihn einfach gewähren, auch, wenn sie das überhaupt nicht will. Sie will nur allein sein und niemanden sehen, am allerwenigsten Bromley. Doch sie weiß sehr gut, dass ihr das nicht gelingen wird – zumindest nicht, ohne die ganze Villa aufzuwecken und wohlmöglich einen Riesenstreit anzuzetteln, den sie noch weit weniger haben will, als den jungen Mann neben sich. Also verharrt sie einfach still und genießt die seltsam beruhigende Wärme, die von ihm ausgeht.
 

„Wa‘ echt große Scheiße heut‘, nich‘?“, kommt es plötzlich von Bromley. In der eingetretenen Stille wirkt seine Stimme viel zu laut und sie kann deutlich den Alkohol in seinem Atem riechen. „Ja, sehr große Scheiße und du stinkst wie ein ganzer Schnapsladen!“, gibt sie angesäuert zurück. Der Ältere kichert wieder dümmlich vor sich hin, als hätte Fran einen Witz gemacht. Dann nimmt er jedoch den Kopf von ihrer Schulter und drückt sein Gesicht stattdessen in ihren Nacken, wühlt sich regelrecht in ihre langen Haare hinein. Er kichert wieder und auch Fran beginnt leicht zu grinsen, kitzelt er sie doch unabsichtlich am Hals. Einen Moment später scheint er eine gute Position gefunden zu haben und liegt wieder still, sodass ihr das Lächeln wieder vergeht. Kurz herrscht Schweigen und sie denkt schon, er sei nun eingeschlafen.
 

„Die blöde Hexe wird sicher sauer sein...“, meldet sich der Käfer-Trainer dann wieder zu Wort. Obwohl Bromley Samantha noch nie so bezeichnet hat, weiß Frau sofort, wen er damit meint. Innerlich freut sie sich darüber, dass er so abfällig von ihr spricht, äußerlich regt sich jedoch nichts, da sie weiß, dass er schon bald wieder zu ihr gekrochen kommt, wie ein Schoßhündchen und sie um Vergebung für seinen Fehlschlag anbetteln wird. Ganz sicher wird sie ihm auch verzeihen und ihn anschließend in ihr Bett locken, damit er sich in Sicherheit gewiegt fühlt und ihr auch weiterhin brav hinterher schwänzelt. Voller Tatendrang zu ihr gelaufen kommt, sobald sie mit den Fingern schnipst. Dann ist wieder alles vergessen, was er Fran gesagt hat und wie schön es vielleicht auch für ihn war, neben ihr zu liegen, sie in den Armen zu halten, als gäbe es nur sie, sie allein und seine Worte entsprächen der Wahrheit. Oh, wie gern würde sie glauben, dass seine Worte wahr wären. Doch das kann sie sich nicht eingestehen, nicht, solange es Samantha gibt.
 

„Vermutlich...“, entgegnet sie ihm daher trocken. Er lässt erneut sein dümmliches Kichern hören und schweigt dann wieder. Fran glaubt aber nicht, dass es diesmal halten wird und sie behält auch recht damit. „Sie wird mir bestimmt ganz schlimm den Hintern versohlen!“, gibt er einen Moment später ausgelassen lachend von sich. Die Pinkhaarige kann jedoch etwas Anrüchiges in seinen Worten hören, ganz so, als würde ihn der Gedanke erregen, von der herrischen Blondine den Hintern versohlt zu bekommen. Fran weiß nicht, wieso, aber sie würde es ihm zutrauen. Schon allein bei der Vorstellung läuft ihr aber ein eisiger Schauer den Rücken hinab. „Wahrscheinlich...“, gibt sie schließlich zurück, nachdem sie sich wieder etwas gefangen hat. Das bringt ihn nur wieder zum Kichern.
 

Das folgende Schweigen dauert so lange, dass die Gift-Trainerin schon die Hoffnung hat, dass Bromley nun wirklich eingeschlafen ist. Doch sie wird enttäuscht. „Ich lieb‘ dich, Fran...!“, haucht er ihr entgegen. In seiner Stimme ist kein Kichern mehr zu hören, auch nicht die Anrüchigkeiten von eben. Stattdessen klingt sie vollkommen ernst und sanft. So sanft, dass sie einen Moment sogar zweifelt, dass die Worte wirklich von dem aufbrausenden, jungen Mann hinter ihr stammen. Es schockiert sie fast, wie schnell seine Stimmung umgeschlagen zu seien scheint, sodass sie ihm nichts erwidern kann. Das scheint ihn aber nicht zu stören. Dafür zieht er sie noch fester in seine Arme und schmiegt sich enger an sie.
 

„Ich lieb‘ dich so sehr, Fran...“, wiederholt er noch einmal und drückt ihr seinen zarten Kuss auf die nackte Schulter. Ungewollt erzittert sie unter dieser unerwarteten Berührung und spürt, wie augenblicklich Tränen in ihr aussteigen. Fran ist heilfroh, dass sie mit dem Gesicht zur Wand liegt. „Sei – sei einfach still und halt mich fest, du Trottel!“, platzt es schließlich etwas ungehalten aus ihr heraus und sie schluckt ihre Tränen schmerzhaft herunter. „Is‘ gut...“, meint Bromley entschuldigend und kurz darauf merkt sie, dass er nun endlich eingeschlafen ist. Ihr selbst bleibt die Ruhe noch eine ganze Weile verwehrt, doch irgendwann gewinnt die Erschöpfung.
 


 

6
 

Würde man in Po’u die Sonne sehen können, so würde sie jetzt schon hoch am Himmel stehen, doch in der Villa herrscht immer noch Stille. Die meisten Rüpel sind zwar schon wach, doch da sie Bromley nicht in seinem Zimmer antreffen können und er auch sonst nirgends zu sehen ist, ergeben sie sich noch ein wenig der gestrigen Niederlage und schmollen vor sich hin. Keiner von ihnen wagt es, in Frans Zimmer zu gehen, ehe die junge Frau sich nicht selbst bei ihnen meldet. So sehen sie auch nicht, dass ihr vermisster Boss bei ihr ist.
 

Die zwei schlafen noch immer dicht an dicht und wirken dabei wie das Liebespaar, das sie niemals waren und auch nie sein werden. Bromley liegt mittlerweile allerdings auf dem Rücken. Die Decke hat er von sich gestrampelt und sein linker Arm liegt unter seinem Kopf verborgen. Den rechten Arm hat er um Frans Schulter gelegt, die mit dem Oberkörper auf seiner Brust ruht. Die Decke liegt nur auf ihren Schenkeln, weshalb die Kälte nun doch langsam in sie hineinkriecht. Noch halb schlafend tastet sie danach und merkt dabei, dass jemand neben ihr liegt. Etwas überfragt öffnet sie die Augen und bemerkt, dass es sich dabei um den Weißhaarigen handelt. Bei seinem ersten, nächtlichen Besuch hatte sie sich dadurch doch ziemlich erschreckt. Jetzt jedoch fällt ihr viel schneller wieder ein, was gewesen ist und es kümmert sie weit weniger. Naja, abgesehen von der Tatsache, dass er ihr abermals gesagt hat, dass er sie liebt. Das nagt doch ziemlich an ihr.
 

Mit einem Seufzen stemmt sie sich etwas hoch, angelt nach der Decke und schmiegt sich dann wieder an ihn. Wie automatisch schließt er sie erneut fest in den Arm und gibt ihr damit ein ungewohnt gutes Gefühl. Eine Weile sieht sie ihn einfach nur schweigend an und versteht beim besten Willen nicht, warum sie sich nicht einfach umdreht und ihn ignoriert. Ist es mit ihren Gefühlen wirklich schon so weit gekommen? Wirklich wahrhaben will sie das nicht, aber irgendwie ist es einfach schön, so da zu liegen und eine Geborgenheit zu spüren, die sie dachte, mit dem Tod ihres Bruders verloren zu haben. Beim Gedanken daran sammeln sich neue Tränen hinter ihren Augen, doch ehe sie an die Oberfläche treten, regt sich der Größere unter ihr.
 

Er gibt ein belegtes Schmatzen von sich, gefolgt von einem schmerzlichen Stöhnen. Die Hand, die unter seinem Kopf lag, kommt nun hervor und beginnt damit seine pochende Schläfe zu massieren, während er nahezu vergeblich versucht, die Augen zu öffnen. Mit einer Mischung aus Mitleid, Schadenfreude und Kummer betrachtet die junge Frau das Ganze. Deutlich kann sie seinen Herzschlag pochen hören, der etwas seltsam Beruhigendes auf sie hat. Bromley gähnt ausgiebig, rügt sich aber mit einem schmerzlichen Knurren selbst dafür. Diesmal scheinen seine Kopfschmerzen weit schlimmer zu sein, als beim letzten Mal. Endlich gelingt es ihm halbwegs seine Augen zu öffnen, doch es dauert noch eine ganze Weile, ehe er überhaupt etwas von seiner Umgebung wahrnimmt.
 

Das ändert sich aber, als Fran sich unbewusst etwas bewegt. Ein Ruck geht durch den Käfer-Trainer und er blickt mühevoll an sich herab. „Fran...?“, fragt er irritiert. „Ja?“, erwidert sie ihm und setzt sich nun doch hin. Verständnislos starrt er sie an. „Was machste denn in mei’m Bett?“, will er von ihr wissen. Sie greift nach der Decke, um sich ihm nicht gleich in ihrer Unterwäsche zu präsentieren. „Falls du es nicht bemerkt hast, das ist mein Bett und folglich auch mein Zimmer. Von daher fände ich es überaus erbaulich, wenn du jetzt gehen könntest.“, erläutert sie ihm etwas verstimmt. Bromley hebt nur verwundert eine Augenbraue, sieht sich kurz um und bleibt dann einfach liegen. Er wirkt nachdenklich und sie erinnert sich, dass er bei seinem letzten Besuch sehr in Sorge war ihr wehgetan zu haben, weil er sich nicht mehr erinnern konnte, was er in ihrem Bett zu suchen hatte.
 

Nun allerdings wirkt er nicht sonderlich sorgenvoll, eher verstimmt, fast schon verärgert. „So ‘ne Scheiße!“, gibt er schließlich von sich und setzt sich ungelenk auf. „Was ist?“, fragt Fran. Er blickt sie an und mustert sie regelrecht. „Dieser verfluchte Bengel! – Sag ma‘, haste etwa nichts an?“, verflüchtigt sich seine anfängliche Wut. „Das geht dich ja wohl überhaupt nichts an!“, fährt sie ihn an. „Ach nee? Und warum holste mich dann in dein Bett, wenn’s mich nichts angeht?“ Fran entgleiten sämtliche Gesichtszüge. „Ich? Du bist doch stockbesoffen in mein Zimmer gekommen und hast dich ohne zu fragen in mein Bett gelegt!“, kontert sie wütend. „Erzähl doch kein‘ Schweiß! Warum sollte ich ‘n so was mach’n, wenn sich’s nich‘ lohnt?“, kommt es hochtrabend von ihm.
 

Frans Empörung nimmt noch deutlich zu. „Was weiß ich denn! Und jetzt verschwinde, bevor ich mich vergesse!“ „Nu zick hier ma‘ nich‘ so rum, ja?“ „Ich zicke so viel ich will und jetzt verschwinde endlich! Geh doch zu deiner heißgeliebten Samantha, wenn dir meine Gegenwahrt so sehr gegen den Strich geht!“, schreit sie ihn nun an. Verärgert verzieht er das Gesicht, doch in seinen Augen liegt etwas, dass unbemerkt seine wahren Gefühle zum Ausdruck bringt. Und er scheint tief getroffen von ihnen Anschuldigungen zu sein, jedoch zu stolz, um es auszusprechen. Ruckartig steigt er aus dem Bett. „Das geht dich ‘n Scheißdreck an, was ich mach‘ und was nich‘, also misch‘ dich nich‘ ein, klar!“, giftet er sie auf dem Weg zur Tür an.
 

„Es interessiert mich auch nicht! Aber, dann komm nicht zu mir und heul dich die halbe Nacht aus, du Arschloch!“, kontert sie. „Bild‘ dir bloß nichts drauf ein, elende Zicke!“, knurrt er ihr zu. Kurz darauf schlägt die Tür lautstark hinter ihm ins Schloss. Minutenlang sieht Fran sie an und weiß weder, was sie denken noch, was sie fühlen soll. Mit diesem Kerl kann man gar keine Beziehung führen, selbst, wenn sie es wollte. Kein Wunder also, dass dieser dämlich Kukui ihn auf die Straße gesetzt hat! Schmollend vergräbt sie sich letztendlich wieder in ihrem Bett und versucht sich selbst daran zu hindern, diesem Trottel auch noch nachzuweinen. Ausnahmsweise gelingt es ihr sogar, dennoch fühlt sie sich schrecklich und hofft, dass es ihm ebenso ergeht.
 


 

7
 

Am Nachmittag regnet es wie fast immer in einer Tour, doch das scheint die Mitglieder von Team Skull nicht zu stören, genauso wenig wie die gestrige, erneute Niederlage gegen diesen Bengel Sun. Stattdessen nutzen sie den schwülwarmen Tag und gehen trotz des stetigen Regens im Pool schwimmen. Es wirkt wie eine völlig spontane und verrückte Idee, da sie ihre Klamotten unter der kleinen Überdachung neben dem Pool achtlos hingeworfen haben. Dennoch scheint ein Plan dahinter zu stecken, da dort auch stapelweise Handtücher liegen, Shampooflaschen und Seife. Lautstark und ausgelassen toben die Jungs und Mädels im erfrischenden Wasser. Die Niederlage, die sie gestern einstecken mussten, scheint in diesem Moment gar nicht zu existieren, der stundelange Trübsal deswegen auch nicht. Es wirkt eher, als würden sie etwas feiern. Das wird noch durch die Tatsache unterstrichen, dass auch Bromley bei der wilden Planscherei mitmischt, anstatt sich seinem höllischen Kater der letzten Nacht zu ergeben.
 

Einzig und allein Fran streift ziellos durch die ausgestorbene Villa und wundert sich über die Stille in dem sonst so vorherrschenden Lärm. Schließlich bemerkt sie, dass die Seitentür offen steht und von dort hört sie auch überschwänglich ihre gesuchten Kollegen. ‚Was für einen Unsinn treiben diese Spinner jetzt schon wieder? Ich dachte, sie wären immer noch mit Schmollen beschäftigt...‘, geht es ihr durch den Kopf, während sie sich der offenen Tür nähert. Als ihr Blick schließlich nach draußen fällt, traut sie ihren Augen kaum. Die ganze Bande von Spinnern, einschließlich dem ach so genialen Oberspinner höchstpersönlich, tobt durch den Pool wie ein paar Vorschüler und das mitten im strömenden Regen! Innerlich schlägt sie sich mit der Hand vor die Stirn. Seit sie hier ist, hat sie dieses Schauspiel schon ein paar Mal beobachtet, doch dabei hat es zumindest nie geregnet. Sie wirken so ausgelassen und fröhlich, dass man sich kaum vorstellen kann, dass der Großteil von ihnen gestern zum wiederholten Male von einem Kind fertiggemacht wurde. Oder ist das etwa so eine Art Verdrängungsmechanismus? Bromley wäre das auf jeden Fall zu zutrauen mit seinem überschwänglichen Ego und seinem lädierten Gehirn.
 

Eigentlich sollte sie auch ganz froh darüber sein, dass sie alle wieder gute Laune zu haben scheinen und zudem alle einmal ein ‚Bad‘ nehmen. Schließlich nehmen es insbesondere die Jungs nicht so genau mit der Hygiene und teilweise riechen sie wie ein Haufen brunftiger Frettchen in der Mittagssonne, aber das ist doch nun wirklich etwas absurd. Bei dem Regen werden sie sich alle noch erkälten. Dass könnte ihr ja auch egal sein, doch die große Schwester in ihr sieht das ganz anders, erst recht, wenn sie dann alle wie die kleinen Kinder unentwegt jammern und eine Show abziehen, als würden sie den sterbenden Schwan versuchen zu inszenieren, bloß, weil sie eine Erkältung haben. Von daher tritt sie hinaus an den Rand des Pools. Im Augenwinkel sieht sie einen Schatten am Boden vorbei huschen. Sekunden später hockt Lady auf der obersten Sprosse der Badeleiter und wedelt fröhlich mit dem flachen Schwänzchen, während Bromley zu ihr hinüberschwimmt.
 

Frans Erscheinen bleibt aber nicht unbemerkt. Ausgelassen jubelnd begrüßt sie ein ungleicher Chor aus Rüpeln. „Hey Sis!“, grölen sie begeistert und wirken dabei, als hätten sie sonst was für Pillen geschluckt. Nun bemerkt auch Bromley, dass sie da ist. „Franny!“, flötet er ihr zu – völlig vergessen scheint ihr Streit von vorhin – und lehnt sich dabei lässig an die Badeleiter. Mit all den Rüpeln um sich herum, mag sie diesen Spitznamen so gar nicht, aber der Weißhaarige sieht es zu gern, wenn sie sich darüber ärgert. Doch sie schweigt. Der Anblick dieser planschenden Möchtegerne ist einfach zu faszinierend und die letzte Nacht zu aufreibend gewesen.
 

Um sich etwas davon abzulenken, besieht sie sich die verrückte Bande. Mädchen wie Jungs tragen nur noch ihre Unterwäsche. Ein seltener Anblick, sie alle demaskiert zu sehen. Auf einmal wirken sie alle so unschuldig, fast kindlich. Selbst der ach so selbstgerechte Anführer wirkt verletzlich, ohne seine dunklen Sachen, die schwere Goldkette, die verrückte Sonnenbrille und die protzige Uhr. Die nassen Strähnen, die ihm ins Gesicht fallen, lassen ihn trotz der gebleichten Haare-, die ihn irgendwie immer älter wirken lassen, als er eigentlich ist,- um Jahre jünger aussehen und sie kann sich gut vorstellen, wie er wohl als Kind ausgesehen haben muss. Ein absolutes Gegenteil zu seinen sonst so zerzausten Haaren, die ihn immer wirken lassen, als wäre er gerade erst aus dem Bett gefallen.
 

Bemüht blendet sie das Ganze aus, denn irgendwie macht sein Anblick sie ganz wuschig. „Was treibt ihr denn hier mitten im Regen? Wollt ihr alle eine Lungenentzündung bekommen?“, blafft sie die anderen stattdessen streng an. Doch die Rüpel denken gar nicht daran, ihr Spielchen zu beenden oder, auch nur schuldbewusst zu wirken. „Siehste doch, wa‘ geh‘n schwimm‘.“, erwidert ihr der Käfer-Trainer. „So ein Blödsinn! Macht, dass ihr da rauskommt!“, entgegnet Fran säuerlich. Sie versucht es zwar inzwischen zu vermeiden, ihm etwas vorschreiben zu wollen, erst recht nach diesem Streit, aber manchmal lässt er ihr einfach keine andere Wahl, auch wenn das dann zumeist in einem erneuten Streit endet. Doch im Moment scheint das seiner guten Laune keinen Abbruch zu tun. Herausfordernd grinst Bromley sie an und lässt Reißlaus auf seine Schulter krabbeln. „Sicher nich‘! Aber komm doch zu uns rein. Das Wasser is‘ voll toll!“ „Ich bin doch nicht verrückt und habe auch keine Lust, krank zu werden.“, gibt sie zurück und verschränkt verärgert die Arme vor der Brust. Ihr Protest wirkt etwas sinnfrei in Anbetracht der Tatsache, dass sie eh im strömenden Regen steht und mittlerweile ziemlich durchnässt ist. „Was haste denn für’n Problem? Sei doch nich‘ immer so negativ!“
 

Bromley´s Blick wirkt so klar, wie schon lange nicht mehr, was ihr erst recht ein ungutes Gefühl verschafft. „Ich habe kein Problem…“, setzt sie an. „Yo, Sis! Haste Angst vor ‘n bisschen Spaß?“, fragt Matt sie kichernd. „Nein, das ist nur nicht witzig!“, versucht sie sich zu verteidigen. Bromley grinst erneut und tuschelt etwas mit Lady auf seiner Schulter. „Das aber schon!“, sagt er schließlich und nur eine Sekunde später sprüht ihr das Käfer-Pokémon Wasser ins Gesicht. Sie versucht noch auszuweichen, doch es ist zu spät. Schlagartig fangen alle Anwesenden an zu lachen. Das war‘s! Frans Geduld ist endgültig am Ende. Dafür ist seltsamerweise aber ihr Spieltrieb geweckt. „Du bist so was von fällig, Bromley!“, wirft sie ihrem Boss entgegen, der sie nur weiterhin frech angrinst. „Na, dann zeig ma‘ waste kannst!“, fordert er sie heraus. Es dauert nur ein paar Augenblicke, dann hat sie sich ihrer Sachen entledigt und springt direkt vor dem Weißhaarigen ins Wasser. Zwischen den beiden obersten Mitgliedern des eigentlich so gefürchteten Team Skull entbrennt eine wilde Wasserschlacht, die auch die anderen wieder zum ausgelassenen Toben animiert. Vergessen ist alles, was vorher gewesen ist und so sehr an ihr nagte.
 


 

8
 

Unbemerkt dessen hat sich Gladio inzwischen Zugang zum Skull-Dorf verschafft, da er ja eigentlich noch ernsthaft mit seinem inoffiziellen Boss reden wollte. Überrascht geht er hinter einer Palme in Deckung und starrt auf das seltsame Treiben im Pool. Er kann kaum glauben, dass es sich hierbei um die sonst so selbstgerechten Gauner handelt, die er schon mehrfach in Aktion gesehen hat und die für gewöhnlich nichts Besseres zu tun haben, als ihn und alle anderen zu Piesacken. Und er begreift noch weniger, wie sie nach dem gestrigen Kampf gegen Sun nun so ausgelassen sein können. Erst recht Bromley, den er gestern Nacht immerhin eigenhändig wieder hierherbringen musste, nachdem er so betrunken vor Yasus Tür randaliert hat. Der Pool wirkt, als hätte man einen Haufen lebender Hummer in kochendes Wasser geworfen und könnte jetzt ihrem verzweifelten Kampf beiwohnen, nicht als Delikatesse zu enden. Es wird gespritzt, gequietscht, geschubst und untergetaucht. Irgendwann geht aber allen die Puste aus und sie atmen einen Moment am Beckenrand durch. Nach einer Weile erhebt Bromley jedoch wieder die Stimme. „So, Ende im Gelände!“, lässt er verlauten und schon kommt wieder Bewegung in die Truppe. Nur Fran weiß damit nichts anzufangen.
 

Überrascht sieht sie mit an, wie sich alle Mitglieder hintereinander zu einer langen Kette aufreihen und schließlich damit beginnen, ihrem Vordermann die Haare zu waschen. Noch während sie dieses groteske Bild versucht in den Kopf zu bekommen, spürt sie jemanden hinter sich. Als sie den Kopf dreht, erblickt sie Bromley, der sich in diesem Augenblick überdeutlich gegen sie drückt. „Nich‘ erschrecken…“, teilt er ihr überflüssigerweise mit und fängt dann an, an ihrem Haarschmuck herum zu fummeln. „Was tust du?“, fragt sie etwas überfordert und versucht ihm auszuweichen. Dann sieht sie Lady mit einer Flasche Shampoo heranschwimmen. Der Käfer-Trainer nimmt sie dankend entgegen und spritzt einen großen Klecks davon auf Frans Kopf, noch während er mit der anderen Hand ihre Zöpfe zu lockern versucht. „Siehste doch.“, sagt er schließlich und legt den Schmuck auf dem gefliesten Rand des Pools ab.
 

Auch in Gladios Augen wirkt das Treiben mehr als verstörend und er entschließt sich, den Rückzug anzutreten, ehe das Ganze wohlmöglich noch mehr ausartet. Es wird sich sicher eine andere Gelegenheit finden, um mit Bromley zu reden oder, vielleicht wäre es doch besser, sich ganz von ihnen fernzuhalten, ohne ein Wort zu sagen? Je länger er mit ihnen zusammenarbeitet,- wenn man das denn so nennen mag-, bekommt er immer mehr das Gefühl, dass es mehr als falsch ist und er versteht auch nicht mehr, wie er sich dazu überhaupt überreden lassen konnte. Kopfschüttelnd durchquert er das schwere Tor, das Po‘u förmlich vom Rest der Welt trennt und verschwindet, nicht ohne zu registrieren, dass Yasu seinen Abgang beobachtet. Der Gesichtsausdruck des Alten ist wie immer eine Art gruselige Maske der Gleichgültigkeit. Doch, wie er da so sitzt, auf einem Stuhl auf der Schwelle der ehemaligen Polizeistation, mit einem seiner Mauzis auf dem Schoß, bedächtig durch dessen graues Fell streichend und mit seinen müden Augen hinter ihm her starrend, wirkt er wie ein Gauner aus einem alten Agentenfilm. Gladio läuft es eiskalt den Rücken hinunter. Mit einem angewiderten Gesichtsausdruck wendet er den Blick von dem Inselkönig ab, schlägt seinen Kragen höher und trollt sich schnellen Schrittes zurück nach Malihe City – wie er hofft, zurück in ein Stück Normalität.
 


 

9
 

Der Weilen bewegt sich die Schlange aus Rüpeln, sodass Sonja vor Fran auftaucht und ihr eine Flasche Shampoo reicht. Auch hinter Bromley gesellt sich jemand dazu und schließt so den Kreis. Noch etwas überfordert beginnt Fran damit, die Haare des Mädchens vor sich zu entwirren, während der sonst so grobschlächtige Boss überraschend sanft dasselbe bei ihr macht. „Was für ein Kindergarten…“, kommentiert die Jüngere das Ganze. „Gar nich‘, das is‘ Teamwork!“, entgegnet der Käfer-Trainer belustigt. Manchmal fragt sich Fran, ob es auch etwas gibt, dass er nicht als Teamwork bezeichnen würde. Aber egal, wie sie es auch dreht und wendet, alle scheinen Gefallen daran zu finden. So wild und angeberisch, wie sie die meiste Zeit über versuchen rüber zu kommen, so verspielt können sie in solch seltenen Momenten sein. Wie ihr Rose ganz am Anfang mal sagte, haben sie alle eine ziemlich bescheidene Vergangenheit, von traumatischen Kindheitserlebnissen ganz zu schweigen. Da ist so ein Blödsinn vielleicht wirklich genau das Richtige, um abschalten zu können und sich etwas von dem entgangenen Spaß zurückzuholen? Oder aber einfach um alles zu verdrängen.
 

Dennoch gibt sie Bromley nur ein Schnauben als Antwort. Dieser lässt nach getaner Arbeit jedoch seine Hände zu ihren Schultern wandern und beginnt sie überraschend sanft zu massieren. Dabei beugt er sich an ihr Ohr heran und sie kann seinen warmen Atem auf der Haut spüren. Ein Schauer gleitet ihren Rücken hinab, doch es hat etwas seltsam Angenehmes. „Und? Wie is‘ es jetz‘?“, haucht er ihr in einer rauen, aber seltsam erotischen Tonlage entgegen. Überrascht zuckt sie leicht zusammen. Diesmal äffen die Rüpel nicht nach, was ihr Boss vormacht, was ihr wieder ein ungutes Gefühl verschafft. Dann jedoch gibt sie ein wohliges Seufzen von sich und lässt sich die Behandlung des sonst so skrupellos wirkenden, jungen Mannes gefallen. In solchen Momenten stellt sie sich gern vor, dass er völlig normal ist, doch das ist niemand hier. Nicht einmal sie selbst. Ihre Gefühle für den schwer einzuschätzenden Weißhaarigen gleichen einer Achterbahnfahrt. Ein stetiges, unkontrollierbares Auf und Ab der Sympathie, ganz im Einklang mit seinem schwankenden Gemütszustand und seiner geistigen Kontrolle. Doch dieser kurze Moment der Zärtlichkeit ist wahrscheinlich das Höchste, was sie erwarten kann, wenn er nicht betrunken ist…
 

Nur zu leicht fällt ihr wieder ein, dass er sich nach seiner gestrigen Niederlage besoffen hat und dann des nachts in ihr Zimmer kam oder, vielmehr von Gladio gebracht wurde, wenn auch nicht absichtlich. Diesmal hat er zwar nicht so viel wirres Zeug geredet, da er schneller eingeschlafen ist, als beim letzten Mal, aber er hat ihr erneut gesagt, dass er sie liebt. Manchmal würde sie ihm das gern glauben, wenn da nicht sein Verhältnis mit Samantha wäre, das sie fast in den Wahnsinn treibt. Und die Tatsache, dass er diese drei Worte scheinbar nur sagen kann, wenn er einen im Tee hat. Dieses Weibsstück raubt ihm auch noch das letzte bisschen seines ohnehin schon lädierten Verstands. Sie ist ihr zwar erst einmal begegnet, doch sie glaubt nicht, dass diese eingebildete Blondine auch nur einen Funken Gefühl für Bromley übrig hat. Wahrscheinlich benutzt sie ihn nur für irgendwelches krankes Zeug, aber er ist zu blind, zu sehr neben sich, um es zu bemerken und, wenn man ihn darauf anspricht, weicht er nur aus oder beschimpft einen als Lügner.
 

Ganz so, wie es vorhin bei ihrem Streit ausgeartet ist. Doch Fran will und kann sich nicht einmischen, sie weiß einfach nicht, wie sie an ihn herankommen soll ohne, dass es einen Riesenkrach gibt, der alles nur noch schlimmer macht und ihn noch mehr in die Arme dieser Verrückten treibt. Stattdessen genießt sie jetzt lieber diesen Moment und hofft, dass ihr etwas einfallen wird, um diese Harpyie von ihm fernzuhalten, bevor sie ihn noch völlig zerstört. Oder ihm zumindest die Augen zu öffnen kann, damit er es selbst erkennt und sich von ihr trennt. Seufzend denkt sie nach, als sie wieder seine Stimme an ihrem Ohr vernimmt. „Sorry, wegen vorhin...“, haucht er ihr warm entgegen und massiert sie weiter. Überrascht weiten sich die Augen der Gift-Trainerin. „Was?“, fragt sie überfordert, ist sie sich doch nicht ganz sicher, ob sie ihn da richtig verstanden hat.
 

„Ich mein‘ unsren Streit vorhin. – Das wa‘ blöd...“, entgegnet er ihr betroffen. Sie ist überrascht, dass er sich daran überhaupt noch erinnert und, dass er sich bei ihr entschuldigt, kam bisher noch nie vor. Bedeutet das vielleicht, dass sich seine betrunkenen Gefühle nun langsam an die Oberfläche kämpfen oder ist er aus anderen Gründen reumütig? Sie kann es nicht sagen, aber sie freut sich doch sehr darüber, dass er sich wenigstens entschuldigen kann. Ein sanftes Lächeln umspielt ihre Lippen für einen Moment. „Ja, das war es. Ist aber nur halb so schlimm und zudem war es mindestens genauso viel meine Schuld.“, erwidert sie ehrlich. Dann schließt sie die Augen und lässt sich weiterhin von ihm massieren, bis es doch allmählich zu kalt wird und alle sauber sind.

Æther is not a Paradise!


 

1
 

Eine Woche ist seither vergangen und Team Skull mehr oder weniger zum normalen Tagesgeschäft übergegangen. Dennoch nagt die Niederlage gegen Sun, der praktisch als Minivariante einer Ein-Mann-Armee über ihr Dorf hergefallen ist, noch immer an ihnen. Allerdings schwingt die Laune der Mitglieder allmählich in Besorgnis um. Samantha ist inzwischen mit den letzten Vorbereitungen fertig und das Eindringen der Ultrabestien in diese Welt steht somit kurz bevor. Daher braucht sie auch jede Unterstützung, die sie kriegen kann. Erst recht, da nun praktisch jeder auf der künstlichen Insel bemerkt hat, dass etwas Großes bevorsteht, das ihrer aller Leben ins Wanken bringen könnte. Æther wirkt förmlich wie ausgestorben. Jeder, der nichts mit den Machenschaften der verrückten Blondine zu tun hat, hat sich irgendwo versteckt oder das Weite gesucht. Nur einige wenige sind geblieben, um alles am Laufen zu halten und sich um die wehrlosen Pokémon in der Schutzzone zu kümmern.
 

Nur eine Hand voll Personal ist ihr selbst geblieben, die ihr voll und ganz vertrauen, zudem Fabian und Pia. Die zurückhaltende Frau steht jedoch nicht wirklich hinter ihrer Präsidentin, lässt sie nur in dem Glauben. Sie sorgt sich sehr um all die Menschen und Pokémon in Alola und will daher versuchen, das Ganze irgendwie zu verhindern. Darum hat sie Sun auch heimlich eine Nachricht zukommen lassen und ihn um Hilfe gebeten. Außerdem weiß sie, dass auch Bromley nicht mehr hundertprozentig hinter Samantha steht; kann es spüren, jedes Mal mehr, wenn er zu ihr gehen muss. Dennoch macht er weiter, in der Hoffnung, einen Weg zu finden, sie wieder in die Realität zurückzubringen. Dies unterstützt Pia sehr und tut ihr Bestes, damit es Team Skull gut ergeht.
 

Während Sun also den weiten Weg zum Æther-Paradies auf sich nimmt, um die Bedrohung, die Pia befürchtet, aufzuhalten, sitzen die Mitglieder von Skull ein letztes Mal voll versammelt zusammen und bereiten sich auf die erneute und wie sie hoffen, letzte Konfrontation mit dem Schwarzhaarigen vor. Alle wirken nervös und angespannt. Besonders Bromley, der weit mehr weiß, als er den anderen anvertrauen mag. Dies aber nicht, weil er fürchtet, dass sie vielleicht doch nicht so sehr hinter ihm stehen, wie sie es ihm immer zeigen, nein, im Gegenteil. Nämlich, weil er sie vor alledem beschützen will, irgendwie zumindest. Es ist nahezu unmöglich sie vor dem Kommenden abzuschotten, da es die gesamte Region betreffen wird, aber zumindest will er ihnen die Möglichkeit geben, aus dem Ganzen heil wieder herauszukommen. Daher werden seine Rüpel auch nur versuchen Sun aufzuhalten, während er selbst in Samanthas Nähe bleibt und versucht, ihre verborgenen Emotionen zu wecken, damit sie von selbst erkennt, dass das alles eine ganz furchtbare Idee war.
 

Er weiß jedoch auch, dass Fran bei alledem nicht mitmachen wird, allein schon, weil die Samantha überhaupt nicht leiden kann. Der Weißhaarige kann das nur zu gut nachvollziehen, weshalb er sie auch zu nichts zwingen will – was eh vergebens wäre, da sie sich nicht wirklich von ihm befehligen lässt. Aus diesem Grund hat er eine andere Aufgabe für sie, die ihr hoffentlich weit mehr Schutz bietet, als dem Rest. So legt er fest, dass Fran mit einer Hand voll Rüpel hier in Po’u die Stellung hält und versucht Informationen ranzuschaffen. Sollten tatsächlich Ultrabestien in diese Welt kommen, ist es von größter Wichtigkeit alles über sie herauszufinden und sie im Auge zu behalten. Bromley wird den Großteil der Rüpel mit nach Æther nehmen, um Samantha dort zu bezwingen.
 

Schweigend lauschen die Jugendlichen den Worten ihres Anführers, der ungewöhnlich ernst und besorgt zugleich wirkt. Die Unsicherheit ist ihm deutlich anzusehen. Er wirkt schon beinahe ängstlich. Und es lastet schwer auf ihm, seine gesamte Truppe heute vielleicht zum letzten Mal zu sehen. Wer weiß schon, was alles passiert, wenn sich eine Ultrapforte öffnet und so ein Wesen hier auftaucht? Wohl möglich ist es das Ende von einfach allem! Seufzend wirft der Käfer-Trainer einen letzten, prüfenden Blick in die Runde. Auf allen Gesichtern sieht er denselben Ausdruck von Sorge, Furcht und Ungewissheit. Nur Fran wirkt gleichgültig und verärgert. Ihr gefällt das alles überhaupt nicht. Dennoch ist sie froh, dass sie nicht mit nach Æther muss – sie könnte nicht dafür garantieren, nicht auf diese Wahnsinnige los zugehen und ihr die Augen auszukratzen.
 

Bromley lässt ein weiteres Seufzen hören, das den anderen nicht sonderlich viel mehr Mut zuspricht. „Ok, Leute. Ihr wisst alle, waser zu tun habt. – Also schwingt die Ärsche! Wa‘ ham nich‘ viel Zeit, ehe der Bengel aufschlägt. Aaron? Bryan? Macht die Yacht klar! Wa‘ legen in fünf Minuten ab!“, gibt er die letzten Anweisungen. Eilig zerstreuen sich die Rüpel und gehen ihren zugeteilten Aufgaben nach, nur Fran bleibt ungerührt stehen und mustert Bromley durchdringend. Langsam tritt er an sie heran und sucht nach ein paar letzten Worten. „Du weißt, dass das der reinste Selbstmord ist?“, kommt ihm die junge Frau jedoch zuvor. Ihre Stimme klingt tadelnd und es ist nicht erkennbar, ob sie sich Sorgen macht. „Weiß ich. – Deswegen mach‘ ich’s ja auch allein, damit ihr ‘ne Chance habt...“, erwidert er kleinlaut, als würde er gerade versuchen sich vor einem Lehrer zu rechtfertigen, der ihn beim Schummeln erwischt hat.
 

„Verstehe. Aber du könntest auch einfach hierbleiben und sie selbst mit allem fertig werden lassen. Wir hauen hier ab, bis die Luft rein ist. Und wohlmöglich scheitert sie schon an der Umsetzung, wenn ihr keiner hilft?“, nun schwingt doch eine Art Flehen in ihren Worten mit, das dem jungen Mann einen Stich ins Herz versetzt. „Ich – ich – das geht nich‘. Ich bin vielleicht der Einzige, der noch zu ihr durchdringen kann, sie aufhalten kann! Ich muss das tun, checkstes? Sie is‘ schon zu weit, um jetz‘ noch umdrehen zu können. Ich kann nur noch Schadensbegrenzung mach’n. Nich‘ für mich, nich‘ ma‘ für Skull, sondern für alle Menschen hier. Ich bin mit schuld an dem ganzen Scheiß und muss das irgendwie wieder gradebiegen...“ Erstaunt sieht Fran ihn an. Sie hat sich ja so einiges vorgestellt, aber ganz sicher nicht, dass er sich selbst die Schuld für vieles davon gibt. Es wirkt, als würde er langsam aus dem herauskommen, was sein Hirn all die Jahre in der Mangel hatte.
 

Ohne auf eine Antwort von ihr zu warten, dreht er sich um und geht. In diesem Moment bricht ihr das Herz und sie fürchtet, ihn nie wiederzusehen. ‚Bleib hier! Ich liebe dich doch, du Trottel!‘, schreit es plötzlich in ihrem Kopf, doch sie kann die Worte einfach nicht aussprechen, nicht jetzt, wo sie ihn endgültig zu verlieren fürchtet. „Komm mir ja in einem Stück wieder zurück, hörst du, du Spinner?“, ruft sie ihm stattdessen hinterher. Kämpft dabei mit den Tränen. Doch er wendet sich nicht noch einmal zu ihr um. Bromley hebt lediglich eine Hand zum Gruß und führt seinen Weg ungetrübt weiter. „Leb‘ wohl, Franny...“, sind die letzten Worte, die sie von ihm hört...
 


 

2
 

Wenige Stunden später ist das Æther-Paradies von Team Skull regelrecht überschwemmt. Überall warten die Rüpel angespannt auf Sun, Tali, Gladio und Lilly. Die beiden Geschwister kennen sich hier besonders gut aus, weshalb Gladio entschieden hat, die Führung bei alledem zu übernehmen. Sun und Tali folgen ihm in einem gewissen Abstand und versuchen dabei Lilly so gut es geht zu beschützen. Die Skull-Rüpel sind jedoch kein bisschen an dem blonden Lümmel interessiert und lassen ihn mehr oder weniger einfach so durch. Verstecken sich praktisch vor ihm, um ihn in Sicherheit zu wiegen und, wenn Sun dann auftaucht, stürzen sie sich ungehalten auf ihn. Tali versucht seinem Freund zwar beizustehen, doch die Teenager drängen ihn oftmals einfach zur Seite oder hindern ihn daran, sich in den Kampf einzumischen.
 

Das erschwert das Vorankommen doch ziemlich und so hat Gladio einen ziemlichen Vorsprung vor den anderen. Dummerweise läuft er Bromley damit direkt in die Arme, der ihn nicht einfach so vorbei lässt. Stattdessen zettelt er einen Kampf mit seinem ehemaligen Mitstreiter an, um ihn ein bisschen dafür zu bestrafen, einfach so wortlos abgehauen zu sein. Als Sun und seine Freunde schließlich endlich bei Samanthas Villa ankommen, ist der Blonde bereits am Boden. Unter dem siegreichen Grinsen des Käfer-Trainers sinkt Gladio ungläubig auf die Knie. „Ich – ich bin kein bisschen stärker geworden! Waren all die Tage, die ich gegen die Einsamkeit angekämpft habe, etwa umsonst?“, rügt sich der junge Trainer selbst und schlägt verzweifelt mit der Faust auf den Stein des Vorplatzes. Besorgt läuft Lilly zu ihm und versucht ihn etwas aufzubauen, während sich Sun dem Weißhaarigen in den Weg stellt. Tali hält sich zurück, da er weiß, dass er keine Chance gegen ihn hat und ihm nicht noch mehr Genugtuung mit seiner Niederlage geben will.
 

Der Skull-Boss beachtet ihn auch gar nicht, hat nur Augen für Sun. „Dem Grünschnabel da hab‘ ich ‘ne Lektion erteilt, die er so schnell nich‘ vergessen wird! Is‘ von zu Haus‘ weggelaufen, weil er unbedingt stärker werden wollt‘. – Ich mocht‘ den Burschen irgendwie, deshalb hab‘ ich ihn für uns arbeiten lass’n. Aber alles hat seine Grenzen. Sich gegen sein eignes Team aufzulehnen, is‘ einfach uncool!“, tadelt er Gladio erst einmal vor allen, sodass nun jeder weiß, dass er mal für Team Skull gearbeitet hat. Entsetzt sieht Lilly ihren Bruder an. „Stimmt das etwa?“, fragt sie vorsichtig, doch der Blonde schweigt und senkt verärgert und beschämt den Blick. Sun betrachtet den anderen Jungen einen Moment. Irgendetwas kam ihm immer komisch an ihm vor, doch die Sorge, die er nun für seine Mutter empfindet und die Tatsache, dass er über seinen eigenen Schatten springt und ihnen hilft, genügen dem Schwarzhaarigen, um Gladio zu vertrauen. Er wird sicher seine Gründe gehabt haben, dass alles getan zu haben und vielleicht ergibt sich nach alledem die Zeit, darüber zu reden und neu anzufangen?
 

„Lenk nicht vom Thema ab! Dafür ist absolut keine Zeit!“, teilt er Bromley daher mit und lässt den Rest unkommentiert. Der Weißhaarige lässt sich davon jedoch nicht aus der Ruhe bringen. „Wenn du’s so ham willst, bitte! Dann biste als Nächster dran! Du bist mir schon länger ‘n Dorn im Auge! Wie ‘ne Klette, die man nich‘ abschütteln kann. Aber heut‘ verpass‘ ich dir ‘nen Dämpfer, verlass dich drauf!“, knurrt der Käfer-Trainer ihm dann entgegen und schickt sein Tectass aufs Feld. Snobilikat kommt auf Suns Seite zum Vorschein und schon beginnt der heftige Schlagabtausch. Der Schwarzhaarige kennt die Taktik seines Gegenübers inzwischen ja ziemlich gut, dennoch kann er nicht verhindern, dass sein Kater von dem Überrumpler des Samurai zu Boden geworfen wird. Allerdings heißt das noch lange nicht, dass er geschlagen ist. Nach ein paar schnellen Finten zieht sich die große Assel dann auch schon zurück und Suns Laune bessert sich.
 

Wie er erwartet hat, schickt der Weißhaarige nun sein Ariados in den Kampf, weshalb Sun sein Snobilikat gegen Fuegro austauscht. Den sandfarbenen Kater hebt er sich auf, falls Tectass später seinem Feuertiger zu sehr zusetzen sollte. Die große Spinne landet einen guten Tiefschlag, doch gegen Fuegros Feuerzahn hält sie nicht lange Stand. ‚Soweit, so gut! Ich habe es fast geschafft!‘, geht es Sun siegessicher durch den Kopf. Doch Bromley wirkt alles andere, als missgünstig. Irgendetwas stimmt da nicht. Anstatt Pote wieder auf das Feld zu schicken, zieht er einen weiteren Pokéball aus der Tasche. Überrascht weiten sich Suns Augen. Scheinbar hat der Käfer-Trainer in der kurzen Zeit seit ihrem letzten Kampf sein Team aufgestockt.
 

Somit steht er vor der Ungewissheit, was sein Gegenüber auffahren und wie lange dieser Kampf noch andauern wird. Der Schwarzhaarige hat zwar auch noch ein Ass im Ärmel, doch das kann er jetzt noch nicht benutzen – das braucht er im Ernstfall für Samantha. Also muss es so gehen. Der Vorteil an dem Ganzen ist, dass Bromley ausschließlich Käfer-Pokémon benutzt und somit in gewissem Maße durchschaubar ist. Dennoch ist das Pinsir, das sich nun manifestiert, ein beeindruckender Anblick. Nicht allein schon deswegen, weil der Hirschkäfer mit den gewaltigen Zangen auf dem Kopf, beinahe genauso groß wie Sun selbst ist. Der große Käfer stößt ein wütendes Fauchen durch die Lamellen vor seiner Mundöffnung aus und schlägt dabei die dornenbesetzten Kneifzangen ruckartig zusammen, sodass ein Geräusch entsteht, das ziemliche Ähnlichkeit mit der Müllpresse hat, die Sun am Stadtrand von Malihe City sehen konnte. Ein eiskalter Schauer läuft seinen Rücken hinab.
 

Ein Knurren von Fuegro holt den jungen Trainer aber wieder in die Wirklichkeit zurück. „Los, Feuerzahn!“ „Durchbruch!“, hält Bromley scharf dagegen. Wie durch ein Wunder gelingt es dem schwerfällig wirkenden Hirschkäfer doch tatsächlich, dem Angriff auszuweichen und selbst zum Schlag auszuholen. Der kräftige Handkantenschlag bringt den Feuertiger ins Wanken, doch er bleckt entschlossen seine flammenden Zähne und greift erneut an. Diesmal sitzt das Ganze und der Hirschkäfer muss schwer einstecken. Er kämpft sich aber wieder hoch und führt nun einen Doppelschlag aus. Dabei trifft er Fuegro gleich zweimal gezielt auf die Nase, was den Zorn des Katers nur noch mehr anfacht. Sein Feuerzahn trifft den Käfer erneut und diesmal steht er nicht wieder auf.
 

Abermals wiegt sich Sun in Sicherheit, doch auch diesmal schickt Bromley seinen treuen Partner nicht wieder in den Kampf. ‚Wie viele kommen denn da noch?‘, geht es dem Jungen zweifelnd durch den Kopf. Die Antwort ist einfach. Jeder Trainer kann maximal sechs Pokémon gleichzeitig bei sich haben. Zählt man Tectass‘ Fähigkeit doppelt, da es ja zweimal in den Ring geschickt werden kann, wären das im schlimmsten Fall sieben Gegner für Sun, der selbst nur zwei Pokémon zur Verfügung hat, da er seinen Trumpf jetzt auf keinen Fall ausspielen will. Er muss sich unbedingt das Überraschungsmoment bewahren! Fuegro sieht zumindest noch ganz fit aus, sodass sich Sun erst einmal noch keine allzu großen Sorgen macht – zumindest solange Bromley keinen Wasser-Typ ins Rennen schickt.
 

Etwas Erleichterung ergreift den Schwarzhaarigen, als sich ein Maskeregen vor ihm manifestiert. Die große Motte wirkt mit ihren weit gefächerten, übergroßen, augenähnlichen Fühlern jedoch ziemlich einschüchternd. Dies scheint aber nicht nur Sun so zu ergehen, sondern auch seinem Feuertiger. Schnell wird dem jungen Trainer bewusst, dass der Käfer die Fähigkeit Bedroher haben muss und somit der Angriff seines Katers geschwächt wird. „So ein Mist...“, schimpft er leise in sich hinein, dennoch hört ihn der Weißhaarige. Grinsend sieht er auf ihn hinab. „Na, machste schon schlapp, Kleiner? Haste etwa gedacht, du kommst mir diesmal wieder so leicht davon? Da haste dich ziemlich geschnitten! Ob du’s glaubst oder nich‘, aber auch ich kann ‘was dazulern‘!“, höhnt der Käfer-Trainer großspurig. „Das denke ich nicht! Sonst würdest du es wohl kaum ständig zulassen, dass deine Käfer von mir gegrillt werden!“, erwidert der Jüngere nachdrücklich.
 

Bromley gibt nur ein wütendes Knurren von sich. „Das is‘ noch nich‘ vorbei, Kleiner! Los, Luftschnitt!“ „Fuegro, Feuerzahn!“, hält der Junge dagegen. Die kunstvoll gefärbte Motte beginnt heftig mit ihren kleinen Flügeln und den großen Fühlern zu flattern. Die aufgewirbelte Luft formt sich zu einer Art Kugel, die der Käfer geschickt auf den Feuertiger zufliegen lässt. Sie trifft den überraschten Kater mitten auf die flammende Schnauze und erstickt das Feuer förmlich im Keim. Fuegro wird zu Boden geworfen, steht aber nach einem Moment wieder auf. „Versuch es noch einmal!“, befiehlt ihm Sun und schon flitzt das Pokémon wieder los. Doch auch Bromley setzt nach „Käfergebrumm!“ Maskeregen schwirrt fix durch die Luft und diesmal erzeugen seine Flügel grün schimmernde Schallwellen, die sich rasant ausbreiten.
 

Dem Tiger gelingt es auszuweichen und seine Zähne in den weichen Körper des Käfers zu rammen. Wild züngeln die Flammen über die zierliche Gestalt, bis es der Motte gelingt sich loszureißen. Sie ist schwer getroffen, dennoch wird noch mindestens ein Angriff nötig sein, ehe sie besiegt ist. „Noch ma‘ Luftschnitt!“, tönt der Weißhaarige ungehalten. Erneut versucht Fuegro dem Ganzen auszuweichen, doch der Angriff ist so präzise und heftig, dass es ihm nicht gelingt. Hart schlägt er auf den Boden auf und schafft es nur sehr schwerlich wieder auf die Füße zu kommen. „Du bist erledigt, Bengel! Käfergebrumm!“, grinst Bromley in sich hinein.
 

Sun erwidert nichts, hofft nur, dass der Kater noch die Kraft für einen letzten Gegenschlag hat. Doch seine Hoffnungen schwinden, als Fuegro frontal von den Schallwellen getroffen wird. Bevor der Kater aber zu Boden geschleudert wird, streckt er den Arm aus, packt Maskeregen an einem seiner Fühler, zieht ihn mit sich und versenkt seine glühenden Zähne in ihm. In einer mächtigen Staubwolke schlagen beiden auf dem Stein auf. Erst nach einem Moment lichtet sich der aufgewirbelte Dreck wieder und das Ende des Kampfes wird ersichtlich. Maskeregen liegt qualmend am Boden und Fuegro steht noch auf wackeligen Pfoten!
 

„Das kann doch nich‘ wa‘ sein!“, entkommt es dem Weißhaarigen aufgebracht, während Sun von einer gewissen Erleichterung erfasst wird. Sie hält aber nur kurz an, dann beginnt er sich zu fragen, ob Bromley noch etwas auffährt, das ihm wirklich gefährlich werden könnte. Fast schon begeistert sieht er mit an, wie der Käfer-Trainer nun Tectass in den Ring schickt. Theoretisch müsste das also der letzte Kampf sein; alles andere würde nicht zur Taktik des Älteren passen. Dennoch glaubt Sun erst an einen Sieg, wenn es wirklich vorbei ist. In diesem Moment schmälern sich aber seine Chancen. Der große Samurai ist noch nicht mal an seinem Platz angekommen, da beginnt Fuegro plötzlich zu schwanken. Der Kater verdreht die Augen, bis nur noch das Weiße zu sehen ist und bricht dann ohnmächtig zusammen.
 

Wie erstarrt halten alle für einen Moment inne. Dann fängt Bromley heftig an zu lachen. Der junge Trainer kann es kaum fassen, dennoch kann er dem Kater gar keinen Vorwurf machen. Er hat sehr gut gekämpft und länger durchgehalten, als nötig. Mit einem ausgiebigen Lob ruft Sun ihn wieder zurück und schickt Snobilikat aufs Feld. Nun muss alles möglichst schnell gehen und das tut es auch. Die Assel stürmt mit ihrem Überrumpler vor und der Kater hält mit seinem Mogelhieb dagegen. Da die Attacke des Vierbeiners schneller ist, trifft sie und lässt das Insekt taumeln. Somit ist dessen Chance vertan. Allerdings bleibt ihm ja noch seine gefährliche Kalkklinge und, wenn sie den angeschlagenen Kater trifft, könnte das das Aus bedeuten. Daher entscheidet sich Sun für die schnellste Lösung: Eine Z-Attacke!
 

Der aufgebrachte Käfer-Trainer versucht ihn noch mit zornigen Worten davon abzuhalten, doch das beeinträchtigt seine antrainierte Konzentration nicht im Geringsten. Nach wenigen Momenten haben er und Snobilikat die Z-Pose vollendet und ihre Gedanken, Gefühle und Wünsche auf einander übertragen. Der Kater erstrahlt in einer hellen, blendenden Aura. Als er ein entschlossenes Fauchen von sich gibt, klingt es, als stünden hundert weitere Katzen hinter ihm und würden mit ihm zusammen brüllen. Dann rennt Snobilikat in einem unglaublichen Tempo los, nur sein Ziel vor Augen. Tectass kann dem Hyper-Sprintangriff nicht ausweichen – es ist schlichtweg unmöglich. Dafür erhält der Samurai einen derart heftigen Treffer, dass er mehrere Meter durch die Luft geschleudert wird und dann fast auf der Schwelle der Villa wieder zu Boden geht.
 

Mit weit aufgerissenen Augen verfolgt Bromley dieses entsetzliche Schauspiel, das ihm ein unglaubliches Gefühl der Machtlosigkeit vermittelt. „Nein...“, haucht er atemlos und sinkt auf die Knie herab. Der Kampf ist vorbei. Sun und seine Freunde brechen in erleichterten Jubel aus und sogar Gladio beglückwünscht ihn. Unbemerkt dessen regt sich eine zornige Stimme in Bromley’s Kopf. ‚Bromley! Was treibst du denn da?‘, harscht sein Vater ihn an. Ein Schreckt jagt durch den Körper des Weißhaarigen und lässt ihn kurz erzittern. Dann sieht er das Bild seines Erzeugers praktisch vor sich, wie er immer näherkommt und dabei mit dem Golfschläger ausholt. ‚Du elender Versager! Wieder von einem Rotzlöffel fertiggemacht! Wie kann man nur so jämmerlich sein?‘ Keine Sekunde später trifft das Dreiereisen sein Ziel und der Käfer-Trainer stößt einen heiseren Schrei aus, als wäre er wirklich geschlagen worden.
 

Stattdessen wiederholt er sein grausiges Mantra. „Bromley! Was treibst du denn da?“, und bekommt so ungewollt die Aufmerksamkeit seiner Widersacher. Erschrocken wendet sich Sun um, hat er das Ganze doch schon zweimal miterleben müssen. Wie ferngesteuert tasten Bromley’s Finger den Untergrund nach etwas ab, womit er sich selbst verletzen kann. Hektisch blickt sich der Schwarzhaarige um, doch kein einziger Rüpel ist auch nur in Sichtweite, falls sie überhaupt noch hier sind. „Wir müssen etwas tun!“, versucht der junge Anwärter seine Begleiter zu motivieren. Allerdings rührt sich keiner von ihnen. Lilly und Tali sind wie angewurzelt. Für sie ist das vollkommen neu, hatten sie doch bisher nicht wirklich etwas mit Bromley zu tun. Erschrocken wenden sie sogar den Blick ab, als der Weißhaarige einen heraus gebrochenen Stein findet und sich damit versucht den Arm aufzuschlitzen.
 

Sun ist schon in Begriff fieberhaft nach einer Lösung zu suchen, da stapft Gladio plötzlich an ihm vorbei. Sein Gesicht ist eine strenge Maske und lässt nicht erkennen, was er denkt oder fühlt, ob ihm dieser Anblick Angst macht oder nicht. „Was – was hast du vor?“, ruft ihm der Schwarzhaarige etwas unsicher hinterher. Der Blonde gibt ein verstimmtes Schnauben von sich. „Was schon? Ihm das verdammte Hirn wieder einrenken! Wenn der Plan unserer Mutter aufgeht, werden noch genug Menschen zu leiden haben, da brauchen wir nicht auch noch einen suizidgefährdeten Verrückten, der frei rumläuft und Befehle von ihr ausführt! “ Entschlossen und ohne das kleinste Zögern nähert er sich dem am Boden hockenden Mann, dem es zum Glück noch nicht gelungen ist, sich selbst zu verletzen. In diesem Moment empfindet Sun so etwas wie Bewunderung für Gladio. Dann jedoch fällt ihm wieder ein, was Bromley gesagt hat. Dass der Blonde für ihn gearbeitet hat. Anscheinend hat er dabei wohl auch mitbekommen, wie der Weißhaarige drauf ist, wenn er verloren hat und weiß demnach auch, was zu tun ist.
 

Vorsichtig folgt Sun ihm. Wer weiß, ob er nicht irgendwann wieder in die Bredouille gerät, gegen Bromley zu kämpfen und dann wohlmöglich keiner in der Nähe ist, der helfen könnte. Doch, wenn er sich das Ganze so besieht, muss er sich dafür noch eine ganze Menge Mut aneignen, die Gladio von Natur aus zu haben scheint. Mit einem einzigen geschickten Griff, nimmt der Blonde dem jungen Mann den Steinsplitter ab und wirft ihn außer Reichweite. Grob anmutend dreht er anschließend Bromley’s Gesicht zu sich herum. „Hör sofort auf mit dem Scheiß!“, faucht er den Älteren regelrecht an und verpasst ihm dann eine saftige Ohrfeige. Ruckartig wird der Kopf des Älteren zur Seite geworfen und Sun zieht scharf die Luft ein. Das hat er nun wirklich nicht erwartet, wo die Rüpel doch immer so sanftmütig mit ihm umgegangen sind. Doch Gladio hat keine Geduld für so etwas, erst recht nicht jetzt. Deutlich zeichnet sich die Hand des Blonden auf der blassen Haut des Skull-Bosses ab, gleich einem frischen Brandmal.
 

Angestrengt holt Sun abermals Luft und bekommt mit, dass es Lilly und Tali da nicht viel besser geht. Er fängt sich jedoch schnell wieder und sieht, wie sehr Gladio sich auf einmal verkrampft. Seine Wangen röten sich, seine Augen glänzen und seine Unterlippe beginnt zu zittern. Verwundert betrachtet der Schwarzhaarige das Ganze. Es wirkt nicht so, als wäre der andere Junge sauer auf Bromley. Nein, eher so, als hätte er Angst und Sorge um ihn und stünde kurz davor in Tränen auszubrechen. Verwunderung regt sich in dem Katzen-Trainer. Als Gladio zu ihm kam, um seine Hilfe anzubieten, hatte Sun das Gefühl, dass er nichts außer Hass und Verachtung für Team Skull und erst recht für Bromley empfindet und nun das. Was soll er davon halten? Ist dort noch etwas anderes, Tiefergehendes?
 

Sun findet auf die Schnelle keine Antwort, aber zumindest scheinen die Bemühungen des Blonden Früchte zu tragen. Angestrengt blinzelt Bromley und kommt wieder zu sich. Es dauert nur einen Augenblick, dann steht er schon wieder auf und blickt herablassen auf Sun hinunter. „Was stimmt nich‘ mit dir?! Warum kann ich dich nich‘ plattmach’n?“, fragt er den Schwarzhaarigen erstaunlich gefasst und ganz so, als wäre eben nichts gewesen. Der junge Trainer ist viel zu verwundert von alledem, um auch nur irgendetwas zu antworten, also übernimmt das der Weißhaarige für ihn. „Pah! Ich hab‘ wohl keine Wahl. – Na los, geh schon! Um dich plattzumach’n, werd‘ ich an meine Grenzen und darüber hinausgeh’n müss’n! Aber das hat noch Zeit...“, meint er nur und deutet dann auf die Villa hinter sich.
 

Seine Arbeit hier ist fürs Erste getan und nun kann er nur noch hoffen, dass Samantha nicht allzu enttäuscht von ihm sein wird. Vielleicht hat sie ja mehr Glück und schafft es, sich den Bengel vom Leib zu halten? Ihm ist es gleich. Stattdessen überlegt er sich lieber, wie er sie davon abhalten kann, die ganze Welt mit ihren Ultrabestien zu überschwemmen. Einen Moment zögert Sun noch, muss das alles noch irgendwie verarbeiten. „Wir haben nicht mehr viel Zeit!“, kommt es plötzlich sehr nachdrücklich von Gladio, der das Ganze viel gefasster nimmt. Dies holt Sun wieder in die Realität zurück und gemeinsam betreten sie die Villa und beginnen die Suche nach Samantha, während Bromley zurückbleibt und dafür sorgt, dass seine Rüpel wieder sicher nach Hause kommen.
 


 

3
 

In der Villa angekommen, teilen sich die vier auf, um möglichst schnell einen großen Bereich abzusuchen und Samantha so ausfindig zu machen. Schließlich stehen Lilly und Sun vor dem Schlafzimmer der Blondine. Nervös blicken sich die beiden an, dann greift Sun nach der Klinke. Seine Begleiterin hält ihn jedoch zurück. „Warte! – Ich kann spüren, dass Mutter hier ganz in der Nähe ist. – Ja, wir werden sie hier finden, da bin ich mir ganz sicher. – Doch sie – sie ist nicht mehr sie selbst! Lass mich deine Pokémon wieder fit machen, bevor wir das Zimmer betreten. Es bringt nichts ihr einfach blauäugig gegenüber zu treten. – Das weiß ich selbst nur zu gut...“, Lillys Stimme klingt ungewöhnlich nachdrücklich, doch Sun kann deutlich sehen, wie fertig sie jetzt schon mit den Nerven ist. Das alles geht ihr sehr nahe und das ist auch nur allzu verständlich. Immerhin ist es ihre eigene Mutter, die vor ihren Augen dem Wahnsinn verfällt und die ganze Welt mit sich reißen will.
 

„Du hast recht. Aber fühlst du dich dessen denn auch gewachsen? Ich meine, wenn wir sie da drin antreffen, gibt es kein Zurück mehr. Völlig egal, wie schlimm es auch ist...“, trostspendend legt er ihr eine Hand auf die zitternden Schultern. Einen Moment sieht sie ihn einfach nur schweigend an, ohne eine erkennbare Reaktion. Dann atmet sie tief durch und holt Medizin aus ihrer Tasche. „Ich schaffe das schon! Ich muss es einfach. – Nicht für mich, sondern für Mutter. Für die Pokémon, für einfach alle. – Ja, dafür werde ich stark sein! Ich bin lange genug davongelaufen!“ Ihre Entschlossenheit überrascht den Schwarzhaarigen richtiggehend. Als er sie kennengelernt hat, war sie nur ein ängstliches, sehr schüchternes Mädchen, das Professor Kukui bei sich aufgenommen hatte und die ihm als Assistentin versuchte zur Hand zu gehen. Doch jetzt wirkt sie so erwachsen auf ihn. Zusammen haben sie viel durchgemacht und das hat sie beide geformt, zum Guten. Von daher ist Sun voller Zuversicht, dass sie das hier auch schaffen werden.
 

Einen Augenblick später sind seine Pokémon wieder voll einsatzbereit und nun betreten sie gemeinsam das Zimmer der Präsidentin. Es ist ein großer, prunkvoller Raum, jedoch wirkt er mit seiner fast völlig weiß gehaltenen Existenz sehr steril auf Sun. Allerdings ist das vollkommen nebensächlich. Denn kaum, dass sie das Zimmer betreten haben, sehen sie, wie Samantha auf eine Tür zugeht, die der junge Trainer zuerst für die eines Schrankes gehalten hat. Doch dem ist nicht so. Es ist eine Geheimtür, von der nicht einmal ihre eigene Tochter etwas weiß, obwohl sie so viele Stunden hier in diesem Raum verbracht hat, als alles noch idyllisch und wundervoll war. „Wir müssen ihr folgen!“, kommt es flehend von der jungen Blondine. Der Ansicht ist Sun auch, dennoch nimmt er sich kurz die Zeit und hinterlässt ein Zeichen für Gladio und Tali, die sicher auch bald hier aufschlagen werden.
 


 

4
 

Als die beiden durch die geheime Tür treten, ist es, als würden sie von reinem Licht aufgesaugt werden und für einen Moment völlig schwerelos. Dann finden sie sich plötzlich in einem riesigen Raum wieder. Er wirkt wie aus einem Science-Fiction-Film, vollkommen surreal. Der Fußboden besteht aus einer gewaltigen, schwimmenden Plattform, die Wände aus einer Art weißer Kacheln, bei denen es sich um unzählige Monitorbildschirme handelt. Auf einigen kann man verschiedenen Stellen Alolas sehen, was Sun zu der Erkenntnis bringt, dass Samantha überall in der Region versteckte Kameras aufgestellt hat – vermutlich, um das Auftauchen ihrer geliebten Ultrabestien besser im Blick haben zu können.
 

Allerdings ist das noch bei Weitem nicht das Schlimmste. Überall in dem Raum stehen riesige Vitrinen, in denen sich reglose Pokémon befinden. Sie wirken wie eingefroren. Erstarrt mit dem schrecklichen Ausdruck der Todesangst in ihren verzerrten Gesichtern. Ein wirklich unfassbar furchtbarer Anblick, der die beiden Kinder für einen Moment selbst erstarren lässt. In der Mitte des Raumes steht Samantha und betrachtet einige der Bildschirme. Dann dreht sie sich plötzlich um und strahlt über das ganze Gesicht. Ihr Lächeln wirkt so aufrichtig und warmherzig, dass es unmöglich echt sein kann. Es wirkt einfach nur gruselig und geisteskrank. Dennoch scheint die Blondine nicht sonderlich überrascht davon zu sein, dass sie nicht mehr allein ist. Vermutlich hat sie sogar darauf gewartet, dass Sun und seine Freunde hier auftauchen, um ihrem nahenden Triumph beizuwohnen?
 

„Na? Was sagt ihr zu meiner kleinen, privaten Sammlung?“, fragt sie die beiden und streicht dabei liebevoll über das Glas einer der Vitrinen, hinter dem sich ein wehrloses Pokémon im Kälteschlaf befindet. Sun und Lilly sind im ersten Moment vollkommen sprachlos. „Meine über alles geliebten Kinder! Sie sollen bis in alle Ewigkeit überdauern!“, führt sie daher einfach ungeachtet fort. „Das ist doch krank...“, entkommt es dem Schwarzhaarigen mit belegter Stimme. Samantha lächelt ihn einfach nur an, als hätte er etwas Nettes gesagt. „Wenn ich meine wunderschönen Ultrabestien in diese für sie so fremde Welt rufe, sind sie sicher erst einmal verunsichert, verwirrt und gereizt…“, führt sie weiter aus und hebt dann etwas vom Boden auf. „Aber sie in einem kleinen Kasten wie diesen hier einzusperren, wäre einfach nur grausam…“, berichtet sie weiter und hebt dabei ein merkwürdiges, schwarzes Gebilde hoch, das wie ein großer, kosmischer Würfel wirkt.
 

„Sie sollen ihrer Wut freien Lauf lassen können. Ich will, dass sie sich hier in Alola nach Herzenslust austoben!“, endet sie schließlich mit beinahe greifbarer Inbrunst. Ehe die beiden Kinder auch nur ein Wort herausbringen können, erscheinen Tali und Gladio und sehen sich ebenso überrascht um. „Hey, Sun!“, flötet der immer fröhliche Junge nach einem Moment, doch seine Freude vergeht ihm schnell wieder. „Und Lilly! Es geht dir gut! Mensch, bin ich erleichtert…“, entkommt es nun auch dem Blonden, als er seine Schwester entdeckt. Ihn so reden zu hören, ist wirklich ungewöhnlich, besonders für Sun, kannte er den anderen Jungen bisher nur als kühl, reserviert, nahezu egoistisch. Lilly hingegen wirkt ebenso erleichtert darüber, dass ihr Bruder nun endlich wieder eine Bindung zu ihr hat. Doch die Wiedersehensfreude hält nur kurz.
 

„Sieh an. Du auch hier, Tali? Auf Bromley ist einfach kein Verlass...“, entkommt es der Präsidentin aufgebracht und sie ballt wütend eine Hand zur Faust, hatte sie doch gedacht, dass der Weißhaarige es wenigstens schaffen würde, das schwächste Glied aufzuhalten. „Ich bitte dich. – Du darfst keine Ultrapforte öffnen! Die Ultrabestien dürfen nicht hierherkommen!“, mischt sich Gladio nun entschieden ein, ehe das Ganze noch länger dauert. Verstimmt bemerkt die Blondine jetzt erst, dass der Junge auch hier ist. Wütend verzieht sie das Gesicht. „Erst platzt meine Tochter rein, die mir mein Cosmog gestohlen hat, und jetzt auch noch mein Sohn, der mir mein Typ:Null geklaut hat! – Ich habe euch stets nur meine Liebe gegeben, doch ihr habt es mir mit Verrat vergolten! Ihr habt kein Recht, mich um etwas zu bitten!“, gibt sie ungehalten von sich.
 

„Was? Tochter? Sohn? Moment mal. – Seid ihr etwa eine Familie?“, kommt es nun sehr überrascht von Tali, der diese Tatsache noch gar nicht mitbekommen zu haben scheint. Was vielleicht auch gar nicht so verwunderlich ist, da Sun weit mehr mit den beiden zu tun hatte, als er. „Das waren wir vielleicht mal, mein lieber Tali. Aber diese Verräter wandten sich von mir ab. Doch das spielt jetzt keine Rolle mehr…“, erläutert die Präsidentin ihm gespielt traurig. Langsam schreitet sie dabei auf die Gruppe zu und setzt dann erneut dieses gruselige Lächeln auf, das den Verfall ihrer geistigen Urteilskraft perfekt wiedergibt. „Nichts spielt jetzt noch eine Rolle! Die Gase von Cosmog, die wir gewinnen konnten, bevor Lilly es gestohlen hat, haben bereits ausgereicht, um kurzzeitig eine Ultrapforte zu öffnen. Und es wird mir wieder gelingen!“
 

Kaum hat sie die Worte ausgesprochen, geht alles ganz schnell. Sie entreißt Lilly grob die Tasche, in der sie das wehrlose Cosmog seit ihrer Flucht mit sich herumträgt, und entfernt sich dann blitzartig wieder von den Kindern. „Nein!“, entkommt es der kleinen Blondine noch, doch da ist es schon zu spät. Samantha zerrt das kleine Pokémon aus der Tasche heraus, als wäre es nichts weiter, als ein unliebsames Spielzeug, und sperrt es dann unter dem lauten Protest des Wesens in diesen seltsamen Käfig ein. Durch eine kleine Scheibe in der Tür kann man das verzweifelte Gesichtchen der wolkenförmigen Kreatur sehen, die Panik in seinen Augen. Das piepsende Stimmchen dringt ebenfalls hinaus, doch es bleibt ungehört. Begeistert betrachtet die Präsidentin das Ganze. „Wie viele Ultrapforten ich wohl öffnen kann, wenn ich alles aufbrauche, was in seinem kleinen, gefangenen Körper steckt? Wie viele wunderschöne Ultrabestien dann wohl kommen werden?“, spinnt sie ihren Traum weiter.
 

Erschüttert versuchen die vier Kinder das Ganze irgendwie zu begreifen, doch es will ihnen einfach nicht gelingen. Wie kann man nur so herzlos sein und ein wehrloses Lebewesen quälen, nur um sich einen Wunsch zu erfüllen, der von vornherein zum Scheitern verurteilt ist? Fieberhaft überlegen die drei Jungs, was sie tun können, da tritt Lilly vor, in der Hoffnung, doch noch etwas Vernunft in ihrer Mutter zu wecken. „Bitte. – Hör auf damit! Du weißt nicht, was mit Cosmog geschieht, wenn es zu viel Kraft einsetzt! Nach unserer Flucht aus dem Æther-Paradies konnte es sich eine Zeit lang nicht mehr bewegen. – Wenn du es zwingst, zu viel Kraft einzusetzen, stirbt es! Da bin ich mir ganz sicher!“, sie ist den Tränen nahe, doch Samantha nimmt es gar nicht mehr war, hat nur Augen für das Bevorstehende...
 


 

5
 

Es bedarf nur weniger Handgriffe und der würfelförmige Käfig beginnt in den Händen der Blondine zu leuchten. Cosmogs Gase werden gewaltsam abgezapft und gesammelt. Das kleine Wesen wird dabei unglaublichem Stress und Schmerzen ausgesetzt und es hat keine Möglichkeit zu fliehen. Plötzlich flammen alle Bildschirme im Raum auf und zeigen so gut wie jeden Winkel von Alola. „Seht her! Ich werde jetzt die Ultrapforten öffnen! Kommt zu mir, ihr wunderschönen Ultrabestien!“, gebärt sich Samantha in völliger Ekstase. Wie gebannt starren die Kinder auf die Monitore. Überall in der Region verdunkelt sich schlagartig der Himmel, als hätte sich eine gewaltige Hand vor die Sonne geschoben. Überrascht verharren die Menschen in ihrem Tun oder treten ins Freie, um herauszufinden, was eigentlich los ist. Sämtliche Pokémon werden unruhig, von Angst getrieben suchen sie Schutz. Die Luft ist so statisch aufgeladen, dass einem schon fast die Haare zu Berge stehen.
 

Dann, wie aus dem Nichts, reißt der Himmel an mehreren Stellen gleichzeitig auf. Es sieht aus, als hätte jemand mit einem riesigen Messer einen Schnitt dort oben gemacht. Grelle Blitze zucken um die Risse herum, die sich langsam nach außen wölben, bis eine Art Trichter sichtbar wird. Die Pforten sind so grell, dass man sie kaum ansehen kann und es werden immer mehr! „Seht nur! Es geschieht überall in Alola!“, kommt es verzückt von der Präsidentin, die sich wie ein kleines Kind unter dem Weihnachtsbaum zu freuen beginnt, während alle um sie herum nur Fassungslosigkeit empfinden.
 

Cosmog wird es in seinem Gefängnis immer unbehaglicher. Schmerzlich und verzweifelt schreit es immer wieder laut auf, bis es von einem hellen Licht eingehüllt wird und dann ganz plötzlich verstummt. Irgendetwas ist passiert, doch es kümmert Samantha nicht. „Kannst du nicht mal still sein, Cosmog? Du bist wirklich ein nerviges Pokémon, selbst, wenn du in einem Käfig steckst. Ich bin nur an deiner Kraft interessiert, ansonsten bist du mir völlig egal! Ist das klar?“, schreit die Blondine das inzwischen verstummte Wesen kalt an. Dann hellt sich ihr Gesicht wieder auf, als sie erneut die Bildschirme betrachtet. „Aber wie es aussieht, hat mir deine Kraft bereits gute Dienste geleistet! Inzwischen sollten sich viele, wunderschöne Ultrabestien in Alola tummeln! – Seht nur! Auf Akala, auf Poni! Und auf Mele-Mele sind auch welche!“, vergnügt lässt sie den Käfig einfach fallen und klatscht in die Hände.
 

Völlig erstarrt und sprachlos starren die Kinder auf die Übertragung der unzähligen Kameras. Die Ultrapforten blähen sich immer weiter auf und dann wird in ihrem grellweißen Inneren etwas Dunkles sichtbar. Es wird schnell größer und nähert sich unablässig der Oberfläche. Schließlich bricht es heraus, überall in Alola gleichzeitig, als hätte ihnen jemand ein stummes Kommando gegeben. Es sind Wesen, die man kaum beschreiben kann und alle sehen anders aus; fremdartig, nicht von dieser Welt. Und sie alle sind gefährlich, verwirrt und wütend!
 

Als wenn das nicht schon alles schlimm genug wäre, taucht nun auch noch Bromley aus heiterem Himmel im Trophäenzimmer auf. Gespielt lässig nähert er sich der fassungslosen Meute und versucht vehement zu verdrängen, was in Alola gerade passiert – hofft nur, dass seine Rüpel noch rechtzeitig den Schutz der Villa erreichen. „Präsidentin. – Das Experiment war ‘n voller Erfolg. Also mach’n wa‘ diese Pfeifen jetz‘ mit den Ultrabestien so richtig platt!“, tönt er und wiegt Samantha damit in Sicherheit; wartet aber eigentlich auf den richtigen Moment, um sie wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Doch dafür muss er erst diese Kids loswerden. Es sind schon genug Leute zu Schaden gekommen und werden noch viel mehr; er kann nicht riskieren, dass weitere dazukommen, die so leichtsinnig sind, sich ihr entgegen zu stellen. Er muss das schlichtweg allein hinbekommen! Erfreut wendet sich die Blondine zu ihm um. „Du sagst es! Bromley? Sei doch so gut und bringe zunächst einmal diese Kinder zum Schweigen.“
 

Mit einem Grinsen wendet sich der Weißhaarige den Jüngeren zu, doch bevor er einen Kampf anzetteln kann, öffnet sich mitten im Raum ebenfalls eine Ultrapforte! Erschrocken weichen alle außer Samantha davor zurück. Langsam schiebt sich etwas daraus hervor. Es hat Ähnlichkeit mit einer riesigen, weißen Qualle, die wabernd durch die Luft gleitet. Das reicht nun aber wirklich! Gladio kann nicht mehr länger an sich halten und greift nach seinem Pokéball. „Ich werde die Ultrabestie aufhalten! Null wird kurzen Prozess mit ihr machen! Tali, du übernimmst Bromley! Sun, du stoppst die Präsidentin! Wenn wir scheitern, wird Alola von den Ultrabestien überrannt, also strengt euch an!“, legt er streng fest. Doch soweit kommt es gar nicht erst.
 

Panisch ergreift Lilly Suns Arm. „Sun! Wir müssen Cosmog retten!“, fleht sie ihn an. Der Schwarzhaarige weiß, dass das sehr wichtig ist, doch Samantha wird es wohl kaum kampflos hergeben. Zudem wird die Ultrabestie, die den Namen Anego bekommen hat, immer unruhiger. Sie fühlt sich hier ganz und gar nicht wohl und sucht nach einem Ausweg. „Was seid ihr doch alle für erbärmliche Kleingeister! Wenn ihr so weitermacht, erschrickt meine wunderschöne Ultrabestie ja noch...“, kaum hat sie die Worte ausgesprochen, findet Anego die Ultrapforte wieder und verschwindet auch schon darin. Bestürzt sieht die Präsidentin ihm nach. Dann wendet sie sich um und gibt ein wütendes Knurren von sich. „Seht ihr, was ihr angerichtet habt? – Nun, ich denke, dich sollten wir wohl als Erstes zum Schweigen bringen, Sun! Du bringst nichts, als Ärger!“, verkündet sie dann.
 


 

6
 

Kaum einen Moment später zieht sie einen Pokéball hervor, aus dem sich ein Pixi manifestiert. Die große, rosafarbene Fee wirkt alles andere als gefährlich. Neugierig und liebreizend blickt sie sich um und gibt sich unschuldig. Doch davon lässt sich Sun nicht täuschen. Da die Ultrabestie ja wieder verschwunden ist, besteht nicht die Gefahr, dass seine Freunde ebenfalls einen Kampf anfangen müssen. Und auch Bromley scheint dieser Meinung zu sein. Sein versucht aggressives Auftreten hat längst ein Ende gefunden und er betrachtet gespannt die bevorstehende Auseinandersetzung, ebenso wie die drei Begleiter des Schwarzhaarigen. Er kann dem Käfer-Trainer deutlich ansehen, wie dieser darauf brennt, zu erfahren, wie stark Sun wirklich zu sein scheint, was dem jungen Anwärter klarmacht, dass Samantha kein leichter Gegner werden wird. Trotz alledem kann er in den grauen Augen des großen Mannes auch erkennen, wie sehr er zu hoffen scheint, dass es ihm gelingen wird, die Präsidentin zu besiegen und so vielleicht wieder auf die rechte Bahn zu bringen.
 

Diese Hoffnung kann er aber auch auf den Gesichtern seiner Freunde sehen, die sich ein schnelles Ende dieses Terrors wünschen, damit Alola wieder zum gewohnten Alltag zurückfinden kann. Dementsprechend lastet einiges auf dem Katzen-Trainer und er betet inständig dafür, dem auch gerecht werden zu können. Es steht einfach zu viel auf dem Spiel. Mit einem kräftigen Luftholen und einem entschlossenen Blick schickt Sun sein Snobilikat in den Ring. Normal-Attacken haben bei Pixi eine etwas größere Wirkung als die vom Typ Unlicht, also wird sich der Schwarzhaarige darauf beziehen müssen. Dadurch kann er sich mit seinem Mogelhieb aber wenigstens schon mal einen kleinen Vorsprung verschaffen. Und genau diesen lässt er den Kater nun ausführen und hindert Pixi damit daran, selbst einen Treffer zu landen.
 

Verärgert über diesen Erstschlag verzieht Samantha das Gesicht. Die rosafarbene Fee tut es ihr gleich. Die beiden tragen plötzlich haargenau denselben Ausdruck, was irgendwie gruselig wirkt. Nun ist Pixi ebenfalls wütend und sieht kein bisschen mehr niedlich oder gar unschuldig aus. Die Ähnlichkeit mit der Blondine ist wahrlich erschreckend. Sun glaubt, irgendwo mal gehört zu haben, dass sich Trainer und Pokémon im Laufe der Zeit immer mehr aneinander angleichen, sich ähnlicher in Verhalten oder sogar Aussehen werden. Sonderlich viel hat er davon bisher noch nicht bemerkt, doch auf die zwei trifft es sehr gut zu.
 

Da Mogelhieb nur in der ersten Runde funktioniert, kann Sun die Attacke nun also vergessen und hofft, dass die Krallen seines Katers scharf genug sind, um die Fee niederzustrecken. Nun ist aber erst einmal Pixi mit ihrem Angriff dran. Mondgewalt lautet der Befehl, den Samantha ihrem Pokémon gibt. Angespannt betrachten der Junge und der Kater, wie Pixi die kurzen Arme in die Luft streckt und mystisch etwas vor sich hin zu singen scheint. Nach einem Augenblick erscheint über ihrem Kopf ein Abbild des Mondes, das fast bis zur Decke emporsteigt. Dort verfärbt es sich kräftig pink und lässt eine Energiekugel daraus entstehen. Mit einem Grinsen auf den Lippen korrigiert Pixi ihre Position so, dass sich ihre Arme genau auf Snobilikat ausrichten. Ruckartig lässt die Fee sie dann sinken und im selben Moment fliegt die pinke Kugel auf den Kater zu. „Schnell ausweichen und Kratzer!“, gibt Sun stockend von sich.
 

Die pinke Kugel bläht sich etwas auf, hat fast die Größe ihres Gegners, als sie aufschlägt. Der Schwarzhaarige kann daher nicht erkennen, ob es seinem Begleiter gelingt aus der Schussbahn zu kommen. Erst, als sich die Kugel beim Kontakt mit dem Boden auflöst, ertönt ein überraschter Laut von der Fee und man kann noch sehen, sie Snobilikat sich mit ausgefahrenen Krallen von ihr entfernt. Der Treffer hat also gesessen! Angeschlagen sieht Pixi zu ihrer Trainerin hinüber, erhofft sich wohl Mitleid von ihr. Doch die Blondine scheint nicht in der Stimmung dafür zu sein, betrachtet sie beinahe verachtend und fordert sie auf, den Angriff augenblicklich zu wiederholen. Die rosafarbene Fee wirkt einen Moment lang eingeschüchtert, nickt dann aber und bereitet die Attacke von neuem vor.
 

An Pixis Blick kann Sun gut ablesen, dass das Verhältnis zu ihrer Trainerin einmal ein ganz anderes ist. Doch die Sicht der Dinge hat sich für Samantha grundlegend geändert, weshalb ihre Pokémon nun nichts weiter als Mittel zum Zweck sind und so werden sie nun auch von ihr behandelt. Der junge Anwärter kann so etwas gar nicht ertragen. Bromley hat immer so hart und geradezu rücksichtslos gegen ihn gekämpft, aber dennoch hat er sich stets um seine Käfer gesorgt und war schwer getroffen, wenn es ihnen schlecht erging, was Sun ziemlich bewundernswert fand. Der Weißhaarige hat seine Wut nicht an seinen Pokémon ausgelassen, wie es viele Trainer gern tun, sondern an sich selbst, was zwar auch nicht richtig ist, aber das Dasein eines Trainers weit besser wiedergibt, als das, was Samantha hier abzieht. Denn ein Pokémon kann immer nur so gut sein, wie sein Besitzer. Wird es schlecht behandelt, kämpft es auch schlecht oder wendet sich im schlimmsten Fall sogar gegen seinen Trainer.
 

Pixi scheint mit dieser Tatsache nicht sonderlich gut zurecht zu kommen. Ihr nächster Angriff wirkt unsicher, schwächer. Dennoch gelingt es ihr den Kater diesmal zu treffen. Doch, obwohl Snobilikat dadurch ziemlich ins Straucheln gerät, zeigt sich keine Regung im Gesicht der Blondine. Stattdessen schimpft sie die Fee nur ungehalten aus, als diese im Anschluss erneut von den Krallen des Katers getroffen wird. Pixi wirkt dadurch nur noch eingeschüchterter und Sun hat das Gefühl sogar Tränen in den Augen des Pokémon glänzen sehen zu können. Er empfindet tiefstes Mitleid mit dem armen Wesen, doch im Moment kann er daran einfach nichts ändern und muss sich auf den Kampf konzentrieren.
 

Ein drittes Mal befiehlt Samantha ihrer Partnerin die gleiche Attacke, allerdings mit solchem Nachdruck in der Stimme, dass die Fee zu zittern beginnt. Dadurch fällt es ihr erheblich schwerer den Angriff vorzubereiten. Kein Wunder also, dass die pinke Energiekugel ihr Ziel weit verfehlt und sich Snobilikat kaum die Mühe zum Ausweichen machen muss. Stattdessen springt der Kater in einem Bogen in die Luft und versenkt seine Krallen in der Fee. Dies schürt die Wut der Blondine nur noch weiter an. Das bleibt Pixi natürlich nicht verborgen und obwohl sie noch nicht besiegt ist, lässt sie sich einfach zu Boden fallen und tut so, als wäre sie nicht mehr in der Lage weiterzukämpfen. Herrisch stampft Samantha mit dem Fuß auf den Boden und ruft die Fee wieder zurück. In diesem Moment sieht Sun eine vielsagende Erleichterung im Gesicht des Pokémon, das den Wandel seines Trainers einfach nicht länger ertragen hat. Der junge Anwärter will sich gar nicht vorstellen, wie das nun weitergehen soll, doch es wird ihm natürlich nicht erspart.
 

Als nächstes schickt die Präsidentin ein Milotic in den Kampf. Die anmutige Seeschlange windet sich über das Feld und scheint augenblicklich zu merken, dass etwas mit ihrer Trainerin nicht stimmt. Das macht das Wasser-Pokémon sichtlich unruhig. Samantha fackelt jedoch nicht lange und ruft ihren ersten Befehl aus. Als Sun ihn hört, hofft er noch, dass die Attacke daneben gehen wird, was bei Hydropumpe sehr wahrscheinlich ist. Ausweichen kann man diesem extrem starken Wasserstrahl jedenfalls nicht. Doch sein Flehen findet kein Gehör und so rauscht der mächtige Schwall ungebremst auf den Kater zu und bietet ihm keine Fluchtmöglichkeit. Haltlos wird er davon überrollt und nahezu ertränkt. Für den jungen Trainer nur allzu verständlich, dass er dem nicht standhalten kann und somit besiegt wird.
 

Allerdings tut das dem Ganzen keinen Abbruch. Zudem ist Milotic genau der richte Gegner für seine bisher zurückgehaltene Geheimwaffe. Aus dem Pokéball, den er nun auf das Feld wirft, springt ein Elektek heraus. Wie der Name schon vermuten lässt, gehört dieser gelbschwarze Tiger dem Typ Elektro an und ist somit der reinste Alptraum für die Seeschlange. Dies scheint Samantha auch zu erkennen und versucht ihr Pokémon daher zu einem schnellen Angriff zu bewegen. Milotic ist durchaus willig, ihn auch auszuführen, wenn auch nicht sonderlich glücklich über den Tonfall der Blondine. So windet sich die anmutige Seeschlange über das Feld auf den Kater zu und schlägt wild mit dem Ende ihres Schwanzes auf ihn ein, ganz wie ein Dreschflegel auf getrockneten Weizen, was der Attacke auch ihren Namen verleiht.
 

Viel Wirkung hat das Ganze aber nicht, weshalb sich das Wasser-Pokémon den Zorn ihrer Trainerin zuzieht. Gebückt ringelt sich die Schlange zusammen und versucht die böswilligen Worte zu ertragen. Der Schwarzhaarige kann das gar nicht mit ansehen, weshalb er sich dafür entscheidet, dem ein schnelles Ende zu setzen. Er sucht den Blickkontakt mit Elektek und der Kater nickt ihm verstehend zu. Gemeinsam haben sie viel Energie in das Training der Z-Attacke gesteckt und jetzt wird sich zeigen, wie gut ihr Zusammenspiel wirklich ist. Mit voller Konzentration vollführen sie ihre Z-Pose und stimmen sich aufeinander ein, während die Blondine nur weiterhin mit dem armen Milotic schimpft.
 

Als die Vorbereitungen abgeschlossen sind, beginnt die Luft im ganzen Raum förmlich hörbar zu knistern, so statisch aufgeladen ist sie. Diese Energie nimmt Elektek nun in sich auf, bis er fast zu platzen droht. Dann gibt der Tiger ein gewaltiges Brüllen von sich und entlädt den gesamten Strom in einem gewaltigen Stoß. Die bitzelnde Ladung rast mit annähernder Lichtgeschwindigkeit durch das Zimmer, sodass man ihr gar nicht mehr folgen kann. Dabei ist sie so hell, dass sich alle davon abwenden und die Augen schließen. Nach dem Bruchteil einer Sekunde wird der heisere Schrei der Seeschlange laut und verstummt kurz darauf auch schon wieder.
 

Nach einem Moment gelingt es den Anwesenden, sich an die Lichtverhältnisse zu gewöhnen und den Ausgang des Ganzen zu betrachten. Milotic liegt kampfunfähig am Boden und rührt sich nicht mehr. Doch auf dem fein geschnittenen Gesicht der Seeschlange glaubt Sun so etwas wie Erleichterung sehen zu können. Samantha ist darüber aber alles andere als erfreut und schickt auch schon das nächste Pokémon ins Rennen. Diesmal gehört es dem Typ Geist an und nennt sich Traunmagil. Sun kann bei dieser Auswahl keine Spezialisierung feststellen, wie sie zum Beispiel Bromley mit seinen Käfern hat. Also ist völlig ungewiss, was sie noch so auffahren wird. Allerdings haben alle Pokémon etwas gemeinsam, wenn man es sehr oberflächlich bedenkt: Sie sind alle von einer gewissen Schönheit und finden zumeist deswegen besondere Anerkennung unter den Trainern. Dies würde auch zur Präsidentin passen, so wie Sun sie inzwischen kennengelernt hat.
 

Das macht das Ganze aber nicht sonderlich leichter. Geister haben jedoch viele Schwächen, was ihm hoffentlich in die Hände spielen wird. Dummerweise beherrscht Elektek nur eine dieser wirkungsvollen Attacken und eine weitere Z-Attacke einsetzen kann er selbstverständlich nicht. So etwas schafft niemand – es ist einfach zu kräftezehrend für das Pokémon und den Trainer. Also muss es so gehen. Die erste Attacke, die Samantha das violette Wesen ausführen lässt, ist ein Spukball. Dem Tiger gelingt es jedoch auszuweichen und einen Donnerblitz zu starten. Erneut zuckt dabei Elektrizität durch den Raum, wenn auch in viel kleinerem Maße und entlädt sich in einem zielgerichteten Blitz, der den Geist voll erwischt.
 

Damit gibt sich das Wesen aber noch längst nicht geschlagen. Stattdessen züngeln magische Flammen aus dem Mund der Alptraumgestalt, die es dann auf seinen Gegner abfeuert. Die Magieflamme findet ihr Ziel genau und schadet dem Kater sichtlich. Sein nächster Donnerblitz sitzt dennoch ziemlich gut und lässt den Geist erheblich schwanken. Das Dunkelwesen fängt sich jedoch schnell wieder und bereitet den nächsten Angriff vor. Nun beginnen die drei Edelsteine am seinem Hals zu leuchten, die ihn wie eine Kette umgeben. Plötzlich lösen sich darauf grelle Strahlen und jagen auf Elektek zu. Der angeschlagene Kater ist jedoch zu langsam, um der Juwelenkraft zu entkommen und so schickt sie ihn schließlich auf die Matte.
 

So viel dazu – nun bleibt Sun nur noch ein einziges Pokémon. Fuegro gelingt es, den Geist mit seinem Feuerzahn zu erwischen und ihm so den Garaus zu machen. Ein Problem weniger auf dem Feld. Samantha wird aber immer noch ungehaltener und schleudert schon den nächsten Ball. Der Schwarzhaarige hofft, dass ihr nun endlich die Pokémon ausgehen. Mit einer gewissen Erleichterung stellt er allerdings fest, dass das nächste Wesen auf dem Feld ein Dressella, ein Pflanzen-Pokémon, ist. Das spielt Sun ziemlich in die Hände und das scheint auch Samantha wieder zu bemerken. Verärgert über diese Entscheidung verzieht sie das Gesicht und schimpft das Blumenwesen allein schon dafür aus. Dieses duckt sich erschrocken unter der strengen Stimme und würde sich wohl am liebsten verstecken.
 

Das geht jedoch nicht und so setzt es zum Angriff an. Dressella beginnt sich im Kreis zu drehen, wobei bunte Blütenblätter aus ihrem Körper austreten. Als es genug sind, schießen sie auf einmal auf den Kater zu. Dieser wird von dem Blättertanz eingehüllt und von jeder einzelnen Blüte schneidend getroffen. Für gewöhnlich wiederholt sich dieser Angriff mehrere Runden lang, ehe die Attacke völlig beendet ist, doch Fuegro weiß das zu verhindern. Mit flammenden Zähnen prescht der Tiger vor und verbeißt sich in dem Blumenwesen, bis es von oben bis unten im Feuer gefangen ist. Das gibt der Pflanze auch schon den Rest und Sun ein Stück weit mehr Erleichterung. „Nein, nein, nein! Du wirst mich nicht besiegen!“, schimpft die Blondine nun ungehalten und wirft ihren letzten Ball aufs Feld.
 

Dabei handelt es sich um ein Kosturso, einen überaus aggressiven Kampfbären. Sein dichtes Fell halbiert den Schaden, den es durch direkte Attacken erleiden würde. Allerdings verdoppelt es auch die Kraft von Feuer-Angriffen. Das wird der Präsidentin wieder bewusst und sie wünscht sich, sie hätte gewusst, welche Pokémon Sun ins Rennen schickt. Innerlich rügt sie sich dafür, dass sie es nicht für nötig hielt, Bromley danach zu fragen. Dann hätte sie die Aufstellung ihres Teams wenigstens etwas anpassen können. Andererseits ist der Bär weit schneller, als man es ihm zutrauen würde und das könnte dann doch noch ein Vorteil sein.
 

„Benutz Hammerarm!“, befiehlt sie dem Pelzträger daher als erstes. Kosturso zögert einen Moment, wegen der ungewohnt strengen Stimme ihrer Trainerin. Dann setzt sich der Bär in Bewegung. Sein Arm beginnt aufzuleuchten, wird gleichzeitig hart wie Stahl. Mit enormem Tempo nähert er sich damit Fuegro und schlägt ihn zu Boden. Erschrocken zuckt Sun zusammen, da er schon das Ende fürchtet. Da steht der Kater jedoch wieder auf. Erst recht wütend verbeißt er sich in seinem Gegner und lässt ihn auflodern. Kosturso gelingt es aber sich zu befreien, ehe die Attacke ihr Ende findet und so übersteht sie das Ganze noch einmal. ‚Mist! Das nächste Mal muss sitzen...‘, geht es dem Schwarzhaarigen hektisch durch den Kopf. Noch so ein heftiger Angriff und sein Pokémon ist besiegt.
 

Samantha sonnt sich regelrecht in diesem kleinen Erfolg und begeht ungewollt mit ihrer nächsten Attacke einen gewaltigen Fehler. Sie lässt den Bären einen Bodycheck ausführen. Dabei rammt sich der Bär mit aller Kraft gegen den Kater und wirft ihn wieder zu Boden. Dummerweise hat die Attacke den Haken, dass auch der Anwender dabei durch den Aufprall Schaden nimmt. So wird Kosturso ebenfalls geschwächt und kann dem folgenden Feuerzahn des Katers nichts mehr entgegenbringen. Somit ist der Kampf endlich beendet und Sun geht ein weiteres Mal als Sieger vom Platz!
 


 

7
 

„Nein, nein, nein, nein!“, entkommt es Samantha aufgebracht und sie stampft wütend mit dem Fuß auf den Boden, gleich einem bockigen Kind. Plötzlich wirkt sie ganz und gar nicht mehr bei sich. Der Wahnsinn, der stetig in ihr herangewachsen ist, scheint sich langsam seinem Höhepunkt zu nähern und legt dabei immer mehr von ihrem wahren Ich frei. Einer Person, die weder Liebe, noch irgendetwas Positives empfinden kann. Eine Person, die nur sich selbst sieht und alles andere vernichten will. Eine Person, die vollkommen in ihrer eigenen Welt gefangen ist und vielleicht nie wieder herausfinden wird...
 

Du siehst aus wie ein Engel

Du gehst wie ein Engel

Du redest wie ein Engel
 

„Wie unverschämt du bist! Warum gebe ich mich eigentlich mit euch ab? Ihr seid mir völlig egal! Alles, was ich brauche, ist meine wunderschöne Ultrabestie!“, ihr Gesicht wird immer zorniger, als stünde sie kurz davor zu platzen. Dann besinnt sie sich jedoch wieder auf ihr Ziel und beruhigt sich auf unheimliche Art so schlagartig wieder, als wäre sie zwei völlig unterschiedliche Menschen, die in ihrem Körper vereint, durch einen Mund zu den Kindern sprechen. Nun, beim Gedanken an Anego, zeichnet sich auf ihrem Gesicht so unglaublich viel Liebe ab, wie sie selbst Lilly und Gladio in der Wiege nicht von ihr erfahren haben.
 

Aber ich habe es erkannt:

Du bist der Teufel, nur in Verkleidung!

Ja, das bist du

Der Teufel in Verkleidung!
 

Diese entsetzliche Erkenntnis spiegelt sich in den Augen aller Anwesenden wieder. Doch der Schreck hält nur einen Moment, dann beginnt die Pforte vor ihren langsam immer kleiner zu werden. „Oh nein! Die Ultrapforte schließt sich! Bromley! Zu mir! Wir werden die Ultrabestie mit dem Ultraball fangen, den wir extra entwickelt haben.“, entkommt es der Blondine voller Sorge und Zuversicht. Die Entschlossenheit zu dieser Tat steht ihr deutlich ins Gesicht geschrieben und duldet keinerlei Gegenwehr.
 

Du hast mich mit deinen Küssen ausgetrickst

Du hast betrogen und Ränke geschmiedet

Der Himmel weiß, wie du mich belogen hast

Du bist nicht wie du schienst
 

Der Käfer-Trainer starrt sie mit großen Augen an und nicht zum ersten Mal steigt ein gewisses Unbehagen in ihm auf, das schon fast an Furcht grenzt. Bromley begreift, dass sie so sehr mit einer Mischung aus Erregung und Aggressivität angefüllt ist, dass ein falsches Wort oder eine falsche Bewegung auf sie die gleiche Wirkung hätte, wie ein Funken in einem mit Gas gefüllten Raum – sie würde einfach explodieren und ihn ohne zu zögern um die Ecke bringen! All das steht ihr ins Gesicht geschrieben.
 

Du siehst aus wie ein Engel

Du gehst wie ein Engel

Du redest wie ein Engel
 

Nein, nicht nur im Gesicht. Es ist eine fast schon sichtbare Ausstrahlung um ihre ganze Gestalt – gleich der mystischen Aura eines Herrscher-Pokémon,- eine Hochspannung, die sie plötzlich reizvoller und gefährlicher als all die Zeit vorher auf ihn wirken lässt. Er hat Angst, weil SIE vor ihm steht, ihr dunkles Ich, das sich grundlegend von der liebenswürdigen Frau unterscheidet, die er damals im Restaurant kennengelernt zu haben glaubt und die er eigentlich in ihr sehen will.
 

Aber ich habe es erkannt:

Du bist der Teufel, nur in Verkleidung!

Ja, das bist du

Der Teufel in Verkleidung!
 

Nervös schluckt der Weißhaarige und duckt sich schon fast unter ihrem fordernden Blick. Dann wird ihm bewusst, dass sie nicht allein sind. Diese Gören sind auch noch hier und beobachten alles. Vor ihnen darf er auf keinen Fall Schwäche zeigen, immerhin ist er der große, böse Bromley – gefürchteter Anführer des berüchtigten Team Skull! Also beendet er seine ungewollt unterwürfige Haltung und versucht Bereitwillen auszustrahlen. Doch, als er ihr antwortet, klingt es nicht sehr überzeugend. „Äh, jawohl…“, erwidert er und verachtet dabei den hilflosen Klang in seiner Stimme. Doch er kann einfach nichts dagegen tun.
 

Ich dachte, ich wäre im Himmel,

Aber ich wurde überrascht

Himmel, steh mir bei!

Ich habe ihn nicht gesehen,

Den Teufel in deinen Augen
 

Die Präsidentin schenkt ihm ein Lächeln, das ihm einen eisigen Schauer über den Rücken jagt, da es wieder so viel falsche Liebe trägt. Doch er muss es einfach tun, muss ihr folgen. Um sie zu retten, um die ganze Welt zu retten und diese Kinder dürfen ihm keinesfalls folgen! Ohne das geringste Zögern schreitet die Blondine auf die Pforte zu und wird augenblicklich von deren grellem Licht eingehüllt. Es wirkt vollkommen surreal. In Bromley’s Kopf findet nur ein Gedanke Platz, um diesen Anblick zu beschreiben: Der Teufel höchstpersönlich tritt in das gesegnete Licht des Himmels ein, um Gott zu vernichten und mit ihm alles andere!
 

Du siehst aus wie ein Engel

Du gehst wie ein Engel

Du redest wie ein Engel
 

Als Samantha durch die Pforte geht und scheinbar im Nichts verschwindet, setzt er sich widerwillig in Bewegung. Im Gegensatz zu seiner Stimme, wirkt seine Körperhaltung dabei jedoch weit gefasster, was ihn mehr als nur verwundert. Er blickt nicht zurück, auch nicht, als er erst Suns Stimme hört, die ihn zurückzuhalten versucht, und dann auch noch Gladios. Damit hat der Weißhaarige nun wirklich nicht gerechnet und es entlockt ihm ein kleines Lächeln. Dennoch muss er seine Aufgabe erfüllen, damit diese Kinder eine bessere Zukunft haben, als er selbst.
 

Aber ich habe es erkannt:

Du bist der Teufel, nur in Verkleidung!

Ja, das bist du

Der Teufel in Verkleidung!
 

Das seltsame Gefühl, das beim Durchschreiten der Ultrapforte in ihm ausgelöst wird, macht ihm schon jetzt klar, dass ihn auf der anderen Seite etwas erwartet, das sein Leben grundlegend verändern wird. Er kann noch nicht sagen, was es ist, doch er hofft, dass es Samantha genauso ergeht und sie dadurch wieder zur Besinnung kommt, ehe etwas wirklich Schreckliches passiert.
 

Du bist der Teufel, nur in Verkleidung!

Ja, das bist du

Der Teufel in Verkleidung!
 

Erschrocken laufen Sun und Gladio los, um ihn doch noch aufzuhalten. Doch es ist zu spät. Bromley wird ebenso vom grellen Licht der schwindenden Pforte verschluckt, wie Samantha. Bruchteile von Sekunden bevor die beiden Jungs die Ultrapforte berühren können, schließt sich der Durchgang mit einem kaum hörbaren Ploppen und die jungen Pokémon-Trainer bleiben allein zurück...
 

Du bist der Teufel, nur in Verkleidung!

Ja, das bist du

Der Teufel in Verkleidung!

Ja, das bist du

Der Teufel in Verkleidung!
 

Überrascht laufen die Jungs ins Leere. Fassungsloses Schweigen erfüllt eine ganze Weile den Raum. „Mutter...“, entkommt es Lilly irgendwann erstickt. „Sie – sie sind wirklich weg...“, bringt nun auch Tali hervor. „Verdammter Mist...!“, presst Gladio zwischen zusammengepressten Zähnen hervor und ballt die Fäuste. „Es muss einen Weg geben, ihnen zu helfen! Es muss einfach!“, meldet sich nun auch Sun zu Wort und erntet dabei die überraschten Blicke der anderen. „Lilly? Du hast doch so viele Bücher gelesen, um Cosmogs Herkunft zu ergründen. Stand denn dort nichts darüber?“, hakt der Schwarzhaarige nach. Nachdenklich betrachtet ihn die junge Blondine, dann reißt sie plötzlich weit die Augen auf und zieht ein kleines Notizbuch aus ihrer Tasche heraus.
 

„Ich – ich konnte nicht wirklich herausfinden, wo Cosmog herkam, aber. – Aber in einer Legende heißt es, dass das legendäre Pokémon in der Lage sein soll, sich frei in Zeit und Raum zu bewegen und es taucht nur in unserer Welt auf, wenn man es ruft oder es spürt, dass es gebraucht wird.“, liest sie den Absatz vor, den sie abgeschrieben hat. „Und wie ruft man das legendäre Pokémon?“, will Tali nun wissen. Aufgewühlt blättert Lilly durch ihr Buch. „Soweit ich herausfinden konnte, werden dafür zwei Flöten gebraucht, die irgendwo in Alola versteckt sind, damit sie nicht in falsche Hände geraten. Aber die Angaben dazu waren sehr spärlich...“, erwidert sie entschuldigend.
 

„Immer noch besser, als nichts. – Ok, ihr zwei werdet sehen, ob ihr mehr über diese Flöten und das legendäre Pokémon herausfinden könnt. Mir scheint, dass es dort eine Verbindung zu den Ultrabestien geben könnte. Tali und ich werden sehen, dass wir die entkommenen Ultrabestien wieder zurückbefördern können, ehe sich alle Pforten schließen.“, bestimmt Gladio selbstsicher. Kaum, dass er es ausgesprochen hat, setzt er sich auch schon in Bewegung und verlässt eilig den Raum. „Hey! Nun warte doch wenigstens auf mich, wenn du schon so was festlegst!“, ruft Tali ihm aufgebracht hinterher und versucht ihn wieder einzuholen.
 

Lilliy und Sun bleiben allein zurück. „Er ist so starrsinnig...“, seufzt das Mädchen. „Stimmt, aber er hat auch recht. Es muss sich jemand um die Ultrabestien kümmern. Und wir finden sicher auch eine Lösung.“, versucht Sun sie aufzumuntern. „Ja, ganz sicher. – Doch, was machen wir mit Cosmog?“, fragt sie schließlich. In der ganzen Aufregung hat der Schwarzhaarige es fast vergessen. Nun wenden sich die beiden zu dem Pokémon herum und befreien es aus dem Käfig. Allerdings ist es nicht mehr es selbst. Es sieht nun ganz anders aus; kleiner, vollkommen reglos, irgendwie schlafend. Sein ganzer Körper hat sich verändert. Die beiden wissen es noch nicht, aber Cosmog hat sich unter dem ganzen Stress entwickelt und ist nun Cosmuvum. In diesem Zustand gleicht es einem Kokon.
 

Sein Äußeres erinnert an ein winziges, schwarzes Loch in mitten der nächtlichen Sterne, umgeben von einem goldenen Rahmen, der selbst aussieht wie ein Stern. „Glaubst du, dass es wieder aufwachen wird?“, fragt Lilly den Tränen nahe und nimmt das schwebende Wesen in die Arme. „Ganz bestimmt. Wir nehmen es einfach mit und dann fällt uns irgendwann schon etwas ein. Vielleicht muss es sich ja einfach nur ausruhen?“, versucht er sie aufzumuntern. Sie schenkt ihm ein schwaches Lächeln und steckt Cosmovum dann vorsichtig in ihre Tasche. „Lass uns gehen! Uns bleibt sicher nicht viel Zeit...“, meint sie dann und gemeinsam verlassen auch sie den Raum und das Æther-Paradies.

Ultra crazy!


 

1
 

Der rasante Eintritt in die Ultradimension stellt ein unbeschreibliches Gefühl dar. Bromley kann weder sagen, ob es sich gut oder schlecht anfühlt, noch wie lange das Ganze überhaupt dauert. Ihm ist so, als wären es nur Bruchteile von Sekunden und dennoch glaubt er die unsagbare Entfernung miterleben zu können, die er in diesem Moment im Kontinuum zwischen Raum und Zeit zurücklegt. Es ist warm und gleichzeitig eiskalt, fast so, als würde man am ersten heißen Sommertag in einen Pool oder See springen und augenblicklich einen Temperaturschock erleiden, weil das Wasser nur an der Oberfläche eine trügerische Wärme ausstrahlt. Schließlich kommt der Weißhaarige auf der anderen Seite an, scheint für eine Sekunde regelrecht in der Luft zu schweben und schlägt dann unsanft auf dem Boden auf. Noch ehe er ganz gelandet ist, hat sich der Durchgang über ihm auch schon geschlossen und nichts deutet mehr auf sein Dasein hin.
 

Überraschend mitgenommen stemmt sich der Käfer-Trainer hoch, kämpft einen Moment mit einer schier überwältigenden Übelkeit und sieht sich dann um. Es ist erstaunlich dunkel hier, aber ebenso erstaunlich schön. Der Untergrund wirkt, als wäre er aus geschmolzenem, schwarzen Gestein, das wellenartig wie die Oberfläche eines Sees, in den man einen Stein geworfen hat, wieder erstarrt ist und so einen nicht völlig ebenmäßigen Grund bildet. Er formt einen langen, unregelmäßig breiten Weg, der sich weit in die Dimension hineinzieht. An seinem Ende ist es etwas heller und ein Lichtstrahl scheint von dem nicht sichtbaren Himmel zu scheinen ohne, dass man erkennen kann, wo er seinen Ursprung hat und was ihn überhaupt auslöst. Genau in diesem Lichtstrahl glaubt er Samantha zu sehen, doch das ist völlig unmöglich. Bromley hat das Portal nur Sekunden nach ihr betreten – sie kann also unmöglich so eine weite Strecke in dieser kurzen Zeit zurückgelegt haben. Außer natürlich, wenn die Zeit hier anderen Regeln unterliegt – vorausgesetzt sie unterliegt überhaupt irgendwelchen Regeln.
 

Verwundert verharrt er an Ort und Stelle und sieht sich weiter um. Der Weg wird auf beiden Seiten von einer Art Wald flankiert. Doch die Pflanzen – wenn es denn überhaupt welche sind – wirken sehr fremdartig. Sie haben etwas sehr Prähistorisches an sich, wirken eher klein, gedrungen und nur auf das Nötigste reduziert, tragen kaum erkennbare Blätter und schon gar keine Blüten. Bei der hier herrschenden Dunkelheit wahrscheinlich auch verständlich. Andererseits wachsen sie dicht an dicht und weit in den düsteren Himmel hinauf, obwohl nicht erkennbar ist, worauf sie eigentlich wachsen, um dies zu schaffen. Außerdem sind sie fast ausschließlich blau, lila oder blassgold gefärbt, kaum irgendwo ist etwas Grünes zu sehen. Das wohl Seltsamste an ihnen ist aber ihre Oberfläche. Ähnlich wie der Weg wirken auch die Pflanzen so, als bestünden sie aus Edelsteinen oder erstarrtem Gestein, das glitzert wie Glas in der Sonne. Dieses Glitzern wirkt allerdings so, als würde es direkt aus dem Inneren dieser seltsamen Gebilde kommen, statt von dem wenigen Licht hervorgerufen zu werden. Es lässt sie sehr künstlich wirken, anstatt wie eine Lebensform. Bromley beginnt sich bei ihrem Anblick zu fragen, ob das überhaupt Pflanzen sind und nicht wohlmöglich doch nur ausgefallene Gesteinsformationen. Doch er hat nicht wirklich Lust diese Gebilde anzufassen, um es herauszufinden, fast so, als fürchte er sich mit etwas Ansteckendem zu infizieren.
 

Unbewusst holt er Luft und bemerkt dabei, dass sie ganz anders ist. Irgendwie dicker und nicht so reich an Sauerstoff, sodass das Atmen etwas schwerfällt – nicht jedoch so schwer, dass man sich darüber Gedanken machen würde. Es erinnert ihn dunkel an seine Inselwanderschaft, als er für eine der Prüfungen auf dem Wela-Vulkan stand, nur das es hier weder heiß ist, noch nach Schwefel riecht. Dennoch ist das Gefühl beim Einatmen ähnlich erdrückend. Tief hinten in seinem Kopf wird Bromley plötzlich klar, dass es sehr leichtsinnig war, überhaupt Luft zu holen, ohne zu wissen, ob sie nicht wohlmöglich giftig ist. Doch dem scheint nicht so zu sein, also tut er den Gedanken mit einem Schulterzucken wieder ab. Samantha wirkt bis jetzt auch eher so, als würde es ihr gut gehen. Zumindest kann er hören, wie sie sich angeregt unterhält – vermutlich mit ihrer heißgeliebten Ultrabestie. Aber er kann kein Wort verstehen, was aber auch egal ist, da er eh zu ihr muss, um sie wieder auf den rechten Weg zu bringen. So macht er sich auf und folgt dem Pfad langsam und mit den Augen in alle Richtungen gleichzeitig, denn irgendwie fühlt er sich beobachtet...
 


 

2
 

Ungeachtet dessen haben sich Sun und Lilly längst auf den Weg gemacht. Während für Bromley nur ein paar Minuten vergangen sind, so sind in der realen Welt Tage verstrichen. In dieser Zeit haben die beiden in Erfahrung gebracht, wo sich die zwei Flöten befinden, die das legendäre Pokémon Solgaleo herbeirufen sollen. Es ist ihnen auch gelungen, die Flöten zu finden und nun machen sie sich damit auf den Weg zur heiligen Stätte, an dem das Sonnenwesen verehrt wird. Dazu müssen sie das Sonnenkreis-Podium auf Poni besteigen. Dieses erreichen sie aber nur, wenn sie den riesigen Canyon der Insel durchqueren und das ist alles andere als einfach. Als sie den Eingang zum Canyon endlich erreichen, treffen sie auch schon auf das erste Hindernis, das sie wenig zuversichtlich stimmt. Genau in dem Durchgang hocken sechs Skull-Rüpel in ihrer typischen Pose am Boden und mustern sie streng. Schnell bemerkt Lilly, dass es sich dabei um fünf Jungs und ein Mädchen handelt.
 

„Was wollt ihr von Team Skull denn alle hier?“, fragt die Blondine daher etwas besorgt und versucht ihre Tasche mit Cosmuvum ungeschickt hinter sich vor den Blicken der Rüpel zu verbergen. Unter den wachsamen Augen von Sun erhebt sich Aaron und tritt einen Schritt von seiner Gruppe weg. „Wa‘ ham hier auf euch gewartet, yo!“, gibt er angespannt von sich. Hinter der versammelten Truppe reihen sich deren aufgemotzte Motorräder auf und verhindern so das Durchkommen völlig. Der Schwarzhaarige fürchtet, dass sie hier ohne Kampf wohl nicht weiterkommen werden und er beginnt sich zu fragen, wie dämlich diese Rüpel eigentlich sein müssen, wenn sie in so einer bedrohlichen Zeit – in der ganz Alola von irgendwelchen Ultrabestien überschwemmt wird – scheinbar nur daran denken Ärger zu machen. Da erhebt sich auch schon der Nächste von ihnen und tritt vor. „Jemand von der Æther Foundation hat uns da nämlich was gesteckt!“, berichtet Bryan nun und wirkt dabei mindestens genauso angespannt, wie sein Kollege. ‚Irgendetwas stimmt da nicht...‘, kommt es dem Katzen-Trainer in den Sinn, denn sonst sind die Mitglieder von Skull doch immer solche Poser und Angeber – komme, was da wolle. Jetzt jedoch wirken sie allerdings irgendwie verloren, beinahe hilflos und verzweifelt. Vielleicht sind sie also doch nicht so dumm, wie Sun befürchtet hat?
 

Nun erhebt sich auch das einzige Mädchen in der Runde und meldet sich zu Wort. „Ihr wisst angeblich, wie wa‘ unsren Boss retten könn‘.“, kommt es mit einem hoffnungsvollen Beiklang von Rose. Ehe Lilly und Sun dem etwas entgegenbringen können, erheben sich schon die restlichen drei Jungs und wirken plötzlich gar nicht mehr so verloren. „Also, spuckt’s schon aus!“, fordert Cameron die beiden nachdrücklich auf. „Lasst die Infos rüberwachsen!“, ordnet Flo missgünstig an. „Wie ich euch kenn‘, müss’n wa‘ die Infos mit Gewalt aus euch rauslocken...“, entkommt es nun Gus, der wütend die Fäuste ballt. „So wird das nie was...“, seufzt Sun daraufhin und verdreht theatralisch die Augen, doch das schürt den Unmut der Truppe nur noch mehr. „Ach ja? Macht euch schon ma‘ auf fiese Schmerzen gefasst!“, mischt sich Rose nun wieder ein und zwingt den Schwarzhaarigen auch sogleich zu dem von ihm befürchteten Kampf.
 

Wie nicht anders zu erwarten, ist er jedoch genauso schnell vorbei, wie er angefangen hat, obwohl es Sun schon richtig leidtut sie so fertigzumachen,-scheinen sich die Rüpel doch ernsthafte Sorgen um ihren verqueren Boss zu machen. „Diese Schmerzen! Sogar mein Herz tut weh!“ Rose ist sichtlich am Boden zerstört und fängt hilflos an zu weinen, was die anderen wütend auf den Plan zurückruft. „Unsre gesamte Riege an Pokémon kriegste jetz‘ auch noch ab! Das haste nich‘ umsonst gemacht!“, verteidigt Bryan seine Partnerin und nimmt sie tröstend in die Arme. „Wa‘ geben zweihundert Prozent, wenn wa‘ unsren Boss damit retten könn‘!“, wirft Aaron ein und so stellen sich alle Jungs gleichzeitig Sun entgegen, doch es nützt ihnen ebenfalls nichts. Sie werden alle von dem Schwarzhaarigen im Eiltempo erledigt.
 

„Wa‘ ham doch schon zweihundert Prozent gegeben...“, jammert Gus anschließend und begreift einfach nicht, wie dieser Zwerg sie alle auf einmal besiegen konnte. „Kann man sich noch mehr ins Zeug legen?“, fragt Flo hoffnungslos. „Ham wa‘ halt verlor’n! Na und?“, motzt nun auch Aaron und verschränkt schmollend die Arme vor der Brust. „Aufgeben tun wa‘ trotzdem nich‘, ehe wa‘ den Boss nich‘ wiederham!“, erwidert Bryan jetzt und Sun kann deutlich sehen, wie verzweifelt sie alle doch sind. „Wa‘ sind schließlich Team Skull!“, versucht Flo ein letztes Mal kraftlos ihre Ehre zu verteidigen, doch er lässt bereits mutlos die Schultern hängen. Dann passiert das, was Sun niemals für möglich gehalten hätte. Cameron tritt vor, seine Augen glänzen verdächtig und er zieht sich sogar das Tuch herunter, dass sie alle vorm Mund tragen, damit Sun den gekränkten Ausdruck in seinem Gesicht noch besser sehen kann. Auf einmal wirkt er so entblößt unglaublich verletzt und sehr jung. Nervös knetet er seine Hände durch und, wenn Sun ihn besser kennen würde, dann würde er auch verstehen, wie nahe am Abgrund der Teenager jetzt steht, da er sonst ein sehr dominanter und aggressiver Bengel ist, der sich nur schwer irgendwelche Gefühle eingestehen kann. „Okay, ich werd’s sagen: Bitte rettet den Boss!“, fleht er die zwei Kinder mit einer Stimme an, die jeden Moment zu brechen droht, wenn er noch ein weiteres Wort sagen muss.
 

Der junge Anwärter ist mehr als nur sprachlos, dass alles zu hören. Die tiefe Sorge und Zuneigung, die sie alle für Bromley zu empfinden scheinen, ist einfach nur unfassbar. „Ich...“, setzt Sun an, um ihnen zu sagen, dass er sein Möglichstes versuchen wird, doch soweit kommt er nicht. „Ihr nichtsnutzigen Hohlschädel!“, dröhnt es auf einmal zornig hinter ihm und Lilly. Sichtlich zucken die Rüpel zusammen und rücken enger aneinander. Flugs zieht sich Cameron auch wieder das Tuch vor den Mund. Als sich die beiden Kinder umdrehen, erblicken sie Fran, die sich ihnen kopfschüttelnd nähert. Eigentlich war sie unterwegs, um Informationen über die Ultrabestien zu sammeln, so wie es Bromley’s letzter Befehl war, doch dann hat sie die Rüpel entdeckt, die eigentlich in der Villa bleiben sollten.
 

„Warum stellt ihr euch ihnen in den Weg, wenn ihr wisst, dass sie wohlmöglich vorhaben, den Boss zu retten?“, pflaumt sie die Jüngeren streng an. Sie kann ja sehr gut verstehen, dass sie sich Sorgen um den Weißhaarigen machen, nicht tatenlos rumsitzen können und deswegen auch völlig durch den Wind sind – ihr geht es nicht viel besser, seit sie weiß, dass er in dieser Dimension verschwunden ist und sie sich all diese Gefühle für ihn eingestanden hat. Pia war so nett, ihnen alles mitzuteilen und auch, dass Sun und Lilly versuchen ihm zu helfen. Eingeschüchtert wissen die Rüpel nicht so ganz, was sie ihr erwidern sollen. „Aber Sis...“, setzt Rose geknickt an, doch Fran erstickt ihre Erklärungsversuche im Keim. „Schluss jetzt! Ihr geht auf der Stelle wieder nach Po’u und da bleibt ihr verdammt noch mal auch, bis ich euch etwas anderes sage! Dieser gedankenlose Unsinn hilft weder Bromley, noch uns selbst! Und jetzt macht, dass ihr wegkommt!“ Unter ihrem strengen Blick, der keinerlei Widerworte duldet, besteigen die sechs ihre Bikes und machen, das sie wegkommen.
 

Mit einem schweren Seufzen sieht die Pinkhaarige ihnen nach und wendet sich dann um. Lange betrachtet sie die beiden Kinder vor sich, die so unglaublich entschlossen wirken, dass zu tun, wozu Team Skull niemals in der Lage sein wird. „Ich entschuldige mich für diese Trottel...“, seufzt sie schwerlich und wendet sich dann an die junge Blondine. „Und du, Lilly? – Bist du wirklich bereit für das, was du vorhast?“, fragt sie das Mädchen schließlich. „Ja – ich denke schon...“, kommt es etwas unsicher von ihr, da sie sich nicht sicher ist, was sie von alledem halten soll. Fran lässt geschlagen die Schultern hängen und von ihrem ursprünglichen Missfallen ihr gegenüber ist nichts mehr übrig. Sie wirkt nun genauso verzweifelt und gebrochen, wie ihre Mitstreiter. Fasziniert betrachtet Sun das Ganze, hat er sie doch immer für so stark, distanziert, ja geradezu kalt gehalten. Aber vielleicht liegt ihr Bromley ja ebenfalls am Herzen, auch wenn man es nicht immer so erkennt?
 

„Eigentlich sollte ich mich auch für all die Dinge, die ich euch beiden angetan habe, entschuldigen. Auch, wenn ich ja eigentlich nur die Befehle der Präsidentin ausgeführt habe. – Aber ich denke, für so eine Entschuldigung ist es jetzt wohl zu spät. – Die Sache mit Bromley ist die – er mag die Präsidentin. Er mag sie wirklich. War regelrecht blind wegen ihr. Sie ist die einzige Erwachsene, die ihn schätzt und auch ernst nimmt, zumindest war das am Anfang mal so, als sie noch nicht völlig besessen war. – Jetzt will er nur noch das wiedergutmachen, was er ihretwegen zerstört hat und versuchen ihr zu helfen. – Doch wie immer merkt er nicht, dass er sich damit nur selbst schadet...“, entkommt es Fran traurig.
 

Auf einmal spürt Lilly, dass von der jungen Frau wohl keine Gefahr mehr ausgeht und so tritt sie zögerlich einen Schritt vor. „Sie ist – Mutter ist so egoistisch! Sie hat nur Liebe für die übrig, die sich so verhalten, wie sie es sich wünscht. – Aber ich werde sie retten! Es gibt da etwas, das ich ihr unbedingt sagen muss. Und Bromley können wir dabei ganz sicher auch retten!“, platzt es regelrecht aus ihr heraus. Fran entkommt dabei ein kleines Lächeln. „Ach, Kindchen. – Irgendwas an dir erinnert mich an die Präsidentin. Irgendwas tief in dir drin. Ihr ähnelt euch zwar charakterlich überhaupt nicht, aber die Leidenschaft, die in dir brennt, ist dieselbe.“, meint sie und entlockt so nun auch der Blondine ein schwaches Lächeln.
 

„Sun – Lilly – Ich weiß, ihr müsstet das eigentlich gar nicht tun, erst recht nicht nach all den Problemen, die ihr unseretwegen hattet, aber ich bitte euch, ein Auge zuzudrücken und Bromley für uns den Hintern zu retten. Er war nicht er selbst, seit er die Präsidentin kennengelernt hat und davor war es auch nicht leicht für ihn. Doch er hat immer versucht das Richtige zu tun...“, bittet sie nun. „Wir werden es auf jeden Fall versuchen!“, gibt der Schwarzhaarige zuversichtlich von sich, kann er sich doch ganz gut vorstellen, was sie meint. Und wer weiß schon, wie Bromley wirklich ist, wenn er nicht völlig ausflippt und sich selbst Schaden zufügt? „Danke. – Dieser Dummkopf! – Ich würde wetten, dass er sich dessen nicht einmal selbst bewusst ist, aber – Alola liegt ihm mehr am Herzen, als er sich eingestehen will. Deshalb versucht er auch so verzweifelt die Präsidentin zu retten und all seine Fehler wieder reinzuwaschen...“, gibt Fran seufzend von sich und greift in ihre Tasche.
 

„Hier, der Z-Kristall des Typs Gift. Vielleicht kannst du ihn ja auf deiner Mission brauchen, Sun?“ „Brauchst du ihn denn nicht?“, fragt der Junge verwundert. Die junge Frau gibt nur ein klägliches Lachen von sich. „Ich wünschte, ich könnte ihn gebrauchen. Aber, wie die Rüpel und auch Bromley, bin ich nie so weit gekommen einen Z-Ring zu verdienen und damit ist er für mich praktisch nutzlos.“, meint sie knapp und zuckt gleichgültig mit den Schultern. „Dass ich euch den Z-Kristall überlasse, kann man doch aber auch als Beispiel für dieses ‘einander helfen‘ sehen, das euch anzutreiben scheint, oder?“, fragt sie und hofft, dass das doch irgendwie als eine Art Entschuldigung durchgeht. „Sicher. Es ist auf jeden Fall ein sehr guter Anfang.“, meint Lilly überrascht. Ein weiteres Lächeln huscht über Frans Gesicht hinweg, doch es ist keineswegs fröhlich.
 

„Übrigens, Sun. – Den Stein, aus dem dein Z-Ring gemacht ist, den hast du doch von Kapu-Riki persönlich bekommen, oder? Gib auf jeden Fall gut darauf acht. Ohne Pokémon gäbe es keine Trainer! Vergiss das nie, sonst ziehst du dir den Zorn der Kapu zu!“, mahnt sie den Jungen vor sich halbherzig. „Wobei ich mir da bei dir keine Sorgen mache.“ „Danke, ich werde es mir merken. Und mach dir keine Sorgen, wir werden Bromley ganz sicher finden und zurückbringen!“, gibt er sich zuversichtlich. Fran erwidert darauf jedoch nichts mehr, sondern wendet sich einfach um, damit niemand sieht, wie sehr sie jetzt mit sich kämpft. „Zeit zu gehen...“, meint sie einfach nur knapp und verschwindet dann, ohne auf eine Antwort zu warten. Einen Moment sehen Sun und Lilly ihr noch nach, dann blicken sie voraus in den endlos erscheinenden Canyon von Poni und treten ihre lange Reise zum Sonnenkreis-Podium an.
 


 

3
 

Das Gefühl beobachtet zu werden, wird mit jedem Schritt, den der Käfer-Trainer macht, immer stärker. Nervosität steigt in ihm auf und lässt sich auch nicht unterdrücken. Dieser seltsame Ort hat etwas an sich, dass das in ihm hervorruft, was er stets zu verstecken versucht – panische Angst, die ihn zu verschlingen droht und der er sich nicht entziehen kann. Das gefällt ihm überhaupt nicht, doch solange er gezwungen ist hier zu sein, wird er sich damit wohl anfreunden müssen. Widerwillig gibt der Weißhaarige ein Schnauben von sich und setzt seinen Weg fort. Allerdings kommt er nicht weit, ehe ihn dieses Gefühl beobachtet zu werden, regelrecht erschlägt. Ruckartig bleibt er stehen und dreht sich um. Nichts ist zu sehen, doch das Gefühl wird allmählich übermächtig. „Zeig dich endlich, verdammt noch ma‘!“, ruft Bromley in die Leere hinein, aus der er gekommen ist. Selbstverständlich erhält er keine Antwort. Mit einem weiteren Schnauben schiebt er das Ganze auf seine wachsende Paranoia, was an so einem fremden Ort wohl auch kein Wunder ist.
 

Als er sich allerdings umdreht, um weiterzugehen, bleibt ihm vor Schreck fast das Herz stehen. Gerade noch so kann er einen Schrei unterdrücken und stolpert stattdessen ein paar Schritte zurück. Mit weit aufgerissenen Augen starrt er das Anego an, das direkt vor ihm in der Luft schwebt. Wabernd gleiten seine Tentakel durch den Raum und es blickt den jungen Mann vor sich mit erschreckender Nachdrücklichkeit an, obwohl es nicht über ein erkennbares Gesicht oder auch nur Augen verfügt. Ein eisiger Schauer läuft dem Skull-Boss den Rücken hinab, droht ihn regelrecht zu lähmen, doch schließlich findet er wieder zu sich selbst und versteht gar nicht, warum er gerade so erschrocken ist. „Da biste ja endlich!“, lässt er verlauten, während ein herausforderndes Grinsen über seine Lippen huscht. Anego erwidert dem nichts, schwebt nur weiterhin geduldig vor ihm in der Luft. Ohne den Blick von der Ultrabestie zu nehmen, greift Bromley in seine Tasche und zieht einen Ultraball hervor.
 

„Sei schön brav, du dämliche Qualle und komm in mein‘ Ball. Vielleicht kann ich Samantha damit ja wieder in ‘ne Wirklichkeit hol’n?“, gibt er von sich und wirft den blaugelben Ball dann in einer ausladenden Bewegung direkt auf das Anego. Dieses bemüht sich gar nicht erst zur Flucht oder dergleichen, sondern verharrt still. Dennoch fliegt der Ultraball einfach durch es hindurch, als wäre es nichts weiter als ein Geist oder ein Hologramm. „Was zum...?!“, entkommt es dem Käfer-Trainer mit einer Mischung aus Zorn und Verwunderung. Knurrend fixiert er das Quallenwesen und mustert es streng. „Na wart’s nur ab! Das haste nich‘ umsonst gemacht! Ich krieg‘ dich schon!“, verkündet er siegessicher und läuft direkt auf die Ultrabestie zu. In seinem Kopf erscheint es ihm nur allzu logisch, dass Anego nun ausweichen wird, damit er sich den Ultraball wieder zurückholen kann, doch da liegt er völlig falsch.
 

Die Qualle rührt sich auch weiterhin nicht und Bromley wird dies leider viel zu spät bewusst. So kommt es, dass er ungebremst mit ihr zusammenstößt. Zumindest denkt er das. Allerdings macht sich Anego wieder durchlässig, sodass er haltlos durch es durchläuft. Dabei ist es, als würde er durch ein schweres Gas oder Ähnliches laufen, das ihn schlagartig betäubt und auf einen wilden Trip schickt. Vollkommene Leere schleicht sich in seine Augen und er verliert praktisch endgültig den Bezug zur Realität. Dann ist er durch das Wesen hindurch und dreht sich ruckartig wieder danach um.
 

Er gibt ein überraschtes Stöhnen von sich. Plötzlich weicht die Leere aus seinem vernebelten Blick. Entsetzen tritt in seine Augen – Todesangst! Hilflos und zitternd weicht der sonst so furchtlose Skull-Führer immer weiter zurück, bis er mit dem Rücken gegen die edelsteinanmutende Wand aus Pflanzen hinter sich stößt, die sich aber doch als Felsformation entpuppt. Hart bohren sich die einzelnen Stücke in seinen Rücken, doch er merkt es gar nicht erst. In langsamen, wabernden Bewegungen nähert sich ihm das Quallen ähnliche Wesen und streckt dabei zwei seiner langen Tentakel nach ihm aus. „Nein…!“, kommt es kraftlos von dem Weißhaarigen. Alle Farbe ist aus seinem ohnehin schon blassen Gesicht gewichen. Der Atem stockt ihm schon fast und sein Herz hämmert so heftig gegen seine Brust, das es schmerzt. Seine Augen sind weit aufgerissen und sein ganzer Körper zittert unwillkürlich. In seinem ganzen Leben hat er noch keine so derartige Angst verspürt.
 

Nein, das ist gelogen. So eine Angst hat er auch damals empfunden, als sein Vater, in all seiner unberechenbaren Wut, das erste Mal mit dem Golfschläger auf ihn losgegangen ist. Anego schwebt immer näher heran. „Nein, bitte…“, haucht Bromley verloren und drückt sich so fest gegen den Felsen in seinem Rücken, als würde er versuchen wollen, sich dort hindurch zu schieben. Dann berühren ihn die beiden Tentakel des fremden Wesens an den Schläfen, injizieren ihm unbemerkt ihr lähmendes Nervengift. Sie fühlen sich warm an, wie übergroße Finger, die ihn zärtlich streicheln. Schlagartig zuckt in seinem Kopf ein greller Blitz auf und Bromley geht mit einem überraschten Aufschrei auf die Knie. Anego schwebt noch näher heran, legt ihm nun all seine Tentakel auf den Kopf und pumpt ihn regelrecht mit seinem Gift voll. Wie eingefroren erstarrt der Weißhaarige unter dieser Berührung. Alle Farbe weicht nun auch aus seinen Augen; sie wirken dadurch wie blankpolierte, weiße Edelsteine. Tränen dringen daraus hervor und rinnen stumm über die Wangen des jungen Mannes.
 

In seinem Kopf entsteht das Bild seines Vaters, der mit drohend erhobenem Golfschläger auf ihn zu gelaufen kommt. Er ist ein eher kleiner Mann, sichtbar untersetzt und wirkt immer, als wäre ihm alles gleichgültig, doch er hat eine ungeheure Kraft in den Armen, die sich auf sein geliebtes Dreiereisen überträgt, als wäre es eine Verlängerung seiner Faust. Er holt zum Schlag aus und… Plötzlich ein erneuter Blitz. Diesmal durchzuckt er Bromley’s Kopf so heftig und grell, dass alles darin ausgelöscht zu werden scheint. Der Käfer-Trainer gibt ein hilfloses Stöhnen von sich. Nach und nach entfernen sich die Tentakel von seinem Kopf. Entgegen aller Gedanken war das Gift, das Anego ihm verabreicht hat, nicht dazu dagewesen, ihn zu verletzten oder gar zu töten. Nein, auf Bromley’s ohnehin schon mitgenommenen Geist hat es eine ganz andere, für den jungen Mann völlig unvorhergesehene Wirkung, die eher einer Heilung, als einem Schaden gleichkommt.
 

Schließlich kehrt die Farbe in die Augen des Skull-Bosses zurück. Bromley blickt sich verwundert um. Er weiß, wo er sich befindet und was alles passiert ist. Ja, er erinnert sich an alles! Die Klarheit seiner Gedanken ist unbeschreiblich, unbegreiflich. Niemals zuvor-, seit diesem schicksalhaften Tag, an dem sein Vater ihn zum ersten Mal mit dem Dreiereisen bewusstlos geschlagen hat,- war sein Kopf so klar gewesen! Mit offenem Mund beobachtet er, wie Anego zu Samantha hinüber schwebt. Es sieht so aus, als wolle es auch ihr helfen; sie von ihrer Besessenheit befreien und sie in ihre Welt zurückschicken. Doch etwas scheint die Ultrabestie daran zu hindern. Samanthas Geist ist nicht auf die gleiche Weise beschädigt, wie es Bromley´s war, von daher würde ihr das Gift höchstwahrscheinlich Schaden zufügen, sie vielleicht sogar umbringen und dazu ist Anego nicht bereit – noch nicht. Stattdessen umschwirrt es die blonde Frau, die in einiger Entfernung auf einem Felsen sitzt und scheint Bromley hilfesuchend anzusehen und das, obwohl das Quallenwesen ja gar keine Augen hat. Dennoch kommt dem Weißhaarigen die Erkenntnis. Genau, Anego hat ihm geholfen, damit er nun Samantha helfen kann, diese fremde Dimension zu verlassen und den Anego ihre Ruhe zu gönnen. Jetzt, wo er die Welt wieder klar wahrnimmt, kann er das auch tun!
 

Noch etwas wackelig, aber durchaus entschlossen, steht er auf und geht zu ihr hinüber. All die falsche Liebe, die er die ganze Zeit für sie empfunden hat, ist genauso aus ihm verschwunden, wie das Antlitz seines herrischen Vaters. Dennoch fühlt er sich ihr immer noch verpflichtet. Aber nicht mehr, um ihr bei der Erfüllung ihrer kranken Pläne zu helfen, sondern, weil er denkt, dass er nur hier rauskommen kann, wenn es ihm gelingt, zu ihr durchzudringen. Sie allein ist seine Fahrkarte in die Freiheit. Danach kann sie ihm ein für alle Mal gestohlen bleiben! Ihn verbindet nichts mehr mit ihr, auch wenn ihm der Gedanken einen Stich ins Herz versetzt. Wieder eine Beziehung, die zu Bruch geht und die ihn erneut vor den Scherben seiner Emotionen stehen lässt… Wird er denn niemals jemanden finden, der ihn wirklich liebt, bis das der Tod sie scheidet?
 


 

4
 

Der Gedanke macht ihn schrecklich traurig, hatte er doch gehofft, mehr in ihr sehen zu können. Doch er war blind und verletzt und sie hat es schamlos ausgenutzt. Das wird ihm nun alles klar. Dennoch muss er das hier zu Ende bringen, um all die Menschen dort draußen zu beschützen und alles wiedergutzumachen, was er ihnen ihretwegen antun musste. „Samantha? Du musst mir jetz‘ zuhör’n!“, bringt er zuversichtlich hervor und versucht keine Schwäche zu zeigen. Nahezu überrascht sieht sie ihn an, ganz so, als hätte sie nicht damit gerechnet, dass er überhaupt hier ist. Dann ändert sich der Ausdruck auf ihrem Gesicht und sie steht auf.
 

Manchmal fühle ich, dass ich wegrennen muss

Ich muss von dem Schmerz wegkommen,

Den du in mein Herz hinein geschlagen hast
 

„Ich soll dir zuhören? Wovon träumst du eigentlich?“, fragt sie ihn so durchdringend, dass er es gerade noch verhindern kann, sichtbar vor ihr zusammenzuzucken. „Ich träum‘ davon, mit dir wieder in die Wirklichkeit zurückzugeh’n und alles zu vergessen, was gewesen is‘! Ich träum‘ davon noch ma‘ von vorn anzufangen und diesma‘ alles richtig zu mach’n!“, platzt es aus ihm heraus und er sieht sie flehend an. Doch die Blondine lächelt nur sanft. „Diese Gedanken sind wirklich sehr erstrebenswert, mein Hübscher. Aber wo bleibe ich bei dem Ganzen?“, fragt sie ihn gespielt verletzt und tritt an ihn heran.
 

Die Liebe, die wir teilen

Scheint nirgends hinzuführen

Und ich habe mein Licht verloren
 

Verlangend schmiegt sie sich gegen ihn. Überrascht weicht er vor ihr zurück. Er darf sich davon nicht wieder beeinflussen lassen. Das ist alles nur eine Lüge! „Ich weiß nich‘. Aber, wenn du mit mir kommst, dann kannste auch neu anfangen, mit dein‘ Kindern und so.“, gibt er etwas unsicher zurück. Wieder dieses sanfte Lächeln auf ihre Lippen. „Oh, Bromley. Du kleines Dummerchen!“, kichert sie hell und schmiegt sich erneut an ihn. Diesmal weicht er jedoch nicht vor ihr zurück, will ihr nicht die Genugtuung geben, diese Macht über ihn auszuüben.
 

Weil ich mich hin und her wälze,

Kann ich nachts nicht schlafen
 

Zärtlich legen sich ihre Hände auf seine Brust, streichen verspielt über den weißen Stoff seines T-Shirts. „Ich will doch nur dich und sonst Niemanden!“, haucht sie ihm verführerisch entgegen. Verwundert sieht er sie an. „Ach hör schon auf mit ‘m Scheiß! Wa‘ ham keine Zukunft und das weißte besser als ich!“, gibt er angesäuert zurück und ergreift ihre Hände. Verletzt sieht sie zu ihm auf. „Warum sagst du nur so etwas Grausames? Liebst du mich denn gar nicht?“ Plötzlich scheinen ihre Augen in Tränen zu schwimmen. Beinahe erschrocken nimmt er dies zur Kenntnis und all die alten, ach so falschen Gefühle für sie flammen wieder ungewollt in ihm auf.
 

Einmal rannte ich zu dir

Jetzt werde ich von dir wegrennen
 

„Ich – ich – wünscht‘, ich könnt’s...“, bringt er stockend hervor. Ihre Finger winden sich aus seinen Händen und er lässt es zu. Schnell legen sie sich wieder auf Bromley’s Brust und streichen sanft darüber. „Ich kann dir dabei helfen, mein Hübscher! Alles wird wieder gut und wir werden glücklich sein, bis ans Ende unserer Tage!“, versichert sie ihm fürsorglich. Zärtlich legt sie ihm die Hände in den Nacken und zieht ihn zu sich heran. Der Käfer-Trainer weiß, dass das ein Fehler ist, doch er würde ihr so gern glauben.
 

Diese verdorbene Liebe hast du mir gegeben

Und ich gab dir alles, was ein Junge dir geben kann
 

„Ich liebe dich!“, haucht sie ihm entgegen und dann drückt sie ihre Lippen auf die seinigen und zieht ihn in einen innigen Kuss hinein. Tausend Gefühle überfluten den Weißhaarigen mit solcher Heftigkeit, dass er kaum weiß, wo ihm der Kopf steht. Ausgehungert erwidert er den Kuss und will sie enger an sich heranziehen, sie fest in seine Arme schließen und nie wieder loslassen. Doch das lässt sie nicht zu. Stattdessen trennt sie sich von ihm und stößt ihn dann mit aller Kraft von sich.
 

Nimm meine Tränen und das ist noch lange nicht alles

Verdorbene Liebe

Verdorbene Liebe
 

Von dieser Aktion mehr als nur überrascht, taumelt Bromley haltlos nach hinten, stolpert über einen hervorstehenden Stein am Boden und fällt dann ungehalten gegen die glitzernde Felswand. Dabei schlägt er so heftig mit dem Kopf dagegen, dass er nur noch Sterne sieht. Mit einem Stöhnen sinkt er auf die Knie und fällt dann der Länge nach zu Boden – spürt schon die verlangenden Hände der Ohnmacht nach sich greifen. Samantha beobachtet das Ganze mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht.
 

Jetzt weiß ich, dass ich wegrennen muss,

Dass ich wegkommen muss,

Du willst wirklich nichts mehr von mir
 

„Na? Was sagst du jetzt?“, höhnt sie zu ihm herab. Schwerlich gelingt es Bromley sich auf die Arme zu stützen und sie so anzuschauen. Doch seine Sicht ist nicht völlig klar und er spürt, wie ihm warmes Blut langsam in den Nacken läuft. „Eines Tages wirste mich umbringen, Samantha! Und jeden, der dich liebt! Eines Tages wirste zu weit geh’n und das wird dann das Ende sein! Du wirst vollends überschnappen!“, keucht er schwerfällig, während es in seinem schmerzenden Schädel immer dunkler wird.
 

Um die Dinge richtig zu machen

Brauchst du jemanden, der dich festhalten kann
 

Überlegen sieht sie auf ihn hinab. „Du brauchst nur zu tun, was ich will, mein Hübscher, dann wird dieser Tag nie kommen!“, höhnt sie. „Ich fürcht‘, dass heut‘ dieser Tag is‘…“, erwidert er traurig. „Doch ich denk‘, dass es vielleicht noch nich‘ zu spät is‘. – Lass dir von mir helfen! Lass mich dich wieder in die richtige Welt bringen und wa‘ vergessen das alles und werden glücklich…“, hoffnungsvoll sieht er sie an. Für einen winzigen Augenblick scheint es so, als würde sie tatsächlich darüber nachdenken, dann verfinstert sich ihr Blick wieder.
 

Und du denkst, Liebe heißt zu beten

Aber es tut mir leid, ich bete nicht auf diese Art
 

„Mir war schon immer egal, was eines Tages aus dir wird, mein Junge! Ich habe dich immer nur als mein Schoßhündchen angesehen, das brav mit dem Schwanz wedelt, wenn ich pfeife. Und mehr bist du auch nicht! Ein armseliger, räudiger Köter, der vor seiner Herrin im Dreck liegt und um Gnade winselt! – Ich werde in die reale Welt zurückkehren, aber ganz sicher nicht zusammen mit dir! Sondern mächtiger, als alles andere dort draußen! Und ich werde glücklich sein, ohne dich! Weil es dich dann nicht mehr geben wird!“
 

Einmal rannte ich zu dir

Jetzt werde ich von dir wegrennen
 

Wild funkelnd blickt sie ihn an, das pure Böse in ihrem einst so wunderschönen Gesicht. Falls Bromley jemals so etwas wie richtige Liebe für sie empfunden hat, so stirbt diese mit ihren Worten endgültig. Betroffen sengt er den Blick, kann sie einfach nicht mehr länger anschauen ohne, dass ihm das Herz bricht und er wohlmöglich vor ihr in Tränen ausbricht. Diese Blöße kann er sich unmöglich geben, dann hätte sie wahrhaftig gewonnen und ihn gebrochen.
 

Diese verdorbene Liebe hast du mir gegeben

Und ich gab dir alles, was ein Junge dir geben kann
 

„So, mein Hündchen und jetzt wird es Zeit für ein Schläfchen, damit du Mami nicht mehr auf die Nerven gehst!“, verkündet sie mit einem düsteren Lachen, das all die Besessenheit in ihr zum Vorschein bringt. Es klingt so dermaßen böswillig, dass sich Bromley fühlt, als würde sie ihm ein stumpfes Messer in den Körper rammen und ihn langsam damit aufschneiden – sich an dem laben, was ihr dabei vor die Füße fällt. Angestrengt beißt er sich auf die Unterlippe.
 

Nimm meine Tränen und das ist noch lange nicht alles

Verdorbene Liebe

Verdorbene Liebe
 

Ehe Bromley dann doch noch etwas erwidern kann, dass sie wohlmöglich zur Vernunft bringt, holt sie mit dem Fuß aus. Die harte Spitze ihres Schuhs trifft ihn direkt an der Schläfe und schleudert seinen Kopf ruckartig zur Seite. Die beginnende Dunkelheit in seinem Schädel breitet sich nun explosionsartig aus und er bricht ohnmächtig auf dem kalten Felsgestein zusammen…
 

Berühre mich nicht, bitte

Ich ertrage die Art, wie du mich quälst nicht mehr
 

Ihr dunkles Lächeln wird stärker. „Siehst du? So bist du ein braves Hündchen!“, verkündet sie triumphierend und wendet sich ab. Mit stolzen Schritten nähert sie sich dem Felsen, auf dem sie vorher gesessen hat und um den immer noch das aufgebrachte Anego schwebt.
 

Ich liebte dich, obwohl du mich derart verletzt

Jetzt packe ich meine Sachen zusammen und gehe
 

Von unendlicher Macht und Zuversicht durchflutet, setzt sie sich wieder hin und beginnt erneut liebevoll mit der Ultrabestie zu sprechen. Ungeachtet dessen erreichen Lilly und Sun endlich das Sonnenkreis-Podium.
 

Verdorbene Liebe

Verdorbene Liebe
 


 

5
 

Während Bromley mit Anego ringt und schließlich von Samantha in die rettende Dunkelheit der Ohnmacht geschickt wird, vergehen in der realen Welt ein paar weitere, sehr anstrengende Tage. Mittlerweile sind Sun und Lilly seit einer Woche unterwegs, nachdem sich die Pforte im Æther-Paradies geschlossen hat. Doch die Anstrengungen und die erbarmungslose Hitze, so wie unzählige, heftige Angriffe von wilden Pokémon, haben die beiden nicht davon abgehalten ihr Ziel zu erreichen und den Canyon von Poni zu durchqueren. Und nun endlich tragen ihre Bemühungen Früchte. Als sie den letzten schmalen Spalt des Canyons verlassen, werden sie vom gleißenden Sonnenlicht eingehüllt, das ihnen für einen Moment völlig die Sicht nimmt. Nach und nach gewöhnen sich ihre Augen daran und offenbaren ihnen einen atemberaubenden Anblick.
 

Direkt vor ihnen erhebt sich eine schier endliche Steintreppe so weit empor, dass die beiden Kinder das Gefühl bekommen, damit direkt in den Himmel hinaufsteigen zu können. Das Ende der Treppe ist nicht zu erkennen, da sich feine Wolken darum ranken. Daraus hervor erhebt sich eine gewaltige Felsspitze empor, wie ein göttlicher Finger. In sie scheint etwas eingemeißelt zu sein, doch die Wolken verbergen das genaue Bild, sodass man nur wenige Schattierungen erkennen kann. Im Gegensatz zum Rest des Canyons, wo man von einem ständigen Rascheln und verschiedensten Rufen von Pokémon nur so umgeben war, ist es hier erschreckend still – so still, dass die beiden leises Wasserplätschern hören können, das irgendwo oben von der Felsspitze zu kommen scheint.
 

„Was glaubst du, wie weit es da nach oben geht?“, durchbricht Lilly irgendwann die erdrückende Stille, die beim Anblick der heiligen Stätte zwischen ihnen eingetreten ist. „Ich habe absolut keine Ahnung. – Und wenn ich ehrlich bin, will ich auch gar nicht wissen, wie viele Stufen das sind...“, gibt er schlichtweg überfordert von sich. Die junge Blondine kann ihn da sehr gut verstehen, sie will sich das auch nicht so wirklich vorstellen. Dennoch werden sie die Treppe erklimmen müssen, um das Sonnenkreis-Podium zu erreichen. Einen Moment verweilen sie noch, lassen alles auf sich wirken und befreien ihren Geist von allen Sorgen und Ängsten, die ihnen jetzt hinderlich sein könnten, und schließlich setzen sie ihnen Fuß auf die erste Stufe dieses geheiligten Ortes und beginnen ihren Aufstieg.
 

Nach einer gefühlten Ewigkeit wagt Sun einen Blick nach unten über den sehr niedrigen Rand der Treppe. Nur ein paar Stufen weiter oben fehlt es großes Stück der Konstruktion, das ihnen klar macht, wie alt und marode diese Treppe doch eigentlich ist. Als der Schwarzhaarige über den Rand blickt, kann er den Grund des Canyons gerade noch erkennen, doch bald wird er in Wolken eingehüllt sein und verschwinden. Jetzt jedoch kann er die herabgestürzten Trümmer der Stufen dort unten erkennen und ein nicht sonderlich behagliches Gefühl steigt in ihm auf. Er versucht es zu verhindern, doch es ist so übermächtig, dass es ihm fast den Atem raubt. Sie haben den Großteil des Aufstiegs noch lange nicht hinter sich und dies wird ganz sicher nicht die einzige Stelle sein, an dem man den Verfall beobachten kann und so sorgt er sich ganz unfreiwillig darum, ob sie es überhaupt bis zum Podium schaffen werden.
 

Angestrengt versucht er das ungute, mulmige Gefühl herunterzuschlucken und sich vom Rand zu lösen, doch es gelingt ihm erst, als er Lillys Stimme vernimmt, die nervös in der Mitter der Treppe auf ihn wartet. Sie ist kein bisschen schwindelfrei, weshalb sie sich so weit wie möglich vom Rand fernhalten möchte, was Sun nach diesem Ausblick nur allzu gut nachvollziehen kann. „Was – was siehst du?“, fragt sie nervös und blickt sich verloren um. Leicht schreckt der Katzen-Trainer zusammen und dreht sich ruckartig zu ihr herum. „Das willst du nicht wissen...“, meint er nur knapp und kommt schnellen Schrittes zu ihr zurück. Die junge Blondine nickt nur, als hätte sie diese Antwort erwartet und dann gehen sie einfach weiter.
 

Ein gutes Stück weiter oben erreichen sie wieder ein heraus gebrochenes Stück. Diesmal ist es jedoch viel größer und zwingt sie weiter auf die andere Seite. Die Wolken umgeben sie nun viel deutlicher, sodass Sun den Grund nicht mehr erkennen kann und er hat auch nicht wirklich den Wunsch es zu können. Von daher nimmt er Lilly bei der Hand und führt sie vorsichtig an der Stelle vorbei, ohne hinab zu sehen. Ihnen begegnet noch so ein Stück, ehe sie endlich einen Absatz erreichen, doch es ist glücklicherweise viel kleiner, als die anderen beiden und so kommen sie ohne Probleme daran vorbei. Auf dem Absatz machen sie eine Pause, wie schon viele Male zuvor. Aber nach einem Aufstieg von gefühlten drei Millionen Stufen ist das auch keine Schande. Der Großteil der Treppe, den sie erklommen haben, liegt nun in den Wolken verborgen, die seicht, sanft und blütenweiß an ihnen vorbeiziehen. Dafür kommt aber das Podium endlich in Sichtweite und offenbart langsam seine unfassbare Größe und Schönheit.
 

Dem Absatz folgen in kurzen Abständen zwei weitere, ehe sie eine verzierte Plattform erreichen. Überall hier oben wachsen üppige Gräser und Büsche, was in dieser Höhe völlig unwirklich erscheint. Von der Plattform aus führt eine Art Wasserrinne zu zwei weiteren, kleineren Plattformen, die sich völlig vom Wasser umgeben gegenüber liegen. Von diesen beiden Becken führt das Wasser weiter, bis zu einer gewaltigen Felswand, die wie ein Finger hoch in den Himmel ragt. Sie ist mit einem riesigen Relief verziert, das eine Art Scheibe am Himmel darstellen könnte, in deren Mitte sich ein frühzeitliches Abbild der Sonne erstreckt. Das Wasser, das die Rinne und die beiden Becken füllt, scheint in einem schmalen Kreis auf diesem Relief um die Sonnendarstellung herum zu fließen und, dass entgegen aller Schwerkraft. Es ist nicht ersichtlich, ob das Wasser aus einer Quelle irgendwo im Fels in diese schmale Rinne fließt oder, ob es von einer verborgenen Pumpe dort entlang geführt wird. Wie auch immer es aber passiert, es sieht sehr beeindruckend aus.
 

„Das ist es nun, oder? Das Sonnenkreis-Podium. Und was jetzt?“, fragt Sun schließlich. Beinahe widerwillig löst Lilly ihren Blick von diesem unglaublichen Kunstwerk, stellt ihre Tasche ab und zieht ihr Notizbuch heraus. Nach einem Augenblick findet sie die Seite, auf der sie das Ritual niedergeschrieben hat. „Okay, einer von uns stellt sich mit der Sonnenflöte auf eine der kleinen Plattformen und der andere mit der Mondflöte auf das andere. Dann müssen wir gemeinsam die Melodie spielen, die wir geübt haben und hoffen, dass das legendäre Pokémon unseren Ruf hört...“, meint sie etwas unsicher und zieht die blaue Mondflöte aus ihrer Tasche. Sun holt die orange Sonnenflöte aus seinem Rucksack und erwidert ihren Blick unschlüssig. „Hoffen wir, es klappt und es wird wirklich auftauchen. Sonst war alles umsonst...“, meint er seufzend und begibt sich zu einer der vom Wasser umgebenen Plattformen.
 

Lilly lässt ihre Tasche zurück und tritt auf die andere Plattform. Gemeinsam sehen sie einander noch einmal an und beginnen dann die Flöten zu spielen. Die Melodie ist nicht einfach, dafür hat sie aber etwas sehr Beruhigendes und Verzauberndes an sich. Schon nach wenigen Noten beginnt das Wasser in den Becken und Rinnen auf einmal zu leuchten. Das energiegeladene Strahlen pflanzt sich mit jedem Ton weiter fort, bis es das gesamte Relief umgibt. Bei diesem Schauspiel ist es wirklich schwer, sich auf die Melodie zu konzentrieren, aber irgendwie gelingt es den beiden Kindern doch. Als das gesamte Wasser hell erstrahlt, beginnt plötzlich auch das Sonnenmuster auf dem Relief zu leuchten. Gleißend hell flammt es auf, als wäre die Sonne selbst dort drin gefangen.
 

Dann beginnt es in allen Regenbogenfarben zu glitzern. Die Melodie der Flöten endet, dafür fängt nun aber Lillys Tasche an zu zappeln. Überrascht und auch ein bisschen erschrocken, sehen die zwei mit an, wie das bewegungslose Cosmovum auf einmal daraus emporschwebt, bis es direkt über der verzierten, großen Plattform zum Stehen kommt. Mit offenem Mund verfolgen die beiden, wie sich dann ein heller Lichtstrahl aus dem Relief löst und das kleine Pokémon davon erfasst wird. Das Leuchten wird stärker und breitet sich weiter aus, sodass es unmöglich erscheint, dort hineinzusehen. Als es dann doch endlich verklingt, vollendet Cosmovum seine letzte Entwicklung und verwandelt sich in das legendäre Pokémon Solgaleo!
 

Mit einem kraftvollen Brüllen landet der weiße Sonnenlöwe schließlich auf der Plattform und das Lichtspektakel findet ein Ende. Die große Katze blickt sich mit einer Mischung aus Neugierde und Dankbarkeit zu seinen beiden Erweckern um und gibt ein erneutes Brüllen von sich. Es klingt wohlwollend und gebieterisch zugleich und es löst die Starre, in die die beiden Kinder bei alledem verfallen sind. Nun kennt Lilly kein Halten mehr und läuft eilig zu dem großen Löwen hinüber. „Solgaleo! – Es geht dir gut! Ich bin ja so froh! Bin ich vielleicht erschrocken, als du plötzlich aus meinem Rucksack gesprungen bist...!“, verkündet sie den Tränen nahe und schmiegt sich an dem mächtigen Kopf des Sonnenwesens. Sun entkommt ein erleichtertes Lächeln. Sie sind ihrem Ziel die ganze Zeit scheinbar näher gewesen, als sie dachten, trugen sie das legendäre Pokémon doch schon immer unbewusst mit sich herum.
 

Sanft reibt sich die große Katze an dem kleinen Mädchen und leckt ihr dann zärtlich über die Wange. „Ich hätte nie geglaubt, dass der Klang der Flöten dir solche Kräfte verleihen würde! – Wer hätte gedacht, dass du dich dadurch zu dem legendären Pokémon entwickeln würdest?“, teilt sie Solgaleo noch immer fassungslos mit. Der Löwe gibt ein zustimmendes Raunen von sich. „Davon stand nichts in all den Büchern, die ich studiert habe! – Mit keinem Wort wurde erwähnt, dass du dich zum legendären Pokémon entwickeln würdest!“, empört sie sich schon fast. Solgaleo gibt wieder einen Laut von sich, der so klingt, als hätte er es selbst nicht geahnt.
 

Nun steht auch Sun bei den beiden und beim Anblick des Jungen fällt Lilly wieder ein, warum sie eigentlich hier sind. Weit reißt sie die Augen auf und sieht den weißen Löwen dann verzweifelt an. „Bitte, ich muss unbedingt Mutter sehen...“, fleht sie die große Katze an. „Kannst du das? Kannst du uns zu ihr bringen?“, ihre Stimme bebt so sehr, dass sie zu brechen droht, was Solgaleo den Ernst der Lage nur allzu deutlich macht. Das Sonnenwesen entfernt sich ein paar Schritte von seinen menschlichen Begleitern, wirft dann den Kopf in den Nacken und stößt ein solch durchdringendes Brüllen aus, dass einem förmlich das Blut in den Adern gefrieren mag. Die ganze Erde scheint unter diesem mächtigen Laut zu erzittern. Die Luft beginnt zu knistern und dann reißt sie auf einmal direkt vor ihnen auf – ganz ähnlich, wie in dem Moment, als sich in Samanthas Trophäenraum die Ultrapforte geöffnet hat.
 

Das Gebilde, das sich aus dem entstandenen Riss herausstülpt, sieht auch ganz genauso aus, wie die Pforte, was die beiden Kinder mit tiefer Zuversicht erfüllt. Als das vollbracht ist, tritt Solgaleo wieder zu ihnen heran und legt sich dann auf dem Boden. Mit einem Raunen deutet er ihnen an, auf seinen Rücken zu steigen. Ein letztes Mal sehen sich Lilly und Sun fest in die Augen, ehe sie auf den Rücken des Löwen steigen. Kaum, dass sie sitzen, erhebt sich das mächtige Wesen wieder und setzt zu einem gewaltigen Sprung an, der sie alle direkt in die Pforte katapultiert.
 


 

6
 

Ein paar Augenblicke der völligen Schwerelosigkeit später, durchstoßen die drei eine unsichtbare Barriere und landen in der Ultradimension. Dank der Hilfe von Solgaleo tun sie dies auch weit sanfter, als es Bromley zuteil wurde. Davon ahnen sie allerdings natürlich nichts, sondern sehen sich nun sprachlos in dieser fremden Welt um. Der mächtige Löwe wittert im Moment auch keine Gefahr und setzt sich daher einfach hin. „Ich bin überrascht, wie schön es hier ist. – Aber die Luft ist ziemlich stickig. – Das Atmen fällt ein wenig schwer...“, entkommt es Lilly nach ein paar Augenblicken. Sie sieht sich nach Sun um, der ihre Erkenntnis stumm nickend bestätigt. Dann tritt Stille zwischen ihnen ein und der Schwarzhaarige gibt ihr die Zeit sich mit alledem anzufreunden. Er kann sich nur allzu gut vorstellen, wie schwer das Ganze für sie sein muss. Ihre Mutter so völlig außer Kontrolle und sie selbst gezwungen etwas dagegen zu unternehmen. Ein wenig bewundert er sie für diese Stärke, kannte er sie sonst doch eher sehr ängstlich und hilflos.
 

„Ich frage mich, ob Ultrabestien wirklich Pokémon sind? Wenn ja, sollten wir sie dann überhaupt Ultrabestien nennen?“, wirft die Blondine irgendwann ein, als wolle sie damit all die schlechten Gedanken vertreiben, die ihr zweifelsohne durch den Kopf gehen müssen. „Ich weiß nicht...“, erwidert Sun schlicht, aber ehrlich. Das alles ist schon ziemlich verrückt und auch ohne diese Überlegung kaum zu glauben. Doch vielleicht finden sie eines Tages eine Antwort darauf? Auf einmal verändert sich Lillys Gesichtsausdruck. Sie wirkt irritiert. „Ich bin etwas verwirrt. Cosmog hat sich entwickelt, zwei Mal sogar, und auf einmal sind wir in dieser anderen Welt. – Das alles ist ein wenig viel auf einmal...“, gibt sie ihm mit einem schweren Seufzen zu verstehen. Mitfühlend blickt der junge Trainer sie an. „Hast du Angst?“, fragt er sie sanft und legt tröstend eine Hand auf ihre Schulter.
 

Zu tiefst dankbar erwidert sie seinen Blick, antwortet ihm jedoch nicht auf seine Frage. „Doch jetzt ist nicht die Zeit, um sich Gedanken zu machen! Wir müssen weiter...“, kommt es stattdessen erstaunlich entschlossen von ihr. Ehe Sun ihr antworten kann, gibt der große Kater hinter ihnen einen nachdrücklichen Laut von sich. „Was hast du denn?“, will die junge Blondine wissen und blickt sich um, als fürchte sie einen Angriff oder Ähnliches. Beruhigend gleitet die breite Zunge des Pokémon über ihre blasse Wange. Solgaleo lässt eine Art Schnurren hören. „Du willst hierbleiben? Meinst du das damit?“, versucht Sun das Ganze zu deuten. Bestätigend raunt der Kater und lässt sich von dem Jungen über den gewaltigen Kopf streicheln. Etwas argwöhnisch betrachtet Lilly das Ganze und versteht es dann.
 

Sie tritt näher heran und schließt kurz die Arme um den breiten Nacken des Löwen. „Vielen Dank, dass du uns hierher in diese Welt gebracht hast, Solgaleo! Ab hier übernehmen wir!“, verkündet sie und wendet sich dann dem Weg zu. Der Kater gibt ein Raunen von sich und blickt den beiden Kindern dann etwas sorgenvoll nach.
 


 

7
 

Die beiden sind noch gar nicht weit gekommen, da entdecken sie eine Gestalt, die zusammengesunken auf einem der seltsam anmutenden, edelsteinartigen Gebilde sitzt, die Lilly beinahe an so etwas wie versteinerte Pflanzen erinnern. Beim Nähertreten stellen sie erstaunt fest, dass es sich um Bromley handelt. Als der junge Mann langsam den Kopf hebt, schreckt die kleine Blondine unwillkürlich zusammen. Der Weißhaarige wirkt schrecklich ausgezehrt, müde und völlig fertig – ganz so, als wäre er schon ewig hier. Zudem klebt getrocknetes Blut an seiner Schläfe, das die Wange hinab gelaufen ist und das alles noch bizarrer wirken lässt, als es ohnehin schon ist. Durchdringend fixiert er die Kinder für einen Moment mit einen schiefergrauen Augen. Irgendetwas an ihnen scheint anders zu sein, doch Sun kann beim besten Willen nicht sagen, was.
 

„Ich verrat‘ euch jetz‘ ma‘ was, also sperrt besser die Lauscher auf! Ihr seid wirklich selten dämlich!“, meint der Käfer-Trainer plötzlich. Allerdings klingen seine Worte keineswegs böswillig oder verachtend. Im Gegenteil, sie haben schon beinahe so etwas wie Nachsicht und Hoffnung an sich und wirken somit unglaublich fremd aus dem Mund dieses Rabauken. Unweigerlich beginnt sich der Katzen-Trainer zu fragen, was in der all Zeit passiert ist, die er und Lilly gebraucht haben, um zu ihm zu kommen. Was hat Bromley die Wunde zugefügt? War es eine Ultrabestie oder gar Samantha? War er es wie so oft selbst? Was ist sonst noch passiert? Das alles würde er den Älteren gern fragen, doch dieser scheint nicht in der Stimmung dafür zu sein. Stattdessen rutscht er von seinem Platz herunter und tritt ihnen gegenüber. „Ich hab‘ kein‘ blassen Schimmer, wie ihr überhaupt hergekomm‘ seid. Aber tja, da seid ihr nu‘ ma‘.“, meint er schlichtweg mit einem Schulterzucken.
 

Eigentlich will Lilly ihm sagen, dass Solgaleo sie hergebracht hat, entscheidet sich dann aber dagegen, da er das alles vielleicht gar nicht verstehen würde. Sie begreift es ja selbst kaum. Von daher lässt sie ihn ungetrübt weiterreden. „In dieser trostlosen, fremden Welt wimmelt es nur so von diesen Ultrabestien. – Hab‘ versucht, mir eine von den Dingern zu schnappen...“ In seinen Augen kann Sun die Erinnerung daran erkennen und sie scheint keineswegs schön zu sein, was er auch sogleich bestätigt bekommt, als Bromley das Ganze erklärt.
 

„Aber ehe ich mich’s versah, hatt‘ sich das Ding mich geschnappt! Was dann geschah, is‘ schwer zu erklären. – Es wa‘, als wär’n mein Körper und mein Geist plötzlich erwacht, als wär‘ ich zum ersten Mal in mei’m Leben wirklich bei Bewusstsein! Ich bekam Panik! Was wa‘ hier los?! Es wa‘, als sei ich nich‘ mehr ich selbst!“, mit jedem Wort mehr, fängt der Weißhaarige heftiger an zu zittern. Dennoch scheint er sich dieser Tatsache gar nicht bewusst zu sein. Erschrocken und mitfühlend sieht Lilly ihn an. Doch, als sie sich ihm nähern will, ballt Bromley ruckartig die Fäuste und sie tritt wieder zurück. „Dabei bin ich doch der Boss von Team Skull, der vor nichts und Niemandem Angst hat!“, gibt er den beiden entschlossen zu verstehen, als hätten sie diese Tatsache völlig infrage gestellt.
 

Einen Moment mustert er die beiden Kinder vor sich streng, ganz so, als würde er nur auf einen dummen Kommentar von ihnen warten, der seinen nächsten Schritt rechtfertigen würde. Doch es kommt nichts, weshalb er sich wieder beruhigt und nun ein trauriges Gesicht aufsetzt. „Mit Samantha is‘ das Gleiche passiert. – Sie is‘ inzwischen viel zu stark für mich! Für Samantha existiert nur noch ihre ‘wunderschöne Ultrabestie‘. Worte erreichen sie nich‘, Gefühle prallen an ihr ab. – Nichts dringt mehr zu ihr durch…“ Es wirkt, als würde der sonst so starke Boss jeden Moment in Tränen ausbrechen und es scheint ihm sogar egal zu sein, dass die beiden Kinder es sehen könnten. Dieser Anblick macht Sun deutlich, wie verzweifelt und getroffen Bromley doch sein muss und, dass Fran keineswegs unrecht damit hatte, als sie meinte, dass Samantha dem Weißhaarigen viel bedeuten würde. Sun würde sich sogar so weit aus dem Fenster lehnen und behaupten, dass er in sie verliebt ist, oder besser, es war.
 

Betroffenes Schweigen legt sich schier endgültig über die kleine Truppe und lässt sich nur schwer wieder vertreiben. „Ich werde trotzdem zu ihr gehen!“, platzt es irgendwann aus Lilly heraus und die beiden Jungs sehen sie überrascht an. Ein nachsichtiges Lächeln huscht über das Gesicht des Käfer-Trainers. „Tu, waste nich‘ lass’n kannst, Kleine! Ich werd‘ dich nich‘ davon abhalten...“, meint er locker, aber mit einem schweren Seufzen, und setzt sich wieder auf eines der merkwürdigen Gebilde. Für ihn scheint das alles vorbei zu sein. Hilfe können sie ganz sicher nicht von ihm erwarten. Doch Lilly hat vollstes Verständnis für ihn. Wer weiß schon, was er hier alles Schreckliches durchgemacht hat? Sun allerdings hält natürlich ungetrübt zu ihr, also setzen sie ihren Weg gemeinsam fort und lassen Bromley allein zurück.
 


 

8
 

„Hach ja, die Welt meiner Ultrabestien. Ist sie nicht einfach atemberaubend? Das einzige, was es hier gibt, sind die Anego und meine Liebe zu ihnen. Es ist wie im Traum! Ich glaube, ich befinde mich hier wahrhaftig im Paradies!“, entkommt es Samantha in vollkommener Verzückung. Sanft streichelt sie das Quallenwesen neben sich, das kurz darauf leicht zusammenzuckt und die Aufmerksamkeit der Blondine auf die Ankunft der beiden Kinder lenkt. Zornig wendet sie sich ihnen zu. „Aber nein! Ihr Nervensägen müsst natürlich wieder alles kaputtmachen! Wer hat euch das Recht gegeben, diesen Ort mit eurer Anwesenheit zu stören?! Bis ihr kamt, gehörte diese wunderschöne Welt nur mir und den Anego!“, gebärt sie sich wild und stampft wütend mit dem Fuß auf den Boden.
 

Verständnislos mustern sie die zwei Jüngeren. „Nur dir und den Anego? Was redest du denn da?! Bromley ist doch auch noch hier!“, entkommt es Lilly leidvoll und ihr wird schon jetzt klar, dass sich der Weißhaarige seine Verletzung ganz sicher nicht selbst zugefügt hat. Sie kann es praktisch in dem wilden Blick ihrer Mutter sehen, noch ehe sie ihr antwortet. „Der ist mir völlig egal! Ich habe die Nase voll von ihm! Ich habe es endlich geschafft, in diese wundervolle Welt zu kommen! Und er will mich dazu bringen, wieder in unsere eigene langweilige Welt zurückzugehen! Davon will ich aber nichts hören! Ich habe keine Geduld mehr für sein närrisches Geschwätz!“, platzt es angewidert aus Samantha heraus. Sun wird klar, warum der Käfer-Trainer sie nicht begleiten wollte. All seine Bemühungen liefen ins Leere und er hat einfach keine Kraft mehr dafür. Die Herzlosigkeit, die diese Frau an den Tag legt, ist einfach unfassbar.
 

Lilly scheint da ganz ähnlich zu denken und blüht nun langsam richtig auf. All der angestaute Zorn, den sie für ihre Mutter hegt, kommt nun nach und nach an die Oberfläche und gibt ihr den Mut ihr entgegenzutreten. „Immer denkst du nur an dich! Das machst du immer so! – So war das schon im Æther-Paradies. Und hier jetzt wieder!“ Ihr erstaunlich energischer Tonfall zeigt Sun, dass sie auf dem richtigen Weg sind und, dass er sich aus dem Ganzen so lange wie möglich raushalten sollte. Das hier ist eine reine Familienangelegenheit und er ist nur hier, um das Schlimmste zu verhindern und Lilly wieder sicher in die reale Welt zu bringen. Von daher schweigt er nun und lässt sie das Ganze unter sich ausmachen.
 

„Ich weiß gar nicht, was du von mir willst! Warum sollte sich nicht alles um mich drehen? Ich will eben in einer Welt leben, die voll von dem ist, was ich liebe! Du magst mein eigen Fleisch und Blut sein. – Du magst dich noch so sehr nach meiner Liebe und Anerkennung sehnen. – Aber selbst, wenn du das seltenste Pokémon auf der ganzen Welt wärst. – Wenn du nicht die Schönheit besitzt, meiner Liebe würdig zu sein, bist du für mich einfach nur überflüssig! In meiner Welt ist nur Platz für Dinge, die ich liebe und die mir wichtig sind!“, erklärt sich die Präsidentin nun nachdrücklich und sieht auf ihre Tochter herab, wie auf einen hässlichen Schmutzfleck auf einem neuen, weißen Teppich. Fassungslos sieht die kleine Blondine sie an und sucht nach den richtigen Worten, um ihr klar zu machen, wie falsch sie mit ihrer Aussage doch liegt.
 

„Ich habe genug! Kinder – Kinder sind doch nicht das Eigentum ihrer Eltern! Und für Pokémon gilt das Gleiche! Ein Trainer kann nicht einfach frei über das Schicksal seiner Pokémon verfügen! Ich bin ein lebendiges Wesen! Und Cosmog ebenfalls! Kinder und Pokémon sind keine Gegenstände! Sie haben ein eigenes Bewusstsein! Man kann sich ihrer nicht einfach entledigen, sobald sie einen nicht mehr interessieren! Du bist einfach nur gefühlskalt und grausam! Ja, grausam bist du!“ Ihre Stimme bebt heftig, doch sie bricht nicht in Tränen aus, wie es der Schwarzhaarige am Anfang befürchtet. Sie schlägt sich erstaunlich wacker und ihre Argumente sind so tiefgründig und erwachsen, dass sie glatt wie ein anderer Mensch auf ihn wirkt. Bewundernd drückt er ihr still die Daumen.
 

„Ach? Grausam bin ich, ja? Und inwieweit sind Trainer da anders? Pokémon, die sie nicht brauchen können, werfen sie doch auch einfach aus ihrem Team, ganz wie es ihnen gerade in den Kram passt!“, hält Samantha dagegen und für einen Moment lässt Lilly die Schultern hängen. Auch Sun muss zugeben, dass sie da durchaus recht hat. Er selbst hat zwar nur drei Pokémon und muss sich daher keine Gedanken darum machen, wen er in sein Team aufnimmt und wer die Zeit in der Lagerbox im Pokémon-Center verbringen muss, dennoch ist so etwas für einen Trainer alltäglich, obwohl sich niemand je darüber Gedanken macht.
 

„Aber belassen wir es dabei. Dieses Gespräch führt zu nichts! Nur eines noch, Lilly. Ich kann und will dir nicht vergeben, dass du mit Cosmog einfach so auf und davon bist! Als du noch klein warst, hättest du es nie gewagt, dich mir zu widersetzen! Damals konnte ich noch eine gewisse Schönheit in dir erkennen...“, es klingt beinahe wehmütig, dennoch ist deutlich erkennbar, dass die Präsidentin keinerlei Gefühl dahinein legt. Trotzdem treffen Lilly die Worte schwer und sie kann nichts mehr erwidern. Ihr anfänglicher Mut ist nun aufgebraucht und sie senkt nur noch betroffen den Kopf, um ihre Mutter nicht mehr ansehen zu müssen. Wünscht sich die Zeit von damals zurück, als noch alles in Ordnung und sie eine glückliche Familie waren – bevor ihr Vater spurlos verschwand und unbewusst all dieses Chaos auslöste...
 

Allerdings lässt die Ältere es nicht dabei bewenden und redet weiterhin auf sie ein, um ihr noch mehr Schuldgefühle einzureden. „Aber du hast dich verändert! Du lehnst dich gegen deine eigene Mutter auf! Wie konntest du bloß so hässlich werden!?“, wirft sie ihr zähneknirschend an den Kopf. Dann plötzlich fällt ihr Blick auf den Schwarzhaarigen und sie reißt überrascht die Augen auf, als hätte sie ihn jetzt erst bemerkt. Zornig richtet sie den Finger auf den Jungen und mustert ihn finster. „Daran ist allein dieser Sun schuld! Er hat dich verdorben! Ja, du, Sun...! Und jetzt wagst du es auch noch, in die Welt von mir und den Anego zu kommen? Es reicht! Anego und ich, wir werden dir nun eine Lektion erteilen!“, blafft sie den überforderten Katzen-Trainer nun an. Danach geht alles ganz schnell und dennoch völlig unglaubwürdig.
 


 

9
 

Vor den Augen der beiden Kinder nimmt Samantha Anego fest in die Arme, drückt es liebevoll an sich. Das Quallenwesen gibt ein hohes Fiepen von sich, scheint sich dabei so gar nicht wohl zu fühlen. Kurz darauf werden beide in ein hellen Licht gehüllt, das Sun sehr stark an das magische Leuchten erinnert, das Pokémon umgibt, die sich gerade entwickeln. Ganz ähnlich scheint es hier auch zu sein. Als die Helligkeit nachlässt, ist Anego verschwunden. Samantha scheint es ebenso ergangen zu sein. Dafür schwebt vor den beiden Kinder nun ein Wesen, düster wie die Nacht und bedrohlicher, als alles, was Sun zuvor gesehen hat.
 

Es ist eine Verschmelzung der Präsidentin und der Ultrabestie! Eine schwarze Qualle, mit einem riesig aufgeblähten Kopf und darin scheint der Großteil von Samanthas Körper zu stecken. Lediglich ihre Beine ragen aus dem bizarren Wesen heraus. Die Blondine ist vollkommen mit dem anderen Wesen verschmolzen, sodass sich sogar ihre Haare schwarz verfärbt haben. Ihre Augen glühen nun rot und so durchdringend, als könnte sie einem damit direkt in die Seele blicken, sie packen und auf der Stelle umbringen, einzig und allein mit einem simplen Wimpernschlag. Erschrocken holt Lilly Luft und weicht vor diesem Etwas zurück, kämpft nun sichtlich mit den Tränen. Sun hingegen hat nun lange genug gewartet. Nun ist es Zeit für ihn einzugreifen!
 

Das Ding, das einmal die Präsidentin der Æther Foundation war, schickt nun wie beim letzten Kampf Pixi in den Ring. Sun lässt Snobilikat frei, doch schnell merkt nicht nur der Kater, dass diesmal etwas anders ist. Samanthas wildes Lachen erfüllt die ganze Ultradimension und in diesem Moment beginnen auch die Augen der Fee bedrohlich zu Leuchten. Kein Anzeichen deutet mehr auf die nervöse Angst hin, die das Pokémon noch beim letzten Mal verspürt hat, als sie die Stimmungsschwankungen ihrer Trainerin ertragen musste. Nein, nun sprüht Pixi geradezu vor Kraft, Entschlossenheit und Wut. Passt sich so dem mächtigen Wesen an. Doch das ist nicht das einzig Neue. Die Verschmelzung bewirkt scheinbar auch, dass eine unsichtbare Kraft auf die Fee übertragen wird, sie nicht nur kontrolliert, sodass Samantha kaum noch aussprechen muss, was sie von ihr will, sondern auch die Kraft des Pokémon um ein ganzes Stück steigert!
 

Schon der erste Angriff haut Snobilikat förmlich aus den Socken, doch sein Kater bleibt standhaft. Immerhin haben sie nicht umsonst den endlosen Canyon von Poni durchquert, sondern haben dieses karge und ungezähmte Stück Land dazu genutzt, hart zu trainieren. So gelingt es Snobilikat die Fee zu besiegen, wenn auch nur knapp. Als nächstes folgt Milotic und wie schon beim ersten Kampf gelingt es der Seeschlange die Katze auf die Matte zu schicken. Äußerlich ärgert sich Sun darüber, doch innerlich versucht er sich eine Strategie zurechtzulegen. Die Kraft ihrer Pokémon mag sich vielleicht in dieser fremden Welt geändert haben und unter der Kontrolle dieses grausigen Wesens, doch es sind immer noch dieselben Gegner für den Schwarzhaarigen und das bringt ihm einen Vorteil, da er diesmal weiß, was ihn alles erwartet.
 

Daher richtet er seine Angriffe darauf aus und setzt Elektek ein. Diesmal jedoch hebt er sich die Z-Attacke für später auf. Dem Tiger gelingt es auch mit seinem Donnerblitz Milotic fertigzumachen, auch wenn es nicht auf einen Schlag passiert und er einiges einstecken muss. Traunmagil gelingt es dann, den angeschlagenen Donnerkater zu besiegen, aber nicht, ohne vorher ein paar saftige Fußkicks zu kassieren. Fuegro beendet dann das Ganze für den Geist. Als nächstes ist Kosturso der Kampfbär dran und genau für ihn hat sich Sun die Z-Attacke aufgehoben. Das flauschige Fell verstärkt ja die Feuer-Attacken des Katers, wie der Schwarzhaarige noch vom letzten Mal weiß. Und genau das nutzt er nun aus, um den Bären schnell wieder los zu werden. Die Dynamische Maxiflamme rollt regelrecht über das Pokémon hinweg und steckt es so heftig in Brand, als hätte man ein Streichholz auf einen trockenen Strohballen geworfen.
 

Verständlicherweise findet Samantha das Ganze nicht sonderlich lustig. Dennoch bleibt ihr nur noch ein Pokémon, um den Kampf für sich zu entscheiden und ausgerechnet dieses ist ebenfalls feuerempfindlich. Ein echter Teufelskreis! Dressella hält da natürlich auch nicht gerade lange durch, auch wenn Fuegro durch den Einsatz der Z-Attacke schon auf dem letzten Loch pfeift. Letztendlich gewinnt das Gute. Allerdings will Samantha das nicht wahrhaben und wird nur immer noch zorniger. „Wie – wie könnt ihr es nur wagen?“, brüllt sie den Kindern ungehalten entgegen und schwebt mit ihrem neuen Körper bedrohlich in die Luft.
 


 

10
 

„Was passiert hier nur?“, fragt Lilly aufgebracht und drückt sich hilflos gegen Sun. Dieser kann ihr darauf auch keine Antwort geben und blickt nur wie versteinert auf das groteske Wesen, das einst Samantha war. Hinter ihnen ertönt plötzlich ein Laut. Mit einem Fauchen und einer sorgenvollen Miene stößt Solgaleo zu ihnen. Panisch wendet sich die kleine Blondine an das mystische Pokémon. „Hilf ihr, Solgaleo, bitte!“, fleht sie der Verzweiflung nahe. Der große Kater faucht und springt dann mit einem kraftvollen Satz direkt auf das Quallenwesen, holt es damit vom dunklen Himmel und rammt seine scharfen Zähne in es hinein. Hart schlägt es auf dem Grund auf und erstrahlt erneut in gleißendem Licht.
 

Für einen Moment ist nicht ersichtlich, was passiert ist, dann lässt das Leuchten wieder nach. Mit einem zufriedenen Raunen entfernt sich der Löwe ein Stück und gibt den Blick frei. Am Boden liegt Samantha halb ohnmächtig in einer dickflüssigen Brühe, die einst das mutierte Anego war. Der Anblick ist grauenvoll, aber anders ging es wohl nicht. Haltlos stürzt Lilly zu ihr. „Mutter! Mutter...!“, und nun laufen die Tränen über ihr blasses Gesicht. Langsam kommt Samantha wieder zu sich. Verwundert blickt sie ihre Tochter an und hebt kraftlos eine Hand. Hauchzart streicht sie dem Mädchen damit über die feuchte Wange. „Lilly – Wie seltsam...? Du wirkst auf einmal alles andere als hässlich auf mich...“, haucht sie kraftlos und verliert sich dann endgültig in der gnädigen Schwärze der Ohnmacht.
 

Förmlich gerade rechtzeitig, um nicht mitzubekommen, was nun folgt. Plötzlich sind sie alle von unzähligen Anego umzingelt! Aufgebracht kommt Bromley zu der kleinen Truppe hinüber. Von seinem Platz aus hat er das ganze Schauspiel hoffnungsvoll beobachtet, war sich sicher, dass Sun schon einen Weg finden wird, sie zu retten. Nun jedoch ist er mindestens genauso entsetzt, wie die anderen. „Was – was passiert hier?! Es lief doch grad‘ so gut!“, gibt er besorgt von sich und blickt sich immer wieder nach den Quallen um. „So – so viele Anego...!“, bricht es auch aus Sun heraus, doch er kann nichts tun. Sein ganzer Körper ist wie gelähmt und so scheint es auch den anderen zu ergehen.
 

Abgesehen von Solgaleo. Der mächtige Löwe stößt ein lautes Fauchen aus, das die ganze Dimension zum Erzittern zu bringen scheint. Etwas erschrocken und irritiert weichen die Anego für einen Moment zurück und das genügt dem Kater auch schon. Mit einer elegant fließenden Bewegung schnappt er sich alle Menschen auf einmal und rennt los. Die Anego finden sich jedoch schnell wieder zusammen und folgen ihnen dicht auf den Fersen. Der Löwe beschleunigt noch ein ganzes Stück und schließlich erreichen sie die Stelle, an der sie die Dimension betreten haben.
 

Die Pforte ist nicht mehr zu sehen, doch als Solgaleo ein weiteres Fauchen ausstößt, öffnet sie sich und verschlingt unsere Helden regelrecht. Kaum, dass sie hindurch getreten sind, schließt sich der Durchgang auch schon wieder und die Anego bleiben schimpfend auf der anderen Seite zurück. Doch ihr Ärger hält nur einen Moment, dann sind sie froh, dass diese widerlichen Störenfriede endlich verschwunden sind und sie ihre Ruhe und ihre Welt zurückhaben.

End of Game...?


 

1
 

Ein Moment der Übelkeit erregenden Schwerelosigkeit ergreift von ihnen Besitz und dann spüren sie alle auf einmal die wärmende Sonne, die sie blendet und ihnen klar macht, dass sie wieder in ihrer eigenen Welt angekommen sind. Etwas mitgenommen sieht sich Sun nach seinen Begleitern um. Solgaleo steht etwas abseits auf dem Podium, genau an der Stelle, an der es praktisch zur Welt gekommen ist, und betrachtet nahezu hypnotisiert das glitzernde Wasser auf dem Relief. Lilly braucht noch einen Moment, um sich zu sammeln und blickt den Schwarzhaarigen dann müde, aber glücklich an. Er schenkt ihr ein ebenso erschöpftes Lächeln und schaut sich dann nach Bromley um. Dieser ist erstaunlicherweise schon aufgestanden und zu Samantha hinüber gegangen.
 

Langsam geht er neben ihr auf die Knie. Die blonde Frau liegt ausgestreckt auf dem Boden, scheint noch immer ohnmächtig, weshalb er nach ihrem Puls sucht. Als die beiden Kinder dann zu ihm kommen, hebt er den Kopf. „Ich fürcht‘, sie wird noch ‘ne Weile ausgeknockt bleiben...“, teilt er ihnen wehmütig mit. „Sie braucht dringend einen Arzt!“, meint Lilly besorgt. „Wir sollten sie zurück zum Æther-Paradies bringen.“, wirft Sun ein. „Das ist eine gute Idee. Da kann ihr sicher jemand helfen. Doch, wie sollen wir so schnell dort hinkommen? Immerhin haben wir einige Tage durch den Canyon gebraucht...“, erinnert ihn das Mädchen hilflos. Dummerweise fällt Sun das auch gerade wieder ein und er wirkt ratlos.
 

Plötzlich steht der Weißhaarige auf und betrachtet angestrengt suchend den Himmel. „Macht euch ma‘ nich‘ gleich ins Hemd. Unsre Mitfahrgelegenheit müsst‘ jeden Moment da sein.“, verkündet er und wirft dabei nur noch mehr Ratlosigkeit auf. Verwundert sehen nun auch Sun und Lilly in den Himmel, doch sie können beim besten Willen nichts erkennen und können sich auch nicht vorstellen, was passieren wird. „Da!“, entkommt es Bromley und er deutet mit dem Finger auf einen kleinen Punkt, der rasant auf sie alle zukommt. Ein Lächeln schleicht sich auf seine Lippen und nach einem Augenblick ist erkennbar, dass es sich um zwei Pokémon handelt. „Und, was soll uns das bringen?“, fragt Sun verwirrter denn je.
 

Der Ältere antwortet jedoch nicht gleich, sondern wartet, bis die zwei Pokémon nahe genug sind. Dann streckt er die Arme aus und Maskeregen lässt Lady – die rote Reißlaus – hineinfallen. Etwas schnaufend lässt sich der große Falter anschließend auf Bromley’s Schulter nieder. Die Assel hingegen flitzt aufgeregt und freudig fiepend über den Käfer-Trainer hinweg, bis er sie schließlich wieder einfängt. „Is‘ ja gut! Beruhig dich ma‘! Hab‘ euch auch vermisst!“, meint er grinsend, streichelt Lady über den Panzer und drückt Maskeregen liebevoll einen Kuss auf die Wange. Überrascht betrachten Sun und Lilly das Schauspiel, erst recht des Shiny wegen. Dennoch verstehen sie nicht, wie diese beiden winzigen Käfer sie alle zum Æther-Paradies bringen können.
 

Schließlich hat sich die rote Reißlaus wieder beruhigt und hockt nun eingekuschelt in der Kapuze ihres Besitzers, fühlert neugierig vor sich hin. Der Falter ist inzwischen auch wieder zu Atem gekommen und erhält nun von dem Weißhaarigen eine Pokébohne zur Stärkung. „Hat’s geklappt?“, fragt Bromley die beiden schließlich. Die Käfer geben fiepend ihre Zustimmung. „Sehr schön. Dann kannste dich jetz‘ ausruhen.“, meint er zufrieden und ruft Maskeregen in seinen Ball zurück. Nun endlich wendet er sich auch den beiden Kindern zu, die ihn immer noch verwundert betrachten. „Eure Mietze kann uns doch sicher ‘n Stück den Canyon runterbringen, ‘ne?“, fragt der Weißhaarige und blickt sich nach Solgaleo um, der immer noch das Wasserspiel beobachtet. „Vermutlich...“, meint Lilly ratlos. „Gut, dann los!“, erwidert er und nimmt die bewusstlose Samantha auf die Arme.
 

„Was soll das eigentlich werden?“, fragt Sun nun, während sie alle zu dem Sonnenlöwen hinüber gehen. „Ganz einfach, Kleiner. Ich wusst‘ schließlich, dass Samantha in die Ultradimension geh’n will und, dass ich ihr folgen werd‘, ob ich’s nun will oder nich‘. Ich hab‘ mir auch gedacht, dass sich diese dämliche Pforte wieder schließen würd‘, weil sie’s immer im falschen Moment getan hat, und wenn’s uns irgendwie gelingt, ‘ne neue zu öffnen, dort, wo wa‘ gelandet sind, dann wird sie ganz sicher nich‘ an ‘ner selben Stelle sein. Also hab‘ ich Pia im Vorfeld gebeten meine Yacht zu holen. Maskeregen und Lady sollten beobachten, wo sich die Pforte öffnet und ihr dann Bescheid geben, damit sie die Yacht dann dort hinbringen kann. Wa‘ zwar nich‘ geplant, dass ihr hier auftaucht und uns rausholt, aber scheiß drauf. Hauptsache wa‘ ham’s geschafft, checkters?“
 

Sanft legt Bromley Samantha auf Solgaleos Rücken ab. Perplex starren Sun und Lilly ihn an. „Was’n? Ich bin vielleicht nich‘ ganz klar im Kopf, aber dämlich bin ich deswegen noch lang‘ nich‘!“, versucht er sich nun zu rechtfertigen. „So etwas würde ich nach alledem nie behaupten...“, entgegnet ihm die junge Blondine überrascht. „Genau. Das war ganz und gar nicht dämlich, sondern unglaublich weitsichtig!“, pflichtet der Schwarzhaarige ihr bei. Auf Bromley’s Wangen breitet sich ein kräftiger Rotschimmer aus. Verhalten räuspert er sich. „Dann is‘ ja alles geklärt. Schwingt den Hintern! Wa‘ ham nich‘ ‘n ganzen Tag Zeit!“, meint er knapp und klettert auf den Rücken der großen Katze.
 

Kurz darauf haben sie alle Platz genommen und Solgaleo folgt den Anweisungen des Käfer-Trainers und bringt die vier Menschen zum Fuß des Canyon und dessen einzigem Zugang zum Meer. Eigentlich ist es kein direkter Zugang und kann normalerweise nur durch eine unschöne Kletterpartie erreicht werden, aber für den Löwen ist das eine Kleinigkeit. Und tatsächlich finden sie an der zerklüfteten Kante der Felsen eine Yacht – pechschwarz und mit dem Logo von Team Skull verziert. Etwas Unwohlsein überkommt die beiden Kinder, als sie dieses Gefährt sehen. Andererseits hat sich Bromley seit ihrer letzten Auseinandersetzung sehr verändert. Ob nun aus Herzschmerz wegen Samantha, aus Reue wegen seinen Untaten oder durch die Wirkung der Ultradimension, bleibt ein Geheimnis. Doch er ist ganz sicher kein gefährlicher Rabauke mehr, der ihnen Schaden zufügen will, sonst würde er sie wohl kaum mitnehmen. Also überwinden die beiden ihre Vorurteile ihm gegenüber und gehen an Bord. Solgaleo bleibt allein zurück und verschwindet schließlich im Relief des Sonnenkreis-Podiums, bis jemand erneut die Föten spielt, um ihn herbeizurufen.
 


 

2
 

Es dauert eine Weile, doch dann taucht vor der Nase der schwarzen Yacht die künstliche Insel auf. Während sich Sun und Lilly um die noch immer bewusstlose Samantha kümmern, steuert Bromley das Gefährt zur Anlegestelle. Eine gewisse Unbehaglichkeit ergreift ihn dabei, doch er kann nicht sagen, was sie auslöst oder, wo sie so plötzlich herkommt. Allerdings verstärkt sich das Gefühl, als er das Boot auf einmal abbremsen muss, weil vor ihnen das Schleusentor geschlossen ist. Gleicht sein also so etwas wie einer Vorahnung – einem schlechten Omen? Mit verwundert erhobener Augenbraue mustert der Weißhaarige die Absperrung. Seit er die Insel das erste Mal betreten hat, war die Schleuse noch niemals geschlossen. Sein Unbehagen wächst deutlich an, kommt er sich hier doch nun so ungewollt vor.
 

Ein Gefühl von Ablehnung hat er hier schon immer gespürt. Viele wollten ihn hier nicht und sahen in ihm nur Ärger. Doch Samantha hat ihn stets vom Gegenteil überzeugt und Pia gleichwohl. Doch die Blondine ist nicht in der Lage etwas zu tun, das ihm helfen könnte und Pia ist auch nirgends zu sehen. Stattdessen entdeckt Bromley nun eine ganze Heerschar an Æther-Personal, das ihn misstrauisch und angriffslustig mustert. Überall hocken kampfbereite Pokémon und warten ungeduldig auf einen Befehl. Das gefällt dem Käfer-Trainer ganz und gar nicht. In seiner Abwesenheit muss hier einiges vorgefallen sein, dass das hier nötig gemacht hat. Oder galt dieses Aufgebot etwa tatsächlich ihm? Der junge Mann sieht sich außerstande, diese Frage zu beantworten, aber das wird sich sicher schnell ändern. Denn nun betritt Fabian die Bühne.
 

Der Blonde lässt selbstzufrieden den Blick über seine Untergebenen schweifen und fixiert dann Bromley mit einem durchtriebenen Grinsen. „Wisst ihr, was ich an Wasser nicht leiden kann?“, lässt er den Umstehenden zuteil werden. Sie erwidern sein Grinsen, sagen jedoch nichts. „Ganz einfach: Es sind diese widerlichen Insekten, die sich überall breitmachen und die man einfach nicht mehr loswird. Sie werden angeschwemmt wie eine verfaulende Leiche und nisten sich so hartnäckig ein, dass überhaupt nichts mehr hilft. Dennoch gibt es wirksame Maßnahmen, das Ganze etwas in Zaum zu halten. Und, wie wir hier sehr schön sehen können, ist uns da ein besonders dicker Brummer ins Netz gegangen!“ Fabian gibt ein gehässiges Kichern von sich, in das die anderen schnell einstimmen.
 

„Schwafel hier nich‘ rum, sondern mach das Tor auf!“, verlangt Bromley nun nachdrücklich. „Ich denke nicht, nein...“, kommt es knapp, aber arrogant von dem Regionalleiter. „Stimmt etwas nicht?“, fragt Lilly nun und besieht sich das Ganze. „Als wärst du nicht allein schon eine große Plage, so hast du auch noch diese kleinen Kletten mitgebracht? So kommst du hier ganz sicher nicht mehr rein!“, pikiert sich Fabian nun entschieden, als er das Mädchen und den Jungen erblickt. Etwas erschrocken weicht die junge Blondine zurück. „Aber Fabian, was hast du denn? Bitte lass uns doch herein! Mutter geht es sehr schlecht, sie braucht einen Arzt!“, versucht sie es dann.
 

„Na so was aber auch! Der guten Präsidentin geht es also nicht besonders? Es bricht mir das Herz! Aber, was soll ich sagen? Wäre sie hier geblieben, anstatt irgendwelchen seltsamen Wesen nachzujagen, hätte das alles nicht sein müssen und wir hätten vernünftig darüber reden können. Doch so nicht! Die Präsidentin hat nun ausgedient! Wird vielleicht nie wieder in der Lage sein ihrer Arbeit hier nachzugehen, weshalb ich nun ihren Platz eingenommen habe! Und als neuer Präsident der Æther Foundation verfüge ich, dass keiner von euch jemals wieder diese Insel betreten darf!“ Mit offenem Mund starren ihn Lilly, Bromley und Sun gleichermaßen an.
 

„Das kannst du nicht so einfach machen!“, entgegnet ihm der Schwarzhaarige, nachdem der erste Schock von ihm abgefallen ist. „Ach nein? Wie du siehst, mein Junge, habe ich es bereits getan und ihr könnt rein gar nichts dagegen unternehmen. Und solltet ihr es auch nur wagen, einen Fuß auf die Insel zu setzen, dann werden euch meine Untergebenen so fertigmachen, dass ihr nicht einmal mehr als Futter für die Wasser-Pokémon zu gebrauchen seid!“, kommt es barsch von dem selbsternannten Präsidenten. Kampflustig pflichten ihm das Personal und deren Pokémon bei. „Wie – wie kannst du nur so herzlos sein? Mutter könnte sterben, wenn ihr nicht geholfen wird!“, fleht Lilly ein weiteres Mal nun den Tränen nahe. „Das ist mir völlig gleich und nun macht, dass ihr verschwindet! Ich habe zu tun!“, eröffnet Fabian kalt und will sich schon abwenden.
 

„Wag es ja nich‘ abzuhau’n, du selten dämlich gestriegelter Lackaffe!“, kommt es nun zornig von Bromley. Angewidert dreht sich Fabian wieder zu ihm herum. „Deine unflätige Ausdrucksweise konnte wohl selbst die Ultradimentsion nicht mehr ändern, was?“ „Oh, glaub ma‘, die Dimension hat mich sehr verändert. Doch für dich hab‘ ich noch etwas von meiner Herzlichkeit aufgehoben und werd‘ sie dir gleich in dein‘ blassen, abgefuckten Arsch schieben, wenn du nich‘ auf der Stelle das verschissene Tor aufmachst!“ Verstimmt rümpft Fabian die Nase. „Ich verstehe einfach nicht, was Samantha nur an dir finden konnte und erst recht nicht, warum sie mit dir auch noch ins Bett gegangen ist...“, seufzt der Blonde. Überrascht zieht Lilly die Luft ein und blickt den Käfer-Trainer durchdringen an – ganz so, als wolle sie erreichen, dass Bromley diese Lüge auflöst. Der Weißhaarige schenkt ihr nur ein knappes Lächeln. „Sorry, Prinzesschen. Wa‘ von mir nich‘ so geplant und kommt auch nich‘ wieder vor...“, versucht er sich halbherzig ihr gegenüber zu verteidigen. Doch Lilly senkt nur die Augen und setzt sich wieder zu ihrer Mutter. Sie muss das hier alles erst einmal verarbeiten.
 

Sun hingegen lassen diese Tatsachen ziemlich kalt. Er will das Ganze hier nur hinter sich bringen können und dann sehen, dass es ihm gelingt die entflohenen Ultrabestien wieder dorthin zu schicken, wo sie hergekommen sind, ehe sie Alola völlig vernichten. Für Bromley ist das Ganze natürlich noch nicht ausgestanden und er wird weiterhin vehement versuchen sich Zugang zur Insel zu verschaffen, damit er endlich mit alledem abschließen kann. So ist es nicht verwunderlich, dass der Zorn in ihm wächst, erst recht, wenn Fabian noch weiter auf allem herumreitet.
 

„Ist ja goldig! Glaubst du wirklich, dass dir Lilly so einfach vergeben wird? Immerhin bist du ja Mitschuld an dem, was mit Samantha passiert ist. Hättest sie aufhalten sollen, als du noch die Chance dazu hattest. Stattdessen bist du vor ihr auf den Knien herum gekrochen und hast dich wie ein lüsterner Idiot benommen!“ „Ach ja? Vielleicht hab‘ ich das, vielleicht auch nich‘. Aber im Gegensatz zu dir bin ich kein schmieriger Niemand, der um Aufmerksamkeit lechzen muss, damit man ihn überhaupt bemerkt! Und vielleicht sagste das ja alles auch nur, weil du eifersüchtig auf mich bist?“, entgegnet Bromley ihm nun sicherer. „Was willst du damit andeuten, Bursche?“, fragt Fabian streng nach.
 

„Daste selbst scharf auf sie bist! Oder noch besser, dasste scharf auf mich bist und es nich‘ ertragen hast, nich‘ zu bekomm‘, waste wolltest! Und nur deswegen spielste dich hier jetz‘ auf wie’n bockiges Kind und lässt uns nich‘ rein!“, grinst der Käfer-Trainer gehässig. Fabian entgleiten sämtliche Gesichtszüge. „Was fällt dir eigentlich ein, hier solche absurden Behauptungen aufzustellen!?“, entgegnet er ihm mit deutlich geröteten Wangen „Wenn’s nich‘ stimmt, warum regste dich dann so auf?“, kontert der Jüngere. „Ich rege mich nicht auf! Ich versuche nur diese Sinnlosigkeiten aus meinem Kopf zu bekommen, die du hier so schamlos verteilst!“ „Scheiße Mann, gib’s doch einfach zu und die Sache hat sich! Ich versteh‘ das. Gibt doch nichts Schöneres, als ‘n knackigen Arsch, ‘n paar pralle Titten und ‘n harten...“, Bromley kann seine Fantasien nicht weiter ausführen, da knufft Sun ihn kräftig in die Seite.
 

Überrascht wendet sich der Ältere um, nur um in Lillys völlig entsetztes Gesicht zu blicken, gemischt mit dem abgeneigten, nahezu wütenden Ausdruck von Sun. Erst jetzt wird Bromley bewusst, was er da alles gesagt hat und, dass die Kinder es die ganze Zeit über hören konnten. Ein Rotschimmer huscht über sein blasses Gesicht hinweg. „Sorry, Prinzesschen. Vergess‘ das ma‘ schnell wieder...“ Sie senkt erneut den Blick und er ist sich nicht sicher, ob sie ihm damit verzeiht oder das alles einfach nur zu verdrängen versucht. Fabian ist das allerdings völlig egal. „Das ist ja wirklich abstoßend...“, pikiert er sich weiterhin ungehemmt. „Es wär‘ nich‘ abstoßend, wenn du dämlicher Vollpfosten endlich das verfickte Tor aufmach’n würdest, verdammt noch ma‘!“, kommt es wieder von dem Weißhaarigen.
 


 

3
 

Fassungslos und angewidert verfolgen alle Anwesenden gezwungenermaßen, wie sich die Lage immer weiter zuspitzt und Bromley nur so mit fantasievollen und abstoßenden Flüchen und Schimpfwörtern um sich wirft. Das Ganze hat aber nicht gerade etwas Förderliches. Fabian ignoriert die Ausbrüche des Weißhaarigen schlichtweg nur noch oder äußert sich knapp, was sein Gegenüber nur noch mehr aufschaukelt. Sun hat inzwischen jeglichen Versuch aufgegeben den Käfer-Trainer dazu zu bewegen sich wenigstens Lilly zu Liebe etwas zu zügeln – es hat einfach keinen Sinn und ist nur verschwendeter Atem. Dennoch kommen sie so nicht weiter und es muss eine andere Lösung her, ehe das hier noch den ganzen Tag so weitergeht.
 

Die Rettung erfolgt dann schließlich in Form von Pia und Gladio, die nun ziemlich unbemerkt, aber nicht minder erschrocken, den Anlegebereich betreten, um herauszufinden, was der ganze Tumult hier eigentlich zu bedeuten hat. Die doch eher zartbesaitete Frau wünscht sich allerdings, dass sie lieber ferngeblieben wäre, wenn sie sich das so mit anhören muss. Dennoch bleibt sie standhaft und rührt sich nicht von der Stelle. Der blonde Junge hingegen ist nicht sonderlich überrascht von dem, was er da zu hören bekommt. Von seinem ehemaligen Boss hat er nicht wirklich etwas Anderes erwartet. Seine Ausdrucksweise ließ in manchen Situationen schon immer mehr als zu wünschen übrig, da braucht sich Gladio nichts vorzumachen. Auch, wenn ihm seine kleine Schwester schon etwas leid tut, dass nun hören zu müssen. Deutlich kann er ihr Unwohlsein erkennen, doch das Leben ist nun einmal kein Ponyhof und das ist die traurige Realität, Schätzchen, also komm damit klar oder verschwinde!
 

Ganz so fies will der kleine Rebel dann doch nicht sein. Es erstaunt ihn, dass sich seine Schwester nach alledem überhaupt noch hierher gewagt hat und dann auch noch ausgerechnet mit Bromley, diesem Unglücksbringer. Doch er wird später sicher noch genug Zeit dafür haben, sie zu ihrem erzwungenen Erwachsen werden beglückwünschen zu können, jetzt muss er hier erst einmal für Ordnung sorgen! Was er da so aus Fabians Mund hört, gefällt ihm nämlich überhaupt nicht. Nach allem, was er so herausgefunden hat, hätte er sich auch denken können, dass dieser schmierige Mistkerl von langer Hand geplant hat, Samanthas Platz einzunehmen und sich alles unter den Nagel zu reißen. Er war schon immer zwielichtig und nur schwer zu durchschauen, doch das hat jetzt ein Ende!
 

Entschlossen tritt Gladio vor, neben ihm sein treuer Begleiter Typ:Null, der ein leises, aber bedrohliches Knurren unter seinem Helm verlauten lässt. Ihm gefällt das hier mindestens genauso wenig, wie seinem Trainer. Erst recht, da Fabian früher grausame Experimente an ihm durchgeführt hat, um ihn auf den Kampf gegen die Ultrabestien vorzubereiten. Einzig und allein das war der Grund, warum das arme Wesen überhaupt erschaffen wurde. Nur allzu verständlich, dass Gladio das nicht mit ansehen konnte und Null gerettet hat, als alles fehlschlug und das künstliche Wesen wieder vernichtet werden sollte. Doch bis heute ist Null dazu verdammt diesen Helm zu tragen, der ihm auferlegt wurde, um seinem unbeherrschten Temperament und seiner schier endlosen Kraft Einhalt zu gebieten. Doch der Blonde spürt ganz deutlich, wie sehr Null darunter leidet und, dass es keineswegs das böse Monster ist, für das es alle halten. Aber es gelingt ihm einfach nicht, ihn von diesem Helm zu befreien.
 

Sanft legt er seinem Partner eine Hand in den Nacken, um ihn etwas zu beruhigen, während es in ihm selbst vor Wut nur so kocht. All die vielen Jahre hat Fabian immer den treuen Arschkriecher gespielt, nur um jetzt sein wahres Gesicht zu zeigen. „Aufhören! Sofort aufhören! Haltet alle endlich den Mund, verflucht!“, entkommt es dem sonst so schweigsamen Gladio plötzlich, sodass ein Großteil der Anwesenden unwillkürlich zusammenzuckt. Nun richten sich alle Augen unweigerlich auf ihn. Fabian verzieht verstimmt das Gesicht, hatte er doch gedacht, dass der Bengel gar nicht hier ist. Lilly wirkt erleichtert, ebenso Sun. Und Bromley grinst über das ganze Gesicht, freut sich sichtlich, den Jungen wiederzusehen. „Kiddo!“, flötet er fröhlich, was einen roten Schimmer über die Wangen des Blonden jagt, will er doch nicht vor allen hier so vertraut von diesem Verrückten angesprochen werden. Ist immerhin schon schlimm genug, dass Sun und Lilly wissen, dass er mal für Bromley gearbeitet hat.
 

„Kiddo, sag diesem Vollpfosten, er soll das verdammte Tor aufmach’n! Samantha braucht dringend ‘n Arzt!“, versucht es der Käfer-Trainer nachdrücklich. So etwas hat sich Gladio schon gedacht und es wundert ihn entschieden, dass es den drei anderen gut geht, obwohl sie ja ebenfalls in der Ultradimension waren. Doch seine Mutter sieht gar nicht gut aus, dass kann er sogar von hieraus sehen. Trotz all ihrer Verfehlungen, wegen ihres Wahns, ist und bliebt sie dennoch seine Mutter und er muss ihr unbedingt helfen! „Öffnet sofort das Schleusentor!“, befiehlt Gladio dem Personal, doch das rührt sich nicht. Verwundert legt er die Stirn in Falten. „Das kannst du schön vergessen, Junge. Ich habe hier jetzt das Sagen!“, entkommt es Fabian triumphierend.
 

„Das – das ist vollkommen unmöglich...“, entkommt es Pia entsetzt. „Glaub es ruhig! Und nun werdet Zeuge, wie ich Æther zu neuem Glanz verhelfen werde!“, gebärt sich der selbsternannte Präsident. „Das kannst du nicht machen, Fabian! Du kannst unter keinen Umständen diesen Posten bestreiten, solange ich oder Lilly noch auf dieser Erde wandeln und dich nicht ausdrücklich dazu ernennen!“, entgegnet ihm Gladio streng, aber erstaunlich gefasst. „Das mag schon sein, aber mit dem Eintritt in die Ultradimension wurdet ihr offiziell für tot erklärt, ebenso Samantha. Von daher ist es völlig rechtens, dass ich nun Präsident bin!“, versucht der Ältere dagegen zu halten. Ein kaum sichtbares Lächeln huscht über Gladios Gesicht hinweg, das Fabian stutzig macht.
 

„Es mag ja durchaus sein, dass das auf Lilly und Mutter zutreffen mag auch, wenn sie wider erwartend lebendig zurückgekehrt sind. Doch ich war niemals in der anderen Dimension! Ich habe versucht den Aufstand der entflohenen Ultrabestien zu verhindern und ich denke, dass weißt du auch. Und, wenn du mir nicht glaubst, kannst du mich gern testen. Du weißt genauso gut wie ich, dass jeder, der die Ultradimension betreten hat, davon nachweislich gezeichnet ist und, dass man diese unsichtbare Markierung messen kann. Demzufolge kannst du mich nicht für tot erklären, ebenso wenig wie Lilly und Mutter, da sie lebendig wieder zurückgekehrt sind.“, lässt der junge Rebell verlauten. Allmählich breitet sich Unruhe unter dem Personal aus. Scheinbar hat Fabian ihnen ganz schöne Märchen erzählt und sie haben ihm blind geglaubt. Was blieb ihnen auch anderes übrig?
 

Unschlüssiges Tuscheln setzt ein, das Fabian ebenso nervös macht. „Das ist doch völliger Quatsch! Du hast doch überhaupt keine Ahnung...!“, versucht er sich halbherzig zu verteidigen, doch die Beweislast ist erdrückend. „Bist du dir da sicher? Fest steht jedoch, dass deine Dienste als Präsident beendet sind, da Mutter wieder da ist. Sie mag zwar im Moment nicht in der Lage sein ihr Amt auszuführen, doch das heißt noch lange nicht, dass du es deswegen bekommst.! Dafür stehst du in der Rangfolge zu weit unten! Das Gesetz besagt, dass der Nachfolger aus den leiblichen Nachkommen besteht und dann erst aus dem Regionalleiter. Also bin ich von alters her der neue Präsident, bis es Mutter wieder besser geht!“ „Was bildest du dir eigentlich ein, dass du mit mir reden kannst, du Rotzlöffel?“, entkommt es Fabian knurrend.
 

Allerdings bemerkt er dabei, dass sich das Personal nach und nach von ihm abwendet. „Kommt sofort zurück!“, ruft er ihnen nach, doch sie folgen ihm nicht mehr. „Es ist vorbei, Fabian! Sieh es ein, dein Wort hat hier keine Bedeutung mehr. Und nun mach, dass du wegkommst, ehe ich mich ganz vergesse! Du kannst froh sein, dass ich heute so gute Laune habe und dich nicht den Wasser-Pokémon zum Fraß vorwerfe. Doch du bist die längste Zeit Regionalleiter gewesen!“ „Das – das kannst du doch nicht machen...“, der Ältere wird plötzlich kreidebleich und kann sich kaum noch auf den Beinen halten. „Und ob ich das kann! Bis es Mutter wieder bessergeht und wohlmöglich eine andere Entscheidung getroffen wird, fängst du mit sofortiger Wirkung von vorn an und zwar von ganz unten! Also viel Spaß beim Toiletten putzen! Und jetzt geh mir endlich aus den Augen!“ Fassungslos öffnet Fabian den Mund zu einem letzten, verzweifelten Versuch, etwas von seinem verbliebenen Stolz zu retten, doch ihm fällt einfach nichts mehr ein. Stattdessen klappt er den Mund wieder zu, lässt die Schultern hängen und verzieht sich dann wie ein geprügelter Hund.
 


 

4
 

Nachdem dieser unschöne Zwischenfall nun endlich geklärt ist, wird die Schleuse geöffnet und die schwarze Yacht kann letztendlich doch anlegen. Unter Pias Leitung wird Samantha vom Personal in Empfang genommen und in ihre Villa gebracht. Es dauert auch nicht lange, dann ist ein Arzt bei ihr. Lilly weicht ihrer Mutter keinen Moment von der Seite und auch Sun zieht es erst einmal vor, ein Auge auf die beiden Blondinen zu haben, ehe er sich wieder um die Ultrabestien kümmert. Die Ungewissheit lässt ihn nicht los, weshalb er erst sicherstellen will, dass nun alles seinen rechtmäßigen Gang geht. So bleiben Bromley, Pia und Gladio allein an der Anlegestelle zurück.
 

Etwas verlegen betrachten sich die beiden Jungs. Es ist ein komisches Gefühl sich jetzt so friedlich gegenüber zu stehen, wo der Blonde sich doch so klammheimlich davongemacht hat, weil er es bei Team Skull einfach nicht mehr ausgehalten hat. Lange Zeit war er sich nicht im Klaren darüber, wie Bromley das aufgefasst hat, erst recht, wo er ihn so harsch vor der Villa zurechtgewiesen hat, bevor er in der Ultradimension verschwunden ist. Beiden ist jedoch die Sorge um Samantha anzusehen auch, wenn sie in jüngster Zeit sehr unter ihrem Wahn zu leiden hatten. Geduldig mustert Pia die zwei, doch keiner von ihnen scheint der Erste sein zu wollen, der die Stille bricht. Also lässt sie ihnen Zeit. Sie kann sich gut vorstellen, dass es noch Einiges gibt, dass die Jungs besprechen sollten, bevor sich ihre Wege vielleicht für immer trennen.
 

Schließlich gibt der Käfer-Trainer ein leichtes Schnauben von sich, was wohl so etwas wie Resignation ausdrücken soll, und greift in seine Tasche. Langsam nähert er sich Gladio, der ihn misstrauisch mit wachsamen Augen betrachtet. Auch Null ist sich nicht ganz sicher, was er davon halten soll und festigt seinen Stand, um angriffsbereit zu sein. Sein Trainer hebt jedoch beschwichtigend die Hand. Bevor es hier vielleicht zu einem ungewollten Kampf kommt, will Gladio wenigstens hören, was sein Gegenüber zu sagen hat. Das schuldet er ihm allemal für die Rettung seiner Mutter.
 

Bromley nimmt diese Tatsache mit einem leichten Lächeln zur Kenntnis und bleibt schließlich vor ihm stehen. „Hab’s dir sicher nich‘ leicht gemacht, Kiddo. Und ich verlang‘ ganz bestimmt auch nich‘, daste gut Freund mit mir wirst. – Aber vielleicht erinnert dich das hier dran, dass bei Skull nich‘ alles schlecht wa‘?“, entkommt es dem Älteren nun wieder etwas verlegen. Einen Moment später lässt er etwas in Gladios Hand fallen und wendet sich dann augenblicklich von ihm ab – fast so, als befürchte er, der Junge könnte ihn dafür rügen. Überrascht betrachtet der Blonde den Gegenstand in seiner Hand. Dabei handelt es sich um eine feine silberne Kette, wie sie die Rüpel von Team Skull tragen. Doch bei dem Anhänger handelt es sich nicht um den markanten Totenschädel.
 

Verwundert mustert er das bronzefarbene Stück, von dem er im ersten Moment denkt, dass es sich um eine Art Holzsplitter handelt. Dann jedoch weiten sich seine Augen und er erkennt, was es wirklich ist: Ein abgebrochener Zacken von Nulls Helm! Unweigerlich betrachtet er seinen Partner und entdeckt die Fehlstelle auch sogleich. Noch ziemlich gut erinnert sich Gladio an seine erste Begegnung mit Bromley. Nachdem er die Rüpel des Weißhaarigen im Kampf fertiggemacht hatte, haben diese ihn zu ihrem Boss geschleift, damit er dem Blonden mal ordentlich Manieren beibringt. Entgegen all seiner Erwartungen, ist es dem Käfer-Trainer mit links gelungen ihm zu zeigen, wer hier der Stärkere ist. Der Kampf zwischen Tectass und Null war so dermaßen heftig gewesen, dass dabei ein Zacken vom Helm seines Partners abgebrochen ist. Diese Tatsache hat Gladio damals ebenso schockiert wie erfreut, machte sie ihm doch klar, wie stark Bromley ist und, dass es wirklich einen Weg gibt Null von diesem schrecklichen Helm zu befreien.
 

Seit diesem Tag war der Blonde darauf bedacht unzählige Kämpfe aus zutragen, damit es ihm eines Tages gelingt den Helm zu zerstören und Null seine Freiheit zu schenken. Nach all der langen Zeit nun, sieht der Helm doch etwas mitgenommen aus. Feine Haarrisse ziehen sich praktisch über die gesamte Oberfläche, doch keinem Trainer, dem er seither begegnet ist, ist es jemals wieder gelungen, ein Stück herauszubrechen. Nahezu wehmütig betrachtet Gladio nun den Splitter und schließt fest die Hand darum. Dieses Geschenk bedeutet ihm mehr, als er jemals zugeben würde und dennoch hat er damit kein bisschen gerechnet.
 

Er schluckt schwer und hängt sich die Kette dann um den Hals. Der bronzefarbene Splitter ruht dabei direkt auf seinem Herzen und gibt ihm ein unglaubliches Gefühl von Nähe und Verbundenheit – nicht nur mit seinem künstlich erschaffenen Partner, sondern auch mit Bromley. Unweigerlich spürt er, wie sich ungewollt heiße Tränen hinter seinen Augen sammeln. Diese Tatsache erfüllt ihn mit Ungläubigkeit, kann er sich doch nicht einmal mehr daran erinnern, wann er das letzte Mal weinen musste. Doch dieses ganze Abenteuer hat ihn verändert, hat sich alle verändert, und das ist auch ganz gut so, wie er sich selbst eingestehen muss.
 

Langsam überwindet Gladio den kurzen Abstand zwischen sich und dem Weißhaarigen. Etwas ungeschickt legt er dem Größeren von hinten die Arme um die Taille und schmiegt sich an ihn. Eine Geste, die in Bromley im ersten Moment völlige Verwirrung auslöst, da der Blonde sonst niemand ist, der gern die Nähe eines anderen sucht. Kein Wunder also, dass der Käfer-Trainer sich ein Schmunzeln nicht verkneifen kann. Sanft legt er die Hände auf die des Jüngeren und steht reglos mit ihm einige Sekunden lang da. „Danke für alles – Boss...“, kommt es dann leise von Gladio, was den Älteren nur noch mehr überrascht. Nie im Leben hätte er es sich träumen lassen, dieses Wort einmal aus seinem Mund zu hören.
 

Vorsichtig löst sich Bromley von ihm und blickt ihn an. „Wärst bestimmt ‘n toller Rüpel geworden! Aber vergess‘ das ma‘ schnell wieder!“, grinst er ihm entgegen. Über die Wangen des Jungen huscht ein roter Schimmer, dann fängt er sich wieder. „Wird ganz sicher nicht wieder vorkommen, also gewöhn' dich nicht daran! – Aber vielleicht kann ich dich trotzdem noch um etwas bitten?“ Gladio wirkt so ruhig und entspannt, wie ihn der Weißhaarige noch nie gesehen hat und das freut ihn schon sehr. „Schieß los!“ Sanft streicht der Blonde über die Brust seines Pokémon. „Lass uns versuchen den Helm zu zerstören, damit Null endlich frei sein kann.“ Bromley betrachtet das künstlich erschaffene Wesen, das alles andere als glücklich in seinem Gefängnis wirkt. „Klar! Lass uns Kleinholz aus dem verdammten Ding mach’n!“
 


 

5
 

Knurrend und fauchend stehen sich Tectass und Typ:Null wenige Momente später gegenüber. Gladio ist sich noch nicht ganz sicher, wie sie das Ganze am sinnvollsten aufziehen können. Alles in ihm widerstrebt dem Gedanken, seinem Partner einfach nur zu sagen, dass er im wahrsten Sinne des Wortes den Kopf hinhalten soll, anstatt anzugreifen und sich vor möglichem Schaden zu schützen. Dennoch muss er Bromley die Möglichkeit für möglichst viele, kraftvolle Treffer geben, damit überhaupt die Chance besteht den Helm zu sprengen. Hinzu kommt noch, dass Null ein sehr kämpferisches Wesen hat, nur ungern verliert oder tatenlos mit ansieht, wie ein Anderer verletzt wird. Immerhin wurde es ja nur aus dem einen Grund erschaffen und der ist die Bekämpfung der Ultrabestien.
 

Ein Vorteil ist jedoch, dass Tectass ein paar ziemlich fiese Attacken beherrscht, die es einem schwer machen selbst einen Treffer zu landen. Und genau das stellt der Käfer-Trainer nun auch unter Beweis. „Los Pote, Überrumpler und ziel dabei auf den Helm!“, tönt der Weißhaarige grinsend. Der Blonde weiß nur zu gut, dass es ganz unmöglich ist diesem Angriff auszuweichen, weshalb es eigentlich sinnlos wäre einen Gegenangriff starten zu wollen. Aber irgendetwas muss er Null immerhin befehlen. „Benutz Zermalmklaue!“, harscht er das Mischwesen daher an. Mit einem hohlen Brummen macht sich Null bereit für seinen Angriff, doch in diesem Moment prescht Pote schon mit unglaublicher Geschwindigkeit auf ihn zu. Das künstlich erschaffene Pokémon kann dem nur überrascht folgen und doch nichts tun. Im allerletzten Moment gelingt es Null aber dennoch seinen Kopf zur Seite zu neigen und so geht der Großteil des Treffers auf den gut gepolsterten Nacken, statt auf den Helm.
 

Somit ist die wohl beste Chance leider vertan, da Tectass seine kraftvollste Attacke ja nur einmal benutzen kann. Etwas missgünstig blicken sich die beiden Trainer über das Kampffeld hinweg an, während Pia in sicherer Entfernung steht und alles genau beobachtet. „Wa‘ wohl nichts. Also weiter, Pote! Mach ‘nen Hochschlag!“, meint Bromley zuversichtlich. Doch etwas irritiert über diesen Befehl, wendet sich der große Samurai zu ihm um. Die beiden sehen sich einen Moment lang in die Augen und dann begreift die Assel, was sein Trainer eigentlich meint. Die Attacke Hochschlag gibt es überhaupt nicht. Bromley hat sie sich schlichtweg ausgedacht, um seinem Partner zu sagen, dass er seinen Tiefschlag auf den Helm ausführen soll. Als Pote das begreift, huscht ein Funken über seine Augen hinweg, der etwas von Durchtriebenheit an sich hat.
 

Auch Null scheint vom Befehl seines Gegners verwirrt, braucht jedoch länger, um auf die Lösung zu kommen, da ihn Gladio nun auch anweist seinen Angriff zu wiederholen. Mit einem erneuten Brummen stürmt Null sogleich vor. Bedrohlich leuchten schon seine langen Krallen auf. Doch dann trifft ihn die Faust des großen Käfers mitten zwischen die Augen und schleudert ihn zu Boden. „Der hat gesessen!“, jubelt Bromley und lobt sein Pokémon. Null hingegen findet das überhaupt nicht mehr witzig. Zornig erhebt er sich und brüllt und knurrt anhaltend. Gladio würde ihm ja sagen, dass er sich beruhigen und auf den Kampf konzentrieren soll, aber er lässt es. Je mehr sich sein Partner ärgert, desto unaufmerksamer wird er und so ist es leichter für den Samurai einen Treffer zu landen.
 

Dennoch betrachtet er Null mit gewissem Wohlwollen. Der harte Schlag der Assel hat einen neuen, hauchfeinen Riss auf dem Helm entspringen lassen und damit dessen Stabilität weiter geschwächt. ‚Noch so ein paar Treffer und wir schaffen es vielleicht tatsächlich!‘, geht es dem Blonden mit einem Funken Hoffnung durch den Kopf.
 

Der Kampf zieht sich jedoch ganz schön hin. Tectass landet noch ein paar gute Treffer. Allerdings ist Null inzwischen so aufgebracht, dass er Gladio anfängt Ungehorsam entgegenzubringen und blind drauflos rennt. Etwas verzweifelt versucht sich der Junge mit dieser Tatsache anzufreunden. Er kann sich aber sehr gut vorstellen, wie es jetzt in seinem Partner aussehen muss. Ist ganz sicher auch kein schönes Gefühl ständig einen Schlag auf diesen verdammten Helm zu bekommen. Das Mischwesen hat inzwischen ganz bestimmt gewaltige Kopfschmerzen davon. Tiefes Mitleid kommt in dem jungen Trainer auf und er beginnt sich wiederholt zu fragen, ob das hier wirklich so eine gute Idee war. Hätte er stattdessen weiter gegen die wütenden Ultrabestien gekämpft, wäre der Helm sicher auch irgendwann zersprungen. So gleicht das Ganze vielmehr einer endlosen Quälerei und das kann Gladio einfach nicht mehr länger ertragen.
 

Er macht den Mund auf, um Bromley zu sagen, dass sie das Ganze beenden, doch seine Worte kommen zu spät. Der Käfer-Trainer hat bereits den nächsten Befehl gegeben und Tectass stürmt mit erhobenen Klauen los. Doch irgendetwas daran ist komisch – anders. Gladio war so in Gedanken, dass er nicht wirklich mitbekommen hat, was auf dem Feld passiert. Man muss dazu aber auch sagen, dass der Weißhaarige seine nächste Aktion auch nicht laut ausgesprochen hat. Es ist mehr eine stumme Absprache zwischen ihm und Tectass gewesen, um das Überraschungsmoment ganz auf ihrer Seite zu haben.
 

Umso erstaunter und erschrockener sind der Blonde und das Mischwesen auch, als der große Samurai plötzlich die Richtung ändert. Die scharf gewetzten Klauen halten nun mit tödlicher Präzision auf den jungen Trainer zu und nicht mehr auf Null. Hilflos zuckt Gladio zusammen, hält sich reflexartig den Arm vor das Gesicht und versucht sich auf das vorzubereiten, was folgen wird. Sein künstlich erschaffener Partner realisiert die furchtbare Gefahr augenblicklich. Mit wütendem Knurren sprintet er los. Es sieht allerdings nicht so aus, als würde er es noch rechtzeitig schaffen können...
 

Beim Zusammenstoß erfüllt eine dicke Staubwolke das Feld und raubt den Trainern für einen Moment die Sicht. Als sie sich legt, wird deutlich, was passiert ist. Tectass‘ Krallen stecken tief im Helm seines Gegners, während Nulls wütendes Knurren die Luft erfüllt. Das Mischwesen steht über seinen am Boden kauernden Trainer und schirmt ihn so von der Gefahr ab. Als Gladio zögerlich die Augen öffnet und das Pokémon über sich stehen sieht, zieht der große Samurai gerade seine Krallen aus dem Helm zurück. Dabei erklingt ein widerlich schabendes Geräusch und jeder der Anwesenden ist sich sicher, dass sie in Blut getränkt und Null schwer verletzt sein müsste. Doch da ist kein Blut.
 

Stattdessen beginnt der Helm plötzlich hell aufzuleuchten. Das Glühen erinnert die Trainer an das gleißende Licht, in das sich Pokémon einhüllen, die sich gerade entwickeln. Und genau das vollzieht sich hier gerade! Es gibt einen Knall und dann fallen die Bruchstücke des Helms klirrend zu Boden. Null ist endlich frei, doch aus ihm ist jetzt Amigento geworden. Als sich das helle Licht legt, stellt das neu entstandene Pokémon fauchend den Fächerkamm auf seinem Kopf auf und stürmt blitzschnell hervor. Mit glühenden Krallen jagt es Tectass entgegen, der das Ganze nur verwundert betrachtet. Pote kann nicht mehr rechtzeitig ausweichen und wird hart zu Boden geworfen.
 

Seine Energie sinkt dabei in den kritischen Bereich ab und es will sich zurückziehen. Allerdings lässt Amigento ihm nicht die Chance dazu. Fauchend hält er wieder auf den geschwächten Käfer zu. In Bromley’s Kopf zuckt ein Blitz auf, den er schon lange nicht mehr gespürt hat. Es verleitet ihn dazu in alte Muster zurück zu fallen und so stellt er sich schützend mit ausgebreiteten Armen vor seinen geschwächten Partner und versucht es selbst mit der wild gewordenen Bestie aufzunehmen. Mit großen Augen betrachtet Tectass diese herzzerreißende Szene und auch Gladio wird klar, dass das böse enden wird. Der Weißhaarige hat keine Chance gegen das völlig aufgebrachte Pokémon!
 

Eilig erhebt sich der Blonde. „Nein! Tu das nicht, bitte!“, ruft er dem Mischwesen entgegen. Abrupt stoppt Amigento bei Klang seiner Stimme und wendet sich zu ihm um. Etwas verwundert betrachtet er seinen Trainer. Auch der Junge blickt ihn an, ist sich nicht sicher, ob es jetzt überstanden ist. Mit schweren Schritten kommt das künstliche Wesen nun auf ihn zu. Gladio kann seinen Blick nicht deuten, muss sich erst einmal an den neuen Anblick gewöhnen. Angespannt verharrt er aber. Streng scheint Amigento ihn zu mustern. Dann öffnet er sein schnabelartiges Maul. Der Blonde befürchtet schon, dass er ihn beißen will und so schließt er wieder die Augen und wendet verkrampft den Kopf zur Seite.
 

Kurz darauf spürt er ein heißes, feuchtes Etwas, das über seine Wange gleitet. Überrascht öffnet der Junge wieder die Augen und da leckt Amigento ihn wieder überschwänglich ab. Diese liebevolle Geste bringt den Trainer fast zu Fall und so klammert er sich überrascht am breiten Halskragen seines Partners fest. Nach ein paar Augenblicken fängt er an zu lächeln und streichelt dem Mischwesen den Nacken. Erleichtert stößt Bromley die angehaltene Luft aus, lässt die Arme wieder sinken und ruft Tectass in seinen Ball zurück.
 

„Wa‘ ham’s tatsächlich geschafft, Kiddo!“, entgegnet er dem Blonden dann. Überglücklich lächelt Gladio ihm plötzlich entgegen – ein Ausdruck, den Bromley noch nie auf seiner sonst so harten Miene gesehen hat. Und gerade deswegen sieht der Junge in diesem Moment so unglaublich schön aus, strahlend wie die Sonne über Alola. „Ich weiß gar nicht, wie ich dir jemals danken soll...“, entkommt es dem Blonden gerührt. Sanft lächelt der Ältere ihm entgegen. „Musste nich‘. Aber, wenn doch, dann sag’s noch ma‘ und lächl‘ dabei so süß!“, meint der Käfer-Trainer glucksend. Im ersten Moment weiß Gladio darauf nichts zu erwidern, nur seine Wangen färben sich bei diesen Worten unweigerlich rot.
 

Als Bromley schon denkt, dass er dem Jungen nun zu viel zugemutet hat, lächelt dieser dann tatsächlich genauso strahlend, wie eben. „Danke, Boss!“, kommt es fast schon zuckersüß von ihm, wobei das Herz des Weißhaarigen einen freudigen Hüpfer macht. „Geht echt runter wie warmes Öl, Kiddo! – Vielleicht lächelste ab jetz‘ ja öfter ma‘? Würd‘ mich auf jeden Fall freu’n.“ Er wirft einen Blick zu Pia hinüber und sieht dann wieder zu Gladio. „Is‘ noch viel zu tun. Muss jetz‘ geh’n. Aber irgendwann seh’n wa‘ uns bestimmt ma‘ wieder! Aus dir wird ma‘ ‘was ganz Großes, also streng dich an!“, grinst er frech. „Ich gebe mein Bestes, wenn du es auch tust!“, erwidert der Blonde frech grinsend. Kurz darauf verlassen Bromley und Pia die künstliche Insel und machen sich auf den Weg nach Po’u.
 


 

6
 

Mit einem schweren Seufzen ankert der Weißhaarige hinter der Villa. Der stetige Regen macht es nicht gerade einfacher. Allerdings weiß Bromley, dass es der einzig richtige Weg ist auch, wenn es ihm das Herz mehr bricht, als alles andere. Lady hockt in der Kapuze seiner Jacke und blickt ihn tröstend an. Vorsichtig stupst sie mit der Schnauze gegen seine Wange und fiept. Sanft streichelt er der Reißlaus über den Kopf. „Schon gut, Süße. Wird schon irgendwie werden...“, teilt er ihr seufzend mit. Nun legt sich Pias Hand auf seine Schulter. Die kleine Frau blickt ihn verständnisvoll an und dennoch liegt in ihren Augen der Nachdruck das Ganze durchziehen zu müssen. Sie kann sich nur zu gut vorstellen, wie schwer es dem Käfer-Trainer fallen muss, doch seine Entscheidung ist in jedem Fall richtig und sie wird ihn unterstützen, wo sie nur kann.
 

„Sind alle da?“, fragt Bromley sie matt. „So gut wie. Eine Handvoll ist irgendwo unterwegs, sodass ich sie nicht erreichen konnte und die anderen waren sich nicht sicher, wo genau sie sich aufhalten. Doch ich denke, dass ist nicht weiter schlimm.“, erwidert Pia. „Nee, is‘ nich‘ schlimm. Die andern könn’s ihnen ja dann sagen.“ Der furchtlose Anführer gibt noch einmal ein schweres Seufzen von sich, ehe sie gemeinsam die Yacht verlassen.
 

Mit bedächtigen Schritten umrunden sie die Villa und halten schließlich vor der Eingangstür. Einen langen Moment betrachtet Bromley das große Haus, das ihm und seinem Team in den letzten Monaten ein Zuhause gegeben hat. Wo sie so viel Spaß miteinander hatten. Zusammen gelacht und geweint haben. Schon allein beim kleinsten Gedanken daran, bildet sich ein dicker Kloß in seinem Hals und heiße Tränen sammeln sich hinter seinen Augen. Hier draußen im Regen wird niemand sehen können, wenn er jetzt anfängt zu weinen und er würde sich diesem Gefühl der Schwäche nur allzu gern hingeben. Doch, dass wäre jetzt falsch. Er muss stark sein und das Ganze durchziehen – nicht für sich, aber für sein Team!
 

Ehe Pia wieder die Hand auf seine Schulter legen kann und wohlmöglich etwas sagt, das ihn vom Weg abbringen könnte, ballt er entschlossen die Fäuste und tritt auf die Tür zu. Als er jedoch die Hand auf die Klinke legt, zittert sie ganz unwillkürlich. Wie lange ist es her, dass er sich so schwach und hilflos gefühlt hat? Er vermag sich nicht zu erinnern, da es ihn sicher noch trauriger machen würde. Also schluckt er das alles hart herunter und betritt die Villa mit festem Schritt.
 

Drinnen findet er seine Rüpel vor der großen Treppe versammelt. Ungewohnt leise reden sie miteinander und wirken angespannt. Was hat Pia ihnen erzählt, dass sie so nervös macht? Doch das ist völlig egal. Was er ihnen jetzt zu sagen hat, wird weit schlimmer sein. Bromley führt seinen Weg fort. Als die Rüpel ihn entdecken, leuchten ihre Augen hell auf und sie strahlen vor Erleichterung über das ganze Gesicht. Ihnen ist deutlich anzusehen, wie sehr sie sich freuen ihn gesund und munter aus der Ultradimension wieder zu haben. Aufgeregt umrunden sie ihn und plappern alle durcheinander. Der Weißhaarige kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Er war zwar nur kurz weg, doch es kommt ihm jetzt wie Jahre vor. Etwas mühsam bahnt er sich seinen Weg durch die Teenager, nicht aber, ohne gefühlt jeden einmal in die Arme zu schließen.
 

Nach einer kleinen Ewigkeit schafft er es sich von ihnen zu lösen und die Treppe zu erklimmen. Auf dem ersten Absatz bleibt er stehen und wendet sich ihnen zu. Pia steht neben ihm und lächelt zuversichtlich. Wehmütig besieht sich Bromley sein versammeltes Team. Nur einige wenige fehlen, doch das ist nicht weiter schlimm. Aufmunternd legt Pia ihm nun doch wieder eine Hand auf die Schulter. Er betrachtet sie kurz, dann atmet er tief durch, ehe er die Stimme erhebt.
 

„Ihr wisst, dass viel passiert is‘, dass uns alle enger zusammengeschweißt hat. Wa‘ ham gelacht und geweint und uns immer irgendwie durchgeboxt, egal wie viel Arschtritte wa‘ auch kassiert ham. Und ihr wisst auch, was Samantha und ich in ‘ner Ultradimension erlebt ham. Dass es uns beide fast das Leben gekostet hätt‘. – Dadurch is‘ mir einiges klar geworden. Daher is‘ es das Beste, wenn ich euch euer eignes Leben führen lasse…“ Ein unruhiges Raunen zieht sich durch die Truppe. „Boss? Was soll’n das heißen?“, fragt Rose bedrückt. „Ganz einfach: Team Skull is‘ Geschichte!“, erwidert der Weißhaarige ernsthaft. Schockiert starren ihn die Jungs und Mädels an. „Nich‘ dein Ernst!?“, entkommt es Bryan. „Doch, sehr wohl mein Ernst!“, beharrt der ehemalige Boss nachdrücklich.
 

„Aber ihr müsst euch keine Gedanken mach’n. Pia hat für jeden von euch ‘ne Bleibe organisiert. Sie hilft euch, euch wieder in ‘ne Gesellschaft einzugliedern und ‘was Richtges zu lern‘. Sie wird immer da sein, wenn ihr Hilfe braucht. – Ich brauch‘ jetz‘ einfach etwas Zeit für mich, um das alles zu verarbeiten. – Doch ich versprech‘ euch, ich werd‘ jeden von euch besuchen! – So und jetz‘ packt eur’n Kram zusamm‘. Yasu kommt in ‘ner Stunde und verschließt Po‘u für immer und was dann noch hier is‘, bleibt auch hier!“ Langsam wendet Bromley seinen treuen Begleitern den Rücken zu und kämpft mit sich. Sie haben so viel gemeinsam erlebt, das geht nicht so einfach an ihm vorbei. „Jetz‘ geht mir aus’n Augen, verdammt noch ma‘ und ich will kein Wort mehr hör’n!“, verkündet er schließlich mit leicht brüchiger Stimme.
 

Die Rüpel sind ihm bis hierher gefolgt; haben jeden seiner Befehle mit Freuden ausgeführt, ohne auch nur einmal Widerworte zu geben, doch das können sie nicht einfach so hinnehmen – vollkommen unmöglich! Statt zu gehen, rücken sie vor. Einer von ihnen erklimmt sogar die Treppe und zerrt Bromley am Ärmel wieder zu ihnen herum. Überrascht blickt der Weißhaarige in die entschlossenen Gesichter der anderen. Direkt vor ihm steht Cameron, der nun das Hemd seines ehemaligen Führers wieder loslässt und sich das Mundtuch herunterzieht. „Boss, du weißt, ich konnt‘ nie viel mit dein‘ Annäherungen anfangen. – Wa‘ dem Gedanken so sehr abgeneigt, dass selbst dieser Bengel – Gladio – dagegen handzahm wa‘…“, bringt er heraus, was die gesamte Truppe, einschließlich Bromley selbst, zum Lachen bringt. Oh, ja! Gladio war die männliche Version der Miss-rühr-mich-nicht-an, doch Cameron war noch weit schlimmer. Schon allein der Gedanke an einen Kerl hat in ihm so viel Abneigung hervorgerufen, dass selbst jemand so Dominantes und Unnachgiebiges wie Bromley die Lust daran verloren hat, ihn auch nur zu necken.
 

„Aber scheiß drauf! Is‘ jetz‘ eh egal, aber ich werd’s bitter bereu’n, wenn ich’s dir jetz‘ nich‘ sag‘: Ich lieb‘ dich, Boss!“, verkündet der Blauhaarige den Tränen nahe. Und ehe Bromley irgendetwas sagen kann, zieht Cameron ihn zu sich hinunter und versiegelt seine Lippen mit den seinigen. Für eine Sekunde ist der Ältere vollkommen perplex, dann zieht er den Rüpel jedoch fest in seine Arme und erwidert den Kuss so ausgehungert und sehnsüchtig, dass dem anderen Jungen fast die Luft wegbleibt. Dies überfordert den Rüpel jedoch so sehr, dass er hilflos zu zittern beginnt, weshalb Bromley langsam wieder von ihm ablässt. Als sie sich dann in die Augen sehen, rinnen ihnen beiden Tränen über die erhitzten Wangen. „Danke, das bedeutet mir echt viel…“, lächelt der Weißhaarige auch, wenn ihm völlig bewusst ist, dass das nichts mit echter Liebe zu tun hat, sondern nur brüderlich, familiär gemeint ist. Doch gerade das rührt ihn so zu Tränen. „Wir lieben dich auch, Boss!“, kommt es plötzlich von den anderen Rüpeln.
 

Überrascht und tief berührt sieht Pia mit an, wie ein jeder von ihnen vortritt und den sichtlich aufgelösten Führer zu einem tiefen Kuss verführt, der all ihre Hingabe, Treue und Liebe zu ihm wiederspiegelt. Am Ende weinen sie alle und der stellvertretenden Regionalleiterin fällt es ziemlich schwer, sich dem Ganzen nicht anzuschließen. Stattdessen legt sie Bromley wieder eine Hand auf die Schulter. „Es wird Zeit…“, teilt sie ihm sanft mit. Er nickt schwer und erhebt sich langsam wieder. Trotzig wischt er sich mit dem Arm über das feuchte Gesicht und holt schniefend Luft. Nie hätte er gedacht, dass ihn das so fertigmachen würde. Doch die Bindung, die er zu diesem Haufen Halbstarker aufgebaut hat, ging viel tiefer, als man es sich vorstellen kann. Auch, wenn keiner von ihnen mit ihm das Bett teilen durfte, so waren sie sich dennoch so nahe, wie es sonst nur Liebenden vorbehalten bleibt.
 

„Okay, Leute! Ganz ehrlich jetz‘! Schwingt eure Ärsche und packt euer Zeug! Ihr wollt den alten Sack doch nich‘ warten lassen!“, gibt er den letzten Befehl erneut an sein Team. Die Jungs und Mädels richten sich auf, blicken ihn mit feuchten Augen an und dann stellen sie sich in gewohnter Formation auf. Ehrenhaft vollführen sie ein letztes Mal ihre charakteristische Skull-Pose, indem sie mit ihren Armen vor dem Körper einen Totenschädel nachahmen. „Einer für alle und alle für Skull!“, grölen laut sie im Chor, verharren einen Augenblick stillschweigend unter dem wehmütigen Blick ihres großen Anführers, ehe sie sich zerstreuen und ihre Sachen packen. Bromley bleibt allein mit Pia zurück. „Das hast du sehr gut gemacht.“, versucht sie ihn aufzumuntern. „Ja, hoff‘ ich. – Doch sie fehlen mir schon jetz‘…“
 


 

7
 

Seitdem sind ein paar Tage ins Land gezogen. Die Rüpel wurden von Pia überall auf die verschiedenen Inseln Alolas verteilt. Zumeist wohnen sie zu dritt oder viert in einem kleinen Häuschen zusammen und versuchen sich etwas schwerlich daran zu gewöhnen, dass sie nun ehrlicher Arbeit nachgehen und lernen sollen. So ganz ohne ihren Anführer, der ihnen im entscheidenden Moment einen Tritt in den Hintern gibt, fällt es ihnen aber sichtlich schwer sich aufzuraffen. Noch schwerer ist es, sich anderen Leuten unterordnen zu sollen und deren Befehlen nachzukommen, was in ihren Augen schon an Verrat Bromley gegenüber grenzt. Das will noch nicht so ganz in ihre Köpfe rein. Auch nicht, dass sie kein Team mehr sind, sondern jeder einer anderen Tätigkeit nachgeht. Doch Pia ist zuversichtlich, dass sich das mit der Zeit alles regeln wird. So ganz trennen können sich die ehemaligen Rüpel aber nicht von Team Skull und so tragen sie trotzig auch weiterhin ihre charakteristischen Klamotten. Einzig ihr Mundtuch hängt ihnen jetzt um den Hals und ihre Kette ist unter ihren Shirts verborgen.
 

Von alledem hat Fran jedoch nichts mitbekommen. Sie weiß nicht einmal, dass Bromley aus der Ultradimension zurück ist. Seinem letzten Befehl folgend, hat sie Informationen über die Ultrabestien gesammelt. Vorgestern hat sie dann Gladio und Sun beobachtet, die ziemlich erfolgreich den Kampf gegen diese Biester aufgenommen haben. Von daher hat sie beschlossen hier erst einmal einen Bruch zu machen und nach Hause zurückzukehren. Vielleicht gibt es ja auch schon ein paar Neuigkeiten von dem Weißhaarigen? Im lauwarmen Regen erreicht sie schließlich das große Tor, das Po’u von der Außenwelt trennt. Als sie jedoch eintreten will, ist es verschlossen und ihr Schlüssel passt nicht mehr in das Schloss.
 

Verwundert legt sie die Stirn in Falten und fragt sich unweigerlich, was die Rüpel nun schon wieder gemacht haben. Dann jedoch fällt ihr ein Zettel auf, der am Tor befestigt wurde. Der Regen hat ihn schon ziemlich durchweicht, weshalb sie ihn gar nicht wahrgenommen hat. Etwas mühsam versucht sie die wenigen Worte darauf zu entziffern. ‚Dauerhaft versiegelt! Betreten ausdrücklich verboten! Gezeichnet der Inselkönig.‘, steht dort. Schlagartig verfliegt ihr Ärger auf die Rüpel und der unbändige Zorn dem alten Yasu gegenüber dringt an die Oberfläche. Dieser grantige Mistkerl geht Team Skull ständig auf die Nerven, aber das geht nun wirklich zu weit! Was, wenn er die Rüpel in Po’u eingesperrt hat? Die große Schwester in ihr beginnt heftig zu rebellieren. Mit einem Knurren reißt sie den nassen Zettel vom Tor, zerknüllt ihn, wirft ihn in die nächste Pfütze und stapft dann zurück zur Polizeiwache.
 

Nicht lange später erreicht sie das Gebäude, indem der alte Yasu mit seinem Haufen Mauzi lebt. Fran verschwendet gar keinen Gedanken daran, anzuklopfen oder sich anderweitig bemerkbar zu machen. Stattdessen reißt sie einfach die Tür auf. „Was fällt dir eigentlich ein?“, schimpft sie auch schon los und ignoriert dabei gekonnt das erschrockene und wütende Fauchen der Katzen-Pokémon. Yasu sitzt auf einer Couch im hinteren Teil der Wache und war gerade eingenickt. Dementsprechend ist er nun recht orientierungslos. Mühsam versucht er die Augen offen zu halten. „Was ist los?“, fragt er mit belegter Stimme und steht langsam auf. Seine Worte sind über das Gezeter der Mauzi hinweg kaum zu hören. Als Fran jedoch näherkommt, ziehen sie sich widerwillig zurück und beobachten das Ganze aus sicherer Entfernung.
 

Yasu betrachtet dieses Verhalten nicht gerade glücklich. Aber Fran ist so aufgebracht, dass mit ihr nicht zu spaßen scheint. „Denen hast du aber einen ganz schönen Schrecken eingejagt...“, setzt der Alte dennoch an auch, wenn es tadelnd klingen soll. „Ist mir scheißegal! Warum hast du das Tor verriegelt und das Schloss ausgetauscht?“, giftet sie ihn an. Ihre Stimme gleicht einem scharf geschliffenen Messer und schneidet tief in Yasus müde Gedanken. Daher braucht er einen Moment, ehe er überhaupt versteht, was sie von ihm will. Frans Geduld reicht aber bei weitem nicht so lange. Allerdings antwortet der Grauhaarige dann doch, bevor sie erneut die Stimme erhebt.
 

„Ganz einfach, weil mich der Bengel darum gebeten hat, nachdem alle abgezogen sind.“, gibt er mühselig von sich. Die junge Frau versteht jedoch nur Bahnhof. „Was soll das heißen, abgezogen und welchen Bengel verdammt noch mal meinst du?“, gebärt sie sich aufgebracht. Gequält reibt sich der Alte die pochenden Schläfen. „Nun schalt doch mal einen Gang runter, Mädchen! Mit der Stimme hättest du statt ihm diesen Haufen Trottel führen sollen, dann hätte ich sicher weniger Ärger gehabt...“, erwidert er wehleidig und setzt sich an seinen Schreibtisch. Fran gibt ein zorniges Knurren von sich und schlägt dann die flachen Hände direkt vor ihm auf die Holzplatte. „Hör endlich auf so einen Mist zu erzählen! Lass mein Team in Frieden und beantworte meine Fragen, ehe ich wirklich ungemütlich werde!“
 

„Schon gut, schon gut! – Mir scheint, du warst schon eine Weile nicht mehr hier, was?“, fragt er sie. „Ja, etwa seit Bromley losgezogen ist, um Samantha mit der Ultrapforte zu helfen. Aber, was hat das denn damit zu tun?“, fragt sie schon etwas leiser „Naja, der Bengel ist inzwischen wiedergekommen. Meinte, es täte ihm leid, was seinetwegen alles passiert ist und, dass er es wiedergutmachen will. Er hat das Team aufgelöst. Diese Frau von Æther war bei ihm. Wie hieß sie noch gleich – Pia oder so ähnlich? Sie hat die Kids mitgenommen und ich sollte Po’u dann verschließen. Mehr kann ich dir auch nicht sagen.“, meint er schulterzuckend.
 

Mit offenem Mund lauscht Fran seinen Worten und kann sie dennoch nicht begreifen. „Bromley hat Skull aufgelöst? Das – das kann ich kaum glauben. – Sein ganzes Herz hängt an diesem Haufen Hohlschädeln...“, bringt sie stockend hervor. „Es ist aber so. – Aber, wenn du dich wieder etwas beruhigt hast, kann ich das Tor öffnen und du kannst dich selbst davon überzeugen. Deinen Kram holen, wenn du magst.“, schlägt er ihr überraschend freundlich vor. Fran sieht ihn mit großen Augen an, überrascht von seiner plötzlichen Umgänglichkeit. Dann lässt sie die Schultern hängen und nickt stumm. Sie muss das erst einmal verarbeiten. „Gut, dann komm...“ Gemeinsam wandern sie schweigend die Route siebzehn entlang und betreten bald darauf die Villa.
 

Im ersten Moment sieht für Fran alles so aus wie immer – das reinste Chaos. Als sie jedoch durch die einzelnen Zimmer geht, findet sie nichts wieder, was auf die Anwesenheit von Skull hindeuten könnte – abgesehen von zahlreichen Graffiti an den Wänden. Es wirkt, als wären schon seit Jahren keine Menschen mehr hier gewesen. Die ganze Villa ist richtiggehend erschreckend still – so still war es hier selbst nachts nie. Schmerzhaft krampft sich ihr Herz zusammen und sie wagt es kaum Bromley’s Zimmer zu betreten. Schließlich gibt sie sich doch einen Ruck, allerdings es ist genauso wie all die anderen Zimmer. „Du verdammter Idiot...“, flüstert sie in den verlassenen Raum hinein. Eine Träne rinnt ihre Wange hinab, als sie wieder auf den Flur tritt.
 

Am liebsten würde sie sich jetzt irgendwo verkriechen und sich die Augen aus dem Kopf heulen, doch Yasu würde das sicher nicht zulassen. Es widerstrebt ihm entschieden die Villa überhaupt betreten zu haben. Sie kann wahrscheinlich von Glück reden, dass er sie überhaupt hier rein gelassen hat. Also versucht sie sich zusammen zu reißen und geht zu ihrem eigenen Zimmer. Es ist noch genauso, wie sie es verlassen hat. Alles steht an seinem Platz und es wirkt einladend und doch erdrückend einsam. Ein paar Momente hadert sie mit sich, dann holt sie ihren Rucksack aus dem Regal und stopft alle Sachen hinein. Zuletzt ergreift sie das Bild ihres verstorbenen Bruders und betrachtet es wehmütig. Er hatte sie so plötzlich und ohne die Möglichkeit eines Wiedersehens verlassen. Hat dabei ein gewaltiges Loch in ihr Herz gerissen, das sie dachte niemals stopfen zu können. Dann kam sie zu Skull und dachte, dass es doch möglich ist.
 

Und nun muss sie feststellen, dass Bromley sie ebenfalls verlassen hat und sie ihn wohl nie wiedersehen wird. Gerade, wo sie sich selbst eingestehen konnte, dass sie ihn liebt. „Dieser verdammte Idiot...“, flüstert sie abermals und kämpft mit den Tränen. Einen Moment lässt sie ihnen freien Lauf. Dann verstaut sie auch das Bild, schultert ihren Rucksack und verlässt das Zimmer – wird niemals hierher zurückkehren... Mit hängenden Schultern steigt sie die Treppe hinab und will nur noch hier weg.
 

„Warte, Mädchen!“, ruft Yasu ihr hinterher, doch sie bleibt nicht stehen. „Franziska!“, versucht er es erneut. Überrascht bleibt sie stehen und wendet sich zu ihm um. „Woher kennst du meinen Namen?“, fragt sie etwas angesäuert, da sie so schon seit Jahren nicht mehr genannt wurde. Yasu überbrückt langsam den Abstand zu ihr und blickt sie dann eindringlich an. „Ich war doch mal Polizist, ich weiß einiges, Mädchen. Doch, dass ist nicht der Punkt. – Du schienst mir immer die Einzige hier gewesen zu sein, die ein Hirn im Schädel hat und ich habe mich lange Zeit gefragt, warum du es mit diesen ganzen Tölpeln so sehr weg wirfst.“, setzt er an. Sie will ihm schon eine gepfefferte Antwort auf diesen Unsinn geben, da spricht er bereits weiter.
 

„Doch, dass geht mich auch gar nichts an. Du wirst schon deine Gründe gehabt haben. – Ich denke nur, dass jetzt, wo deine Leute einer vernünftigen Beschäftigung nachgehen, solltest du auch etwas Sinnvolles machen.“ „Ach ja? Denkst du das? Und, was soll ich deiner Meinung nach machen?“, hakt sie angesäuert nach. Yasu gibt ein Seufzen von sich. „Du bist wirklich talentiert und aus dir kann mal eine sehr gute Trainerin werden. Denkst du nicht auch?“ Irritiert sieht sie ihn an. „Was willst du mir damit sagen?“, hakt Fran nach, obwohl ihr schon ein Gedanke kommt.
 

„Ich will sagen: Lass das hier alles hinter dir und fang noch einmal von vorne an. Mach die Inselwanderschaft, tritt gegen den Champion an und versuche dein Bestes zu geben. Und wer weiß, was dann noch alles aus dir werden kann.“, meint er schlicht und zuckt vielsagend mit den Achseln. Nachdenklich blickt die junge Frau zu Boden. „Glaubst du wirklich, dass ich das schaffen kann?“ „Wenn du dir Mühe gibst, ganz sicher. – Hiermit dürfte es ganz bestimmt etwas werden.“, meint er schlicht und drückt ihr dann einen Z-Ring in die Hand. Überrascht betrachtet sie ihn. „Aber – das geht doch nicht!“ „Natürlich geht das. Ich bin immerhin der Inselkönig und als solcher kann ich die Dinger an jeden verteilen, den ich tauglich dafür halte. Also nimm ihn und fang an! Doch glaub ja nicht, dass ich dich mit Samthandschuhen anfasse, wenn du bei mir auf der Matte stehst!“, keck grinst er sie an.
 

Obwohl Yasu mit diesem Ausdruck im Gesicht schon beinahe unheimlich aussieht, kann Fran nicht anders, als es zu erwidern. „Pah! Soweit kommt es noch! Pass lieber auf, dass du dich überhaupt noch davon erholst, wenn ich dich fertiggemacht habe!“, kontert sie frech, wendet sich dann ab und verschwindet endgültig aus Po’u. Yasu blickt ihr noch eine ganze Weile hinterher, nachdem er das Tor wieder verriegelt hat. „Na hoffentlich wird das auch was...“, seufzt er in sich hinein. Gemächlich tritt er den Rückweg zur Polizeiwache an, um endlich sein Nickerchen machen zu können. Heute wird es ihm aber ganz sicher gelingen und morgen ebenfalls und immer zu, denn jetzt sind diese ausgeflippten Wilden ja nicht mehr da, um ihn auf Trapp zu halten!

Last man standing


 

1
 

Seit der Auflösung von Team Skull sind mittlerweile sechs Monate ins Land gezogen. Widerwillig haben sich die Rüpel inzwischen an ihr neues Leben gewöhnt und versuchen das Beste daraus zu machen. Die Jungs und Mädels trösten sich aber damit, dass ihr ehemaliger Boss sie in regelmäßigen Abständen besucht, mit ihnen Essen geht oder den Tag verbringt – ganz so, wie er es auch versprochen hat. Das gibt ihnen ein gutes Gefühl, dass nicht alles anders und unschön geworden ist – dass es doch noch etwas Beständigkeit in ihrem Leben gibt. Abgesehen von dieser schönen Tatsache hat sich Bromley allerdings sehr zurückgezogen.
 

Ähnlich wie bei seiner einstigen Inselwanderschaft, bereist er nun allein die verschiedenen Gebiete Alolas und trainiert. Dies tut er jedoch nicht, weil er eines Tages den Champion der inzwischen von Kukui gegründeten Pokémon-Liga schlagen will – bei dem es sich zufälligerweise auch noch um seinen ewigen Rivalen Sun handelt – sondern einfach nur, um einen klaren Kopf zu bekommen und sich selbst zu beweisen, dass er der Stärkste ist und, dass immer noch auch ohne Z-Ring!
 

So fährt er oft auch einfach nur quer durch das Land und stolpert dabei eher zufällig über kampfwillige Trainer und Pokémon. Heute ist er auf Mele-Mele unterwegs und hat dabei gar nicht bemerkt, dass er nun die Route zwei entlangkommt. Der tosende Lärm seiner aufgemotzten Maschine erfüllt die friedliche Luft dieses Morgens gleich einem Bombenanschlag. In den Büschen und Pflanzen am Wegesrand raschelt es heftig, als aufgeschreckte Pokémon hektisch und schimpfend die Flucht ergreifen. Bromley beachtet das Ganze jedoch nicht. Lady hockt dabei in seiner Kapuze und fühlert in der Gegend herum. Sie stört sich mittlerweile schon längst nicht mehr an dem nahezu ohrenbetäubenden Lärm der Suzuka, beobachtet jedoch interessiert die flüchtenden Wesen um sich herum.
 

Plötzlich bremst der Weißhaarige jedoch schlagartig, sodass die rote Reißlaus ein ersticktes Fiepen von sich gibt und sich tiefer in den dunklen Stoff vergräbt. Mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund starrt Bromley das Gebäude vor sich an. Er wagt kaum Luft zu holen. Erst, als Lady unbehagliche Laute von sich zu geben beginnt und nervös mit den Fühlern über seine Wange streicht, regt sich der Käfer-Trainer wieder. „Fuck...“, murmelt er vor sich hin und streichelt der Assel dabei halb abwesend über den Kopf. Das Gebäude, vor dem er so unabsichtlich gelandet ist, ist das Haus, indem er aufgewachsen ist. Doch hier wollte er ganz sicher nicht mehr hin. Allerdings war er so in Gedanken, dass er gar nicht mitbekommen hat, wohin er eigentlich fährt.
 

Schweigend betrachtet er das Haus eine ganze Weile, während Lady langsam in seinen Schoß krabbelt und sich von ihm geistesabwesend streicheln lässt. Aufmerksam folgt sie seinem Blick, dennoch kann sie natürlich nicht verstehen, warum dieses Haus solch ein Unbehagen in ihm auszulösen scheint. Als sie ein neuerliches Fiepen von sich gibt, wendet er ihr den Blick zu. Fragend sieht Lady ihn an. „Hab‘ hier ma‘ gewohnt. – Is‘ das Haus meiner Eltern...“, teilt er ihr mit belegter Stimme mit. Bromley hat ihr gegenüber bisher nur sehr selten über seine Familie gesprochen, doch jedes Mal schien es ihm überaus schwer zu fallen. Daher vermutet die Assel, dass er wohl nicht sehr gut mit seinen Eltern ausgekommen ist. Tröstend schmiegt sie sich gegen seine Hand. Der Weißhaarige bringt ein knappes Lächeln zustande und starrt dann noch eine Weile unschlüssig auf das Haus.
 

Irgendetwas daran kommt ihm anders vor. Gut, es ist Jahre her, dass er das letzte Mal hier war, aber das ist es nicht. Das Haus wirkt irgendwie so verlassen. Als er den Blick etwas schweifen lässt, fällt ihm auf, dass der Rasen in dem kleinen Garten sehr lang und an vielen Stellen auch völlig vertrocknet oder verwildert ist – etwas, dass seine Mutter trotz ihres geistigen Zustandes niemals zugelassen hätte. Die Schaukel, die ihm als kleiner Junge so viel Freude gemacht hat, hängt nur noch an einer rostigen Kette, wie ein zum Tode Verurteilter am Galgen. Anscheinend hat sich also schon lange niemand mehr darum gekümmert. Beim näheren Betrachten fällt ihm auch auf, dass die Fenster alle völlig trüb und verstaubt sind – etwas, dass seine Mutter ebenfalls nie zugelassen hätte. Die Eingangstür wirkt marode und ein paar Ziegel sind vom Dach gefallen. Mindestens einer davon liegt in Scherben auf der Verandatreppe.
 

„Vielleicht sollt’n wa‘ doch ma‘ reingeh’n?“, fragt er Lady schließlich. Die Reißlaus gibt ein nervöses Fiepen von sich und betrachtet das Haus mit Argwohn. In Bromley sträubt sich ebenfalls alles dagegen, das Gebäude, in dem er so viel Leid erfahren musste, wieder betreten zu müssen. Dennoch muss er sich Gewissheit verschaffen. Unbeholfen setzt er Lady auf dem Boden ab und steigt dann von der Suzuka. Dabei wirkt er so vorsichtig und aufmerksam, wie ein gebrechlicher, alter Mann, der vermeiden will zu stürzen, statt wie ein junger Bursche in der Blüte seiner Jahre. In diesem Moment kommt ihm sein eigener Körper richtiggehend fremd vor.
 

Mit steifem Gang erklimmt der Käfer-Trainer die wenigen Stufen. Lady folgt ihm dicht auch dem Fuß. Langsam streckt er die Hand nach der Klinke aus und hält dann inne. Die alte Angst kehrt in seinen Körper zurück – die tiefsitzende Furcht vor seinem Vater – und dass, obwohl er dem Mistkerl bei ihrem letzten Aufeinandertreffen so tapfer und nachdrücklich die Stirn geboten hat. In diesem Moment scheint dieser kleine Triumph nie existiert zu haben. Dann jedoch sieht er das liebenswürdige Gesicht seiner Mutter vor Augen, wie sie ihn so herzlich anlächelt. Sie war immer für ihn da und hat ihn immer geliebt und das gibt ihm letztendlich doch die Kraft die Tür zu öffnen.
 


 

2
 

Die warme Sonne dieses Vormittags scheint durch das schmutzige Küchenfenster und erhellt damit praktisch den Großteil des Hauses. Die Luft ist stickig und unbewegt. Endlose Stille liegt schwer wie ein Leichentuch über allem. Abermillionen winziger Staubteilchen wirbeln auf, als Bromley den Fuß über die Schwelle hebt und auf dem Hartholzboden absetzt. Viel weiter kommt er im ersten Moment auch gar nicht, denn seine Annahme, dass das Haus irgendwie verlassen aussieht, bestätigt sich jetzt nur allzu deutlich. Abgesehen von der fest eingebauten Küchenzeile, ist praktisch nichts mehr da. Das Haus, in dem er aufgewachsen ist, ist völlig leer!
 

Der Weißhaarige lässt den Blick schweifen, während ihn ein tiefsitzender Wehmut übermannt. Er musste hier so viel Leid ertragen und dennoch gab es auch so unendlich schöne Augenblicke mit seiner Mutter. Sie hat ihn immer geliebt und es bricht ihm regelrecht das Herz, dass sie jetzt nicht mehr da ist. Bei diesem Gedanken würde er am liebsten anfangen zu heulen. Er kann die heißen Tränen schon hinter den Augen brennen spüren, doch sie fließen nicht. Oh nein! Denn in diesem Moment fällt sein Blick auf das Einzige, was hier noch zurückgelassen wurde: Die Golftasche seines verhassten Vaters!
 

Fassungslos starrt der Käfer-Trainer sie an, während Lady Mut fast und das Haus zu erkunden beginnt. Dabei hinterlassen ihre huschenden Füßchen winzige Spuren auf dem staubigen Boden. Bromley achtet gar nicht auf sie, ist nur in der Lage diese Tasche anzustarren. Wie sehr sein Vater diese Schläger doch geliebt hat – viel mehr, als seinen eigenen Sohn – um ihm damit regelmäßig den Schädel einzuschlagen. Ein wahrhaftes Unding, dass er sie hier zurückgelassen hat. Doch da, wo seine Eltern jetzt leben, gibt es keinen lästigen Bengel, dem man Manieren einprügeln muss, also ist es auch nicht nötig gewesen sie mitzunehmen.
 

Langsam tritt der ehemalige Anführer von Team Skull weiter in das Haus hinein. Das Schlafzimmer seiner Eltern ist ebenfalls völlig leer und die Tür steht weit offen. Sein eigenes Kinderzimmer ist jedoch verschlossen. Etwas nervös tritt er an die Tür heran und legt die Hand auf die Klinke. Fiepend huscht Reißlaus neben ihn und gemeinsam wagen sie den Schritt in das Zimmer.
 


 

3
 

Als er sein altes Kinderzimmer betritt, wird er fast von den darin eingesperrten Erinnerungen erschlagen – Erinnerungen, die eigentlich etwas Schönes an sich haben sollten, doch in Bromley´s Fall sind es nur Erinnerungen an Schmerzen, Leid, Demütigung und Einsamkeit. Das kommt wohl dabei heraus, wenn man nach langer Zeit an einen vertrauten Ort zurückkehrt. Der Guss auf dem Kuchen ist im ersten Moment süß – wie die Nostalgie, die einem umfängt-, doch darunter schmeckt er schrecklich bitter, verdorben und faulig – wie all das Leid, das von diesen Wänden herabtropft, gleich dem Blut, das er hier nur allzu oft vergießen musste. Dennoch tritt er weiter in den Raum hinein und blickt sich um. Unsicher folgt ihm Lady und krabbelt vorsichtig auf das staubige Bett.
 

Hier ist noch alles so, wie er es in Erinnerung hat. Als seine Eltern verschwunden sind, hielten sie es wohl nicht für nötig, seine Sachen einzupacken und ihn vielleicht ausfindig zu machen, damit er sie abholt. Aber etwas Anderes hat er von ihnen nie erwartet. Doch vielleicht lässt sich hier ja auch etwas finden, dass ihn an schönere Zeiten erinnert auch, wenn es davon nicht allzu viele gegeben hat. Neben einem völlig verstaubten Pokal, der einen Pokéball auf seiner Spitze trägt und schwach silbern in der Sonne glänzt, die durch das schmutzige Fenster einfällt, steht ein gerahmtes Foto. Das Einzige, das Bromley je besessen hat und doch erinnert es ihn mit schrecklicher Schmerzhaftigkeit an eine Zeit, als sein Leben noch in Ordnung zu sein schien. Das Foto zeigt ihn als sechsjährigen Jungen, blass, zu groß geraten, beinahe mager und dennoch mit strahlenden Augen und einem breiten Grinsen, das es einem unmöglich macht, nicht auch zu lächeln. Voller Stolz hält der kleine Bromley den silbernen Pokal in Händen, der neben dem Foto steht. Sein weiches, damals noch tiefschwarzes, normalerweise immer verstrubbeltes Haar, wurde kurz vor der Aufnahme von seiner Mutter mit gefühlten zehn Litern Wasser glatt gekämmt. Im Schein des Blitzlichtes sieht man deutlich die feinen Wassertropfen an seinen Haarspitzen glitzern.
 

Wenn Bromley nicht wüsste, dass er selbst auf diesem Bild ist, würde er es kaum für möglich halten, so albern sehen seine Haare aus, so fremd wirkt das glückliche Gesicht dieses unschuldigen Kindes. Der Junge hat eine breite Zahnlücke, die im scharfem Kontrast zu seinen Klamotten steht, die aussehen, als würde er auf eine Hochzeit oder etwas Ähnliches gehen. Der junge Mann kann sich nicht mehr erinnern, worum es bei diesem Wettbewerb ging und auf dem Fuß des Pokals steht nur, dass er den zweiten Platz bei den alljährlichen Pokémon-Spielen gewonnen hat, die damals in der Trainer-Schule ausgetragen wurden. Diese Veranstaltung gibt es schon seit vielen Jahren nicht mehr. Doch Bromley kann sich Anego sei Dank noch genau daran erinnern, was wenige Tage später passiert ist. Es ist, als wäre es erst gestern gewesen, obwohl er es Jahre lang erfolgreich verdrängt hat.
 

Kaum eine Woche nach dieser Aufnahme hat sein Vater sich eine Golfausrüstung gekauft. Schnell hat er jedoch gemerkt, dass er dafür keinerlei Talent hat und, dass das Spiel an sich auch ziemlich langweilig ist und hat es wieder aufgegeben. Erst recht, da es in Alola damals noch keine Golfanlage gab. Nicht einmal zehn Tage nach dem Wettbewerb hat sein Vater ihn dann, in einem wilden Wutausbruch mit einem Dreiereisen aus dieser Golftasche bewusstlos geprügelt. Bis heute kennt Bromley den Grund für diese Tat nicht,- schien es doch so, als wäre der wehrlose Junge einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort-, doch er hat damit das Leben seines einzigen Kindes vollkommen zerstört. Mit schrecklicher Bitterkeit erinnert er sich, dass dies aber erst der Anfang einer immer wiederkehrenden Prügelstrafe war, die stets mit den Worten eingeleitet wurde: ‚Bromley, was treibst du denn da?‘, und die für den Weißhaarigen zu einem nie enden wollenden Mantra seines Versagens werden sollten.
 

Unbändige Wut packt den Käfer-Trainer plötzlich, wie damals seinen Vater, und er schleudert das Bild zu Boden. Klirrend zerspringt das Glas des Rahmens und Lady, die bis dahin neugierig über das verstaubte Bett gekrabbelt ist, schreckt heftig zusammen und betrachtet ihren Besitzer mit vorwurfsvollen Augen. Matt lächelt Bromley dem scheuen Pokémon entgegen. „Ich glaub‘, du solltest dich lieber irgendwo verstecken, meine Kleine. Das hier wird jetz‘ äußerst unschön für dich…“ Irritiert betrachtet ihn der Käfer, sieht, wie er in den Flur geht und kurz darauf mit dem lädierten Dreiereisen seines Vaters zurückkommt. Schlagartig versteht das Pokémon, was gleich passieren wird, flitzt aus dem Zimmer und versteckt sich unter der Küchenspüle.
 

Nur einen kleinen Augenblick später ertönt ohrenbetäubender Lärm, als Bromley all seine Wut, seine Enttäuschung und seinen Schmerz in den Schläger fließen lässt und sein ehemaliges Zimmer damit in einen Ort verwandelt, der aussieht, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Nichts scheint vor seinen Schlägen sicher zu sein und dennoch haben sie etwas so dermaßen Befreiendes an sich, dass sie ihm eine Befriedigung bescheren, die ihm bis dato völlig unbekannt war. Dieses Hochgefühl treibt ihn noch weiter an. So verlässt er sein zertrümmertes Zimmer und macht im Rest des Hauses weiter. Hier gibt es zwar fast Nichts, was seine Eltern zurückgelassen haben, aber allein schon das Geräusch, mit dem der Metallkopf des Schlägers auf einen anderen Gegenstand trifft, versetzt den Weißhaarigen noch mehr in Ektase. Versteckt im hintersten Teil seines Verstandes, kann er beinahe nachvollziehen, wie viel Freude sein Vater beim Benutzen dieses Schlägers verspürt haben muss, aber eben nur beinahe.
 

Angesichts seines Wutausbruchs würde man wahrscheinlich nicht glauben, dass Bromley diese zweckentfremdete Waffe niemals gegen ein lebendes Objekt einsetzen würde. Doch es ist so. Der Käfer-Trainer tut zwar immer unglaublich brutal und hat auch schon einige Leute ins Krankenhaus befördert, doch er würde nie im Leben darauf kommen und so feige sein, irgendetwas anderes gegen jemanden einzusetzen, als seine eigenen Fäuste. Waffen – seien es Gegenstände oder sogar Pokémon, die dazu missbraucht werden-, sind etwas Schreckliches. Das weiß er schließlich selbst am besten und jeder, der sie einsetzt, um einem anderen Menschen oder Pokémon körperlichen Schaden zu zufügen, ist einfach nur armselig und verdient das höchste Maß an Verachtung, das man ihm entgegenbringen kann. Auch, wenn er es niemals laut aussprechen oder gar nur denken würde, so schlummert in Bromley doch der tiefe Wunsch nach einem fairen Kampf. Völlig egal, wer oder was sein Gegner auch sein mag, er stellt sich ihm nur mit bloßen Fäusten entgegen und ist gewillt, ihm so eine Chance zu lassen, sich zu verteidigen. Was allerdings nicht bedeutet, dass er ihm eine Chance lässt zu gewinnen. Das lässt sein Stolz einfach nicht zu oder besser gesagt, der eingeprügelte Gedanke immer gewinnen zu müssen.
 

Doch dieses Haus lebt nicht, schon lange nicht mehr, hat es vielleicht sogar nie, und daher ist es auch kein Problem für den ehemaligen Skull-Führer alles daran auszulassen und dabei den Gegenstand zu benutzen, der auch sein Leben zerstört hat. Diese Tatsache gleicht viel mehr einer Genugtuung, als alles andere, da sein Vater ja nicht mehr hier ist, um sich von ihm mal ein bisschen mit dem Dreiereisen den Schädel verbiegen zu lassen. Und Bromley hofft für diesen miesen, alten Dreckskerl, dass sie sich nie wieder begegnen. Denn sonst wird er seinen letzten Atemzug machen und der Weißhaarige wird mit Freuden zusehen, wie er sich in seinem Elend windet, so wie sein Vater lachend über ihm stand, nachdem er ihm mit dem Dreiereisen verdroschen hat! Ein irres Lachen entkommt dem jungen Mann und er hebt erneut den Schläger. Er holt aus und dann…
 


 

4
 

Plötzlich stoppt er mitten in der Bewegung. Suns schreckgeweitete Augen starren ihn hilflos an, während das Dreiereisen nur wenige Zentimeter über dem Kopf des Jüngeren zum Stehen kommt. Bromley schluckt überrascht, tritt einen Schritt zurück und wirft den Schläger zur Seite. Dann räuspert er sich und vertriebt damit den Schreck, den das plötzliche Auftauchen des jungen Trainers in ihm ausgelöst hat. Abweisend verschränkt er die Arme vor der Brust und mustert den Bengel, der sein ungewollt ewiger Widersacher zu sein scheint. Der Schwarzhaarige blickt ihn noch immer völlig überfordert an.
 

Gute Zeiten für Veränderungen

Schau, das Glück, das ich hatte,

Kann aus einem guten Mann

Einen bösen machen
 

Nichts ahnend ging er hier vorbei, um zum Haus seiner Mutter zu gelangen, als er den Lärm von drinnen hörte. Vorsichtig wollte er nachschauen, konnte jedoch nicht ahnen, dass es ausgerechnet Bromley ist, der hier wütet. Eigentlich dachte Sun, dass der ehemalige Skull-Boss nach der Sache mit Anego und der Auflösung seiner Truppe, wieder so etwas wie ein normales und friedliches Leben führen würde, war es doch so lange ruhig um ihn. Doch da scheint er sich wohl getäuscht zu haben. Trägt er doch sogar immer noch seine Skull-Sachen auch, wenn auf seinem Rücken nun ein rotes X den Totenschädel überzieht.
 

Also bitte, bitte, bitte

Lass mich, lass mich, lass mich

Lass mich haben, was ich will

Nur dieses eine Mal
 

Allerdings ist da etwas Neues an dem Käfer-Trainer. Seine grauen Augen glänzen jetzt völlig klar, ganz anders, als Sun sie in Erinnerung hat. Er macht den Eindruck eines Mannes, der durch eine Folter gegangen ist, deren Narben er zu tragen hat, die ihn aber seinem Ziel einen großen Schritt näher gebracht hat.
 

Seit langem hatte ich keinen Traum mehr

Schau, das Leben, das ich hatte,

Kann einen guten Mann

Einen bösen machen
 

„Ey, du! Ich weiß nich‘, waste hier zu such’n hast, aber dein Timing könnt‘ nich‘ besser sein. Komm zur Strandpromenade in Hauholi City!“, sind die einzigen Worte, die Bromley ihm zuteil werden lässt. Sun versucht noch, das Ganze irgendwie in seinen Kopf zu bekommen, da drängelt sich der Weißhaarige schon beinahe grob an ihm vorbei. Noch ehe er dem Älteren auch nur irgendeine Antwort geben kann, sitzt dieser schon auf seiner schweren Maschine. Sie sieht noch genauso aus, wie der Katzen-Trainer sie in Erinnerung hat – mit dem feinen Unterschied, dass nirgends mehr auch nur ein einziges Skull-Symbol zu sehen ist. Dennoch wirkt die goldschwarz lackierte Suzuka nicht minder beeindruckend.
 

Also lass mich wenigstens dieses eine Mal in meinem Leben

Haben, was ich will

Gott weiß, es wäre das erste Mal

Gott weiß, es wäre das erste Mal
 

Der Junge setzt an, doch noch etwas zu sagen, da flitzt plötzlich die rote Reißlaus an ihm vorbei. Geschickt krabbelt sie in Bromley’s Kapuze und dann röhrt auch schon der Motor auf. Der Weißhaarige wirft ihm einen letzten, undefinierbaren Blick zu, dann gibt er Gas und verschwindet in einer dicken Staubwolke. Unschlüssig bleibt Sun zurück. Nach einer Weile setzt er seinen Weg dann fort. Er ist durchaus gewillt, Bromley’s Aufforderung nachzukommen. Allerdings wird er erst einmal bei seiner Mutter vorbeischauen, so viel Zeit muss einfach sein!
 


 

5
 

„Da biste ja endlich! Na dann, Sun, kämpf mit mir! Ich hab‘ zwar Team Skull aufgelöst, aber ich bin trotzdem noch ganz der Alte! Jetz‘ wirste nämlich seh’n, was es heißt, so richtig plattgemacht zu werd’n!“, ertönt es von dem Älteren, kaum, dass der Junge den Strandabschnitt betreten hat. Und der Schwarzhaarige ist durchaus gewillt ihm das auch zu glauben. Nicht, dass es ihm gelingen wird, Sun so einfach zu besiegen, aber, dass er immer noch der Alte ist. Bromley’s ganzes Auftreten ist wild, kampflustig, dominant, herausfordernd, ja regelrecht herabwürdigend – ganz so, wie Sun ihn damals im Ziergarten kennengelernt hat. Der einzige Unterschied ist – wie von dem Weißhaarigen auch betont – dass nun kein Team mehr hinter ihm steht. Doch bei der einnehmenden Persönlichkeit des Älteren ist das eine durchaus zu vernachlässigende Sache. Diese Tatsache bereitet dem jungen Trainer aber dennoch etwas Kopfzerbrechen, kann er sich doch noch sehr gut an Bromley’s Ausbruch damals erinnern, wo er sich selbst verletzt hat, um sein Versagen zu kompensieren.
 

Seitdem ist viel Zeit vergangen und der Käfer-Trainer hat einiges an Wandlung durchgemacht. Dennoch stellt sich der Junge unweigerlich die Frage, ob sich der Ältere wieder Schaden zufügen wird, wenn er verlieren sollte. Weit und breit ist außer ihnen niemand hier am Strand. Mittlerweile ist es schon fast Abend und dementsprechend ruhig in Hauholi City geworden. Wenn überhaupt, sind nur sehr wenige Leute im nahe liegenden Einkaufsviertel zu sehen und darunter ist wahrscheinlich niemand, der den Mut und die Kraft aufbringen kann, Bromley von seiner Dummheit abzuhalten. Falls die Leute überhaupt der Meinung sind helfen zu wollen, statt nur daran zu denken, welchen Ärger sie wegen Team Skull all die Zeit über hatten und dementsprechend nicht einsehen wollen, dass sich inzwischen alles geändert hat und es die Truppe auch gar nicht mehr gibt. Den beiden Rüpeln fiel es damals schon schwer, ihren Boss davon abzuhalten und Sun ist ganz allein. Allerdings kommt ihm der Ältere inzwischen viel vernünftiger, man könnte auch sagen erwachsener, vor und daran klammert er sich. Trotz all seiner Bedenken, würde Sun dennoch nicht so weit gehen und den Weißhaarigen gewinnen lassen nur, um ein solches Drama zu verhindern.
 

Aber wer weiß, vielleicht ist der Käfer-Trainer inzwischen auch so stark geworden, dass er ihn diesmal besiegt? Ganz ausschließen will Sun das nicht. Bromley war schon immer ein ernst zunehmender Gegner, der es ihm nie wirklich leicht gemacht hat. Die Zeit wird es zeigen und als erster Champion der neugegründeten Pokémon-Liga hat der Katzen-Trainer auch einen gewissen Ruf zu verteidigen. Dieser Kampf hier hat zwar nichts Offizielles, da er nicht auf dem Mount Lanakila stattfindet und Bromley ihn somit nicht vom Thron stoßen kann, dennoch wäre es eine Schande und der Weißhaarige würde mit seinem Sieg dermaßen prahlen, dass Sun fürchten muss, als Trainer nicht mehr ernst genommen zu werden. Und wer weiß schon, ob ihm sein Titel deswegen nicht sogar aberkannt werden könnte? Darüber will der Junge gar nicht nachdenken. Also schiebt er seine Bedenken beiseite und tritt dem Älteren gegenüber. „Wir werden ja sehen, wer hier wen plattmacht!“, tönt der Junge herausfordernd und betont dabei das Lieblingswort seines Gegenübers besonders stark. Auf den Gesichtern der beiden Kontrahenten zeichnet sich ein herausforderndes Lächeln ab und sie greifen kampfbereit nach ihren Pokébällen.
 


 

6
 

Wie nicht anders zu erwarten, schickt Bromley als erstes sein Tectass in den Ring. Sun antwortet dem Ganzen mit Snobilikat. Dem Kater gelingt es mit seinem Mogelhieb den Überrumpler des Käfers auszustechen und so selbst den ersten Treffer zu landen. Das lässt sich der Samurai aber nicht gefallen und so entbrennt ein Schlagabtausch zwischen den beiden, bei dem Tectass allerdings den Kürzeren zieht, als seine Energie in den kritischen Bereich absinkt und es so gezwungen ist, sich zurückzuziehen. Bromley nimmt das aber noch recht locker hin, es gehört schließlich zu seiner vernichtenden Technik, dass sich sein Partner später noch einmal in den Kampf einmischen kann.
 

Nun ist Ariados an der Reihe und so entscheidet sich der Katzen-Trainer dafür Fuegro in den Kampf zu sicken. Die große Spinne trumpft auch sogleich mit einer neuen Attacke auf. Der Arachnide spuckt einen Giftfaden auf den Feuertiger. Das klebrige Zeug erschwert dem Kater das vorankommen, hindert ihn jedoch nicht an der Bewegung. Dafür wird er allerdings vergiftet. Nicht sonderlich glücklich nimmt Sun dies zur Kenntnis. Der Weißhaarige gibt ihm jedoch nicht die Chance sein Pokémon zu heilen, sondern attackiert ihn wie wild. So bleibt dem jungen Champion nichts anderes übrig, als dem ebenso hart zu antworten. Gegen den flammenden Feuerzahn hält die Spinne allerdings nicht lange durch. Während sich der Käfer-Trainer noch über seinen Verlust ärgert, hat Sun dann doch die Zeit Fuegro zu heilen.
 

Das war auch bitter nötig, denn schon steht Pinsir kampfbereit auf dem Feld und lässt seine gewaltigen Zangen lautstark zusammenschlagen. Knurrend stellt sich ihm der Feuerkater entgegen. Der Schwarzhaarige ist nicht besonders überrascht davon, dass auch Pinsir zu einer neuen Attacke ansetzt. Bromley scheint sein einsames Training der letzten Monate sehr ernst genommen zu haben, um Sun endlich auf die Matte schicken zu können. Ein wenig beeindruckt dies den Katzen-Trainer schon. Er hat jedoch nicht viel Zeit, um sich darüber zu freuen, denn bei der neuen Attacke handelt es sich um Guillotine. Sollte Pinsir damit ein Treffer gelingen, wäre Fuegro auf der Stelle besiegt!
 

Nervös bangt Sun und sein Hoffen wird zum Glück erfüllt. Verärgert grummelt Bromley in sich hinein, doch nur für einen Augenblick, dann befielt er schon den nächsten Angriff. Steinkante hat Sun ebenfalls noch nicht bei dem Weißhaarigen gesehen und es gelingt Fuegro auch nicht ganz allen spitzen Steinen auszuweichen. Ein paar treffen den Kater ziemlich schmerzhaft, doch er hält durch und setzt zum Gegenangriff an. Pinsir ist allerdings noch nicht erledigt und holt seine dritte neue Attacke hervor: Bergsturm. Es gelingt dem Käfer seinen Gegner zwischen seinen Zangen einzuklemmen und ihn so heftig herumzuwirbeln. Am Ende des Angriffes schlägt Fuegro hart auf dem Boden auf. Nur schwerlich gelingt es dem Feuerkater wieder auf die Beine zu kommen.
 

Entgegen aller Annahmen trifft der Feuerzahn Pinsir nun heftig und schickt den Käfer auf die Matte. Eine gewisse Erleichterung geht durch den jungen Champion. Trotzdem gesteht er sich innerlich ein, dass Bromley doch ganz schön stark geworden ist und, wer weiß schon, was er noch alles an Neuerungen auftrumpft, die Sun wirklich gefährlich werden könnten? Immerhin hatte der Weißhaarige bei ihrem letzten Kampf schon vier Pokémon in petto und Tectass muss man auch noch doppelt zählen. Hat er jetzt noch ein weiteres Pokémon, sind das fünf – mit Tectass zweitem Einsatz ganze sechs – Gegner, denen Sun mit nur drei Partnern gegenübersteht. Ein ziemlich harter Brocken. Doch er hätte ganz sicher nicht die Pokémon-Liga bestanden, wenn ihn das an etwas hindern sollte.
 

Nun schwebt Maskeregen über das Feld. Der Schwarzhaarige wirft einen prüfenden Blick zu Fuegro, doch der Kater ist gewillt noch etwas durchzuhalten. Dies ändert sich jedoch schlagartig, als der Kater vom Energieball des Falters getroffen wird. Zwar sind Feuer-Pokémon nicht sonderlich empfindlich auf Pflanzen-Attacken, doch der Tiger hat schon einiges hinter sich und ist zu geschwächt, um das lange auszuhalten. So schickt Sun Snobilikat ein weiteres Mal aufs Feld. Sein Mogelhieb gelingt auch jetzt und verschafft ihm so einen kleinen Vorteil. Als Maskeregen allerdings einen Eisstrahl auf den Kater abfeuert, friert der Vierbeiner hilflos ein und kann sich nicht mehr bewegen.
 

Sun fürchtet schon, dass es das jetzt gewesen ist. Bromley befiehlt seinem Partner nun Luftschnitt. Die Attacke trifft gut auch, wenn sie durch das Eis etwas gedämpft wird. Das Ganze hat jedoch den positiven Effekt, dass das Eis durch die scharfkantige Luft Risse bekommt und so gelingt es Snobilikat sich wieder zu befreien. Damit hat der Käfer-Trainer nun wirklich nicht gerechnet und ärgert sich erst recht. Sun hat damit ebenfalls nicht gerechnet, freut sich jedoch sichtlich darüber. Ein, zwei Angriffe später ist auch Maskeregen am Ende und wird von dem Weißhaarigen wieder zurückgerufen.
 

„Freu dich bloß nich‘ zu früh, Kleiner! Noch bin ich nich‘ am Ende!“, höhnt der Ältere dann und schickt ein Scherox aufs Feld. Sun hat es ja schon befürchtet und nun bewahrheitet es sich: Bromley hat ein neues Pokémon! Zudem ein sehr starkes und schnelles. Der Schwarzhaarige beginnt sich ernsthaft Sorgen zu machen. Viel Zeit bleibt ihm jedoch nicht. Snobilikat ist auch nicht mehr sonderlich fit, also muss er das Ganze möglichst schnell hinter sich bringen. Seine Gedanken werden aber schon mit dem ersten Angriff auf die Probe gestellt. Blitzartig prescht Scherox zu einem vernichtenden Patronenhieb vor.
 

Der junge Champion ist von der Geschwindigkeit des Käfers nahezu überwältigt, dachte er doch, dass Tectass schon schnell sei. In allerletzter Sekunde gelingt es ihm eine Entscheidung zu treffen und Snobilikat erneut Mogelhieb zu befehlen. Der Angriff von Scherox hat ebenfalls eine erhöhte Priorität, doch Mogelhieb ist noch schneller. Dies wirft den rotgefärbten Käfer doch ziemlich aus der Bahn und er braucht einen Moment, um sich wieder zu sammeln auch, wenn ihm der Treffer dank seines stahlharten Panzers kaum Schaden zugefügt hat. Das ermöglicht Sun aber die nötige Vorbereitung, um diesen Kampf endgültig zu beenden. Schließlich ist Bromley nicht der Einzige, der mit neuen Attacken auftrumpfen kann!
 

Daher entscheidet er sich für Snobilikats neue Z-Attacke: Das Schwarze Loch des Grauens. Und dieser Unlicht-Angriff hat es wirklich in sich. Eingehüllt in die mächtige Z-Aura ihrer tiefen Verbundenheit, springt der Kater hoch in die Luft. Über seinem Kopf entsteht dann plötzlich eine Art Lichtkugel, die lila, dunkelrot und tiefschwarz leuchtet. Sie allein sieht schon sehr beeindruckend und furchterregend aus. Bromley ist anzusehen, wie sehr ihm dieser Angriff widerstrebt, allein schon, weil er selbst nicht in der Lage ist Z-Attacken einzusetzen und sie daher zutiefst verachtet.
 

Der Angriff wird jedoch noch viel beeindruckender. Snobilikat lenkt die Kugel nun auf Scherox. Dabei schrumpft sie zu einem Schwarzen Loch zusammen, das eine unglaubliche Saugwirkung entwickelt. Haltlos wird der rote Käfer hineingezerrt und verschwindet vom Feld. Das Schwarze Loch bläht sich nun wieder auf und endet in einer heftigen Explosion, die den ganzen Strand erzittern lässt. Als sich Sand und Staub wieder legen, liegt Scherox kampfunfähig am Boden. Dankbar ruft Sun seinen Kater zurück. Er hat mehr als genug geleistet und kann sich nun ausruhen.
 

So wird sich Elektek Tetctass entgegenstellen. Der Kater kann dem neuerlichen Überrumpler jedoch nichts entgegensetzen und steckt daher ganz schön etwas ein. Das Elektro-Pokémon setzt einen Donnerblitz nach, der wiederum dem Käfer ziemlich zu schaffen macht, doch er hält sich noch. Bromley hätte sich mit dem Training seiner Partner ganz sicher nicht so viel Mühe gegeben, wenn nicht auch der Samurai eine neue Attacke beherrschen würde. Und kaum, dass Sun dieser Gedanke gekommen ist, rollt die Kaskade auch schon hart über Elektek hinweg. Der ganze Strand steht für einen Augenblick knietief im Wasser, ehe die Flut ins Meer abfließt. Das feuchte Nass juckt den Kater allerdings nicht sehr auch, wenn er davon regelrecht von den Füßen gerissen und über den Strand gespült wird.
 

Der nun ordentlich feuchte Sand verstärkt aber die Kraft seines Donnerblitzes erheblich und so geht auch Tectass endlich zu Boden. Fassungslos steht Bromley mit offenem Mund da und starrt auf seinen am Boden liegenden Partner. „Schon wieder? Wieso gelingt’s mir einfach nich‘, dich plattzumach’n?“, entkommt es ihm stockend und mit einem unterdrückten Knurren. Sun kann die unbändige Wut und Enttäuschung in seinen grauen Augen sehen und er fürchtet schon, dass es nun wieder passieren wird, dass er sich nun wieder selbst verletzt und der Schwarzhaarige völlig machtlos daneben stehen muss. Einen schrecklichen Moment lang starren sich die beiden ewigen Rivalen einfach nur an. Der eine aufgelöst in seiner Niederlage, der andere bangend auf das Folgende...
 


 

7
 

Doch nichts dergleichen passiert. Stattdessen regt sich der Weißhaarige wieder ab, atmet tief durch und der Beginn eines resignierenden Lächelns schleicht sich auf seine Lippen. Es kommt jedoch nicht bis an die Oberfläche, denn auf einmal betritt Hala völlig unerwartet den Strand. „Das war wirklich beeindruckend, Sun!“, ruft er schon von weitem und kommt dann zu den beiden hinüber. Bromley gibt ein verachtendes Schnaufen von sich und mustert den rundlichen Mann voll trotziger Strenge. „Biste extra angetanzt, um mich verlier’n zu seh’n, alter Mann? Als Inselkönig haste wohl nix Bessres zu tun, wa‘?“, höhnt er angesäuert und verschränkt abwehrend die Arme vor der Brust.
 

Vater: Es ist an der Zeit, etwas zu verändern

Beruhige dich erst mal und mach langsam

Du bist noch jung, das ist dein Problem

Du musst noch so viel lernen
 

Seufzend schüttelt Hala nur mit dem Kopf und bedenkt den jungen Mann mit einer Mischung aus Tadel und Nachsicht. „Lass mich dir ein Geheimnis verraten: Die Welt dreht sich nicht nur um dich! Ich bin hier, weil ich Sun gesehen habe, nicht wegen dir.“, entgegnet er dem Weißhaarigen schließlich matt, beinahe belustigt. Dieser Unterton entgeht dem Größeren aber keinesfalls. „Du willst wohl, dass ich dich plattmache?!“, schnaubt er angriffslustig und ballt drohend die Fäuste. Auch dies nimmt Hala mit einem kleinen Kopfschütteln seufzend zur Kenntnis. „Bromley – du hast immer noch nicht verstanden, warum man gegen andere antritt und sich mit ihnen misst. – Es geht darum, alles aus sich herauszuholen und gleichzeitig dem Gegner zu ermöglichen, ebenfalls sein Bestes zu geben. Es geht nicht darum, den Gegner plattzumachen, sondern darum, stärker zu werden!“
 

Such dir ein Mädchen, werde sesshaft

Du kannst heiraten, wenn du willst

Schau mich an: ich bin alt, aber glücklich
 

Verständnislos mustert Bromley den kleinen Mann und legt die Stirn in Falten. „Ich weiß nich‘, waste da laberst, alter Mann. Is‘ eben meine Art, Gegner plattzumachen!“, versucht er sich halbherzig zu rechtfertigen, doch es klingt schon so, als wolle er aufgeben. Ihm fehlen einfach die richtigen Argumente, um sich verständlich zu machen. Und er weiß aus Erfahrung nur zu gut, dass Hala ihm immer etwas entgegenbringt. „Das sah für mich gerade etwas anders aus. Du hast zwar gesagt, du willst Sun plattmachen, aber ist nicht vielleicht tief in dir der Wunsch gekeimt, gegen ihn zu gewinnen?“, bemüht sich der Inselkönig ein letztes Mal, da er doch sieht, dass dort etwas in Bromley ist, das noch nicht da war, als er ihn zuletzt an der Seite von Kukui hat kämpfen sehen.
 

Ich war früher auch wie du und weiß deshalb,

Dass es nicht leicht ist,

Stillzuhalten, wenn man merkt, dass sich etwas tut
 

„Was faselste da? So’n Schwachsinn!“ Nun reicht es dem Käfer-Trainer aber wirklich. In seinem Kopf herrscht völlige Verwirrung und er weiß nicht mehr, was er überhaupt denken geschweige denn sagen soll. Allerdings taucht nicht mehr der Wunsch in ihm auf sich selbst zu schaden, um dies alles zu kompensieren. Stattdessen fühlt er sich einfach nur hilflos und missverstanden und das schmeckt ihm gar nicht, weshalb er einen gröberen Ton anschlägt und sich dann beleidigt abwendet. Mit verschränkten Armen starrt er stur auf das Meer hinaus und versucht die Worte des Älteren zu ignorieren. „So wie du jetzt bist, Bromley, wird es dir nie gelingen, gegen Sun zu gewinnen. Du musst die Stärke deines Gegners anerkennen und versuchen, ihn irgendwann zu übertreffen, indem du dich mit anderen Menschen und Pokémon misst! Das ist es, was du wirklich willst. Das sehe ich dir an.“
 

Aber lass dir Zeit, denk ausgiebig über alles nach,

Denk an das, was du hast,

Denn morgen bist du auch noch da, deine Träume vielleicht nicht
 

Hala will noch nicht aufgeben auch, wenn er das Gefühl hat, dass sich der Weißhaarige immer mehr von ihm abschottet. In ihm schlummert immer noch das uneinsichtige Kind von damals. „Du führst dich ja immer noch wie mein Lehrmeister auf, dabei hab‘ ich dich schon lange abgehakt!“, knurrt der Käfer-Trainer ein letztes Mal. Es bricht Hala fast das Herz, doch er lässt es sich nicht ansehen, sondern wendet sich dem jungen Champion zu. „Sun. Ich werde mich dieses Hohlschädels – nein, dieses Riesenhohlschädels annehmen! Ich schwöre bei meinem Titel als Inselkönig, dass ich aus ihm einen vorbildlichen Trainer machen werde. Als Wiedergutmachung für die Sünden von Team Skull, könnte man sagen.“, teilt er dem Schwarzhaarigen zuversichtlich mit und, dass gerade so laut, dass Bromley es auch noch hören kann.
 

Sohn: Wie soll ich das nur erklären?

Ich weiß nicht, wohin mit mir

Es ist immer dasselbe Lied
 

Dieser gibt daraufhin nur einen sehr verstimmten Laut von sich und schmollt noch mehr in sich hinein, was ihm erneut das Aussehen eines bockigen Kindes verleiht. Tief im Innern kann sich Sun sehr gut vorstellen, dass das Ganze dem Käfer-Trainer so gar nicht schmeckt. Ist ja auch schon irgendwie mies, dass er immer gegen den Jüngeren verliert und sich nach all der Zeit jetzt auch noch von seinem ehemaligen Lehrmeister so vorführen lassen muss. An seiner Stelle wäre Sun jetzt wohl auch nicht sonderlich gut drauf. Allerdings kann er auch Hala verstehen und er bewundert es sehr, dass der ältliche Inselkönig noch die Kraft und den unbändigen Elan hat, Bromley auf die richtige Spur bringen zu wollen und, dass nach all dem Leid und der Enttäuschung, die der Weißhaarige ihm bereitet haben muss.
 

Vom ersten Moment an, von dem ich sprechen konnte,

Musste ich immer zuhören,

Aber jetzt sehe ich einen Weg für mich und weiß,

Dass ich gehen muss
 

Hala geht sogar noch weiter und ignoriert den kindlichen Trotz des hochgewachsenen Jungen. Herzhaft beginnt er zu lachen und spricht einfach weiter. „Wir beide werden viel herumreisen, uns erwartet eine strahlende Zukunft! Wir werden vielen Menschen und Pokémon begegnen und dabei jede Menge Spaß haben!“ Seine Augen, eingebettet in ein Netz winziger Fältchen, sind dunkel und ausgeglichen. Sie blicken den Weißhaarigen voll klarer Intelligenz und aufrichtiger Hingabe an. Es sind Augen, die einem den hohen Stand des rundlichen Mannes klarmachen und dennoch wirken sie so freundlich und offen, als würde man mit seinem eigenen Großvater sprechen. Dieser Blick hat Bromley schon immer das Gefühl gegeben von ihm lernen und zu ihm aufsehen zu können, selbst dann noch, als er ihm längst über den Kopf gewachsen war und anfing ihn zu verachten. Eine seltsame Mischung aus Scham und Hoffnung steigt in dem Käfer-Trainer auf. Fast schon wehmütig sieht er mit an, wie Hala sich jetzt lächelnd abwendet und den Strand wieder verlässt.
 

Vater: Es ist an der Zeit, etwas zu verändern

Setz dich erst mal und lass es ruhig angehen

Du bist noch jung, das ist dein Problem

Du musstest schon so viel durchmachen
 

Trotz all dem Scheiß, den Bromley gemacht hat und wie sehr er sich ihm gegenüber auch unschön ausgedrückt und benommen haben mag, scheint Hala dennoch nicht aufgeben zu wollen, ihm den Kopf zu waschen und das rührt den ehemaligen Skull-Boss fast zu Tränen. „Meister…“, flüstert er ihm nach und beinahe schmerzlich wird ihm klar, wie lange er dieses Wort schon nicht mehr benutzt hat; wie viel Zorn sich nur gegen diesen Mann und die ganze beschissene Welt in ihm aufgestaut hat. Bevor er aber völlig in seinem Selbstmitleid versinkt, fällt ihm wieder ein, dass Sun ja auch noch hier ist. Schnell sind die nicht vergossenen Tränen vergessen und er dreht sich ruppig zu dem Jungen herum, mustert ihn streng und eindringlich. Aber mit jedem Wort, das er dem Jüngeren zuteil werden lässt, wird sein Blick weicher und seine Stimme ruhiger. „Ich werd‘ mich nich‘ bei dir entschuldigen, Sun! Und ich tu das auch nich‘ als Buße oder so. Sei einfach still und nimm das hier. Das is‘ so was wie ‘n Glücksbringer, den ich nach mei’m ersten Sieg bekomm‘ hab‘. Aber meine Käfer-Pokémon könn‘ damit eh nichts anfangen, daher is‘ es bei dir sicher besser aufgehoben…“
 

Sohn: Ich muss gehen

Und diese Entscheidung muss ich allein treffen

Die ganze Zeit über war ich traurig

Habe meine Gedanken für mich behalten
 

Vielleicht ist Bromley nur ein kleiner Ganove, der ihm ständig Steine, ja ganze Felsbrocken, in den Weg geworfen hat, um ihn am Weiterkommen zu hindern, doch als er ihm jetzt den Entwicklungsstein überreicht, wirkt er gebrochen. Sun hat plötzlich unglaubliches Mitleid mit ihm. Der Weißhaarige sieht so traurig aus, erst recht, weil er schon wieder gegen ihn verloren und Hala das auch noch mitangesehen und ihn zurechtgewiesen hat. Er mag nur ein kleiner Ganove sein, aber einer, der sich bessern will! Den unbändigen Drang kann Sun ihm ansehen auch, wenn der ehemalige Skull-Führer es niemals zugeben würde, und innerlich wünscht er dem Käfer-Trainer alles nur erdenklich Gute, damit es auch funktioniert. Laut aussprechen kann er es jedoch nicht, da Bromley ihm zuvorkommt. „In Alola weiß man nie, was das Schicksal für ein‘ bereithält. Wer weiß, was aus mir wird? Bei unsrem nächsten Treffen wirstes erfahren.“
 

Es ist schwer,

Aber für mich wäre es noch schwerer, es zu verdrängen

Ich sehe jetzt einen Weg für mich und weiß, dass ich gehen muss
 

Dem Weißhaarigen gelingt es zu lächeln und in Sun kommt schon beinahe der unbändige Wunsch auf, sich auf dieses mögliche Wiedersehen zu freuen. Im Moment kann er es jedoch noch nicht so wirklich, zu sehr sind seine Gedanken noch bei Lilly und der angeschlagenen Samantha, die hoffentlich wieder zusammenfinden werden. Doch irgendwann sehen sich die beiden Jungs vielleicht wirklich wieder und dann werden sie ganz sicher zwei sehr ernst zunehmende Gegner sein und darauf freut sich Sun schon jetzt. Bromley hebt lässig die Hand und deutet damit so etwas wie einen Abschiedsgruß an, ehe er sie tief in seiner Hosentasche vergräbt und langsam den Strand verlässt. Der erste Liga-Champion des Inselparadieses bleibt allein zurück und winkt ihm noch eine Weile nach. Dann blickt er lächelnd auf den Funkelstein hinab, ehe er fest die Hand darum schließt und mit neuer Kraft und Zuversicht seinen Weg fortführt.
 

Vater: Diese Entscheidung musst du nicht allein treffen!

Lass dir helfen

Ich reiche dir die Hand und führe dich ins Licht,

Denn ich weiß, wie schwer es ist!

Old feelings...

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

New chance?


 

1
 

Während Bromley und Manuel innig damit beschäftigt sind, ihre Versöhnung zu feiern, bringt Fran erfolgreich die Kämpfe gegen die Top Vier hinter sich und ist nun bereit sich Sun entgegenzustellen. Auf diesen Moment hat sie so lange gewartet und unglaublich hart an sich und ihren Pokémon gearbeitet, sodass sie sehr zuversichtlich ist, den jungen Champion auch schlagen zu können. Alles andere wäre eine regelrechte Schande. Dennoch weiß sie, dass dieser letzte Kampf alles andere als leicht werden wird. Immerhin hat sie miterlebt, wie Sun im Alleingang ganz Team Skull und sogar Bromley mehrfach vorgeführt hat, als wären sie alle nichts weiter als blutige Anfänger. Sie selbst musste da ja auch schon einiges einstecken, was sie allerdings auch als Vorteil ansieht, da sie so immerhin etwas von seiner Kampftechnik kennt.
 

Dennoch kann sie das mulmige Gefühl nicht unterdrücken, das ihr praktisch die Kehle zuschnürt, als sie die letzten Stufen zur Plattform des Champions emporsteigt. Die bläulich beleuchtete Kuppel der Pokémon-Liga bietet einen mystischen Anblick und die Sicht über Alola ist einfach nur spektakulär. Doch die Gift-Trainerin hat kein Auge dafür, sieht nur ihr letztes Hindernis vor sich. Der Treppe gegenüber, am anderen Ende der riesigen Kuppel, steht der Thron des Champions, auf dem sie am Ende des Tages hoffentlich sitzen wird. Jetzt jedoch sitzt Sun darauf und betrachtet sie aufmerksam.
 

Die junge Frau schluckt die letzten Zweifel hinunter und tritt näher, gibt sich kühl und reserviert, ganz so, wie er es von ihr gewohnt ist. Trotzdem denkt sie nicht ihn damit täuschen zu können. Das kann sie ihm praktisch von den Augen ablesen. Aber es gibt ihr ein besseres Gefühl, ihn nicht an sich heranzulassen und daher verzichtet sie nicht auf diese kleine Show. „Herzlichen Glückwunsch zum erfolgreichen Aufstieg und zum Sieg über die Top Vier, Fran.“, entgegnet ihr der Schwarzhaarige, als sie vor ihm zum Stehen kommt. Die Pinkhaarige gibt nur ein leichtes Schnauben von sich. „Das war gar nicht so schwer! Und dich werde ich auch noch wegputzen, verlass sich darauf!“, erwidert sie ihm herablassend.
 

Wie sie allerdings schon vermutet hat, lässt sich Sun davon nicht sonderlich beeindrucken und so behält er sein freundliches Lächeln bei und geht nicht sonderlich auf ihre Worte ein. „Wir werden sehen. Dennoch bin ich erfreut, dass du es so weit gebracht hast.“ „Yasu hat mich mit der geballten Überzeugungskraft eines Rentners dazu gebracht, als Trainer noch einmal neu anzufangen. Jetzt schau dir an, was aus mir geworden ist! Habe sogar diesen hübschen, kleinen Z-Ring hier bekommen!“, erläutert sie ihm. Dann wird ihr Gesicht zu der strengen Maske, die er stets von ihr gewohnt war. „Schluss mit dem Rumgelaber! Lass uns endlich anfangen!“ Auf Suns Gesicht breitet sich die Kampfeslust aus und er steht bereitwillig auf. „Gut! Ich kann es nämlich kaum noch erwarten!“
 


 

2
 

Die beiden Kontrahenten begeben sich in die Mitte der Plattform, die als Kampfring fungiert. Entschlossen sehen sie sich tief in die Augen und ziehen dann ihren ersten Pokéball hervor. Kurz darauf manifestieren sich Gengar und Snobilikat auf dem Feld. Frans furchterregender Geist zieht eine hässliche Grimasse und lässt seine lange Zunge vorwitzig heraushängen. Suns Kater begegnet dem Ganzen mit einem verstimmten Fauchen. Der Moment der ersten Musterung fällt jedoch kurz aus, da geben ihre Trainer schon den Befehl zum Angriff. Für den Erstschlag wählen die beiden Trainer zufälligerweise eine Attacke vom Typ Unlicht aus. Fran entscheidet sich dabei für die furchterregende Finsteraura und Sun benutzt Finte.
 

Kaum sind die Worte ausgesprochen, speit Gengar auch schon eine lilafarbene Energiekugel aus, angefüllt mit allen schlechten Gedanken seines tiefen Unterbewusstseins, und schleudert sie mit einem wilden Lachen auf Snobilikat. Der flinke Kater schafft es jedoch dem Angriff auszuweichen und seinerseits einen harten Treffer zu landen. Mit einem wütenden Knurren kommt der Geist anschließend wieder auf die Beine, doch ihm ist anzusehen, dass ihm die Attacke ziemlich zugesetzt hat. Unlicht-Attacken zählen zu den größten Schwächen eines Geistes, was Sun einen gewissen Vorteil verschaffen dürfte. Mit einem verstimmten Naserümpfen nimmt die junge Frau diesen Rückschlag hin, doch noch ist sie ja nicht besiegt. Immerhin hat der Kampf gerade erst begonnen und alles ist noch offen.
 

„Diese Runde geht an dich, doch mal sehen, was du zu meiner Matschbombe sagst!“, kommt es von Fran und schon setzt Gengar zum Angriff an. Gleich einer Pistole feuert der Geist übelriechende Schlammkugeln auf den Kater ab, der im Zickzack versucht dem Ganzen auszuweichen. Es sieht auch fast so aus, als würde es ihm gelingen, doch die letzte Kugel trifft ihn mitten im Gesicht. Taumelnd geht die Großkatze zu Boden und versucht sich von der glibberigen Masse zu befreien. Es dauert einen Moment, dann steht Snobilikat wieder, doch etwas ist anders. Der Nebeneffekt der Attacke hat gegriffen und jetzt ist der Vierbeiner vergiftet. Wehmütig nimmt Sun diese Tatsache zur Kenntnis, doch er hat jetzt keine Zeit sich darum zu kümmern.
 

Schnell befiehlt er seinem Partner eine erneute Finte, die dem Geist wieder gehörig zusetzt. Nicht mehr lange, dann ist Frans erstes Pokémon erledigt – solange muss der Kater eben noch durchhalten. Die junge Frau merkt, dass sie mit ihren Attacken nicht so sonderlich viel gegen das Normal-Typ-Pokémon ihres Gegners ausrichten kann, weshalb sie ihr gesamtes Repertoire durchprobiert. Bei der nächsten Attacke – Zauberschein – erzeugt Gengar nun eine grelle Lichtkugel, die so gar nicht zu seinem düsteren Wesen passen will. Auch hier versucht Snobilikat dem Angriff auszuweichen, um eine letzte Finte zu landen. Allerdings ist Zauberschein eine ziemlich weit gefächerte Attacke, die auch mehrere Gegner gleichzeitig erwischen kann und so ist es praktisch unmöglich sich dem zu entziehen.
 

Getroffen vom gleißenden Lichtblitz schwankt der Kater wie betrunken hin und her, kann sich aber auf den Beinen halten, selbst noch, als das Gift ihn zusätzlich schwächt. Das ist gut, Sun braucht ihn noch eine ganze Weile. Fran tritt diesen Kampf immerhin mit fünf Pokémon an, während er selbst nur vier zur Verfügung hat. Doch das ist nicht weiter schlimm, er hat schon so einiges hinter sich und da war die Anzahl seiner Pokémon stets nicht sonderlich hoch, was seine Gegner immer wieder in Sicherheit gewiegt hat und sie dadurch unvorsichtig wurden. Der Schwarzhaarige hofft, dass es jetzt ebenso ist und er das Ganze für sich entscheiden kann. Doch Fran ist nicht zu unterschätzen, dass hat er schon damals gemerkt, als sie noch bei Team Skull war. Aber er kennt ihre Taktik und Vorlieben und wird das so gut wie möglich ausnutzen.
 

Den ersten Sieg entscheidet er nun auch für sich, indem Snobilikat eine letzte Finte setzt und den Geist damit auf die Matte schickt. Mit einem angewiderten Knurren nimmt Fran das in Kauf und ruft ihn zurück. „Das war nur Glück, doch so leicht mache ich es dir jetzt ganz sicher nicht mehr!“, höhnt sie aufgebracht und schickt ihr nächstes Pokémon ins Rennen. Sleimok ist schon ein ganz anderes Kaliber. Das bunt gefärbte, nahezu substanzlose Wesen gleitet über das Kampffeld und verbreitet dabei einen übelriechenden Gestank, der seine Giftigkeit deutlich zum Ausdruck bringt. Dummerweise hat dieses Wesen nicht nur den Gift-Typen, sondern auch den Unlicht-Typ, was es praktisch unempfindlich auf dergleichen Angriffen macht. Nicht gut für den Kater, der neben Unlicht nur Angriffe vom Typ Normal beherrscht. Allerdings muss er nur noch ein kleines bisschen durchhalten, dann ist Sun schon zufrieden.
 

Der junge Trainer verschafft sich daher auch als Erstes einen kleinen Vorteil, indem er Mogelhieb befiehlt und so den ersten Treffer landen kann. Sonderlich kümmern tut es das glibberige Pokémon jedoch nicht. Sleimoks Giftschock erledigt den angeschlagenen Vierbeiner dann aber auch schon und Sun ruft ihn zurück. Seinen Platz nimmt Fuegro ein, was dem Gift-Pokémon nicht gerade behagt, da es doch etwas empfindlich auf Feuer reagiert. Fran versucht dieses Defizit aber damit auszugleichen, dass Sleimok Steinhagel beherrscht und auf Gesteins-Attacken reagiert indes Fuegro ziemlich empfindlich. Hier treffen also zwei Gewalten aufeinander, die ordentlich Schaden anrichten können und so entscheidet sich das Ganze wahrscheinlich nur durch Schnelligkeit.
 

Sleimok wirkt alles andere als flink und gewandt, doch sein Steinhagel deckt einen großen Bereich ab und macht seine geringe Geschwindigkeit damit ziemlich gut wett. Fuegro hat sichtlich alle Mühe den herabstürzenden Felsbrocken auszuweichen. Nicht wenige treffen den Kater, ehe er nahe genug herangekommen ist, um seinen Feuerzahn sprechen zu lassen. Beide Angriffe verfehlen ihre Wirkung somit nicht, dennoch sind die Kontrahenten noch kampfbereit. Fran entgeht allerdings nicht, wie gut die Gesteins-Attacke auf den Kater gewirkt hat und so befiehlt sie denselben Angriff einfach nochmal. Sun kommt dadurch etwas ins Wanken. Er könnte diesen Kampf ganz locker mit einer Z-Attacke beenden, doch dann hätte er jeglichen Trumpf verspielt und keine Chance mehr eine weitere Z-Attacken einzusetzen. Demnach muss er das Ganze so lange wie möglich hinauszögern und sehen, wie er stattdessen klarkommt. Doch er wäre ganz sicher nicht Champion geworden, wenn er sich jetzt schon in die Ecke getrieben fühlen würde.
 

So befiehlt er Fuegro ebenfalls den Angriff zu wiederholen. Der Kater folgt dem Ganzen bereitwillig und dieses Mal gelingt es ihm auch schon besser den herabfallenden Brocken auszuweichen. Sleimoks Zielgenauigkeit scheint in gewisser Weise wohl abhängig von seinem Energielevel zu sein. Je mehr es geschwächt wird, desto weniger Einfluss hat es auf die Positionierung der Felsen und sie fallen praktisch willkürlich zu Boden, statt auf seinen Gegner zuzuhalten. So gelingt es Fuegro nun deutlich besser dem Ganzen auszuweichen, dennoch treffen ihn einige Brocken ziemlich hart, ehe er seinen Feuerzahn anwenden kann.
 

Schwer atmend bringt sich das Feuer-Pokémon wieder in Position und Sun fürchtet bereits, dass es den nächsten Angriff nicht mehr überstehen wird. Doch zur Überraschung aller Anwesenden bricht Sleimok auf einmal zusammen und kann nicht mehr weiterkämpfen. „So ein verdammter Mist...“, schimpft Fran in sich hinein und überlegt, wen sie als Nächstes in den Ring schicken soll. Als ihr die richtige Idee kommt, breitet sich ein beinahe durchtriebenes Lächeln auf ihrem Gesicht aus und Sun ahnt, dass nun noch etwas kommen wird, das er bei ihr noch nicht gesehen hat, genauso wie es eben bei Sleimok der Fall war. Und er behält recht damit. Die Gift-Trainerin fährt lauter schwere Geschütze auf. Etwas schwerlich versucht sich der Schwarzhaarige daran zu erinnern, welche Pokémon sie bei ihrem letzten Aufeinandertreffen benutzt hatte. Sleimok ist immerhin die Entwicklung von ihrem damaligen Sleima.
 

Nun steht Aggrostella auf dem Plan, welches die Entwicklung von Garstella ist. Eigentlich hätte sich Sun das alles auch schon denken können. Schließlich entwickeln sich die meisten Pokémon auch, wenn man sie trainiert, was Fran zweifelsohne getan hat. Somit wird ihm wohl noch einiges bevorstehen. Dummerweise bekommt er das auch gleich mal zu spüren, denn Aggrostella hat den Zweittyp Wasser und ist damit eine ziemliche Gefahr für seinen Feuerkater. Wie nicht anders zu erwarten, ist sich Fran dieser Tatsache ebenfalls bewusst und so befiehlt sie ihrem Partner Aquadurchstoß. Der Quälstern fackelt auch gar nicht lange und jagt einen gebündelten, harten Strahl Wasser auf Fuegro, der dadurch augenblicklich auf die Matte geschickt wird.
 

Ein zufriedener Ausdruck zeichnet sich auf dem Gesicht der jungen Frau ab. Sun gönnt ihr den kurzen Moment der Freude, ehe er seinen nächsten Pokéball ergreift, der ihm helfen wird, sich ziemlich schnell von Aggrostella zu befreien. Mit einem knisternden Fauchen betritt Elektek das Feld. Elektrische Blitze zucken um seinen aufgeladenen Körper. Der zufriedene Ausdruck auf dem Gesicht der Gift-Trainerin gefriert schlagartig und sie überlegt fieberhaft, wie sie die Situation noch retten kann. Viele Möglichkeiten bleiben ihr nicht, also setzt sie zum Gifthieb an, wohl in der Hoffnung ihren Gegner zu vergiften und so doch noch eine Chance zu haben.
 

Das Problem ist nur, dass Aggrostella dafür ziemlich nahe an Elektek herankommen muss, wohingegen der Elektrokater seinen Donnerblitz von weitem ausführen kann. Allerdings ist das Wasser-Pokémon mit seinen vielen, flexiblen Gliedmaßen ziemlich flink und wendig. Es jagt praktisch wie ein Schatten über das Kampffeld und nähert sich dem Kater so immer mehr an, ohne von seinen Blitzen getroffen zu werden. Schließlich ist es nahe genug herangekommen, um seinen Angriff zu platzieren. Ein harter Schlag, der aber auch seinen Preis hat. Elekteks Fähigkeit Statik verpasst dem Quälstern nun einen Schlag und paralysiert ihn so.
 

Mit schreckgeweiteten Augen kann Fran nur zusehen, wie ihr Pokémon unfähig zu irgendeiner Bewegung erstarrt, während sein Ende naht. Gelähmt ist es ihm nicht mehr möglich dem Donnerblitz auszuweichen und so triff die Attacke es mit aller Härte. Geschlagen geht Aggrostella zu Boden, während statische Blitze über seinen mitgenommenen Körper zucken. Somit steht es nun zwei zu drei. Also bleiben der Gift-Trainerin noch zwei Pokémon übrig, mit denen sie den Kampf theoretisch noch für sich entscheiden kann. Ihr bleibt auch noch ihre Z-Attacke als letzter Ausweg, doch dafür ist es noch zu früh. Wenn sie schiefgeht, bleibt ihr nichts mehr, also noch warten. Sun bleiben ebenfalls noch zwei Pokémon, wobei sein Elektek ja schon einstecken musste, was Fran vielleicht in die Hände spielt. Allerdings weiß sie nicht, was er als letztes Pokémon auffahren wird und das bereitet ihr Sorgen.
 


 

3
 

„Du bist wirklich ein ziemlich ernst zunehmender Gegner, Kleiner. Das muss ich dir wirklich lassen. Doch das wird dir auch nichts nützen!“ Sun bedenkt sie mit einem kleinen Lächeln. „Ich muss ebenfalls zugeben, dass du ziemlich gut bist. Du hast echt etwas aus dir gemacht.“ Fran kommentiert das Ganze nur mit einem Schnauben und greift zu ihrem nächsten Pokémon. Iksbat manifestiert sich auf dem Feld und stellt damit die letzte Weiterentwicklung ihres Golbat dar, das Sun noch aus dem letzten Kampf mit ihr kennt. Die große Fledermaus mit den vier Flügeln blickt sich finster um und bleckt seine spitzen Reißzähne. Elektek stellt sich dem fauchend entgegen.
 

Der erste Angriff naht. Iksbats Reißzähne glühen auf und das tödliche Gift tropft nur so aus ihnen heraus, als es mit unheimlicher Geschwindigkeit auf den Kater zurast. Zum Ausweichen ist die Fledermaus einfach zu schnell. Mit wilden Haken gelingt es ihr auch, den Blitzen auszuweichen. So durchbricht sie die Verteidigung des Katers und rammt ihm ihren Giftzahn in den Hals. Genau in diesem Moment setzt Elektek aber zu einem weiteren Donnerblitz an, der sich im Moment des Zubeißens entlädt. So werden beide Kontrahenten gleichermaßen getroffen.
 

Die Fledermaus sieht dadurch schon ziemlich mitgenommen aus, da sie ziemlich empfindlich auf Elektrizität reagiert. Auch der Kater schwankt einen Moment. Diesmal wird jedoch keiner von ihnen von einem Statusproblem übermannt, was beide Seiten gleichermaßen freut wie auch ärgert. „Iksbat halt durch und benutz Blutsauger!“, harscht Fran ihren Begleiter an. Dieser setzt wieder zu seinem spektakulären Kamikazeflug an und prescht so schnell vor, dass Elektek ihn wieder und wieder verfehlt. Diesmal gelingt es dem Kater nicht, noch rechtzeitig seinen Angriff zu platzieren. Stattdessen wird er erneut von den scharfen Zähnen der Fledermaus getroffen. Jetzt pumpen sie jedoch kein Gift in seinen Körper, sondern zapfen ihm ein großes Stück seiner Energie ab, um die eigene damit wieder aufzufüllen.
 

Der Elektrokater ist schwer getroffen und kann sich kaum noch auf den Beinen halten, während Iksbat eine Art Triumphflug zu starten scheint, indem es einen kunstvollen Looping nach dem anderen dreht. Die gestohlene Energie ist ihm definitiv gut bekommen. Das lässt Sun jedoch nicht auf sich sitzen und harscht seinen Partner zu einem neuerlichen Donnerblitz an. Dieses Mal trifft er auch, da das Gift-Pokémon nicht mehr rechtzeitig auf Frans Warnruf reagieren kann. Nun sind die Fronten wieder ausgeglichen. Eine letzte Attacke wird über den Sieg dieser Runde entscheiden.
 

Elektek macht sich zum Donnerblitz bereit, doch in diesem Augenblick schießt Iksbat pfeilschnell in den Himmel empor – zumindest so weit, wie die gläserne Kuppel der Pokémon-Liga es zulässt. Doch in jedem Fall reicht es aus, um dem Angriff des Katers zu entkommen und um die nächste Attacke der Fledermaus vorzubereiten. Fliegen ist ein ziemlich guter Angriff, erst recht, wenn man sich etwas Zeit verschaffen und den möglicherweise vernichtenden Treffern des Gegners entgehen will. Kurz darauf ist Iksbat bereit und rast mit irrsinniger Geschwindigkeit auf sein Ziel zu. Elektek hat keine Chance mehr dem zu entkommen und wird zu Boden geworfen. Zwar haben Flug-Attacken nur eine sehr geringe Wirkung auf Elektro-Pokémon, doch der Kater ist schon zu mitgenommen, um dem noch etwas entgegenzusetzen. Kampfunfähig bleibt er am Boden liegen.
 

Erneut wiegt sich Fran etwas in Sicherheit. Ihr muss es nur noch gelingen ein letztes Pokémon zu besiegen, dann darf sie sich neuer Champion von Alola nennen. Bei Suns letztem Trumpf handelt es sich um Absol, einem gefürchteten Unlichtwesen, das den Ruf hat, alles Unglück magisch anzuziehen. Das Unglück ereilt jedoch Fran, als der Vierbeiner zum ersten Angriff ansetzt. Seine Augen leuchten bedrohlich. Dann tauchen über ihm glühende Klingen aus reiner Psychoenergie auf, die die Fledermaus innerhalb eines Sekundenbruchteils einfach so durchbohren. Das war zu viel für Iksbat und es fällt wie ein Stein zu Boden. Ein weiterer Ausgleich. Jetzt haben sie beide nur noch ein Pokémon, aber auch noch eine Z-Attacke.
 

Hoffnungsvoll schickt die Gift-Trainerin ihr Amfira in den Ring. „Absol Klingensturm!“, ertönt Suns Stimme schon kurz darauf. „Schutzschild!“, befiehl Fran, in der Hoffnung dem Ganzen so entgehen zu können. Allerdings hat sie sich dummerweise verkalkuliert. Klingensturm ist nämlich eine Attacke, die eine Runde zum Aufladen benötigt und der Angriff dann erst in der zweiten Runde ausgeführt wird. So wirkt Amfiras Schutzschild nicht, da es von nichts getroffen wird, während Absol in aller Ruhe seine Kraft zusammennimmt. Hilflos können Fran und die Matriarchin nur mit ansehen, wie ein heftiger Wind über das Feld zu wehen beginnt und daraus mächtige Klingen hervorspringen und die Echse verletzten.
 

Ok, das reicht! Die Gift-Trainerin sieht keinen anderen Ausweg mehr, ihre Z-Attacke muss jetzt her, sonst hat sie keine Chance zu gewinnen. Auf diesen Augenblick hat Sun insgeheim gewartet. Er möchte sehen, ob Fran wirklich in der Lage ist, so einen komplizierten Angriff auszuführen. Fasziniert und gebannt starrt er sie und ihr Pokémon an, während die beiden ihre Energien und Gedanken vereinen, um einen vernichtenden Säureregen zu entfachen. Zuerst befürchtet der Schwarzhaarige, dass die zwei es nicht schaffen, dass sie zu aufgebracht sind, um sich zu konzentrieren, doch dann sind sie zum Angriff bereit.
 

Aus heiterem Himmel beginnt es plötzlich unter der Glaskuppel zu regnen. Doch es ist kein gewöhnlicher Regen, er besteht nämlich es heißer, ätzender Säure. Die glühenden Tropfen ergießen sich auf Absol, bilden zu seinen Pfoten ein blubberndes Giftmoor, das sich schließlich auftut und den Unglücksboten verschluckt. Mit weit aufgerissenen Augen starren die beiden Trainer auf das violette Moor, aus dem widerliche Blasen aufsteigen. Dann liegt es still da und löst sich langsam auf. Absol wird im letzten Moment regelrecht ausgespuckt. Mit wackligen Beinen und über und über mit der stinkenden Brühe bedeckt, steht das Unlichtwesen unsicher da. Es atmet ein paar Mal tief durch und schüttelt sich dann den ganzen Unrat aus dem dichten Pelz.
 

Erleichtert sieht Sun es an, während Fran und Amfira ihren Augen kaum trauen können. „So ein verdammter Mist...“, bringt die junge Frau hilflos hervor. Ihre Niederlage ist damit praktisch besiegelt. „Das war wirklich sehr beeindruckend! Das muss ich dir eingestehen und ich bin schlichtweg von den Socken, dass du das geschafft hast...“, setzt Sun an, ihr sein Lob auszusprechen. Allerdings hat die Pinkhaarige keinen Nerv mehr dafür. „Ach, halt doch den Mund! Tu, was du tun musst und beende diesen Wahnsinn endlich!“, fordert sie ihn nachdrücklich auf. „Es tut mir leid, wenn dir meine Worte nicht gefallen, doch ich meine es ernst. Aus dir ist eine sehr beeindruckende Trainerin geworden. Und, auch wenn du jetzt verlierst, würde ich mich sehr freuen, wenn du es irgendwann noch einmal versuchen würdest. Dann bin ich mir sicher, dass du mich schlagen kannst“, verkündet er völlig ehrlich.
 

Fran kommentiert das Ganze nur mit einem abfälligen Schnauben. Im Moment glaubt sie an gar nichts mehr und ob sie sich so einen Stress wirklich noch einmal antun will, weiß sie beim besten Willen nicht. In naher Zukunft ganz sicher nicht. Trotzig verschränkt sie die Arme vor der Brust und schenkt Amfira einen entschuldigenden Blick. Die Matriarchin ahnt, dass ihr nichts Gutes bevorsteht, doch sie kann auch deutlich die Resignation in den Augen ihrer Trainerin sehen. Trotz alledem empfindet sie keine Angst vor dem, was sie erwarten wird. Mit entschlossenem Blick wendet sie sich wieder Absol zu und wartet auf seinen Vernichtungsschlag.
 

Dieser lässt auch nicht lange auf sich warten. Er und Sun bündeln bereits ihre Kraft. Als die Z-Kraft wirkt, befiehlt der Schwarzhaarige den entscheidenden Psycho-Schmetterschlag. Erneut leuchten Absols Augen bedrohlich auf und schon im nächsten Moment wird Amfira von einer undurchdringlichen Kraft ergriffen und hoch in die Luft gewirbelt. Völlig unfähig sich selbst zu bewegen, wird sie wie eine Stoffpuppe von Absol durch die Luft geschleudert und prallt dabei immer wieder gegen unsichtbare Barrieren. Das Ganze scheint gar kein Ende nehmen zu wollen. Doch dann zerbrechen die Barrieren eine nach der anderen und Amfira fällt wie ein Sack Lumpen hilflos zu Boden. Nun ist der Kampf endgültig vorbei.
 


 

4
 

Fassungslos starrt Fran ihre geliebte Partnerin an, doch es ändert sich nichts. Amfira kann nicht mehr weiterkämpfen und ihre ganze Mühe findet nun endgültig ein Ende. Die Pinkhaarige kann es einfach nicht begreifen, ihr fehlen die Worte. Sie stand so kurz vor dem langersehnten Sieg und hätte ihn auch bekommen, wenn ihre Z-Attacke nur etwas mehr Wirkung gezeigt hätte. Aber ihre Chance ist verstrichen. Die Gift-Trainerin ist allerdings erstaunt, wie sehr sie diese Tatsache mitnimmt. Als sie noch bei Team Skull war und gegen Sun verloren hat, war sie lediglich wütend, zumeist auf sich selbst. Doch jetzt ist sie richtiggehend enttäuscht, verletzt und schwer getroffen. Es ist ein so anderes Gefühl, dass es einfach nicht in ihren Kopf hinein will und sie minutenlang nur vor sich hinstarren kann.
 

Sun empfindet tiefes Mitgefühl für sie und würde ihr gern etwas Aufmunterndes sagen, immerhin war ihre Niederlage wirklich sehr knapp und der Schwarzhaarige sah sich schon in ernster Bedrängnis, was er nie für möglich gehalten hätte, wenn er an die früheren Zusammentreffen mit ihr denkt. Zaghaft macht er einen Schritt auf sie zu und legt sich schon ein paar Worte zurecht, um sie etwas aufzubauen. In diesem Moment ruft Fran jedoch ihre Echse zurück und blickt ihn mit ernster Miene an. „Dass ich nicht einmal mit meiner treusten Partnerin eine Chance gegen dich hatte, nehme ich mir selbst sehr übel. – Selbst, wenn ich mein Bestes gebe – an dich komme ich einfach nicht ran. Wie schaffst du es nur, dass deine Pokémon dir dermaßen vertrauen?“
 

Allerdings gibt sie ihm nicht die Möglichkeit zu antworten, sondern dreht ihm den Rücken zu. „Weißt du was, das besprechen wir ein andermal, Champ! Ich muss jetzt los!“, verkündet sie stattdessen. Mit hängenden Schultern verlässt sie die Plattform und ist bald außer Sichtweite. Sun kommt sich etwas mies vor, dass er sie nicht aufgehalten und ihr wenigstens etwas Trost gespendet hat. Aber er glaubt auch nicht, dass sie das hätte hören wollen. Dafür ist sie schlichtweg nicht der Typ. Dennoch hofft er, dass sie bald über ihre Niederlage hinwegkommt und ihre Hoffnung in ihr Können nicht verliert, es wäre wirklich schade drum.
 


 

5
 

Während Fran ihre Niederlage zu akzeptieren versucht und den Berg wieder hinabsteigt, sitzt Bromley mit Lady auf einer Klippe, kurz vor der Route fünfzehn. Leer starren seine grauen Augen über die ruhige See hinweg, die sich langsam darauf vorbereitet die untergehende Sonne in sich aufzunehmen. Die Traurigkeit ist wieder da. Diese Traurigkeit, die sich anfühlt, als hätte er sie verdient. Als sei sie die Strafe für einen Verrat, von dem er nicht einmal wusste, dass er ihn überhaupt begangen hat. Oder will sein Unterbewusstsein ihm damit klar machen, dass dieser Verrat an der Gift-Trainerin stattgefunden hat? Weil er sie im Stich gelassen hat, nachdem er aus der Ultradimension zurückgekommen ist? Er ist sich unschlüssig, doch auf so etwas Ähnliches wird es sicher hinauslaufen. Er fühlt sich schlecht und hofft, dass sie ihn finden und ihn anhören wird. Sie muss ihm ja noch nicht einmal verzeihen, doch erklären will er sich wenigstens dürfen.
 

Er gibt ein schweres Seufzen von sich. Seine Augen kleben an dem seicht dahingleitenden Wasser zu seinen Füßen. Eine warme Briese zerzaust ihm das ohnehin struppige Haar. Lady sitzt in seinem Schoß, ihre Fühler zucken leicht und sie sieht mit großen Augen zu ihm auf. Sie kann spüren, dass die Unruhe in ihm vorherrscht, doch im Moment kann sie nichts weiter tun, als einfach nur in seiner Nähe zu sein. Gedankenverloren streicht er über ihren Panzer, nimmt ihr sorgenvolles Fiepen aber nicht wahr.
 

Langsam, fast wie ferngesteuert greift er unter sein T-Shirt und zieht das letzte Überbleibsel seines alten Lebens hervor – seine Skull-Kette. Glitzernd spiegelt sich die Sonne auf der goldenen Oberfläche. Jedes Funkeln ist ein weiterer Stich in sein mitgenommenes Herz. Es tut ihm so weh und auch so leid, dass er seine Truppe auflösen musste, doch es war einfach besser so. Sie alle haben jetzt ein vernünftiges Leben und eine strahlende Zukunft vor sich. Sie werden über ihn hinwegkommen und es zu etwas Großem bringen, da ist er sich ganz sicher. Und vielleicht, aber nur vielleicht wird aus ihm selbst auch eines Tages etwas, auf das er stolz sein kann? Hala scheint diese Hoffnung zumindest sehr zu haben und was hat er schon zu verlieren jetzt, wo er eh alles verloren hat, was ihm etwas bedeutet hat?
 

Wieder gibt Bromley ein schweres Seufzen von sich. Lady fiept ebenfalls und diesmal bemerkt er es auch. Sanft lächelt er sie an und streicht ihr liebevoll über den Rücken. Mit einem Laut, der fast schon ein Schnurren sein könnte, schmiegt sie sich gegen seine Hand und sieht ihn dann fragend an. „Yo, ich denk‘, nu is‘ es soweit...“, verkündet er schwermütig. Vorsichtig setzt er Lady neben sich, steht dann auf und holt aus. „Leb wohl, Team Skull...“bringt er mit nicht ganz fester Stimme hervor und schleudert die Kette dann in hohem Bogen ins Meer. Platschend durchbricht sie die glatte Wasseroberfläche und versinkt dann rasch in den Tiefen.
 

„Hey, das ist Umweltverschmutzung!“, ertönt es plötzlich hinter ihm. Als sich Bromley ruckartig herumdreht, um dem Störenfried mal ordentlich die Meinung zu geigen, kann er nicht glauben, wer dort vor ihm steht.
 


 

6
 

„Was zum...? Franny!?“, entkommt es ihm völlig ungläubig. Er hat es kaum ausgesprochen, da landet ihre flache Hand auch schon klatschend auf seiner Wange. „Du sollst mich nicht so nennen!“, empört sie sich etwas. Sonst hat sie das eigentlich immer durchgehen lassen, wenn sie allein waren oder er betrunken, doch das alles hier nagt zu sehr an ihrer Beherrschung, um da jetzt drüber hinwegzusehen. „Aber Fran, ich...“ Ein weiteres Mal klatscht es gehörig. In jeder anderen Situation und bei jeder anderen Person, wäre Bromley spätestens jetzt ausgerastet. Stattdessen blickt er sie nur mit scheuen Augen an, gleich einem kleinen Kind, das von seiner Mutter ausgeschimpft wird. „Das war dafür, dass du so ein verdammtes Arschloch bist!“, erläutert sie knapp und Bromley weiß nur zu gut, was sie damit meint.
 

In deinen Augen steht so vieles, was mir sagt:

Du fühlst genauso wie ich
 

Es ist nicht wegen dem ungeliebten Spitznamen, oh nein, dem ist er sich völlig bewusst. Es ist einzig und allein die Tatsache, dass er ohne ein einziges Wort einfach abgehauen ist und sie dann sehen konnte, was sie daraus macht. Die Enttäuschung und die verletzte Wut kann er kristallklar in ihren durchdringenden Augen erkennen. Der Käfer-Trainer kann nur hoffen, dass er das alles irgendwie bereinigen kann. Sie kann ihn dann gern für den Rest ihres Lebens hassen, doch sie soll wissen, was er fühlt und was er alles durchmachen musste. Vielleicht versteht Fran dann ja ein bisschen, warum er sich so klammheimlich aus dem Staub gemacht hat? Obwohl es ja theoretisch gar nicht so war. Immerhin hat er sich gebührend von den Rüpeln verabschiedet und sie untergebracht. Er kann doch nichts dafür, dass Fran zu diesem Zeitpunkt nicht da war und Pia sie in all der Hektik wohl auch vergessen hat.
 

Du bist das Mädchen, das zu mir gehört

Ich lebe nur noch für dich
 

Betroffen senkt der Weißhaarige einen Moment den Kopf, um ihrem Blick etwas auszuweichen. Dies scheint sie aber noch wütender zu machen. „Wie konnte ich nur so blöd sein und denken, dass es eine gute Idee wäre, dich zu sehen? Als hätte ich heute nicht schon genug Enttäuschungen verkraften müssen! Mir reicht es, ich gehe! Leb wohl!“ Postwendend dreht sie sich um und tritt den Rückzug an. Ungewohnt sprachlos sieht Bromley ihr nach und kann sich dennoch nicht überwinden etwas zu sagen. Erst als Lady ein lautes Fiepen von sich gibt und sich an seinem Hosenbein festklammert, kommt er wieder zu sich.
 

Du bist alles, was ich habe auf der Welt

Du bist alles, was ich will
 

Er wirft einen schnellen Blick auf das Pokémon, das ihn untypisch trotzig ansieht. Scheint so, als wäre sie von Bromleys Schweigsamkeit nicht gerade angetan. Und da hat sie auch vollkommen recht! „Fran, warte!“, ruft er der Pinkhaarigen hinter. „Du kannst mich mal!“, gibt diese allerdings zurück und blickt sich nicht einmal nach ihm um. Unbeirrt entfernt sie sich weiter von ihm. Der ehemalige Anführer von Team Skull gibt ein unterdrücktes Knurren von sich und versucht sich zu beherrschen, doch es will ihm kaum gelingen. Schließlich ist sie nicht die Einzige, die einen aufreibenden Tag hatte.
 

Du, du allein kannst mich verstehen

Du, du darfst nie mehr von mir gehen
 

„Du bleibst auf der Stelle steh’n und schwingst dein‘ Arsch hier rüber, Weib, oder du kannst was erleben! Ich bin immer noch dein verdammter Boss!“ Wütend bleibt Fran tatsächlich stehen und dreht sich zu ihm herum. Mit geballten Fäusten blickt sie ihn so unglaublich zornig an, als würden jeden Moment Blitze aus ihren Augen sprühen und ihm einen tödlichen Schlag verpassen. „Wie kannst du es nur wagen, so mit mir zu reden? Ich bin keiner von deinen hirnlosen Rüpeln! Und Skull gibt es dank dir ja nicht mehr, also spiel dich hier nicht auf, als hättest du auch nur irgendwann mal irgendwas zu melden gehabt!“
 

Seit wir uns kennen, ist mein Leben bunt und schön

Und es ist schön, nur durch dich
 

Wütend funkeln sich die beiden an, als gäbe es keinen Morgen mehr. Dann glätten sich Bromleys Gesichtszüge ganz plötzlich und er sieht sie wieder mit diesem verletzten Kinderblick an. „Fran, es tut ma‘ wirklich leid, waste meinetwegen alles durchmach’n musstes. Das hab‘ ich ganz sicher nich‘ gewollt. – Ich wollt‘ die Welt vor diesem geisteskranken Scheiß retten und hab‘ mich dabei selbst verloren. Gleichzeitig aber auch wiedergefunden. – Das allein hat mich dazu bewogen das Team aufzulösen. Weil ich erkannt hab‘, was ich euch die ganze Zeit über eigentlich zugemutet hab‘. Ich wollt‘, dass ihr es besser habt und glücklich werden könnt. – Das ging irgendwie in ‘ne Hose und jetz‘ steh’n wa‘ hier. Aber es tut ma‘ trotzdem leid. Ich...“, er stockt und versucht etwas Positives an ihrer Abwehrhaltung zu entdecken, doch es will ihm nicht gelingen.
 

Was auch geschehen mag, ich bleibe bei dir

Ich lasse dich niemals im Stich
 

Langsam, ganz langsam löst sich die Blockade, die Fran aufgebaut hat aber und sie lässt kraftlos die Arme sinken. Die Wut verschwindet aus ihrem Gesicht und macht Resignation und Trauer Platz. Schließlich gleitet ein Zittern über ihren Körper hinweg, bei dessen Anblick Bromley am liebsten zu ihr laufen und sie fest in seine Arme schließen würde. Doch er widersteht diesem heftigen Drang in sich und sieht sie einfach nur an. „Du – hast mir das Herz gebrochen, du Volltrottel...“, kommt es dann leise von ihr, doch die Worte bohren sich praktisch wie ein Eispickel in die Seele des Käfer-Trainers.
 

Du bist alles, was ich habe auf der Welt

Du bist alles, was ich will
 

Er zuckt zusammen, als hätte sie ihn wieder geohrfeigt. „Du hast – mich einfach verlassen ohne, dass ich dir sagen konnte...“, weiter spricht sie nicht, ihre Stimme bricht. Eine einzelne Träne rinnt ihre glühenden Wangen hinab und in diesem Moment fällt bei dem Weißhaarigen der Groschen. Überrascht weiten sich seine Augen. Er ringt nach Worten, um das Ganze wiedergutzumachen und scheint sie doch nicht zu finden. Nur ein einziger, überaus dominanter Satz flammt in seinem mitgenommenen Schädel auf. Ein Satz, den er sich ihr gegenüber nur betrunken und unbewusst getraut hat zu sagen. Doch, wenn jetzt nicht die richtige Zeit dafür ist, dann ist sie es niemals.
 

Du, du allein kannst mich verstehen

Du, du darfst nie mehr von mir gehen
 

„Ich lieb‘ dich, Fran!“, platzt es dann aus ihm heraus und er sieht sie dabei so eindringlich und ernsthaft an, dass sie keine Sekunde an der Wahrheit dieser Worte zweifeln kann. „Was – was sagst du da?“, fragt sie stockend. „Ich lieb‘ dich! – Ich hab‘ das alles nur aus Liebe gemacht, weil ich nich‘ wollt‘, dass die ‘was passiert, wenn du auf den Trichter komm‘ solltest mich in ‘ne Ultradimension begleiten zu woll’n. – Ich lieb‘ dich so sehr, wie ich es vorher nur für ein‘ andren empfunden hab‘ und ich will dich nich‘ auch noch wegen so ‘nem Scheiß verlier’n. – Das könnt‘ ich einfach nich‘ ertragen...“
 

Du, ich will dir etwas sagen,

Was ich noch zu keinem anderen Mädchen,

Zu keinem anderen Mädchen gesagt habe:

Ich habe dich lieb!
 

Eine ganze Weile mustert Fran ihn schweigend, versucht zu begreifen, was er ihr gerade alles gesagt hat und doch ist es kaum zu glauben. Aber sie will ihm glauben, will es so sehr. Hat sich nie etwas anderes gewünscht. Und warum sollte er auch lügen? Nach alldem hier hätte er nun wirklich keinen Grund dafür. Wenn sie es sich recht überlegt, hat sie auch noch nie erlebt, dass er überhaupt mal gelogen hat, da wird er doch nicht ausgerechnet jetzt damit anfangen? Ein kleines Lächeln schleicht sich auf ihre Lippen und sie sieht ihm wieder ins Gesicht.
 

Ja, ich habe dich lieb

Und ich will dich immer liebhaben

Immer, immer
 

„Ich liebe dich auch!“, erwidert sie schließlich und blickt ihn hoffnungsvoll an. „Echt jetz‘?“, fragt Bromley etwas zögerlich. Fran hat ihm gegenüber nie sonderlich viel Gefühl gezeigt, war immer eher verschlossen und hat versucht stark und unnahbar zu sein. Doch wie es in ihr aussieht kann er natürlich nicht sagen. Aber er empfand sie stets auch als eine sehr nachdenkliche und verletzliche Person – alles nur Fassade und das kennt er nur zu gut von sich selbst.
 

Nur dich,

Wo ich auch bin
 

Für diese Erkenntnis braucht der Weißhaarige nicht lange, sodass die Hoffnung noch immer in Frans Blick liegt. „Ja, echt jetzt.“, erwidert sie aufrichtig. Zielstrebig überbrückt der Käfer-Trainer dann den kurzen Abstand zu ihr und schließt sie fest in seine Arme, überwältigt von all den Emotionen, die in seinem Kopf nun Amok zu laufen beginnen. Im ersten Moment ist die Gift-Trainerin davon so überrascht, dass sie sich ungewollt verkrampft, was Bromley kurzzeitig das Gefühl gibt, doch einen Fehler gemacht zu haben. Zum Glück entspannt sich Fran jedoch schnell wieder, lehnt sich dann mit einem Seufzen gegen ihn und erwidert seine Umarmung.
 

Was ich auch tue

Ich habe ein Ziel
 

Eine Weile bleiben die beiden so stehen und blenden die ganze Welt um sich herum aus. Dann überrascht sie der ehemalige Skull-Boss abermals. „Komm mit mir!“, flüstert er ihr nachdrücklich ins Ohr. Irritiert sieht sie ihn an. „Wohin denn?“ „Überall hin! – Ich mein‘, Hala will ‘n guten Trainer aus mir mach’n und deshalb schleifter mich auf so ‘ne Reise durch Alola. – Kein‘ Dunst, wie lang‘ das geh’n soll und ich will dich nich‘ schon wieder allein lassen. – Daher hätt‘ ich’s gern, wenn du mich begleitest...“ In seinen grauen Augen liegt deutlich seine Bitte.
 

Und dieses Ziel bist du

Bist du
 

Fran hat schon gehört, dass Bromley von dem alten Inselkönig zu so etwas verdonnert wurde, doch sie war sich nicht sicher, ob die zwei schon losgezogen sind oder nicht. Dementsprechend war sie doch erstaunt, als die Prüfungshelferin am Mount Lanakila ihr vorhin erzählt hat, dass ein junger Mann mit weiß gebleichten Haaren auf sie wartet. Zuerst war sie der festen Überzeugung, dass das unmöglich Bromley sein kann. Andererseits kennt sie auch keinen anderen Typen mit weißen Haaren.
 

Ich kann nicht sagen, was du für mich bist
 

Einen Moment liegt sie noch unschlüssig in seinen Armen und denkt über sein Angebot nach. An sich wäre es gar keine so schlechte Idee die beiden zu begleiten. Ist wirklich fraglich wie lange da Ganze dauern könnte und ob sie ihn dann noch wiedersieht. Etwas Training kann ihr auch nicht schaden und vielleicht hat sie dann die Möglichkeit noch einmal gegen Sun anzutreten und ihn dann auch endlich zu besiegen. Das wäre wirklich fantastisch!
 

Sag, dass ich dich, dich nie verliere
 

„Das klingt nach einer tollen Idee. Und ich kann aufpassen, dass ihr zwei euch nicht an die Gurgel springt, wenn es zu bescheiden wird. – Aber versprich mir eines: Wenn wir wieder da sind, dann treten wir Sun so richtig in den Hintern! Ich will eine Revanche haben. Nochmal lasse ich mich keinesfalls von so einem Zwerg vorführen!“
 

Ohne dich leben, das kann ich nicht mehr
 

Verblüfft sieht der Käfer-Trainer sie an und grinst dann über das ganze Gesicht. „Darauf kannste aber ein‘ lassen! Wa‘ mach’n den Bengel so platt, daser gar nich‘ mehr gradeaus gucken kann!“ „Na, wenn das kein klasse Ansporn ist, sich so richtig ins Training zu stürzen, dann weiß ich auch nicht!“, gluckst die Pinkhaarige. „Da sagste was! – Gib mir die Hand drauf!“, fordert er sie auf. Fran ist dazu nur allzu bereit. Allerdings bekommt sie seine Hand nicht.
 

Nichts kann mich trennen von dir
 

Stattdessen ergreift er sanft ihr Kinn, drückt es ein Stück nach oben, zieht sie etwas dichter zu sich heran und legt dann seine Lippen auf die ihrigen. Heftig zuckt die junge Frau zusammen und ist schon drauf und dran ihn von sich zu stoßen, ihm sogar noch eine Ohrfeige zu verpassen. Doch dann durchströmen sie plötzlich so viele Gefühle, dass sie kaum noch klar denken kann. Es ist wie ein Stromschlag, der sie hilflos an einem Kabel hängen lässt – sie kommt einfach nicht mehr von ihm los.
 

Du bist alles, was ich habe auf der Welt

Du bist alles, was ich will
 

Schließlich legt sich ein Schalter in ihrem Kopf um, den sie schon so lange betätigen wollte, dass sie befürchtet hat, er würde nicht mehr reagieren, wenn es soweit ist. Stattdessen schnappt er mit solcher Heftigkeit in die richtige Position, dass ihr gesamtes Denken hell erleuchtet wird und nichts mehr darin zu existieren scheint, als dieser Mann hier vor ihr.
 

Du, du allein kannst mich verstehen

Du, du darfst nie mehr von mir gehen
 

Erneut rinnt ihr eine Träne die erhitzten Wangen hinab, doch diesmal ist es pure Freude. Haltlos beginnt sie seinen Kuss zu erwidern, klammert sich wie eine Ertrinkende an ihm fest und wünscht sich, dass dieser Augenblick niemals enden wird!
 

Du, du allein kannst mich verstehen

Du, du darfst nie mehr von mir gehen!


Nachwort zu diesem Kapitel:
Lied: Blutengel – Am Ziel Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
ich kann bromley durchaus verstehen, die Wanderschaft ohne z-kraft durchstehen zu wollen. ich fand diese Neuerung an dem spiel auch ziemlich dämlich, genau wie die mega-Entwicklungen. daher hatte ich mich zu beginn des spiel auch dafür entschieden, es ganz ohne z-kraft durchzuziehen und so schwer war es nun auch nicht, obwohl meine Pokémon jetzt nicht sonderlich viel trainiert waren oder dergleichen. zudem hab ich in ultramond das ganze spiel mit einem reinen käfer-Team ebenfalls ohne z-kraft durchgezogen, um zu sehen, ob bromley das auch schaffen könnte, weshalb ich auch mein/sein lieblings-Pokémon reißlaus dabei hatte und das ging auch ganz prima, obwohl es mit diesem fluchtreflex doch ziemlich hart an einigen stellen war, besonders wenn man ein wildes Pokémon fangen wollte... Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Lied: Michael Jackson Thriller - Übersetzung Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Lied: Celine Dion – A new day has come - Übersetzung Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Lied: Dolly Parton – Jolene – Übersetzung

allerdings habe ich den Text ein wenig an Burnett angepasst, sodass es mehr nach ihr klingt Komplett anzeigen
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Lied: Yvonne Catterfeld – Eine Welt ohne dich Komplett anzeigen
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Lied: Michael Jackson – The way you make my feel - Übersetzung Komplett anzeigen
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Lied: Bruno Mars – Grenade – Übersetzung Komplett anzeigen
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Lied: Peter Maffay – Wer liebt -leicht verändert Komplett anzeigen
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Lied: Soft Cell – Tainted love - Übersetzung Komplett anzeigen
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Lied: The Smiths – Please, please, please - Übersetzung

Lied: Cat Stevens - father and son (leicht verändert) - Übersetzung Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Lied: Peter Maffay – Du

so leute, das war's! ich hoffe, es hat euch so viel spaß gemacht, dass ganze zu lesen, wie mir das schreiben ^^
die nächste ff steht schon in den startlöchern und ich würde mich über eine rege leserschaft sehr freuen.
diesmal geht es wieder ins batman-universum. also bis dann ^^ Komplett anzeigen

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