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Ich bleibe nicht zum Frühstück

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen,

:) ja, da ist schon wieder was Neues.
An alle Leser von "Virus": Keine Bange. Die Story hat weiterhin Priorität.
Mir ist nur diese Idee in den Kopf gesprungen, weil ich selbst einen kleinen Durchhänger hatte, durch den langsam kommenden Frühling aber gottseidank wieder verpufft.

Ich hoffe euch hiermit amüsieren zu können und wünsche viel Spaß beim Lesen.

Es ist ungebetat (wie gewohnt von mir)

Eure fraggy Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
ungebetat :) Komplett anzeigen

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Prolog

Durchhängen. Fix und fertig sein. Depressionen haben. nicht mehr weiter wissen. Alle sein. Geistige, seelische und physische Erschöpfung.

Irgendwann erwischte eine solche Phase jeden. Selbst mich. Dann hatte ich nicht nur schlechte Haut und ungekämmtes Haar, nein – ich schaffte es sogar mit gesenktem Blick in den kleinen Supermarkt auf der anderen Straßenseite zu schlurfen. Und mein Anblick am Morgen, der gegen 14:00 Uhr stattfand, war wahrlich kein Vergnügen. Jedenfalls für meine Mitmenschen. Mehr als eine Jogginghose, ein ausgeleiertes und viel zu großes Shirt war einfach nicht drin. Sie konnten sich eigentlich glücklich schätzen, wenn ich zwei zusammenpassende Socken trug. Ein Hoch darauf, dass ich in einer großen Stadt wohnte. Ich war ein winziges Etwas, in einer viel zu großen Welt. Aber sowas kam nun mal vor, wenn man sein behütetes Dorfleben zurückließ, um erfolgreiche Medizinstudentin zu werden. Dumm nur, dass ich überhaupt nicht an der Universität aufgenommen wurde. Meine Anmeldung ging irgendwann verloren und ich musste mich nun mit Kellnerjobs über Wasser halten. Leider war ich nicht zur Kellnerin geboren. Ich stolperte ständig, zerbrach Tassen und Gläser oder im besten Falle warf ich dem Gast seine Nudeln über den Schoß. Und dank meiner temperamentvollen Ader, die ich eindeutig von meiner Mutter erbte, blieb nach einem emotionalen Wutausbruch des Kunden meiner selbstverständlich nicht aus. Das war wie Therapie. Aggressionsbewältigung. Statt auf einen Boxsack einzuschlagen, schrie ich die zahlende Kundschaft an. Selbstverständlich war mir im Nachhinein immer klar, dass das, was ich tat, definitiv nicht gerechtfertigt war. Aber wenn es einem Menschen schlecht ging, dann ging es einem schlecht. Und ich hatte keinerlei Probleme dazu zustehen. Nachdem ich also meinen vierten Kellnerjob und drei im Supermarkt an den Nagel hängen dufte (die Schuld wies ich den Genen zu), war ich seit zwei Monaten arbeitslos. Meine Ersparnisse sanken gegen Null, meine Eltern waren noch immer der Meinung ich würde gerade fleißig die Medizinbücher wälzen und mein Freund verließ mich vor drei Wochen für eine andere. Blond, groß und lange Beine. Die Wimpern waren ganz sicher nicht echt. Und ihr Busen ebenfalls nicht. Aber ihm gefiel das.
 

Mit missmutigem Gesicht stapfte ich über die Straße und ich stand noch nicht ganz auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig, als ich fast von einem Radfahrer platt gewälzt wurde. Ich stieß ein hysterisches „Himmel“ hervor und ruderte wild mit meinen Armen um mein Gleichgewicht zu halten. Vom Auto überrollt zu werden war sicher nicht mein gewünschtes Ableben. Ich wollte zu gewisser Zeit einfach einschlafen und niemals wieder aufwachen. Ohne Schmerzen oder Qualen. Das Szenario, das sich in meinen Kopf schlich als ich um mein Leben kämpfte, hatte nichts mit ruhig in den Tod gleiten zutun. Ich sah vor meinem inneren Auge bereits das viele Blut auf dem Asphalt, panische Schreie der Zeugen und irgendwo schrillte die Fahrradklingel des Idioten, der sicher die Fahrerflucht vorzog, als sich mit einem Mord auseinanderzusetzen.
 

„Mach die Augen auf, du blinde Nuss!“, schrie ich erbost hinterher. Doch dieser einfältige Kerl parkte in aller Seelenruhe seinen bescheuerten Drahtesel am Radständer. Für einen kurzen Moment wuchs der Wunsch das dumme Ding zu klauen oder umzuschmeißen. Oder ich riss den Sattel raus und warf ihn auf die Straße. Ich würde den ganzen Tag hier stehen, bis ein LKW sich tatsächlich in diese Seitenstraße verfuhr und dieses Teil überrollte. Lieber den Sattel als mich.

Vielleicht hätte er mich gesehen, wenn ich mir das hautenge Dress angezogen hätte, das ich zum Abschlussball trug. Die Haare gekämmt und hochgesteckt und Rouge auf den Wangen. Möglicherweise wäre dann er der Schwerkraft zum Opfer gefallen, wenn ich den sündig-roten Lippenstift auf meine Lippen aufgetragen hätte. Ich grummelte über meinen eigenen Gedanken und zupfte an meinem Shirt. War da ein Loch im Stoff?
 

In das Kleid wäre ich sicher nicht mehr rein gekommen und falls doch hätte ich wohl eher einer Presswurst geglichen, als einer sexy und verruchten Frau. Außerdem müsste mein Haar mindestens fünfzehn Minuten den Conditioner begrüßen, ehe ich die ganzen Zotteln tatsächlich mit der Bürste durchbekam. Ich lachte beim Gedanken mir selbst Make Up aufzutragen. Womöglich wäre eher ein Panda als Endprodukt heraus gekommen, statt einer Femme Fatale. Meine Aufmerksamkeit legte sich auf den Idioten und sein bescheuertes schwarzes Haar, das in der fahlen Sonne tatsächlich glänzte. Es war kein schmieriges Schimmern. Vielmehr durch Pflege und der ein oder anderen Bekanntschaft einer Bürste. Ich hörte jede meiner Haarspitze voller Neid aufschreien und schnalzte mit der Zunge. Ich erhaschte einen kurzen Blick auf sein Gesicht als er voller Ignoranz an mir vorbei ging und in den Supermarkt schritt. Er hatte ein jungenhaftes Gesicht, über die sich glatte, makellose Haut spannte. Sicher hätte dieser Schnösel viel Geld als Model für Pflegecreme-Werbung machen können. Ich folgte ihm naserümpfend und versuchte mir einzureden, dass der Duft von Zitronengras, der von ihm ausging, abscheulich roch. Er hatte ein breites Kreuz und eine schmale Taille, sodass selbst die schwarze Trainingshose und das Muskelshirt wie ein maßgeschneiderter Herrenanzug an ihm saßen. Ich erwischte mich kurz dabei, wie ich ihn mir mit Krawatte und dunkelblauem Hemd vorstellte. Wäre das Attentat nicht gewesen, hätte er durchaus in der Riege der potentiellen Kleiderschrankmänner aufsteigen können. Selbst mit seinen Sportklamotten. Ob ihm bewusst war, dass er mit der Geschmeidigkeit einer Raubkatze durch den Laden ging? Hah. Ich lachte über mich selbst und beschloss mich von ihm abzuwenden. Der Wunsch ihn lauthals vor allen anzubrüllen verpuffte immer mehr. Ich war das hässliche Entlein, dem beim Anblick des Schwans womöglich die Spucke weg blieb.
 

Meine Laune stieg, als ich den Erdnussbutterschokoriegel von weitem bereits im Regal liegen sah. Ganz unten, aber für mein Frühstück tat ich alles.

„Hallo, mein Hübscher“, begrüßte ich den Riegel. Ich kniete mich hin, griff nach der Packung und stand mit einem Ruck wieder auf. Dass ich dabei mit einer menschlichen Wand hinter mir kollidierte, war sicher nicht geplant. Warmer Atem pustete in meinem Nacken und sorgte dafür, dass sich die feinen Härchen aufstellten. Zitronengras umhüllte mich und ich stoß ein wenig damenhaftes „Umpf“ aus.
 

„Können Sie nicht aufpassen?“
 

Ich drehte mich um. Es passierte nicht oft, aber mein Gesicht glich in diesem Moment einer reifen Tomate. Mit einer lässigen Bewegung zog sich der Typ einen Stöpsel seines IPods heraus. Ich verschluckte mich an meiner eigenen Spucke. Attentäterchen sollte möglicherweise doch in den Schrank.

Sein Ausdruck wurde ungeduldig, als wartete er tatsächlich auf eine Entschuldigung.

Ich öffnete den Mund, hielt für eine Sekunde inne und hätte mich für meinen Satz am liebsten selbst geohrfeigt.

„Ich bin knallrot.“ Ja, meine kommunikativen Fähigkeiten schienen unter meinem Durchhänger offensichtlich zu leiden.

Er runzelte die Stirn, ehe er den Kopf schüttelte und tatsächlich an mir vorbei schritt. Den abschätzenden Millisekundenblick, den er über meine Person gleiten ließ, blieb mir ganz und gar nicht verborgen.

Ich brauchte nur kurz, um mich wieder zu fangen und stapfte ihm wutentbrannt hinterher.

„Hey, Sie da“, keifte ich. „Sie hätten mich fast umgebracht!“

Er warf einen Blick über seine Schultern und schmunzelte. „Ich bin untröstlich.“

Die Furie in mir erwachte zu neuem Leben. Die hatte ich das letzte Mal bei meinem Exfreund erlebt, als er mir eröffnete, dass er mit Barbie zusammenzog. In unserer Wohnung. Die ich eingerichtet hatte.

„Sie… Sie… Ar–“

Er stoppte und starrte mich an. Dieser Blick war minimal einschüchternd.
 

Vielleicht sogar extrem einschüchternd. Vielleicht aber doch nicht. Irgendetwas an ihm ließ mich mutig werden. Ich hatte einen Durchhänger. Ich durfte mich bemitleiden, andere Menschen durften mich angewidert anschauen. Sie durften mich übersehen und ignorieren.
 

Das wollte ich aber nicht mehr. Ich wollte gesehen werden.
 

„Helfen Sie mir.“

Seine Augenbraue wanderte in die Höhe, während ich die Arme in die Hüfte stemmte.
 

"Wie bitte?" Hatte ich erwähnt, wie melodisch seine Stimme klang?

Sein Blick war vielsagend. Jedenfalls sagten seine Augen eindeutig, was er von meiner Bitte mir zu helfen hielt. Pure Ignoranz. Vielleicht einen Hauch an Interesse. Ach, Hauch… wohl eher eine Prise. Eine winzige, kaum vorhandene. Eventuell ein kleines Sandkorn an einem Strand irgendwo in Indonesien. Oder sonst wo. Ich reckte selbstbewusst mein Kinn, begann aber zeitgleich am Saum meines Shirts zu spielen. Verdammte Nervosität. Warum schüchterte mich der Kerl überhaupt so ein? Er trug ein Sportdress. Ich hingegen war voll und ganz alltagstauglich gekleidet. Dass meine innere Lady bei dem Gedanken laut auflachte, muss nicht extra erwähnt werden.
 

„Ach, kommen Sie schon. Sie könnten lockerer gegenüber Fremden sein“, motzte ich und verschränkte die Arme vor der Brust. Dabei krallte ich mich in meinen Schokoriegel und bat inständig, ihn nicht zu sehr zu zerquetschen. Wer wusste schon, welchen Eindruck ich dann bei der freundlichen Kassiererin hinterließ. Nicht, dass er unbedingt positiv war.

Ich musterte sein markantes Kinn und schluckte meine nächsten Worte hinunter. Was auch immer sie waren, sie wären nur als sinnlose Aneinanderreihung wahllos einfallender Worte gewesen. Das war es nicht wert, dass Attentäterchen mich noch für bekloppt einstufte. Falls er das nicht schon längst tat.

„Sie müssen Ihren Mitmenschen helfen“, fuhr ich fort und war erstaunt über den Ernst meiner Stimme. Fasziniert starrte ich auf seinen zuckenden Kiefermuskel. Oho, ich schien ihn und seine Geduld zu strapazieren. Eine seiner fein geschwungenen Augenbrauen schoss kaum merklich in die Höhe, ein leichtes Schütteln seiner perfekten Shampoo-Werbung-Haare und er drehte mir tatsächlich die Schulter zu.

„Hey!“, rief ich empört. „Sie können mich doch nicht einfach ignorieren!“
 

Ganz die Gene der Haruno-Frauen stampfte ich so damenhaft wie möglich mit dem rechten Fuß auf diesen hässlichen Linoleumboden in ockergelb. Kurz dachte ich daran, ihm tatsächlich laut polternd zu folgen. Ich überlegte sogar ihm einen Grapschversuch unterzujubeln. Allerdings war ich mir bei meiner derzeitigen Aufmachung bewusst, dass es im schlimmsten Fall andersherum wirken konnte. Außerdem wäre ich bei meinem Glück womöglich eher gestolpert und der Länge nach hingefallen. Auch nicht der beste Auftritt.

Ich ließ die Schultern hängen und schlenderte Richtung Kasse. Dieser Tag war einer von vielen. Von vielen bescheuerten und viel zu langen Tage. Bestückt mit noch unnötigeren Minuten, die sich in ellenlange Stunden zogen und am Ende war es wie immer. Keine Neuerung. Kein Bergauf nach dem Bergab. Als ich um die Kurve bog, war Mr. Werbung weg und ich blieb mit meinem Riegel an der Kasse stehen.
 

Auf meinem Rückweg zur Wohnung stolperte ich zweimal und spürte ein unangenehmes Ziehen in der Wade. Ein kleines Kind spielte mit seinem Fußball und benutzte meinen Kopf als Tor und zu allem Überfluss gluckerte Magensäure in meinem Bauch. Ich wollte nur noch in mein Bett. Oder auf die Couch. Ganz gleich was es war, es machte kein Unterschied. Hauptsache vier sichere Wände um mich herum. Zu allem Überfluss schien es mir allerdings nicht vergönnt zu sein, denn auf dem Weg nach oben traf ich auf meine Mitbewohnerin. Die mich ohne zu zögern oder wirklich eine Einladung auszusprechen, in ihre Wohnung zog. Es roch ein bisschen nach Kokosnuss. Wahrscheinlich war das der Grund, warum ihre Haare so seidig weich und glänzend aussahen. Ohne es wirklich zu wollen oder zu steuern, begann mein Mund schon über meine Begegnung mit dem Supermarktidioten zu plappern. Ich glaube, dass es an der Tasse Tee lag, die sie mir mit strahlendweißem Lächeln übergab. Und ein wenig Gesellschaft hin und wieder war ja auch nicht ganz verkehrt.
 

„Was genau wolltest du denn von ihm?“ Ino Yamanaka zog die Stirn kraus und zupfte an ihrer Zimtschnecke. Wahrscheinlich zählte sie die Kalorien jedes einzelnen Brösels. Jedenfalls sah sie so aus als würde sie zählen. Ich ließ meinen Blick durch die Wohnung gleiten und spürte ganz leicht den Neid aufflammen. Sie wohnte mir direkt gegenüber und mal ehrlich – der Grundriss ihrer Wohnung sollte angeblich derselbe sein wie meiner. Aber das waren mindestens zehn Quadratmeter mehr. Und ihre Einrichtung schrie nach Luxus. Ich schnalzte mit der Zunge und rührte in der Teetasse herum. Ich hatte außer einem kurzen Kennenlern-Plausch im Hausflur kein Wort mit ihr gewechselt. Was wohl daran lag, dass sie meistens nicht zuhause war. So wie ich mitbekam, führte sie eine On-Off-Beziehung mit irgendeinem Brünetten. Jedenfalls stritten sie häufiger und sie schmiss ihn raus. Und vorm Zuknallen der Türe machte er Schluss mit ihr. Dass sie sich das überhaupt gefallen ließ, wunderte mich. Diese Blondine hatte Feuer und scheute sich nicht, es regelmäßig zu schüren. Nicht, dass es erlosch. Wie bei mir. Bei mir war bei genauem Betrachten noch ein Flämmchen übrig. So wie beim Anzünden eines Streichholzes.

Sie schob die Zimtschnecke von sich und musterte mich. Hatte ich schon erwähnt, wie sehr ich den Umstand der Fleischbeschau hasste? Ich fühlte mich wie in einem Museum.
 

„Also, ein Hottie der Oberklasse fährt dich fast um und du bittest ihn um Hilfe?“

Ich nickte zögernd. „Keine Ahnung, was ich von ihm eigentlich wollte“, gestand ich. „Das war eine Kurzschlussreaktion. Ein Hauch von Was-wäre-wenn-der-Typ-mir-aus-dem-Schneckenhaus-hilft-Moment.“

Inos blauen Augen ließen mich ans Meer denken. Ich stellte sie mir bei einem Familienporträt vor. Sie in einem hellen Sommerkleid, in der Mitte zwischen ihren Eltern. Sicher war sie Einzelkind. Ihr Vater, mit strenger Brille und schmalem Lächeln. Daneben ihre Mutter. Langes und goldglänzendes Haar und rot geschminkte Lippen. Ino Yamanaka besuchte sicher die Eliteuniversität und später würde sie einen erfolgreichen Geschäftsmann heiraten. Ha. Jemand wie ich spielte nicht in ihrer Liga. Und in ihrem Blick lag ganz unverschämt der Spott.

Plötzlich schlug sie mit der flachen Hand auf den dunklen Tisch und begann lauthals zu lachen. Dabei überschlug sich ihre Stimme. Das perfekte Tochterbild platzte umgehend, als ein leises Grunzen aus ihrer Kehle schlüpfte und sie über ihren eigenen Laut erschrak. Dann lachte sie glockenhell. Warum auch immer – ich stimmte mit ein und es fühlte sich wie loslassen von einem Stück Pessimismus an.
 

„Ich beobachte dich manchmal“, gestand sie nach Abschwellen des Lachanfalls. „Wenn du aus deiner Wohnung kriechst und über die Straße schlenderst. Hin und wieder gehst du sogar einfach drüber, ohne zu schauen ob ein Auto kommt.“

„Hier fahren doch nie Autos“, erwiderte ich und befeuchtete mir die Lippen.

„Du bist ziemlich am Tiefpunkt oder?“ Sie wickelte eine ihrer langen blonden Strähnen um den Zeigefinger und obwohl ihre Schminke ein wenig verlaufen war, sah sie wunderschön aus.

„Du wirkst gerade auch nicht wie der glücklichste Mensch auf Erden.“ Meine Stimme klang zischender als eigentlich gewollt. Aber das war die natürliche Abwehrhaltung.

Sie nickte. „Mein Freund hat Schluss gemacht.“

Ich zuckte mit den Schultern und verkniff mir einen Kommentar. Es war seit meinem Einzug nicht unbedingt das erste oder erst fünfte Mal, dass er sie verließ.

„Weißt du was hilft, wenn man am Tiefpunkt ist?“ Ihre Stimme klang so weich wie Butter. Oder Ahornsirup. Meine Mutter liebte es sonntags etwas davon auf Pancakes zu gießen. Seit ihrem USA Trip gab es für sie kein besseres Frühstück. Ich schüttelte meinen Kopf und betrachtete ihre weichen Züge, die dunklen Schatten unter ihren Augen und das traurige Glimmen in ihren Augen. Scheinbar zog sie das doch mehr runter, als ich dachte. Eine oberflächige Wahrnehmung meinerseits, die mir ein schlechtes Gewissen einbrachte. In den vierzig Minuten in denen ich bereits bei ihr in dieser hübschen Wohnung verbrachte, hatte sich mein erster Eindruck langsam revidiert. Sie war keine Tussi, die sich alle zwei Minuten das Näschen frisch puderte. Sie trank ihren Kaffee mit vier Stück Zucker (igitt) und statt einer Obstschale standen Schokobonbons in einer hübschen Holzschale. Ihre Sofakissen waren bunt durchmixt. Auf der Spüle standen noch Geschirr und Töpfe vom Vortag. Ino trug eine legere Jogginghose in türkisblau und dazu trug sie gelbe Socken.
 

Auf Inos Gesicht erschien ein kleines Lächeln. „Wenn du Gefühle zulässt und sie lebst, wie sie sind, dann lösen sie sich irgendwann auf. Mag sein das sie von neuen abgelöst werden. Aber das ist okay. Solange du sie nicht verdrängst oder unterdrückst. Akzeptiere und lehne nicht ab. Dann steigen sie auch nicht immer und immer wieder in dein Bewusstsein. Gefühle möchten erlebt und gefühlt sein. Irgendwann lassen dich die schlechten dann frei.“

„Das war ziemlich tiefgründig“, gab ich als Antwort.

„Wir können es auch pragmatisch halten“, sie grinste. „Du entscheidest einfach, dass du keine Lust mehr hast, monatelang miese Laune zu haben.“

„Damit kürzt man den Prozess aber gewaltig ab.“

Sie lachte und winkte meinen Kommentar mit einer lässigen Bewegung ab. „Manchmal sind die Phasen des Lebens scheiße. Aber die gehen auch irgendwann wieder weg.“

„Was du nicht sagst“, erwiderte ich geknickt. Ich rührte mit dem Löffel erneut in meinem bereits kalt gewordenen Tee herum.

Ino schwieg und ließ ihren Blick schweifen, als sie erneut mit der flachen Hand die Tischplatte zum Vibrieren brachte. „Wir machen jetzt einmal pro Woche ein Heul-in.“ Ihre Augen blitzten amüsiert. „Wir lassen die Rollläden runter und machen die Handys aus. Essen Schokolade und lassen die Tränen fließen.“

Ich konnte nicht anders, als aufzulachen. „Ich bring die Taschentücher mit.“

Sie nickte eifrig. „Das ist ein absolutes Muss. Und wenn wir schon dabei sind, werden wir dich aus deinem Loch ziehen!“
 

Ich lachte. „Ach, traust du dir das wirklich zu?“

„Du brauchst einen Job. Dann ziehen wir dir was Hübsches an und ehe du dich versiehst, ist alles anders.“

„Für Kellnerjobs bin ich kaum qualifiziert. Ich schwöre, ich zerbreche mehr Keramik als je an einem Polterabend zerdonnert werden kann.“

„Ich rede nicht von Kellnerjobs. Oder welche im Supermarkt. Das dir das nicht liegt ist in diesem Haus schon kein Geheimnis mehr. Du solltest an deiner Mimik arbeiten. Man kann so gut wie alles darauf lesen.“

Ich schmunzelte. „Und was schlägst du vor?“
 

Inos Augen leuchteten. „Eine Freundin von mir ist jetzt ganz frisch mit jemandem zusammen. Der hat seine eigene Kanzlei. Gut, mit einem Partner.“

Ich wurde hellhörig. „Ich bin als Anwalt nicht wirklich geeignet.“

„Sei nicht blöd, Sakura.“ Sie rollte mit den Augen. „Sie stellen eine Empfangsdame ein.“
 

Ohne es wirklich zu wollen, rümpfte ich die Nase.
 

„Sei nicht so. Die beiden haben mega reiche Klienten. Vielleicht fällt einer für dich ab.“ Sie zwinkerte und kicherte dabei so zuckersüß, dass ich ein leises Okay über meine Lippen brachte.
 

Nun gut, wenn der Attentäter mir schon nicht helfen wollte (bei was auch immer)… musste ich notgedrungen auf andere Menschen ausweichen. Und immerhin hatte ihm die blonde Schönheit von nebenan etwas voraus – eine Tasse Tee und eine Verabredung zum Heul-In.

Riesig.

Das war das erste Wort, das mir einzufallen schien. Mein Mund stand offen, während meine geweiteten Augen den mindestens fünfzehn Stockwerken hinauf folgten. Und ganz oben sollte ich mein Vorstellungsgespräch hinter mich bringen. Ich schluckte den dicken Kloß im Hals hinunter, zupfte am Saum meiner weißen Bluse, die bereits einen leichten Graustich vom vielen waschen hatte und wünschte mir ich wäre zuhause geblieben. Nacheinander traten die Anzugträger und Barbie-Puppen aus dem imposanten Gebäude hinaus. Ich war fasziniert und erschrocken zugleich. Was fiel Ino ein mich hierher zu schicken? Definitiv passte ich schon mal rein optisch nicht hier rein. Ganz zu schweigen von den seltsamen Blicken, die mir zwei Blondinen zuwarfen. Der Wunsch nach dem vorgeschlagenen Heul-In wuchs - und ich brauchte ihn sofort.
 

„Reiß dich zusammen, Haruno“, hörte ich mich selbst schnaufen. Allerdings schien ich leider nicht sehr überzeugend zu sein. Ich wippte auf den Fersen, holte ein letztes Mal Luft und trat tatsächlich mit erhobenem Haupt in die Eingangshalle. Genau so musste sich eine Ameise inmitten des Waldes fühlen. Irgendwie verloren, so ganz allein. Ich wünschte mir Ino bei mir zu haben. Sie hätte mir aufmunternd auf die Schulter klopfen oder mich stoßen können. Hauptsache ich käme pünktlich, denn nach einem Blick auf die große Uhr direkt zwischen zwei Aufzügen musste ich leider feststellen, dass ich bereits fünf Minuten zu spät war. Ich rümpfte die Nase und schulterte meine braune Ledertasche. Ich hätte mich mehr aufhübschen sollen. Ino hätte sicher etwas Passenderes im Schrank gehabt, aber ich kannte sie kaum. Wir waren mitten in der Kennenlernphase. Nervös befeuchtete ich meine Lippen und trat zum Empfangstresen, an der mich eine Blondine bereits von oben bis unten musterte. Ihre Mundwinkel zuckten amüsiert. Konnte vollkommen nachvollziehen, dass mein Aufzug sie erheiterte. Ich hatte nichts mit einer Barbie gemeinsam, die hier nach und nach aus dem Aufzug stiegen. Herrje, war hier etwa eine Modelfirma im Gebäude?

„Hi“, brachte ich hervor.

„Sie wünschen?“ Ihre hellblauen Augen blickten mich keine Sekunde lang wirklich interessiert an.

„Ich habe einen Termin.“

Sie tippelte mit einem ihrer manikürten Fingernägel auf die Tischplatte und musterte mein Gesicht.

„Bei Mr. Uzumaki“, fügte ich hinzu.

Sie nickte wissend. „Sie sind zu spät.“ Hatte ich erwähnt wie grell ihre Stimme klang? Ich konnte mir kaum vorstellen, dass es angenehm für Anrufer war, sie am Telefon zu haben.

„Das ist mir bewusst. Könnten Sie mir dennoch sagen, wohin ich muss?“

Miss Empfangslady, die die Höflichkeit mit dem Löffel zum Frühstück verspeist zu haben schien, hob ihren Finger in die Höhe und gab mir somit zu verstehen, ruhig zu sein. Mit der anderen Hand tippte sie etwas auf die Tastatur.

„Mr. Uzumaki befindet sich bereits beim Lunch.“ In ihren Augen lag Schalk und ich verspürte den Drang, ihr einen ihrer aufgeklebten Fingernägel abzureißen.

Ich biss die Zähne zusammen. „Ich bin doch nur fünf Minuten zu spät. Könnten Sie bitte versuchen, ihn zu erreichen?“ Den Job brauchte ich dringend. Meine Finanzreserven sanken gen Nullpunkt. „Bitte“, flehte ich.

„Er wird in einer Stunde wieder zurück sein. Erst dann kann ich Ihnen weitere Auskünfte geben. Sie können Sich setzen und warten. Oder Sie gehen.“
 

Ich brummte, stampfte undamenhaft auf den Boden und begab mich zu den Sitzgelegenheiten. Gut, dann wartete ich eben.

Eine Stunde später stand ich erneut am Tresen.
 

„Sie wünschen?“

Biest. Ich räusperte mich. „Ich warte noch immer auf Mr. Uzumaki.“

„Ihr Name?“, fragte sie scheinheilig interessiert.

Die mussten hier unbedingt eine neue Empfangsdame einstellen. Das war ja furchtbar. Unhöflich!

„Haruno Sakura“, zischte ich. Mein Ärgernis versteckte ich nicht mehr.

„Einen Moment, Miss Haruno.“ Sie wählte eine Nummer und meldete mich an. „Sie können hoch. Fünfzehnter Stock. Man erwartet Sie.“
 

Auf ein Danke verzichtete ich und schritt direkt zum Aufzug. Die adrett gekleideten Menschen, die ihn verließen, hätten einer Werbung entsprungen sein können. Eigentlich war das zwecklos. Ich mit meiner verwaschenen Garderobe hatte null Chancen hier einen Job zu finden. Ich trat ein und holte tief Luft. Dabei stieg mir der Duft von Bergamotte in die Nase. Das war auf seltsame Weise extrem beruhigend und irgendwie vertraut. Direkt vor mir stand eine rothaarige, großgewachsene Frau. Sie warf mir einen kurzen Blick zu, bevor sie sich auf jemanden zu konzentrieren schien, der direkt neben mir stand. Sie war nicht unbedingt hübsch. Sie hatte ihr sprödes, rotes Haar zu einem hohen Zopf gebunden und ihr Stupsnäschen wirkte viel zu kindlich… sowieso hatte sie viel zu viel Make Up aufgetragen.

Okay. Gelogen. Ihr Haar ließ mich an teure Seide denken, ihre helle Haut sah aus wie weißschimmerendes, flüssiges Porzellan und das bescheuerte Make Up betonte ihre Augen perfekt. Sie strahlten sozusagen. Oder lag das einfach nur am verliebten Ausdruck?

„Sasuke?“ Ihre Stimme verschaffte mir eine unangenehme Gänsehaut. Angesprochener schien überhaupt nicht daran zu denken, ihr eine Antwort zu geben. Sasuke schwieg.

„Sasuke, Sie können diesen Termin nicht einfach ignorieren. Er ist ein wichtiger Mandant der Kanzlei“, versuchte sie es erneut. Scheiterte aber kläglich dabei.

Meine Nase nahm erneut den Duft von Zitronen auf und die Neugierde siegte komplett. Mein Kopf drehte sich in seine Richtung.
 

Das. War. Absolut. Nicht. Fair.
 

Ich schluckte.

Den Job konnte ich mir abschminken. Außer er würde bald aussteigen und zwar in einer vollkommen anderen Etage. Wir hielten leider nicht.

„Verdammt!“, entfloh es mir. Im selben Moment öffnete sich die Tür zum fünfzehnten Stockwerk.
 

„Oh, hallo Sasuke!“

Ich blickte nach vorne und entdeckte einen lächelnden Mann, dessen blonde Haare bei jedem Schritt hin und her wippten. „Du hast mir wohl Miss Haruno mitgebracht“, bemerkte er.

Erst jetzt fiel Sasuke aufzufallen, dass ich im Aufzug war. Idiot…

Sein Blick lag nur einen kurzen Moment abschätzend auf mir, ehe er mein Gesicht einer Erinnerung zuordnete, während ich in Grund und Boden versank. Der Job war gelaufen.
 

„Miss Haruno“, begann der Blondschopf. „Mein Name ist Naruto Uzumaki. Schön, dass Sie noch zu uns gefunden haben.“ Auf seinem Gesicht lag weder Spott noch Ärgernis. „Das hier“, er deutete mit dem Kopf auf Sasuke, der mich noch immer unverhohlen betrachtete, „ist Sasuke-“

„Der Attentäter“, schoss es aus mir hervor. Das ich gerade meinen möglichen Chef unterbrochen hatte, ließ mich erschrocken die Hand vor den Mund werfen. Meine Augen huschten abwechselnd zu Mr. Uzumaki, dann zur rothaarigen Schönheit und zum Schluss zum aufgeblasenen Schwan vom Supermarkt. Seine Mundwinkel zuckten amüsiert.
 

„Du hättest mich fast umgefahren!“, motzte ich nun. Nicht, dass es jetzt sowieso noch einen Sinn gemacht hätte. Ich würde sofort den Knopf zum Erdgeschoss drücken und wieder auf dem Boden der Tatsachen ankommen. Das ich überhaupt nur einmal dachte, ich könnte hier rein passen! Innerlich schalt ich mich selbst einen Narren.

Sasuke steckte seine rechte Hand in seine Hosentasche und warf mir einen abschätzenden Blick zu.
 

„Ihr kennt euch schon?“ Naruto Uzumaki wirkte kurz überrascht. „Attentäter?“

Ich streckte mein Kinn in die Höhe und verschränkte die Arme vor der Brust. Immerhin war ich einmal eine selbstbewusste, fröhliche und junge Frau! Und die tobte gerade in mir und schien neue Lebensgeister zu haben. „Das ist richtig. Sasuke hätte mich fast umgebracht. Mit seinem bescheuerten Fahrrad, dem ich am liebsten den Sattel abgeschraubt hätte!“ Ich schielte erbost in seine Richtung. „Nicht mal den Schneid in der Hose gehabt, sich zu entschuldigen! ‚Ich bin untröstlich‘ war alles, was er zu sagen hatte.“ Ich brummte und wand mich ihm erneut zu. Die Hände stemmte ich dabei in die Hüften. „Ich warte immer noch auf deine Entschuldigung! Ist doch die perfekte Gelegenheit.“
 

Hatte ich schon erwähnt, wie perfekt er aussah? Ich fand ihn ja bereits im Sportoutfit sexy… mit diesem marineblauen Anzug aber… holla die Waldfee. Mein Blick lag noch immer auf dem markanten und gut aussehenden Gesicht des Mannes vor mir, dessen Anzug einfach makellos saß. Jede einzelne Haarsträhne schien ihren zugewiesenen Platz zu haben. Einfach alles an ihm war makellos. Ich hatte die Haut der rothaarigen Frau als Porzellan bezeichnet. Im Vergleich zu seiner allerdings war ihres dann doch zu unperfekt.

„Was suchst du hier?“, fragte Attentäterchen nun unhöflich.

„Geht dich überhaupt nichts an“, zischte ich. Dabei blies ich die Wangen auf und lieferte mir einen Zweikampf im Wer-kann-länger-starren. Ich verlor das Duell als Mr. Uzumaki ein schnaubendes Lachen ausstieß. Als ich ihn anblickte, presste er sich seine Handknöchel gegen den Mund, doch seine Augen verrieten ihn. Er war sehr amüsiert.

Sasuke schritt an mir vorbei, zückte sein Telefon aus seiner Hosentasche und wählte bereits eine Nummer.
 

„Stell sie ein“, wies er monoton an. Kurz bevor er um die Ecke ging, bescherte sein Blick mir eine Gänsehaut. „Du hast die Chance. Sieh es als Hilfe an.“
 

Dann war er weg.
 

„Gut, wir haben ihn gehört. Dann auf zum Unterschreiben.“

„Hä? Was denn?“, brachte ich blinzelnd hervor.

Er grinste breit. „Na, den Arbeitsvertrag.“

Ich riss die Augen auf. Mein Gehirn schien das alles noch gar nicht verstanden zu haben. „Aber, ehm, das Vorstellungsgespräch?“

„Geht auch ohne“, lachte er. „Wenn Sasuke sagt, es ist ok, dann ist es das auch. Gegen ihn komm ich dann doch nicht an und ich bin mir sicher, dass hier dann mehr Leben in die Bude kommt.“

„Aber kann er das so einfach entscheiden?“ Mein Mund fühlte sich trocken an. Genau so musste es für ein Fisch an Land sein. Bekam ich gerade eine Panikattacke? Mein Herz polterte aufgeregt in meiner Brust, meine Knie wurden wackelig und mein Gehirn schüttete zeitgleich zur Panik die Glückshormone aus.

Überrascht runzelte er seine Stirn. „Wieso sollte er das nicht entscheiden können? Er ist Sasuke Uchiha. Ihm gehört die Kanzlei.“
 

Ich wollte ihn gerade fragen, mir eine Papiertüte zu reichen, in die ich atmen konnte, um mich zu beruhigen, während mir hinter Naruto Uzumaki der goldene Schriftzug des Namens der Kanzlei ins Auge stach. Ich schluckte.
 

Ich traf auf den Atterntäter, der Potential hatte, in die Schrankmänner-Riege aufzusteigen.

Der Attentäter war Sasuke. Nicht nur irgendein daher gelaufener Sasuke – nein. Er war Sasuke Uchiha.
 

„Uchiha wie in Uchiha Uzumaki LLP?!“

„Das kannst du definitiv nicht tragen.“

Ich schürtzte die Lippen und warf einen Blick in den Spiegel. Auf meiner Stirn prangte ein großes leuchtendes Fragezeichen. Wortlos formten ich ein Warum und ich fegte mir den unsichtbaren Staub von der Bluse. Ich sah fantastisch aus!

„Sakura… dir ist klar, wo du arbeiten wirst?“ Inos Lippen kräuselten sich amüsiert und sie lehnte sich gegen den Türrahmen. Dabei kicherte sie kurz und deutete mit dem Zeigefinger auf das große Loch der Jeans, das sich unmittelbar über meinem rechten Knie befand. Ich schwöre, wäre das Loch etwas weiter unten, hätte ich mich sicher mit meinen abgetragenen Chucks verfangen und wäre bei jedem zweiten Schritt gestolpert. Ich war schon immer ein wenig Chaotisch und Tollpatschig.

„Ich arbeite als Empfangsdame.“

Sie nickte und hob dabei einer ihrer Brauen. „Du bist das erste Gesicht, welches die potentiellen Klienten erblicken. Willst du nicht seriöser wirken?“

Ich schnappte nach Luft und deutete auf meine schneeweiße Bluse. Und die Jeans? Das war jetzt so modern. In jedem Modemagazin konnte man das nachschlagen. „Wichtig ist, was oben zu sehen ist“, brummte ich verstimmt. „Alles, was die Kunden zu Gesicht bekommen werden, ist mein Kopf und ein bisschen der Oberkörper. Ich hab den Empfangstresen gesehen.“

„Hm. Ich bin unsicher. Ganz ehrlich? Es sieht aus als seist du eine Studentin, die unbedingt cool aussehen will.“

„Ok, Ino. Erstens, streng genommen wäre ich jetzt eine Studentin. Ich kleide mich meinem Alter entsprechend. Und zweitens… vergiss zweitens. Es geht hier nicht um mein Aussehen. Ich begrüße die Kundschaft mit einem Strahlen im Gesicht, klicke ein wenig auf dem PC herum, bestätige Termine und fertig.“

„Schätzchen, gewöhn es dir am besten an, die Kunden als Klienten zu bezeichnen. Ein wenig Jargon ist nicht verkehrt.“ Sie lachte und tippte sich gegen das Kinn. „Es ist seltsam, dass du gar nicht wirklich ein Gespräch geführt hast. Was ist, wenn du Kaffee kochen musst? Das zwingt dich dazu aufzustehen. Dann sehen doch alle deine zerrissene Jeans. Und diese echt hässlichen Schuhe.“

Ich rollte mit den Augen.
 

„Okay-okay. Lass das so an. Ich zweifle daran, dass du gleich am ersten Tag raus geworfen wirst. Aber ich bin dennoch der Meinung, du solltest etwas seriöser daher laufen. Ich könnte dir einen Bleistiftrock leihen. Ich wette, dass deine ellenlangen Beine damit perfekt zur Geltung kommen würden.“ Ihre Augen funkelten und ich kam mir bereits wie eine Barbiepuppe vor.

„Nie und nimmer. Ich will ganz sicher nicht aufs Äußere reduziert werden“, knirschte ich. Dabei verschränkte ich meine Arme vor der Brust.

„Dir ist klar, dass du nicht in einem Club bist?“

„Ino. Lass es einfach.“

„Gut. Aber nimm wenigstens ein paar schickere Schuhe mit. Ich hab noch ein paar schicke schwarze Pumps. Die werten im worst case dein Outfit nochmal auf.“

„Einverstanden.“
 

Etwas außer Atem starrte ich auf meine Uhr und knabberte nervös auf meiner Unterlippe herum. Wäre Ino einfach einverstanden mit meinem Äußeren gewesen, wäre ich nie in die Lage gekommen, den Bus zu verpassen. Wie sollte ich jetzt noch rechtzeitig eintreffen? Rennen? Niemals würde ich pünktlich sein. Am ersten Tag zu spät, laut Ino schrecklich unpassend gekleidet und hungrig. Ich hatte nichts gefrühstückt, was mehr an mir selbst als an Ino lag. Immerhin war ich es nicht gewohnt, so früh aufzustehen. Ich wog meine Möglichkeiten ab. Der nächste Bus käme in dreißig Minuten, die Bahn war viel zu weit weg. Ein Fahrrad besaß ich nicht. Ich brummte verstimmt und kramte meine Geldbörse aus der braunen Umhängetasche. Ich stieß entnervt einen Seufzer aus. Okay, wenn ich länger drüber nachdachte, kam ich mir hier schon wie eine Studentin vor. Vielleicht war es nicht ganz so verkehrt, dass Ino mir ihre schicken Schuhe mitgegeben hatte. Ein kurzer Blick genügte, um mich wütend auf den Fußboden stampfen zu lassen. Ich konnte mir das jetzt wirklich nicht leisten ein Taxi zu nehmen. „Okay, Sakura. Das ist absolut nicht dein Tag.“

Nervös befeuchtete ich meine Lippen und zückte das Handy. „Dann heißt es beichten und zu spät kommen.“

Während ich ungeduldig darauf wartete, dass jemand in dieser bescheuerten Kanzlei das Telefon abnahm, marschierte ich in Richtung Bahn. Immerhin könnte ich es schaffen, nicht allzu spät zu kommen, wenn ich die Bahn benutze. Ich starrte auf meine Uhr, knirschte mit den Zähnen und versuchte erneut anzurufen. Ging denn keiner an dieses vermaledeite Telefon?
 

Dann ertönte ein Klicken und ein verwirrtes „Uzumaki?“ drang durch den Hörer. Ich japste erfreut nach Luft. Gottseidank war es der nettere Kerl! Ich grinste dümmlich und erklärte ihm meine prekäre Situation und ich schwöre, ich mochte diesen Kerl schon beim ersten Augenblick. Attentäterchen hätte mich wahrscheinlich schon am Telefon wieder gekündigt.

„Kein Problem, Sakura. Es ist noch nichts los. Aber wenn Sie ohnehin noch unterwegs sind, wäre ich Ihnen überaus dankbar, wenn Sie noch einen Kaffee mitbringen könnten. Ich habe heute Morgen ein kurzes Gespräch mit Sasuke geführt und meine Güte, er ist wieder mal so schlecht gelaunt, dass wohl nur ein Kaffee beruhigend auf ihn einwirken kann.“ Er lachte laut.

„Ehm, ok? Wissen Sie denn, wie Mr. Uchiha seinen Kaffee trinkt?“

„Schwarz, bitte ohne Zucker und Milch.“

Natürlich. Ich rollte mit den Augen. „Alles klar. Ich versuche so schnell wie möglich da zu sein.“

„Nehmen Sie ruhig ein Taxi, Sakura. Sie sollten schauen, dass Sie in den nächsten Minuten da sind. Ich habe einen Termin in einer halben Stunde.“

„Ja, Sir.“

Er lachte erheitert am Telefon und sorgte damit, dass die Anspannung ein wenig geringer wurde.
 

So konnte der erste Tag doch eigentlich ganz gut starten. Ich hatte Glück! Grinsend steuerte ich den Starbucks an, bestellte den Kaffee und entdeckte das gelbe Taxi, das gerade auf der anderen Straßenseite hielt. Ich winkte lächelnd und registrierte dankbar, dass er auf mich wartete. „Yes!“

Es gelang mir, die breite Straße schnell zu überqueren und eilte zum Fahrzeug. Erleichtert wollte ich die Türe öffnen. Doch statt des Griffs umschloss ich eine große Hand. Verwirrt blickte ich auf die breite Männerhand. Mein Blick folgte einem langen Arm bis hoch zu den breiten Schultern und einem mir allzu bekannten Gesicht. Mürrisch verzog ich die Mundwinkel.

„Schon einmal etwas von Pünktlichkeit gehört?“, fragte er mit einer tiefen, rauen Stimme.

Ich schnitt eine Fratze. „Musste Kaffee holen.“ Zur Bekräftigung meiner Aussage hob ich den Kaffeebecher, auf dem in großen Lettern mein Name aufgedruckt war. Gut, das war vielleicht nicht der brillanteste Einfall, aber so lief das nun mal bei der Kaffee-Kette.

Sein Mund war ein einziger Strich und den Morgenmuffel konnte man ihm sehr gut ansehen. Was nicht unbedingt hieß, dass ich ausgerechnet jetzt den Becher aushändigen wollte. Ich rümpfte die Nase. „Also, Sasuke. Wir müssen in dieselbe Richtung, und da wir wohl beide zu spät dran sind, schlage ich vor, wir teilen uns das Taxi. Ok?“ Ich versuchte ein nettes Lächeln auf mein Gesicht zu bringen, allerdings spürte ich, dass ich dabei scheiterte. Seine dunklen Augen glitten über mein Gesicht und über meinen Körper. In seinen Augen lag Amüsement. Aufgeblasener Sack.

Im nächsten Moment öffnete er die Türe und seine warme Hand berührte mich am Rücken und schob mich sacht vorwärts. Dann fuhren wir bereits los.

Mein Herz pochte aufgeregt in meiner Brust und ich warf scheue Blicke zu ihm. War er verärgert? Gott, Ino würde mich killen, wenn ich schon am ersten Tag gefeuert werde. Sein Blick richtete sich auf sein schwarzes Blackberry und ich schien komplett vergessen zu sein. Naja, immerhin musste ich das Taxi jetzt nicht zahlen, oder? Ich schielte erneut zu ihm. Sollte ich eigentlich einen Dank aussprechen? Wenn ich länger darüber nachdachte, war ich diejenige, die dreist nach seiner Hilfe verlangte. Und er gab sie mir – ohne mich überhaupt richtig zu kennen. Ich schielte zu ihm und betrachtete seine römische Nase und das zerzauste Haar, das überhaupt nicht zu seinem Designeranzug passte. Seine Haut war glatt und ich kam nicht umhin, mir vorzustellen wie er wohl aussah, wenn er sich nicht rasierte. Er schnaubte und blickte auf. Direkt in mein Gesicht, was ein Ziehen in meinem Unterleib auslöste. Okay, sowas war mir neu. Ich befeuchtete meine Lippen. Hatte ich schon diesen Designeranzug erwähnt? Von dem, was sein dreiteiliger Anzug gekostet hatte, hätte ich vermutlich Monate Essen kaufen können. „Also“, begann ich nervös. „Guten Morgen?“

Okay. Hin und wieder war ich ein Plappermaul. Und das brach eigentlich immer aus mir heraus, wenn eine unangenehme und peinliche Stille im Raum herrschte. Außerdem musste ich den ersten und zweiten Eindruck revidieren.

Sein Mundwinkel zuckte.

„Bist wohl auch nicht der Pünktlichste, oder?“ Ich kicherte dabei. Ein bisschen Konversation war nie verkehrt. „Ich habe angerufen, um zu sagen, dass ich mich verspäte. Hat nur verdammt lange gedauert, bis jemand dran ging.“ Nervös spielte ich mit einer Strähne, die sich aus meinem Dutt gelöst hatte. „Ich hab mich schon etwas geärgert, weil keiner ran ging.“

Er hob erneut eine Augenbraue. „Dir ist bewusst, dass es seit 34 Minuten dein Job ist, Telefonate entgegenzunehmen.“ Es war keine Frage, eher eine Feststellung.

Ich entschied mich zu schweigen, als er auf sein Blackberry blickte.
 

Keine fünfzehn Minuten später standen wir endlich in diesem bescheuerten Gebäude. Der Weg bis hinauf verlief schweigend und ein wenig unangenehm, aber was tat man nicht alles für ein wenig Geld am Ende des Monats?

Ich stellte mit einem tiefen Seufzen meine Tasche auf den Stuhl hinter dem Empfangstresen und stellte erfreut fest, dass jemand bereits meinen neuen Arbeitsplatz eingerichtet hatte.

„Oh, Sasuke. Beinahe hätte ich den Kaffee-“ Ich drehte mich um, allerdings war mein neuer Chef bereits verschwunden. Ich brummte. War es nicht eigentlich üblich, dass man mich einwies? Willkommen hieß? Ich knirschte.
 

Schöner Start. Die ersten zwei Minuten in diesem bescheuerten Gebäude waren schon furchtbar. Der Rest konnte ja nur noch besser werden, oder?



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Kommentare zu dieser Fanfic (30)
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Von:  Tara80
2023-11-14T22:11:25+00:00 14.11.2023 23:11
Oh warum ging es denn hier nicht weiter? Finde den Anfang wirklich gelungen. Schade schade
Von:  MissBlackBloodSakura
2019-12-08T18:42:45+00:00 08.12.2019 19:42
Schreibst du noch weiter??😇
Von:  Lady_Eternal
2016-12-08T13:00:06+00:00 08.12.2016 14:00
Die arme Sakura - muss sich ja vollkommen hilflos vorkommen da in dem riesigen Gebäude, hinter dem einsamen Empfangsthresen. ;-) Bin gestannt wie es weiter geht.

LG^^
Von:  Cosplay-Girl91
2016-11-23T22:28:52+00:00 23.11.2016 23:28
Tolles Kapitel :)
Sehr schön geschrieben.
Bin schon gespannt wie es weiter geht.
Lg
Von:  XxGirlyxX
2016-11-07T20:55:06+00:00 07.11.2016 21:55
Haha geil Sasuke Antwort auf ihre Frage, Warum keiner ans Telefon ging 😂
Das kann ja heiter werden 😁
Bin schon gespannt, wie es weiter geht
LG XxGirlyxX
Von:  Sayuri1412
2016-11-06T21:16:26+00:00 06.11.2016 22:16
Mir gefaellt die FF jetzt schon sehr gut :D

Die Idee ist super und der Schreibstil ebenfalls.
Freu mich schon wenn es weitergeht :)
Von:  ReverdeLune
2016-10-30T19:40:04+00:00 30.10.2016 20:40
Dieses Gespräch im Taxi, einfach herrlich :')
Von:  Kleines-Engelschen
2016-10-30T19:04:52+00:00 30.10.2016 20:04
ein tolles kapitel. bin gespannt wie es weitergeht

greetz
Von:  franny
2016-10-30T10:48:59+00:00 30.10.2016 11:48
Super tolles Kapitel!!!!!
Freu mich auf das nächste! :-) mach weiter so! ;-)
Glg franny
Von:  Cornflakes91
2016-10-30T10:12:04+00:00 30.10.2016 11:12
Oh ich liebe diese Fanfic jetzt schon.
Wie du Sakura beschreibst gefällt mir einfach so gut! Man könnte es glatt verfilmen und ich würde es lieben!
Weiter so! :)


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