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Yu-Gi-Oh! Gx - Angels and Shadows (Year 1)

von

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Prolog

„Du hast keine Chance“, sagte eine unheilvolle Stimme zu mir, während ich weitere fünfhundert Lebenspunkte verlor. Normalerweise würde dieser Schaden keine physischen Beschwerden verursachen, doch dies war kein normales Spiel. Dies war ein Spiel der Schatten. Jeder Lebenspunkt der mir von meinen verbleibenden tausend abgezogen wurde, fühlte sich an, als würde jemand versuchen, mir die Seele herauszureißen. Weiterhin verursachte die Zauberkarte Hinotama Verbrennungen auf meiner Haut. Es war aussichtslos. Mein Gegner hatte noch dreitausend Lebenspunkte übrig, ich nur noch schlappe fünfhundert. Auf seiner Seite befand sich das fünf-Sterne Monster ‚Antike Magierin der Eremiten‘ mit zweitausendeinhundert Angriffspunkten im entsprechenden Modus. Der Effekt meiner Magierin verhinderte, dass diese dunkle Silhouette, die sich mein Gegner nannte, mit mehr als einem Monster auf seinem Feld angriff. Meine Karte würde einen Angriff unbeschadet überstehen, wodurch meine Lebenspunkte vor einem direkten Angriff geschützt würden, doch der Nachteil war, dass ich mein Monster im Angriffsmodus belassen musste und kein weiteres beschwören durfte.

Mein Gegner ließ es sich allerdings nicht nehmen, weiterhin Monster zu beschwören. Drei Level vier und ein Level acht Monster standen mir entgegen. Die Vier Sterne Monster waren kein Problem, zumindest nicht in dem Sinne, dass sie mir direkt Schaden zufügen konnten, doch wenn mein Gegner eines seiner Monster opferte, konnte er eine beliebige Karte von seinem Friedhof in sein Blatt holen. Würde er dies im nächsten Zug machen, wäre ich geliefert. So hatte er mich durchgehend bearbeitet. Glücklicherweise konnte er diesen Effekt nur ein Mal pro Zug nutzen. Sein starkes Monster mit dieser besagten Fähigkeit nannte sich ‚Dunkler Friedhofsplünderer‘, der zu seinem Effekt noch zweitausendfünfhundert Angriffspunkte besaß.

Sein Zug war zu Ende und meine Aussicht auf einen Sieg ernüchternd. In meinem Blatt befanden sich drei Karten, zwei Zauber und eine Falle. Eigentlich hatte ich hier die Grundzüge für ein Unentschieden oder sogar einen Sieg, aber dafür musste ich noch eine weitere, bestimmte Zauberkarte ziehen. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, ich begann zu zittern. Natürlich vertraute ich meinen Karten, aber dennoch machte sich Angst in mir breit. Vor allem sorgte ich mich darum, was diese verdeckte Karte auf dem gegnerischen Feld für einen Effekt haben möge. Der Schmerz meiner Brandwunden machte mir zusätzlich zu Schaffen. Ich kannte Spiele der Schatten, doch dies war nochmal etwas anderes. Ich konnte nicht nur den Schmerz spüren, sondern die Attacken des Gegners fügten mir echten physischen Schaden zu. Deshalb war mittlerweile jede Bewegung eine Qual. Meine Arme waren verbrannt, die ich schützend vor mein Gesicht hielt, damit dies nicht zu sehr in Mitleidenschaft gezogen wurde.

Dies würde mein letzter Zug sein. Meine letzte Chance aus dieser Situation (halbwegs) glimpflich herauszukommen. Wie bin ich hier überhaupt hereingeschlittert?

„Was brauchst du denn so lange?, riss diese Stimme mich wieder aus meinen Gedanken, „Keine Angst, das Spiel wird bald vorbei sein, dann kannst du lange in den Schatten über dieses Spiel nachdenken.“

„Da hast du recht!“, rief ich mit neu erwecktem Mut, „Dieses Spiel endet in diesem Zug!“, ich zog die oberste Karte meines Decks, warf einen Blick auf diese und musste unweigerlich grinsen. Mein Deck hat mich nicht enttäuscht. Ich konnte mich immer auf das Herz der Karten verlassen. Dies hatten mir meine Freunde beigebracht.

„Ich setze eine Karte verdeckt“, ich steckte die Karte in den entsprechenden Slot, das entsprechende Hologramm erschien vor mir, „und spiele die Zauberkarte ‚Egalisierung‘, hierdurch kann ich eines deiner Monster wählen und sein Typ verändern… ich wähle den Typ Hexer.“, ich aktivierte die dazugehörige Karte. Der Dunkle Friedhofsplünderer wurde vom Licht meiner Karte eingehüllt und das ehemalige Monster Typs Ungeheuer verwandelte sich in einen Magier. Ich merkte, dass mein Gegner verwirrt war. Doch ich war noch nicht fertig. Einzeln mögen diese Karten keinen Sinn gemacht haben, aber in Kombination waren sie siegbringend, „Weiterhin spiele ich die Karte ‚Lebenszauber‘. Ein Monster des Typs Hexer, welches ich wähle, bekommt die Angriffspunkte aller Monster auf dem dazugehörigen Feld, die kein Hexer sind. Und… da ich freundlich bin wähle ich wieder den ‚Plünderer‘.“, mit den Schreien der drei Level vier Monster des Typs Ungeheuer gelangte das Stärkste Monster des Gegners zu weiteren Angriffspunkten und begann zu leuchten. Die zweitausendfünfhundert wurden mit eintausend, eintausend-achthundert und eintausend-fünfhundert addiert. Insgesamt hatte er sechstausend-achthundert Angriffspunkte. Das gegnerische Monster wurde mit jedem wachsenden ATK immer furchteinflößender, doch ich ließ mich davon nicht beirren, ich wusste, was ich machen musste.

„Hat dir Hinotama dein Hirn verbrannt?“, spottete mein Gegner amüsiert, „Du bringst mir freiwillig den Sieg!“

„Freu dich nicht zu früh!“, ich lächelte triumphierend, „In dem ich die Hälfte meiner Lebenspunkte Opfere und die Fallenkarte ‚Antiker Fluch‘ von meinem Feld auf dem Friedhof lege kann ich diese Karte aktivieren…“, während ich die Aktivierungsvoraussetzungen dieser Karte nannte kam ich diesen entsprechend nach. Die fünfhundert Lebenspunkte reduzierten sich auf zweihundertfünfzig, doch diesen Preis zahlte ich gerne. Meine Spielentscheidende Karte erschien auf dem Feld. Erst erstrahlte sie in einem weißen Licht, doch dieses änderte innerhalb von Augenblicken in rot. Feuer, um genau zu sein, „Ich spiele ‚Urteil: Hexenverbrennung‘. Dieser Zauber zerstört jedes Monster vom Typ Hexer, der mit einer Zauberkarte ausgerüstet ist. Zur Zeit der Inquisition waren Kräuterkunde und überdurchschnittliches medizinisches Wissen von einfachen Menschen ein vermeintliches Indiz für die wahre Identität der Person. Hier sind es Zauberkarten. Dein Monster wird zerstört, aber das ist nicht alles!“, das Feuer der Hexenverbrennung griff auf den ‚Dunklen Friedhofsplünderer‘ über und das Monster zersprang durch die Hitze in tausende von Stücke, „Doch das war nicht alles: Da ich ‚Antiker Fluch‘ von meinem Feld auf den Friedhof gelegt habe, verlierst du die Hälfte der Angriffspunkte deines zerstörten Monsters. In diesem Falle wären es dreitausend-vierhundert Lebenspunkte! Ein nettes Duell, ich habe gewonnen!“, sobald ich meinen Satz beendet hatte schwappte ein dunkler Nebel aus dem Friedhof meiner Duel Disk aufs Feld und bahnte sich schnell und unaufhaltsam seinen Weg zu meinem Gegner.

Kurz bevor der Fluch ihn erreicht hatte aktivierte er eine Fallenkarte, „Ich habe zwar verloren, aber ich werde dich mitnehmen!“, rief er, „Meine Falle ‚Schattensiegel‘! Verliere ich Lebenspunkte durch den Effekt einer Zauberkarte, so erleidest du fünfhundert Punkte Schaden für jede Zauberkarte, die du im letzten Zug benutzt hattest. Wenn ich mich recht erinnere waren dies drei Zauberkarten, also eintausendfünfhundert Punkte und du hast nur noch zweihundertfünfzig. Dies hier ist ein Unentschieden!!!“, er begann zu lachen. Doch dieses Lachen war nicht normal, sondern diabolisch und es starb auch nicht ab, während er in Augenblicken von meinem Fluch verschlungen wurde.

Ich war schockiert. Schockiert und beängstigt. Das Siegel flog auf mich zu und nahm einen Teil meines Fluches mit. Strahlend weißes Feuer schlug aus meiner Duel Disk, das Feuer der Hexenverbrennung, das Weiß der Egalisierung und des Lebenszaubers. Der Schmerz war unbeschreiblich. Ich wurde geblendet, verbrannt und durch Finsternis erstickt. Ich spürte jeden Lebenspunkt, den ich verlor. Die Null hatte ich schnell erreicht, doch es fühlte sich an, wie eine Ewigkeit. Die Finsternis verleibte sich mir ein. Das wars. Mein letzter Gedanke ging an meine Freunde, die nie herausfinden würden, was passiert war.

Es war kalt. Trotz des Feuers.

So. Kalt.

Angst.

Schmerz.

Trauer.
 

- und dann nichts mehr

Runde 1: Die Duell Akademie

Es war ein ruhiger Tag in der Duell Akademie.

Wir Studenten aus dem ersten Jahr saßen in Klassen unterteilt im Hörsaal und lauschten – mehr oder weniger gebannt – Professor Banners Theorien über die Milleniums-Gegenstände. Ich fand dieses Thema äußerst interessant, vor allem, als er von den Schattenspielen begonnen hatte, doch ein leises Schnarchen hinter meinem Rücken riss mich stets aus meiner Konzentration.

Ein Mitstudent namens Jaden Yuki aus dem Hause Slifer Red hatte sich nämlich, kurz nachdem der Unterricht begann, Pupillen auf seine Augenlider gemalt und sich ins Reich der Träume begeben. Dabei versuchte sein etwas kleinerer Freund mit hellblauen Haaren namens Syrus kontinuierlich sicherzugehen, dass Jaden nicht zu laut schnarchte. Es wäre echt schön, wenn diese zwei Duellanten hinter mir auch interessierter dem Unterricht folgen würden. Auch ich wollte nicht für immer in Slifer Red bleiben. Unser Hauslehrer, Professor Banner, war sehr nett und ein guter Koch, aber unsere Unterkunft war mehr als nur ein wenig Renovierungsbedürftig.

Gebannt widmete ich mich wieder dem Monolog von unserem Dozenten, „-iele der Schatten wurden im Alten Ägypten als Ersatz von Krieg verwendet. Ein mächtiger Pharao ging sogar so weit und konnte mit einem dieser Spiele die Welt retten. Manche sagen, dass diese Spiele der Schatten nur ein Mythos seien, aber andere glauben fest daran, dass sie noch existieren. Ich möchte gerne, dass Sie als Selbststudium sich Gedanken darüber machen, ob Sie selbst an die Existenz der Schatten glauben oder nicht. Eine kleine Begründung ist erwünscht.“, er lächelte, obwohl… er lächelte fast immer, „Dann wünsche ich Ihnen einen schönen Nachmittag.“, er nahm seine getigerte Katze namens Pharao auf den Arm und verließ den Lehrsaal durch den Dozenteneingang.

Als wäre das Verlassen des Professors ein Stichwort gewesen, kehrte Unruhe in den Saal ein. Jeder wollte so schnell, wie möglich in den verdienten Feierabend. Ich blieb noch ein wenig sitzen und dachte über diese Spiele der Schatten nach. Ich glaubte fest daran, dass so etwas existierte. Ich konnte mich noch an das Battle City Finale zwischen Marik und Yugi Muto erinnern… dies schien mir auch kein normales Duell gewesen zu sein. Es war ein furchtbarer Gedanke: nach einem Spiel gefangen in der Dunkelheit. Was mochte wohl in diesen Schatten lauern? Monster? Dämonen? Ungeheuer?

Ein eisiger Schauer lief mir den Rücken hinunter. Wenn diese Spiele wirklich existierten wollte ich nicht an einem teilnehmen.

Ein lautes Gähnen riss mich aus den Gedanken, Jaden war wohl aufgewacht oder wurde von Syrus geweckt.

„Der Tag heute verging ja wie im Flug.“, witzelte Jaden.

„Ja, Jay. Für dich vielleicht.“, antwortete Syrus. Aber er war nicht sonderlich böse, sondern eher amüsiert.

Inzwischen war der Saal schon fast leer. Langsam packte ich meine Unterlagen zusammen, klemmte mir die Duel Disk an den Arm.

In den drei Wochen, seit ich auf der Akademie-Insel lebte habe ich es irgendwie noch nicht geschafft wirklich Freundschaften zu schließen. Ich hatte auch keine Zimmergenossin, denn hier in Slifer Red waren Mädchen eher selten. Somit bewohnte ich ein Doppelzimmer alleine. Leider. Irgendwie fühlte ich mich etwas einsam. Es war nicht so, als ob ich nicht versucht hätte, Bekanntschaften oder Freundschaften zu schließen, aber Ras und Obelisken würdigten uns Slifer keines Blickes und der Rest schien mich unheimlich zu finden… ich wusste leider nicht genau, woran es lag. Ich war sehr in mich gekehrt, immer freundlich und ließ mir fast alles gefallen. Aber eigentlich… ich hatte mir schon immer schwer getan Freunde zu finden. Nur hatte ich dieses Mal die Hoffnung, dass es auf der DA anders werden würde.

Langsam stand ich auf und folgte den Treppen Richtung Ausgang. Ich würde heute wahrscheinlich, sobald ich an der Unterkunft angekommen bin, erst einmal zu Mittag essen und dann lernen. Wenn ich noch ein wenig Zeit vor Einbruch der Dunkelheit hatte, würde ich noch ein wenig das Gelände der Duell Akademie erkunden.

Ich passierte eine Gruppe von Obelisk Blues, die ein paar Meter vor der Tür entfernt standen, als ich plötzlich über etwas stolperte. Ich konnte mein Gleichgewicht nicht mehr halten, ruderte mit den Armen. Doch dies brachte nichts. Langsam fiel ich die Treppen herauf. Ich konnte mich gerade so mit meinen Armen abfangen, doch meine Sachen fielen auf den Boden. Meine Knie schmerzte, denn sie hatten bei dem Sturz eine Treppenkante erwischt. Schmerztränen schossen mir in die Augen. Worüber war ich gestolpert? Doch dann hörte ich das Lachen und mir wurde klar, was passiert war. Einer der Obelisken hatte mir das Bein gestellt.

Mir war das alles so peinlich. Doch gleichzeitig war ich wütend. Hektisch sah ich mich um und bemerkte, dass mein Deck aus der Disk gerutscht war. Die Karten lagen überall um mich herum verstreut. Ich spürte wie viele Augen auf mir ruhten. Das Gelächter war erdrückend. Am liebsten wollte ich im Erdboden versinken.

„Warum findet ihr das so lustig?“, fragte plötzlich eine Stimme hinter mir, während ich noch dabei war, meine Karten zusammen zu suchen. Irritiert sah ich nach hinten: Jaden blickte ernst die Gruppe Blauträger an.

„Weil eine Niete auf dem Boden kriecht, wie es sich für solch niederes Getier gehört.“, antwortete einer von ihnen. Ich war mir sicher, dass er auch die Person war, die mir das Bein gestellt hatte.

„Slifer sein bedeutet nicht, dass man sich nicht gut duellieren kann!“, antwortete Jaden, „Und bevor ich einen Mitstudenten so behandele wie ihr, da bleib ich lieber für immer ein Slifer!“, er beugte sich zu mir herunter und half mir, meine Karten zusammenzusuchen. Dankbar sah ich ihn an, er reichte mir einen Teil meines Decks, „Willst du dir das gefallen lassen?“

Diese Frage hatte ich befürchtet. Ich hatte das Duellieren geliebt, aber seit ein paar Wochen tat mir allein der Gedanke an ein Duell weh. Ich hatte Angst davor… und Heimweh.

Ich nahm den Rest meines Decks entgegen, hob meine Notizen vom Unterricht auf. Unsicher stand ich auf, sah Jaden an und schüttelte leicht den Kopf. Fragend sah er mich darauf hin an, weil er nicht verstehen konnte, warum ich nicht auf ein Duell scharf war.

„Ohhh, die Niete hat Angst!“, witzelte der Verantwortliche für meinen Sturz.

Ich holte Luft, um zu antworten, um mich hier irgendwie ohne ein Duell rauszureden, doch bevor ich einen Ton herausbrachte antwortete mein Hauskollege für mich, „Nein, hat sie nicht! So etwas lässt sich-“, er brach ab und sah mich fragend an, „wie heißt du eigentlich“

„Jane Yaki.“, gab ich perplex zurück. Mit seiner Reaktion hatte ich nicht gerechnet. Allerdings wurde mir auch schnell klar, dass er ein ziemlicher Hitzkopf war.

„So was lässt sich Jane nicht gefallen!“, beendete er seinen zuvor unterbrochenen Satz.

„Mit diesen läppischen Karten will die sich duellieren? Schau sie dir doch an, sie ist nicht mal fähig für sich selbst zu sprechen!“, höhnte mein etwaiger Gegner, „Wenn sie was im Duellieren drauf hätte, dann wäre sie kein Slifer. Mit diesen mickrigen Karten hätte sie keine Chance gegen mich und das weiß sie, sonst hättest du nicht als ihr Sprachrohr einspringen müssen. Schau sie dir doch an: sie ist ein Niemand. Du kennst noch nicht einmal ihren Namen.“

„Na und? Ich hatte auch keine guten Noten in dem Test, habe aber Dr. Crowler geschlagen und bin ein Slifer. Die Häuserfarbe hat nichts mit dem Können zu tun. Ich kannte ihren Namen nicht, aber ich habe auch nicht wirklich ein gutes Namensgedächtnis.“

„Das ist wahr.“, stimmte Syrus aus dem Hintergrund zu.

„Mal davon abzusehen- wer bist du eigentlich?“, fragte Jaden den Obelisken.

Seine Kumpels und er waren offensichtlich empört, „Das soll wohl ein Witz sein! Ich bin einer der besten Obelisken im ersten Jahr – Devan Yard!“

Wie in Trance beobachtete ich den Wortwechsel. Es war nett von Jaden, dass er sich für mich einsetzen wollte, doch er reitete mich ziemlich in die Patsche. Ich wollte mich nicht duellieren, vor allem nicht mit einem der besten meines Jahrgangs. Mein Deck war stark, ja, aber ich nicht. Ich fürchtete mich zu sehr davor, „Jaden, bitte nicht¬“, flüsterte ich, doch er schien mich nicht zu hören

„So, Devan, unsere Jane fordert dich – im Namen der Slifer Reds – zu einem Duell heraus! Heute, um fünfzehn Uhr.“, kündigte Jaden in meinem Namen an.

„Was?“, fragte ich, Devan und seine Gruppe – im ungläubigen Ton – synchron.

„Ja. Und sie wird es dir richtig zeigen!“

„Das werden wir ja sehen.“, meinte Devan nur, während er mit seiner Gruppe von dannen zog.

Ich schluckte, begann ein wenig zu zittern. Ein Duell war schon furchterregend, aber wie sollte ich im Namen meines Hauses dieses Duell gegen Devan gewinnen?

Runde 2: Allein

Zitternd saß ich in meinem Zimmer und versuchte meiner Gedanken wieder Herrin zu werden. Es war erst eine viertel Stunde vergangen, seit Jaden einen Obelisk Blue in meinem Namen herausgefordert hatte. Nachdem mein vermeintlicher Gegner mit seinen Kumpels von dannen gezogen war hatte ich mich ziemlich panisch in meinem Zimmer verkrochen. Mit einem Schlag realisierte ich aktiv, dass ich mich duellieren müsste. Als ob dies nicht schon schlimm genug gewesen wäre, würde ein Großteil der Schule unserem Duell zusehen, das hatte Jaden (gewollt oder ungewollt) mit der Vereinbarung einer Uhrzeit bewerkstelligt. Hunderte Studenten würden mir vielleicht zusehen… ich würde wahrscheinlich verlieren…

Ich wusste nicht, warum ich seit Wochen so eine Angst vor dem Duellieren hatte. Hatte es etwas mit meiner Bewusstlosigkeit zu tun, durch die ich mich nicht mehr wirklich an meine Vergangenheit erinnern konnte? Ich erkannte zwar noch meinen Bruder und dessen Freunde, aber ich konnte mich nicht mehr an ein einziges gemeinsames Abenteuer erinnern. Ich wusste von seinen Freunden, dass fast alle sehr gute Duellanten waren. Sie vertrauten ihren Karten, egal was kommen mochte. Das und ihre Namen, war das einzige, woran ich mich erinnern konnte.

Als ich im Krankenhaus wieder zu mir kam konnte mir keiner sagen, wie lange ich bewusstlos war – oder ob man es schon mittlerweile Koma nennen konnte. Vielleicht wollte es mir auch niemand sagen… Die Aussagen wichen aber von Krankenschwester zu Krankenschwester ab. Die eine sagte, es wären drei Tage gewesen, die andere meinte drei Monate. Hätte ich mich noch an das Datum erinnern können, an dem ich – durch was auch immer – in eine längerfristige Bewusstlosigkeit gefallen war, so hätte ich es selbst herausfinden können… aber ich konnte mich an nichts mehr vor meinem Aufwachen erinnern… Als ich dann mal aufgewacht war und ich in das Gesicht meines Bruders blickte, die Augen voller Sorge, konnte ich nicht anders, als ihm zu sagen, dass es mir gut ginge… dem war aber nicht so. Seitdem ich aufgewacht war, fürchtete ich mich vor Duellen, aber ich wollte meinen Bruder nicht noch mehr Sorge bereiten… deshalb verschwieg ich ihm dies.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis er mich – zum Zeitvertreib – zu einem Duell herausforderte. Wir standen auf dem Dach des Krankenhauses, Duell Disks aktiviert und begannen ein Duell. Er spielte ein Monster vom Typ Unterweltler, an so viel konnte ich mich noch erinnern. Ich wusste auch noch, dass ich ein Monster in den Verteidigungsmodus rief (das ich besser zum Angriff gerufen hätte, aber ich hatte zu große Angst vor dem Verlust von Lebenspunkten). So gut ich konnte hatte ich versucht mein Zittern zu unterdrücken, damit mein Bruder nicht sah, wie groß meine Furcht war. Er zerstörte mein Monster und griff mich mit einem anderen, das er in diesem Zug gerufen hatte, direkt an. In dem Moment, in dem ich Lebenspunkte verlor, begann ich unkontrolliert zu zucken. Meine Beine konnten mich nicht mehr tragen und ich fiel auf den Boden. Augenblicklich beendete mein Bruder das Duell, welches er nur begonnen hatte, damit ich mich nicht so langweilte und weil ich das Duellieren liebte… geliebt hatte.

Ich wurde auf die Duell Akademie – mit meinem zweit Deck- geschickt, damit ich meine Angst vor dem Duellieren verliere. Mein Bruder und dessen Freunde hatten auch die Hoffnung, dass ich mich vielleicht an Ereignisse vor meiner Bewusstlosigkeit erinnern möge, sobald ich in ein neues Umfeld mit neuen Freunden kam… doch bis jetzt vermittelte mir das neue Umfeld nur ein Gefühl von Heimweh.

Traurig sah ich auf meinen PDA der mir eine neue Nachricht anzeigte. Sie war von meinem Bruder: ‚Hey Schwesterchen, wie geht es dir denn so?‘

Unweigerlich huschte mir ein leichtes Grinsen über die Lippen, er sorgte sich immer um mich. Es schien mir, als hätte er ein schlechtes Gewissen, dass er mich nicht beschützen konnte. Ich hasste es, ihn anzulügen, doch wollte ich ihm nicht noch mehr Sorgen bereiten: ‚Hallo Bruder, mir geht es so weit so gut. Ich vermisse die Heimat sehr. Kann ich nicht früher heim kommen? Ich weiß um ehrlich zu sein nicht, wie ich drei Schuljahre überstehen soll. Meine Hauskollegen sind nett, doch würde ich lieber zuhause sein.‘

Kaum hatte ich die Nachricht gesendet, kam schon seine Antwort zurück: ‚Wir vermissen dich auch, aber es ist besser, wenn du in einem neuen Umfeld dein weiteres Leben verbringen kannst. Auf der Duell Akademie bist du sicherer, als bei uns. Wir haben lange überlegt, wo dir nichts schlechtes widerfahren kann und die DA ist der beste Ort. Sei uns nicht böse, doch wir möchten, dass du so lange bleibst, bis du den Abschluss hast. Ich wünsche dir noch einen schönen Tag. Wir schreiben uns morgen.‘

Am liebsten hätte ich den tragbaren Computer gegen die Wand geworfen. Diese Nachricht war genau das, was ich nicht lesen wollte. Ich wollte nach Hause! Wie schwer war das für meinen Bruder zu verstehen? Nicht schon schlimm genug, dass ich immense Gedächtnislücken hatte, mein Bruder wollte, dass ich fernab von ihm und unseren Freunden ein neues Leben beginne, ohne das Wissen, wer ich vorher einmal war. Wollten sie verhindern, dass ich mich erinnere? Diese Frage nagte an mir, seit ich weg geschickt wurde. Genauso wie das Gefühl, sie wollten mich einfach los werden.

Was war hier nur los? Ich konnte mich an nichts mehr erinnern und wurde an diesen Ort geschickt!

Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Das Duell heute würde ich ausfallen lassen. Ich wollte mich in meinem Zimmer verkriechen und es an diesem Tag nicht mehr verlassen.

Noch ein wenig zitterig stand ich auf und holte mein Deck aus der Duel Disk heraus, ging alle meine Karten durch. Ich liebte dieses Deck. Diese Monster waren regelrecht mein Leben. Sie kannte ich noch von früher… zumindest glaubte ich, mich an sie erinnern zu können. Mein Blick fiel auf jede Karte, blieb kurz daran hängen, bis ich in Gedanken alle Effekte des jeweiligen Monsters aufgezählt hatte, dann sah ich mir die nächste an. Als ich fertig damit war, hatte ich das Gefühl, dass etwas fehlen würde. Ich wusste nicht was, doch eine noch größere innere Unruhe machte sich in mir breit. Normalerweise bewirkte dieses Ritual das Gegenteil: sonst war ich danach ruhiger.

Langsam stand ich auf und ging Richtung Spiegel, der über dem Waschbecken, gegenüber des Endes des Hochbettes (neben dem Kleiderschrank) befestigt war.

Eine blasse Jugendliche starrte mich mit braunen Augen unsicher an. Sie trug ein rotes kurzärmliges Hemd, mit jeweils einem weißen Streifen an Kragen und Armumschlag. Über dem Hemd hatte sie einen doppelten schwarzen Gürtel befestigt, an dem ihre Deckbox hing. Auch wenn sie sich nicht duellieren wollte, fühlte sie sich leer und einsam ohne das Deck. Sie trug ellenbogenlange, fingerlose Armstulpen und einen kurzen roten Rock, der an den Seiten durch eine dunkelblaue Ellipse ein wenig an Langweiligkeit verlor. Auch hatte sie rote Stiefel an. Ihre Haare waren in mehreren vertikalen Blockstränen braun und schwarz gefärbt.

Das merkwürdigste war, dass ich, egal wie oft ich mein Spiegelbild betrachtete, mich nicht darin erkannte. Dieses Mädchen mir gegenüber fühlte sich fremd an.

Runde 3: Aufmunterungsversuch

Es klopfte.

Schreckhaft, wie ich war, zuckte ich zusammen. Erst in diesem Moment fiel mir auf, wie still es in meinem Zimmer war. Ich konnte das Wasser aus den undichten Rohren tropfen hören.

Es klopfte noch einmal, „Jane?“, drang Jadens Stimme, gedämpft durch das Holz, in mein Zimmer.

Ich antwortete nicht. Warum er hier war konnte ich mir denken: Ihm kam meine panische Reaktion wahrscheinlich suspekt vor – oder er wurde von Syrus darauf aufmerksam gemacht – und wollte mich dazu überreden am Duell teilzunehmen.

„Komm schon! Ich weiß, dass du dich in deinem Zimmer verschanzt hast!“, er klopfte wieder, „Ich will nur reden und werde hier nicht weg gehen, bis du mich rein lässt!“

„Geh weg, Jaden!“, antwortete ich so selbstbewusst ich konnte, doch er blieb.

„Ich werde dich so lange nerven und nicht von der Tür weg gehen, bis du sie öffnest.“, ein dumpfer Schlag kam von der Tür und das Licht, das zwischen Tür und Boden hervorschien, verschwand. Er hatte sich wahrscheinlich hingesetzt. Wenn ich seine Beharrlichkeit nicht überschätzte, würde er wirklich die Tür solange belagern, bis ich seinem Willen entsprechend nachkam. Es raschelte vor der Tür, „Ich kann hier Stunden bleiben! Ich habe was zu Futtern und mein Deck!“, er hatte wahrscheinlich ein Sandwich geöffnet oder eine Tüte Chips.

Ich seufzte, ging zur Tür, schloss diese auf und öffnete sie. Da sich die Tür nach innen öffnete purzelte Jaden rücklings in mein Zimmer. Er hatte Krümel um seinen Mund und sah mich von unten mit seinen braunen Augen an, „Das ging schneller als gedacht.“, lächelte er, „Glück für mich, denn ich habe vergessen mir was zu trinken mitzunehmen und diese Chips sind schrecklich salzig.“, mit einem verlegenen Gesichtsausdruck stand er auf, „Du hast nicht zufällig was zu trinken hier?“

Ich ließ ihn eintreten, schloss meine Tür wieder, ging zu meinem Schrank, holte eine Flasche Wasser heraus und warf sie Jaden zu.

Mit einem „Danke“ fing er diese auf, während er sich auf meinen Schreibtischstuhl setzte. Ich selbst nahm mir auch eine Flasche Wasser und ließ mich auf dem unteren der Etagenbetten nieder. Wir saßen einander gegenüber. Ich wusste nicht, womit ich beginnen sollte.

„Warum willst du dich nicht duellieren?“, fragte er neugierig, während er den Schraubverschluss der Flasche öffnete, „Ich hatte vorhin deinen Blick gesehen, als ich ihn herausgefordert habe. Du solltest nicht ständig jeden so ängstlich anschauen. Gehe mit mehr Selbstbewusstsein an den Tag, so wie ich.“ Er lächelte wieder, „Und dann ist ein Duell kein Problem. Ich habe deine Karten gesehen, zumindest einige. Ich finde dein Deck ist der Wahnsinn. Solche Karten sind mir noch nie in einem Duell begegnet. Du könntest diesen – wie hieß er nochmal?“

„Devan.“ antwortete ich monoton.

„ohne Probleme besiegen. Komm schon Jane, das ist deine Chance dich hier zu beweisen. Wenn die Studenten dein Deck sehen, dann wird dir garantiert keiner mehr ein Bein stellen. Jeder wird sich mit dir duellieren wollen. Und dann stehe ich an erster Stelle und fordere dich heraus!“, lachte er. In seinem kleinen Monolog hat er sich selbst heiß auf ein Duell gemacht, aber nicht mich. Ich hatte nicht nur Angst, dieses Duell zu verlieren, sondern auch, wenn ich mein Deck den Studenten hier zeige, dass sie mich deshalb… wie soll ich sagen… verspotten? Ich hatte vor Jahren diese Karten gewonnen gehabt – so wurde es mir zumindest mal gesagt – als ich ein Amateur Turnier gewonnen hatte. Die Angst, dass mir Leute mein Deck streitig machen wollten nagte stets an mir.

„Jaden, du würdest es nicht verstehen.“ Setzte ich an. Wie sollte ich ihm eine Situation erklären, die ich selbst nicht einmal vollständig verstand, „Ich habe Panik. Denke ich an ein Duell, dann beginne ich unkontrolliert zu zittern.“, um meine Aussage zu unterstreichen zeigte ich meine rechte Hand, die ich nicht stillhalten konnte, „Ich habe Angst zu verlieren, fürchte mich vor den Konsequenzen die ein verlorenes Duell mit sich bringen. Sei es Spott, fehlender Rückhalt, Strafen oder-“, oder was? Meine Angst ging tiefer als diese Banalitäten. Diese Furcht grub sich bis in das letzte Eck meiner Seele. Ich fürchtete mich vor einer Dunkelheit, die das Resultat eines verlorenen Duelles sein würde. Woher kannte ich dieses Gefühl?.

„Oder was?“, verlegen sah mich Jaden an, „Komm schon Jane. Keiner wird dich auslachen. Ich wette du bist eine gute Duellantin. Syrus hat mir gesagt, dass diese Karten, die du benutzt schrecklich selten sind. Wenn du solche Karten besitzt kannst du doch keine schlechte Duellantin sein.“, aufmunternd hielt er mir eine Karte hin… MEINE Karte. Ich konnte meinen Augen nicht glauben. Diese Karte war mein absoluter Liebling. Verwundert sah ich ihn an, „Woher-?“

„Die Karte lag noch auf dem Boden. Als du wegranntest hatte ich sie gefunden. Ich wollte sie dir zurück geben, weil ich nicht möchte, dass du ohne deinen Trumpf in dieses Duell gehst. Und mal davon abzusehen… habe ich das Gefühl, dass diese Karte zu dir gehört.“, er lächelte, als ich meine Karte entgegen nahm.

Andächtig musterte ich sie, sagte jedoch nichts. Deswegen war ich noch unruhiger geworden, als ich mein Deck durchging. Sie fehlte. Gerade sie. Warum war ich nicht von selbst darauf gekommen?

„Das Duell beginnt in zwanzig Minuten, Jane. Dein Deck will dir wieder beweisen, was es drauf hat. Mir scheint es so, als wäre es seit einer Ewigkeit nicht mehr benutzt worden.“, freudig stand er auf. Er dachte wohl in diesem Moment wirklich, dass er mich überzeugt hatte. Deshalb hielt er mir erwartungsvoll seine Hand entgegen; sie sollte mir wohl helfen aufzustehen.

Für einen Moment überlegte ich, ob ich wirklich einschlagen sollte. Doch das tat ich nicht. Beschämt wendete ich meinen Blick ab, „Tut mir leid, Jaden. Ich kann nicht.“

Normalerweise hätte er wahrscheinlich noch eine andere Antwort parat gehabt als „Es ist deine Entscheidung.“, doch heute nicht. Er stand auf und verließ mein Zimmer. Ich konnte seine Enttäuschung förmlich spüren.

Kurz nachdem er meine Tür geschlossen hatte, konnte ich hören, wie die Tür zum Nachbarraum geöffnet wurde. Ich wusste gar nicht, dass Jaden im Raum neben meinem lebte. Die Wände waren so dünn, dass ich der Unterhaltung nebenan folgen konnte.

„Und?“, fragte die Stimme von Syrus, „Wird sie sich duellieren?“

„Nein.“, antwortete Jaden ernüchtert. Etwas quietschte. Er hatte sich wohl auf sein Bett gesetzt.

„Ich kann sie verstehen.“, tönte eine andere Stimme. Es war die vom dritten Zimmergenossen. Chumley hieß er, soweit ich wusste, „Wer legt sich denn freiwillig mit einem Obelisken an?“

„Weißt du, Chumley, ich habe ein paar Karten aus ihrem Deck gesehen… diese sind einzigartig…“, das Bett quietschte wieder, „Komm Sy, wir müssen los. Ich muss diesen Devan dazu bringen, sich mit mir zu duellieren.“

Ein paar Momente später fiel die Tür des Nachbarraums ins Schloss und Stille folgte.

Ich trank einen Schluck aus meiner Wasserflasche. Niedergeschlagen sah ich auf meine Karte. Sie fehlte nicht als einzige… oder? Doch bevor ich meine Vermutung überprüfen konnte, vibrierte mein PDA. Es war eine Videonachricht von… Devan? Ich sah sie mir an.
 

Schockiert und zornig packte ich mein Deck, meine Duel Disk und rannte los. Mir war die umgeschüttete Wasserflasche auf dem Boden egal. Für das, was Devan drohte zu tun würde er zahlen! Dafür wird er büßen!

Runde 4: Die Karte

Während ich zum Hauptgebäude der Duell Akademie rannte, sah ich regelmäßig auf die Uhr. Es war kurz vor drei. Wenn ich ausnahmsweise ein wenig Glück hatte, dann wäre Devan noch nicht gegangen und Jaden konnte ihn nicht dazu überreden, sich mit ihm, anstatt mit mir zu duellieren.

Außer Atem hatte ich das Hauptgebäude erreicht, rannte die Treppen herauf, bis ich die Duell Arena erreicht hatte. Es war fünf nach drei. Ich konnte Devans hochnäsige Stimme hören, „Sie ist eine Niete, deshalb kneift sie auch vor dem Duell!! Ich duelliere mich nicht gegen dich, Slifer. Erniedrigend genug, dass ich mich gegen dieses Gör duelliere, aber dann noch eine zweite Herausforderung an diesem Tag… darauf habe ich keine Lust!“, er schien gerade auf dem Absatz kehrt zu machen, doch ich hatte die Arena erreicht, „Warum gehst du?“, rief ich laut und selbstbewusst – war das wirklich meine Stimme? Der Zorn, der in mir brodelte, trieb mich voran.

Irritiert sahen alle Schüler, die sich in dieser Arena eingefunden hatten, um unser Duell zu beobachten, zu mir. Jaden stand bei Devan vor der Duellplattform in der Mitte der Halle und hatte ihn wohl gerade überreden wollen, sich mit ihm zu duellieren.

Eilig lief ich die Treppen herunter, eilte zu Jaden. Dieser sah mich mit einem zugleich freudigen, wie auch irritierten Blick an. Ich nickte ihm zu.

Mein Gegner und ich machten uns bereit, um das Duell zu beginnen. Wir aktivierten unsere Disks und zogen jeweils fünf Karten. Normalerweise rief man Duell, doch es sollte Ehre genug sein, dass ich ihm mein Deck offenbarte.

„Ich beginne!“, rief er, während er eine weitere Karte aus seinem Deck zog. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, „Ich beschwöre deinen Untergang: Auferstandener Zombie!“, Aus dem Boden des Podiums grub sich ein hässliches Wesen frei. Halb verwest, halb menschliche Züge und mit eintausendsechsundert Angriffspunkten schien dies für einen Obelisk Blue ein würdiger Anfang zu sein, „Weiterhin lege ich eine Karte verdeckt und gebe an die Niete ab.“, auch erschien das Hologramm einer verdeckten Karte in seiner Zauber- und Fallenkartenzone. Sein Zug war beendet.

„Wenn das alles war… dann ziehe ich.“, woher nahm ich all das Selbstvertrauen her? Es kam mir so vor, als würden Gewohnheiten aus einem alten Leben auf mich übergreifen. Kein Wunder, das ich in meinem früheren Leben eine gute Duellantin gewesen war, wenn ich mich mit so viel Selbstvertrauen duellierte. Meine Karte, die ich gezogen hatte, war genau die, die ich brauchte, ich lächelte, „Du wirst den heutigen Tag bereuen! Ich rufe den Engel der Würfel!“, in tausende von Würfeln gehüllt erschien meine Karte. Mein Engel trug weiße, kurze Haare mit ein paar dunklen Strähnen. Ihr Kleid war ebenfalls schneeweiß und einige Punkteansammlungen waren darauf zu sehen. Keine aber mehr als sechs zusammen, „Also mein Engel, greif an!“, rief ich.

Mein Gegner lachte, „Dein Engel hat weniger Angriffspunkte als mein Zombie! Somit tust du mir einen Gefallen!“

„Ach ja?“, fragte ich mit einem Grinsen. In dem Moment, in dem mein Engel abhob und ausholte, um den Würfel zu werfen, fiel in der Mitte ein großer Würfel, „Dies ist die besondere Fähigkeit meines Engels! Vor jeder Battlephase, in der mein Engel beteiligt ist, wird ein Würfel geworfen. Die Augenzahl wird mit hundert multipliziert und den Angriffspunkten meines Engels gutgeschrieben.“, der Würfel fiel und blieb bei der Zahl vier liegen, „Somit wird die Angriffskraft meines Engels auf eintausendneunhundert erhöht!“, mein Engel warf den eigenen Würfel, während sie mit einem mächtigen Flügelschlag den Würfel noch zusätzlich beschleunigte. Das gegnerische Monster zerschellte und zerfiel in tausende von Stücken, während sich die Lebenspunkte von Devan sich auf dreitausendsiebenhundert verringerten. Ich sah zu meinem Engel auf, als ich bemerkte, dass sich ihre Angriffspunkte verringerten. Wären sie wieder auf eintausendfünfhundert reduziert worden, wäre das kein Grund zur Besorgnis, da meine Battlephase vorüber war, aber sie verlor weitere fünfhundert Punkte. Sie war nur noch eintausend Angriffspunkte stark. Ich sah zu meinem Gegner, dessen hämisches Grinsen noch noch breiter wurde, als er meine Irritation bemerkte, „Die besondere Kraft meines Zombies lässt dein Monster schwächer werden. Es verliert fünfhundert Angriffspunkte. Weiterhin hast du meine verdeckte Fallenkarte aktiviert: Hordenangriff.“, die Karte offenbarte sich. Auf dem lila Grund der Karte waren drei Zombiemonster zu sehen, „Somit kann ich ein weiteres Monster beschwören. Und zwar genau dasselbe, wie das, welches in der vorherigen Battlephase zerstört wurde. Kehre wieder: Auferstandener Zombie!“, lachte er.

Ich schluckte. Sein Monster war stärker als meines. Ich musste schon wahnsinnig viel Glück haben, damit der Würfel meines Engels im nächsten Zug die Augenzahl sechs anzeigen würde. Ich musste anderweitig meine Lebenspunkte vor größerem Schaden schützen, „Ich spiele eine Karte verdeckt und beende meinen Zug.“

„Ich ziehe.“, verkündete mein Gegner. Nach seinem Gesichtsausdruck zu urteilen, musste er wohl die Karte gezogen haben, auf die er gehofft hatte, „Ich opfere meinen Auferstandenen Zombie, damit ich ihn rufen kann.“, er hielt eine Karte in die Höhe, „König der Zombies.“, der Auferstandene Zombie richtete sich auf, verweste vollständig und bekam eine Krone aus Knochen. Er war nur ein Hologramm, aber ich konnte förmlich den Gestank der Verwesung riechen. Dieses Monster hatte zweitausendvierhundert Angriffspunkte. Weit mehr als mein Engel überhaupt haben könnte. Ich schluckte.

„Jetzt, mein König! Greife ihren lächerlichen Engel der Würfel an!!“, der König holte ein Zepter aus Knochen hervor und richtete es auf meinen Engel. Plötzlich schossen aus dem Boden Hände hervor und zogen an ihr, während der Würfel fiel, „Vergiss nicht ihre besondere Fähigkeit!“, rief ich, und die Augenzahl blieb bei zwei liegen. Somit hatte mein Engel eintausendzweihundert Angriffspunkte. Viel weniger, als der König, aber dennoch konnte ich somit zweihundert Lebenspunkte retten. Die Arme rissen meinen Engel in die Tiefe und vor mir erschien ein verwester Kopf, der mir in den rechten Arm biss. Ich zuckte vor Schmerz zusammen. Dieser Schmerz konnte nicht durch ein Hologramm verursacht werden. Panisch sah ich an die Stelle, an der ich gebissen wurde und meine rote Stulpe nahm ein tieferes Rot an. Ich blutete! Die Angst, die ich allein bei dem Gedanken an ein Duell verspürte, kehrte wieder zurück. Gerade noch so konnte ich mich von meiner Schockstarre lösen und zu Devan sehen, als auf seiner Seite mein Engel erschien, „Was?“, fragte ich entsetzt.

„Zerstört mein König ein Monster, kann ich einen Zombieuntertan-Spielstein rufen. Da ich dein Monster zerstört habe, erscheint es in der Form eines Spielsteines mit eintausendeinhundert Angriffspunkten auf meinem Feld.“

Mein Egel… ich war erschüttert. Sie war verunstaltet. Ihr weißes Kleid mit Blut verschmiert, ihr Gesicht bis zur Unkenntlichkeit zerkratzt und ihre Flügel gebrochen; „Und jetzt, meine Spielmarke, greif diese Niete direkt an!“, rief Devan. Der Engel der Würfel erhob sich, warf den Würfel in die Höhe und schleuderte diesen eher schlecht, als recht in meine Richtung, sie tat es genauso, wie sie es unter meiner Obhut getan hatte. Doch dieser Angriff würde ihr nicht durchgehen. Lieber opferte ich sie, „Nicht so voreilig!“, rief ich wütend, „Ich aktiviere meine Falle: Himmelsruf“, meine Karte aktivierte sich, „Dank dieses Rufes kann ich ein Monster von meiner Hand auf das Feld beschwören: Zeige dich, meinen Egel der Münzen!“, im Licht der Falle flogen hunderte Münzen, die sich langsam zu meinem Engel formten; ein wunderschönes Wesen, mit goldenem, schulterlangen Haar, goldenem Kleid und Flügeln erschien vor mir. Sie hielt eine Münze in der Hand. Sie war eigentlich mit eintausendsechshundert Punkten stärker als die Spielmarke, „Während jeder Battlephase wird eine Münze geworfen. Resultiert der Wurf mit Kopf, so verliert mein Engel fünfhundert Angriffspunkte, werfe ich jedoch eine Zahl, so bekommt sie fünfhundert Angriffspunkte dazu!“, ich warf besagte Münze. Sie drehte sich und drehte sich. Es hing viel davon ab, dass ich meinen Engel behalten konnte. Wenn ich dieses Duell gewinnen wollte, dann musste es Zahl sein.

Die Münze fiel auf den Boden… es war Zahl. Mein Herz machte einen Freudensprung, „Mein Engel gewinnt fünfhundert Angriffspunkte dazu. Somit beträgt ihre Angriffsstärke zweitausendeinhundert.“, kaum hatte ich ausgesprochen erhöhten sich ihre ATK und konterte mit Leichtigkeit den Angriff. Die Spielmarke mit dem Aussehen meines Engels zersprang in zahlreiche kaputte Würfel, während sich die Lebenspunkte von Devan von dreitausendsiebenhundert auf zweitausendsiebenhundert reduzierten.

Ich zog eine Karte, da die Runde meines Gegners beendet war.

„Denkst du, du kannst mich schlagen?“, höhnte er.

„Noch ist nicht die letzte Karte gezogen.“, antwortete ich, „Solange ich noch Karten und Lebenspunkte habe, glaube ich fest an mein Deck.“

„Gehört diese Karte nicht auch in dein Deck?“, fragte er schadenfroh, während er aus seiner Jackentasche eine Karte hervorzog. Ich erkannte sie sofort. Das war mein kleiner Engelsbote. Die Karte, die er in der Videonachricht, die er mir gesendet hatte, drohte zu zerstören. Der kleine Duellgeist der Schneeeule mit etwas zu großen Augen – was sie erst so niedlich machte – schwebte neben ihrer eigenen Karte und schuhute mir zu. Sie hatte Angst. Das konnte ich nur zu gut verstehen. Mein Zorn lebte in mir wieder auf, „Was willst du?“

„Am liebsten würde ich sie zerreißen.“, drohte er, nahm die Karte zwischen die Finger und riss ein minimales Stück ein. Mir blutete das Herz.

„Was ist dein Problem!“, rief ich wutentbrannt, „Lass meine Eule aus dem Spiel und sag mir, was das hier soll!“

„Mein Problem ist es, dass so eine Niete wie du das – in Kennerkreisen – bekannte und vor allem einzigartige Deck der Engel besitzt! Ich will deine Karten!!“

Ich war entsetzt. Genau das war einer der Gründe, weshalb ich mich nicht duellieren wollte, „Ich schwöre dir, wenn du dieser Karte etwas antust, dann wirst du es mit mir zu tun bekommen! Dann bin ich nicht mehr die liebe kleine, stille Jane! Dann bin ich dein schlimmster Albtraum!!“, Zornestränen traten in meine Augen. Wie konnte jemand nur so sein?

„Ich mache dir einen anderen Vorschlag: falls du es wirklich schaffen solltest, dieses Duell zu gewinnen, dann gebe ich dir diese Karte zurück. Verlierst du allerdings, dann übergibst du mir freiwillig dein ganzes Deck.“

Runde 5: Das Duell geht weiter

Ich hörte die Unruhe aus dem Publikum. Mir fehlten die Worte… sah unsicher in die Richtung, in der Jaden saß. Er war selbst ein wenig ratlos. Genauso wie Syrus, der neben ihm saß. Oder Bastion Misawa – der einzige Ra Yellow, der uns Slifers nicht wir Dreck behandelte. Alexis saß bei ihnen in der Reihe. Kurz ließ ich meinen Blick durch den Saal gleiten. Es waren wirklich viele Studenten gekommen. Alle saßen… außer einer. In der Richtung, in der auch Jaden und seine Freunde Platz gefunden hatte, stand einer an das Geländer gelehnt und beobachtete das Duell. Er war anders. Ein Obelisk Blue, doch er wirkte anders… ich wusste nicht woran ich das festmachen konnte, doch sein Blick war nicht so herabschätzend, wie man es von ihm wohl erwarten könnte.

„Und? Was sagst du?“, fragte mich mein Gegner aus dem Hause Obelisk, Devan Yard. Er wollte wirklich, dass ich mein Deck hergebe, wenn ich verliere. Mein Deck war das einzige aus meiner Vergangenheit, das mir noch blieb. Ich zögerte. Doch was sollte ich anderenfalls machen? Er durfte meinen Kleinen Engelsboten nicht zerreißen.

Ich hatte keine andere Wahl, „Abgemacht.“

„Schön.“, freute sich Devan gekünstelt. Ich musste ihn besiegen, koste es, was es wollte.

Tief einatmend sah ich auf die Karte, die ich gezogen hatte. Dies war genau die Karte, die ich gebraucht hatte „Engel der Karten, komm und zeige dich!“, es wurde windig. Hunderte holographische Karten, wirbelten herum und formten meinen Engel der Karten. Sie hatte braune Haare – es waren genau die gleichen Brauntöne, die man auf der Rückseite von Duell Monsters Karten fand. Ihr Kleid war orange-beige; wie bei Effektmonstern; die Augen Türkis und Flieder. Die Fingernägel blau und dunkellila. Alle Kartentypen waren in diesem Engel zu finden. Sie hatte eintausendvierhundert ATK, nicht genug um den König der Zombies zu besiegen, aber ihr Effekt würde mich retten, „Ich aktiviere den besonderen Effekt: Ich ziehe so lange, bis ich fünf Karten auf der Hand habe. Und das Beste ist, ich darf alle gezogenen Karten in diesem Zug verwenden.“, dem Effekt nachkommend zog ich zwei Karten. Die erste Karte war eine Zauberkarte. DIE Zauberkarte, die ich benötigte. Die zweite Karte war ein Monster. Dieses könnte noch sehr nützlich sein, „Ich spiele die Zauberkarte: Gabriels Auftrag!“, die Karte erschien vor mir, „Ich erkläre dir, wie sie funktioniert: ich kann eine Karte vom Friedhof zurück aufs Feld holen, solange dieses Monster vom Typ Engel ist. Ich denke die Wahl fällt mir nicht sehr schwer: Ich rufe meinen Engel der Würfel zurück.“, im hellen Licht der Zauberkarte erschien mein dritter Engel auf dem Feld. Engel der Münzen, Karten und Würfel.

„Was willst du mit diesen läppischen Monstern gegen mich ausrichten??“, lachte Devan.

Ich ließ mich nicht beirren, „Jetzt kommt mein Trumpf zum Einsatz. Devan, du hättest diese Karte stehlen sollen, aber ein guter Freund hat sie vor dir gerettet.“ Mit einem flüchtigen Blick sah ich zu Jaden, der mich erwartungsvoll beobachtete, „Indem ich meine drei Spieleengel opfere, kann ich sie als Spezialbeschwörung rufen: Den Engel der Spiele“, die drei Engel, die zuvor auf dem Feld waren zerfielen in ihre Bestandteile – Karten, Münzen und Würfel – wirbelten zusammen und formten meine Lieblingskarte. Der Engel der Spiele hatte graue, lange Haare. Ihre Augenfarben waren dieselben, wie die meines Engels der Karten. Das Kleid Tiefblau, die Flügel strahlend weiß. Um ihren Hals trug sie eine Karte, als Gürtel aneinander gereihte Würfel und Münzen. Sie war atemberaubend und mit zweitausendvierhundert Angriffspunkten auch ziemlich stark, „Des Weiteren spiele ich die Feldzauberkarte Himmel auf Erden.“, die Umgebung wurde heller, ein Altar erschien zu meiner rechten Seite, ansonsten hatte sich an unserer Umgebung nicht viel verändert.

„Jetzt, mein Engel der Spiele, greife den König der Zombies an!“, rief ich.

„Unsere Monster werden sich gegenseitig zerstören!“, rief Devan irritiert.

„Sicher?“, ich lächelte, „Ich nämlich nicht.“

Er sah zu meinem Engel, begutachtete noch einmal ihre Angriffspunkte. Sie waren um einiges höher, als sein König, „Das liegt an der besonderen Fähigkeit meines Engels. Wenn sie so beschworen wurde, wie eben, dann erhält sie für jeden Engel auf meinem Friedhof einhundert Angriffspunkte. Somit ist sie um dreihundert Angriffspunkte stärker; ihre Punkte betragen zweitausendsiebenhundert.“, der König versuchte sich mit den untoten Armen auf dem Boden zu wehren. Mein Engel allerdings flog über diese hinweg und schleuderte eine Ladung Münzen, Würfel und Karten auf den König herab. Er zerschellte, mein Engel landete wieder auf ihrem Platz.

„Denkst du, ich lasse mich so leicht unterkriegen?“, mittlerweile wurde auch mein Gegner sauer. Ich hatte schließlich sein bestes Monster zerstört, „Da musst du schon früher aufstehen, du Niete!!! Ich ziehe!“, kurz warf er einen Blick auf seine gezogene Karte, „Dein Deck wird in Kürze mir gehören! Ich spiele die Zauberkarte Todesvirus!“, in dem Augenblick, in dem er die Karte aktiviert hatte, verlor mein Engel an Stärke. Sie begann zu schwächeln und schwer zu atmen, während ihre Angriffspunkte auf eintausendneunhundert sanken, „Durch den Effekt meiner Karte verliert dein Monster einhundert Angriffspunkte pro Level… und da dein Monster ein Stufe acht Monster ist, verliert sie achthundert ATK. Doch das war noch nicht alles! Ich rufe ein Monster: Lebensfresser.“ Viele scharfe Zähne, in einem Kreis angereiht, erschienen im Boden. Allerdings hat dieses Wesen keine Angriffsstärke… wahrscheinlich noch nicht. Mein Gegner würde schon dafür sorgen. „Weiterhin spiele ich eine weitere Zauberkarte. Sie nennt sich Lebensopfer. Ich opfere die maximal eintausend Lebenspunkte, die ich opfern kann, um die Angriffspunkte deines Engels der Spiele um die gleiche Zahl zu senken. Somit hat sie nur noch neunhundert Angriffspunkte.“, während er sprach reduzierten sich Devans Lebenspunkte auf eintausendfünfhundert, „Das Beste kommt allerdings noch: Jeder Lebenspunkt, den ich in diesem Duell verloren habe, wird meinem Lebensfresser gutgeschrieben. Insgesamt hat er jetzt zweitausendfünfhundert Angriffspunkte!“, je mehr ATK dieses Wesen im Boden bekam, desto mehr Zähne wuchsen ihm, „Jetzt, mein Fresser – Greif den Engel der Spiele an!“, die Zähne verschwanden im Boden und tauchten unter meinem Engel wieder auf. Wie Pfeile schossen die Zähne aus dem Maul des Lebensfressers, verletzten den Engel der Spiele und auch mich. Meine Lebenspunkte reduzierten sich auf eintausendzweihundert.

Trotz der Schmerzen gab ich keinen Muchs von mir. Ich spielte die Coole, doch Panik schien mich zu übermannen. Es war so gut wie unmöglich, dass ich mich noch länger auf den Beinen halten konnte. Ich spürte, wie sich mein T-Shirt mit Blut tränkte. Die Zähne des Lebensfressers hatten mich hauptsächlich am Bauch erwischt. Ansonsten nirgendwo. Zumindest spürte ich sonst nirgendwo die Wärme von austretendem Blut. Wie konnte das nur passieren? Warum wurde ich in einem Duell verletzt? Ich war kurz davor zu kollabieren und mich zu übergeben. Vornüber gebeugt stützte ich mich auf meine Oberschenkel. Es wäre ein Wunder, wenn keiner meine Schmerzen bemerken würde, obwohl ich mein Bestes daran tat, diese zu verbergen. Die Sicht verschwamm vor mir. Ich hätte mich nicht duellieren dürfen. Nun war mir klar, weshalb ich mich vor einem Duell fürchtete, dabei hatte ich jetzt noch eintausendzweihundert LP.

Ein hoher Ton drang in meine Ohren. Es war das Schuhu von meinem Kleinen Engelsboten. Verzweifelt versuchte sie mich wachzurütteln. Sie wollte nicht zu Devan. Genauso wie der Rest meines Decks!

Mit meiner übrigen Kraft, die ich irgendwie mobilisieren konnte, fand ich meinen Weg zurück ins Hier und Jetzt. Ich sah auf und mein Engel der Spiele war, ganz zur Verwirrung meines Gegners, noch auf dem Feld, „Wenn du dich wunderst, warum sie noch auf dem Feld ist: Das ist der Effekt meines Feldzaubers Himmel auf Erden. Den ersten Angriff übersteht ein Monster von Typ Engel, ohne zerstört zu werden.“

Ich zog eine weitere Karte… und wahrscheinlich die letzte, warf einen kurzen Blick auf sie. Mein Deck würde mich niemals im Stich lassen. Das wusste ich, „Das Spiel ist beendet: Ich spiele Fusion und fusioniere meinen Engel der Spiele auf dem Feld, mit dem Engel der Schatten aus meiner Hand.“, mein Engel der Spiele flog in die Höhe, zur Fusion, genauso wie der Engel der Schatten, „Komm zu mir: Engel der Schattenspiele“, sie hatte schwarze Flügel, schwarze, lange Haare mit wenigen weißen Strähnen, ein schwarzes Kleid, auf dem ein Milleniumsauge zu sehen war. Einige Federn der Flügel waren golden, ihre Augen waren weiß. Um ihren Hals trug sie eine Kette, auf die das Milleniumsauge geprägt wurde. Sie war stark, zweitausendsechsundert Angriffspunkte. Das war allerdings noch nicht genug, um das Duell in diesem Zug beenden, „Weiterhin rufe ich den Gebrochenen Engel.“, sie erschien mit eintausendsiebenhundert ATK, zerrissenem, dunklen Kleid, grauen Haaren. Sie hatte einen niedergeschlagenen Gesichtsausdruck. Es war offensichtlich, dass sie nicht auf dem Feld sein wollte, „Gebrochener Engel“, sie wandte sich zu mir um, „Erlaubst du mir, dass ich deine Fähigkeit benutze?“, sie nickte, flog mit ihren zerfledderten Flügeln in die Höhe und schnappte sich den Lebensfresser. Mit all ihrer Kraft versuchte sie das Ungetüm aus dem Boden zu reißen, „Die Angriffspunkte, von deinem Lebensfresser werden durch das Opfer von meinem Engel um ihre ATK reduziert. Somit bleiben nur noch achthundert. Ich danke dir, Gebrochener Engel, für dein Opfer. Engel der Schattenspiele, lass das Opfer deiner Kameradin nicht umsonst gewesen sein.“, rief ich, „Setze diesem Duell ein Ende und rette den kleinen Gehilfen.“, majestätisch hob sich der Engel der Schattenspiele in die Höhe. Dunkle Nebelschwaden gruben sich in die Tiefen des Schlundes des Lebensfressers. Mein Gegner verlor seine restlichen eintausendfünfhundert Lebenspunkte und somit auch sein Duell.

Niedergeschlagen sank er auf den Boden, „Wie konnte ich gegen eine Slifer Niete, wie dich verlieren?“

Die Hologramme verschwanden, die Duel Disks fuhren herunter. Ich steckte mein Deck in meine Deckbox am Gürtel und lief auf Devan zu, „Wie du gesagt hast, dieses Deck ist einzigartig. Diese Karten gehören mir und ich werde immer, mit all meiner Kraft für sie kämpfen.“, fordernd stand ich vor ihm, hielt meine Hand zu ihm runter, damit er mir meinen Kleinen Engelsboten wieder geben konnte, „Ich glaube ich bekomme etwas von dir.“

„Hey Jane!“, freudig kam Jaden mit Syrus und Bastion Misawa auf mich zu gerannt. Unruhe kehrte wieder in die Arena ein. Die meisten Studenten waren schon dabei sie zu verlassen. Ich wandte mich kurz zu ihm, „Hey Jay. Danke für den Versuch mich aufzubauen und das du mir meinen Engel der Spiele wiedergegeben hast. Ohne sie ist mein Deck nicht komplett…“, Zorn übermannte mich wieder. Wäre ich nicht zornig, so würde ich wahrscheinlich meinen Schmerzen nachgeben, von denen scheinbar wirklich keiner etwas bemerkt zu haben schien. Ich drehte mich zu Devan um, der mittlerweile es geschafft hatte, seine Niederlage einzugestehen und aufgestanden war. „Ich bekomme etwas von dir.“, meinte ich ernst.

Er schien einsichtig. Langsam holte er die Karte aus der Jackentasche.

„Dankeschön.“, freundlich wie ich war, zwang ich mir ein leichtes Lächeln ab. Doch dieses erstarb in Sekunden. Devan machte auf dem Absatz kehrt und rannte davon.

Runde 6: Stopp

Ich war außer mir vor Wut. Nicht nur, dass ich mich wegen diesem Devan vor fast der ganzen Schule duellieren musste, weil er mir eine Karte gestohlen hatte, sondern, trotz all der Risiken, durch die ich vielleicht mein ganzes Deck weggeben musste, und Schmerzen, die mir merkwürdigerweise durch das Duell zugefügt wurden, hatte dieser Obelisk Blue die Dreistigkeit mit meiner Karte wegzurennen.

Wenige Augenblicke, nach denen ich bemerkte, dass er es mit seiner Flucht ernst meinte, rannte ich ihm hinterher. Mir war noch immer übel durch die Folgen von verlorenen Lebenspunkten und mein Körper schmerzte, doch glücklicherweise wirkte das Adrenalin, das im Moment von Devans Flucht ausgeschüttet wurde, schmerzlindernd.

„Halt!“, rief ich ihm hinterher, während ich selbst versuchte ihn mit einem Sprint einzuholen. Er reagierte nicht, schubste stattdessen einige Studenten zu Seite, die gerade die Duell Arena verließen, und eilte die Treppen herunter.

Ich war nicht so rücksichtslos, wie er. Schnell und halbwegs effektiv schlängelte ich mich die bevölkerten Stufen herunter. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Würde er meinem Kleinen Engelsboten etwas antun, könnte ich mir dies nie verzeihen. Ich eilte den Gang entlang. Sah, während ich rannte, um eine Ecke, konnte gerade noch so die Zipfel von Devans blauem Mantel um eine weitere Ecke huschen sehen. Die Kurve würde ich nicht so bekommen, versuchte sie aber dennoch, ohne abzubremsen, zu erwischen. Ich kollidierte mit der Wand, stieß mich ab und rannte weiter. Bis zum Ende des Flures, dann rechts. Ich konnte ihn sehen, „Bleib stehen!“, schrie ich. Je länger ich lief, desto wütender wurde ich.

Ich wusste nicht wie, aber wir hatten die Tennisplätze erreicht. Ein kleiner Hoffnungsschimmer überkam mich: das hier war eine Sackgasse. Schwer atmend hatte ich ihn in eine Ecke getrieben. Irritiert sah er mich an, er hatte wohl nicht damit gerechnet, dass ich ihn irgendwie noch einholen könnte, „Gib mir meine Karte zurück.“, japste ich. Er musste auch mit seinem Atem ringen, doch er… lächelte.

Was zum-? Ehe ich mich versah, hatte er eine Tür hinter sich geöffnet, die ich durch meine etwas tränenden Augen nicht erkennen konnte (meine Sicht war sowieso durch den Schmerz und die Anstrengung verschwommen). Mit einem Lachen ergriff er wieder die Flucht. Ich eilte ihm hinterher.

Die versteckte Tür war ein Notausgang, die uns direkt in den Wald der Duell Insel führte. Ich rannte Devan natürlich nach, doch ich merkte, dass meine Kräfte bald aufgebraucht waren. Meine Beine wurden schwer. Es wurde eine immer größere Herausforderung, nicht über einen Ast oder Stein zu stolpern. Langsam entfernte sich der Obelisk wieder von mir.

Ich war so auf die Verfolgung fixiert, dass ich meine Umgebung nicht mehr richtig wahrnahm. Zwar registrierte ich die Hindernisse auf meinem Weg, doch ich hatte jegliche Orientierung verloren.

Das war mal wieder typisch ich. Wird meinen Kameraden etwas gestohlen, so bekommen sie es nach dem Duell wieder… doch ich musste einen unehrenhaften Duellanten erwischen.

Er bremste abrupt. Ich hatte Mühe, dass ich nicht an ihm vorbeirannte. Scheinbar hatte er es aufgegeben, vor mir wegzurennen.

Devan stand einfach nur da, sah mich an, während wir beide versuchten, wieder durchzuatmen. Mir ging es gar nicht gut. Meine Sicht verschwamm, die Beine zitterten, waren fast nicht mehr fähig, mich zu tragen. Stechender Schmerz zog sich durch meinen Torso.

„Warum?“, fragt er zornig.

Ich verstand nicht.

„Warum hat so eine Niete wie DU dieses Deck?“, er schrie fast.

„Ich… hatte es… gewonnen. In einem… Turnier.“, japste ich, „Maximillian Pegasus… empfand mich für würdig… dieses Deck zu besitzen.“

„Du bist alles andere als würdig!!!“, zornig hielt er meinen Kleinen Engelsboten in der Hand, „Entweder ich bekomme das vollständige Deck, oder niemand!“

Erst jetzt realisierte ich, wo wir waren. Wir befanden uns am Fuß des Wasserfalls.

„Bitte, gib mir meinen Boten wieder.“, trotz meines Zornes versuchte ich es erst einmal freundlich.

„NEIN!“

„Diese Karte bedeutet dir doch gar nichts!!“, schrie ich. Tränen traten in meine Augen, „Das Deck… jede Karte darin ist ein Teil der Seele eines Duellanten. Diese Karte bedeutet mir viel.“

„Denkst du, es war ein Zufall, dass ich gerade DIR Niete ein Bein stelle?!“, wechselte er das Thema.

Ich war irritiert. Mein Atem hatte sich wieder normalisiert, „Ich war der erste Slifer, der an dir vorbei ging.“

„Nein. Ich wartete auf dich, hatte extra dir das Bein gestellt. Ich wusste, dass du dieses Engels-Deck besitzt. Und hätte sich dieser dumme Jaden Yuki nicht eingemischt, dann hätte es niemand bemerkt, dass du dein Deck nicht mehr besitzt.“

„Wie bitte?“, ich war perplex.

„Ich hätte dir gezeigt, dass ich ein paar Karten von dir habe und dich zu einem Duell um dein Deck herausgefordert. So wie eben, doch hätte nicht die gesamte Studentenschaft unser Duell gesehen. Egal wie das Duell ausgegangen wäre, ich hätte dein Deck gehabt.“

„Wie willst du aber, nach so vielen Zeugen, erklären, dass du auf einmal mein Deck besitzt? Wie du sagtest: es ist einzigartig. Es gibt zwar viele Engelsmonster, aber keines, außer die in meinem Deck, sind auch wirklich vom Typ Engel.“, verzweifelt versuchte ich ihm ins Gewissen zu reden, doch irgendwie schien er keines zu haben. Zumindest schien ihn mein Argument nicht zu beeindrucken.

„Du wirst mir dein Deck schenken.“, rief er, „Ansonsten werde ich deine kleine Karte hier in den See werfen.“

Allein schon diese Aussage traf mich mit einem Messerstich in meinem Herzen. Traurig sah ich ihn an.

„Wer wird dir schon glauben? Hier stünde Aussage gegen Aussage. Slifer gegen Obelisk. Wer glaubt denn einem Slifer, wenn ein Obelisk die eigene Unschuld beteuert? Dr. Crowler wird dir auf jedem Fall nicht glauben. Vor allem nicht, nach dem er sieht, dass du mit dem Regelbrecher Jaden Yuki verkehrst.“

Ich sank auf meine Knie. Er hatte recht. Auch wenn ich mit Jaden und jedem, der mich halbwegs leiden kann, bei Kanzler Sheppard auftauchen würde… Dr. Crowler würde die Wahrheit verdrehen und ich mein Deck nie wieder sehen.

„Bitte…“, ich begann zu weinen. Das erste Mal, seit ich aus meiner Bewusstlosigkeit erwachte, weinte ich. Dieses Deck… es war mein Leben… warum auch immer. Meine Beine gaben endgültig nach und ich sank auf den Boden, „Gib sie mir zurück.“

„Seit ich ein halbwegs guter Duellant bin, war mein Ziel nur eines: Ich wollte ein legendäres Deck besitzen. Da gibt es auf der einen Seite natürlich die Decks von Yugi, Kaiba und Joey, die nur durch die Duellanten berühmt wurden. Aber es gibt auch Decks, durch die der Duellant berühmt wird. Hast du mal was von Jesse Anderson gehört? Er besitzt die Kristallungeheuer. Ihm kann ich das Deck nicht streitig machen, er ist ja nicht mal hier an der Akademie. Aber alleine durch seine Karten ist er schon eine Legende!

Selbstverständlich besitzt Maximilian Pegasus selbst ein legendäres Deck: Toon Monster!

Natürlich gibt es auch einzigartige Karten, durch die das Deck legendär wird, wie die Götterkarten, Exodia, die weißen Drachen mit eiskaltem Blick oder die heiligen Ungeheuer, doch diese Karten sind alle außerhalb meiner Reichweite.“, während er sprach, legte ich unbemerkt meine Duel Disk ab. Ich hatte eine Ahnung, der ich nachkommen sollte, wenn der Zeitpunkt reif war. Ohne eine hektische Bewegung öffnete ich den doppelten Gürtel, an dem die Box hing, in der ich mein Deck aufbewahrte, damit dieses im schlimmsten Fall nicht beschädigt werden würde.

„Weißt du, Jane“, jetzt begann er zu schreien, „Wie kommt es, dass DU, solch ein legendäres Deck besitzt?! Du hast es nicht verdient! Diese Engelskarten sollen mir gehören! Du weißt sie nicht einmal zu schätzen!“

„Bitte was?!?!“, jetzt war ich außer Rand und Band, „Du stiehlst meine Karte, wegen der ich mich duelliere! Ich setzte mein gesamtes Deck, damit einer der Karten nichts geschieht! Nachdem ich dieses Duell fair gewonnen hatte rennst du mit meiner Karte weg! Ich folge dir, trotz Schmerzen, über die ganze Akademie Insel!“, hätten meine Beine noch ein wenig Kraft, so wäre ich jetzt aufgesprungen, „Du willst mir etwas über Karten schätzen erzählen?!? In diesem Duell hattest du meinen Engel der Würfel verunstaltet!!! Sie zu einem Zombie gemacht!! Die Karte meines Kleinen Engelsboten angerissen!!! Du bist ein unehrenhafter Duellant! Diese Karten haben mich auserwählt! Nicht dich! Hätten sie dich für würdig befunden, dann wäre dieses Duell anders ausgegangen. Fakt ist, ich habe gewonnen, meine Seele ist mit meinem Deck verbunden.“

Er sah mich wütend an. Seiner Handbewegung nach zu urteilen, würde er jeden Augenblick das machen, wovor ich mich fürchtete. Mein Herz schlug schlagartig schneller. Das letzte bisschen an Adrenalin, das mein Körper mobilisieren konnte, machte sich bemerkbar. Ich sprang auf, der Gürtel mit meiner Deckbox blieb auf dem Boden liegen, direkt neben meiner Duel Disk, und stürzte in Richtung von Devan. Er war gerade – so wie ich vermutet hatte – im Begriff meinen Kleinen Engelsboten in den See zu werfen. Panisch packte ich seinen Arm und riss ihm meine Karte aus der Hand. Dabei schien ich ihn aus Versehen an der Hand zu kratzen.

Voller Zorn riss er seine Hand weg, ich ruderte mit den Armen, um das Gleichgewicht zu halten. Schaffte ich es nicht, würde ich in den See fallen. Devan lächelte hämisch, wie schon so oft an diesem Tag. Er gab mir einen Schubs, der mich –in gefühlter Zeitlupe - rückwärts in den See fallen ließ. Panisch warf ich den Kleinen Engelsboten zu meinem Deck – dort würde er sicherer sein, als im Wasser.

Ich fiel. Es fühlte sich an, wie eine Ewigkeit, bis ich das Wasser berührte. Die Kälte versetzte mich in eine Schockstarre. Ich wusste, bis zu diesem Zeitpunkt gar nicht, ob ich überhaupt schwimmen konnte. Mein Fazit: ich konnte zwar schwimmen, aber nicht bei aufgebrauchten Kraftreserven. Ich konnte mich halbwegs über Wasser halten, doch die Strömung war stärker, als sie zu sein schien, wenn man es beobachtete. Ein Sog zog mich nach unten, weg von der Luft.

Mit meiner letzten Kraft, hielt ich mich noch für ein paar Momente über Wasser. Ich begann zu schreien, sah hilfesuchend zu Devan, der eher an meinem am Boden liegenden Deck interessiert war, als an mir – einer Studentin, die dem Ertrinken nahe war, wenn keiner etwas unternahm.

Verzweifelt versuchte ich mich weiter über Wasser zu halten, strampelte mit meinen Füßen, doch ich verschlimmerte es nur. Ich merkte, wie sich eine Wasserpflanze – eine Alge wahrscheinlich – um mein Fußgelenk wickelte.

Meine Arme wollten mir nicht mehr gehorchen. Die Beine ebenso wenig. Das war es also. Langsam sank ich in die Tiefe. Letzten Endes hatte Devan doch mein Deck bekommen. Die Luft, die ich angehalten hatte, war langsam aufgebraucht. Der Schwindel, der mich schon die ganze Zeit begleitete, verschwamm mit dem Blau des Wassers.

Langsam verlor ich mein Bewusstsein…

Nur ein Wunder könnte mich retten…

Oder ein Held…

Runde 7: Freundschaft

Ich war tot. Das war die einzige Erklärung, die mir einfiel. Unter mir konnte ich etwas weiches spüren… fast schon wie ein Kissen, doch es war auch ein wenig feucht – wahrscheinlich wegen mir. Es war dunkel um mich herum, ein Stimmengewirr drang an meine Ohren. Ich konnte nicht verstehen, was sie sagten, aber mir war bewusst, wer sprach. Es waren meine Slifer Kollegen Jaden und Syrus, doch sie waren nicht tot. Wie konnte ich sie dann hören?

Mit aller Kraft versuchte ich meine Augenlider zu öffnen. Es war schon erstaunlich – solch eine leichte Tätigkeit, die man unzählige Male am Tag vollzog, war ein regelrechter Kampf mit meinem Körper. Er fühlte sich stumpf an und alles schmerzte. Jeder Muskel in meinem Körper signalisierte mir, dass er sehr gereizt war.

Stückchen für Stückchen schaffte ich es, den Kampf gegen meine Lider zu gewinnen. Zwar waren meine Augen jetzt geöffnet, doch ich konnte nur Farbkleckse und Silhouetten erkennen. Eine graue Silhouette mit einem braunen und orangenen Klecks darauf hatte sich über mich gebeugt. Eigentlich hätte ich schwören können, dass es Jaden war, doch dann wäre da kein Grau, sondern Rot. Nach und nach gelang es meiner Sicht, wieder an Schärfe zu gewinnen. Ebenso konnte ich langsam diese Stimmen wieder verstehen.

Es war wirklich Jaden, der sich etwas über mich gebeugt hatte. Neben ihm flog ein kleines, braunes pelziges Wesen mit weißen Flügeln und sah mich genauso besorgt an, wie sein Besitzer. Ich ging zumindest mal davon aus, dass Jaden der Besitzer dieses Geflügelten Kuribohs war. Aus weiter Ferne konnte ich auch meinen Kleinen Engelsboten freudig Schuhuen hören.

Irritiert sah ich meinen Haus- und Augenfarbengenossen an. Er trug seine Slifer Jacke nicht und war nass. In etwa genauso, wie ich.

„Schön, dass du noch unter den Lebenden weilst.“, lachte er. Es schien, dass ein Teil seiner Sorge sich in Luft aufgelöst hatte, in dem Moment, in dem er bemerkte, das ich zu mir gekommen war.

„Was-?“, mein Hals und die Lunge schmerzte. Vor allem der Hals. Wahrscheinlich von meinen verzweifelten Schreien. Ich fühlte mich kraftlos, ausgepowert, „Wie-?“

Es war Syrus, der für seinen Freund antwortete, „Wir hatten gesehen, wie dieser Devan deine Karte in den See werfen wollte, und was du getan hattest. In dem Moment, in dem du auf ihn zu gesprungen warst, um deine Karte zu retten, hatte Jay sich die Jacke ausgezogen.“, Jaden beugte sich ein Stück zurück, damit ich seinen Freund besser sehen konnte, „Als du ins Wasser gestoßen wurdest, geschrien hattest und es offensichtlich war, dass du nicht mehr aus eigener Kraft auftauchen würdet, sprang er dir hinterher und zog dich raus.“, Syrus war voller Euphorie. Ich war Jaden sehr dankbar. In dem Moment, in dem mir selbst klar wurde, dass ich alleine nicht mehr aus dem Wasser kommen würde, hatte ich mit dem Schlimmsten gerechnet, „Vielen Dank, Jaden.“, lächelte ich, „Ohne dich, wäre ich wahrscheinlich nicht mehr hier.“, doch dann stutzte ich, „Versteht mich bitte nicht falsch, aber warum hattet ihr gewartet?“

Dieses Mal war es Jaden, der antwortete, „Ich hatte befürchtet, dass, sobald er uns sieht, er die Karte in den See wirft. Du schienst im ersten Augenblick nicht mehr in der Lage zu sein, überhaupt noch einmal aufzustehen.“, so bedacht kannte ich ihn gar nicht. Normalerweise war er ein Hitzkopf, der immer zuerst handelte und danach überlegte, ob das Handeln in Ordnung war – die Herausforderung zu einem Duell in meinem Namen war das beste Beispiel dafür.

Doch dieses Mal war es nicht so. Vielleicht hatte sein Geflügelter Kuriboh ihm gesagt, er solle noch kurz abwarten? Der Duellgeist war mittlerweile nicht mehr zu sehen.

Plötzlich traf mich etwas, wie ein Schlag. „Mein Deck!“, schockiert richtete ich mich mit dem Oberkörper auf, nur um einen Wimpernschlag später wieder auf dem Rücken zu landen. Meine Wunden machten sich erst jetzt im vollen Umfang bemerkbar, doch glücklicherweise war mein Oberteil so durchnässt, dass man die Flecken als Wasser abtun konnte.

„Ist in guten Händen.“, lächelte Jaden, während er hinter seinem Rücken meinen doppelten Gürtel hervorbrachte, an dem meine Deckbox hing.

Wie gelähmt lag ich auf dem Boden, doch Hoffnung flammte in mir auf, „Und mein Kleiner Engelsbote?“

„Sicher in deinem Deck verwahrt.“, lachte er, „Sy und Chum hatten, als ich ins Wasser gesprungen bin, um dich herauszuholen, dein Deck verteidigt. Du hattest die Karte so gut geworfen, dass sie direkt neben deinem Gürtel landete. Letzten Endes ist dieser Feigling abgehauen. Ich verstehe nicht, wie man so etwas machen kann... Das Deck ist die Seele eines Duellanten… Jetzt mal ehrlich Jane, jedes Deck ist besonders und existiert – in seiner Art – nur einmal auf der Welt… Aber ist dein Deck wirklich so speziell?“, fragend sah er mich an.

Ich nickte, „Einzigartig trifft es besser.“, verlegen sah ich mich um. Prahlen gehörte nicht wirklich zu meinen Lieblingsbeschäftigungen.

„Kann ich es mir mal ansehen?“, fragte er neugierig, „Keine Angst, du bekommst es ja wieder. Es wäre nur ein freundschaftliches Zusammensein, in dem wir dein Deck bewundern.“

Freundschaft? So konnte man die Situation auch erklären. Nur Freunde würden einem über Kilometer folgen, weil man selbst einen Dieb jagte und nur Freunde würden ins kalte Wasser springen, um jemanden zu retten.

Doch hätte ich nicht gedacht, dass das Schließen von Freundschaften so einfach sein konnte. Man durfte es nicht erzwingen, sondern musste es einfach auf sich zukommen lassen. Ich lächelte und nickte, „Gerne. Aber dafür müssen wir erst einmal nach Hause kommen.“, betreten versuchte ich mich aufzurichten. Langsam, Stück für Stück. Es klappte besser, als vor einigen Minuten, doch als ich versuchte, mich hinzustellen, gaben meine Beine einfach nach. Solch einen Sprint waren sie definitiv nicht gewohnt. Mir war diese Situation plötzlich furchtbar peinlich. Ich war noch einmal auf ihre Hilfe angewiesen.

Ein frischer Wind zog durch den Wald und ich begann zu frieren. Heute war ein schöner, warmer Tag, aber im Schatten der Bäume und klitschnass war fast jedes Lüftchen eisig. Verlegen wrang ich meine Haare aus, nahm meinen Gürtel und befestigte ihn wieder an seinem Platz um meine Hüfte.

„Komm, Jane, wir helfen dir.“, es war Jaden, der mir – selbst komplett durchnässt und wahrscheinlich frierend – seine Hand hinhielt, um mir aufzuhelfen. Ich reichte ihm meine und er zog mich hoch. Als er bemerkte, dass meine Beine nicht mir nicht gehorchten, stützte er mich unter meinem rechten Arm. Genauso wie Chumley von der anderen Seite, den ich erst jetzt bemerkte. Syrus, der meine Duel Disk aufhob und Jadens Jacke hielt, sah ihn nur fragend an. Jaden nickte und sein bester Freund legte mir die Jacke über die Schultern, damit ich nicht zu sehr fror.
 

In diesem Aufzug liefen wir durch den Wald. Dank mir zog sich der Heimweg ein wenig – es war sowieso eine weite Strecke.

„Jane?“, begann Jaden eine Unterhaltung, nach einigen schweigsamen Minuten. Ich wusste, dass er Stille nicht wirklich mochte.

Ich sah ihn an. Dank seiner Jacke – die ich mittlerweile auch durchnässt hatte – fror ich wirklich nicht mehr so sehr, „Was ist-?“

„Wie kann es sein, dass unsere Zimmer nebeneinander sind und wir bis heute kein einziges Wort gewechselt haben?“

Irritiert sah ich ihn an. Er schien sich wirklich nicht zu erinnern, weshalb ich ein wenig rot wurde. Um meinen Gesichtsausdruck zu verbergen, sah ich mich ein wenig um, während ich antwortete, „Nunja… das stimmt nicht so ganz…“

„Wie meinst du das?“, fragte er verwundert.

Diesmal war es Syrus, der antwortete, „Jay, kannst du dich wirklich nicht daran erinnern?“

„Woran denn?“, fragte dieser.

„Sie hat uns jedes Mal gegrüßt, wenn wir uns begegnet sind und dir auch nach dem Duell gegen Chazz gratuliert. Du hast sie sogar schon öfter gefragt, ob sie ihr Essen noch wolle.“, ein wenig verständnislos schüttelte Syrus den Kopf, „Deshalb kennt sie doch auch unsere Namen. Wir haben uns vor Wochen einander vorgestellt.“

„Genau.“, stimmte ich zu.

„Ach wirklich?“, angestrengt versuchte Jaden sich zu erinnern, „Ich dachte ich hätte dem jungen mit den schwarzen Haaren hin und wieder gefragt, ob er noch sein Essen essen wollte. Oder war es der braunhaarige?“, er begann zu grübeln.

„Jay, diese beiden Haarfarben sind die von Jane. Du verwechselst sie mit Natsuo Tanaka und Ryouta Katou, hast allerdings immer Jane nach ihrem Essen gefragt, nicht die beiden. Sie ist doch der einzige weibliche Slifer hier.“, seufzte Syrus. Er sagte noch etwas anderes, doch ich hörte es nicht mehr.

Während ich mich zu meiner Linken umsah – denn Jaden sollte nicht meine Scham sehen - und die Schönheit dieses Waldes bemerkte, blieb mein Blick an etwas hängen. Besser gesagt, an jemandem. Zwischen zwei Bäumen stand ein Obelisk Blue und beobachtete uns. Er war groß, schlank. Seine Augen hatten die Farbe von dunklem Stahl. Die dunkelblauen, etwas längeren Haare wehten sachte im Wind, genauso wie der weiße Mantel, der mir verriet, in welchem Haus er war. Ich hätte schwören können, dass er auch der Zuschauer war, der sich bei meinem Duell auf das Geländer gestützt hatte. Das einzige, was ich von diesem Unbekannten wusste war, dass er nicht in meinem Jahrgang war. Hätte ich eine Schätzung abgeben müssen, hätte ich auf die Abschlussklasse, also Jahr drei, getippt. Unsere Blicke trafen einander. Es fühlte sich an, als wäre die Zeit stehen geblieben. Wer war dieser Fremde?

„-oder Jane?“

Schreckhaft sah ich zu Syrus, der neben Jaden herlief, „Bitte was?“, allerdings hielt ich den Blickkontakt nicht. Stattdessen sah ich zu der Stelle, an der der Unbekannte – den außer mir wohl niemand bemerkt hatte –gestanden hatte… doch er war verschwunden.

„Ich meinte, Jaden sollte sich ein bisschen mehr bemühen, seine Umgebung und Mitschüler wahrzunehmen.“, Syrus hatte wohl eine kleine Predigt gehalten, die ich völlig ausgeblendet hatte.

„Ja… irgendwie schon.“, gab ich, immer noch ein wenig irritiert, zurück, den Blick auf der Stelle ruhend, an der der Obelisk Blue vor einem Augenblick gestanden hatte, während ich mich fragte, wer er war und ob wir uns wieder sehen würden.

Runde 8: Zuhause

Es hatte Stunden gedauert, bis wir endlich an der Roten Unterkunft ankamen. Dankbar lud ich Jaden, Syrus und Chumley in mein Zimmer ein, um sich noch ein wenig zu unterhalten und eine Tasse Tee zu trinken.

Mittlerweile – in etwa auf der Hälfte der Strecke – hatte ich meine Beine wieder unter Kontrolle und konnte ohne Hilfe laufen.

Mit einem Tablett, auf dem vier Tassen standen, in der Hand verteilte ich die Heißgetränke. Vor allem Jaden, der auf der Matratze vom unteren Etagenbett saß, nahm seines dankbar an, denn, auch wenn er sich nicht lauthals beschweren wollte, hatte er vor einiger Zeit selbst begonnen zu frieren. Chumley nahm seine Tasse in die Hand und murrte etwas von langem Weg, viel Laufen und warum er kein gegrilltes Käsesandwich bekam. Er saß auf meinem Schreibtischstuhl. Mit einem entschuldigenden Blick vertröstete ich ihn, es gab ja in einer Stunde schon Abendessen und ich hatte in meinem Zimmer weder Brot, noch Käse. Syrus, der neben Jaden auf meinem Bett Platz gefunden hatte, freute sich auch über seine Tasse.

Bevor ich mit der Zubereitung des Tees begonnen hatte, hatte ich Jadens Jacke zum Trocknen aufgehangen und mir im Badezimmer etwas frisches angezogen. Merkwürdigerweise waren Jadens Shirt und Hose längst trocken.

Ich setzte mich auf den Boden und nippte an der Kräutermischung. Die Wärme war angenehm wohltuend.

„So, Jane“, begann Jaden mit erwartungsvollem Blick, „du wolltest uns dein Deck zeigen.“

Mit einem verlegenen Grinsen holte ich meine Karten aus der Box und reichte sie ihm. Aufgeregt betrachtete er jede einzelne, genau wie Syrus neben ihm. Es war mir schon ein wenig unangenehm, wie die beiden bewundernd meine Karten betrachteten.

„Wahnsinn!“, rief Jaden aus, als er die letzte Karte, mein Kleiner Engelsbote, gesehen hatte, „Wir hatten mitbekommen, dass du dieses Deck gewonnen hattest. Wann genau?“

Mir fehlten die Worte. Ich konnte nur das über mein Deck und meine Vergangenheit sagen, was ich von meinem Bruder gesagt bekommen hatte, „Nunja… es ist schon eine Weile her. Allerdings benutze ich es erst, seit ich hier auf dieser Akademie bin. Mein altes Deck war auch gut, doch ich wollte etwas neues ausprobieren. Mich mehr oder weniger neu kennenlernen.“

„Verstehe.“, antwortete Jaden.

Verwundert sah ich ihn an, „Wirklich?“

„Nein.“, lachte er. Syrus schüttelte nur den Kopf, während sein bester Freund fortfuhr, „Ich kann nicht verstehen, wie jemand so nettes wie du, hier keine Freunde gefunden hat. Bis jetzt.“

Ich wurde ein wenig rot.

„Moment mal“, rief Jay aus, „du willst uns sagen, dass du Maximillian Pegasus, DEN Maximillian Pegasus, Schöpfer von Duel Monsters, getroffen hast?!“, er war nicht wirklich das, was man als einen Blitzmerker bezeichnen konnte.

„Nun… ja.“, wenn es mein Bruder so erzählte, musste es so sein. Hoffentlich hakte keiner von den dreien hier nach.

„Wie ist er so?“, diese Frage musste ja kommen. Doch war es nicht Jaden, sondern Chumley, der gefragt hatte, „Mein größter Traum ist, dass ich unter Pegasus Duell Monster Karten entwerfe, deshalb frage ich.“

Unsicher nippte ich an meinem Tee, um mir noch einen Augenblick Zeit zu verschaffen, in dem ich fieberhaft nach Antworten suchte, „Ich finde er ist ein Genie. Er glaubt auch, dass etwas Besonderes in jeder einzelnen Karte steckt, wie zum Beispiel Duellgeister. Als Schöpfer von Duell Monsters muss er ja daran glauben. Wenn nicht er, wer dann?“, mit Wissen aus Berichten und Dokumentationen, an die ich mich zu Erinnern glaubte, versuchte ich seine Frage halbwegs glaubhaft zu beantworten, in der Hoffnung, es würde genügen. Gedächtnisverlust war eine nervige Sache, doch ich blieb optimistisch: Die Erinnerungen kehrten zurück... irgendwann.

„Da du gerade von Duellgeistern sprichst,“, begann Jaden, „glaubst auch du daran?“

Die Köpfe von Syrus und Chumley sanken schlagartig nach unten. Sie hatten offensichtlich nicht die Gabe, die Jaden besaß. Ich wusste, dass er mit seinen Karten sprach – ich machte das auch hin und wieder… vor allem, wenn ich mich einsam fühlte.

Mit einem Lächeln sah ich Jaden an, „Ja. Nebenbei bemerkt finde ich deinen Geflügelten Kuriboh schrecklich niedlich.“

„Ermutige ihn nicht noch.“, Syrus sah mich ein wenig vorwurfvoll an. Doch nur er. Chumley selbst wirkte plötzlich in sich gekehrt, als würde ihm auf einmal bewusst werden, dass er nicht verrückt war.

„Ermutigen?“, fragte ich, „Syrus, glaub mir: Duellgeister sind keine Einbildung. Ich glaube fest an sie. Jaden ebenso. Wenn sogar Pegasus von ihrer Existenz spricht, dann muss doch ein Fünkchen Wahrheit dabei sein.“, mit einem Flügelschlag und glücklichen „Schuh“ flog mein eigener Duellgeist aus seiner Karte heraus und landete auf meinen Beinen. Ihre großen, blauen Augen sahen mich freudig an. Lächelnd fügte ich hinzu, „Duellgeister existieren wirklich, Sy.“, am liebsten würde ich meinen kleinen Boten knuddeln oder streicheln… Leider war dies der Nachteil am Geisterdasein: Berühren war unmöglich.

„Das ist also dein Duellgeist?“, Jaden war sichtlich amüsiert, hob die Karte meines Boten in die Höhe… obwohl ich war mit nicht sicher, ob er meine Botin auch detailliert oder nur schemenhaft erkennen konnte, denn sein Geflügelter Kuriboh war für ihn noch nicht erschienen… er konnte ihn noch nicht sehen.

„Ja. Und sie war die Karte, die mir gestohlen wurde. Versteh mich nicht falsch, ich hätte bei jeder Karte aus meinem Deck so gehandelt, aber mein Bote… sie ist… ich weiß nicht einmal, wie ich es in Worten ausdrücken kann.“, überglücklich sah ich meine Gäste an, „Ich hätte nicht gedacht, dass der Tag, nach diesem Duell und der Verfolgungsjagd, so gut ausgehen würde… Dafür danke ich euch. Ohne euch wäre das nicht möglich gewesen. Auch wenn ich irgendwie aus dem See von selbst herausgekommen wäre… mein Deck wäre mit Sicherheit nicht mehr bei mir.“

„Das ist doch klar wie Klosbrühe.“, lachte Jaden, als sein Geflügelter Kuriboh sich wieder blicken ließ und er mit meinem Boten fangen spielte, „Dafür sind Freunde doch da.“

Ich nickte. Wie schon erwähnt… für mich war eine Freundschaft nicht selbstverständlich. Ich konnte mich an keinen einzigen Freund erinnern und in den Wochen, in denen ich, als ich wach war, die Sekunden gezählt hatte, bis ich endlich das Krankenhaus verlassen und nach Hause durfte (wobei ich nicht einmal wusste, wie mein Heim aussah, oder wo es sich befand) tauchten nur mein Bruder, täglich, und seine Freunde, alle paar Tage auf. Ja, sie waren unsere Freunde, doch merkwürdigerweise hatte ich scheinbar keine einzige Person, die sich sonst noch um mich gesorgt hatte. Nicht einmal Eltern…

„Für dich ist das nicht selbstverständlich, oder?“, es war Syrus, der mich aus meinen Gedanken riss. Jaden schien den Stimmungswechsel von mir nicht bemerkt zu haben. Zu seiner Verteidigung: Er hatte es nicht so mit Emotionen deuten.

„Leider nein.“, seufzte ich, „Ich glaube nicht einmal, dass ich jemals richtige Freunde hatte…“, zumindest konnte ich mich an keine erinnern.

„Jetzt hast du sie aber. Und die wirst du auch nicht mehr so einfach los.“, Jaden reichte mir mein Deck, „Es wäre mir eine Ehre, wenn wir uns duellieren würden.“

In Sekundenbruchteilen schien mir jegliche Freude absent zu sein. Kein Duell. Nicht nach den REALEN Wunden! Natürlich konnte ich ihnen nichts davon erzählen; wenn sie wirklich Freunde wären, würden sie sich nur zu sehr sorgen, „Ähm… nicht heute, Jay.“, während ich sprach, wunderte ich mich, seit wann ich Namenskürzel verwendete. Es war eigentlich Fremden gegenüber respektlos. Doch ich rief mir wieder in Gedanken, dass die drei hier Freunde waren, „Und auch nicht die nächsten Tage. Ich liebe mein Deck zwar, aber ich gehe einem Duell lieber aus dem Weg, als es zu bestreiten.“, mit einem Lächeln fügte ich hinzu, „Aber ich stehe gerne bei jedem Duell hinter dir. Als Unterstützung.“

„Schade.“, gab er ein wenig enttäuscht zurück, „Vielleicht überrede ich dich irgendwann noch dazu.“

Gerade in dem Moment, in dem ich antworten wollte, klingelte mein Mobiltelefon.

Runde 9: Telefonat

Mein Bruder hatte mir dieses Handy geschenkt. Als es plötzlich seinen Klingelton abspielte zuckten wir alle erschrocken zusammen.

„Ich glaube, das ist für mich.“, verwundert stand ich auf, ging an die Schreibtischschublade, öffnete diese und nahm das klingelnde Handy in meine Hand. ‚Ani‘ stand auf meinem Display (die geschriebene Form vom gesprochenen Aniki, was Bruder bedeutet). Zögernd sah ich zu Jaden. Dieser war mit seinen Zimmergenossen mittlerweile aufgestanden und auf dem Weg zur Tür, „Wir sehen uns ja gleich zum Abendessen.“, winkte er mir zum Abschied, während er sich seine Jacke schnappte, die ich an meine Schranktür auf einen Bügel gehangen hatte, damit sie besser trocknen konnte. Innerhalb eines Augenblickes war mein Zimmer wieder leer. Das Gefühl von Einsamkeit machte sich ein wenig in mir breit. Mein Bruder hatte die schreckliche Angewohnheit, sich immer im falschen Moment zu melden.

Mit einem „Hallihallo“ nahm ich das Gespräch an.

„Hey, Schwesterchen.“, seine ruhige und angenehme Stimme ließ dieses ekelhafte Gefühl, wieder alleine zu sein, verschwinden, „Rate mal, was ich von einem Vöglein gehört habe.“, lachte er durch den Hörer.

„Keine Ahnung.“, antwortete ich. Wahrscheinlich wollte er mir zu meinem gewonnenen Duell gratulieren.

„Na rate doch mal.“, es war wirklich hart, ihm etwas auszuschlagen.

„Wahrscheinlich Gezwitscher.“, witzelte ich. Mir war klar, dass ich nicht sonderlich lustig war, doch so konnte ich wenigstens verhindern, dass ich etwas verrate, wovon ich annahm, dass er es wusste, auch wenn er es nicht tat. Hellsehen konnte ich leider nicht. Genauso wenig, wie Gedanken lesen.

„Miieeeeppp.“, ahmte er einen Buzzer aus einer Quizsendung nach, „Falsche Antwort. Mir wurde zugeflüstert, dass du dich duelliert hast.“

„Bin ja schließlich auf der DUELL Akademie.“, gab ich zurück. Zu gerne hätte ich gewusst, wer ihm das erzählt hatte… wobei… eine leise Ahnung hatte ich schon… oder auch zwei, wenn er wirklich das technische Können besaß, die Daten und Erfahrungspunkte, die man mit einem Duell sammelte, abzufangen.

„Und gewonnen!“, freute er sich, „Ich hatte wirklich befürchtet, dass du dich, nach unserem Duell im Krankenhaus, nie wieder duellieren würdest. Mir war klar, dass du es nicht lange ohne ein Duell aushalten würdest. Das ist meine Schwester!“

Gerade die letzten beiden Sätze machten mich traurig. Er sprach von der Schwester, die dieses Selbstvertrauen hatte, das ich in meinem Duell an den Tag gelegt hatte. Doch das war ich nicht… mehr. Doch ich wollte ihm diese Illusion nicht nehmen. Es war schon schwer genug für mich, damit klar zu kommen… da wollte ich ihn nicht auch noch damit belasten. Schlimm genug, dass er von meiner Amnesie und Duellphobie wusste, „Nunja… so bin ich halt.“, belog ich ihn. Diese Lüge zerriss meine Seele, doch es war besser für ihn. So musste er sich wenigstens keine Vorwürfe machen.

„Ich bin so heil froh, dass du wieder zu dir findest, Jane.“, er wartete einen Moment ab, als würde er eine Antwort erwarten, doch dann fuhr er fort, „Ich wusste, dass es eine gute Idee war, dich hier auf die DA zu schicken; die beste Duellschule auf diesem Planeten! Und du Schauspielerin schreibst mir heute Mittag noch, dass du hier weg willst!“

Er kannte mich wirklich nicht. Ich gab ein glaubhaft gestelltes, „Erwischt.“, zurück, „Es sollte eine Überraschung werden. Mein Gegner war ein Obelisk Blue.“

„Sogar noch ein Obelisk!“, er war ganz aus dem Häuschen. Seine Stimme war ein klein wenig zu hoch für einen Mann seines Alters. Insgesamt lagen zwölf Jahre zwischen uns und trotzdem konnten wir über dieselben Dinge lachen, reden und schmunzeln, als wäre der Altersunterschied gar nicht so groß. Ich ging, da ich mich nicht erinnern konnte, davon aus, dass er mich zum Großteil erzogen hatte.

„Ja. Ich habs ihm ganz schön gezeigt. Er wird jetzt nicht mehr so hochnäsig uns Slifern gegenüber sein.“, das hoffte ich zumindest, obwohl ein Gefühl an mir nagte, dass ich noch nicht fertig mit Devan Yard war. Er würde sich irgendwann bestimmt noch für die Schmach auf dem Duellfeld rächen.

„Ich bin so stolz auf dich, mein Schwesterchen. Mir ist klar, dass es hart für dich war, als wir dich weggeschickt haben, doch es ist nur zu deinem Besten. Mittlerweile denke ich, dass du das verstehst.“

„Mhm.“, gab ich zurück.

„Was gibt es denn sonst noch neues? Es geht hier um dich und trotzdem rede ich fast die ganze Zeit.“, lachte er.

Leise atmete ich ein. Von den realen Wunden, die durch dieses Duell verursacht wurden, würde ich wahrscheinlich niemandem etwas erzählen. Ich wollte nicht, dass sich jemand um mich sorgte. Vor allem nicht die Menschen, denen ich vertraute. Auch würde ich mit keinem Sterbenswörtchen die Tatsache erwähnen, dass eine Karte aus meinem Deck gestohlen wurde – und ich mich nur deshalb duelliert hatte – oder das ich fast wegen dieser Karte ertrunken war. Doch es gab etwas, das ich ihm erzählen konnte. Es würde ihn sogar noch freuen, „Nunja… ich habe neue Freunde… also wird mein Akademiealltag nicht mehr so trist und einsam sein.“

„Das ist ja großartig.“, er jubelte, „Es läuft besser, als erwartet, Schwesterchen. Du nimmst mir eine Last vom Herzen. Nach deiner Mail heute Mittag hatte ich das Gefühl, dass es die falsche Entscheidung war, dich hier einschreiben zu lassen.“

Wenn du nur wüsstest… ich senkte traurig meinen Blick, „Alles ist super hier.“

„Klasse.“, dann herrschte einen Augenblick lang Stille, „Ach herrje. Ich habe ja noch einen Termin.“, scheinbar hatte er einen Blick auf seine Uhr geworfen, „Also, ich bin stolz auf dich, egal was passiert. Pass auf dich auf. Wir hören uns bald wieder.“ und die Leitung war tot. Ein kurzes Telefonat voller Lügen. Doch es war besser für ihn. Für alle.

Langsam stand ich auf, ging zu meinem Schrank und holte Verbandszeug heraus. Erst zog ich meine rechte Armstulpe aus, betrachtete die Wunde. Es war ein definierter Gebissabdruck des Zombies. Merkwürdigerweise war meine Kleidung nicht beschädigt. Nur meine Haut, nur ich selbst war verletzt. Das würde Wochen dauern, bis diese Wunde verheilt sein würde. Vielleicht blieb sogar eine Narbe zurück. Es wäre nicht die erste an meinem Arm. Beide waren mit Brandwunden übersäht, weshalb auch immer.

Fast schon routiniert verband ich meine Wunde – warum konnte ich das? Zu viele Fragen für einen Tag. Ich entschied mich, heute nicht weiter darüber nachzudenken, was einmal war, sondern eher über das, was sein wird. Deshalb verband ich meinen Bauch, der aussah, als hätte jemand mehrmals auf mich eingestochen, ohne weitere Überlegungen und packte mein erste Hilfe Material wieder in den Schrank, wo es hingehörte und hoffentlich auch lange bleiben würde.

So wie mein Bruder vor einigen Minuten, warf auch ich einen Blick auf meine Uhr. Es war Punkt sieben. Zeit zu Abend zu essen. Ich verstaute mein Deck in der Box und verließ mein Zimmer. Langsam lief ich den Balkon entlang, die Stufen herunter, in Richtung Speisesaal. Als ich die Tür öffnete, waren Jaden, Syrus und Chumley schon da, „Hey, Jane“, rief ersterer und winkte mich zu ihnen, „Komm, wir haben dein Essen schon geholt. Setz dich zu uns.“, das war das erste Mal, dass ich nicht alleine aß.

All meine Traurigkeit war verschwunden. Jaden und die anderen schafften es irgendwie, dass ich auf einmal viel optimistischer wurde. Mit einem breiten Lächeln setzte ich auf den einzigen freien Platz am Tisch, neben Jaden an die Wand; Chumley gegenüber. Heute gab es Hähnchen Süß-Sauer, eines meiner Leibgerichte. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich einen Mords-Hunger hatte. Das Mittagessen ließ ich ausfallen, die ganze Anstrengung… kein Wunder, dass ich erschöpft und hungrig war. Gemeinsam aßen wir, scherzten und ließen diesen teils schrecklichen, teils schönen Tag friedlich ausklingen.

Runde 10: Geistergeschichten

Es waren einige Tage vergangen, seit ich mein Duell gegen Devan Yard gewonnen und Freundschaft mit Jay, Sy und Chum geschlossen hatte. Bisher hatte ich kein einziges Mal alleine gegessen, saß im Unterricht eine Reihe hinter meinem angestammten Platz, bei meinen Freunden, war fast keinen Augenblick einsam UND alle Obelisk Blues hatten begonnen, mich in Ruhe zu lassen. Meinen Duellgegner hatte ich das letzte Mal gesehen, als er mich ertrinken lassen wollte. Auch bin ich dem unbekannten Obelisken nicht noch einmal begegnet. Mittlerweile begann ich zu zweifeln, ob er überhaupt real war, oder nur Einbildung. Ich war an diesem Tag völlig von der Rolle – demnach wäre es nicht verwunderlich, wenn ich noch eine Halluzination gehabt hätte.

Heute war Donnerstag. Der Unterricht war wie gewohnt eine Mischung aus interessanten und langweiligen Informationen – nein, ich hatte nicht, wie Jaden, angefangen dem Unterricht nicht zu folgen oder sogar zu schlafen. Danach haben wir ein wenig das Meer beobachtet, zu Mittag gegessen, Quatsch gemacht, zu Abend gegessen…

Wir saßen immer noch in der Mensa unserer Unterkunft, aber nicht um etwas zu essen. Eine brennende Kerze stand auf dem Tisch, ein Deck lag daneben. Jaden hatte die Idee gehabt, dass wir eine Karte aus diesem Stapel an Monsterkarten ziehen und, je nach Level des Monsters, eine mehr oder weniger gruselige Geschichte erzählen sollten. Glücklicherweise war ich zwar schreckhaft, was das normale Leben betraf, doch Geschichten jagten mir nur selten Angst ein.

Syrus hatte seine gerade beendet, „-schießt ein Arm hoch, packt mich und versucht mich ins Wasser zu ziehen!“, sein Gesichtsausdruck wirkte panisch, „Hilft mir! Nicht das Wasser! Alles, bloß nicht ins Wasser!“

Amüsiert lehnte Jaden sich zu Syrus, der gerade versuchte nach der fiktiven Wasseroberfläche zu greifen oder hochzuschwimmen, „Hey, vor Wasser braucht man doch keine Angst zu haben“

„Schmutziges Schlammwasser.“, ergänzte der Geschichtenerzähler noch. Ich saß neben Jaden und war, so wie er selbst, eher von Syrus‘ Geschichte amüsiert, als verängstigt. Ganz im Gegenteil zu dem, was Chumley zu empfinden schien. Er hatte einen Satz nach hinten gemacht und drückte sich ängstlich in die Ecke.

„Ich glaube, du hast recht: Nur ein Angsthast fürchtet sich vor Wasser.“, fügte der Blauschopf nach einem Augenblick hinzu.

Jaden sah sich die Karte an, die sein bester Freund gezogen hatte. Es war ein Monster des Levels vier, „Trotzdem, ne gute Geschichte. Mittelmäßige Angst, vor einer mittelmäßigen Karte“, er legte die Karte auf den Tisch und sah mich an, „Du bist dran, Jane.“

Ich nickte und zog eine Karte. Es war ein Monster der Stufe acht. Ängstlich sahen mich Syrus und Chumley an. Was für eine Geschichte sollte ich ihnen nur erzählen. Groß war mein Repertoire nicht wirklich. Aber vielleicht… „Nun… es ist nicht wirklich eine Geschichte, sondern eher ein Traum, den ich heute Nacht hatte.“

Die Blicke aller ruhten gebannt auf mir. Ich begann mit verschwörerischem Ton:

„Es handelt von einem Studenten hier, auf der Akademie. Es ist Nacht. Kalt. Er rannte. Versuchte dem Ungewissen zu entkommen. Er wusste nicht, was ihn jagte. Doch ihm war klar, dass er, wenn Es ihn einholte, nie wieder den Morgen sehen wird. Nie wieder Tageslicht. Nur Dunkelheit.

Weshalb Es ihn jagte konnte er nur erahnen. Er hatte etwas falsches getan. Etwas Unrechtes. Doch bereute er diese Entscheidungen. Ängstlich rannte er durch den Wald der Duellinsel. Es dauerte noch Stunden, bis der Tag anbrach… bis dieses Wesen ihn nicht mehr jagen konnte… Nein… es war kein Wesen… es war mehr ein schwarzer Nebel… dichter, als jeder Nebel, den ihr in eurem Leben schon gesehen habt. Es war die Manifestierung von Schatten.

Sie wollten ihn holen kommen.

Ihn bestrafen.

Ihn in die finsteren Pläne mit einbinden.

Würde er das Morgengrauen erleben… er würde sich entschuldigen.

Er rannte immer weiter.

Allerdings war ihm nicht bewusst, dass er dem Unheil in die Arme lief. Je weiter er flüchtete, desto schneller würde er bei den Schatten sein.

Der Wald birgt so manche Gefahren. In der Dunkelheit noch mehr, als bei Tageslicht. Es war ein Fehler in den Wald zu laufen. Er hätte auf lichtem Gebiet bleiben sollen. Doch dieser Fehler wurde ihm erst jetzt bewusst. Nicht nur für ihn unsichtbare Wurzeln waren eine Gefahr. Vielmehr noch die unzähligen Augen in der Finsternis, die jede seiner Bewegungen beobachteten. Und auf den rechten Moment warteten…“

Ich machte eine kurze Pause, um die Atmosphäre wirken zu lassen.

Dann fuhr ich fort,

„Er rannte. Immer weiter…

Immer tiefer in den Wald hinein… Er wusste nicht einmal mehr, wo er war… Stunden vergingen… bald würde die Sonne aufgehen.

Das tat sie auch.

Langsam.

Aber stetig.

Leider nicht schnell genug.

Wäre die Sonne schneller aufgegangen hätte er sie gesehen.

Die Wurzel, über die er – mit seiner sowieso schwindenden Kraft – stolperte.

Er fiel.

Landete auf dem Waldboden.

Er war nicht schnell genug.

Die Helligkeit war in greifbarer Nähe.

Eine Armlänge entfernt.

Doch die Bäume warfen Schatten.

Der Schatten holte ihn schnell ein.

Er kroch weiter.

Verzweifelt.

Ängstlich.

Mit der Hand konnte er das Sonnenlicht spüren.

Doch nur sie befand sich in der Helligkeit.

Der Schatten hatte ihn erreicht.

Ihn gepackt.

Von der Sonne weg gezogen.

Niemand konnte ihn jetzt noch retten.

Der Schatten war nun eins mit ihm.

Und er war eins mit dem Schatten.“

Beendete ich meinen Traum von voriger Nacht. Ich erwachte bei Sonnenaufgang mit einem erstickten Schrei. Das einzige, was ich in dieser Geschichte nicht erwähnt hatte war, dass dieser Schüler, ER, eine Obelisk Blue Uniform trug. Zum Glück war es nicht der Unbekannte, sondern irgendjemand anderes. Der Großteil der Uniform von IHM, aus meinem Traum, war blau und nicht weiß.

Ich sah alle mit einem Grinsen an, um zu verbergen, dass auch ich ein starkes Unbehagen fühlte, wenn ich an diesen Traum dachte. Für die anderen war es nur eine Geschichte. Sie war für Sy und Chum schon so gruselig, dass sie einander umklammerten und mich entsetzt anstarrten… als wäre ich persönlich dieser Schatten, von dem ich geträumt hatte. Doch ich war nicht der Schatten. Es war keine Geschichte… für mich fühlte es sich viel, viel echter an.

Einen Moment schwiegen alle. Verängstigt. Keiner wagte etwas zu sagen. Ich konnte förmlich das verängstigte Klopfen eines jeden Herzens hören.

Dann brach Jaden die Stille, „Jetzt bin ich dran. Hoffentlich ziehe ich eine Karte mit hohem Level. Ich muss ja schließlich die Geschichte von Jane toppen.“, meinte er, während er die oberste Karte umdrehte. Es war ein Level eins Monster. Ganz zur Erleichterung von Syrus und Chumley, „Oh, du hattest echt Glück. Mit dieser schwachen Karte musst du uns nicht zu doll erschrecken.“, meinte ersterer.

Jaden grinste nur verlegen während er begann, „Ok… ich glaube, ich habe eine Geschichte, die dazu passt.“, er legte die Karte auf den Stapel der schon gezogenen Karten, lehnte sich daraufhin auf den Tisch, „Nunja… eher eine… Erinnerung.“, er begann an die Zeit zurückzudenken, während er seinen Kopf auf den Händen aufstützt, „Als ich noch ein kleiner Junge war, hörte ich immer diese merkwürdigen Geräusche… aber nur tief in der Nacht. Ich glaubte das hätte ich geträumt, aber dann… hörten sie sich wie Stimmen an. Ich ging raus, um nachzusehen, was los war… aber immer, wenn ich das tat, war nichts da. Gar nichts. Das heißt… bis auf meine Karten…“

„Und?“, fragte Syrus verwundert. Ich lächelte in mich hinein. Er hatte schon als Kind eine starke Bindung zu seinen Karten. Natürlich waren diese Stimmen, die er hörte, von Duellgeistern…

„Das wars schon. Ende der Geschichte.“ Grinste er.

„Das war alles?“, fragten Sy und Chum enttäuscht.

„Aber soll ich euch mal was komisches erzählen? In letzter Zeit höre ich sie wieder.“, meinte Jaden. Ich wettete mein gesamtes Deck darauf, dass er an den Geflügelten Kuriboh dachte. Somit war meine Vermutung bestätigt. Er konnte sie nicht sehen… noch nicht. Er hatte, als er meinen Kleinen Engelsboten in der Hand hielt, nur ihre Stimme gehört. Sonst nichts.

„Hahaha, wie sieht es aus? Darf ich beim Angst einjagen mitmachen?“, fragte plötzlich eine Stimme hinter uns.

Runde 11: Die verlassene Unterkunft

Wir erschraken alle fürchterlich, als sich in unserem Gruselspiel plötzlich eine weitere Stimme einmischte.

Nunja… eigentlich hätten Syrus und Chumley ihren Besitzer sehen müssen… doch sie wahren wahrscheinlich noch von Jadens Geschichte irritiert. Ich fuhr schrecklich zusammen, fiel fast von meinem Hocker. Syrus hatte sich kurzweilig unter dem Tisch versteckt, von Chumley fehlte plötzlich jede Spur. Immer noch unter Schock sahen wir Professor Banner an, der seine getigerte Katze Pharao im Arm hielt.

„Das haben Sie doch gerade getan!“, beschwerte sich Syrus.

„Ich habe mir vor Schreck fast in die Hose gemacht.“, stimmte Jaden mit ein.

„Das war ganz schön gemein, ehrlich.“

Der Professor wollte uns zwar Angst einjagen, aber mit so einer Reaktion hatte er nicht gerechnet. Im Übrigen hatte ich, als ich meinen Blick von unserem Hauslehrer abgewandt hatte, Chumley gefunden. Er kauerte in derselben Ecke, in der er sich schon bei Syrus‘ Geschichte versucht hatte zu verstecken. Allerdings hatte er bei seinem ‚Fluchtversuch‘ den Tisch zwischen unserem und er rettenden Ecke umgeworfen.

„Aber da Sie ja schon mal hier sind, können Sie ja auch eine Karte ziehen. Und je höher das Level, desto furchteinflößender muss Ihre Geschichte sein.“, Sy hatte sich wohl von seinem Schreck erholt. Genauso wie Jay und ich. Nur Chumley blieb verängstigt in seiner Ecke.

„Gern Jungs, von mir aus. Nichts leichter, als das.“, antwortete Banner, während er eine Karte nahm… sah er mich mittlerweile als Junge? Egal, „Dann wollen wir mal sehen.“ Es war eine der stärksten Karten in diesem Deck. Um nicht zu sagen DIE stärkste Karte.

„Wahnsinn, das ist ja ein Level zwölf Monster.“, Jaden war beeindruckt. Ich schluckte nur, gespannt, welche Geschichte er uns erzählen würde.

Syrus nicht. Er bekam es mit der Angst zu tun, „Ich glaube ich muss ins Bett… bin nämlich hundemüde.“

Banner lachte nur, während er sich an Chumley – der immer noch in der Ecke stand – wandte, „Was ist denn los mit dir? Willst du nichts über die verlassene Unterkunft, ganz am Ende unserer Insel hören?“

Jaden war interessiert, „Was, eine verlassene Unterkunft?“

„Ja.“, begann Banner, „Heute spricht niemand gern darüber, aber es gab mal eine ganz spezielle Unterkunft am Waldrand. Sie wurde geschlossen, nachdem mehrere Studenten dort auf mysteriöse Weise verschwanden.“

Syrus schluckte, „Verschwunden? Aber wohin denn?“

„Tja, das weiß keiner so genau, aber es wird gemunkelt, es hätte etwas mit den Spielen der Schatten zu tun.“, er hatte sich einen Hocker genommen und hingesetzt. Unser Unwohlsein schien ihn zu belustigen.

„Danke, das reicht! Sie können jetzt aufhören.“, meldete sich Chumley zu Wort, der sich hinter dem umgestürzten Tisch schon fast verbarrikadiert hatte und nur mit seinem Kopf über die Kante lugte.

„Seht ihr, Spiele der Schatten waren Duelle-“, als er mit der Definition begann, klinkte ich mich aus.

Diese Unterkunft… war es nicht der Ort, an dem mein Traum begonnen hatte? Ich schloss kurz meine Augen, um mich zurückzuerinnern. Es sah mal wie ein nobles, aber verfallenes Gebäude aus. Er stand am Eingang, als dieser Schatten… diese Finsternis auf ihn zukam. Hatte er ein Spiel der Schatten verloren? Auch wenn ich an sie glaubte, war es doch unwahrscheinlich, dass es sie hier auf der Insel gab. Oder? Immerhin betonte mein Bruder in jedem Telefonat, wie sicher es hier sei.

Auch hätte ER im Tageslicht keine Chance auf Entrinnen gehabt… Spiele der Schatten waren auch problemlos tagsüber zu spielen.

Banner lachte, nachdem Jaden etwas gesagt hatte, „Ich finde, an solchen Märchen ist immer auch etwas Wahres dran… ich meine, sowas denkt sich doch niemand aus.“, Pharao maunzte. Ein Signal für Banner aufzustehen, „Tja. Pharao ist müde. Dann werde ich mal gehen… machts gut, Jungs.“, er verließ die Mensa mit einem Grinsen. Während er die Geschichte erzählt hatte, hatte er auch kein einziges Mal sein Lächeln verloren.

„Gute Nacht.“, riefen wir ihm gemeinsam hinterher.

Als wir ihm noch hinterhersahen begann Syrus, „Sagt mal… ist das vielleicht dieses unheimliche Gebäude, das ich im Wald gesehen hab?“

„Schon möglich.“, antwortete Jaden und sah ihn an, „Du kannst es uns ja morgen Abend zeigen, wenn du willst.“

„Was?“, Syrus und Chumley waren verlegen. Auch ich empfand dies als keine gute Idee.

„Das wird echt lustig.“, jubelte Jaden

„Ich weiß nicht…“, äußerte Chumley seine Zweifel

„Das kann ja was werden.“, stimmte Syrus zu.

„Ich glaube nicht, dass das so eine gute Idee ist.“, murmelte ich laut. Irgendetwas stimmte nicht. Ich hatte so ein ganz mieses Gefühl...

Runde 12: Ein wenig zu spät

Es war ein Fehler, dass wir am vorigen Abend so lange aufgeblieben waren. Zwar war endlich Freitag, doch irgendwie mussten wir erst einmal den Unterricht überstehen. Hundemüde stützte ich meinen Kopf auf meine Handfläche und kritzelte etwas auf ein Blatt, das eigentlich für Mitschriften gedacht war. Heute war der Unterricht besonders zäh… oder es kam mir einfach nur so vor, weil ich so schrecklich müde war?

Es war am vorigen Abend sehr spät, als ich endlich ins Bett kam. Nachdem Professor Banner uns von der verlassenen Unterkunft erzählt hatte, war Jaden Feuer und Flamme diese heute Nacht zu besuchen und zu erkunden. Leider war es weder mir, noch Syrus oder Chumley gelungen, ihm diesen Gedanken wieder aus dem Kopf zu schlagen. Weshalb auch immer… dachte ich daran, dass meine Freunde oder ich dieses Gebäude besuchen würden, lief es mir eiskalt den Rücken herunter. Ich wusste nicht warum, aber ein unbehagliches Gefühl beschlich mich. Es war eine dieser Vorahnungen, die man manchmal hatte, kurz bevor etwas schreckliches passierte. Vor meinem inneren Auge spielte sich das Szenario aus meinem Traum wieder ab. Dieser Obelisk… er wurde erst gejagt, als er in der Nähe der verlassenen Unterkunft war. Oder?

Ich schüttelte meinen Kopf, versuchte mich selbst zu beruhigen. Es war nur ein dämlicher Traum. Nichts weiter. Leider glaubte ich mir nicht.

Das war das erste Mal, seit langem, dass ich dem Unterricht nicht folgte. Professor Banner hielt eine Rede über die Revolution des Duellierens. Damit meinte er, dass Seto Kaiba, der auch die Duell Akademie gegründet hatte, die Duell Disks erfunden hatte und somit das Duell auf eine neue Ebene gebracht hatte. Gäbe es keine Duell Disks, wäre diese Welt vielleicht eine andere…

Ich wollte schlafen… genauso, wie Jaden, Syrus und Chumley neben mir. Leider war mir der Unterricht zu wichtig – auch wenn ich nicht zuhörte bekam ich mehr mit, als wenn ich schlief.

Halb wach, halb in einem Tagtraum versunken, sah ich auf mein Blatt, auf das ich alles Mögliche gezeichnet hatte, nur nichts Unterrichtrelevantes. Da war mein Engel der Spiele, mein Kleiner Engelsbote, das Gesicht des Unbekannten – von dem ich mir mittlerweile ziemlich sicher war, dass ich ihn mir nur eingebildet hatte – Sterne und… ein Auge. Wann hatte ich denn das gezeichnet? Es war das Auge, das uns Banner gezeigt hatte, als er über die Spiele der Schatten dozierte. Mir lief es eiskalt den Rücken runter. Ich war nicht abergläubisch, aber ein noch schlechteres Gefühl beschlich mich. Vielleicht sollte ich noch einmal versuchen, Jaden von dieser Erkundung abzuhalten…
 

„Jaden, bitte höre auf mich. Lass diese Expedition heute Nacht lieber sein. Mach es wann anders…“, wir waren in meinem Zimmer. Es war schon längst dunkel, als Jaden, Syrus und Chumley mich abholen wollten. Verzweifelt versuchte ich ihn davon abzuhalten, einen der vielleicht größten Fehler seines Lebens zu begehen. Seit heute Morgen – eigentlich, seit Jaden die Idee geäußert hatte – hatte ich so ein ungutes Gefühl…

„Warum denn?“, fragte Jay ein wenig trotzig, „Es ist doch egal, ob wir das heute machen, oder an einem anderen Tag.“

„Verboten ist es sowieso…“, murmelte Sy. Er war auch nicht wirklich wild darauf, doch Jaden schien ihn so lange bearbeitet zu haben, bis er zugestimmt hatte.

Der Abenteurer unter uns war ein wenig enttäuscht, „Jane, wenn du nicht mitkommen willst, musst du nicht mit. Hier wird keiner zu etwas gezwungen.“

Für einen Augenblick sah der Blauschopf zu ihm, in der Hoffnung, dass auch er bleiben könnte, doch ihm wurde sehr schnell klar, dass das nur an mich gerichtet war. Er wurde technisch gesehen gezwungen.

Traurig senkte ich meinen Blick… was sollte ich tun? Hier bleiben und warten, bis sie wieder kommen? Oder gleich mitgehen? Zu Jadens Unmut entschied ich mich für ersteres, „Es tut mir Leid. Ich bleibe lieber hier und warte, bis ihr wieder kommt. Mir ist das alles viel zu heikel. Wenn ihr morgen zum Frühstück immer noch nicht zurück gekehrt seid, kann ich wenigstens einen Suchtrupp organisieren, weil ich weiß, wo ihr hin wolltet.“

„Es ist deine Entscheidung.“, gab Jaden zurück. Er würde mir nicht lange böse bleiben. Er war zwar vieles, aber nicht nachtragend. Mit seinen Mitbewohnern im Schlepptau verließ er mein Zimmer. Sehnsüchtig sah Sy mich an, als er die Tür hinter sich schloss.

Unruhig stand ich auf, lief in meinem Zimmer auf und ab. Sollte ich ihnen nach rennen? Sollte ich warten? Weshalb hatte ich so eine Angst? Meine Gedanken drehten sich im Kreis.

Nach einer Weile setzte ich mich auf das untere der Etagenbetten, sah auf meinen PDA. Ich hatte eine Mail bekommen… von einem unbekannten Absender. Irritiert öffnete ich die Nachricht. Ich wusste gar nicht, dass man hier auf der Akademie von Menschen Mails bekommen konnte, die nicht im eigenen Verteiler waren. Und auch war mir ungewiss, wie man die Identität per Mail verbergen konnte.

‚Es ist nicht ohne Grund verboten, die Unterkunft zu betreten.‘

Das war alles. Von wem kam sie? Was sollte das? Woher wusste der Unbekannte von dem Interesse meiner Freunde?

Ich wurde immer unruhiger. Was war hier bloß los?

Hibbelig stand ich wieder auf. Hoffentlich ging bei Jaden alles gut.

Ängstlich verließ ich – mit meiner Duell Disk am Arm – das Zimmer. Eigentlich durfte man nicht mehr nach einer bestimmten Uhrzeit herumlaufen… doch mir war das in diesem Moment egal.

Ich lief die Treppen der Roten Unterkunft hinab, in Richtung Klippen. Die Luft war angenehm kühl. Genau das richtige, um meinen unruhigen Geist zu beruhigen. Ich stand an den Klippen und atmete den Geruch des Meeres ein. Durch den entfernten Leuchtturm zu meiner Rechten, konnte ich das abendliche Meer beobachten. Es war ruhig. Wenige Wellen schlugen an die Küste und den Steg von der Bootsanlegestelle.

Langsam begann ich ein wenig die Einsamkeit zu mögen. Zumindest hier. Die Schönheit der Natur. Diese Ruhe… der Frieden. Meine Sorge um Jaden und die anderen rückte auf einmal in weite Ferne. Ich stand nur da und genoss. Das Wellenrauschen war Musik in meinen Ohren.

Schon lange hatte ich mich nicht mehr so entspannt gefühlt. Einsamkeit, Sorge, Angst… nichts davon schien noch zu existieren.

Ich setze mich auf den Boden und ließ die Beine über die Felsen baumeln, den Blick über die Umgebung schweifen lassend. Durch das rotierende Licht wurde die Landschaft zugleich in Licht und Dunkelheit getaucht. Keine Menschenseele war in diesem wunderschönen Bild zu sehen…

Dachte ich zumindest. Als ich begann die Wellen am Bootssteg zu beobachten, bemerkte ich, dass dort jemand stand. Er war weit entfernt, hatte mir den Rücken zugekehrt. Doch ich wusste, wer es war. Dieser weiße Mantel, die schlanke, große Gestalt, die etwas längeren, dunklen Haare…

Als hätte mein Blick ihn gerufen, wandte er sich zu mir um. Sein Blick ruhte auf mir. Trotz der Ferne wusste ich, dass er mich sah. Hatte ich ihn mir nicht eingebildet? War er real?

Das Licht des Leuchtturmes blendete mich. Schützend hielt ich meine Hand vors Gesicht, doch als es von mir abließ und ich wieder zu dem Fremden sah… war er verschwunden.

Wütend raufte ich meine Haare. Das war doch jetzt nicht wahr! Es dauerte Tage, bis ich mich davon überzeugt hatte, dass er nicht real war und jetzt das?! Wer war er? Das war keine Einbildung. Nicht dieses Mal.

Die innere Ruhe war verschwunden. Eines war mir klar: Wenn ich diesen Fremden jemals richtig treffen würde, mit einer Unterhaltung und ohne im nächsten Moment zu verschwinden, würde ich ihn zu einem Duell herausfordern. Egal, wer er war. Ich fühlte mich veralbert. Folgte er mir? Warum war er im Wald? Warum war er hier unten am Steg? Was sollte das!?

Ein vorsichtiges, aber ängstliches „Schuhu“, riss mich aus meinen Gedanken. Mein kleiner Engelsbote schwebte neben mir. Unruhig flatterte sie mit den Flügeln. Sie wollte, dass ich ihr folge, „Was ist los?“, fragte ich, während ich aufstand. Ein „Uhuuuu“ war die Antwort. Ich verstand, was sie sagen wollte. Irgendetwas war bei Jaden schief gegangen. Sicherheitshalber hatte ich meiner Botin befohlen, ihm zu folgen und im Auge zu behalten.

Sie flog los, ich rannte ihr hinterher.

So schnell ich konnte.

Das beklemmende Gefühl von Angst ergriff mich wieder.

Was war passiert? Nichts Gutes, so viel stand fest.

Ich hoffte, dass ich ihnen helfen konnte, wenn ich sie erreicht hatte.

Wir eilten durch den Wald. Eigentlich – gerade nach diesem gewissen Traum – wollte ich den Wald bei Nacht meiden, doch meine Freunde waren in Gefahr. Da war es egal, ob ich Angst vor Finsternis hatte oder nicht. Sie hätten auch das Selbe für mich getan.
 

Es fühlte sich an, wie eine Ewigkeit, bis ich die verlassene Unterkunft erreicht hatte, doch ich war nur einige Minuten unterwegs. Ich war um mein Leben gerannt. Das furchteinflößende Gebäude erstreckte sich vor mir; verfallen, zerstört… genauso, wie in meinem Traum…

Das Eingangsportal schon geöffnet. Einen Moment zögerte ich, versuchte das Gefühl von Unbehagen wieder abzuschütteln.

„Schuhuuu?“, fragend stoppte mein Bote, musterte mich mit ihren großen, blauen Augen. Sie fragte, was los ist.

„Nichts.“, ich atmete flach. Wegen der Anstrengung, aber auch wegen meiner Angst. Schaudernd nahm ich all meinen Mut zusammen, „Führ mich zu ihnen!“,

Sie flog weiter. Ich folgte ihr in das Gebäude hinein, durch die Eingangshalle. An den Wänden befanden sich steinerne Tafeln, die die Millenniums-Gegenstände zeigten, etwas über die Spiele der Schatten berichteten. Wir folgten einem Tunnel, der ursprünglich nicht zum Gebäude zu gehören schien.

Schon aus der Ferne konnte ich die Geräusche eines Duells hören. Und Stimmen.

Als ich näher kam und mich diesem riesigen, steinernen, in Rot getauchten Raum näherte, erkannte ich: Es war Jaden, der sich gegen einen großen, maskierten Mann duellierte. Er trug einen langen Mantel, einen Hut. Er hatte zwei Monster auf seinem Feld und noch alle Lebenspunkte, Jaden dagegen gar keins und nur noch zweitausend. Alexis Rhodes lag bewusstlos in einem Sarg hinter dem Unbekannten. Syrus und Chumley zitterten…

Ich war zu spät…

Das schlimmste war… dies war kein normales Duell. Dies war ein Spiel der Schatten!

Runde 13: Der Schattenduellant

Ich war zu spät. Eigentlich wollte ich meine Freunde von so etwas abhalten oder beschützen, doch jetzt steckte Jaden in einem Spiel der Schatten fest… Mit jedem Lebenspunkt, den er verlor, verschwand scheinbar ein Stück seines Körpers. Ich schauderte. Es sah nicht gut für ihn aus. Mal davon abzusehen, dass sein Gegner erfahrener in Schattenduellen war, hatte Jaden kein Monster auf dem Feld und zwei Monster vom Typ Unterweltler standen ihm entgegen.

Um nicht sofort entdeckt zu werden, blieb ich im Schatten der Öffnung, die mich zu diesem Raum geführt hatte, stehen und beobachtete erst einmal, wie es weiter ging, während ich fieberhaft nach einem Plan suchte, wie ich Jaden und die anderen – ohne ein Spiel der Schatten beenden zu müssen – wieder hier raus holen konnte. Leider war dies leichter gesagt als getan. Das Atmen fiel mir schwer. Hatte dies etwas mit den Schatten zu tun? Der Finsternis?!

Ruhig bleiben, Jane… hysterisch hilfst du niemandem. Ich zitterte am ganzen Körper

„Dein Schicksal ist besiegelt. Schon bald wird mein Erzunterweltlerdeck alle deine Monster zerstört haben und mein Millenniums-Gegenstand wird sich um deine Seele kümmern!“, verkündete der Unbekannte triumphierend, während er diesen besagten Gegenstand in die Höhe hielt. Es war eine goldene, auf die Spitze gedrehte Pyramide, auf der in der Mitte das Auge der Finsternis prunkte. Genau dieses Auge hatte ich heute Morgen auf mein Blatt gekritzelt und für ein schlechtes Omen gehalten. Doch woher kannte ich dieses… Ding?

Plötzlich wurde mir schwindelig. Meine Umgebung wurde schwarz. Ich hielt mich an der Wand fest, damit ich nicht fiel.

Der Gegenstand… eine Kette… ein Schmuckstück? Nein… etwas viel wertvolleres… Ich sah nur blau und schwarz… und diesen Anhänger…

Wie auf Knopfdruck wurde ich wieder zurück ins Jetzt gezogen. War das eine Erinnerung? Mein Herz raste und Schweiß hatte sich auf meiner Stirn gebildet… Angstschweiß?

Unsicher sah ich zu Jaden… so ernst hatte ich ihn noch nie gesehen. Während seiner schweren Atemzüge versuchte er, irgendwie, eine Taktik herauszufinden, die dieses Duell noch herumreißen kann, „Das Duell ist noch nicht entschieden. Ich habe noch einige Überraschungen für dich.“, er aktivierte eine Zauberkarte, „Zum Beispiel diese hier:“, das Hologramm erschien vor ihm. Auf dieser Karte war ein panischer Mann von zwei Mumien eingekreist, „Albtraumtäuschung! Weiterhin spiele ich noch zwei Karten verdeckt.“

Oh nein! War seine Battlephase schon vorbei? Hoffentlich waren die verdeckten Karten auch lebensrettend… denn darum ging es ja, bei einem Duell der Schatten… um das Leben, die Seele, oder?

„Du vergeudest meine Zeit! Deine Lebenspunkte werden nicht so lange durchhalten, dass du noch eine weitere Karte nutzen kannst!“, höhnte Jadens Gegner. Seine Stimme war tiefer, als alle anderen Stimmen, die ich je gehört hatte. Irgendetwas furchterregendes hatte sie an sich, „Die Seele von Alexis bleibt für immer verloren.“

Ich zog scharf die Luft ein. Deshalb duellierte sich Jaden; brachte sich selbst und seine Freunde in Gefahr? Weil dieser Typ Alexis in seiner Gewalt hatte?

Auf einmal sah er in meine Richtung, „Es scheint mir so, als wäre dein Einsatz noch größer geworden!“

Ängstlich trat ich einen Schritt zurück. Das gehörte definitiv nicht zu meinem Plan. Wie hatte er mich gesehen?

„Komm her, oder müssen dich die Schatten zu mir bringen?“, fragte er in meine Richtung.

Ich schluckte, trat aus der Dunkelheit. Meine Slifer Kollegen waren überrascht, „Jane?“, fand Jaden zuerst das Wort.

„Hi.“, grüßte ich. Mehr brachte ich nicht heraus. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, „Sorry.“

„Wie? Warum?“, er schien nicht zu verstehen.

„Weißt du… ich hatte meine Botin mit euch mitgeschickt, damit sie mir bescheid geben kann, wenn etwas passiert. Sie kam, ich rannte hierher… leider habe ich keinen Plan, wie ich das Duell abbrechen könnte.“, fasste ich kurz zusammen, „Es tut mir leid.“, betreten sah ich auf den Boden, „Ich wollte nicht noch deinen Druck vergrößern.“

„Ach was!“, überspielte Jaden seine Furcht, „So kannst du wenigstens Zeugin von meinem Sieg im Spiel der Schatten sein!“, seine Stimme zitterte ein wenig.

„Ich bin dran!“, rief der Gegner, während er eine Karte zog.

Jaden hatte sich wieder dem Spielfeld zugewandt, „Moment! Ich glaube, du hast da eine Kleinigkeit vergessen! Ich darf so lange ziehen, bis ich vier Karten in meiner Hand halte,“ er erklärte den Effekt von Albtraumtäuschung.

„Na los. Beeil dich. Selbst wenn du vier Millionen Karten in der Hand hättest, gegen die überwältigende Macht meines Monsters würden sie dir nichts nützen. Mein König des Schreckens gibt dir sehr gerne ein Beispiel seiner Macht.“

Ich erschrak, als ich mir diesen König genauer ansah. Ein Exoskelett mit Muskeln darüber, einer Knochenkrone, Flügel und… DREITAUSEND Angriffspunkten?!? Wie wollte Jaden da nur wieder rauskommen?

„Attacke! Heuschreckensturmangriff!!“, der Brustkorb des Königs öffnete sich und unzählige Insekten – wie der Name sagte wahrscheinlich Heuschrecken – flogen aus ihm heraus.

„Ich hab das Gefühl, du hast Schmetterlinge im Bauch!“, Jay war, egal in welcher Situation, nie um einen coolen Spruch verlegen, „Wie gut, dass ich die Fallenkarte Macht des Spiegels gespielt habe“, diese aktivierte sich augenblicklich, „Jetzt kannst du dich von all deinen Monstern im Angriffsmodus verabschieden!“

Ein Stein fiel mir vom Herzen. Er hatte das schlimmste überstanden. Mit diesem Zug könnte er das Duell noch herumreißen. Auch Chumley war meiner Meinung.

Eine reflektierende Wand baute sich vor Jaden auf, die die Heuschrecken abhielt, sie zurückschleuderte und beide gegnerischen Monster zerstörte.

Das hatte der Fremde nicht kommen sehen, „Wie kannst du es nur wagen?“

„Na wie wohl? Ich hab eben keine Angst vor dir.“, zuckte Jay die Schultern. Er war wahrscheinlich der einzige hier, der sich in diesem Moment nicht fürchtete.

„Dann wollen wie mal sehen, wie mutig du nach dieser Karte bist.“, unheilvoll grinsend holte dieser Hüne in schwarz eine Karte aus seinem Blatt und zeigte sie uns, „Ich benutze die besondere Fähigkeit von Turm des Todes. Sie erlaubt mir meinen König des Schreckens wieder auferstehen zu lassen, indem ich diese Karte zum Friedhof schicke.“, er kam legte den Turm von seiner Hand auf den Friedhof, „Begrüßen wir jetzt gemeinsam einen alten Bekannten.“, das Feld leuchtete kurz auf und dieses… ich konnte es nicht anders beschreiben… knochige Monster erschien wieder auf dem Feld… es hatte zwar weniger Angriffspunkte, aber genügend, um Jadens Lebenspunkte auf Null zu bringen.

Runde 14: Ein (kleines) Comeback

Oh nein. Hoffentlich hatte Jaden noch ein Ass auf dem Feld. Anderenfalls wäre es um uns geschehen. Ängstlich hielt ich die Luft an, obwohl ich, seit ich in der Nähe dieses Duells war, kurzatmig war.

„Was denn, der schon wieder?“, Jay hatte nicht mal einen anderen Spruch parat. Schon fast ein bisschen ängstlich stellte er ein Bein nach hinten. Vielleicht versuchte er auch einfach nur, sich auf den bevorstehenden Schaden des Königs der Unterweltler… auf das Ende des Duells… vorzubereiten.

Ich wollte es nicht mit ansehen…

Doch! Ich vertraute Jaden und wusste, dass dies es noch nicht gewesen sein konnte. Nicht hier, nicht so, nicht jetzt. Jaden würde uns hier raus holen – leider war mir auch kein anderer Plan mehr eingefallen, wie ich uns aus dieser Situation boxen konnte.

Als der Schattenduellant sprach, zuckte ich zusammen, „So. Und jetzt aktiviere ich die Wirkung der Feldzauberkarte Pandämonium. Ihre Zauberkraft erlaubt mir einen Erzunterweltler zu ziehen, wenn eins meiner Erzunterweltlermonster zum Friedhof geschickt wird.“, er zog.

Also war dieser Raum in Wirklichkeit ganz anders? Dieses unheilvolle Rot existierte nur durch die Feldzauberkarte?

„Selbstverständlich kann dieser neue Erzunterweltler nicht mehr so mächtig sein, aber König des Schreckens hat jetzt schon viel mehr Macht, als ich brauche.“, er startete den Angriff. Ich war gelähmt. Konnte an nichts mehr anderes denken, als an das Duell… was geschehen könnte…

„So, dann versuchen wir es einfach nochmal! Heuschreckensturmangriff!“, wieder öffnete sich der Brustkorb des Monsters, das wahrscheinlich in meinen Albträumen wieder auftauchen wird (falls ich jemals wieder träumen werde), und unzählige Heuschrecken flogen heraus. Bereit, die letzten Lebenspunkte von Jaden zu fressen.

Allein Jadens Stimme bei diesem Angriff zu hören, war eine Erleichterung, „Ich decke die Karte Notreserve auf! Diese Karte erlaubt mir eine andere Zauber-, beziehungsweise Fallenkarte auf meinem Feld zu opfern, um tausend Lebenspunkte zurück zu bekommen.“, in strahlendem Licht löste sich seine Albtraumtäuschung auf und erhöhte Jays LP auf dreitausend. Schützend hielt er seine Arme vors Gesicht. Dies zu überstehen würde hart werden. Die Heuschrecken trafen ihn mit einer immensen Wucht. Gerade so, konnte er dem Angriff stand halten.

Ganz zum Ärger von seinem Gegner, „Was denn? Du stehst immer noch?“

Ja, Jaden hatte uns gerettet… doch seine Beine gaben ein wenig nach. Er hatte sichtlich Probleme stehen zu bleiben. Trotzdem mimte er den Taffen, „Ja, na klar! Solange ich noch zwei gesunde Beine habe…“

Der Kerl lachte, holte diese merkwürdige Pyramide aus seiner Manteltasche, „Aber so gesund sind deine Beine nicht mehr und deine Arme kannst du nach dem letzten Angriff auch nicht mehr voll einsetzen.“, Das Auge dieses goldenen Anhängers leuchtete und plötzlich verschwand Jadens rechter Arm. Nur noch die Hand war zu sehen.

„Also der nächste Zug muss sitzen.“, verkündete unser Duellrepräsentant, während er zog. Er steckte die gezogene Karte in sein Blatt und wählte eine andere, „Ich spiele die Zauberkarte Rückkehr des Kriegers! Damit kann ich jetzt Elementarheld Avian zurück holen. Nun vereinige ich ihn mit Burstinatrix.“, der grün gefederte Krieger erschien neben der roten Feuerheldin. Aber nur für einen Moment. Sie begannen zu leuchten und sich in einem Strudel zu vermischen, der sich in einen hellen Lichtball verwandelte, aus dem Blitze schossen, „Und rufe Elementarheld Flammenflügelmann.“, das Monster mit nur einem Flügel, Drachenschwanz und Drachenkopf an der rechten Hand war Jadens Lieblingskarte… zumindest eine davon. Der Körper war zum Großteil grün, nur ein Teil des rechten Oberkörpers – über dem Sixpack – war rot gefärbt. Mit zweitausendeinhundert Angriffspunkten war er stärker, als dieser gruselige König.

Jaden kam so richtig in Fahrt, „Na, was hältst du davon, wenn wir ihm mal kräftig einheizen, Flammenflügelmann? Greif an, Attacke! Feuerflammeninferno!“, der Held hob ab, holte mit seinem Drachenkopfarm aus und schleuderte einen Feuerball direkt auf den König zu. In einer gewaltigen Explosion wurde dieser zerstört, „Ach, und übrigens: Hatte ich schon seine Superkraft erwähnt? Nicht nur deinen kleinen Bestien geht es an den Kragen! Nein, dir auch.“, wieder voll und ganz in seinem Element zielte Jaden mit seiner geballten Faust auf seinen Gegner. Ich konnte verstehen, warum Flammenflügelmann, hier an der Akademie, schon ein wenig gefürchtet wurde.

Kleine blaue Blitze zogen dem Schattenduellanten insgesamt zweitausendeinhundert Lebenspunkte ab. Somit hatte er nur noch eintausendneunhundert. Er schrie vor Schmerz, während ein Teil seines Armes und seiner Beine verschwand… doch auch dieser Mann konnte den Verlust seines Monsters gut überspielen, hatte er sich erst einmal von seinem Schmerz erholt, „Das spielt sowieso keine Rolle. Ich spiele den Effekt von Turm des Todes. Ich muss ihn nur opfern, um König des Schreckens zurück zu holen. Du kannst seiner Macht nicht entkommen. Erhebe dich erneut: König des Schreckens!“, aus grauem Nebel erschien er wieder, mit zweitausend Angriffspunkten.

„Tja, der Typ weiß einfach nicht, wann er zu gehen hat. Ich muss einen Weg finden, wie ich ihn für immer los werde. Aber zuerst muss ich mich schützen. Finsterer Katapultierer!“, dieses Monster sah aus, wie eine kompakte Maschine. Schützend kniete es vor Jaden und neben dem Flammenflügelmann. Mit eintausendfünfhundert Verteidigungspunkten war er wirklich keine schlechte Wahl, um sich zu verteidigen, „So, und jetzt zeig mir, was du wirklich drauf hast.“, forderte Jay seinen Gegner heraus.

„Willst du sie wirklich sehen? Du solltest vorsichtiger mit deinen Wünschen sein, denn ich könnte sie dir glatt erfüllen.“, er zog, „Besonders wird es, wenn diese Karte im Spiel ist.“, er opferte seinen König. Aufgelöst in schwarzem Rauch machte er Platz für etwas anderes… noch schlimmeres, „Ich rufe den Schädel-Erzunterweltler der Blitze!“, mit unzähligen Blitzen begleitet erschien dieses… Ungetüm auf dem Feld. Auch er hatte, wie sein Opfermonster, Flügel und ein knöchernes Exoskelett. Allerdings prunkte keine Krone auf seinem Kopf, sondern zwei riesige, zur Seite gewandte Hörner. Mit zweitausendfünfhundert Angriffspunkten war er auch stärker, als Jadens Fusionsmonster. Doch der Schattenspieler war noch nicht mit seinem Zug fertig, „Du wolltest sehen, was ich wirklich drauf hab. Jetzt kannst du es erleben! Mach dich frisch Kleiner.“, der Unterweltler fokussierte Blitze zwischen seinen Knochenklauen und schoss sie in die Richtung von Flammenflügelmann. Mit einem schmerzerfüllten Schrei zersprang dieser in tausende Stücke. Auch Jaden bekam etwas von den Blitzen ab. Ein kurzer elektrischer Schock durchfuhr ihn. Seine Lebenspunkte verringerten sich auf sechshundert. Jaden zitterte. Konnte kaum noch stehen. Ein Auge hatte er bereits geschlossen. Es sah übel aus.

Der Unbekannte lachte nur, holte diesen Anhänger – oder was auch immer es war – aus der Tasche, „Sieh in meinen Milleniums-Gegenstand und fühle, wie du immer weiter ins Reich der Schatten gezogen wirst! Du bist erledigt! Deine Lebenspunkte sind fast verschwunden und schon bald bist du nichts mehr als eine seelenlose, leere Hülle! Fühle, wie du immer tiefer versinkst.“

„Nein!“, schrie ich. Jaden ging in die Knie und schien sein Bewusstsein zu verlieren, „Jaden, steh auf!“

Auch die anderen beiden versuchten ihm Mut zuzusprechen… doch irgendwie hatte ich ihre Stimmen ausgeblendet.

Jaden saß auf seinem linken Bein. Das rechte hatte er angewinkelt. Er stützte seinen Oberkörper, den Kopf und die armlose Hand darauf. Er stöhnte vor Schmerz.

Nein. Das konnte ich nicht zulassen. Da war wieder der Zorn, den ich verspürt hatte, als Devan meinen Boten hatte, den Zorn, den ich fühlte, wenn ich an den fremden Obelisken dachte, „Lass ihn!“, schrie ich.

Verwundert sah mich der Schattenduellant an, „Was?“

„Ich sagte, du sollst ihn in Ruhe lassen! Ich werde mich gegen dich weiter duellieren!! Mit Jadens Stand an Lebenspunkten und Karten auf der Hand!“, mal wieder war ich von mir selbst überrascht. Ging es um Freunde, setzte wohl jeder Selbsterhaltungstrieb aus, „Du siehst ihn doch nicht mehr als Gegner an! Hättest du so viel Vertrauen in deine Karten, wie du vorgibst zu haben, würdest du dich trauen gegen mein Engelsdeck anzutreten!“, während ich sprach wurde mir etwas anderes klar. Zu meinem Ärger würde er wahrscheinlich nicht meine Herausforderung annehmen. Doch somit verschaffte ich Jaden wenigstens etwas Zeit, wieder auf die Beine zu kommen… besser gesagt, gab ich dem Geflügelten Kuriboh ein wenig Zeit.

Ich wusste nicht, ob dies ein echtes Duell der Schatten war… doch während ich es beobachtet hatte fielen mir einige Dinge auf: damit scheinbar Jadens Gliedmaßen verschwanden, musste dieser Riese erst einmal den Millenniums-Gegenstand… nein… das Millenniums-Puzzle – keine Ahnung, wo ich diesen Namen auf einmal herzauberte, doch er war plötzlich da – aus seiner Jackentasche holen. Weiterhin war die Pupille des Auges nicht rund, wie eine menschliche Pupille, sondern eher ein Schlitz… wie bei einem Reptil…

Bitte Kuriboh… bau Jay wieder auf… zeige ihm die Wahrheit hinter diesem Duell…

„Ein wahrer Schattenduellant drückt sich vor keiner Herausforderung!“, rief ich weiter, „Es geht um Seelen, stimmts? Aber wo bleibt die Herausforderung? Wie geht es weiter? Wenn Jaden stundenlang keinen Zug mehr macht? Es kann nicht einfach so beendet werden! Du musst auf ihn warten! Nur ein Duellant wird aus dieser Arena wieder herauskommen! Und das nur, wenn die Lebenspunkte des Gegners Null erreicht haben oder die Karten von jemandem ausgehen!“, selbstbewusst stellte ich mich vor Jaden, holte mein Deck aus der Box, steckte es in die Duell Disk, „Worauf wartest du?! Wir beenden das Duell! Hier und jetzt!“

Runde 15: Enttarnt

„Nein Jane.“, ich zuckte zusammen, als eine andere Stimme statt die des Schattenduellanten auf meine Herausforderung antwortete. Jaden hatte sich aufgerichtet und sah mich an, „Jetzt ist aber Schluss!“, er warf mir einen Blick zu, der verriet, dass alles in Ordnung war. Ich stellte mich neben ihn, bereit, das Duell jederzeit zu übernehmen. Doch Jaden hatte einen anderen Plan, „Dein dämlicher Trick mit dem Schattenspiel läuft nicht mehr!“

Wusste ichs doch! Danke, Geflügelter Kuriboh.

Syrus und Chumley verstanden allerdings nicht ganz. „Hatte er gerade Trick mit dem Schattenspiel gesagt?“, fragte letzterer.

„Was meint er damit?“, auch Sy war überrascht.

„Ganz einfach! Meine Seele ist jetzt nicht mehr abholbereit!“, erklärte Jay zuversichtlich. Fast schon mit neu geschöpfter Energie, „Dann lass uns weiter machen! Ich bin dran!“, er zog. All seine Angst war verschwunden.

Der Gegner staunte. Sagte aber nichts.

„Als erstes aktiviere ich die besondere Fähigkeit meines Finsteren Katapultierers! Sie erlaubt mir eine Karte von meinem Friedhof zurückzuholen, für jeden Zug, den der Katapultierer im Verteidigungsmodus war. So! Dann kann ich, für jede Karte, die ich aus meinem Friedhof zurück hole eine Zauber- beziehungsweise Fallenkarte auf dem Feld zerstören! Und da er vor einem Zug im Verteidigungsmodus war, hol ich mir meinen Avian und dann zerstöre ich deine Zauberkarte Pandämonium.“, der Katapultierer machte sich bereit. Zwischen den großen Antennen auf seinem Rücken bildeten sich Funken. Es knisterte… er lud sich auf, „Gewittersturmschlag!“, mit einem Schlag entlud sich das Monster. Mit gelben Blitzen traf es die Feldzauberkarte in der Duell Disk des Hochstaplers.

Er schrie. Die Umgebung, die alles so unheimlich gemacht hatte, zerfiel. Wir befanden uns jetzt wieder in der normalen Höhle. Sie war zwar immer noch unheimlich, aber weit weniger, als es dieses Pandämonium war.

„Na und?“, fragte der Mann zornig, „Das hier hast du noch nicht zerstört.“, er brachte das Puzzle zum Vorschein. Es begann wieder zu leuchten.

„Sei vorsichtig mit deinen Wünschen! Sie könnten sich erfüllen“, rief Jaden. Er warf die Karte seines Elementarhelds Avian, die dieses Millenniums-Puzzle als Fälschung entlarvte. Sie blieb mitten in dem Anhänger stecken, als wäre er aus Pappe. Das Licht erlosch sofort, genauso wie die Duellbereitschaft und das Selbstvertrauen, besser gesagt die Fassade, des Besitzers, „Nein, was hast du getan?“

Jadens fehlende Körperteile kehrten wieder zurück. Welch ein Glück, dass dies nicht wirklich ein Spiel der Schatten war. Erleichtert sank ich auf den Boden. Kein Duell für mich heute.

„Ich hatte meinen Körper nie verloren.“, grinste Jay, „Die ganze Nummer, von Wegen Spiel der Schatten war nur eine Täuschung. Es war so ne Art Hypnose. Ne Menge Rauch und Spiegel und so… ich sollte glauben, ich verliere meine Seele. Der Typ arbeitet mit ganz miesen Tricks. Ich meine, vielleicht hat er gerade seinen Job auf dem Rummel verloren.“

Betroffen wich der Maskierte zurück, „Das ist nicht wahr. Mein Job auf dem Rummel kann ich jederzeit zurück kriegen!“

„Ja, da bin ich mir sicher. Und diesen Millenniums-Gegenstand aus Pappmasche kannst du den kleinen, neugierigen Kindern vorführen.“

„Nein, hör auf! Er ist echt, genau wie ich!“

„Quatsch! Du bist nur ein Betrüger.“

„Du Narr, du hast was vergessen.“

Wir stutzten alle. Was hatte er denn vergessen?

Der Scharlatan lachte, „Das Mädchen. Sie ist in einem Schattengrab gefangen. Ihre Seele verfault in der dunkelsten Ecke der Unterwelt und das beweist, dass dieser Millenniums-Anhänger echt ist! Na? Was hast du dem entgegenzusetzen?!“

Nannte er die Fälschung wirklich… Anhänger? Gut, ich wusste es im ersten Moment auch nicht besser, aber ich besaß auch keine Kopie davon. An seiner Stelle hätte ich mich ein bisschen besser informiert.

„Außer das du ein Dummkopf bist?“, Jaden sprach mir aus der Seele.

Irritiert sah der Mann auf.

„Sieh mal: alle Millenniums-Gegenstände waren an die Wände der verbotenen Unterkunft gemalt. Deiner heißt Millenniums-Puzzle und nicht Millenniums-Anhänger! Du hast die Seele von Alexis gar nicht. Du hast sie nie gehabt, also gib sie endlich frei, und alle anderen, die du entführt hast, dazu!“

„Alle anderen?“, fragte er verwirrt, „Ich weiß gar nicht, wovon du redest! Und weil du mich als Trickser bezeichnet hast, kannst du deine kleine Freundin selbst suchen!“, er warf eine Rauchbombe auf den Boden, um zu flüchten.

Jaden rannte ihm hinterher. Ich sprang auf und folgte ihm. Doch als wir rannten bemerkte ich, dass irgendetwas komisch war. Lichter an den Wänden begannen aufzuleuchten. Der Boden unter unseren Füßen zeigte auf einmal das Auge, das für die Spiele der Schatten stand. Der Untergrund bebte.

„Wie hast du das gemacht?“, fragte Jaden verwundert

„Das war ich nicht!“, beteuerte der Fremde.

Ein Wirbel aus Staub und Dunkelheit hatte uns drei eingekreist.

„Was ist das?“, rief Jay neben mir… doch auf einmal hüllte mich eine Dunkelheit ein. Schützend schloss ich meine Augen…

Als ich sie wieder öffnete… sah ich nur Finsternis. Kein Jaden, der zuvor noch neben mir gestanden hatte, war in Sicht. Auch nicht der Unbekannte. Nur Schwärze.

Erschreckend schnell wurde mir klar, was dies bedeutete: Ich war ein Teil der Schatten!

Runde 16: Die Finsternis

Was war hier los? Wie konnte all das passieren?! Nachdem Jaden diesen obskuren Mann als Hochstapler entlarvt hatte, wollte dieser flüchten. Scheinbar war unsere Hartnäckigkeit ein Zeichen für die Schatten, dass wir solch ein Spiel spielen wollten… dem war leider nicht so. Es war mir klar, auch wenn ich ihn nicht sehen konnte, dass Jaden gegen diesen Möchtegern-Schattenduellanten das Duell weiterführen würde. Ich war… eigentlich nur noch ein Bonus für die Schatten, wenn Jaden verlieren würde.

Solch eine Dunkelheit… so etwas war unnatürlich. Schwärzer als schwarz. Kalt. Einsam…

Mein Körper begann zu zittern. Zumindest glaubte ich, dass er zitterte, sicher war ich mir dabei nicht. Ich fühlte mich stumpf und taub an.

Verängstigt versuchte ich mich aufzurappeln – obwohl ich auch nicht sagen konnte, ob ich stand oder saß. Irgendetwas musste ich ja tun! Leider hatte mein Körper andere Pläne, als ich… keiner meiner Gliedmaßen rührte sich auch nur einen Millimeter.

Oh Gott. Erst jetzt wurde mir das Ausmaß, was es bedeutete ein Teil der Schatten zu sein, bewusst. Ich war in dieser Dunkelheit gefangen! Ohne die Möglichkeit mich zu bewegen oder gegebenenfalls zu flüchten.

Jetzt übermannte mich dieses nagende Gefühl der Hoffnungslosigkeit voll und ganz… Ich dachte an meinen Bruder. Eigentlich sollte ich doch hier sicher sein. Warum musste sowas gerade uns passieren?

Einsamkeit machte sich in mir breit. Jaden würde mich retten… ja… aber wenn nicht? Ich würde meinen Bruder nie wieder sehen. Nie wieder mit Jay, Sy und Chum zu Abend essen. Nie hätte ich die Chance herauszufinden, wer dieser mysteriöse Obelisk war. Niemals könnte ich meinen Gedächtnislücken auf den Grund gehen…

Könnte ich etwas physisches spüren, so hätte ich die Wärme meiner Tränen gefühlt. Mein Schicksal lag in Jadens Karten. Nur er konnte mich hier raus holen. Ungewissheit war eines der schlimmsten Gefühle im Reich der Schatten. War Jadens Duell schon vorüber? Hatte er verloren?

Zeit hatte hier unten keine Bedeutung. Ich wusste nicht, wie lange ich schon hier war… doch es fühlte sich an, wie eine Ewigkeit, auch wenn es vielleicht nur fünf Minuten waren.

Würde ich hier jemals herauskommen… ich würde meinem Retter ewig dankbar sein.

Merkwürdigerweise weckten diese Schatten ein anderes, tief verborgenes Gefühl: Vertrautheit. Seit ich aus meiner Bewusstlosigkeit aufgewacht war, fühlte ich mich an jedem Ort fremd; wie ein Kind aus einer anderen Zeit. Es dauerte lange, bis ich mich an einen Platz gewöhnt hatte und ihn bekannt nennen konnte. Doch nicht hier. Die Finsternis war beängstigend, doch diese Umgebung fühlte sich an, als hätte ich hier Jahre zugebracht. Der erste Schock war meine panische Reaktion… doch nachdem ich mich halbwegs beruhigen konnte… versuchte ich mein Befinden zu analysieren. Warum zum Teufel kannte ich diese Dunkelheit? Kein normaler Mensch hatte hier einen Augenblick in seinem Leben zugebracht – warum ich?

Gab es in meinem früheren Leben einen Punkt, in dem ich mich wirklich mit einem Schattenduellanten duelliert hatte? Und verloren hatte?! War dies der Grund, weshalb mein Bruder mich an die Duell Akademie geschickt hatte? Fürchtete er, dass ich wieder in ein Spiel der Schatten verwickelt werden könnte – wenn ich wirklich einmal an einem solchen Spiel beteiligt war? War ich solch ein Magnet für Probleme? Konnte man wirklich damit rechnen, dass ich immer in einen Schlamassel hineinschlitterte?

Verwundern würde mich dies nicht. Allein dieses Duell gegen Devan… das war doch ein Paradebeispiel für einen Problemmagnet… Für mich… wäre ich keiner, so wäre ich nicht hier. Ich zog regelrecht Gefahren an – und die Wahl meiner Freunde war, um dies zu verhindern, nicht gerade die beste. Eigentlich war ich hier, damit ich Jaden helfen konnte… doch jetzt war ich diejenige, die Hilfe benötigte. Alles was schief gehen konnte, ging an diesem Abend schief. Hätte ich Jaden überzeugen können, die Expedition der verlassenen Unterkunft auf einen anderen Tag zu verschieben… dann wären wir weder in Gefahr, noch an diesem Ort. Wir würden zu Hause sitzen, gemeinsam den Abend verbringen und die Gemeinsamkeit genießen.

Schlagartig machte sich eine andere Angst in mir breit. Was, wenn ich nicht die einzige war, die in die Schatten gezogen wurde? Was, wenn Chumley und Syrus ebenfalls hier waren? Sie würden diese Finsternis wahrscheinlich nicht so leicht wegstecken, wie ich.

In Sorge um meine Freunde versuchte ich ihre Namen zu schreien… doch ich brachte nur ein ersticktes Quietschen heraus. Mist. Was sollte ich machen? Wie konnte ich sichergehen, dass ich alleine hier war?

Die Antwort war so ernüchternd wie simpel: Gar nicht.

Ich konnte nicht wissen, wer hier war… oder was…

Plötzlich ertönte ein lautes Grollen hinter mir. Mein Herz begann zu rasen. Was war das? Ich konnte mich nicht umschauen – ich hätte sowieso nichts gesehen, auch wenn mein Körper reagiert hätte. Egal, was dieses Geräusch verursachte… es kam näher. Mit jedem Herzschlag kam es ein weiteres Stück in meine Richtung. Ein verwester Gestank trat in meine Nase. Mir wurde schrecklich übel. So ein… so etwas ekelhaftes hatte ich noch nie gerochen. Ich konnte mir vorstellen, dass ein toter Körper nach einigen heißen Tagen so riechen würde. Was war das?! Welches… Wesen konnte schon so die Luft verpesten… welches lebende Wesen, meinte ich. Panisch schloss ich meine Augen und versuchte den Herzschlag zu beruhigen. Mein Adrenalinpegel stieg – er brachte mir nur nichts. Ich konnte weder aufstehen, noch mich bewegen. Auch wenn ich rennen konnte, hätte ich mir nur Augenblicke verschafft. Es war unmöglich, hier irgendetwas zu erkennen. Ich wäre in die Ungewissheit geflüchtet. Vielleicht lauerten in der Dunkelheit noch mehr Monster.

Auf einmal wurde es wieder still… totenstill. Beunruhigender als die Tatsache war, dass ich ein Monster gehört hatte, das sich auf mich zubewegte, war es, dass ich eben dieses DING nicht mehr hörte. Aber… dieser Geruch war noch da. Es war nicht weg. Irgendwo in der Finsternis stand es… wartete… lauerte.

„Was machst du hier?!“, donnerte es hinter meinem Rücken. Mental sprang ich aus Angst durch die Decke. Hatte es gerade… gesprochen?! Was war hier nur los?!? Seit wann sprachen Monster?! Mal davon abzusehen… es gab Monster?! Solange ich mich erinnern konnte, hatte ich nicht an Monster oder so etwas geglaubt. Scheinbar musste ich mein Spektrum an Dingen, an die ich zu glauben hatte, ein wenig erweitern.

„Ich habe dich gefragt, was du hier machst?!“, diese Stimme wurde ungehalten. Eigentlich war es eher ein dunkles Grollen, das ich irgendwie verstand.

Ich schwieg. Tat so, als wäre ich nicht da. Mal davon abzusehen, war es mir sowieso nicht möglich zu antworten. Mein Herz schlug so schnell und laut, dass ich befürchtete, ich würde mich allein durch den Schlag enttarnen.

Es wurde wieder Still… wie die Ruhe vor dem Sturm. Mental bereitete ich mich – auf was auch immer passieren könnte – vor.

Doch nicht auf das…

Plötzlich packte mich etwas am Hals. Ich empfand es als etwas großes, ledriges, kaltes. Dieses Monster hatte, während es mit mir gesprochen hatte, sich vor mich gestellt. Mein lauter Herzschlag hatte verhindert, dass ich die Schritte höre.

Ich war gelähmt. Mein Hals und Brustkorb schmerzte von dem Griff. Dieses Etwas hob mich hoch…wahrscheinlich auf Augenhöhe.

Das wars. Ich war mir sicher, dass ich dies nicht überleben würde. Das Wesen würde mich fressen oder etwas schlimmeres mit mir anstellen. Es tat mir so leid… Mein Bruder würde sich auf ewig Vorwürfe machen. Das wollte ich nicht… Verzeih mir…

Runde 17: Ein neuer Tag bricht an

Ein lauter Schrei. Mehr brauchte es nicht, um mich aus den Klauen des Monsters, das mich im Schattenreich gepackt hatte, zu befreien. Plötzlich erstrahlte ein weißes Licht, das meine Umgebung und mich einhüllte.
 

Verwirrt stand ich neben Jaden. Benommen sah ich, wie der vermeintliche Schattenduellant, durch den wir wirklich in ein Spiel der Schatten geraten waren, von kleinen, dunklen Wesen eingenommen wurde. Sie horteten sich über ihm, bis er verschwunden war. Ich konnte mir nur allzu gut vorstellen, wo er jetzt landen würde… eines war definitiv sicher: Ich wollte nie wieder an diesen Ort zurückkehren.

„Was ein Duell!“, jubelte Jaden. Sein geflügelter Kuriboh schwebte neben ihm, genauso wie mein Kleiner Engelsbote, den ich irritiert ansah. Hier waren Duell Monsters scheinbar real.

Erwartungsvoll sah Jay mich an, als wartete er auf ein Lob meinerseits. Er hatte gar nicht bemerkt, dass ich im Reich der Schatten gefangen war? Dennoch war ich glücklich, technisch gesehen aus demselben Grund, „Genial, Jay.“, unsicher sah ich mich um. Der schwarze Raum, in dem wir uns befanden, schien langsam zu kollabieren.

„Kurri“, machte uns Kuriboh auf einen Riss in der Wand hinter uns aufmerksam.

Ich zeigte auf den Kuriboh, „Jay“, wir sprangen - hinter unseren Duellgeistern – durch die Öffnung.

Syrus und Chumley standen wartend davor. Ihre Gesichter zeigten Besorgnis. Hätten sie nur gewusst, dass dies ein echtes Spiel der Schatten waren, würden sie noch besorgter drein blicken, „Alles ok?“

„Mir gings nie besser, Leute.“, jubelte Jaden, während er mich ansah, „Das war doch ein Hammer Duell, oder Jane?“

Leider hatte ich das eigentliche Spiel der Schatten verpasst… ich traute mich allerdings nicht, ihm zu sagen, wo ich war.

„Hallo, Erde an Jane!“, ein wenig besorgt winkte er mit seiner Hand vor meinem Gesicht.

„Huh?“, fragte ich. Mir war gar nicht klar, dass ich so lange nicht geantwortet hatte. Meine Gedanken befanden sich zum Teil wohl noch im Reich der Schatten.

„Sag Sy und Chum, was für ein geniales Duell sie verpasst haben. Du hast immerhin die ganze Zeit neben mir gestanden.“

Vielleicht, aber meine Seele war an einem ganz anderem Ort, „Jay war großartig. Schade, dass ihr es verpasst habt, Jungs.“

„Was ist genau dort drinnen passiert?“, fragte Chumley. Doch bevor wir antworten konnten begann diese Sphäre, aus der wir vor Augenblicken geflohen waren, in Blitze gehüllt, zu implodieren. Damit wir nicht etwas von diesem… Phänomen… abbekommen konnten, packte mich Jaden an der Schulter und riss mich auf den Boden. Wimpernschläge später wurde es stürmisch in diesem felsigen Raum. Ich vermutete, dass es eine Nebenwirkung von dem Verschwinden des Portals zur Schattenwelt war. Durch diesen Windsturm allerdings rutschte der Sarg, in den Alexis lag, auf den Boden. Sie schien noch immer tief und fest zu schlafen.

Mit einem kleinen Klirren zerschellte der Raum, in dem Jaden das Ende seines Duells zugebracht hatte, in tausende von Stücken. Fasziniert stand er auf, „Wahnsinn“, er applaudierte, während die ‚Scherben‘ golden schimmernd auf uns nieder regneten, „Ich frag mich, was der noch so alles drauf hat. Das war – total realistische Illusionen, die vielen Spezialeffekte – Monster, der Wirbel und so.“

Fragend sah Syrus Jaden und mich an, „Eine Illusion? Glaubst du, dass das mit dem Reich der Schatten nicht echt war?“

„Nö, das waren alles Spiegel und Nebelmaschinen. So wie ich gesagt hab.“, er blickte zu mir, „Das ist dir doch auch aufgefallen, oder?“

Perplex nickte ich nur. Wow… es gab wohl noch keinen einzigen Duellanten in der Geschichte von Duell Monsters, der ein Spiel der Schatten gewonnen hatte und nicht daran glaubte, dass es echt war. Ich meine… er hatte gesehen, wie sein Gegner verschwand! Er hatte wahrscheinlich auch den Schmerz gespürt, während er Lebenspunkte verloren hatte… und trotzdem dachte er, all das war eine Illusion?

„Obwohl ich mein ganzes Deck hergeben würde, um zu wissen, wie er das angestellt hatte.“, doch ein wenig verwirrt, raufte Jay sich die Haare. Seine Erklärung schien ihm selbst nicht ganz einzuleuchten, „Sowas habe ich echt noch nie gesehen!“

„Ist doch jetzt egal.“, versuchte ich das Thema zu wechseln, „Kommt, Jungs, bringen wir Alexis hier raus. Und nichts für ungut… ich bin auch froh, wenn wir wieder daheim sind.“
 

Erst draußen vor der Unterkunft kam Alexis wieder zu sich. Jaden kniete neben ihr – er wartete wahrscheinlich darauf, einen coolen Spruch zum besten zu geben, „Hallöchen, guten Morgen, Dornröschen.“

Sie war irritiert, „Wo bin ich? Was macht ihr denn hier?“, ich konnte sie verstehen. So würde es mir – wahrscheinlich jedem – gehen, wenn man plötzlich entführt worden wäre. Wir saßen auf dem Waldboden.

„Augenblickchen mal, was ist denn das für ein Dankeschön, hä?“, fragte Jaden – der sich ein wenig als Held des Abends sah. Zu recht. Nicht nur hatte er Alexis gerettet, sondern auch seine eigene Seele… und meine. Das lustige, aber auch traurige war, dass ihm das in diesem Ausmaß nicht einmal bewusst war, „Wir sind hier, weil wir einen miesen Typen besiegen mussten, der dich ins Reich der Schatten bringen wollte, Alexis.“

„Jetzt erinnere ich mich. Dieser Mann hat mich entführt.“

„Zumindest fast. Wir haben deine Karte gefunden… und das hier.“, er reichte ihr die Duell Monsters Karte Etoile Cyber und ein kleines, gerahmtes Foto. Ein junger Mann war darauf zu sehen. Er trug längere braune Haare und eine Obelisk Blue Uniform.

„Das ist mein Bruder“, erklärte sie, „Das ist seit langer Zeit die erste Spur von ihm.“

„Das gibt Hoffnung.“, baute Jaden sie auf, „Ich habe es dir mitgebracht, als Zeichen, dass wir dir helfen, ihn zu finden.“

Ach ja? Ich wusste nicht einmal, dass ihr Bruder zu den verschwundenen Studenten gehörte…

„Siehst du: ich wollte nicht, dass du nochmal in einem Grab eingesperrt wirst, nur wenn du dich auf die Suche nach ihm machst.“, fuhr er fort.

„Du hast dir wohl wirklich Sorgen um mich gemacht, was?“, sie war wirklich ein wenig erstaunt.

Der Morgen brach mittlerweile an. Wir hatten die ganze Nacht in diesem Albtraum verbracht?

„Jungs?“, deutete ich an. Jay verstand sofort, „Oh-oh es wird schon wieder hell. Wir machen uns lieber auf den Weg, bevor jemand bemerkt, dass wir die ganze Nacht weg waren.“

Wir verabschiedeten uns und nahmen die Beine in die Hand, damit wir noch rechtzeitig unsere Unterkunft erreichten.

Runde 18: Harte Strafe

Ich war heilfroh, als wir unsere Unterkunft erreicht hatten und scheinbar keiner unsere Abwesenheit bemerkt hatte. Hundemüde verabschiedeten wir uns und ich fiel regelrecht in mein Bett. Hätte ich hier auf ihre Ankunft gewartet, wäre ich wahrscheinlich wie ein Tiger in meinem Zimmer auf und ab gelaufen – die ganze Nacht – wenn ich diese Spannung und Angst überhaupt so lange ausgehalten hätte… Es war eine schreckliche Nacht… aber auf der anderen Seite habe ich auch etwas über mich selbst herausgefunden: Ich kenne die Schatten. Sie verängstigen mich zwar, aber nicht wegen der Ungewissheit, was sich darin verbarg, sondern vielmehr, weil ich wusste, was auf mich, nach einem verlorenen Spiel der Schatten, warten würde…

Körperlich und geistig völlig erschöpft schloss ich meine Augen.
 

Mein Schlaf war sehr kurzweilig. Im Zimmer nebenan polterte jemand an die Tür. Panisch schreckte ich hoch – nicht zuletzt auch wegen des Albtraumes, dass ich diesen Schatten in der vorigen Nacht gar nicht entkommen war.

„Ihr und welche Armee?“, hörte ich Jaden verschlafen durch die Wand fragen.

„Die disziplinarische Sondereinheit, wenn dus genau wissen willst.“, antwortete die Frau, die diesen Lärm verursachte. Oh Slifer, Ra und Obelisk! Das konnte nur Ärger bedeuten! Ziemlich ungelenk sprang ich auf die Beine. Ein leichter Schwindel überkam mich, das Resultat von Schlafmangel und einem noch nicht vollständig erwachten Kreislauf. In meiner verschwommenen Umwelt torkelte ich zu meiner Tür und öffnete diese. Eine Frau in grüner Duell Akademie Uniform – umgeben von vielen Männern in derselben Uniform – sah Jaden ernst an. Sie meinte, das Vergehen, das ihm und Syrus zur Last gelegt werde, wird sich bei der Befragung offenbaren. Bis dorthin stünden sie unter Kampusarrest.
 

Die Sondereinheit war so schnell verschwunden, wie sie aufgetaucht war. Verwirrt stand Jaden in der Tür, sah mich an, „Hast du eine Ahnung, was die meinen?“

Ich nickte betreten… war ihm nicht einmal klar, dass wir am Abend zuvor fast ein halbes Dutzend Schulregeln gebrochen hatten?

„Sag schon.“, meinte er. Hinter ihm tauchte Syrus auf. Beide trugen ihre Pyjamas. Sie waren wohl scheinbar nicht so todmüde gewesen und einfach in Klamotten ins Bett gefallen.

„Jay… Sy…“, wie konnte ich nur die richtigen Worte finden? So leise flüsternd, dass es auch wirklich keiner hören konnte versuchte ich die Situation zu erklären, „Ihr wisst, dass das, was wir gestern getan hatten, gegen die Schulregeln war?“

„Die sollen sich nicht so dranstellen.“, Jaden verdrehte die Augen, „Das war doch nur ein kleiner Spaziergang! Da ist doch nichts dabei.“

„Ein kleiner Spaziergang ist was anderes, Jay.“, flüsterte ich weiter, „Wir haben ein Gebäude betreten, das unter allen Umständen zu meiden ist. Und die Folgen sind dir doch bekannt.“

„Ach was der war doch nur ein Hochstapler... Nunja… im schlimmsten Fall bekommen wir ein paar Strafarbeiten aufgebrummt. Das ist kein-“

„Jay!“, ich war fassungslos, „Wie kannst du so gelassen sein? Jemand hat uns gesehen… zumindest dich und Sy. Ich glaube nicht, dass ein oder zwei Aufsätze dieses Mal wirklich als angemessen gesehen werden…“

„Sei doch nicht so schwarzmalerisch.“, er winkte ab, „Wir gehen gleich zu dieser Anhörung und dann ist das alles auch schon Schnee von gestern.“

„Wenn du meinst-“, ich wollte noch etwas sagen, aber es hatte keinen Wert. Jaden war ein Grandioser Duellant, aber genauso optimistisch – fast schon naiv – und stur, „Ich hoffe du hast recht.“, meinte ich noch, bevor ich mein Zimmer wieder betrat. Was konnte ich nur machen?

Verzweifelt setzte ich mich auf mein Bett. Ich wollte Jaden helfen. Aber wie? Mir war klar, dass ich erst einmal die Verkündung der Bestrafung abwarten musste. Doch vielleicht konnte ich diese irgendwie verhindern?

Während ich alle möglichen Gedanken in meinem Kopf hin und her wälzte kam mir eine Idee: Mein Bruder! Er hatte mir gesagt, dass ich mich, wenn ich hier auf der DA große Probleme hatte, an ihn wenden soll, da er einen Kontakt hier hatte, dem man nichts ausschlagen konnte. Ein Versuch war es wert. Ich nahm meinen PDA in die Hand und schrieb ihm folgende Mail: ‚Hallöchen Brüderchen. Ich wollte dich fragen, wie du zu deinem Angebot, stehst, mich aus der Patsche zu holen? Keine Angst. Ich habe mir keine Probleme eingefangen, aber zwei sehr gute Freunde. Ich befürchte, dass sie, durch eine kleine Dummheit, von der Schule fliegen. Wie geht es dir sonst so? Freue mich über eine baldige Antwort. Lg, Jane‘, ich sendete sie ab.

Jetzt hieß es nur noch warten…

Warten und hoffen.

Meine Augenlider wurden schwer.

Es dauerte nicht lange, bis sie endgültig zufielen.
 

Ein vibrieren riss mich aus meinem Halbschlaf. Erschrocken sah ich auf den tragbaren PC, den ich immer noch in meiner rechten Hand hielt. Ich hatte eine Nachricht bekommen. Wider meines Erwartens war sie allerdings nicht von meinem Bruder, sondern von Absender Unbekannt, ‚Hoffentlich werden deine Slifer-Nieten-Kollegen verlieren und von der Schule fliegen. Keiner kann sie retten.‘

Was?! Verlieren?! Entsetzt sah ich auf meine Uhr am rechten Handgelenk. Verdammt! Ich hatte vier Stunden einfach vor mich hin gedöst.

Schockiert sprang ich auf, dieses Mal darauf bedacht, dass mein Kreislauf auch keinen Absacker hat. Den könnte ich unter keinen Umständen gebrauchen. Ich stürmte aus dem Zimmer und fiel regelrecht – ohne überhaupt anzuklopfen – in das von Jaden.

„Wow, Jane, immer mit der Ruhe.“, lachte er. In völliger Ruhe saß er auf dem Boden, an einem kleinen Tisch und betrachtete seine Karten. Diese Anhörung schien wohl besser, als gedacht, verlaufen zu sein… Obwohl… wenn ich mir Syrus ansah, der nervös an seinen Fingernägeln kauend auf dem Bett hockte… dann war ich wieder dabei diese Anhörung als Misserfolg zu deuten.

„Wie wars? Was ist denn los?“, fragte ich – in der Hoffnung zu Unrecht – besorgt.

„Du hattest Recht.“, begann Sy. Seine Stimme zitterte, genau wie sein ganzer Körper, „Wir… wir mussten uns rechtfertigen, warum wir die verbotene Unterkunft betreten haben…“, er begann zu schluchzen, „Weißt du… wir… wir…“, er brachte es nicht fertig, seinen Satz zu beenden.

Mein Herz schlug schneller. Ich war entsetzt, "Ihr wurdet doch nicht etwa rausgeschmissen?!“

„Schlimmer.“, bekam ich nur von Sy zurück.

Was könnte schlimmer sein, als von der DA geschmissen zu werden?!

„Komm schon Sy, übertreib mal nicht!“, mischte sich Jaden jetzt ein, während er von seinen Karten zu mir aufblickte, „Wir sind ein Tag-Team und müssen gegen ein anderes antreten. Wenn wir verlieren, dann fliegen wir, wenn nicht, können wir bleiben.“

Schockiert hielt ich meine Hände vor den Mund. Jaden war ohne Frage ein großartiger Duellant… doch Sy… ihm fehlte es vor allem an Selbstvertrauen.

„Ist doch halb so wild, oder Jane?“, fragte er.

Ich stand nur da und schwieg. Sekunden, sogar Minuten vergingen, ohne das ich etwas sagte. Verzweifelt hoffte ich, dass mein Bruder da etwas richten konnte… oder ich?

„Jane?“, Jay sah mich besorgt an, „Alles ok?“

„Ja, klar.“, ich machte auf dem Absatz kehrt und rannte los, wohl wissend, was ich zu tun hatte.

Runde 19: Eine Bitte

Der Weg zum Hauptgebäude verging wie im Flug, genauso wie die Unzähligen Stufen, die ich erklimmen musste, um mit IHM zu sprechen. Er war der einzige hier auf dieser Insel, der das Tag Duell von Jaden und Syrus irgendwie verhindern – oder zumindest einmal abändern – konnte.

Angespannt, ein wenig zitternd, stand ich vor seiner metallenen Tür. Mein Spiegelbild starrte mich unsicher an. Heute war ich blasser als sonst, die Augen waren ein wenig gerötet und… die Haare waren total zerzaust – ich kam ja heute noch nicht dazu sie zu kämmen. Sie standen mehr ab als sonst… Doch mein Äußeres war mir egal. Die Stimme in meinem Kopf stellte die Fragen, die ich mir selbst zu stellen zu vermeiden versucht hatte: War das wirklich so eine gute Idee? Ich hatte noch nicht geklopft… könnte einfach wieder kehrt machen… anstatt… nunja…

Was dachte ich da? Jaden hatte mich gerettet, mehr als ein Mal! Ich musste mich endlich mal dafür revanchieren. Unter einer immensen Spannung hielt ich die Luft an und klopfte an die metallene Tür.

Vielleicht war er ja gar nicht da?

„Herein.“, kam mir von der anderen Seite der Tür entgegen.

War ja klar. Er war – soweit ich wusste – jeden Tag da. Ein letztes Mal holte ich tief Luft, bevor ich die Tür öffnete und den Raum betrat.

Dieses Zimmer war das Büro von Kanzler Sheppard, um genau zu sein. Groß, geräumig, mit einer riesigen Glasfront, die einen atemberaubenden Blick über den gesamten südlichen Teil der Duellinsel bot. Zu meiner linken stand eine bequem aussehende Couch vor einem großen LCD Fernseher. In der Mitte, vor den Fenstern, saß der Kanzler an einem großen Schreibtisch, auf dem sich ein paar Papierstapel türmten. Er sah mich überrascht an, „Guten Tag Jane, was kann ich denn für dich tun?“

Ich kam näher, blieb erst vor seinem Schreibtisch stehen. Hoffentlich fand ich die richtigen Worte... um ihn zu überreden, „Guten Tag, Kanzler.“

„Ich kann mir denken, warum du hier bist.“, er lächelte, „Miss Alexis Rhodes und auch Chumley Huffington waren schon da, um mich zu bitten, Syrus Truesdale mit einen von ihnen auszutauschen.“

Ich nickte. Ja, das taten Freunde, „Wie ich die beiden einschätze, haben sie auch berichtet, dass sie in der verbotenen Unterkunft waren.“

„Das haben sie in der Tat.“

„Nun… ich war auch dort.“

Er sah mich irritiert an, wahrscheinlich am Abwägen, ob ich die Wahrheit sagte, oder nur eine Lüge. Eigentlich wünschte ich mir selbst, dass ich in diesem Belang log, „Was willst du damit sagen?“ Er schien zu dem Schluss gekommen zu sein, dass ich ehrlich war. Für mich war es wirklich ungewöhnlich, die Schulregeln zu brechen… doch wenn man bedachte, wer meine Freunde waren, so konnte man mit so etwas rechnen.

Bevor ich überhaupt Luft holen konnte fügte er noch hinzu, „Jane, ich weiß, dass du dich nicht gerne duellierst – es sogar fürchtest. Umso ehrenhafter ist es von dir, dass du dich bereit erklären möchtest, dich an Syrus‘ Stelle zu duellieren. Ich bin mir sicher, Jaden und du, ihr wärt ein großartiges Tag-Team, aber die Auswahl wurde schon getroffen. Es tut mir leid.“

Somit hatte er mir schon den Wind aus den Segeln meines ersten Plans genommen. Doch an Plan B hatte er nicht gedacht, „Es schmeichelt mir, Sir, dass Sie das sagen… aber mir ging es eher um etwas anderes. Ich bin aus freien Stücken in diese Unterkunft gegangen und möchte auch dafür die Konsequenzen tragen. Wie Sie bereits gesagt haben: Ich fürchte das Duellieren, bin mir nicht einmal sicher, ob ich überhaupt hierher gehöre. In den ersten drei Wochen habe ich mich hier kein einziges Mal duelliert; habe somit sogar meine Noten verschlechtert, bei meiner Zwischenprüfung.“, kurz schloss ich meine Augen, um sicherzugehen, dass ich auch wirklich ruhig blieb. Als ich sie wieder öffnete, fuhr ich fort, „Sir. Ich bitte Sie nicht, Syrus für mich auszutauschen. Vielmehr möchte ich Sie fragen, ob schon die Gegner für dieses Tag Duell bestimmt wurden.“

Er war sehr verwirrt. Irritiert sah er mich an. Mit so einer Frage hatte er wohl nicht gerechnet. Wahrscheinlich erahnte er, worauf dies hinauslaufen sollte, „Darum kümmert sich Dr. Crowler.“

Ich nickte, stellte trotzdem meine Bitte, „Sir, ich bitte Sie, mich als Jaden Yukis und Syrus Truesdales Gegner in diesem Duell in Erwägung zu ziehen.“

„Was?“, er war sehr überrascht. Genauso wie ich, da ich nicht daran geglaubt hatte, dass ich dies überhaupt laut – und vor allem so selbstbewusst – aussprechen konnte. Mein Plan war es, nachdem wir dieses Duell begonnen haben würden, aufzugeben. Somit hätten sie dieses Duell gewonnen und könnten bleiben. Ich würde zwar fliegen, aber wie ich meinen Bruder einschätzen konnte, hielt er noch ein oder zwei Akademien für mich parat, für den Fall, dass ich hier abbrechen würde. Meine einzige Angst betraf die eigene Gesundheit, sobald meine Lebenspunkte Null erreichten. Würde ich alleine schon durchs Aufgeben schwer verletzt werden? Oder erst durch einen Angriff? Doch meine Freunde waren es wert, dieses Risiko einzugehen.

„Nun, Jane. Dies ist eine sehr unorthodoxe Bitte.“, Sheppard räusperte sich, nachdem er seine Stimme wieder gefunden hatte, „Bist du dir aller Konsequenzen bewusst, die ein Verlieren deinerseits mit sich bringen wird?“

Ich nickte, „Ja, Sir.“

Er ging kurz in sich, während er mich argwöhnisch beäugte, „Dein Bruder hat viel daran getan, dich über seinen Kontakt hierher zu bringen. Möchtest du ihn wirklich dermaßen enttäuschen?“

„Wie bitte?“, verwundert sah ich ihn an. Ich wusste nicht, dass Kanzler Sheppard meinen Bruder zu kennen schien – und wusste, wer dessen Kontakt war, „Sie gehen hier und jetzt schon davon aus, das ich verliere?“, ungewollt stellte ich diese Frage ein wenig aggressiver, als gewollt. Man konnte diesen Anflug von Zorn auch einfach so missdeuten, dass ich in meiner Ehre als Duellant verletzt war, wenn jemand einfach so von meiner Niederlage ausging… doch nicht Kanzler Sheppard…

Er hatte mich enttarnt, „Jane, ich weiß, was du vorhast. Du möchtest in diesem Duell absichtlich verlieren. Genau deshalb lautet meine Antwort nein.“

Das war das einzige, was ich für meine Freunde tun konnte. Ein paar kleine Tränen traten in meine Augen, „Aber Sir-“

„Es ist ehrenhaft, wie sehr du dich für deine Freunde einsetzen möchtest. Nicht jeder ginge so weit und würde sich von der Schule schmeißen lassen. Mir ist bewusst, dass du nicht freiwillig an der Duell Akademie bist. Doch mittlerweile scheinst du doch recht gerne dem DA Alltag zu folgen.“

Ich sah ihn nur an, schwieg aber.

„Aber wir dürfen nicht vergessen: Du hast einige Schulregeln gebrochen und eben einen Täuschungsversuch begangen. Genau aus diesem Grund, wirst auch du in nächster Zeit eine Strafe bekommen. Wann und wo weiß ich noch nicht, aber wenn der Tag reif ist, wirst du mir zeigen, ob du hier auf der Akademie bleiben wirst, oder nicht. Führe bis dorthin deinen Schulalltag unbeirrt fort. Doch irgendwann wird deine Bestrafung kommen.“, bei letzterem blieb seine Mine hart, wie Stein, „Haben wir uns verstanden, Miss Yaki.“

„Ja, Sir.“, niedergeschlagen verließ ich den Raum.

Runde 20: Jadens Entschluss

Traurig lief ich wieder zur Roten Unterkunft. Ich hatte so sehr gehofft, dass Sheppard auf meinen Vorschlag eingehen würde… doch ich hatte mich getäuscht. Stattdessen werde ich mich in naher Zukunft wahrscheinlich selbst gegen irgendjemanden duellieren müssen, um hier bleiben zu können. Es war ein Unterschied, wenn ich gehen musste, um meinen Freunden zu helfen, oder weil ich das Duell gegen einen Fremden verloren hatte. Er hatte recht. Mittlerweile mochte ich die Duell Akademie, doch dies war eher das Verschulden meiner Slifer Kollegen.

Niedergeschlagen passierte ich die Klippen in der Nähe von unserer Unterkunft. Es waren genau die Klippen, an denen ich diesen Unbekannten Obelisken am Vorabend gesehen hatte. Dieses Mal waren sie aber nicht verlassen. Alexis und Chumley standen dort und beobachteten etwas unterhalb der Felsen.

„Hey.“, grüßte ich, während ich mich zu ihnen gesellte. Auf einem Vorsprung duellierten sich gerade Syrus und Jaden.

„Hey, Jane.“, antwortete Chumley, „Wo warst du? Wir hatten geklopft.“

„Ich war bei Sheppard.“

„Das kannst du vergessen.“, meinte Alexis, „Er bleibt stur.“

„Leider ja.“, ich seufzte. Von meiner kommenden Strafe erzählte ich erst einmal nichts. Stattdessen beobachtete ich das Duell.

Es sah nicht gut für Syrus aus. Ihm blieben nur noch zweitausendsechshundert Lebenspunkte und er hatte kein Monster auf dem Feld. Auf Jadens Seite hingegen standen der grüne und geflügelte Elementarheld Avian und der blau goldene Elementarheld Sparkman. Jay hatte noch keinen einzigen Lebenspunkt verloren und eine verdeckte Karte in seiner Zauber- und Fallenkartenzone.

In dem Moment, in dem ich zu dem Duell gestoßen war, hatte Sy die Zauberkarte Topf der Gier aktiviert. Er durfte somit zwei weitere Karten ziehen. Eine davon schien es wohl wirklich in sich zu haben, denn er blickte sie im ersten Moment sehr erstaunt an. Aber… irgendetwas stimmte mir dieser Karte nicht. Er zitterte leicht, während er sie anstarrte. So vergingen einige Momente, bis Jaden diese unangenehme Pause zu beenden versuchte, „Hey, alles in Ordnung, Sy?“

Ein wenig verwundert blickte er auf, „Äh… ja.“, er steckte diese ominöse Karte in sein Blatt, nahm stattdessen eine andere. Nämlich Fusion, „Ich spiele diese Zauberkarte hier.“, ein blauer Wirbel erschien über uns, „Ich nutze ihren Effekt um Steamroid und Gyroid zu vereinigen. Dadurch erhalte ich Steam-Gyroid.“, eine Lokomotive – mit Gesicht - und ein Helikopter – ebenfalls mit Gesicht – erschienen kurzfristig auf dem Feld, bis sie von Fusion eingesogen wurden. Das Monster, das daraus entstand war Lokomotive mit Propeller und Kufen als Armen. Mit zweitausendzweihundert Angriffspunkten war sie auch stärker als Jadens Sparkman und Avian.

„Na dann Steam-Gyroid“, fuhr Syrus fort, „es wird Zeit für die Lokomotive. Attacke.“, der Propeller des Helikopters um den Hals des Monsters begann sich zu drehen. Immer schneller. Währenddessen stieß es, ganz wie bei einer Lok, Dampf aus. Beides zusammen war ein starker Wirbelsturm aus Dampf, der Elementarheld Avian einhüllte. Doch dies war nur Tarnung. Durch den Sturm flog nun Syrus‘ Maschine hindurch. Die Rotoren zerstückelten Avian in tausende von Teilchen.

Jaden verlor weiterhin eintausenzweihundert Lebenspunkte. Somit war sogar fast gleichstand.

„Na, siehst du.“, frohlockte Sy, „Erwihischt. Hast du jetzt genug Jaden?“

Doch Jay lachte nur. Endlich schien ihm dieses Duell Spaß zu machen, „Was soll denn die Frage? Wieso soll ich genug haben? Sy, du kennst doch den alten Spruch: Ohne Fleiß kein Preis. Du wirst überrascht sein. Ich bin auf alles vorbereitet. Hör zu, Syrus: Du bist zwar einer meiner besten Freunde, aber jetzt sind wir Rivalen.“, er zog, „Und ich hab genau die Karten, um dich in den Boden zu stampfen.“, er hielt eine Karte in die Höhe, „Sieh dich vor: Ich aktiviere die Karte Fusion. Elementarheld Sparkman und Elementarheld Clayman, vereinigt euch.“, der Koloss aus Lehm und auch der Held der Funken nickten und sprangen in den plötzlich bewölkten Himmel, „Und aufgepasst: Hier kommt Elementarheld Donnergigant.“ Begleitet von Blitzen sank ein Riese mit einer goldenen und lilanen Rüstung auf die Erde. Das war übel. Mit der besonderen Fähigkeit konnte Donnergigant Steam-Gyroid sofort auf den Friedhof schicken. Mit zweitausendvierhundert Angriffspunkten schien das Duell für Syrus ziemlich bald beendet zu sein.

Mit dem Zeigefinger gen Himmel gerichtet leitete Jaden den Effekt von Donnergigant ein, „Mach seinen Steam-Gyroid platt.“, der Held schickte Blitze zum Himmel, die als Funkenregen auf Steam-Gyroid herabsausten. In einer Explosion verschwand die einzige Verteidigung auf Sys Feld.

„Und das war noch nicht alles! Elementarheld Burstinatrix!“, die Heldin erschien auf dem Feld und flog eine Freudenrunde um Donnergigant herum. Dabei schien ihr dunkles Haar wie ein Gleiter zu wirken, „Mach dich bereit auf einen Doppelangriff.“, beide griffen an… Syrus hatte das Duell verloren… leider…

Aufmunternd ging Jaden zu Syrus und ermutigte ihn. Auch nahm er die mysteriöse Karte, die Syrus gezogen, aber nicht eingesetzt hatte. Jay schien beeindruckt. Doch Sy verstand nicht, schnappte sich die Karte und rannte weinend weg, Chumley versuchte ihm zu folgen. Somit waren nur noch Alexis und ich übrig. Sie lief zu Jaden herunter.

Merkwürdigerweise konnte ich Syrus‘ mangelndes Selbstvertrauen sowohl verstehen, als auch nachvollziehen… er tat mir schrecklich leid. Wie konnten wir ihn nur aufbauen? Durch ein Duell bestimmt nicht…

Grübelnd setzte ich mich auf die Kante der Klippe und ließ die Beine baumeln.

Was konnte bei Sy nur vorgefallen sein, dass er so an sich selbst zweifelte? Hatte jemand sein Selbstvertrauen so dermaßen zerstört? Aber wie? Und weshalb? Wer würde dem liebenswerten Syrus nur so etwas antun?

Verständnislos beobachtete ich den Horizont. Der klare blaue Himmel… die weiten des Meeres. Freiheit. Wie konnten nur so schlimme Dinge an einem Tag wie heute passieren? Bei solch einem traumhaften Wetter?

Ein kalter Schauer überkam mich. Mir wurde klar, warum ich das Licht und die Natur betrachtete: Dies war eine Nachwirkung der Schatten. Ich wollte jeden schönen Moment in mich einsaugen, für den Fall, dass ich wieder in dieses Reich gezogen werden würde. Der warme Meereswind schien mir auf einmal eisig. Ich fror. Mir wurde klar, dass ich mich insgeheim, seit ich von Jaden befreit wurde, selbst belogen hatte. Diese Finsternis hatte mir doch psychischen Schaden zugefügt. Dachte ich nur daran zurück, fiel ich in eine Angststarre. Nie wieder wollte ich dorthin zurück… unter keinen Umständen. Würde ich überhaupt jemandem etwas davon erzählen… „Ich würde für verrückt erklärt werden.“ Murmelte ich vor mich hin.

„Warum denn das?“, fragte plötzlich Jaden, der plötzlich hinter mir stand.

Ich schrak so zusammen, dass ich auf die Beine sprang und dabei fast die Klippen herunter fiel, „Bei Slifer, Jay! Erschreck mich doch nicht so.“, ein wenig vorwurfsvoll sah ich ihn an, während ich meine Hand auf die Brust legte, damit ich fühlen konnte, ob mein Herz wirklich so schnell schlug, wie es sich anfühlte.

Er lachte, hob entschuldigend die Hände in die Höhe, „Sorry Jane.“, doch sein Lächeln erstarb ziemlich schnell. Das war sehr ungewöhnlich für ihn.

„Was ist denn los?“, fragte ich.

„Weißt du, Sy ist ein toller Kerl… warum lässt er sich von seinem Bruder so runter ziehen?“, er sah mich an.

„Ich wusste gar nicht, dass er einen Bruder hat…“, antwortete ich verlegen.

„Ich auch nicht. Alexis hatte es mir eben gesagt. Sie meinte, er sei ein klasse Duellant, im Abschlussjahr und Obelisk.“

Ein Obelisk? Abschlussjahr? Das passte irgendwie zu den Dingen, die ich über den Unbekannten wusste… allerdings passte das wohl auf sechzig Studenten. Wahrscheinlich nur Zufall… aber ich ahnte etwas anderes, „Jay… was hast du vor?“

„Ich werde mich gegen ihn duellieren, was sonst!?“, sein Elan war wieder zurück, „Ich werde ihm zeigen, dass man seine Familie anders behandeln soll, währenddessen gebe ich Syrus durch das Duell ein Teil seines Selbstvertrauens zurück!“

Runde 21: Ein ziemlich einsamer Schultag

Ich war sauer. Stinksauer! Mein Bruder, die untreue Tomate, hatte auf meine Mail geantwortet mit einem ‚Halt dich da raus! Du bist dort um zu lernen, nicht um Zeit zu vergeuden‘. Was sollte das?!? Auf meinen Anruf reagierte er nicht, genauso wenig, wie auf andere Mails. Was war los mit ihm? Dieser nette, soziale Mensch würde doch nicht so etwas schreiben! Ich hätte erwartet, dass er erst einmal wissen wollte, was los war. Doch nicht einmal das interessierte ihn. Anscheinend hatte ich Aniki falsch eingeschätzt. Er würde mich nur aus einer Patsche holen, wenn es darum ging, dass ich von der Duell Akademie fliegen würde, falls er nichts unternahm. Ihn interessierte es nicht, wie es mir ging. Hauptsache ich war weg von daheim; trat ihm nicht unter die Augen. Welcher Bruder tat so etwas? War ich ihm so unwichtig? Bedeutete ich ihm nichts? Er wusste doch, wie schwer es mir fiel, überhaupt Freunde zu finden, vor allem, wenn ich in Slifer war!

Niedergeschlagen und wütend zugleich sah ich auf meine Notizen. Besser gesagt auf das leere Blatt, auf das ich Kernelemente der heutigen Vorlesung schreiben wollte. Da Jay und Sy wegen der Regelmissachtung das Verbot bekommen hatten, am Unterricht teilzunehmen – und Chum deshalb auch den Unterricht nicht besuchte – saß ich alleine in unserer Reihe. Das Gefühl von Einsamkeit machte sich in mir breit. Wenn Jadens Plan nicht aufging, so würde ich mich wieder daran gewöhnen müssen.

Ich hoffte inständig, dass er sich mit Syrus‘ Bruder duellieren könnte – und nicht verlor. Ein Zweifler in einem Tag-Team war schon schlimm… aber zwei…? Dann könnten sie gleich die Koffer packen.

Was dachte ich denn da? Immerhin war Jaden der zweite Teil dieses Duos. Er würde sich auch nicht durch EIN einziges verlorenes Duell unterkriegen lassen.

Ich schwor mir, dass ich diesem Bruder von Syrus die Meinung sagen würde. So ein Verhalten war… falsch… unverantwortlich… grausam… genau wie das meines Bruders.

Eine plötzliche Unruhe machte sich im Hörsaal breit. Offensichtlich hatte Crowler den Unterricht beendet. Dies war das erste Mal, dass ich einem Dozenten ÜBERHAUPT NICHT zugehört hatte.

Leider war es nicht die letzte Stunde. Wir hatten noch Sport. Schweigend packte ich meine Sachen, stand auf und verließ den Saal. Ich schwor mir, würde es heute jemand wagen mich blöd anzulabern, ein Bein zu stellen oder einen Spruch über Jay und Sy zu reißen… der würde es bitter bereuen. Entweder in einem Duell, oder durch einen Faustschlag. Hoffentlich konnte ich mich mit Bewegung ein bisschen von meinem Zorn befreien. Doch er saß so tief… fast schon unergründlich. Als hätte er seit Jahren in meinem tiefsten Innern auf den Moment gewartet, in dem er unkontrolliert ausbrechen konnte.

Ohne überhaupt auf meine Umgebung oder die anderen Studenten zu achten, lief ich zur Damenumkleide neben dem Sportplatz, an meinen Spint am Eingang des Raumes und zog mich um. Es war noch niemand hier, doch das sollte mir gerade recht sein. Es gab schon in der einen oder anderen Sportstunde merkwürdige Beäugungen meiner Wunden am ganzen Körper. Da waren die Brandnarben an beiden Armen, der Verband am rechten Unterarm – der durch den Biss von Devans König der Zombies entstanden und immer noch nicht richtig verheilt war -, dann zahlreiche Narben an meinem Bauch – der ebenfalls in den letzten Wochen mit einem Verband verdeckt wurde, dem Lebensfresser sei Dank – und ein paar Schnitte an meinen Schienbeinen. Ich schwor bei Slifer, Ra und Obelisk, wenn ich irgendwann noch Wunden an meinen Oberschenkeln haben würde, würde ich den Rest meines Lebens in einem Ganzkörperanzug herumlaufen. Mein vernarbter Körper war wirklich kein schöner Anblick. Würde ich wenigstens wissen, woher das alles kam, dann wäre es mir vielleicht nicht so schrecklich unangenehm, wenn jemand eine Verunstaltung sah… aber so… ich könnte nicht mal eine Frage zu den alten Wunden beantworten.

Flink hatte ich schon meine Sportkleidung an, ein graues Kurzarm T-Shirt mit dem Logo der Duell Akademie auf der Brust, eine sehr kurze Sporthose, die von einem Tennisrock überdeckt wurde, ebenfalls grau und, wer wollte, Kniestrümpfe. Zwar waren hochgesteckte Haare keine Pflicht, aber ich empfand es als angenehmer, wenn meine Haare mir nicht ständig im Nacken oder am Rücken klebten. Ich band sie mir zu einem Pferdeschwanz, nachdem ich die Turnschuhe angezogen hatte und lief zum Sportfeld.

Hier war es, wie ausgestorben. Um meine Überschüssige Energie ein wenig loszuwerden, begann ich damit, ein paar Runden um das Feld zu joggen, um mich warm zu machen.
 

Es dauerte etwa zwanzig Minuten, bis sich Madame Fontaine – die Hauslehrerin des Blauen Mädchenschlafsaals – und die restlichen Studentinnen aus dem ersten Jahr hier eingefunden hatten. Ich war, ohne eine Pause durchgejoggt, aber immer noch nicht ruhiger, oder gelassener. Im Gegenteil: Je länger ich von daheim weg blieb, desto unruhiger und ungehaltener wurde ich.

„So, Mädels.“, begann die Lehrerin, „Wer sich noch nicht warm gemacht hat, tut dies, der Rest findet sich in zweier Teams zusammen. Heute werden wir mal ein wenig Selbstverteidigung erlernen.“, freudig klatschte sie in die Hände, „Hophop. Auf jetzt. In spätestens fünf Minuten will ich jeden in einem Team sehen.“

Meine Laune verschlechterte sich drastisch – mir war gar nicht bewusst, dass das überhaupt möglich war. Super. Ich würde wieder als einzige übrig bleiben, ohne Partner trainieren. Die Obelisken und Ras hatten sich ihre eigenen Grüppchen gebildet, in die natürlich kein Slifer passte. Wir Slifer passten sowieso fast nirgendwo hin… nur unter unseres Gleichen… und ich war das einzige Mädchen in Slifer Red.

Genervt seufzend, lief ich los. Eigentlich war ich schon warm, aber leider blieb mir nichts anderes übrig.

Da Jungen und Mädchen getrennt voneinander unterrichtet wurden, konnte ich hier schon einmal Erfahrung sammeln, wie es sein würde, falls Jay und Sy das Tag-Duell verlieren. Ich hätte eigentlich auch keinen Grund mehr, hier zu bleiben, da die einzigen Personen, die mein Leben hier auf der Akademie erträglich gemacht hatten, fort waren.

„Hey Jane.“, riss mich auf einmal jemand aus meinen Gedanken. Ein wenig verwundert sah ich zu der Person, die mich bei meinem Lauf eingeholt hatte. Es war Alexis. Mit einem Lächeln – wahrscheinlich wegen meiner Überraschung, das in Sport jemand mit mir sprach – sah sie mich an, während wir weiter liefen.

„Hey Alexis.“, grüßte ich zurück.

„Wollen wir ein Team bilden?“, fragte sie.

Ich war wahnsinnig überrascht. Damit hatte ich wirklich nicht gerechnet, „Gerne.“, lächelte ich zurück.

„Lex, was machst du da?“, plötzlich hatten ihre Freundinnen und Obelisk Blue Mitstudentinnen Jasmine und Mindy uns eingeholt. Beide schienen ein wenig verwirrt, „Ich dachte, wir machen ein Dreier Team.“, meinte Jasmine irritiert.

„Warum denn?“, wollte Alexis wissen.

„Lex… du weißt, dass die da ein Slifer ist?“, es war Mindy, die antwortete, „Wir geben uns doch mit so einem Pack nicht ab.“

„Die da kann dich hören, Mindy.“, antwortete ich gereizt, fuhr aber ruhig fort, „Alexis, es ist ok. Ich danke dir für deinen Vorschlag, aber scheinbar können die beiden ohne dich, dem Unterricht nicht folgen. Ich komm gut alleine klar.“

„Ach was“, winkte sie ab, „Wir sind doch Freunde.“

Wirklich? Dies war das erste Mal, dass wir einfach so Worte miteinander gewechselt hatten. Dennoch freute ich mich ein wenig. Dank ihr, würde der Sportunterricht mir vielleicht ein wenig mehr Freude bereiten.

„Genug warm gemacht!“, tönte die Stimme von Madame Fontaine, „Wir beginnen mit den Schlag und Block Übungen, die wir letztes Mal schon geübt hatten!“

Während Jasmine und Mindy sich mit einem argwöhnischen Blick von uns entfernten stellten wir uns einander gegenüber. Ich ließ ihr beim Schlagen den Vorrang. Während ich die Fäuste abblockte begann sie eine Unterhaltung, „Die Bestrafung von Sy und Jay sind echt übel, oder?“

„Finde ich auch. Ich hoffe, dass Jaden sich wirklich mit diesem Zane duellieren kann und somit Syrus ein wenig Selbstvertrauen schenkt. Das ist ihre einzige Hoffnung, dieses Tag-Duell zu gewinnen.“

Sie war ein wenig überrascht, „Jaden hatte dir davon erzählt?“

„Ja. Wahrscheinlich ist er just in diesem Moment bei Dorothy und füllt ein Duellantragsformular aus.“, ich seufzte wehmütig, „Wie kann man als Bruder so mit dem jüngeren umgehen? Das ist doch verantwortungslos. Große Brüder sind immer das Vorbild…“, als ich Alexis traurigen Blick sah, wechselte ich schnell das Thema, „Jaden und Syrus werden dieses Duell gewinnen. Irgendwie werden wir Sy schon aufbauen… wenn nicht… dann wird der Schulalltag wieder ziemlich einsam…“

„Ich verstehe gar nicht, warum sich jede hier über dich den Mund zerreißt.“, sie sprach wohl das aus, was sie mir scheinbar seit längerem sagen wollte.

Irritiert hatte ich fast vergessen, ihre Armbewegung abzuwehren, „Was meinst du?“

„Nunja… du weißt ja, wie Mädchen sind. Ist jemand anders, dann beginnen sie über diese Person Geschichten zu erzählen. Hast du noch keine davon gehört?“

„Nein“, leider wunderte es mich aber nicht. Natürlich bemerkte ich, wie sie hinter meinem Rücken tuschelten und mit den Fingern auf mich zeigten, „Was wären denn nennenswerte Gerüchte?“

„Kannst du dich an Battle City erinnern?“

„So halb, ja.“, worauf wollte sie hinaus? Ich wusste, was Battle City war, aber konnte – abgesehen vom Finale - keine anderen Duelle nennen.

„Es wird behauptet, dass du einer dieser Rare Hunter bist und das du dein Deck von jemandem gestohlen hast. Du sollst angeblich eine Diebin sein, das sei auch der Grund, warum du an deinem Körper überall Narben hast.“, erklärte sie bemitleidend.

„Bitte, was?“, schockiert sah ich sie nur an, bemerkte nicht einmal, dass sie schlug. Ihre Faust traf meine rechte Schulter.

Erschrocken sah sie mich an und zog die Hand zurück, „Entschuldigung, das war keine Absicht.“

„Wie kann jemand so dreist sein und behaupten, dass mir dieses Deck, ein Teil meiner Seele als Duellant, nicht gehört?“, ich war fassungslos. Zwar konnte ich mich nicht an meine Vergangenheit erinnern, aber ich war mir definitiv sicher, dass ich kein Rare Hunter oder Dieb war… dementsprechend gehörte das Deck mir – auch wenn ich mich nicht daran erinnern konnte, wie ich es bekam.

„Es gibt noch mehr…“, meinte sie zögernd.

„Wie zum Beispiel?“

„Du bist angeblich am Verschwinden von Devan Yard beteiligt.“, murmelte sie leise. Offenbar durfte kein anderer hören, was ich gesagt bekam.

„Ernsthaft?“, neuer Zorn flammte in mir auf. Ich musste nur an diesen Obelisken und an seine Taten denken…, „Dieser Devan hätte mich ertrinken lassen! Wäre Jaden nicht gewesen, wäre ich jetzt tot!“, nebenbei war mir gar nicht bewusst, dass er verschwunden war.

„Ich glaube dir. Jaden hatte mir davon erzählt. Wir haben alle gesehen, wie er dich mit deiner eigenen Karte erpresst hat…“

Außer mir vor Wut, brachte ich nur ein „Was wird noch über mich erzählt?“, in einem erstaunlich ruhigen Ton hervor.

„Du bist durch Kontakte auf die DA gekommen, musstest nicht einmal ein Testduell absolvieren. Manche behaupten sogar, dass du irgendetwas mit dunklen Mächten zu tun hast. Angeblich blutest du, nachdem du ein paar Lebenspunkte verloren hast. Du bist so still, hast dabei noch eine Dunkle Aura und – bis vor kurzem – keine Freunde. Leider ist dies alles ein gefundenes Fressen für die Hyänen.“

Meine Stimme versagte. In den letzten Punkten hatte sie leider recht. Durch meine Angst vor dem Duellieren hatte ich – dank meines Bruders – das Eignungsduell ausfallen lassen können… und nach diesem Schattenduell war mir auch klar, dass ich schon in meinem vorigen Leben mit der Finsternis Bekanntschaft geschlossen hatte – vielleicht war sogar ein Teil der Schatten in mir? Das würde vielleicht meine Wunden erklären, die mir bei einem Duell zugefügt wurde.

„Jane?“, hörte ich Alexis fragen. Unsicher, was sie jetzt tun sollte, sah sie mich an.

„Ja.“, irgendwie hatte ich meine Stimme wieder gefunden, „Glaubst du diesen Gerüchten?“

„Jein…“, ein wenig beschämt sah sie mich an, „Wenn man jemanden nicht kennt und er hat so viele Narben, ist so still und duelliert sich nicht… nach einer Weile beginnt man automatisch, diesen Quatsch zu glauben.“

Ich nickte.

„Aber jetzt nicht mehr.“, lachte sie, „Du bist so nett! Du hast alles getan, um eine Karte aus deinem Deck zu verteidigen… bist Jaden zur Hilfe geeilt… hast geholfen mich zu befreien… sorgst dich um unsere Freunde… wie könntest du nur eines von diesen Gerüchten erfüllen?“

„Mhm.“, antwortete ich nur, während wir unser Training weiter führten. Wie konnte nur eines dieser Gerüchte wahr sein…?

Runde 22: Auf der Suche nach dem verschwundenem Freund

Ausnahmsweise verging die Sportstunde wie im Flug. Als der Unterricht für beendet erklärt wurde, duschte ich mich, waschte meine Haare – ich hasste in einem verschwitzten Zustand, frische Klamotten zu tragen – und zog mich an. Endlich konnte ich mich auf den Weg zur Roten Unterkunft machen. Alexis war nach Sport in den Blauen Mädchenschlafsaal zurückgekehrt, um sich dort wahrscheinlich frisch zu machen. Diese Dusche in der Umkleide war mir zig mal lieber, als die bei mir zu Hause, die, wie die gesamte Unterkunft, sehr baufällig war.

Meine Haare waren noch klamm – ich hasste es sie zu föhnen – als ich mich auf dem heim Weg machte. Ich war schrecklich gespannt, ob Jadens Antrag durchgegangen war. So viel hing davon ab…

„Hey, Jane. Was machst du denn hier so alleine?“, fragte mich plötzlich jemand hinter meinem Rücken.

Ich erschrak so dermaßen, dass ich in die Luft sprang. Ein wenig vorwurfsvoll sah ich zu der Person, die hinter mir stand. Es war Jaden. In einer Mischung aus Wut und Freude sah er mich an. Seine Haare waren patschnass.

„Bei Slifer, Jay!“, rief ich aus, „Erschreck mich doch nicht immer so!“, kurz hielt ich inne, „Warum sind denn deine Haare so nass?“

Falsche Frage. Ich hatte Jaden noch nie wütend erlebt, doch heute kam er dem, was man als wütenden Jaden beschreiben könnte, sehr nah, „Der olle Crowler hat mein Duellantragsformular zerrissen, ich musste es dann noch mal drei Mal ausfüllen… und du weißt, wie sehr ich es hasse, viel zu schreiben!“, sein Blick war ein wenig furchteinflößend.

Nach meinem zustimmenden Nicken fuhr er fort, während wir gemeinsam weiterliefen, „Ich bin heim, habe auf dem Weg Chumley getroffen und er hatte mich auf die Idee gebracht, diesen Zane spontan herauszufordern, weshalb ich zur Blauen Unterkunft gerannt bin. Als ich diesen Obelisken von meinem Plan erzählt habe, meinten sie, ich sei noch nass hinter meinen Ohren von der Duellvorschule.“, sein Gesicht nahm wieder diese grimmigen Gesichtszüge an, „Und dann haben sie mir einen Eimer kaltes Wasser übergekippt. Ich hatte doch vorgestern erst Haare gewaschen!“

„Also hattest du heute kein Erfolg?“, fragte ich vorsichtig. Es schien mir, dass Jaden sich mehr über die Tatsache ärgerte, insgesamt vier Formulare ausgefüllt zu haben und nass geworden zu sein, als das sein Duell wahrscheinlich nicht zu Stande kommen wird.

Ich öffnete meine Umhängetasche, in der ich meine Duell Disk, Unterlagen und ein trockenes Handtuch – man konnte ja nie wissen, welchem Streich man als nächstes zum Opfer fiel - verstaut hatte. Ich schnappte mir das flauschige, weiße Handtuch und reichte es ihm, „Für deine Haare.“

Dankbar nahm er es an, rubbelte es über seine Haare, „Echt klasse von dir Jane. Brauchst du es nicht für dich selbst?“

„Warum denn das?“, fragte ich verwundert.

„Deine Haare sind doch auch noch nass.“, stellte er fest.

„Das bisschen.“, lachte ich, „Ich habe sie schon nach dem duschen getrocknet… Heute in Sport kam Alexis auf mich zu und wir hatten uns über eure aktuelle Situation unterhalten.“

„Die wäre?“, das war mal wieder typisch Jaden. Er verlor immer ziemlich schnell den Fokus, wenn es nicht um ein Duell oder essen ging.

„Euer Duell.“, antwortete ich, ein ganz klein wenig gereizt.

„Das klappt schon. Wenn ich diesen Zane besiegt hab, dann schaukeln Sy und ich dieses Duell mit links.“

Wir hatten mittlerweile unsere Unterkunft erreicht. Gemeinsam liefen wir die Treppen herauf und gingen auf unsere Zimmertüren zu. Mit einem „Bis später Jay.“, betrat ich meins. Ich schloss die Tür hinter mir, kramte meine Duell Disk aus der Tasche und setzte mich auf mein Bett.

Irgendwie beschlich mich das Gefühl, dass heute noch etwas passieren würde. Hoffentlich hatte sich Sy nicht in den Kopf gesetzt, einfach die Akademieinsel zu verlassen, damit Jaden einen neuen Tag-Partner bekommen würde… seit sie ihre Strafe verkündet bekommen hatten, machte sich Sy nur Sorgen um die Zukunft von Jaden, nicht um seine eigene. Hoffentlich stellte er nichts blödes an…

„JANE!“, auf einmal riss Jaden meine Tür auf.

Panisch zusammenzuckend sah ich ihn an, „Bei Slifer, Jay!“

Doch es war etwas in seinem Blick, wodurch ich wusste, dass sich meine Befürchtungen bewahrheitet hatten. Schockiert stand ich auf, „Sy ist doch nicht…“

„Er will die DA verlassen. Wir müssen los, damit wir ihn noch einholen können.“, meinte er, während er auf dem Absatz kehrt machte und losrannte.

Ich klemmte meine Duell Disk an den Arm und eilte ihm nach – die Tür fiel hinter meinem Rücken ins Schloss, „Jay, ich nehme mir den östlichen Teil der Insel vor.“, rief ich.

„Mach das.“, antwortete er laut, bevor er, mit Chumley im Schlepptau, nach rechts abbog. Ich rannte geradeaus weiter. Während ich lief, hielt ich meine Augen nach einer roten Jacke offen, sah aber gleichzeitig die Klippen herab. Hier waren seltentst Slifer zu sehen. Wenn hier einer war, dann müsste es Sy sein.

Warum hatte ich das nur geahnt?

Im Eilschritt lief ich an der gelben Unterkunft vorbei. Wie könnte man von der Insel entkommen? Ich hatte mir, am Tag meiner Ankunft schon Fluchtpläne zurechtgelegt… aber wie würde Syrus an einen Helikopter oder Gleiter kommen – abgesehen von seinen Duell Monsters Karten? Er würde wahrscheinlich übers Meer fliehen wollen. Der Strand wäre eine perfekte Ablegestelle. Dort war nur eine geringe Strömung und diese führte sogar noch von der Insel weg und nicht zu den Klippen, wie es in der Nähe vom Leuchtturm der Fall wäre – an die normale Schiffsanlegestelle würde er nicht gehen, weil man ihn dort auf den ersten Blick sehen würde.
 

Völlig außer Atem hatte ich den Strand erreicht. Die Dämmerung hatte schon eingesetzt… Von Syrus war hier, an dieser idyllischen Bucht, nichts zu sehen. War ich zu spät? Oder würde er doch in der Nähe vom Leuchtturm versuchen abzulegen.

„Syyrrrrruuuuusssss!!!“, schrie ich verzweifelt seinen Namen. In weiter Ferne konnte ich mein Echo hören. Verdammt. Erschöpft sank ich im weichen Sand auf meine Knie. Hier war es still. Während es immer dunkler wurde, hörte ich nur das Rauschen des Meeres. Wo könnte er sein? Im Wald? – nein. Davor fürchtete er sich zu sehr. Ansonsten kam mir keine weitere Erklärung in den Sinn. Hoffentlich hatte Jaden mehr Erfolg gehabt.

Mein PDA, den ich an einer Tasche an meinem Oberschenkel befestigt hatte, vibrierte. Vielleicht war es Jaden? Mit zitternden Händen löste ich das elektronische Gerät von seiner Halterung, öffnete die neue Mail. Es war wieder von Unbekannt, ‚Pech gehabt. Der Knirps ist noch da. Dein großmäuliger Freund hat ihn gefunden. Aber vielleicht hat er seinen Mund dieses Mal zu voll genommen?‘

Jaden hatte Syrus gefunden – in diesem Moment traute ich der Nachricht von diesem fremden Absender. Er hatte mir in den letzten drei Mails nie eine Lüge geschickt. Doch was meinte er mit ‚seinen Mund zu voll genommen‘? Mein PDA empfing in diesem Moment eine weitere Mail von demselben Absender, wie von der vorherigen Nachricht. Sie enthielt nichts, außer ein Foto und eine Ortsbeschreibung

Das konnte nicht sein! Wenn Jaden wirklich gegen diesen Mann auf dem Foto antrat… dann bedeutete es…

Mein Zorn ließ meinen Körper seine Erschöpfung vergessen. Ich stand auf und rannte los. Mir war klar, wo ich hin musste… und wer mein nächster Gegner in einem Duell sein wird.

Runde 23: Aus eigenem Antrieb

Der Weg zurück zog sich nicht so sehr, wie mein Hinweg zum Strand. Es fühlte sich an, wie Minuten, bis ich den Leuchtturm erreicht hatte, doch sah ich auf meine Uhr, bemerkte ich, dass ich schon eine halbe Stunde rannte. Mein Körper machte glücklicherweise nicht schlapp. Er gehorchte mir voll und ganz, enttäuschte mich dieses Mal nicht. Die Gedanken kreisten nur um eines: ER sollte noch da sein, wenn ich ankomme.
 

Außer Atem hatte ich den Leuchtturm erreicht. Endlich. Jetzt musste ich IHN nur noch finden. Zornig ließ ich meinen Blick über die Bootsanlegestelle schweifen. Er war nicht da!

„Verdammt!“, fluchte ich laut, sah mich noch einmal um, „Wo ist der Kerl?“, erst jetzt bemerkte ich etwas, das hinter dem Leuchtturm stand. Besser gesagt, jemanden. Langsam ging ich auf die Person zu, die ich meinte gesehen zu haben.

Ich war schrecklich angespannt. Mit jedem Schritt, den ich lief, staute sich mein Zorn weiter in mir an. Stück für Stück konnte ich mehr von dieser Person sehen. Er war ein Obelisk. Er trug anstatt einer blauen Uniform eine weiße. Es fehlte nur noch sein Gesicht. War er es wirklich?

Noch ein Schritt. Angespannt sah ich in sein Antlitz.

Stur sahen seine dunklen, grauen Augen auf das Meer hinaus. Das dunkle, blaue Haar wehte im sachten Meereswind. Das war er! Ich war nicht verrückt! Und dieser Typ war Syrus‘ Bruder – zumindest, wenn man dem unbekannten Absender trauen konnte?!

Als hätte ihn mein Mustern gerufen, wandte er seinen kalten Blick zu mir.

„Zane Truesdale?“, fragte ich gepresst.

Er gab keine Antwort, sah mich nur weiter an.

„Warum bist du mir gefolgt?“

Stille seinerseits.

„Hältst du dich für etwas Besseres?“, ich schrie schon fast, „Ein Obelisk zu sein, bedeutet nichts! Man kann sich nicht jedes beliebige Recht herausnehmen!! Wer hat dich befugt, so mit deinem eigenen Bruder umzugehen?! Wer gab dir die Erlaubnis, mir zu folgen und dann einfach so zu verschwinden?!“

„Dies ist nicht deine Angelegenheit.“, meinte er nur kühl. Seine Stimme war schon beängstigend ruhig.

„Doch, das ist sie!!“, rief ich, „Wegen dir ist einer meiner Freunde ohne Selbstvertrauen! Es ist deine Schuld, wenn sie deshalb von der DA fliegen!“

„Noch etwas?“

„Ja.“, mit einer geschmeidigen Bewegung steckte ich mein Deck in die Duell Disk und aktivierte diese, „Ich fordere dich zu einem Duell heraus!!“

Er musterte mich ein wenig herabschätzend von Kopf bis Fuß, „Es ist offensichtlich, dass du mit Jaden Yuki befreundet bist. So vorlaut geht nur sein Freundeskreis mit jemandem von meinem Stand um.“

„Wenn du so von dir überzeugt bist, dann versuche mal, mir eine Lektion zu erteilen.“, wütend sah ich ihm direkt in die Augen. Es schien mir, als würde mich mein Bruder durch Zane ansehen, was mich nur noch mehr zu diesem Duell anstachelte, „Auch wenn ich ein Slifer bin, ist dir klar, dass es eine Schande für einen jeden Obelisken ist, eine Herausforderung gegen mein Deck abzulehnen.“

„Fein.“, antwortete er, „Ich habs mir schon lange nicht mehr leicht gemacht.“

Mit einem triumphierenden Grinsen wandte ich mich um, „Wenn du dich da mal nicht täuschst.“, lief ein paar Schritte von ihm weg, damit wir uns richtig duellieren konnten.

Ich wandte mich wieder um, Zane hatte seine Duell Disk mittlerweile aktiviert, „Duell“, riefen wir, zogen fünf Karten aus dem eigenen Deck.

Es war zwar nicht meine Art, aber mit einem „Ich beginne“ zog ich eine weitere Karte. Perfekt. Dies wird eine grandiose Kombination, „Ich rufe meinen Elementengel Ignis im Angriffsmodus.“, auf meinem Feld begann es zu brennen. Lichterloh schlugen die Flammen. Nach und nach formten sie sich zu einem Körper. Zu einem Mann, um genau zu sein. Er hatte schwarze, schulterlange Haare, trug eine goldene, brennende Tunika. Auch seine weißen Flügel hatten Feuer gefangen. Wäre er kein Elementengel, könnte man ihn ganz einfach mit einer Darstellung von Luzifer verwechseln. Mit eintausendsechshundert ATK war er auch fähig, mich vor dem Verlust von Lebenspunkten zu verteidigen. Ich vermutete weiterhin, dass mein Gegner, genauso wie sein Bruder, Monster von Typ Maschine verwendete… anderenfalls, hätte er nicht nur die zweite Kraftbündniskarte verschenkt.

„Ich lege noch zwei Karten verdeckt!“, rief ich selbstbewusst. Die Hologramme erschienen hinter meinem Engel, „Und beende meinen Zug. Zeig mir, was der vermeintlich beste Duellant der Duell Akademie drauf hat.“

„Sei vorsichtig, was du dir wünschst.“, meinte Zane, während er seinen Zug begann, „Da ich offensichtlich im Nachteil bin, da sich kein Monster auf meinem Feld befindet, rufe ich meinen Cyber Drachen als Spezialbeschwörung.“

Besagter Cyber Drache hatte wahrscheinlich schon viele seiner Gegner eingeschüchtert. Ein metallisch glänzendes, großes Wesen, das vom Körper eher einer Schlange gleich kam, als einem Drachen. Doch sein Gesicht war eines Drachen würdig. Es ähnelte dem eines asiatischen Drachen – bloß war dieses aus Metall. Er war furchteinflößend und mit zweitausendeinhundert Angriffspunkten auch um einiges Stärker, als mein Engel. Das war wohl auch der Gedanke meines Gegners, „Los, Cyber Drache. Plasma Sturm“, das Monster holte tief Luft und spie eine Mischung aus Feuer und Plasma in die Richtung von meinem Elementengel Ignis.

„Nicht so voreilig!“, rief ich, „Ich aktiviere meine Falle: Himmelsschild.“, die verdeckte, linke Karte offenbarte sich meinem Gegner. Nur Zentimeter vor Ignis wurde der Angriff mit einem starken Luftstoß abgewehrt, „Deine Battlephase wird sofort beendet, wenn ein Monster vom Typ Engel angegriffen wird.“, erklärte ich den Effekt.

„Wenn dem so ist, spiele ich die Zauberkarte Dimensionskapsel. Ich kann eine beliebige Karte aus meinem Deck wählen, in die Kapsel legen und in zwei Zügen in mein Blatt nehmen.“, während er mir den Zauber dieser Karte erläuterte, nahm er sein Deck in die Hand, fächerte es und nahm eine Karte heraus. Es legte sie in die Kapsel, die verdächtig stark einem Sarkophag ähnelte und daraufhin im Erdboden versank. „Ich spiele noch diese Karte verdeckt und beende meinen Zug.“, das Hologramm eines Kartenrückens erschien hinter dem Cyber Drachen.

Jetzt war ich wieder dran, zog. Runde zwei verlief genau nach Plan. Zwar war ich überrascht, dass sein Monster so stark war, aber ich konnte es dennoch, ohne Probleme mit ihm aufnehmen. Nämlich hiermit: „Ich rufe den Engel der Würfel!“, tausende Würfel erschienen auf meinem Feld, die sich langsam stapelten und nach und nach zu meinen Engel, mit den weißen, kurzen Haaren (mit dunklen Strähnen) und dem schneeweißen, schwarz gepunkteten Kleid, preisgaben. Noch war es relativ unwahrscheinlich, dass sie durch ihren Effekt den Cyber Drachen zerstören würde, aber ich hatte noch ein Ass im Ärmel… besser gesagt, ein Feuer, „Mir ist klar, dass meine Monster so nicht gegen deinen Drachen ankommen würden. Deshalb aktiviere ich den Effekt von Elementengel Ignis. Wenn ich eine Karte von meinem Blatt auf den Friedhof lege, dann verliert ein Monster meiner Wahl vom Typ Maschine vierhundert Angriffspunkte.“, während ich den Effekt erklärte kam ich den Anforderungen nach. Ignis begann seine Handinnenflächen auf den Cyber Drachen zu richten. Stetig wurde es heißer um ihn, „Meine Wahl fällt da nicht schrecklich schwer.“, die Maschine begann ein wenig zu glühen, wobei sich die Angriffspunkte auf eintausendsiebenhundert reduzierten, „Jetzt, mein Engel der Würfel, greif ihn an!“, rief ich. Sie flog in die Höhe, holte aus, den Würfel zu werfen. Einen Augenblick lang hielt sie allerdings inne, „Jetzt kommt ihr besonderer Effekt zum Tragen. In jeder Battle Phase, in der sie beteiligt ist, wird ein Würfel geworfen und die Augenzahl multipliziert mit Hundert ihren Angriffspunkten gutgeschrieben.“, jetzt hieß es nur noch hoffen, dass ich nicht eine eins würfelte. Angespannt folgte ich mit meinem Blick dem großen, blauen Würfel, wie er aus einigen Metern Höhe auf die Erde fiel. Er rollte noch ein wenig herum, blieb bei einer zwei liegen. Unweigerlich musste ich grinsen, „Dein Cyber Drache ist Geschichte.“, mit eintausendsiebenhundert Angriffspunkten würden sich unsere Monster gegenseitig auslöschen. Ich wollte sie nicht verlieren, aber der Würfel… das Schicksal… hatte entschieden, „Los, Engel der Würfel: Himmlischer Wurf!“, sie warf ihren eigenen kleinen Würfel und beschleunigte diesen mit einem Flügelschlag. Währenddessen hatte Zanes Cyber Drache begonnen diese Mischung aus Feuer und Plasma zu speien. Mit einem Schrei zerschellte mein Engel wieder in ihre Bestandteile. Aber auch der Cyber Drache kam aus dieser Runde nicht lebend heraus. Mit einem bestialischem Grollen explodierte er in dem Moment, in dem mein Würfel ihn erreicht hatte.

„Jetzt bleibt nur noch eines zu tun“, verkündete ich stolz, „Los, Elementengel Ignis, greif ihn direkt an!“, wie seine Vorgängerin erhob er sich in die Luft. In einem kleinen Abstand hielt er die Innenflächen seiner Hände voneinander entfernt, in denen er wieder Hitze sammelte, „Himmelsfeuer!“, mit meinem Stichwort hatte er genügend Hitze, um seine Attacke auszuführen. Ignis schrie in dem Moment einen Kampfschrei, als er zum Angriff überging. Er richtete seine Hände ruckartig in die Richtung von meinem Gegner. Feuer schoss aus den Handinnenflächen, das meinen Gegner einhüllte.

Unbeeindruckt ließ Zane den Angriff über sich ergehen. Ohne einen Muchs seinerseits hatte er die Reduktion auf zweitausendvierhundert Lebenspunkte hingenommen. Seine Augen musterten mich argwöhnisch. Hatte er damit etwa nicht gerechnet? War er wirklich davon ausgegangen, dass ich sein scheinbar bestes Monster nicht zerstören konnte?

Mein Engel des Feuers landete vor mir, ich beendete meinen Zug.

„Das war schon alles?“, scheinbar war er nicht überrascht, sondern eher gelangweilt. Allerdings hatte er wohl seit Jahren eine Fassade aufgebaut, die seinem wahren Ich wiedersprach. Zumindest dachte ich das… Er zog, „Ich rufe einen alten Bekannten Spezial zurück aufs Feld: Komm, mein Cyber Drache!“, mit einem bestialischem Fauchen erschien das Monster jetzt auf dem Feld. Verdammt. Damit hatte ich nicht gerechnet. Zwar würde ich die Voraussetzungen für mein Vorhaben erfüllen, aber… ich würde Lebenspunkte verlieren.

Runde 24: Ein schmerzhaftes Duell

Meine Hände begannen zu zittern, als ich an den bevorstehenden Schmerz dachte, den der Cyber Drache mir zufügen würde, sobald er meinen Elementengel Ignis angriff.

NEIN! Ich fürchte mich nicht vor diesem hochnäsigen Zane. Er wird dafür bezahlen, was er Syrus angetan hatte… wie mein Bruder bei mir… Hass begann in mir zu brodeln, „Ich dachte diesen Lindwurm wäre ich los!“, spottete ich – schon ein wenig gekünstelt. In diesem Moment waren mir die Konsequenzen, die dieses Duell mit sich bringen könnte egal. Auch wenn ich viel Blut verlieren würde. Er würde zur Rechenschaft gezogen werden!

„Da hast du falsch gedacht.“, antwortete mein Gegner trocken, „Jetzt zeigt er dir, wieviel Biss er hat. Los, Cyber Drache: Plasma Sturm.“, die Maschine spie, wie der Vorgänger eine Mischung aus Feuer und Plasma in die Richtung von meinem Elementengel. Dieses Mal würde er zerstört werden, aber ich konnte den Schaden wenigstens etwas reduzieren, „Einen Moment noch! Du hast die spezielle Fähigkeit von Ignis vergessen! Lege ich eine Karte von meinem Blatt auf den Friedhof verringert sich die Angiffsstärke deines Monsters um vierhundert! Somit erhalte ich nur einhundert Punkte Schaden!“, schnell schickte ich eine Karte, meinen Engel der Karten, um genau zu sein, auf den Friedhof. Innerhalb von Augenblicken hatte Ignis den Cyber Drachen zum Glühen gebracht. Doch leider würde mein Monster diesen Angriff nicht überstehen. Er verschmolz mit den Flammen des Drachen und zerschellte in unzählige, glühende Scherben. Schützend hielt ich meine Arme vors Gesicht. Doch ich konnte nicht alles abdecken: Ein Teil, das einst zu meinem Engel gehörte, traf mich direkt an meiner Schläfe. Ich spürte sofort, wie aus der pochenden Wunde Blut herausquoll. Meine Sicht war glücklicherweise nicht davon beeinträchtigt. Dieser Schaden war – zu meiner Erleichterung – nur oberflächlich. Dreitausendneunhundert Lebenspunkte blieben mir ja immerhin noch.

Mein Gegner sah mich ein wenig schockiert an. Er verstand wohl nicht voll und ganz, was meine blutende Schläfe zu bedeuten hatte, „Warum bist du verletzt?“, fragte er, immer noch darauf bedacht, diesen ‚coolen‘ zu mimen. Hätte es mich interessiert, hätte ich auch Sorge in seiner Stimme gehört.

„Weil dies ein Opfer ist, das ich bereit bin darzubringen!“, antwortete ich völlig gelassen. Zwar pochte mein Kopf an der verwundeten Stelle, doch mein Zorn, meine Wut und der Hass reduzierten den Schmerz auf Null. Dadurch kam ich erst so richtig in Fahrt, „Wenn du schon ein wenig Smalltalk machen willst, dann erkläre mir, warum ich dich, nach meinem Duell, im Wald gesehen hatte! Warum bist du plötzlich verschwunden?! Weshalb hattest du einige Abende zuvor dich – aus meiner Sicht – in Luft aufgelöst, als du mich gesehen hattest?!“

„Dies ist belanglos.“, bekam ich als Antwort.

„Dann sag ich dir mal, was nicht belanglos ist!!“, ich schrie. Hätte ich etwas – außer meine Karten – in der Hand gehabt, hätte ich es nach ihm geworfen, „Dein Betragen gegenüber deines kleinen Bruders!! Große Brüder machen so etwas nicht!!! Ihn wie Dreck zu behandeln ist unverantwortlich!! Du bist dafür da, deinen Bruder, Syrus, aufzubauen! Ihn zu unterstützen und zu ermutigen!! Du bist sein Vorbild!! Warum hilfst du ihm nicht?! Warum trittst du ihn, wenn er schon am Boden liegt?!? Er ist ein weit besserer Duellant als Du!! Wenigstens unterschätzt er seine Gegner nicht!!! Im Gegensatz zu dir respektiert er sie!!!“, wutentbrannt zog ich eine Karte, Zornestränen traten in meine Augen, „Vielleicht magst du hier an der DA einen höheren Rang haben, als meine Freunde, oder ich, aber wir haben das, was einen guten Duellanten ausmacht: Vertrauen in unser Deck, Respekt dem Gegner gegenüber, Selbstvertrauen. Bevor dein Bruder dir Konkurrenz machen könnte hast du schon gleich sein Vertrauen in sich selbst zerstört!!! Das ist armselig!“, in diesem Moment konnte ich nicht mehr zwischen Zane und meinem eigenen Bruder differenzieren. Meine Aussagen trafen, gefühlt, auf beide zu. Auch mein sogenanntes Vorbild hatte mich verlassen, enttäuscht, verstoßen. Ihn interessierte es nicht mehr, wie es mir ging. Er schien froh zu sein, dass ich weg war.

Ich nahm mir vor dieses Duell gewinnen. Ich hatte keine Wahl, auch wenn es das letzte wäre, was ich tun würde, „Ich beschwöre meinen Engel der Spiele im Angriffsmodus!“, aus meinem Friedhof strömten zahllose Karten, Würfel und Münzen, „Wie das geht? Kannst du dich an meinen Engel der Würfel erinnern? Sie wurde im Kampf gegen deinen ersten Cyber Drachen zerstört. Aber sie ist nicht alleine: Jedes Mal, wenn ich den Effekt von Elementengel Ignis aktiviert hatte, hatte ich eine Karte auf den Friedhof legen müssen. Beim ersten Mal war es mein Engel der Münzen. Die zweite war der Engel der Karten. Mein Engel der Spiele hat viele besondere Fähigkeiten, die sich nach der Art der Beschwörung richten. Jetzt wurde sie speziell beschworen, weil alle drei Spieleengel auf meinem Friedhof liegen.“, die Attribute meiner Spieleengel verwirbelten in einem Sturm miteinander, formten nach und nach meinen wunderschönen Engel der Spiele. Ihre dunkelgrauen, langen Haare wehten im Wind. Ihre Augen hatten verschiedene Farben: Türkis und Flieder. Das tiefblaue (vorne knie- und auf der Rückseite bodenlange) Kleid war von einem Gürtel geschmückt, der aus aneinander gereihten Würfeln und Münzen bestand. Sie trug eine Karte um den Hals. Die großen strahlend weißen Flügel hatte sie ausgebreitet und nahm mit der Spannweite optisch zwei Monsterkartenzonen ein. Mit zweitausendvierhundert Angriffspunkten hätte sie es auch mit einem nicht geschwächten Cyber Drachen aufnehmen können. Ihren besonderen Effekt, der sich nur aktivieren konnte, wenn sie speziell beschworen wurde, setzte ich auch sofort ein, „Ich aktiviere ihre besondere Fähigkeit. Durch diese kann ich einen Effekt von meinem Friedhof wählen und diesen einmalig auf meinen Engel übertragen. Die Fähigkeit von meinem Engel der Karten ist mein Begehren.“, hinter meinem Engel der Spiele erschien – als eine Art Geist – mein golden glänzender Engel der Karten, „Dank ihr darf ich solange ziehen, bis ich fünf Karten auf der Hand habe.“, gesagt, getan. Kaum hatte ich die letzte der vier Karten gezogen verschwand mein Kartenengel wieder. Es waren genau die Karten dabei, die ich gebraucht hatte, „Erscheine, Elementengel Aqua!“, Meereswasser schwappte durch eine Welle auf den Steg, auf dem wir standen. Langsam begann sich die Pfütze zu bewegen. Sie richtete sich auf, nahm die Gestalt einer wunderschönen Frau an, die komplett aus Wasser bestand. Aqua war ein wenig durchsichtig, hatte Flügel, die vollständig aus dem Nass bestanden, das bodenlange Kleid war meeresblau. Ihr Aussehen glich eher einem Wassergeist, als einem Engel. Eintausendfünfhundert Angriffspunkte war sie stark. Leider konnte sie mit ihrer Stärke nicht den geschwächten Cyber Drachen angreifen, anderenfalls hätte ich die Differenz der Punkte – je nach dem, in welchem Modus das Monster, das zerstört wurde, war und den Angriffspunkten meines Engels – auf meine Lebenspunkte angerechnet bekommen. Aqua vidae, Wasser des Lebens, nannte ich sie oftmals.

„So, mein Engel der Spiele! Greif seinen Cyber Drachen an! Himmelsspiel“, rief ich. Wenn er nach dieser Battle Phase einsichtig werden würde, so wusste ich auch nicht, was ich noch machen sollte. Allerdings durfte ich weder ihn – noch die Taten meines Bruders – unterschätzen.

Mein Engel flog in die Höhe, breitete ihre Arme aus, machte einen gewaltigen Flügelschlag. Auf einmal schossen Karten, Münzen und Würfel in die Richtung des Cyber Drachens, der sich mit einem Feuerspei versuchte zu wehren. Er war allerdings zu schwach. Zanes Lebenspunkte reduzierten sich auf eintausendsiebenhundert. Sein Blick hatte sich nach diesem Angriff verändert. Er schien sogar ein wenig beeindruckt. Man durfte seinen Gegner nie unterschätzen.

„Wir wollen doch nicht meinen Elementengel Aqua vergessen!“, rief ich triumphierend. Als wäre dies ihr Stichwort, zerfloss sie in eine Pfütze, „Meereswellenschlag!“, in einer rasanten Geschwindigkeit schoss sie auf Zane zu. Kurz bevor sie ihn erreicht hatte, formte sie sich wieder zu ihrer humanoiden Gestalt und rammte ihn mit ihrem ganzen Körper.

Sogar so jemand, wie Zane, musste bei dem direkten Angriff ein wenig zucken, als sich seine Lebenspunkte auf zweihundert reduzierten. Würde ich in meinem nächsten Zug genauso spielen, hätte ich gewonnen… allerdings wusste ich auch, dass man seinen Gegner niemals unterschätzen durfte. Erst recht nicht so einen, wie Zane. Zumal seine zwei Runden vorüber waren und er durch die Dimensionskapsel eine seiner besten Karten in sein Blatt bekam.

Gerade in diesem Moment erschien der Sarkophag wieder neben ihm, „Ich hoffe du hast meine Dimensionskapsel nicht vergessen. Dies ist jetzt der zweite Zug, nachdem ich die Zauberkarte aktiviert habe, dementsprechend bekomme ich meine gewählte Karte in mein Blatt.“, er kam seiner Beschreibung nach, zog daraufhin, „Ich spiele eine Karte verdeckt und weiterhin die Zauberkarte Monster-Reinkarnation. Wenn ich eine Karte von meiner Hand auf den Friedhof lege, kann ich ein Monster von meinem Friedhof in mein Blatt holen. Ich wähle den Cyber Drachen.“, in geschmeidigen Bewegungen erfüllte er die Voraussetzungen, um eine seiner Lieblingskarten wieder zu sich nehmen zu können, „Ein Drache war vielleicht kein Problem für dich, aber wie steht es mit zwei?“

„Was?“, fragte ich verwirrt.

„Ich spiele Fusion!“, ein Wirbel aus blau und orange erschien neben ihm, „Und verbinde meine zwei Cyber Drachen miteinander!“, sie erschienen vor dem Strudel, wurden aber zugleich von ihm eingezogen, verschmolzen miteinander.

„Erscheine, mein Cyber Zwillings Drache.“ als besagtes Monster auf dem Feld meines Gegners erschienen, hatte der normale Cyber Drache sowohl an Größe, als auch an Köpfen zugelegt – um nicht zu sagen, dass ein zweiköpfiger Cyber Drache mir gegenüber stand. Das beängstigende war… er hatte zweitausendachthundert Angriffspunkte! Viel mehr, als mein Engel der Spiele oder mein Elementengel Aqua.

„Mein Cyber Zwillings Drache, greife diesen Engel der Spiele an. Plasma Sturm“, der linke Kopf des Monsters holte tief Luft und spie dasselbe Gemisch aus Feuer und Plasma, wie ein einzelner Cyber Drache. Gegen diesen Angriff konnte sie nichts ausrichten. Mit einem schmerzerfülltem Schrei zersprang sie in Karten, Würfeln und Münzen, die nun, glühend auf mich zugeschossen kamen. Gerade noch rechtzeitig konnte ich meine Arme vor mein Gesicht halten, damit wenigstens dieses vom Feuer und den Schnitten verschont blieb. Ich stöhnte, als die Geschosse mich erreichten. Meine Arme schmerzten, genauso wie meine Beine. Blut floss meine Unterarme herunter. Voller Pein sah ich ihn nach der Attacke an. Langsam begann meine Sicht schon zu verschwimmen. Doch ich wollte mir nichts anmerken lassen. Mein Zorn war beständig, überdeckte ein Großteil meines Schmerzempfindens. Meine Lebenspunkte verringerten sich auf dreitausendfünfhundert.

„Hatte ich erwähnt, dass er zwei Mal angreifen kann?“, fragte Zane gelassen, „Jetzt ist deine Aqua dran“

Oh bei Slifer! Panisch schloss ich meine Augen, wandte meinen Kopf zur Seite. Ich wollte das nicht sehen! Der Klang, von Wasser, das verdampfte, drang in meine Ohren. Keinen Augenblick später erwischte mich genau dieser. Die Hitze verbrannte einen Teil meiner Haut. Ich biss mir schmerzerfüllt auf die Zunge. Er sollte mir diesen Schmerz nicht ansehen. Meine Knie gaben kurz nach. Trotzdem riss ich mich zusammen, öffnete meine Augen und sah zu Zane.

„Willst du noch mehr?“, fragte er herausfordernd.

Mir blieben noch genau zweitausendzweihundert Lebenspunkte. Das Atmen fiel mir jetzt schon schwer, doch er sollte es nicht sehen. Die Wut in mir trieb mich immer weiter. Ich würde nicht stoppen, „Gerne, wenn du noch etwas hast!“, schrie ich.

„Ich habe noch Defusion.“, antwortete er triumphierend, während er die verdeckte Karte aktivierte. Die Köpfe des Zwillings Drachens wandten sich in abgewandte Richtungen, innerhalb von Augenblicken standen mir zwei eigenständige Cyber Drachen gegenüber. Beide mit zweitausendeinhundert Angriffspunkten, „Angriff!“, mittlerweile ließ er sich doch von diesem Duell mitreißen. Beide holten Luft und spien ihre tödliche Feuermischung direkt in meine Richtung.

„Einen Moment! Nicht so voreilig! Ich spiele meine verdeckte Karte Himmelsruf!“, ich aktivierte die Falle, die mich davor bewahrte, das Duell zu verlieren. Ich würde mit einhundert Lebenspunkten aus dieser Battlephase herauskommen, doch dies war immer noch besser als ein verlorenes Duell, „Hierdurch kann ich ein Monster vom Typ Engel der Stufe vier oder niedriger von meiner Hand in eine Position meiner Wahl, aufs Feld bringen. Ich wähle Elementengel Aer im Verteidigungsmodus.“, mit eintausendzweihundert Verteidigungspunkten war er einem Angriff nicht gewachsen. Noch bevor er überhaupt auf meinem Feld Gestalt annehmen konnte, wurde er zerstört. Leider war da noch der Angriff des zweiten Cyber Drachens…

Ich durfte keine Angst haben. Das würde ich überstehen…

Der Wirbel aus purer Zerstörung schoss auf mich zu. Dieses Mal schloss ich nicht einmal meine Augen. Hielt die Arme nicht schützend vor mich. Es würde nichts nützen…

Mit immenser Kraft wurde ich getroffen. Meine Umgebung war gehüllt in Hitze. Doch es waren auch Scherben in der Attacke. Sie trafen mich am ganzen Körper.

Mehr bekam ich nicht mehr mit. Alles um mich begann in einem Strudel von Schwarz zu verschwimmen. Ein hoher Ton wurde immer lauter, bis ich nichts mehr anderes hören konnte. Ich verlor mein Bewusstsein…

Runde 25: Das Ende?

Es war dunkel um mich herum, ein schrilles Piepen brachte mich fast um den Verstand. Ich merkte, dass ich auf dem Bauch lag. Es war warm um mich herum, dementsprechend fror ich nicht. Hatte ich mich zugedeckt, als ich ins Bett gegangen war? Nein… das war nicht mein Bett.

Erschrocken riss ich meine Augen auf. Ich war noch immer am Steg… in einem Duell mit Zane…

Mit einem Stöhnen bewegte ich meinen Arm, nur ein Stückchen, doch es genügte, dass der Schmerz mich wieder zurück in die Bewusstlosigkeit schicken wollte.

Das konnte ich nicht zulassen. Ich duellierte mich hier aus freiem Willen! Mein Bruder kam mir wieder in den Sinn. Der Zorn, der sich schon den ganzen Tag in mir breit gemacht hatte, kehrte wieder zurück, betäubte somit meinen Schmerz, insoweit, dass er schon fast erträglich war.

Langsam richtete ich mich auf. Sah auf den Boden, besser gesagt auf die Stelle am Boden, auf der ich zuvor noch gelegen hatte. Überall war Blut… es war so viel Blut… es war mein Blut…! Oh Slifer! Erst jetzt wurde mir ansatzweise das Ausmaß bewusst, das dieses Duell haben könnte. Mir war schrecklich schwindelig. Konnte nur schemenhaft meinen Gegner erkennen. Das Atmen schmerzte. Genauso wie jede Bewegung. Immerhin hatte ich in diesem Duell insgesamt dreitausendneunhundert Lebenspunkte verloren…

Ich konnte mich kaum auf den Beinen halten. Das konnte ich nicht mehr verbergen…

„Warum wirst du bei dem Verlust von Lebenspunkten verletzt?“, fragte mein Gegner verunsichert. Wow… ich hätte nicht gedacht, dass man ihn ‚derart aus der Fassung‘ bringen konnte, „Es war auch bei deinem Duell gegen diesen Devan so. Du wurdest gebissen und von den fliegenden Zähnen verletzt. Vielleicht kannst du deinen sogenannten Freunden etwas vorspielen, dass dem so nicht ist, aber ich bin nicht blind. Warum duellierst du dich gegen mich, wenn du weißt, wie drastisch ein Duell für dich verlaufen kann?“, er… machte mir Vorwürfe?

Irritiert sah ich ihn an.

„Lass uns das Duell beenden und danach gehst du zum Krankenzimmer.“

„NEIN!“, schrie ich. Er hatte mich in diesem Augenblick so sehr an meinen Bruder erinnert… Diesen Kampf würde ich nicht einfach so aufgeben!!! Jedes Wort, jeder Atemzug schmerzte… doch dies war mir egal, „Es geht dich nichts an, warum ich hierbei mehr als meine Lebenspunkte verliere!!“, mal abgesehen davon, dass ich es selbst nicht wusste… leider…

„Was hat dein Bruder dir so schreckliches angetan, damit du dich, in einem regelrechten Kamikaze-Akt, gegen mich duellierst? Du überträgst deinen Zorn von ihm auf mich.“, analysierte er, „Ich weiß nicht, was er getan hat, aber ist es das wert? Ist all dieser Schmerz, die Wunden und Verbrennungen ansatzweise eine Genugtuung für dich, auch wenn du dieses Duell gewinnst? Denkst du, irgendetwas würde sich ändern? Würde dein Bruder dich nach einem gewonnenen Duell anders behandeln? Denkst du, wenn ich verliere, gehe ich anders mit meinem um?“

Wie konnte er das nur wissen?! Ich war schockiert… schockiert und gleichzeitig wütend… Tränen traten in meine Augen, „Du hast doch keine Ahnung!“, schrie ich. Es fühlte sich an, als würde jemand mir die Lunge aus dem Brustkorb reißen, „Weißt du, wie es ist, wenn man von seinem Bruder, seinem großen Vorbild, verstoßen wird? Weggeschickt wird? Er sich nicht einmal mehr um dich schert? Bestimmt nicht! Du bist genauso wie mein Bruder!!! Familie, Respekt was bedeutet das für euch? Gar nichts!!“, ich begann zu weinen… das war das erste Mal, dass ich mich jemandem – auch wenn nur teilweise – geöffnet hatte. Und das alles nur wegen meinem Zorn…

Erstaunt sah er mich an, „Es tut sehr leid, das zu hören. Doch ich bin nicht so, wie dein Bruder.“, er seufzte.

„Ach was?!“, blaffte ich, hatte schreckliche Probleme auf meinen Beinen stehen zu bleiben, „Worin unterscheidet ihr euch? Würde es nach dir gehen, wäre Syrus doch gar nicht hier! Du würdest ihn am liebsten auch wegschicken!“, ich zog eine Karte aus meinem Deck. Es war genau die Karte, die ich perfekt für meine Verteidigung einsetzen konnte, „Ich spiele die Zauberkarte Luzifers Kraft. Luzifer war ein gefallener Engel, vor allem, weil er sich nicht voll und ganz an die Regeln gehalten hatte. Genau diese Möglichkeit schenkt er auch mir. In dem ich so viele Karten auf meiner Hand auf den Friedhof schicke, wie ich normalerweise Opfer brauche, kann ich auch ein Monster mit hohem Level ohne eigentliche Tribute beschwören.“, während ich meinem Gegner den Zauber erklärte, legte ich - mit einer zitternden Hand - drei Karten von meinem Blatt auf den Friedhof, „Beschütze mich, Schutzengel!“, rief ich, als sich ein wunderschönes Wesen aus meiner Zauberkarte erhob. Sie war blass, hatte weißblonde, lange Haare. Ihr weißes, reines Kleid wehte im Wind. Die strahlenden Flügel waren enorm. Die Spannweite betrugen mehrere Meter. Sie kniete sich beschützend vor mich, verschränkte die Arme, hüllte sich, als wären sie eine Mauer, in ihre Flügel ein. Sie hatte zweitausend Verteidigungspunkte… noch, „Ich weiß, so viel Aufwand für ein Monster, das es nicht mal schaffen würde, gegen einen deiner Cyber Drachen anzukommen… Was soll das…? Ich muss dir sagen, sie hat eine besondere Fähigkeit:“, kurz schloss ich meine Augen. Die Dunkelheit verschwamm in einem Strudel. Ich musste das machen. Würde es schmerzen? Irrelevant. Ich musste dieses Duell irgendwie noch rum reißen… und zwar so schnell wie möglich, denn lange würde ich nicht mehr durchhalten, „Indem ich die Hälfte meiner Lebenspunkte opfere, verdoppeln sich ihre Verteidigungspunkte dauerhaft.“, ein schmerzhaftes Ziehen in meiner Brust erinnerte mich daran, dass dieses Spiel mehr für mich bedeutete, als ein bloßer Sieg. Meine Schmerzen waren allgegenwärtig. Der Schwindel, die Pain… merkwürdigerweise trieb mich all das noch mehr an. Mir blieben nur noch fünfzig Lebenspunkte, aber dafür hatte ich eine fast unüberwindbare Verteidigung. Die nächste Runde würde ich definitiv überstehen.

„Ich aktiviere eine Falle“, unterbrach mich mein Gegner.

„Einen Moment! Durch mein Opfer kann sie nur im Kampf zerstört werden.“, erklärte ich.

Doch diese Karte sollte etwas anderes bezwecken. Er war gerade dabei mir dies zu offenbaren, „Ich habe nicht vor, mit dieser Falle dein Monster zu zerstören. Vielmehr hole ich mir etwas wieder vom Ruf der Untoten. Mein Cyber Drache, kehre auf das Feld zurück.“, mit einem furchteinflößenden Gebrüll erschien das glänzende Wesen neben seinen beiden Doppelgängern.

Was sollte ein weiterer Cyber Drache bewirken? Es sei denn… Cyber Zwillings Drache war nicht sein stärkstes Fusionsmonster?!

„Ich vermute mal deine Runde ist beendet.“, Zane zog, „Du denkst, mein Cyber Zwillings Drache war schlimm? Mein Cyber-End-Drache wird noch viel schlimmer. Jane, du hast noch die Wahl, dass wir dieses Duell jetzt beenden.“

Ich schluckte. Sollte ich ihm sagen, ich wollte aufgeben? NEIN! Dies war ein Kampf, ich würde nicht aufgeben, „Niemals. Ich kämpfe bis zum letzten Zug… bis zum letzten Lebenspunkt.“, fest entschlossen sah ich in seine Augen.

„Deine Kämpfernatur ist bewundernswert.“, war das ein Lob?, „Zu schade, dass das Duell jetzt vorbei ist!“, rief er, „Ich spiele die Zauberkarte Kraftbündnis.“

Mir stockte mein Atem. Ich wusste, was das bedeutete. Mal davon abzusehen, dass er von seinem Sieg in dieser Runde mehr als überzeugt war: Das Monster, das er durch diese Karte schuf – eigentlich wirkte sie wie Fusion – hatte die doppelte Anzahl an Angriffspunkten, als es normalerweise hätte. Der Nachteil war, dass dem Besitzer dieser Karte in der End-Phase die ursprünglichen Angriffspunkte an den Lebenspunkten abgezogen werden würden. Entweder konnte dieser Cyber-End-Drache mir – trotz Verteidigung – Schaden zufügen, oder Zane hatte sich verkalkuliert. Leider befürchtete ich, dass er sich seltentst irrte.

Die Cyber Drachen wurden in ein helles Licht gehüllt. Ein lautes Gebrüll ließ mich zusammenzucken. War dieses Duell ein Fehler? Vermutlich, aber es war meine eigene Entscheidung.

„Dies ist die beste Karte in meinem Deck. Mein Trumpf!“, verkündete Zane, während das Licht verschwand, auf der einen Seite ein wenig stolz… auf der anderen auch ein wenig… bedauernd?

Zwar konnte ich nicht mehr klar sehen, doch um dieses… Ungeheuer erkennen zu können bedarf es keiner visuellen Schärfe. Der Cyber-End-Drache war gigantisch. Aus seinem riesigen, metallenen Torso ragten drei lange Hälse und Köpfe empor. Diese Maschine hatte monströse Flügel. Jeder Kopf sah mich todbringend an.

„Normalerweise hätte er viertausend Angriffspunkte!“, erklärte mein Gegner, „Nicht genug, um deinen Schutzengel zu zerstören. Aber durch Kraftbündnis haben sich die Angriffspunkte verdoppelt. Greift mein Cyber-End-Drache ein Monster im Verteidigungsmodus an, so wird die Differenz zwischen Angriffs- und Verteidigungspunkten direkt von deinen Lebenspunkten abgezogen.“

Ich schluckte. Mein Instinkt hatte versagt. Hätte ich nicht einmal einen einzigen Lebenspunkt verloren, wäre ich dennoch geliefert. Mir würde die Differenz von viertausend Angriffspunkten abgezogen werden. Würde ich wirklich sterben? Angst paralysierte mich. Das einzige, was ich machen konnte, war meine Augen zu schließen. Dieses hohe piepsende Geräusch… es wurde wieder lauter. Ich konnte nichts anderes mehr hören. Ängstlich hielt ich meine Luft an… bereit, angegriffen zu werden.

Runde 26: Ein unvorhergesehenes Ende

Noch immer stand ich da. Augen geschlossen. Zitternd. Panisch. Wie würde es sich anfühlen? Es fühlte sich alles an, wie eine Ewigkeit. Ich hatte schreckliche Angst. Eine Träne rann meine Wange herunter. Doch dieses Duell bereute ich nicht. Wenn es das letzte meines Lebens sein würde, dann wäre es wenigstens ein genialer Schlagabtausch gewesen. Mein Bruder wäre stolz gewesen… zumindest wenn er die Person gewesen wäre, für die ich ihn hielt. Doch das war er nicht. Ich hoffte inständigst, dass sich wenigstens Zane zum Vorteil verändern würde.

Das Grollen des Cyber-End-Drachen ließ mich zusammenzucken. Jeden Moment wäre es so weit. Etwas bewegte sich an meinem Arm. Waren das schon die ersten Flammen? Ich wollte nicht sterben. Allerdings hatte ich in diesem Duell auch erkannt, dass ich eine Kämpferin war. Ich stand meine Fehler ein, doch ich bereute sie nicht (allzu sehr). Für meine Freunde würde ich in den Tod gehen. Zwar war dieses Duell auch etwas persönliches, aber irgendwie hatte es das eigentliche Ziel verfehlt. Es hätte meinen Bruder treffen müssen, nicht Zane… nunja, es hätte ihn nicht ganz treffen sollen. Natürlich hatte ich mich auch für Syrus duelliert. Meine Duellmotive waren ein wenig verworren und verschwommen. Eigentlich hatte dieses Duell mir in so weit geholfen, dass ich einen Großteil meines Hasses losgeworden war… dachte ich zumindest. Mein Bruder würde es nicht wissen oder herausfinden… und doch ich fühlte mich etwas besser, auch wenn er sich nicht ändern würde.

Meine Konzentration… es war mir nicht möglich. Ich konnte nicht mehr richtig denken. Angst… hatte die Kontrolle übernommen…

„Du hast gewonnen.“, sagte eine bekannte Stimme.

Verwirrt öffnete ich meine Augen. Ich verstand nicht ganz. Unsere Monster waren verschwunden, die Duell Disks hatten sich herunter gefahren. Aber… ich war… am Leben?, „W… wie?“, fragte ich verwirrt. Es war wieder still. Das einzige Geräusch stammte vom Wellenrauschen des Meeres.

„Der Effekt von Kraftbündnis.“, langsam kam er auf mich zu, „In der End-Phase bekommt der Besitzer des daraus geschaffenen Monsters die ursprünglichen Angriffspunkte von seinen Lebenspunkten abgezogen.“, er blieb neben mir stehen, sah mich besorgt an, „Ich habe den Angriff übersprungen und meinen Zug beendet. Somit sanken meine Lebenspunkte auf von zweihundert auf null. Du hast gewonnen.“

„W…was?“, plötzlich verschwand mein ganzer Zorn. Ich fühlte mich auf einmal leer… Meine Sicht wurde immer verschwommener. Sah ich Zane, so war er nichts als vage Konturen.

„Ich kann nichts dafür, was dein Bruder dir angetan hat. Auch wird sich Syrus ohne meine Hilfe beweisen müssen. ABER wenn es darum geht, dass ich meinen Gegner in diesem Duell vor Schaden bewahren kann, dann möchte ich dies auch tun. Ich wollte nicht, dass du noch schlimmer verletzt wirst… und da du dieses Duell nicht beenden wolltest, musste ich es tun.“, er schwieg für einen Augenblick, musterte mich scheinbar von meinem blutverschmierten Kopf, bis zum angesengten Fuß, „Du brauchst dringend medizinische Hilfe.“

„Nein. Das geht schon…“, plötzlich wurde mir schwindelig. Unbeschreiblicher Schmerz kehrte zurück.

„Sicher?“, fragte er zweifelnd, „Du hattest auch deine Wunden vom Duell gegen Devan nicht behandeln lassen. Wahrscheinlich bleiben Narben an diesen Stellen zurück. Vergiss nicht, hier hast du größeren Schaden genommen, als in deinem letzten Duell.“

Meine Knie gaben nach.

Meine ganze Welt verschwamm in grau. Ein Wirbel aus unzähligen Grautönen.

Schmerz. Alles tat mir weh. Atmete ich, so wurde mir die Lunge herausgerissen. Bewegte ich mich, war dies eine Folter…

Jeder Tropfen, den ich an Blut, durch meine unzähligen Wunden, verlor, machte mich schwächer. Ich hatte all meine Kraft verloren.

Nach und nach fiel ich in eine endlose Schwärze…

Runde 27: Wiedersehen

Ich saß, ein wenig nervös, im Vorzimmer eines Büros.

Angespannt überlegte ich, warum ich hier war: Als ich wieder zu mir kam, tauchten plötzlich ein paar Leute von der Security auf , die mich aus dem Bett zerrten, in einen Helikopter schleppten, der auch nur Augenblicke, nachdem ich Platzgenommen hatte, abhob. Egal wieviel ich protestiert hatte… keiner wollte mir erklären, was los war, geschweige denn mich in Ruhe lassen. Es vergingen viele schweigsame Stunden, bis wir ein Hochhaus erreicht hatten, auf dem wir landeten. Unsanft wurde ich aus dem Hubschrauber gestoßen, in den Aufzug taxiert und in dieses Vorzimmer geschoben. Hier wartete ich mittlerweile seit zwei Stunden.

Meine Sicht war noch immer verschwommen, mir war ein wenig übel. Was war hier los? Sollte das eine Strafe sein?

Trotz der unscharfen Wahrnehmung sah ich mich ein wenig um. Ich saß auf einem der drei Stühle, die an der Wand auf der linken Seite des Eingangs standen. Die rechte Wand war vollständig verglast, bot somit einen atemberaubenden Blick über die mir unbekannte Stadt und beleuchtete diesen Raum mit Sonnenlicht. Wir befanden uns hier anscheinend im höchsten Gebäude, denn – soweit ich durch den Ausblick beurteilen konnte - alle anderen Häuser waren um einiges kleiner, weshalb sie so aussahen, als seien sie Puppenhäuser. Dieses Vorzimmer war enorm - sowohl an Größe, als auch an luxuriöser Ausstattung. Vor der Tür – genau gegenüber vom Eingang - , die – vermutlich - zu dem Büro führte, stand ein großer Schreibtisch aus Teak Holz, auf dem sich Aktenordner türmten. Die Wände waren mit dunklem Holz vertäfelt und mit Portraits von berühmten Duell Monsters Karten geschmückt. Ich vermutete, dass hier normalerweise eine Vorzimmerdame arbeitete, aber sie war in diesem Moment – eigentlich seit ich ankam – absent.

Angespannt seufzte ich. Dieses Hochhaus war eines der bedeutendsten Gebäude in der modernen Welt. Was machte ich hier? Wie konnte es sein, dass ich einfach so, hierher gebracht – eigentlich schon entführt - wurde?

Ein ungutes Gefühl machte sich in mir breit. Angst nahm mich ein. Doch diese Furcht war nicht normal… es war vielmehr so, als würde ich genau wissen, was passieren würde. So hatte ich mich auch gefühlt, als ich in den Schatten gefangen war. Ich stand unter einer immensen Spannung…

„Jane?“, fragte mich plötzlich die Stimme meines Bruders. Ein wenig verscheucht sah ich zu der Tür, aus der er getreten war. Sie führte wahrscheinlich zu dem Büro des Besitzers dieses Gebäudes – leider war mir der Name dieses Mannes entfallen.

„Hey…“, brachte ich heraus. Irgendwie… ich konnte ihn nicht ganz erkennen. Sein Gesicht lag im Schatten seiner weißen, langen Haare verborgen, die unordentlicher waren, als sonst. Seine Stimme war auch anders… oder bildete ich mir das nur ein? Ich wusste nicht warum, aber er hatte sich verändert. Mein erster Reflex war aufzuspringen und zu fliehen. Was war hier nur los? Warum fürchtete ich mich vor meinem eigenen Bruder?

Als er ruhig und langsam auf mich zukam wollte ich einfach nur wegrennen. Mit einem Lächeln setzte er sich neben mich, nahm mich in den Arm, „Was ist nur los mit dir, Schwesterchen?“

Für einige Augenblicke nahm er mir – allein durch die Umarmung – die Möglichkeit, mich zu wehren. Als wäre ich in einer Schockstarre, lies ich alles über mich ergehen. Ich zitterte vor Angst. Etwas animalisches war in seiner Art… etwas sehr bedrohliches. Diese ganze Situation gab mir das Gefühl, ich wäre in der Falle.

„Redest du nicht mehr mit mir?“, fragte er verwundert.

„D… doch, Aniki.“, was war hier nur los? Mein ganzer Körper war verkrampft, die Stimme zitterte. Irgendetwas war hier faul… doch was?

„Du hast mich vergessen.“, seufzte er niedergeschlagen, „Wie konntest du das tun? Wir hatten so viel Spaß. So viele schöne Spiele… eine wundervolle Zeit.“

„W… was?“, irritiert sah ich ihn an. Mein Herz schlug mit einem Mal schneller. Ich konnte seine Augen nicht sehen, doch etwas böses funkelte mich aus dem Schatten des Ponys heraus an.

Schlagartig packte er mich mit beiden Händen fest an der Schulter. „Wer bin ich?!“, schrie er, „Warum hast du mich verlassen?“

Paralysiert vor Angst, sah ich ihn nur an. Mir fiel keine Antwort ein. Auf keine der Fragen. Dieser Mann… das war nicht mein Bruder… aber ich kannte ihn von woanders… doch woher???

„Weshalb hast du mich vergessen!!!“, in Rage begann er mich zu schütteln, da ich im nicht geantwortet hatte.

Tränen traten in meine Augen. Ich konnte immer noch nicht scharf sehen, doch schien es mir, als wäre die Sonne auf einmal verschwunden. Unsere Umgebung war dunkel, fast schon finster. Schlagartig wurde es kalt.

„Lass mich los!“, panisch schubste ich ihn von mir weg. Überrascht davon, dass ich nicht mehr paralysiert war, ließ er meine Schultern los.

Nach einem Herzschlag begann er zu grinsen, „Die Schatten sind immer noch mit dir.“

„Was?“, entsetzt stand ich auf, ließ diesen Mann in Gestalt meines Bruders, nicht aus den Augen, „Wer bist du?“

Falsche Frage… ich hätte sie nicht stellen dürfen. Er wurde auf einmal sehr wütend, „Du kennst nicht einmal mehr meinen Namen?!?“, in Rage sprang er auf mich zu.

Gerade noch so, schaffte ich es, ihm auszuweichen. Ich duckte mich an ihm vorbei und rannte zu der Tür, durch die ich vor einigen Stunden geschoben wurde.

„DU KANNST MIR NICHT ENTKOMMEN!!! ICH BIN EIN TEIL VON DIR!!!!“, schrie der Wahnsinnige, als er mir hinterher eilte.

Gerade noch rechtzeitig hatte ich die Tür erreicht; warf mich dagegen, während ich sie öffnete. Sie schwang ohne Probleme auf, doch der Boden unter mir gab nach.

Der Augenblick fühlte sich an, wie eine Ewigkeit. Langsam fiel ich… Mein Herz blieb stehen… wie war dies nur möglich? Was war hier los? Wer war dieser Mann?

Auf einmal kehrte die Zeit wieder zurück. In Sekundenbruchteilen musste ich reagieren. Reflexartig hob ich meine Hände in die Höhe, konnte noch gerade so die Türschwelle greifen. Panisch schrie ich. In Momenten realisierte ich meine eigene Situation – konnte sie mir sogar erklären:

Ich war umgeben von den Schatten. Überall war die Finsternis, die ich so fürchtete… außer in der Tür… aber in dieser stand mein verrückt gewordener Bruder. Er hatte ein Spiel der Schatten herbeigerufen… aber wie? Normalerweise war er doch nicht solch ein Irrer, der seine eigene Schwester verbannen wollte… oder?

Langsam… Stück für Stück… gaben meine Finger nach. Lange halten konnte ich mich nicht mehr.

Lächelnd sah er auf mich herab, „Soll ich dir helfen?“

Verzweifelt sah ich ihn an. Würde ich auf die Hilfe eingehen, so wäre ich verloren… aber inwiefern würde das, was mir an der Seite dieses Irren bevorstehen würde, besser sein als die Finsternis?

„Solange du noch hier rum hängst, können wir ja ein wenig reden.“, hämisch setzte er sich im Schneidersitz an die Türschwelle. Millimeter von meinen rutschenden Fingerkuppen entfernt, „Das haben wir ja so lange nicht mehr gemacht. Es ist schon Monate her. Schon schade… ich bin dir immer so nah… und doch entfernst du dich von mir.“

„Wie meinst du das?“, knirschte ich zwischen meinen Zähnen hervor.

„DU HAST MICH VERLASSEN!!!“, schrie er wieder. Dieser Mann brauchte dringend psychologische Hilfe, „ICH HABE DIR GEHOLFEN, DICH NICHT SELBST ZU VERLIEREN, UND DAS IST DEIN DANK DAFÜR?!?!?! NORMALERWEISE BRAUCHE ICH KEINE HILFE, ABER DIESES MAL SCHON!!! DU HAST MIR VERSPROCHEN, MICH HIER RAUS ZU HOLEN!!!“

Ein eisiger Schauer überkam mich. Ich wusste nicht, wer er war… aber mir war klar, dass es böse enden würde, wenn ich ihm half.

„Ich weiß, was du denkst, Jane.“, er war wieder die Ruhe in Person… allerdings war dies noch verängstigender, „Auch wenn du dich jetzt fallen lässt, kannst du mir nicht entkommen. Du bist in MEINEM Spiel, Baby. Ich habe die Schatten herbeigerufen, somit kann ich über sie verfügen. Ich würde dich solange gefangen halten und quälen, bis du mir zustimmst… bis ich von deinem Körper Besitz ergreifen kann…“

Schockiert schloss ich meine Augen… hatte er Recht, so wäre meine Flucht sinnlos… doch was, wenn er bluffte? Zwar fürchtete ich mich vor den Schatten… doch noch schlimmer war der Gedanke daran, dass ich dieses… Monster unterstütze…

Mein Entschluss stand fest.

Ich hielt meine Luft an.

Ließ die Türschwelle los.

Ich hörte ihn fluchen.

Ein Luftstoß verfehlte mich knapp… er wollte mich noch packen… Glück… er hatte es nicht geschafft…

Ich fiel.

Ich schrie.

Die Finsternis nahm mich ein.

Sie erstickte mich.

Nahm mir jede Hoffnung.

Ich würde hier nie wieder herauskommen…
 

Mit einem panischen Schrei kam ich in einem Krankenzimmer wieder zu mir.

Runde 28: Erwachen

Schwer atmend versuchte ich mir wieder klar zu werden, wo ich war. Panisch setzte ich mich auf, sah mich um, doch meine Sicht war verschwommen. Zwar konnte ich nicht alles erkennen, aber durch den Geruch von Desinfektionsmittel war mir klar, dass ich in einem Krankenzimmer war. Bloß wo?

Langsam bekamen meine Augen ein wenig an Schärfe zurück. Im Krankenhaus war ich nicht.

Schrecklich verwirrt versuchte ich mir einen Reim auf die Situation zu machen. Vor Augenblicken hatte ich meinem Bruder in die Augen gesehen… nein… weder in die Augen… noch war dieser wahnsinnige Mann mein Bruder. Sie sahen sich nur verdammt ähnlich… doch wie kam ich hierher? Ich fiel in die Schatten. Warum war ich dann wach? Warum war ich in der Realität – im Licht?

Es war schrecklich ruhig in diesem Raum. Abzusehen von mir, war keine andere Person anwesend. Ich war allein. Wie lange hatte ich hier gelegen? Mein Herz raste.

Auch wenn ich nicht mehr im Reich der Schatten gefangen war, hatte ich dieses beklemmende Gefühl, dass diese Realität, in der ich mich gerade befand, nur Momente andauern könnte.

Was war mit meinem Bruder los? War er besessen? Wie konnte er die Schatten beschwören? Was meinte er mit ‚die Schatten sind noch mit mir‘? Woher kannte dieser Dämon mich?

Auf einmal überkam mich ungeheurer Schmerz. Mit einem schmerzerfüllten Stöhnen ließ ich mich wieder auf die Matratze fallen. Tränen traten in meine Augen. Schmerzestränen… leider auch Angsttränen… und wegen Trauer. Ich war definitiv mit dieser Situation überfordert. Weder wusste ich, wo ich war, noch was passierte. Sorge machte sich in mir breit. Es fühlte sich an, als wüsste ich, dass mein Bruder nicht zum ersten Mal besessen war. Mehr war ich um die Tatsache besorgt, dass SCHON WIEDER etwas von ihm Besitz ergriffen hatte, als davon, dass es ihn kontrollierte.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte mich plötzlich eine Stimme.

Erschrocken zuckte ich zusammen, sah zur linken Seite. Ich traute meinen Augen nicht. War das echt, was ich sah?

Zane stand in der Tür zu meiner Linken und hatte zwei Tassen in der Hand. Er sah mich ein wenig besorgt an, während er an mein Bett lief.

Ich verstand die Welt nicht mehr, „Was? Wie? Wo?“

Er seufzte, „Nachdem unser Duell beendet war, bist du zusammengebrochen. Ich habe dich zu Madame Fontaine gebracht. Es ist ein Wunder, dass du nach solch einem immensen Blutverlust, so lebhaft bist.“

Also war ich die ganze Zeit in der Duell Akademie? Doch was war das vorhin mit meinem Bruder?

„Es sieht so aus, als hättest du einen sehr beängstigenden Traum gehabt.“, analysierte er mein Verhalten.

Ein wenig beschämt sah ich zur Seite. Das alles war nur ein Traum? Mit meinem Bruder war alles in Ordnung?

Langsam fiel mir wieder ein, was passiert war. Ich war so schrecklich sauer auf Zane… und auf meinen Bruder… wir duellierten uns… „Oh bei Slifer.“, rutschte es mir raus. Ich wurde während des Duells verletzt. Offensichtlich schwer…

„Du hattest Glück.“, behutsam setzte er sich auf meine Bettkante, stellte die Tassen auf dem Nachttisch ab.

„Worin?“, in diesem Moment hasste ich mich selbst. Langsam wandte ich meinen Kopf wieder nach links – in seine Richtung.

„Zwar bist du verletzt, aber in ein paar Wochen kannst du wieder das Krankenzimmer verlassen. Hättest du dich noch länger in unserem Duell gequält, würde deine aktuelle Situation vielleicht anders aussehen.“, er schien wirklich besorgt.

„Leider habe ich dennoch verloren. Dein Mitleid in diesem Duell zählt nicht. Du hättest mich in einem normalen Duell besiegt… ich habe dich nicht zur Besinnung bringen können.“, seufzte ich. Syrus kam mir wieder in den Sinn.

„Jane… ich habe meine Battle Phase nicht übersprungen, weil ich Mitleid mit dir hatte… Vielmehr wollte ich dich vor mehr Schaden bewahren. Ich bewundere deinen Mut, den du an den Tag gelegt hattest, um sowohl mir, als auch deinem Bruder eine Lektion zu erteilen. Von Anfang an habe ich dich nicht unterschätzt, auch wenn du dies vermutet hast. Ich habe dich beobachtet, wollte wissen, was dein wahrer Antrieb zu dieser Selbstopferung war. Es ist eine Schande, dass du durch den Verlust von Lebenspunkten verletzt wirst. Du bist eine geniale – und vor allem loyale – Duellantin.“, seine Stimme und auch sein Blick waren sanft.

„Zu welchem Preis? Ich konnte weder dich zur Besinnung bringen, noch mein Bruder.“, antwortete ich verbittert.

„Glaube mir… Jaden ist für Syrus ein viel besserer Bruder, als ich jemals sein könnte. Ich habe Syrus das mitgegeben, was er braucht, um dieses Entscheidungsduell gewinnen zu können. Vielleicht bin ich nicht der Bruder, den Syrus verdient… aber ich bin der Bruder, den er braucht. Durch mich wird er stärker… selbstbewusster…“, er sah mich bedauernd an, „Jane… ich weiß nicht, was dein Bruder dir angetan hat… versuch aber bitte, dich nicht auf deinen Zorn zu versteifen. Du bist besser als er. Zeig ihm, dass du ihn nicht brauchst… glaube mir… das wird ihn schneller und effektiver zur Besinnung bringen und ihn mehr verletzten, als dein fast Selbstmord.“

„Es war nicht als Selbstmord gedacht.“, murmelte ich, ein wenig peinlich berührt, „Ich wollte einfach meinen Zorn loswerden. Du wolltest Syrus auch von dieser Insel schicken! Mein Bruder hat mich hierher verfrachtet, damit er mich los wird. Obwohl ich mich an nichts mehr erinnern kann, will er mich nicht in seiner Umgebung haben.“

„Was meinst du damit: Du kannst dich an nichts mehr erinnern?“, jetzt war er an der Reihe ein wenig verwirrt zu sein.

Schockiert sah ich ihn an. Hatte ich das wirklich gesagt? Wie kam ich auf die Idee einem Fremden das zu erzählen?, „Ähhmmmm…“, verzweifelt suchte ich nach Worten, um mich da irgendwie rauszureden.

„Ich kann verstehen, wenn du es mir nicht erzählen möchtest.“, ein kleines Lächeln huschte über seine Lippen, „Wie ich dich einschätze, wissen deine Freunde auch nichts davon.“

„W-woher-?“, konnte er mich so gut lesen? War ich ein offenes Buch für ihn?

„Da du weder Jaden, noch sonst jemandem von deinen Verletzungen erzählt zu haben scheinst, denke ich, dass du nicht möchtest, dass sich jemand um dich sorgt. Vor allem nicht, wenn du dir selbst nicht auf irgendeine Weise die Situation erklären kannst.“

Jap… ich war ein offenes Buch für ihn…

„Ich weiß… du hast mir nicht freiwillig diese Geheimnisse offenbart. Durch unglückliche Verkettungen habe ich von ihnen erfahren… sei es dein Gedächtnisverlust, dein Bruder oder deine Verletzungen. Jane… eines kannst du mir glauben: Ich werde niemandem etwas davon verraten. Es ist deine Sache, Freunde darin einzuweihen.“, er nahm eine der Tassen, die er abgestellt hatte und reichte sie mir. Der Tee duftete herrlich. Dankbar nahm ich sie an, nippte an der Beerenmischung, während er seine eigene in die Hand nahm.

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte… besser gesagt, wie ich es ausdrücken sollte. Er war so nett… ganz anders, wie ich ihn eingeschätzt hatte. Niemals hätte ich gedacht, dass er mich so behandeln würde. Ich merkte, wie ich ein wenig rot wurde, „Du hast recht…“

Irritiert sah er mich an, „Wobei?“

„Ich habe gute Freunde.“, lächelte ich ihn an, „Sie gehen sogar so weit und verlieren ein Duell, damit ich nicht noch mehr verletzt werde. Sie behalten meine größten Geheimnisse für sich, lassen mich entscheiden, wer davon wissen darf und wer nicht.“

Von meiner Antwort scheinbar ein wenig überrascht sah er mich an. Er verstand worauf ich hinaus wollte: Er war der erste hier an der Duell Akademie – eigentlich seit meinem Erwachen aus dem Koma – dem ich mit ganzem Herzen so sehr darin vertraute, dass er meine Geheimnisse nicht weitererzählte.

Natürlich vertraute ich Jaden, Syrus und Chumley, doch gerade Jay war jemand von Typ Mensch, der – nicht einmal, weil er es böse meinte – eines der Geheimnisse verraten würde… einfach nur aus Unbesonnenheit…

„Hey, Sy, beeil dich.“, tönte es auf einmal vor der Tür des Krankenzimmers. Erschrocken zuckte ich zusammen, sah zu Zane, der mittlerweile aufgestanden war. Er machte sich bereit, zu gehen, „Wir sehen uns später.“, winkte er zum Abschied, während er das Zimmer durch einen Nebeneingang verließ. Ein wenig wehmütig sah ich ihm nach. Mein Herz schlug ein wenig schneller während ich an ihn dachte, aber warum nur?

Runde 29: Notlüge

Vorsichtig öffnete sich die Tür zu dem Krankenzimmer, in dem ich lag. Neugierig steckte Jaden seinen Kopf ins Zimmer, sonderte die Lage. Als er erkannte, dass ich wach war, war all seine Vorsicht vergessen. Mit einem freudigen „Jane.“, lief er an mein Bett, setzte sich auf die Kante. Syrus und Chumley folgten ihm.

„Sag schon, wo warst du?“, fragte Jaden gebannt. Ihm schien nicht aufgefallen zu sein, dass ich verletzt war… oder es war irrelevant für ihn. Wenn ich mir die Blicke von seinen Zimmerkollegen ansah, dann schien mir, dass meine Wunden unübersehbar waren. Anscheinend sah ich ziemlich zugerichtet aus.

„Ich war hier.“, antwortete ich mit einem gezwungenem Grinsen.

„Jetzt mal ernsthaft: Was ist passiert?“, verwirrt musterte er mich von Kopf bis Decke.

Ich seufzte… wie sollte ich ihm das erklären? Eigentlich wollte ich niemandem von den Verletzungen erzählen… geschweige denn von meinem Duell mit Zane. Mir war bewusst, dass es seinem Image – vielleicht sogar seiner künftigen Karriere als Profi Duellant - schaden würde, wenn ich von meinem unverdienten Sieg erzählen würde. Er hatte ja eigentlich gewonnen… doch er gab auf… um mich zu schützen. Eine Notlüge musste her. Bloß welche? Verzweifelt suchte ich in meinem Kopf nach einer plausiblen Erklärung. Wie weit konnte ich bei der Wahrheit bleiben? Ich brauchte eine simple Geschichte, die keiner hinterfragen würde…

„Jane?“, fragte Syrus verwundert. Es schien schon einige Augenblicke her zu sein, in denen ich verzweifelt nach einer Erklärung suchte.

„Ja. Ähm…“, ich schluckte, „nunja… erst einmal: Sy, ich bin froh, dass du noch hier bist.“

Er nickte, wurde ein wenig rot dabei.

„Um auf die Frage zurückzukommen:“, schlagartig fiel mir eine Antwort ein, „Ich war auf der Suche nach dir, bis spät in die Nacht. Jaden hatte mir kein Signal gegeben, dass er dich gefunden hatte, dementsprechend nahm ich weiterhin an, du seist noch verschwunden. Es wurde nach und nach schon stock dunkel… meine Beine wollten irgendwann nicht mehr gehorchen. Ich lief an den Klippen am Strand entlang, stolperte über einen Stein und fiel herunter… auf den Strand… Leider weiß ich nicht, was danach passiert ist… das erste woran ich mich wieder erinnern kann war, dass ich hier wieder zu mir kam und ihr drei hereingeschneit seid.“, ich lachte gezwungen. Das Essenzielle hatte ich leider auslassen müssen: Ein neuer Vertrauter offenbarte sich mir an diesem Abend. Zane. Er hatte mich gerettet.

„Ups.“, kam es auf einmal von Jaden. Verlegen kratzte er sich an seinem Hinterkopf, „Wir hatten Sy schon vor Einbruch der Dämmerung gefunden. Durch einen blöden Zufall hatte ich mich dann mit seinem Bruder duelliert. Sorry… ich hatte total vergessen, dass du noch immer auf der Suche nach ihm warst.“

„Moment mal, was?“, erst jetzt realisierte ich, was Jay mir eben gesagt hatte, „Du hast dich mit Zane duelliert?“, entsetzt sah ich ihn an. Also hatte Zane gestern zwei Duelle gegen Slifer bestritten?

„Ja. Er ist ein echt starker Gegner.“, er sprühte vor Enthusiasmus, „Das war ein echt knappes Ende.“

„Wer hat gewonnen?“, fragte ich interessiert. Auf der einen Seite wusste ich aus erster Hand, dass Zane ein fast unbezwingbarer Gegner war – ich zählte dieses Duell übrigens als verloren -, aber auf der anderen war Jaden auch nicht zu unterschätzen.

„Ähm…“, diese Frage war meinem Slifer Kollegen ein wenig peinlich, „Hätte ich den geflügelten Kuriboh und transzendente Flügel noch spielen können, dann hätte ich gewonnen. Aber sein Cyber-End-Drache hatte andere Pläne.“

„Moment mal… Jay! Sagst du mir gerade, du hast verloren?“, ich war mehr als erstaunt. Jaden war der beste Duellant meines Jahrgangs… und er hat gegen Zane wahrhaftig verloren. Es musste aber ein genialer Schlagabtausch gewesen sein: Zwei Duellanten von solch einem Kaliber, das muss einfach genial gewesen sein.

Sogar unser Duell war – aus der Perspektive eines Zuschauers, ohne meine Verletzungen und dem persönlichen Antrieb – sehenswert gewesen. Vielleicht sogar auf dem Level der Profi-Liga – was eigentlich nur meinem Selbsterhaltungstrieb und Zanes Duellniveau zu verdanken war.

„Du hast die letzten Tage einiges verpasst.“, riss mich Syrus aus den Gedanken, „Chumleys Dad war hier und hat ihn von der DA holen wollen. In einem Duell hatte Chum sich wirklich bewiesen, aber leider trotzdem verloren. Heute Morgen war allerdings sein Vater allein wieder nach Hause gefahren und hat Chumley hier gelassen.“

Verwundert sah ich besagten Chumley an, der schweigsam Syrus‘ Sätzen mit einem Nicken zustimmte.

„Freut mich, dass du uns erhalten geblieben bist.“, lächelte ich. Plötzlich kam mir etwas anderes in den Sinn, „Ojeee… Leute. Mir wurde gesagt, dass ich hier noch ein paar Tage bleiben muss… somit kann ich nicht am Unterricht teilnehmen…“, es war mir schon etwas peinlich, dass ich sie darum bitten musste. Auch wenn ich nur drei Tage – anstatt mehrerer Wochen, wie Zane es prognostiziert hatte – hier verharren müsste, würde ich ein Haufen an Stoff verpassen.

Es war Jaden, der auf meine Sorge eine Antwort parat hatte, „Keine Sorge Jane. Zwar sind wir eigentlich vom Unterricht ausgeschlossen, aber wir können uns ja rein schleichen und uns Notizen machen.“

„Dein ernst?“, ich wusste, wie sehr er den Unterricht hasste – besser gesagt unmotiviert war, dem Unterricht zu folgen – und das dies ein immenser Beweis an unsere Freundschaft war.

„Ja, klar.“, lachte er, „Sy und ich schleichen uns rein, passen auf, machen Notizen und bringen sie dir vorbei. Währenddessen kannst du dir den Morgen damit vertreiben.“, hinter seinem Rücken brachte er eine DVD-Box hervor. Auf dem Cover war Yugi Muto zu sehen, der gerade dabei war, seinen schwarzen Magier zu beschwören. Etwas verwirrt nahm ich sie entgegen – erst jetzt fiel mir auch auf, dass meine Hände weder verbunden, noch verbrannt oder verletzt waren.

„Mit vielen Grüßen von Alexis.“, lachte Jay, „Sie hat sie dir ausgeliehen, damit dein Alltag hier nicht so trist wird, wenn du mal keinen Besuch hast.“

„Danke… aber wovon handelt diese DVD?“

Er war entsetzt, „Jane, wirklich?“

Entschuldigend zuckte ich die Schultern.

„Das ist die komplette Battle City Staffel.“, voller Enthusiasmus sprang er auf, „Alle Duelle kannst du dir hier anschauen. Von Yugi Muto, Joey Wheeler, Seto Kaiba, Ryo Bak-“

„Na, was ist denn hier los?“, fragte auf einmal Madame Fontaine, die aus dem Seiteneingang kam, durch den Zane vor Minuten verschwand. Sie trug einen Arztkittel über ihrer Obelisk Blue Uniform. Auch wenn sie die Hauslehrerin war, sah sie nicht älter aus, als einige Studentinnen aus dem dritten Jahr. In ihrer linken Hand hielt sie ihr Klemmbrett. Ein wenig überrascht sah sie uns an, „Okay Jungs. Ich glaube Jane hatte für heute genug Aufregung. Die Besuchszeiten sind übrigens auch seit einer halben Stunde vorbei.“, mit einem Lächeln wies sie meine Freunde an, sich zu trollen, was sie auch mit einem „Wir sehen uns morgen.“ taten.

Ein wenig traurig sah ich ihnen nach.

„Schön zu sehen, dass du aufgewacht bist.“, meinte Madame Fontaine nach einer Weile.

„Die paar Stunden.“, lachte ich. Wenn die Besuchszeit wirklich vorbei war, dann war es etwa siebzehn oder achtzehn Uhr. Zwar war ich fast einen ganzen Tag außer Gefecht gesetzt, aber das wäre ja nur halb so schlimm.

Verdutzt sah sie mich an, während sie etwas auf ihrem Block notierte, „Jane… ich glaube du weißt nicht, wie lange du weg warst… es waren nicht nur ein paar Stunden, sondern eher vier Tage.“

„Was?!“, schockiert richtete ich mich auf. Ein Fehler. Die Schmerzen meiner Bauchwunden waren leider noch nicht verschwunden, genauso wenig wie mein Schwindel. Mit einem Stöhnen ließ ich mich wieder nach hinten fallen.

„Du musst dich schonen.“, meinte sie, während sie meine Tasse Tee abräumte, „Übrigens ist dein kleines Geheimnis bei mir sicher.“, verschmitzt grinsend warf sie mir ein Petzauge zu.

„Was meinen Sie?“, Panik machte sich in mir breit. Hatte Zane ihr von der tatsächlichen Ursache der Wunden erzählt? Hoffentlich nicht… er hatte mir doch versprochen, dies nicht zu tun.

„Ich weiß, warum ihr das geheim haltet. Ein Großteil der Obelisk Blue Mädchen würde dich andernfalls regelrecht terrorisieren.“ Sie lachte, als sie mein verdattertes Gesicht sah. Ich hatte keinen blassen Schimmer, was sie meinte.

„Ich rede von dir und Zane. Ihr seid doch Freunde, oder?“, wissend grinste sie mich an, „Ansonsten könnte ich mir nicht erklären, warum er fast rund um die Uhr an deinem Bett gesessen hatte. Mal davon abzusehen, dass er dich ‚rein zufällig‘ am Strand gefunden hatte.“

In dem Moment, in dem mir klar wurde, was sie gerade andeutete, verschluckte ich mich an meinem Speichel. Das dachte sie wirklich? Zwischen Zane und mir solle eine romantische Beziehung oder sowas bestehen??

„Ist schon gut. Kein Grund zur Aufregung. Ruh dich lieber noch ein wenig aus…“, mit einem Kichern verließ sie mein Bett und ging in ihr Arbeitszimmer.

Runde 30: Nie allein

Wie kam Madame Fontaine auf die Idee, dass da zwischen Zane und mir was laufen würde? Nicht, dass mich dieser Gedanke anwidern würde, oder sowas… vielmehr bekam ich Herzrasen, meine Knie wurden weich. Wäre da wirklich eine Chance? Könnte Zane wirklich etwas für mich empfinden?

„Bestimmt nicht.“, seufzte ich leise. Er könnte sich jede aussuchen, warum sollte ausgerechnet ich die Auserwählte sein? Wahrscheinlich hatte Madame Fontaine auch ein wenig übertrieben, als sie davon sprach, dass Zane fast die ganze Zeit an meiner Seite war, als ich bewusstlos gewesen bin.

„Wie könnte dich nur jemand lieben?“, fragte auf einmal eine männliche, geisterhafte, omnipräsente Stimme leise.

Ich schreckte furchtbar zusammen, sah mich panisch um. Diese Stimme… woher kannte ich sie…?

„Wer würde dem leibhaftigen Schatten vertrauen?“, fragte er weiter, „Du bringst jedem nur Leid. Verbannst ihn in die Finsternis…“

„Wo bist du?“, flüsterte ich verängstigt, „Wer bist du?“

„Ich bin immer bei dir…“, schrie die Stimme auf einmal.

Wurde ich verrückt? Hier in diesem Raum war keiner… ich war alleine… Tränen traten in meine Augen. Diese Stimme war in meinem Kopf? Also war ich wahnsinnig… Kein Wunder, warum mein Bruder mich weggeschickt hatte. Wer möchte schon eine Schwester, die… nunja… so kaputt war, wie ich? War ich schon mein ganzes Leben so? Auch bevor ich in dieses Koma gefallen war? Dies war kein Duellgeist, der zu mir Sprach… dies war etwas anderes… vielleicht hatte ich es einst aus dem Reich der Schatten mitgebracht? Absichtlich oder unabsichtlich?

Auf einmal fühlte ich eine unendliche Leere in mir… ich war allein… zumindest hatte ich gerade den Eindruck… keiner wusste von dieser Stimme… zumindest nicht einer meiner Freunde hier an der Akademie…

„Ich habe dir doch gesagt, du bist in meinem Spiel der Schatten, Baby.“, hisste er, gefolgt von einem diabolischen Lachen.

Es traft mich, wie ein Schlag in mein Gesicht… das war der Dämon, der in diesem Traum Besitz von meinem Bruder ergriffen hatte?? Ein eisiger Schauer rann meinen Rücken hinunter, das konnte doch nicht sein?!

„Das war kein Traum… vielmehr ein kleiner Besuch zu den Tiefen deiner Seele… in einer Ecke, in der ich hause. Wärst du nicht so sauer auf deinen gutmütigen Bruder gewesen, hättest du mir nicht die Macht gegeben, jetzt zu dir zu sprechen.“

„Was willst du?“, flüsterte ich.

„Wieder zurück in deine Welt. Leider geht das nur, wenn du es erlaubst.“

„Niemals.“, ich versuchte mich zu beruhigen.

„Du wirst mich nicht los… jedes Mal, wenn ich ein wenig Zorn in dir spüre, bin ich da.“, auf einmal klang er so, als würde er sich von mir entfernen, „Bis dahin, werde ich einfach nur beobachten…“

Mit diesem Satz war die Stimme verschwunden. Wie konnte das sein? Ein Geist, den ich nur – aus Versehen – rufe, wenn ich wütend bin? War meine Psyche so schwach? Irgendwie musste ich einen Weg finden, ihn für immer in den Tiefen meiner Seele einzuschließen, damit er weder einem meiner Freunde, noch mir irgendeinen Schaden zufügen konnte.

Um mich ein wenig abzulenken versuchte ich, aufzustehen. Langsam hob ich meinen Oberkörper an – nicht zu ruckartig. Zwar schmerzte mein Bauch durch diese Belastung, aber es war ertragbar. Mit einem tiefen Einatmen – damit ich einen vielleicht aufkommenden Schmerzensschrei unterdrücken konnte – bewegte ich meine Beine zur Bettkante. Mittlerweile saß ich, meine nackten Zehen berührten den Boden. Langsam stand ich auf, taumelte, ein wenig ungeschickt, zum Spiegel, der auf der rechten Seite des Raumes befestigt wurde.

Die paar Meter waren für meinen geschwächten Körper schrecklich anstrengend. Ein Teil des Schwindelgefühls kehrte wieder zurück… aber ich musste es sehen. Ich musste sehen, wie groß der Schaden an meinem Körper war. Wie sehr verletzt wurde ich?

Schwer ein- und ausatmend sah ich in mein Spiegelbild. Schockiert stieß ich einen leisen Schrei aus. Ich war entstellt. Überall war mein Körper verbunden. Anstatt meiner Slifer Uniform trug ich ein kurzes, dunkles, bauchfreies Top und kurze, schwarze Hosen. Über meinem rechten Auge (und um die ganze Stirn) befand sich ein Druckverband, genauso wie an meinem Hals, am Bauch und an meinen Beinen. Zwar waren meine Unterarme von Bandagen verschont geblieben, aber nicht die Oberarme. Meine Augen waren etwas blutunterlaufen - einige Adern waren geplatzt -, meine Haut – zumindest, das was von ihr zu sehen war – war kreidebleich. Ich sah aus, wie eine Leiche! Nein… schlimmer: Wie ein Zombie!

Durch den Schock gaben meine Beine nach. Entsetzt sank ich auf den Boden. Was hatte ich getan? Wie konnte ich all den Schmerz überspielen?

Erst jetzt wurde mir klar, dass ich diese ganzen Verletzungen niemals so ohne weiteres hätte überstehen können… das, was ich für schmerzhemmenden Zorn hielt… das war der Dämon gewesen, der in mir wohnte! Er hatte mein Schmerzempfinden getrübt, um meinen Hass zu nähren! Sein Pech, dass Zane nicht so war, wie wir erwartet hatten. Auch wenn ich ihm in diesem Duell unterlag, so respektierte er mich und war um mein Wohlergehen besorgt. Das konnte man nicht von jedem Gegner behaupten.

In einer Schockstarre sah ich in die toten Augen meines Spiegelbilds. Vieles hatte sich in den letzten Wochen geändert… doch dieses nicht: Ich erkannte mich nicht selbst wieder. Diese junge Frau… egal wie lange – oder oft – ich sie ansah… sie war fremd. Das war ich nicht. Allerdings konnte ich mich mittlerweile besser mit dem Aussehen abfinden, als in der Zeit, bevor ich mit Jaden, Syrus und Chumley Freundschaft geschlossen hatte.

Etwas helles schimmerte durch meinen schwarzen Haaransatz. Irritiert beugte ich mich näher an den Spiegel um es zu begutachten… ein paar meiner Haare waren… weiß? So fahl wie die meines Bruders? Nein… das war bestimmt nur Einbildung… die Halogenlampen in diesem Krankenzimmer spielten mir Streiche… hoffentlich…

„Jane?“, riss mich eine vertraute Stimme aus den Gedanken. Entsetzt sah ich über mein Spiegelbild hinweg – da ich erst sichergehen wollte, dass es wirklich die Person war, die ich vermutete – und nicht diese gruselige Stimme in meinem Kopf. Doch dieses Mal war es keine Einbildung. Ein verwundert und gleichzeitig besorgt dreinblickender Zane stand hinter mir, „Ist alles in Ordnung?“, fragte er, sich selbst anscheinend nicht sicher, wie er reagieren sollte.

„Ja.“, gekünstelt überspielte ich meine vorherigen Gedanken – vor allem die, die mit dem Geist zu tun hatten, „Ich wollte sehen, wie sehr es mich in unserem Duell erwischt hat. Jaden hatte eben keine Reaktion gezeigt, als er mich sah, aber dein Bruder und Chumley waren wirklich schockiert…“, während ich sprach versuchte ich, wieder aufzustehen. Leider war dies mir nicht so möglich, wie ich es mir erhofft hatte. Durch den Schmerz fühlte sich mein Körper taub an, die Gliedmaßen wollten mir nicht gehorchen.

„Lass mich dir helfen.“, er hielt mir seine Hand hin. Ein wenig schüchtern schlug ich ein. Vorsichtig zog er mich auf die Beine, half mir, wieder zu meinem Bett zu gelangen.

„Danke.“, lächelte ich, während ich mich wieder auf die Matratze setzte.

Er grinste nur ein wenig. Ich kannte ihn nicht gut genug, aber es war offensichtlich, dass er kein Mann der großen Worte war. Allerdings vermutete ich auch, dass er normalerweise auch nicht so oft Emotionen zeigte… und so oft, wie er schon heute gelächelt hatte… vielleicht war das ein neuer persönlicher Rekord?

„Was ist eigentlich passiert, nachdem ich das Bewusstsein verloren hatte? Madame Fontaine hatte mir erzählt, dass ich vier Tage lang ausgeknockt war.“, ein anderes Gesprächsthema fiel mir in diesem Moment nicht ein. Ich wollte nicht, dass er ging – auch wenn er dies nicht angedeutet hatte. In seiner Gegenwart fühlte ich mich so… normal… nicht dieser Freak von Jane, den ich sonst in mir selbst sah.

„Du hattest eine Menge Blut verloren. Mir blieb nichts anderes übrig, als ich ohne Umwege zu Madame Fontaine zu bringen. Sie war gerade auf dem Weg in die Mädchenunterkunft, als ich das Hauptgebäude erreicht hatte. Wir brachten dich hierher, verbanden deine Wunden, hängten dich an eine Infusion.“

Moment… sagte er gerade WIR?, „Ihr?“

„Ja, Madame Fontaines Assistentin war unauffindbar. Zumindest hatten wir keine Zeit noch lange nach ihr zu suchen. Ansonsten hast du die Tage nicht wirklich was verpasst.“

Eine Frage kam in mir auf… und zwar dieselbe, die ich ihm schon in unserem Duell gestellt hatte, „Warum hattest du mich nach meinem Duell mit diesem Devan beobachtet? Im Wald meine ich…“, ich wurde immer leiser.

Er seufzte, „Zu Beginn war es Zufall. Als du ihn bis zum Wasserfall gefolgt bist, war ich in der Nähe, weil ich ein wenig Ruhe genießen wollte… Mit deinem Geschrei war dies nicht möglich. Ich erkannte deine Stimme, lief zur anderen Seite des Wasserfalls und beobachtete euer Szenario. Als du dabei warst zu ertrinken, wollte ich dich aus dem Wasser ziehen, aber Jaden war schneller. Bevor ich überhaupt reagieren konnte, hatte er dich schon gerettet... Es war nicht meine Absicht, dass du mich zwischen den Bäumen siehst… ich wollte nur sichergehen, dass du wohlauf bist.“

Ich war sprachlos… so hatte ich das nicht gesehen. Seit er absichtlich verloren hatte, hatte ich ein völlig anderes Bild von ihm… doch das er mir schon damals helfen wollte…? Allerdings wollte ich ihn nicht noch mehr mit Fragen über mich oder ihn nerven…

„Und… wann ist das Duell von Jay und Sy? Irgendwie hab ich mein Zeitgefühl verloren…“, ich schluckte, änderte ein wenig verlegen das Thema. Es wäre zu schön gewesen, wenn es die letzten Tage war und sie bleiben dürften. Dann würde mich eine Sorge weniger bedrücken.

„Übermorgen.“, antwortete er, ein wenig zögernd. So wie ich, hatte er wohl noch kein unerschütterliches Vertrauen darin, dass die beiden das Duell gewinnen würden. Nicht wegen Jaden, sondern wegen Syrus. Er war ein guter Duellant, aber dieses verdammte Selbstvertrauen…

Ich seufzte, „Bis dahin kann ich wahrscheinlich noch nicht das Krankenzimmer verlassen.“

„Leider nein.“, er schüttelte seinen Kopf, „Jane… ich glaube du musst dich ein wenig von heute erholen.“

„Wie meinst du das?“

„Als du aufgewacht warst, warst du zwar blass, aber nicht so kreideweiß, wie jetzt.“, meinte er, „Du hast ja vorhin gesehen, wie du aussiehst. Das ist wahrscheinlich der Stress von heute.“

Irgendwie war ich nicht mehr im Stande, noch etwas zu sagen, oder ihm zu widersprechen. Die Müdigkeit überkam mich schlagartig. Langsam und vorsichtig legte ich mich wieder hin. Meine Augenlider wurden schwer. Stück für Stück fielen sie mir zu. Das letzte was ich sah, war ein Zane Truesdale, der mich beim Einschlafen beobachtete… ich glaubte, kurz bevor ich in das Reich der Träume versank noch ein „Du bist nicht allein.“ zu hören, aber ich war mir nicht mehr sicher…

Runde 31: Ein freundschaftlicher Beweis

Mein Schlaf war eine regelrechte Tortur. In Schrecken erwachte ich, um in meinem persönlichen Albtraum so lange zu verweilen, bis ich wieder meine Augen schließen konnte. Sowohl in der Realität, als auch in der Welt der Träume waren die Schatten der Finsternis allgegenwärtig… genauso wie diese furchteinflößende Stimme, die nur in meinem Kopf existierte… Er amüsierte sich köstlich; das diabolische Lachen verfolgte mich bis in meinen Schlaf.

Die Nacht fühlte sich an, wie eine Ewigkeit…

Umso glücklicher war ich, als die Sonne aufging. Aufstehen konnte ich zwar nicht, aber die Freude, eine Nacht des Schreckens unbeschadet überstanden zu haben, genügte mir. Ich lag in meinem Bett und starrte die Decke an, versuchte währenddessen, die Stimme in meinem Kopf zu ignorieren, die sich darüber beschwerte, dass es hier sehr langweilig sei. Allerdings war ich nach diesen Horrorstunden sowohl körperlich, als auch geistig ausgeknockt. Ich kümmerte mich nicht einmal um die Tatsache, dass ich scheinbar verrückt war, sondern blendete stattdessen – sogar eher ungewollt – diese nervige Person aus… wer auch immer er war.

Madame Fontaine war zwischenzeitlich ein paar Mal im Krankenzimmer vorbeigekommen, um meinen Zustand zu überprüfen – nunja… ich stellte mich schlafend, das beruhigte sie und erhielt die Ruhe. Eigentlich wollte ich heute nicht reden… oder? Auf der einen Seite sehnte ich mich danach, dass jemand die Stille durchbrach – ich meinte mit jemand nicht den körperlosen Geist -, aber auf der anderen Seite wollte ich einfach mein Hirn ein wenig im Leerlauf lassen. Seit ich – vor einer gefühlten Ewigkeit – aus dem Koma erwachte, hatte ich kein einziges Mal an nichts gedacht. Ich konnte Jaden gut verstehen, warum er so oft die Seele baumeln ließ… es war wirklich sehr entspannend.

„Hallo Jane!“

Zwar hatte ich gehört, dass jemand zu mir sprach, aber ich ging in der Annahme, dass es die Stimme in meinem Kopf war. Die Augen waren zwar geöffnet, aber ich sah meine Umgebung nicht. Mir schien es, als sei ich in einer anderen Welt.

„Halloho…“, plötzlich winkte eine Hand vor meinen Augen.

Stark zusammenzuckend sah ich nach links. Mit einem breiten Grinsen stand Jaden, mit Syrus und Chumley im Schlepptau, neben meinem Bett.

„Hey Leute.“, ein wenig verwirrt sah ich sie an, richtete mich ein wenig mit meinem Oberkörper auf, sodass ich meinen Rücken an die Kopflehne stützen konnte, „Seit wann steht ihr schon da?“

„Ein paar Minuten.“, verwirrt kratzte Jay sich am Hinterkopf; er schien schrecklich müde zu wirken. Unter seinen Augen zeichneten sich leichte Ringe ab, „Irgendwie hast du Löcher in die Luft gestarrt. Geht es dir gut? Das mache ich doch sonst.“

„Ich denke schon…“, antwortete ich. Ich war so in meine Welt vertieft, dass ich nicht die Ereignisse in der realen Welt mitbekam?, „Jay, warum siehst du so müde aus.“

„Schule ist anstrengend.“, seufzte er, ließ dabei den Kopf hängen.

Verwirrt sah ich Syrus an, der so aussah wie immer und leicht den Kopf schüttelte.

Dieser schien meine unausgesprochene Frage zu verstehen, „Jay ist es doch nicht gewohnt, einen ganzen Vormittag dem Unterricht zu folgen.“, lachte er verlegen.

„Wie machst du das nur, Jane? Wie schaffst du es, bei einem Monolog von Crowler nicht einzuschlafen oder mit deinen Gedanken abzudriften?“, Jaden war ein wenig verzweifelt.

„Ähm… ich passe auf…? Mache mir Notizen…“, hatte er noch nie einen ganzen Schultag überstanden, ohne einzuschlafen?

„Die haben wir heute auch gemacht. Zum Glück hatte keiner damit gerechnet, dass wir in der Vorlesung auftauchen würden… dementsprechend wurden wir auch nicht kontrolliert… hier.“, mit einem stolzen Lächeln reichte er mir ein beschriftetes Blatt Papier.

„Danke.“, ich war ein wenig verdutzt. Eigentlich benötige ich mindestens zwei Seiten pro Vorlesung á fünfundvierzig Minuten… und nicht nur eines für einen ganzen Schulvormittag. Interessiert las ich mir einige der Stichpunkte durch. Neben ein paar sehr unvorteilhaften Kritzeleien, die Dr. Crowler darstellen sollten, stand so etwas drauf wie ‚Duell‘, ‚Blabla‘, ‚Müde‘, ‚?‘ und ‚Langweilig‘. Kurz gesagt… diese Stichpunkte halfen mir nicht mit meinen Studien weiter… aber sie hatten sich immerhin bemüht.

Mit einem Lächeln, das auch seinen Ursprung in der sogenannten Unterrichtsmitschrift fand, sah ich das Trio an, „Danke, Jungs. Ich weiß, wieviel Mühe es euch heute bereitet hat, den Monologen von Crowler zu folgen… sehr lieb von euch… ihr müsst das nicht weiterführen. Ich glaube ich rede die Tage mal mit den Lehrern, die geben mir bestimmt auch die Unterlagen raus.“

„Bist du dir sicher?“, die Freude Jadens war kaum zu überhören, „Wir können im Unterricht wieder schlafen?“

„Klar. Ich schaukle das schon.“, lächelte ich.

„Klasse, Jane. Du bist die Beste.“, mit einem Freudensprung machte Jaden sich auf, zu gehen, „Dann lass ich die Duellgeschichte von Professor Stein heute Nachmittag ausfallen! Bett, ich komme.“, voller Elan rannte er aus dem Zimmer.

„Jay, warte.“, riefen Syrus und Chumley ihm nach, während sie hinterher liefen.

„Bis dann, Jungs.“, verabschiedete ich sie noch, doch die Tür war schon ins Schloss gefallen. Ich seufzte… nundenn… jetzt war ich wieder alleine… das war mal ein kurzer Besuch. Böse war ich auf sie nicht, sie hatten sich wirklich bemüht, mir dabei zu helfen, dass ich weiterhin lernen konnte, auch wenn ich im Unterricht fehlte – es zählte ja bekanntlich der Wille.

Irgendwie musste ich mir einen anderen Schlachtplan zurecht legen. Professor Banner würde mir wahrscheinlich die Unterlagen geben, aber Dr. Crowler… weniger. Er hasste Slifer Reds und - noch mehr als das – Jaden, und jeden, der mit ihm zu tun hatte… also auch mich. Im Unterricht hatte er zu Beginn – bevor ich überhaupt mit Jaden befreundet war – versucht, mich mit einer kartenbezogenen Frage, bloßzustellen. Es war sein Pech, dass er in diesem Moment – das Thema waren besondere Fallenkarten – eine Frage stellte, die mit der Schicksalstafel zu tun hatte. Merkwürdigerweise konnte ich ihm sogar eine passende Antwort darauf geben… ich hatte sogar die Karte vor meinem geistigen Auge – und auch die entsprechenden Zauberkarten Geisternachricht I, N, A und L, obwohl ich mir sicher war, keine davon jemals gesehen zu haben… zumindest mal nicht in diesem Leben… zu gerne hätte ich gewusst, woher ich die Karten kannte… doch dies schien für immer ein Mysterium zu bleiben.

Runde 32: Der unerwartete Besucher

Es klopfte.

Irritiert sah ich zu der Tür, durch die Jaden vor Minuten gerannt war. Egal wer die Person dahinter war, war um einiges vorsichtiger, als Jaden, da man ja nie wissen konnte, ob der Patient wach oder überhaupt salonfähig war.

„Herein.“, rief ich.

Ein wenig zögernd wurde die Klinke nach unten gedrückt. Die Tür schwang auf und das erste, was ich sah war gelb. Ein Ra Yellow mit dunklen, grauen Haaren trat ein. Es war Bastion Misawa… zwar hatte ich noch nicht viel mit ihm zu tun gehabt, genauso wenig wie meine Freunde, doch er war zu uns Slifer immer sehr freundlich gewesen.

Er hatte einen dicken Aktenordner unter seinen Arm geklemmt, kam auf mich zu, doch als er bemerkte, wie zugerichtet ich war, blieb er erschrocken stehen.

„Keine Angst.“, lachte ich gezwungen, „Es sieht schlimmer aus, als es ist. Mir geht es eigentlich ganz gut.“, jetzt erst bemerkte ich, dass wir uns noch gar nicht formal vorgestellt haben. Freundlich reichte ich ihm meine rechte Hand, „Ich bin Jane.“

Irritiert schlug er ein. Er brauchte ein paar Momente, bis er seine Stimme wieder fand, „Ich weiß. Mein Name lautet Bastion.“, ich spürte, wie er meinen Zustand musterte. Der verbundene Kopf, der Hals… man sah nicht mehr, doch er konnte sich denken, wie der Rest meines Körpers aussah, „Wenn ich ungelegen komme kann ich wieder gehen.“, meinte er zurückhaltend.

„Warum solltest du stören?“, ich lächelte, „Aber ich würde dich gerne fragen, was mir diese Ehre verschafft.“

Überlegend sah er auf meine Bettkante. Er wägte wohl ab, ob er sich auf das Bett setzen, oder einen Stuhl holen sollte. Kurz darauf lief er zu der kleinen Ecke, in der zwei Stühle an einem Tisch einander gegenüber standen – genau meinem Bett entgegengesetzt -, schnappte sich einen Stuhl, setzte diesen an die Stelle, an der er zuvor gestanden hatte, wieder ab und nahm Platz.

„Wie geht es dir?“, fragte er. Wir hatten zuvor noch nie Worte miteinander gewechselt.

„Nunja… eigentlich ganz gut… Gestern war es schlimmer. Aber vielleicht spüre ich auch den Schmerz durch die hemmenden Mittel einfach nicht mehr so sehr.“, antwortete ich wahrheitsgemäß. Während Madame Fontaine heute Morgen ihren ersten Rundgang gemacht hatte, hatte sie – während ich vorgab zu schlafen – mir eine neue Infusion angelegt. Daraufhin wurde ich ruhiger, was vielleicht auch der Grund war, weshalb ich meinen Kopf ausnahmsweise leer bekommen hatte.

Er nickte, anscheinend nicht wissend, was er daraufhin antworten sollte. Sein Blick blieb an dem Blatt Papier hängen, das mir Jaden vorbei gebracht hatte. Bastion schien zu wissen, worum es sich handelte, „Du hast einen guten Einfluss auf Jaden.“

„Nunja… Eigentlich weniger…“

„Er war heute im Unterricht, obwohl er dies nicht durfte. Eigentlich ist das doch seine liebste Bestrafung: an keiner Vorlesung teilnehmen zu dürfen…“

„Ich hatte ihn darum gebeten. Da ich mich nur duelliere, wenn es sich gar nicht mehr vermeiden lässt, versuche ich wenigstens gute Noten zu schreiben. Zwar werde ich dadurch nicht zu einem Ra Yellow aufsteigen, aber eine geringe Duellzahl ist mir lieber.“

Skeptisch musterte er das Notizblatt, „Scheinbar ist dies nicht wirklich hilfreich, wenn du lernen willst.“

Verlegen kratzte ich mich am Hinterkopf, „Der Wille zählt… ich muss halt schauen, wie ich den verpassten Stoff aufholen kann.“

„Da könnte ich dir behilflich sein.“, mit einem Grinsen legte er den dicken Aktenordner auf meinen Nachttisch, „Das sind die Unterlagen des vergangenen Monats – die letzten fünf Tage inklusive. Ich kann dir meine Mitschriften nach dem Unterricht vorbei bringen, wenn du möchtest.“

Verblüfft sah ich ihn an, „Danke… aber wieso?“

„Jaden ist mein Rivale im Punkto Duell, du bist meine Rivalin in der Hinsicht Intelligenz – besser gesagt in Noten. Es ist unfair, wenn du in den nächsten Klausuren nur schlecht abschneidest, weil du verletzt bist und dadurch Stoff verpasst hast. Ich möchte mich weiterhin mit dir messen können.“

Ich wurde rot. Damit hatte ich nicht gerechnet, „Ich fühle mich geehrt, dies von dir gesagt zu bekommen.“, ja, ich wusste, dass ich nicht dumm war… doch es gehörte auch viel Fleiß dazu. Eigentlich zweifelte ich immer an mir: Bevor ich wusste, dass ich verletzt wurde, an meiner Duellfähigkeit… an meiner Intelligenz, an meinem Können… technisch gesehen an allem.

„Eigentlich könntest du auch in die Top fünf meiner Duell Rivalen kommen.“, Bastion grinste herausfordernd, „Warum duellierst du dich so selten? Dein Duell gegen Devan ist Wochen her.“

Uff… mit dieser Frage hatte ich nicht gerechnet… mal davon abzusehen, dass mein letztes Spiel vor ein paar Tagen gewesen war… und dieses fatale Ende mit sich brachte, weshalb ich überhaupt hier lag, „Eigentlich liebe ich das Duellieren… aber… ich trau es mir nicht zu. Ich habe Angst meine Karten zu enttäuschen… ja… es klingt blöd, sogar schon kindisch…“

„Dein Deck ist in einer fast schon perfekten Balance – soweit ich das beurteilen kann.“

„Danke… aber leider sieht das sonst keiner.“, ich wusste, was er meinte. Eine fremde Karte könnte die Harmonie meiner Karten schädigen… mal davon abzusehen, dass andere Karten gar nicht zu dem Typ meines Decks passten.

„Weißt du, in meinen Augen ist es irrelevant, ob deine Karten berühmt sind, oder nicht… es geht um den Aufbau. Dieser Devan hatte ihn nicht zu würdigen gewusst. Solch ein Gleichgewicht hinzubekommen benötigt viel Geduld, Wissen und Können“

Eigentlich sollte dies ein Lob sein, doch es war keines für mich, „Ich hatte es gewonnen. Es war schon fertiggestellt. Maximillian Pegasus ist das Genie, das du lobst.“

„Nicht ganz.“, lachte er, „Das weißt du genau.“

Etwas beschämt wurde ich rot, „Inwiefern?“, wusste er etwas über meine Karten, was ich nicht wusste?

„Versteh mich nicht falsch, Jane. Wenn ich jemanden als meinen Rivalen sehe, dann setzte ich es mir zum Ziel sein Deck und auch die Strategien, die damit verbunden sind, analysieren zu können. Zwar habe ich nicht viele Karten gesehen, aber es hat genügt. Du hattest dieses Deck in einem Turnier gewonnen, ja, aber was du immer vergisst zu sagen war, dass du danach mit Pegasus an der Verfeinerung gearbeitet hast. Zumindest sagt dies der Großteil der Berichte, die ich über dein Deck ausfindig machen konnte.“

Jetzt verstand ich die Welt nicht mehr. Wie konnte er einen vermeintlich Jahre alten Artikel im Internet finden, wenn ich – nachdem ich von meinem Bruder mein Deck ausgehändigt bekommen hatte und er mir vom dem Wettbewerb berichtete – selbst nach einer Spur im Internet gesucht hatte. Ich fand nichts… zumindest nichts, was mit meinem Namen zu tun hatte. Den einzigen Hinweis, den ich auf eine ähnliche Geschichte fand, war fast zehn Jahre alt und handelte von einer ‚Kia Tenshi‘, eine vierzehnjährige Duellantin mit markantem, langem, weißen Haar… Das merkwürdige war… ich kannte sie von irgendwo her… und ich war felsenfest davon überzeugt, dass Kia nicht ihr richtiger, sondern ein Künstlername war… In meinem jetzigen Leben könnte ich niemandem eine Karte stehlen, geschweige denn ein ganzes Deck… aber was war davor? Diese Karten waren einzigartig… war dieses Gerücht über mich wirklich wahr?

Innerlich ohrfeigte ich mich dafür. Wie konnte ich nur denken, ich wäre so etwas wie eine Diebin?! Ich hätte kein so gutes und vertrautes Verhältnis zu meinen Karten, wenn ich sie gestohlen hätte!

„Ähm… ja…“, verlegen begann ich zu lachen, „erwischt…“, wahrscheinlich hatte Bastion einfach eine andere Suchmaschine verwendet und darüber einen Artikel über mich gefunden. Ich konnte im Krankenhaus ja immer nur dann suchen, wenn es keiner bemerkte… dementsprechend war es mir auch nicht möglich allzu viel Zeit zu investieren…

„Auch wenn die Berühmtheit von deinem Deck nebensächlich ist… sag mir: Welche Karten habt ihr gemeinsam entwickelt?“

Wie sollte ich hier wieder rauskommen??? Ich wusste nichts über die Sachen, von denen er behauptete, sie seien im Internet zu finden… nach einer Lösung suchend schloss ich meine Augen. Plötzlich erschien ein Bild vor mir… es war kein Bild… sondern eher ein verschwommener Film.
 

Ich stand einem großen Mann im roten Anzug gegenüber. Er hatte weiße, lange Haare, die in dicken Strähnen sein linkes Auge verdeckten. Wer er war, war mir klar: Der Schöpfer von Duell Monsters, Maximillian Pegasus!

Freudig hielt er ein Deck in seiner Hand, wollte es mir gerade übergeben…
 

„Jane?“, riss mich auf einmal die Stimme von Bastion in die Gegenwart zurück.

Verwundert öffnete ich meine Augen. Egal was das eben war – sei es ein Stück meiner Erinnerung, oder einfach nur Einbildung, ich wusste, was ich zu sagen hatte, „Sorry, Bastion… das ist ein kleines Geheimnis.“, entschuldigend sah ich ihn an, „Vielleicht findest du es irgendwann selbst heraus.“, ich grinste verschmitzt, „Wenn du meinst, die Lösung gefunden zu haben, dann sag es mir.“

„Dafür müsste ich dich in einem Duell sehen.“, nunja… er war in seiner Weise stur – und wusste dies auch einzusetzen.

„Netter versuch. Ich habe leider das ungute Gefühl, dass ich mich noch oft genug in nächster Zeit duellieren werde…“

Ungläubig schüttelte er den Kopf, „Hast du keinen Ansporn Ra Yellow zu werden? Oder vielleicht sogar Obelisk Blue?“

„Irgendwann, vielleicht. Aber ich will es hauptsächlich mit guten Noten schaffen. Das Duellieren will ich so gut es geht vermeiden.“

Verständnislos schüttelte er den Kopf, während der Schulgong ertönte. Irritiert sah er an die Wanduhr. Es war dreizehn Uhr dreißig.

„Verdammt.“, schimpfte er, nicht wissend, was er jetzt machen sollte. Der Unterricht würde gleich weiter gehen.

Ich lächelte, wusste sogar, wie ich ihm aus der moralischen Zwickmühle befreien konnte, „Vielen Dank für die Unterlagen. Ich weiß dies sehr zu schätzen.“

Dankbar sah er mich an, „Gern geschehen.“, stand auf und lief zur Tür, wandte sich vor dem Verlassen mir noch einmal zu, „Wir sehen uns morgen.“

„Ja. Bis morgen.“, rief ich ihm nach.

Nachdem er verschwunden war, machte ich mich daran, seine Notizen zu durchforsten. So hatte ich wenigstens einen nützlichen Zeitvertreib und einen Freund gefunden.

Runde 33: Angriff

Heute war der große Tag. Heute entschied sich, ob Jaden und Syrus auf der Duell Akademie bleiben durften, oder nicht. Es würde leider nicht einfach werden, da Dr. Crowler die Gegner für meine Freunde ausgesucht hatte… er hielt wahrscheinlich die besten Tag-Duellanten, die er finden konnte, in Petto.

Aufgeregt saß ich auf meinem Bett. Um mich herum verteilt lagen alle möglichen Notizen, die mir Bastion gestern vorbei gebracht hatte. Irgendwie musste ich mich ja von dieser inneren Unruhe – und Angst – ablenken.

Jay und Sy würden das schon schaukeln… das wusste ich. Sie würden das packen… hoffentlich … zu einhundert Prozent sicher war ich mir nicht. Es bedarf nur ein Satz, oder Wort, um Syrus aus der Bahn zu werfen… um das Duell zu verlieren.

Dieses Bangen machte mich wahnsinnig! So viel hätte ich dafür gegeben, ihnen zusehen zu dürfen. Leider funktionierten die Kameras in der Duell Arena nicht, sonst hätte ich mir die Übertragung ansehen können… dann wäre ich auf das Ergebnis gefasst. Würden sie vorbei kommen, wenn sie verlieren würden?

Nein… an so etwas durfte ich nicht denken! Bei Slifer, Ra und Obelisk! Sie würden gewinnen!!!

„ Wen versuchst du zu beruhigen? Deine Freunde sind nicht hier und sie werden auch nie wieder kommen… “, hisste diese unheilvolle Stimme in meinem Kopf, „ Gebs auf, Jeany… du wirst alleine sein. Alle deine Freunde werden dich verlassen. Sie werden froh sein, wenn sie weg von dir sind… Allein aus Angst bleiben sie in deiner Umgebung... “, er sprach das aus, worüber ich mich in meinem tiefsten Innern fürchtete…

„Nein.“, ich wollte das nicht hören. Tränen traten in meine Augen. Verzweifelt hielt ich mir die Ohren zu… auch wenn das nichts brachte. Er wusste, wie er mich verunsichern konnte… wie er mich provozierte… wahrscheinlich kannte er mich besser, als ich mich selbst.

Er hatte genau das ausgesprochen, wovor ich mich im tiefsten Innern fürchtete: Von meinen Freunden verlassen zu werden, weil ich gefährlich oder merkwürdig bin. Es würde vielleicht der Zeitpunkt kommen, wenn ich mich offenbaren würde – leider wusste ich nicht einmal selbst, was dies bedeutete – und nachdem würden sie mir alle den Rücken kehren. Wer wollte schon mit einer gefährlichen – und vor allem verrückten – Person verkehren? Sie kannten mich eigentlich gar nicht… leider wusste ich auch nicht einmal, wer oder was ich genau war. Unglücklicherweise war mir in den vergangenen Tagen nur eines klar geworden: dieser Dämon oder Geist in meiner Seele war der Grund, warum ich in diesem Duell gegen Zane – trotz all dieser Schmerzen – weitergemacht hatte. Er war dieser unergründliche Zorn… würde ich einmal sehr wütend werden, so könnte er vielleicht die Kontrolle über meinen Körper übernehmen…?

Unsicher schloss ich meine Augen. Er wusste, dass seine Aussage ins Schwarze getroffen hatte. Aber ich versuchte mich trotzdem abzulenken… Gestern Abend zum Beispiel kam Zane wieder zu Besuch. Nach einer langen Unterhaltung über unser Duell hatte ich ihn gefragt, ob das stimmte, was Madame Fontaine mir erzählt hatte… ob er mich wirklich so oft während meiner Bewusstlosigkeit besucht hatte. Scheinbar war er ein wenig überrascht, dass ich davon erfahren hatte. Er meinte daraufhin aber, dass er sich für meine Verletzungen und die aktuelle Situation verantwortlich fühlte. Hätte er das Duell nach dem ersten Verlust von Lebenspunkten beendet, so wäre ich jetzt nicht so schrecklich verletzt. Zane gab sich selbst die Schuld und nicht mir. Auch nachdem ich ihm immer und immer wieder versucht hatte zu erklären, dass dies allein mein Vergehen war, wollte er sich seine Unschuld nicht eingestehen.

Ich seufzte laut, „Hätte nicht gedacht, dass sich jemand mal wegen meiner Sturheit selbst die Schuld gibt…“

Das wurde mir auch am Abend dieses Duelles klar. Auch wenn dieser Dämon in mir vieles getan hatte, um mich noch weiter anzustacheln, so war es letztendlich meine Dickköpfigkeit, die mir das alles hier eingebrockt hatte. Nie im Leben würde ich versuchen jemand anderes dafür verantwortlich zu machen… technisch gesehen nicht einmal meinen Bruder… von dem ich seit seiner letzten Nachricht nichts mehr gehört hatte… diese Mail, die mir an dem Tag, an dem ich mich mit Zane duelliert hatte, den Rest gegeben hatte…

Wie hatte diese Stimme gesagt? Wäre ich nicht so sauer auf Aniki gewesen, dann würde ich IHN nicht hören. Leider konnte man nichts mehr an der Vergangenheit ändern – im Nachhinein ist man immer schlauer… jetzt musste ich mit dieser Finsternis, die durchgebrochen war, leben… und irgendwie vermeiden, dass meine Freunde dadurch in Gefahr gerieten… das merkwürdigste von allem war… mir kam dieser Dämon wie eine antike Macht vor, die schon vor tausenden von Jahren ihr Unwesen getrieben hatte… vielleicht im alten Ägypten? In der Zeit der Pharaonen, durch die Maximillian Pegasus auch zu Duell Monsters inspiriert wurde? Mir war klar… ich klang verrückt… so etwas gab es nicht. Weder Dämonen, die sich in der eigenen Seele einnisten konnten, noch antike Geister… ich war einfach verrückt… das war alles…

Mein PDA auf dem Nachttisch vibrierte.

Erschrocken sah ich nach links, nahm das Gerät in die Hand. Vielleicht hatte mein Bruder endlich einmal geantwortet? Vielleicht wollte er sich entschuldigen?

Hoffend sah ich auf die neu eingegangene Mail… doch sie war nicht von Aniki… sondern von Unbekannt… mal wieder. Ich hatte gestern versucht diesen Absender zu blockieren, aber scheinbar war dies nicht möglich. Irritiert öffnete ich seine Nachricht, ‚Es geht los. Die Nieten werden bald nach Hause gehen… ihre Gegner sind ein wahrer Wiederspruch in sich… aber sei unbesorgt… du bleibst nicht lange alleine.‘

Was sollte das denn bedeuten? Ein Wiederspruch in sich??? Nicht lange alleine…?

„Bist du Jane Yaki?“, fragte auf einmal eine weibliche Stimme neben mir. Schockiert zuckte ich zusammen, sah wieder nach links. Eine Obelisk Blue Studentin mit schwarzen, langen Haaren und ebenso dunklen Augen sah mich böse an. Um ihren Hals trug sie eine Kette, die das Auge darstellen sollte, das die Schattenspiele symbolisierte. Sie war nicht in meinem Jahrgang… soviel konnte ich noch von ihr sagen, aber danach hörte meine versuchte Analyse schon auf.

„Ähm… ja…“, antwortete ich verwirrt, „Verzeih mir, wenn ich frage, aber kennen wir uns?“

„Du weist nicht, wer ich bin, aber dafür kenne ich dich allzu gut.“, ihr Ton ließ sie hochnäsig wirken… sie schien sich für etwas Besseres zu halten.

„Inwiefern?“, es war mir nicht möglich, mir irgendeinen Reim auf diese Situation zu machen.

Bedrohlich lief sie einen Schritt auf mich zu. Egal, welche Absichten sie mit diesem Besuch hatte… sie waren definitiv nicht freundlich.

Innerlich machte ich mich darauf gefasst, gleich aus meinem Bett springen zu müssen… auch wenn dies meinem Körper schrecklich missfallen würde… sah ich diese Studentin, so schrie jede Zelle in meinem Körper ‚Gefahr‘.

Sie stand mittlerweile direkt neben meinem Bett, „Ich weiß, was du vor hast.“, zischte sie, „Deshalb sage ich dir nur eines: Halte deine Finger von ihm fern! Du bist es nicht würdig, mit ihm zu verkehren. Kein Ra oder Slifer darf dies, aber vor allem nicht du!“

Kam es mir nur so vor, oder sprach sie in Rätseln, „Was meinst du?“

„Finger weg von Zane, Schattenkind!“, schrie sie mich an. Voller Wut packte sie mich an meinem linken Arm, wollte mich daran hindern, dass ich aus dem Bett springen konnte.

Was war auf einmal mit dieser Welt los??? Panisch versuchte ich mich zu befreien. Schaffte es sogar, mich von ihr zu lösen, fiel aber dabei – durch die Kraft, die ich aufwenden musste, um von ihr wegzugkommen – von meinem Bett auf den Boden. Dabei warf ich den Infusionshalter um, der auf meinem Rücken landete. Die Infusionsnadel in meinem rechten Arm war herausgerutscht. Vor lauter Schmerz – sowohl durch meine Wunden, als auch durch den Aufprall der Metallstange – begann ich dieses ägyptische Auge zu sehen, das auf ihrer Kette prunkte.

NEIN. Er durfte kein Spiel der Schatten beginnen.

Verzweifelt rappelte ich mich auf, war schrecklich wackelig auf meinen Beinen. Mit unscharfen Blick sah ich in die Richtung, in der diese Obelisk-Studentin vor Augenblicken noch gestanden hatte, doch sie war weg.

„Suchst du mich?“, fragte sie plötzlich von meiner rechten.

Panisch versuchte ich noch von ihr wegzukommen, doch bevor ich überhaupt reagieren konnte, hatte sie mit ihrem Unterarm meinen Oberkörper an die Wand gedrückt.

„Was willst du?“, fragte ich keuchend. Meine Gliedmaßen waren schlaff, auch wenn ich den ansteigenden Adrenalinspiegel deutlich spüren konnte. Ich spürte, wie ER… dieser Dämon in mir… auf den richtigen Moment wartete… aber worauf???

„Genau zwei Dinge: Lass Zane in Ruhe. Du bist ihm nicht würdig. Es war doch alles nur eine Masche, damit er Mitleid mit dir hat, da du in eurem Duell scheinbar verletzt wurdest.“

„Das ist nicht wah-“

„UND: ich will deine Macht.“, auf meinen Blick, der vollkommene Verwirrung zu zeigen schien, holte sie mit ihrer freien, linken Hand aus und schlug mir ins Gesicht… besser gesagt genau an die Stelle, an der mein Verband die Wunde an meiner Schläfe verdeckte.

Schlagartig wurde es dunkler. Meine Beine konnten mich nicht mehr tragen, dennoch wurde ich von ihr gegen die Wand gedrückt.

„ICH WILL DAS, WAS DU HAST!!! DIE SCHATTEN SIND DAS, WAS ICH BRAUCHE, UM ZANE FÜR IMMER AN MICH ZU BINDEN!!!“, schrie sie. Diese junge Frau war wahnsinnig…

Voller Zorn holte sie noch einmal aus…

Plötzlich fühlte es sich an, als wäre die Welt stehen geblieben. Nichts rührte sich mehr… nur der schreckliche, ziehende Schmerz in meiner Brust…

Runde 34: Kontrollverlust

Mein Brustkorb schmerzte… nicht durch die Wunden, die über meinem Körper verteilt waren. Vielmehr fühlte es sich an, als würde mir jemand mit roher Gewalt das Herz herausreißen wollen…

„Ich regel das.“, antwortete die Stimme in meinem Kopf, auf meine noch nicht einmal gedachte Frage, was hier passierte.

Plötzlich wurde es kurz finster.

Dann wieder hell. Panisch sah ich in die Augen der Obelisk Studentin, die mir noch einmal an die Schläfe schlagen wollte… aber Moment…

Ihre Augen hatten mich noch vor Momenten fixiert… warum konnte ich dann ihr nicht direkt hineinsehen? Warum schien es mir, dass ich ein Stück nach links gerutscht sei…?

Ich stand neben mir?!? Wie war dies möglich?? Hierbei war nicht die Metapher gemeint… ich beobachtete tatsächlich das Geschehen aus einem anderen Blickwinkel, als vor einigen Augenblicken. Mein Körper stand neben mir… und bewegte sich?!? Völlig verwirrt sah ich in meine Augen… nein… das waren nicht meine Augen… diese hier waren fast schon diabolisch… Meine Haare waren nicht glatt, sondern standen etwas ab… WAS IN SLIFERS NAMEN WAR HIER NUR LOS?!?

Plötzlich begann die Welt sich weiter zu drehen. Mein Körper schaffte es – trotz der Schmerzen, die er scheinbar besser aushalten konnte, als ich – diese Studentin von sich weg zu drücken…

Mit einem wahnsinnigen Blick, kam sie einen Meter von mir entfernt zum Stehen. Schreiend stürzte sie sich wieder auf mich – auf meinen Körper. Besser gesagt, sie versuchte es. Mit routinierten Bewegungen wich ich – im letzten Augenblick - mit einem Schritt zur Seite aus, packte ihre Hand und fixierte sie, allein mit dem Druck, den man durch einen verdrehten Arm hinter dem Rücken darbringen konnte, an der Wand.

Was war das? Wenn ich meinen Körper nicht kontrollierte… wer tat es dann?

Mit ungeheurem Zorn in der Stimme begann die Obeliskin etwas in einer merkwürdig klingenden Sprache aufzusagen.

Mein Körper reagierte sofort. Er ließ ihren Arm los. Mit einem siegessicheren Grinsen wandte sie sich um, fuhr mit diesen… Versen (?) fort. Hatte sie die Kontrolle über die Person erlangt, die meinen Körper bewegte?

Eine Stimme erklang aus meinem Mund. Sie war tiefer als meine… fast schon männlich… unheilvoll… „Deine kleinen Verse sind wirklich niedlich. Allerdings benötigen sie das richtige Können… Lass mich dir helfen: Sheut.“, schlagartig, mein Körper hatte dieses Wort kaum ausgesprochen, wurde es finster um uns herum. Merkwürdigerweise wusste ich, dass dies altägyptisch war… und die Bedeutung kannte ich auch. Schatten. Woher nahm der, der meinen Körper kontrollierte, die Macht, einfach mal so die Schatten zu rufen??

‚Weil du ein Teil der Schatten bist, Herzchen. Sie sind immer bei dir.‘, spottete die Stimme des Dämons. Hatte er es wirklich geschafft die Kontrolle zu übernehmen? Aber wie?

Schlagartig überkam mich eine andere Angst, „Lass es!“, rief ich, „Kein Spiel der Schatten!“, verängstigt versuchte ich wieder die Kontrolle zu übernehmen. Meine Lähmung – die durch meine Verständnislosigkeit entstanden war - war vollkommen verschwunden. Auch wenn diese Frau mich verletzten wollte… es rechtfertigte ihn nicht, sie ins Reich der Schatten zu verbannen. Zumal auch das Risiko bestand, dass ich dort wieder hereingezogen werden könnte… das wollte ich um alles in der Welt vermeiden. Panisch versuchte ich seinen Arm festzuhalten… doch ich war nur ein Geist… alles materielle glitt durch meine Hände… wie sollte ich ihn nur aufhalten…? Wie konnte ich ihn nur stoppen?

„Dies ist die Kraft, die ich will.“, lachte die Unbekannte hämisch, „Wenn ich Herrin über die Finsternis werde, bleibt Zane nichts anderes mehr übrig, als sich in mich zu verlieben.“

Sie war verrückt… wie konnte man mit Schatten jemanden dazu bringen, sich zu verlieben. Das Gegenteil war doch eher der Fall, oder?

„Dein Körper würde es nicht aushalten, mich zu bewirten.“, spottete mein Körper, „Du würdest eher sterben, anstatt unter meiner Kontrolle ein Spiel der Schatten spielen zu können. Komm wieder, wenn du mal ein paar Monate oder Jahre in der Finsternis verbracht hast.“, der Körper, über den ich sonst verfügte, schnappte sich eine Duell Disk, die unter meinem Bett gelegen hatte – mir war gar nicht bewusst, dass dort eine lag, „Das Eintrittsticket kann ich dir allerdings verschaffen.“

„Lass es.“, rief ich, „Lass sie in Ruhe.“, doch der Dämon hörte nicht auf mich.

Unbeirrt fuhr er fort, „Lass uns duellieren.“

Die Obeliskin jedoch hatte einen anderen Plan. Sie aktivierte weder ihre Duell Disk, noch holte sie ihr Deck aus der Box. Stattdessen zog sie mit einem diabolischen Grinsen, ihren PDA aus der Rocktasche, gab etwas ein und drehte den Bildschirm in meine Richtung. Jaden war darauf zu sehen. Ich geriet in eine Schockstarre, genauso wie mein Körper.

Das war eine Übertragung des Tag-Duells, das Jay und Sy gerade bestritten!! Ein riesiges Monster namens Torwächter, zerstörte gerade Syrus‘ Cycroid, ein kleines Fahrrad mit eintausend DEF. Normalerweise hätten meine Freunde keinen Schaden genommen, da sich das Monster im Verteidigungsmodus befand, aber der Effekt des Torwächters schien der zu sein, dass die Differenz zwischen Angriffs- und Verteidigungspunkten von den Lebenspunkten abgezogen wurden. Dadurch verringerten sich die Lebenspunkte meiner Freunde von viertausendvierhundertfünfzig auf eintausendsiebenhundert. Oh nein… wenn es so weiter gehen würde, würden sie verlieren!

„NEIIINNN!“, Tränen traten in meine Augen. Irgendwie hatte ich die Kontrolle über meinen Körper wieder erlangt… doch es war mir egal… entsetzt sank ich auf meine Knie.

Auch Jaden schien sich langsam seine Niederlage einzugestehen. Er war an der Reihe mit seinem Zug… doch er unternahm nichts. Jay stand einfach nur da, den Kopf Richtung Boden gewandt. Man konnte seine Augen nicht sehen… scheinbar war er emotional am Ende… doch wenn er nichts unternahm, dann würden sie disqualifiziert werden…

„Du bist schwach!“, lachte die Studentin, die den kleinen Computer wieder in ihren Rock steckte. Der Schatten war wieder verschwunden, die Halogenlampen hüllten das Krankenzimmer in ein unnatürliches Licht.

Quietschfidel lief sie zum Ausgang, „Glaube mir, irgendwann wirst du dir wünschen, dass der Geist mich ins Reich der Schatten verbannt hätte.“, sie schloss die Tür auf – mir war gar nicht klar, dass sie abgeschlossen war – und verließ das Zimmer.

Ausgepowert und schluchzend saß ich auf dem Boden. Ich hatte keine Kraft mehr, mich in irgendeiner Weise zu bewegen…

Was war nur mit mir los? Wie konnte dieser Dämon einfach mir-nichts dir-nichts die Kontrolle über meinen Körper erlangen? Warum erkannte ich das altägyptische Wort für Schatten? Was meinte der Dämon damit, dass diese Studentin es gar nicht aushalten könnte, wenn er ihren Körper übernahm? Es sprach davon, dass man Monate oder sogar Jahre in den Schatten verbringen musste, um ihn ansatzweise zu überleben…! War ich über Jahre im Reich der Schatten gefangen gewesen?!? Warum hatte mir niemand erzählt, dass ich so lange im Koma lag? War dies der Grund? Ein verlorenes Spiel der Schatten…? Diese Fragen quälten mich sehr… vor allem, weil ich vielleicht niemals eine Antwort darauf bekommen würde…

Doch etwas anderes machte mir noch mehr Gedanken… Dieser Ausschnitt des Duells meiner Freunde… sie waren am Verlieren. Irgendwie konnten sie es bestimmt noch schaukeln, aber Jay… es sah aus, als hätte er aufgegeben…

Bitte… Slifer… lass sie weiter kämpfen… Lass sie gewinnen…

Runde 35: Neuigkeiten

Ich wusste nicht, wie lange ich schon auf dem Boden saß, aber es fühlte sich an, wie eine Ewigkeit… In die Ecke zwischen Wand und Bett gekauert, auf meinen Knie sitzend, das Gesicht in meinen Handinnenflächen vergraben…

Mein Körper und Geist waren völlig erschöpft. Schwindel und Schmerz verschlimmerten die Situation nur noch weiter.

Meine Gedanken drehten sich im Kreis… Wer war diese Studentin, die mich angegriffen hatte? Was war mit mir los? Wie konnte ich die Kontrolle über meinen Körper verlieren? Würden Jay und Sy nach der scheinbar aussichtslosen Situation doch noch irgendwie das Duell gewinnen können? Normalerweise würde dies außerhalb jeglichen Zweifels stehen… aber… Jaden… er sah so aus, als würde er aufgeben.

Bitte… Jay… er durfte sich nicht hängen lassen. Leider hatte ich nur diesen kleinen Ausschnitt gesehen… ich kannte den Zusammenhang nicht… unglücklicherweise war ich in solchen Belangen – aber nie in meinem eigenen Duell – eine Pessimistin. Ich hatte jedes Mal das Gefühl, dass, wenn etwas schlimmes passieren könnte, mir oder meinen Freunden dies auch wiederfährt. Eigentlich war diese Einstellung auch gerechtfertigt: Wie wahrscheinlich war es, dass jemand unter einer vollständigen Amnesie litt? Wie viele Menschen erlitten durch normale Duelle tatsächlichen physischen Schaden? Wer war schon von einem Dämon besessen, der einfach so die Kontrolle über den Körper übernehmen konnte – oder kannte die Finsternis im Schattenreich?

Ich war ein Problemmagnet… ja… aber gleichzeitig zog ich noch das Unglück an. Noch nie habe ich gehört, dass Studenten hier körperlich angegriffen wurden… und mir wiederfuhr das schon zweimal: Devan ließ mich ertrinken… diese Obeliskin schlug mir auf meine verbundene Schläfe… mal davon abzusehen, dass sie wahrscheinlich noch weiterhin versucht hätte, mich zu verletzen, wenn dieser Dämon nicht eingegriffen hätte…

Was wollte sie überhaupt von mir? Die Schatten? Diesen Dämon in mir? Meinetwegen konnte sie das alles gerne haben… obwohl… welchen Schaden würde gerade dieser Dämon anrichten, sobald er uneingeschränkte Kontrolle über einen Körper hätte?

Ein eisiger Schauer lief meinen Rücken herunter. Zu gerne würde ich meinen Bruder fragen, was es mit diesem… Parasit… auf sich hatte, doch er antwortete mir ja nicht… Was war an mir so besonders? Worin lag der Unterschied zwischen mir und… allen anderen? Mir war klar, dass ich nicht normal war… irgendetwas hatte ich mit den Schatten zu tun… doch was?

Mit einem schweren Seufzer versuchte ich meinem Unmut Ausdruck zu verleihen. Was würde ich machen, wenn Jay und Sy von der Duell Akademie fliegen würden? Erst einmal müsste ich versuchen, mit dem Schock klarzukommen… aber was dann? Würde ich hier bleiben? Weglaufen? Nach Hause gehen?

Nun… eigentlich hatte ich ja kein richtiges Zuhause. Mein Bruder hatte mich ja von sich weg geschickt… wo könnte ich dann hin?

Das Quietschen einer Tür ließ mich aufhorchen.

Irritiert und zugleich neugierig hob ich meinen Kopf. Hoffend lugte ich über mein Bett… mein Herz machte einen Aussetzer.

Jaden stand im Raum. Im ersten Augenblick war ich überglücklich… aber im nächsten… er sah schrecklich betrübt aus.

Verunsichert zog ich mich an meinem Bett auf die Beine. Wackelig lief ich auf Jaden zu, „Was ist passiert?“

„Mein Leben hat keinen Sinn mehr.“, seufzte er niedergeschlagen.

„Jay?“, sein Verhalten ließ mich das Schlimmste vermuten. Entsetzt packte ich ihn an den Schultern, „Was ist passiert.“

„Keiner könnte diese Strafe bewältigen.“

„Sag schon, was heißt das?“, meine Nerven lagen blank. Hatten sie wirklich verloren? Verunsichert musterte ich meinen Freund von Kopf bis Fuß. So fertig hatte ich ihn noch nie erlebt… nicht einmal während dieses Spiels der Schatten in der verbotenen Unterkunft. Was bei Slifer war hier nur vorgefallen?!?

„Hey Jane.“, flötete auf einmal eine andere Stimme gut gelaunt. Verwundert hob ich meinen Blick in Richtung Tür.

Mit einem breiten Grinsen betrat Syrus das Zimmer, gefolgt von Chumley, Alexis und Bastion.

Jetzt verstand ich die Welt nicht mehr. Warum war Syrus so euphorisch und Jaden zur gleichen Zeit so deprimiert? Hatten sie das Duell gewonnen oder nicht?

„Hey.“, antwortete ich verdattert, „Was ist mit Jaden los? Habt ihr gewonnen?“

„Ja klar.“, die gute Laune des kleinen färbte sofort auf mich über.

Erleichterung machte sich in mir breit, „Ihr dürft bleiben.“, jubelte ich, „Klasse, Jungs. Herzlichen Glückwunsch.“, überglücklich umarmte ich den – immer noch niedergeschlagenen – Jaden, gefolgt von Syrus, „Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie sehr ich mich freue, dass ihr bleiben dürft.“

Doch danach hielt ich kurz inne, „Warum ist Jay dann so deprimiert?“

Verlegen kratzte sich Syrus am Hinterkopf, „Kanzler Sheppard möchte, dass wir eine zehnseitige Strafarbeit über dieses Duell schreiben und warum es falsch war, die verlassene Unterkunft zu betreten.“

Das war alles? Deshalb jagte mir Jaden solch einen Schrecken ein?!

Etwas vorwurfsvoll sah ich diesen an. Wehmütig seufzte er, „So viel lese ich nicht einmal… wie soll ich das nur schaffen?? Und diese ganze Reimerei…“

„Ernsthaft?“, fragte ich in einer Mischung aus Erleichterung und Schreck, „Jay… du hast mir eine Mordsangst eingejagt.“, sauer konnte ich ihm dennoch nicht sein. Die Nachricht von Sy hatte meine Laune viel zu sehr gehoben, als dass diese sofort wieder kippen könnte.

„T’schuligung.“, er hatte sich wieder gefangen, grinste mich frech an, „Hast du so wenig Vertrauen in unsere Duellfähigkeiten?“

„Schwachsinn.“, antwortete ich sofort, „Ich hatte bloß mitbekommen, dass eure Gegner ein geniales Tag-Team sein sollten.“, log ich. Wie hätte ich die Situation sonst erklären können? Ich konnte mir nicht einmal selbst einen Reim darauf machen… offiziell hatte ich ja keinen Augenblick, keinen Zug dieser Bestrafung gesehen, „Gegen wen musstet ihr antreten?“

„Crowler meinte, sie hatten sich einmal gegen Yugi Muto duelliert… und er erwähnte noch irgendwas vom Königreich der Duellanten… angeblich kennt man sie unter dem Namen: Die Gebrüder Para Dox.“

Das meinte der Unbekannte Absender mit einem ‚Wiederspruch in sich‘? Ein Paradox??

Mit einem Mal schien sich meine ganze Anspannung, Angst und Sorge in Luft aufgelöst zu haben. Stattdessen kehrte der Schmerz meiner Wunden zurück. Vorsichtig lief ich die drei Schritte zu meinem Bett und setzte mich wieder auf eine freie Stelle - auf der keine Blätter von Bastion lagen. Dieser Tag war schrecklich anstrengend gewesen. Nicht nur die Anspannung über den Ausgang von Jadens und Syrus‘ Duell hatte mich ausgelaugt, sondern auch dieser Angriff der unbekannten Studentin. Am meisten hatte mich allerdings der Dämon geschwächt. Mir war klar, dass jede ‚Unterhaltung‘ zwischen mir und ihm an meinen Kräften zehrte… aber das ich so fertig war… nach ein paar Minuten Besessenheit?

Um alles in der Welt wollte ich vermeiden, dass er jemals in einem Duell die Kontrolle über mich übernahm… wie würde ich aussehen, oder mich fühlen, wenn ich ihn gar nicht mehr zurückhalten konnte… und vor allem mein Gegner nach einem Spiel der Schatten, das der Dämon hundertprozentig heraufbeschwören würde?

Innerlich den Kopf schüttelnd beschloss ich, dass ich mir in den nächsten Stunden darüber keine Gedanken mehr machen wollte. Jaden und Sy hatten gewonnen! Das sollten wir gebührend genießen – und falls Jay fragen würde: Ich würde seine Strafarbeit nicht für ihn schreiben.

Runde 36: Zurück im Unterricht

Mittlerweile waren einige Wochen seit dem Entscheidungsduell zwischen meinen Freunden und den Gebrüdern Para Dox vergangen. Ich durfte wieder den Unterricht besuchen, musste aber leider weiterhin im Krankenzimmer – zur Beobachtung – übernachten. Wie lange sollte das noch weitergehen? Meine Wunden waren zum Großteil verheilt… nun… verheilt war ein wenig übertrieben… sie bluteten nicht mehr, ich konnte mich halbwegs normal – ohne Schmerzen – bewegen. Zwar benötigte ich um die Bisswunde vom König der Zombies an meinem rechten Arm keinen Verband mehr, und auch keinen an meinem Kopf und Hals, aber der Rest war immer noch bandagiert. Zum Glück sah man das nicht allzu sehr, wenn ich meine Slifer Uniform trug: Die Stiefel und der Rock überdeckten die Verbände an den Beinen, meine Armstulpen ließen nichts von den Brandwunden und Schnitten erahnen, genauso wenig, wie mein rotes Oberteil.

Es war ein schönes Gefühl dem tristen Alltag im Krankenzimmer zu entkommen.

Gut gelaunt saß ich neben Jaden in Professor Satyrs Kunstunterricht. Wir sollten eine bereits existierende Karte nachzeichnen – allerdings keines der Monster, das im eigenen oder im Deck der Freunde vorhanden war. Er wollte, dass wir ein Monster aus der ‚ersten Generation‘ zeichneten und kolorierten – also eine der Karten aus dem Königreich der Duellanten oder Battle City.

Hier begann leider schon mein Dilemma. Innerhalb der Wochen, in denen ich im Krankenzimmer lag, kam ich nicht dazu, mir die DVDs über das Battle City Turnier anzusehen, dementsprechend konnte ich diesen Zeiten keine Monster zuordnen… zumindest mal nichts außergewöhnliches. Da waren Yugis Schwarzer Magier, das Schwarze Magier Mädchen, Kaibas weißer Drache mit eiskaltem Blick, die Götterkarten… und sonst? Eigentlich wollte ich etwas ungewöhnlicheres darbieten, als ein Schwarzer Magier – den sich Jaden als Motiv ausgesucht hatte.

Ich schloss meine Augen, versuchte noch ein anderes Monster aufzurufen. Aus irgendeinem Grund fürchtete ich mich davor, eine der Götterkarten darzustellen… es fühlte sich an, als könnten sie mir gefährlich werden, wenn ich sie nicht richtig traf. Würden die Götter mich bestrafen?

Ach was… aber etwas anderes kam mir in den Sinn… ein gruseliges aber faszinierendes Monster erschien vor meinem geistigen Auge, genauso wie die Schicksalstafel damals…
 

Es war ein weiblicher, großer Körper. Ihre Haut war blau, der Kopf haarlos mit spitzen Ohren und furchteinflößenden Augen. Sie wirkte wie eine Marionette… oder ein Alien. Die Gelenke sahen unrealistisch und unproportional aus – vor allem die Hüfte. Der untere Torso bestand aus einem metallischen Exoskelett – oder waren dies tatsächlich ihre Wirbelsäule und Rippen? Ihre Brust war mit einer orangenen Masse bedeckt, die zu einer Rüstung gehörte, welche auch Oberarme und Schultern schützte. An ihrem linken Unterarm trug sie einen abstehenden, ledernen Handschuh (der lila schimmerte), genauso wie eine gruselige Puppe – ein Baby? Nein… vielmehr war dies der abgetrennte Oberkörper einer kindlich aussehenden Marionette… der braune Kopf war eingeschlagen, der rechte Arm fehlte.

Diese Karte… nein… die Dunkle Todesfurcht… befand sich auf dem Feld… es war ein Duell in luftiger Höhe… der Wind peitschte durch meine Haare… war ich wirklich da?

Mein Blick fokussierte sich auf den Besitzer des Monsters… doch er war nur eine schwarze Silhouette… mit diabolischem Grinsen… und einem blutigen Verband um den linken Arm… er öffnete den Mund um etwas zu sagen -
 

„Jane?“, riss mich Jaden aus den Gedanken – war es wirklich eine Erinnerung oder vielmehr eine Einbildung?

Irritiert sah ich ihn an, „Ja?“

„Hast du eine Idee?“

In diesem Moment stand ich definitiv auf dem Schlauch, „Wovon?“

„Was für ein Monster du zeichnest…“, skeptisch musterte er mich, „Sicher, dass es dir gut geht? Du wirkst so zerstreut…“

„Ja, klar… mir geht’s gut.“, ein wenig gespielt lachend winkte ich ab, „Ich war nur am überlegen, was ich jetzt zeichne.“ – und ob dies mir wirklich passiert war, oder nicht. Allerdings kam mir auch dieser Duellant schrecklich bekannt vor… auch wenn ich ihn nicht wirklich sehen konnte.

„Und das wäre?“, fragte er interessiert… ich glaube ich hatte vergessen ihm zu erzählen, dass ich mir immer noch nicht die DVD angesehen hatte…

„Wirst du noch sehen.“, grinste ich, „Und du zeichnest den Schwarzen Magier?“

„Jep. Und Sy das Magiermädchen.“, lachte Jaden, während er auf seinen Kumpel zeigte, der etwas rot anlief.

Mit einem Nicken begann ich mich meinem Skizzblock zu widmen. Einen dünnen Bleistift in der linken Hand haltend, begann ich die Umrisse zu skizzieren, wobei ich immer detailreicher wurde.

Ich liebte es zu zeichnen – das fand ich erst jetzt heraus. Normalerweise kritzelte ich immer etwas auf meine Notizen, wenn ich mich nicht mehr konzentrieren konnte… aber ein richtiges Bild hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht begonnen… eigentlich war ich auch gar nicht schlecht, doch verglich ich meine Werke mit denen von Chumley, so hatte ich das Gefühl, dass ich ziemlich schlecht war. Chum war ein wahrer Künstler: Kreativ, großartige Strich- und Pinselführung, ein scharfes Auge für Farben…

So gut war ich nicht… definitiv…

Es dauerte nicht sehr lange – zumindest kam es mir so vor – bis ich bereit war, mein Bild der Dunklen Todesfurcht zu kolorieren.

Völlig in Gedanken nahm ich meinen feinen Pinsel in die Hand, tauchte ihn vorsichtig in eine blassblaue Farbe und begann die Stellen, die ich durch Lichteinfall als heller empfunden hatte, einzufärben. Mir war klar, dass man in der Farbgebung von Hell nach Dunkel ging.

So arbeitete ich konzentriert weiter.

Pinselstrich für Pinselstrich.

Farbe für Farbe.

Schatten für Schatten.

Runde 37: Ein kleines Gespräch

„Jahane…“, riss mich ein etwas genervter Jaden aus meinen Gedanken. Merkwürdiger Weise erschrak ich dieses Mal nicht – wahrscheinlich hatte mein Körper das Zucken unterdrückt, weil ein Reflex das gesamte Bild der Dunklen Todesfurcht zerstört hätte.

Irritiert sah ich zu meinem Hauskollegen, „Ja?“

„Hast du schon einen Plan für die Weihnachtsferien?“, fragte er mich interessiert, „Sy und ich bleiben hier an der DA… stell dir mal vor, wie cool das ist: der gesamte Campus würde für diese Zeit uns alleine gehören.“

Ich lächelte gezwungen, obwohl mir nicht danach zumute war. Genau daran wollte ich nicht denken… hatte dieses ganze Thema sogar ziemlich gut verdrängt.

Gestern kam Zane – wie jeden Tag - in meinem Krankenzimmer zu Besuch. Er meinte er hätte eine Nachricht von Kanzler Sheppard, die er mir ausrichten sollte… und zwar dürfte ich nicht über die Ferien nach Hause kommen. Mein Bruder habe es dem Direktor über seinen Kontakt mitgeteilt. Auf meine Mail, die ich an Aniki geschickt hatte, was das solle und warum ich von ihm keine Antworten bekam, folgte natürlich gar nichts. Erst da wurde mir schmerzhaft bewusst, dass dieser Gedanke… diese Ahnung… die ich seit Monaten hegte, dass mein Bruder mich nicht mehr bei sich haben wollte… nicht nur eine blöde Vorstellung oder Einbildung war. Nicht einmal über die Ferien?! Der einzige, den diese Nachricht regelrecht aufmunterte, war der Dämon in mir, den ich seit längerem effektiv ignorieren konnte. Die Frage war nur, wie lange noch… irgendwann würde der Zeitpunkt kommen, in dem ich mich nicht mehr ruhig halten konnte… und genau darauf schien er zu warten… das war genau dasselbe, als er das erste Mal die Kontrolle übernommen hatte… zwar war ich nicht zornig auf diese Obelisk Studentin – von der ich seit dem nie wieder etwas gehört hatte -, aber ich hatte Angst gehabt. Genau das war schon ausreichend für einen kurzweiligen Kontrollverlust.

Ich seufzte schwer, „Nun… ich werde wohl oder übel auch hier bleiben, Jay. Keiner daheim hat Zeit für mich...“, genau das machte mich sehr traurig. Der einzige Zorn, den ich verspürte, wurde durch diesen Dämon verursacht – mittlerweile konnte ich nämlich den Ursprung meiner Emotionen ansatzweise zurückverfolgen, in den Bezug gesetzt, ob sie vollkommen von mir stammten oder IHM… ich fühlte mich innerlich einfach nur schrecklich leer und enttäuscht.

So sehr Jaden auch blind für negative Gefühle anderer war, war scheinbar meine Niedergeschlagenheit sogar für ihn unübersehbar. Wie ich das merkte? Obwohl er so heiß darauf war, mir von den bevorstehenden Ferienplänen zu erzählen – und mich mit einzubinden- , wechselte er das Thema, „Zeig mal dein Bild.“, mit einem breiten Grinsen beugte er sich über meinen Block.

Es dauerte einen Augenblick, bis er mit einem erschreckten „Uahhhhh.“ wieder auf seinen Platz rutschte. Ja, die Dunkle Todesfurcht war gruselig, aber… ich kannte sie irgendwo her… ich hatte sie schon einmal gesehen… deshalb hatte ich den Entschluss gefasst, sie zu zeichnen… mal nebenbei bemerkt konnte man sie somit auch nicht mit der Darstellung eines anderen vergleichen, da wahrscheinlich sonst keiner sie als Motiv gewählt hatte.

Mit einer gespielten Verwirrung sah ich Jaden an, „Was ist denn los?“

Sein Gesicht sah so aus, als hätte er einen leibhaftigen Albtraum gesehen, „Nichts, nichts… du hast die Dunkle Todesfurcht echt klasse dargestellt… aber… warum hast du sie gewählt? Es gab so viele geniale Monster in Battle City… warum sie? Sie ist das mit Abstand… unheimlichste Monster in diesem gesamten Turnier. Du hast doch die DVD gesehen…“, eigentlich war das wirklich nicht Jadens Art, eine Karte schlecht zu reden… aber dieses Monster schien auf viele solch eine Wirkung zu haben… ironischer weise hatte ich, wenn ich sie mir ansah, eher ein vertrautes Gefühl… als hätte ich sie schon so oft gesehen und verwendet, sodass der ganze Horror, der von ihr begleitet wurde, gar nicht mehr zu mir durchdrang.

„Ich verstehe deine Angst gar nicht, Jay.“, meine Zeichnung beobachtend zuckte ich die Schultern, „Gerade du solltest doch wissen, dass man eine Karte nicht nach dem Äußeren Beurteilen darf.“, dieses Bild kam meiner Erinnerung wirklich nahe. Sie war nicht perfekt, die Augen und die Kindermarionette sahen ein wenig anders aus, aber ich mochte sie. Es fehlten nur noch ein paar Highlights auf der Haut, Augen und Rüstung und dann war sie eigentlich fertig.

„Ja… aber… wie kamst du gerade darauf…? Hatte sie nicht – ach, wie hieß er nochmal?“, fragend sah er mich an, doch als ich unwissend meinen Kopf schüttelte, fuhr er fort, „Egal. War sie nicht in einem Duell gegen Yugi aufgetaucht? Der Besitzer dieser Karte war wahnsinnig.“

‚So wie ich.‘, ergänzte ich in meinen Gedanken. Egal wem diese Karte gehörte… er hatte bestimmt nicht dieses diabolische Lachen in seinem Kopf gehört, wie ich gerade…

Der Dämon amüsierte sich köstlich, ‚Und wie verrückt du bist. Zeichnest einfach so eine der unheilvollsten Karten von Duell Monsters und fühlst dich wohl dabei? Du bist nicht besser, als der Duellant, der sie damals in Battle City gespielt hatte .‘

„Apropos Battle City.“, riss Jaden meine Aufmerksamkeit wieder zu den realen – oder zumindest mal physisch anwesenden – Personen, „Hast du dir jetzt mal die DVDs angesehen?“

Verlegen schüttelte ich den Kopf, „Sorry. Das Aufholen des Unterrichtsmaterials hat mehr Zeit in Anspruch genommen, als erwartet.“

„Jaaaannnneeee.“, entsetzt packte er mich an den Schultern, „Battle City ist das reale Leben. Du kannst dich nicht hinter den Unterlagen verstecken, die bringen dir in einem Duell nichts-“

„Eigentlich schon-“, versuchte ich mich zu verteidigen, doch er hörte mir gar nicht zu.

„Keiner von den legendären Duellanten war hier auf der DA und musste die Schulbank drücken. Jeder von ihnen hatte das Können. Da wären ja bekannter Weise Yugi Muto, Seto Kaiba, Joey Wheeler… Es gab aber auch geniale Duellantinnen: Mai Valentine, Kia Tenshi, Ama-“

„Kia Tenshi?“, fragte ich, nachdem ich bei diesem Namen zusammengezuckt war. Sie hatte – laut einem Bericht – vor vierzehn Jahren ein Engelsdeck gewonnen… und da es laut meinem Bruder nur ein einziges Deck vom Typ Engel auf der Welt gab, musste ich mal in meiner Vergangenheit etwas mit ihr zu tun gehabt haben.

„Ja, sie war ein wenig jünger als wir. Hatte es sogar in das Finale von Battle City geschafft… aber ihre Runde… ihr Duell wurde gar nicht aufgenommen... warum auch immer. Weder sie, noch ihr Gegner schafften es in die nächste Runde… in den Kommentaren hieß es, sie hätte gewonnen, wollte aber sich keiner Gefahr aussetzen… scheinbar fürchtete sie sich vor den Götterkarten… Aber ihre Duelle in der Vorrunde waren Showreif. Sie hatte ein sogenanntes ‚Antikes Deck‘. Es bestand aus uralten Monstern, aus der Zeit des alten Ägypten und befasste sich zeitgleich hauptsächlich mit Unterweltler und Hexer Karten. Zwei ihrer besten Monster waren ‚Anubis‘ und ‚Antike Hexe‘. Ein echter Wahnsinn. Jane, wirklich, das musst du gesehen haben.“

Verlegen nickte ich. Wenn ich mal Zeit haben würde, würde ich mir mal ein paar Duelle ansehen. Doch nicht heute, da ich das Gefühl hatte, dass der Dämon genau das wollte... Erst einmal musste ich versuchen, sein immer lauter werdendes Lachen, verstummen zu lassen…

Runde 38: Ein ruhiger Abend

Alles in allem hatte ich in der Zeit, in der ich mich ununterbrochen im Krankenzimmer aufhalten musste, einiges verpasst… das wurde mir erst klar, als ich dankend Bastion die Unterrichtsmitschriften zurückgegeben hatte. Durch ihn hatte ich erfahren, dass er vor einigen Tagen gegen Chazz Princeton in einem Duell antreten sollte. Dank der mathematischen Berechnungen meines Freundes, war es klar, wie das Ergebnis aussehen würde: Bastion hatte gewonnen. Zu gerne hätte ich dieses Duell mitverfolgt, Bastions Deck gesehen… oder zumindest eines davon, wenn er im Punkto Deckanzahl keine Scherze machte. Ich konnte verstehen, wenn man zwei Decks aktiv benutzte und mit sich trug… aber sechs?

Nunja… eigentlich wäre Bastion jetzt ein Obelisk Blue, aber er lehnte freundlich ab, weil er, bevor er ein Obelisk werden wollte, es sich vorgenommen hatte, erst noch gegen den besten Duellanten seines Jahrgangs zu gewinnen und dies war in seinen Augen natürlich Jaden.

Chazz Princeton hingegen hätte zu einem Ra Yellow degradiert werden sollen, doch bevor dies geschah, hatte er bereits die Duell Akademie verlassen.

Warum hatte keiner meiner Freunde mir dies erzählt, als das alles aktuell war?

„Weil du nicht wichtig für sie bist.“, hisste diese Stimme in meinem Kopf schadenfroh, „Sie scheren sich in Wirklichkeit nicht um dich… dein einer Freund hatte es doch vorhin gesagt: Wer die Dunkle Todesfurcht mag, ist wahnsinnig.“

„Halt die Klappe.“, murrte ich, während ich mich auf mein Krankenbett setzte, und ging nicht weiter auf diese Halbwahrheit ein. Leider musste ich nach dem Unterricht wieder sofort zurück hierher, da noch mehr Aufregung meinem Körper angeblich nicht gut tun würde… Wenn Madame Fontaine nur von dem ungebetenen Gast in meinem Kopf wissen würde… dann dürfte ich auch wahrscheinlich wieder in meine Unterkunft… oder in die geschlossene Anstalt… wahrscheinlich eher in letzteres…

Zu gerne wäre ich mit meinen Freunden endlich wieder nach Hause gegangen… wie würde nach den ganzen Wochen mein Zimmer nur aussehen? Staubig, auf jedem Fall, dreckig auch…

Das einzige verbleibende Highlight für heute würde der Besuch von Zane sein. Zwar hatten meine Freunde das Verbot bekommen, mich nach dem Unterricht hier zu besuchen, aber irgendwie zählte Zane nicht dazu. Madame Fontaine hielt irgendwie immer noch an dem Gedanken fest, dass da mehr zwischen uns laufen würde, als es in Wirklichkeit tat… oder sie wollte uns dazu verhelfen… wobei sie dabei ihren ganzen Obelisk-Mädchen in den Rücken fiel…

Eine dieser Furien hatte ich ja schon kennengelernt… von ihrem Angriff hatte ich keiner Menschenseele etwas erzählt. Zu groß war meine Angst, dass noch mehr Attacken folgen würden, wenn zu viele von der Freundschaft zwischen Zane und mir erfuhren. Manche Studentinnen waren wirklich so wahnsinnig und wollten sogenannte Konkurrentinnen um jeden Preis einschüchtern… oder sogar beseitigen… ich wagte es gar nicht mir vorzustellen, wie meine Begegnung mit einer von ihnen ausgegangen wäre, wenn der Dämon in mir nicht die Kontrolle übernommen hätte…

Mit einem irritierten Kopfschütteln, durch das ich alle Gedanken zum Thema Beziehung mit Zane – weil mir dies einfach viel zu Unrealistisch schien, dass das überhaupt möglich wäre – loswerden wollte, öffnete ich wieder mein Skizzbuch und betrachtete meine Zeichnung der Dunklen Todesfurcht. Abgesehen von Jaden hatte sie sonst niemand zu Gesicht bekommen… und das sollte auch so bleiben. Wenn sogar so ein guter Freund davon überrascht und überrumpelt war, dieses Monster bei mir zu sehen… dann würde die Gerüchteküche um mich noch mehr brodeln, als sie es seit meinem Krankenzimmeraufenthalt ohne hin schon tat (die Geschichten waren mittlerweile schon ziemlich rekordverdächtig… aber leider trafen die meisten – zumindest Teilweise – voll ins Schwarze)… mal davon abzusehen, dass ich dem sowieso schon ängstlichen Syrus und schreckhaften Chumley nicht noch mehr Furcht einjagen wollte.

Wenn ich die Dunkle Todesfurcht betrachtete, lief mir ein eisiger Schauer über den Rücken… doch dies hatte nichts mit dem Monster, sondern vielmehr mit der Gestalt zu tun, die in meiner Erinnerung – oder Einbildung – auf dem Duellfeld stand. Wer war er? Woher kannte ich ihn? Was wollte er mir sagen? War er wirklich so wahnsinnig, wie Jaden es gesagt hatte, oder war dies eine seiner typischen Übertreibungen? Eigentlich müsste ich mir wirklich dieses Duell gegen Yugi ansehen… doch was, wenn es genau das war, was der Dämon wollte? Um alles in der Welt wollte ich verhindern, dass ich ihm in die Finger spielte… auch wenn dies bedeutete, dass einige meiner Fragen für immer unbeantwortet bleiben würden…

„Hallo Jane.“, ertönte auf einmal eine Stimme vor mir.

Ich war so in meine Gedanken versunken, dass ich nicht einmal das Türöffnen gehört hatte. Erschrocken sprang ich auf die Beine, blickte auf und ließ dabei aus Versehen mein Buch fallen. In diesem Moment war mir sogar entfallen, dass ich verhindern wollte, dass jemand mein Projekt sah.

Mit einem rasenden Herzen stand ich Zane gegenüber, der mich sanft anlächelte, „Schreckhaft wie eh und je.“, meinte er ‚scherzend‘, während er sich bückte, um mein Produkt aus Professor Satyrs Unterricht aufzuheben.

Jedes Mal schaffte es Zane, dass er mich erschreckte. Generell war dies bei mir keine große Kunst, aber wie war es überhaupt möglich mein Herz immer so dermaßen zum Pochen zu bringen? Warum bekam ich vor lauter Schreck immer weiche Knie? Mir war klar, dass er mir nicht absichtlich solch eine Angst einjagte… doch irgendwie erwischte er jedes Mal einen Augenblick, in dem ich in meine Gedanken versunken war… aber auf der anderen Seite… wann war ich nicht in meine Gedanken versunken – oder dabei zu versuchen, den Dämon auf Stumm zu schalten?

Runde 39: Der erwartete Besuch

Ein wenig peinlich berührt sah ich Zane an. Wir standen einander gegenüber. Doch er erwiderte seinen Blick nicht, sondern betrachtete interessiert mein sogenanntes ‚Kunstprojekt‘, was ich ihm eigentlich gar nicht zeigen wollte... Aber nur für ein paar Augenblicke, „Ich hätte nicht erwartet, dass du dich in Professor Satyrs Monster-der-ersten-Generation-Unterrichtsblock für die Dunkle Todesfurcht entscheidest.“, meinte er, während er sie mir zurückgab.

Irritiert von dieser Aussage nahm ich mein Buch entgegen, „Inwiefern?“

„Ist sie nicht ein wenig zu okkult und düster für dich?“, fragte er vorsichtig, damit ich mich auch nicht angegriffen fühlen konnte.

Ich hörte noch, wie der Dämon in meinem Kopf so etwas sagte wie „Meine Jeany ist doch ein Paradebeispiel an Okkultismus.“, doch ich blendete es halbwegs aus.

Verlegen kratzte ich mich am Kopf, „Nun… die Götterkarten wollte ich nicht zeichnen und der Rest, der mir einfiel wurde schon zu oft dargestellt.“, nachdenklich – vielleicht sogar ein wenig traurig - fiel mein Blick wieder auf diese blaue, gemalte Kreatur, „Und durch meine Lücken war die Auswahl noch mehr eingegrenzt…“, mit einem schweren Seufzer setzte ich mich wieder auf mein Bett. Ich wollte nicht über die Amnesie nachdenken oder reden, wenn Zane da war. Wir hatten ausgemacht, dass ich jederzeit mit einem Gespräch über dieses Thema anfangen könnte, wenn ich wollte, doch er würde mich nicht ständig fragen, ob ich etwas neues über mich herausgefunden hatte. Allerdings begann ich dieses Thema nie bewusst… Dafür genoss ich diese schöne Atmosphäre in seiner Gesellschaft viel zu sehr… und fürchtete, dass unsere gemeinsame Zeit dadurch ein jähes Ende finden könnte „Wie war dein Tag heute?“, fragte ich gut gelaunt – um schnell ein anderes Gespräch zu beginnen.

Er zuckte die Schultern, „Eigentlich ganz in Ordnung. Ich habe heute ein Angebot von einem Sponsor bekommen, mit dem ich mich in den Ferien treffen werde, um die Einzelheiten zu planen.“, Zane sagte das alles zwar so nebenbei, doch ich wusste, was diese Aussage bedeutete.

„Bei Slifer.“, lachte ich, „Dann werde ich dich ab den Sommerferien im Fernsehen sehen können. Nicht das ich daran gezweifelt hätte, aber wie du vorgestern schon gesagt hattest: Seriöse Sponsoren sind schwer zu finden… vor allem, da du nicht willst, dass sich die Duell Akademie in irgendeiner Weise bei der Suche einmischt.“

„Gratuliere mir nicht zu früh. Erst einmal muss ich noch vieles mit diesem potentiellen Sponsor Aushandeln.“, ihm schien etwas einzufallen, denn schlagartig änderte sich sein Gesichtsausdruck von unbekümmert zu ernst, wobei man den Unterschied eigentlich nur erkennen konnte, wenn man Zane gut kannte. Ein Fremder würde diesen Wechsel nicht mitbekommen… das war unter anderem auch eines der Probleme in unserem Duell… ich konnte seine Mimik nicht lesen, da sie fast die ganze Zeit ein und dieselbe für mich gewesen zu sein schien. Doch jetzt nicht mehr.

„Hast du eine Antwort von deinem Bruder bekommen?“, fragte er zaghaft.

Warum musste er gerade etwas zu diesem Thema fragen? Deprimiert schüttelte ich den Kopf, „Nein… immer noch eisiges Schweigen seinerseits… Was habe ich ihm nur angetan, dass er mich so behandelt?“, wenn ich an ihn dachte, so schmerzte mein Herz… jeder Zorn der mit ihm verbunden war, war verschwunden – zumindest konnte ich keinen mehr ergründen -, doch Enttäuschung hatte den Platz eingenommen. Eigentlich wollte ich über ihn auch nicht mehr als meinen Bruder oder Aniki denken oder reden… aber ich konnte mich weder an seinen Vor-, noch Nachnamen erinnern. Wir hatten unterschiedliche, so viel wusste ich, da er nicht Yaki hieß… aber sonst…
 

Als ich aus dem Koma erwachte sah ich ihn und wusste, dass er mir sehr viel bedeutete. Er grinste mich an – so wie er es immer tat, wenn er froh war – und nannte mich Schwesterchen. Ich brachte es einfach nicht übers Herz, ihn nach seinem Namen zu fragen…
 

Doch bevor ich noch völlig die Stimmung ruinieren würde, überspielte ich den Kloß in meinem Hals lieber, „Nun… Jay hat so einiges schon geplant – und auch fest damit gerechnet, dass ich bleibe. Er wäre wirklich enttäuscht gewesen, wenn ich nach Hause gefahren wäre.“

Leider schien Zane die Finte zu riechen. Besorgt setzte er sich neben mich aufs Bett und sah mich an, „Jane… gibt es irgendetwas, das ich für dich tun kann?“

Einige Gedanken schossen mir durch den Kopf wie: Sag mir, dass ich nicht verrückt bin; Beschütze mich vor weiteren Angriffen; Geh nie wieder weg; Nimm mich in den Ferien mit; Rede meinem Bruder ins Gewissen oder Halte mich einfach fest…

Doch ich wäre ja leider nicht ich, wenn ich einen der Gedanken geäußert hätte. Mit einem gekünstelten, aber zurückhaltendem Grinsen schüttelte ich den Kopf, „Es ist alles ok.“

„Bedrückt dich irgendetwas, vielleicht auch etwas, was ich noch nicht weiß?“

Ja… einiges… meine Amnesie… der Dämon… dieser Angriff der mir unbekannten Obelisk Blue Studentin… mein Bruder… die Duellverletzungen… die Finsternis und damit einhergehend die Spiele der Schatten… die unbekannte Dauer meines Komas... und der Ursprung davon…

Gerade die Dinge, die am schwersten auf meiner Seele lasteten konnte ich ihm nicht sagen: Ich war von einem Dämon besessen, der die Kontrolle über mich übernehmen konnte UND ich wurde von einem verrückten Zane-Fan, die unbedingt die Schatten kontrollieren wollte, angegriffen (mittlerweile vermutete ich, dass sie so etwas wie eine Hexe war, ansonsten konnte ich mir diese alten Verse, die sie aufgesagt hatte, nicht erklären). Entweder würde ich ihn zu sehr damit belasten, oder ich würde ihn als Freund verlieren. So oder so… keines der Ergebnisse war erstrebenswert.

„Mir geht es gut.“, antwortete ich in gespielter Unbekümmertheit, „Kein Grund sich um mich zu sorgen.“

Er seufzte laut, „Jane… ich kann dich nicht zwingen mir zu vertrauen. Ich kann nur hoffen, dass du es tust.“

„Natürlich vertraue ich dir.“, meinte ich verwundert. Ich würde ihm mein Leben anvertrauen. So viel wie er von mir und über mich wusste, wusste sonst niemand auf dieser weiten Welt – den Dämon mal ausgeschlossen -… nicht einmal mein eigener Bruder…, „Es ist nur… ich kann nicht so einfach aus mir raus gehen… mir fällt es wirklich schwer, über mich selbst zu reden… Entschuldige, wenn ich den Eindruck vermittle, dass ich nicht ehrlich zu dir bin… meistens ist dies wahrscheinlich dann der Fall, wenn es mir psychisch nicht möglich ist, dir dies zu sagen…“

Zane begann wieder zu lächeln, „Nun denn… dann kann ich nur hoffen, dass du mir irgendwann einmal alles erzählst, was dir auf dem Herzen liegt.“, er stand von meinem Bett auf, „Ich glaube, wenn ich noch länger bleibe, bekomme ich von Madame Fontaine das Privileg entzogen, dich besuchen zu dürfen.“, langsam lief er um mein Bett herum, zur Tür des Personalein- und –ausgangs, „Bis morgen Jane.“

„Bis morgen.“, rief ich ihm noch nach, bevor er verschwand.

Verletzte es Zane wirklich so sehr, wenn er merkte, dass ich ihm nicht alles erzählte?

Seufzend legte ich mich auf die Matratze. In den Ferien würde ich üben, wie ich ihm die Wahrheit sagen konnte…

Runde 40: Die Weihnachtsferien

Am ersten Ferientag war es endlich soweit: Ich durfte das Krankenzimmer endgültig verlassen und wieder in die Rote Unterkunft zurückkehren. Insgesamt hatte ich Mittlerweile sieben Wochen dort verbracht… Meine Verletzungen waren definitiv schlimmer gewesen, als im Voraus angenommen wurde. Zumindest ging ich mal davon aus, denn weder hatte ein normaler Student jemals so viel Zeit dort zugebracht, noch durfte ich nach Madame Fontaines prognostizierten drei Wochen wieder nach Hause…

Die Erste Hälfte der Ferien brachte ich damit zu, mein Zimmer in der Roten Unterkunft mal gehörig zu reinigen. Auch wenn überraschender Weise Jaden, Syrus und Chumley kurz vor meiner Heimkehr den gröbsten Dreck, wie Staubmäuse oder ein paar tote Ratten, entfernt hatten, war doch noch einiges zu tun. Syrus hatte gemeint, er wollte auch noch den restlichen Staub wegwischen, doch Jaden schien ihn davon abgehalten zu haben… Nichtsdestotrotz hatte ich mich sehr gefreut, als ich heim kam und mein Zimmer nicht so aussah, als hätte dort seit Ewigkeiten keiner mehr gewohnt… so fühlte ich mich um einiges heimischer. Allerdings war es erst einmal eine große Umgewöhnung, bis ich wieder gut in meinem Bett schlafen konnte – hier waren die Matratzen ja um einiges durchgelegener, als im Krankenzimmer… und das Essen war dort auch besser… und die Duschen…

Auch wenn ich mich schonen sollte, hatte ich es mir nicht nehmen lassen, einen kleinen Großputz zu veranstalten: Ich bezog mein Bett neu, wischte den Boden, lüftete, sortierte meine Unterlagen und Mitschriften (die ich mir von Bastions Notizen gemacht hatte), putzte die Fenster, wusch meine Kleidung und nebenbei reinigte ich auch das Badezimmer (was am längsten von alledem gedauert hatte). Mit meinem Zimmer war ich nach eineinhalb Tagen fertig - es dauerte leider länger, als sonst, da meine Wunden noch immer zu spüren waren, wenn ich mich sehr anstrengte -, aber das Bad war ein Akt von Tagen… drei, um genau zu sein. Ich war keine professionelle Reinigungskraft, wie man sie in den anderen Unterkünften vorfand, doch ich tat mein bestes, damit ich diesen Raum auch wieder benutzen konnte. Hier fehlte es definitiv an weiblichen Studenten, denn nur Jungs konnten ein Bad so verkommen lassen. Dreck, war gar kein Ausdruck… und mehr wollte ich auch nicht mehr darüber nachdenken… es war jetzt endlich wieder sauber und die Jungs hatten mir versprochen in Zukunft darauf zu achten, dass es nie wieder so herunterkommen würde.

Auch hatte ich mich damit abgefunden, dass meine Hoffnung, mein Bruder würde überraschend in den Ferien hier auf der Duell Akademie auftauchen und mich mit nach Hause nehmen, nur ein Hirngespinst war.

Stattdessen verbrachte ich den Rest meiner Zeit in den Ferien mit meinen Freunden. Auch wenn sich Jaden fast rund um die Uhr mit Syrus oder Chumley duellierte – ich konnte mich dank eines Attests von Madame Fontaine geschickt aus der Affäre ziehen – hielt es mich nicht davon ab, während eines Duells zu lernen oder etwas anderes zu unternehmen.

Und genau das tat ich auch: Während sich Jay und Sy in einem Duell in der Kantine vergnügten und Chumley Marshmallows auf den Grill gelegt hatte, stand ich in der Küche und wollte herausfinden, ob Kochen zu einem meiner ‚verborgenen Talente‘ gehörte. Ich hatte in den Ferien vieles ausprobiert, um ein wenig mehr über mich selbst herauszufinden: Ich hatte genäht, gehäkelt, versucht Instrumente zu spielen – also musikalisch war ich beim Besten Willen nicht, das hatte ich auch von Jaden nochmals gesagt bekommen –, Videospiele gespielt, ein paar Werke klassischer Literatur gelesen… alles in allem konnte ich von mir behaupten, dass ich ein wenig mit Nadel, als auch Faden umgehen konnte, es liebte zu lesen und zu spielen, dabei meinte ich sowohl Videospiele, als auch klassische Brettspiele wie Schach. Auf der anderen Seite war ich sehr untalentiert in allem, was mit Musik zu tun hatte, war weder gut in Werfen, noch hatte ich eine ausgeprägte Ausdauer und war keine Meisterin in Schönschrift. Ironischerweise war ich trotzdem recht passabel im Zeichnen, das meinte auch Chumley. Allerdings beschränkte sich dieses Können hauptsächlich auf Menschen oder Gegenstände. Landschaften lagen mir gar nicht.

Freundlicherweise hatte Professor Banner mir erlaubt die Küche zu nutzen. Summend stand ich darin, versuchte noch irgendetwas aus dem von gestern übrig gebliebenen Reis, dem Fleisch und dem Gemüse zu zaubern. Ziemlich ungeschickt hatte ich die Zwiebeln gehackt, Paprika klein geschnitten… bis zu diesem Schritt war mir schon klar, dass ich definitiv nicht die Routine im Zerkleinern von Gemüse hatte, die ich eigentlich haben sollte, wenn Kochen eine Leidenschaft von mir war... wodurch ich mittlerweile die Ahnung hatte, dass vor meinem Koma sich mein Bruder um die Essenszubereitung gekümmert hatte, nicht ich… oder wir waren Stammgäste bei einem Lieferservice gewesen…

Dennoch wollte ich herausfinden, ob meine Künste überlebenstauglich waren…

Während ich begann die Zwiebeln und das Fleisch anzubraten schweiften meine Gedanken zu Zane. Wie war sein Sponsorengespräch wohl ausgegangen? Zwar wollten wir uns in den Ferien Mails schreiben, aber er hatte sich noch nicht gemeldet. Wahrscheinlich war er einfach viel zu beschäftigt oder im Stress. Ihm nahm ich es aber nicht übel, dass er nicht schrieb: er hatte viel zu tun, wichtige Gespräche, Meetings… wie würde das erst aussehen, wenn er ein Profi wäre? Viel viel stressiger, vermutete ich. Ein Profi zu sein wäre schon ziemlich cool… doch auch auf der anderen Seite eine große Verantwortung… man könnte sich nur noch wenig zum Spaß duellieren, es käme immer nur auf den Sieg an… auch wenn ich denselben Traum – laut meinem Bruder – vor meinem Koma gehabt hatte, hatte dieser sich spätestens dann erledigt, als ich bemerkte, dass ich echten Schaden aus den Duellen mitnahm…

„Hier kommt Elementarheld Clayman!“, riss mich der gut gelaunte Jaden aus den Gedanken. Wir hatten im Speiseraum den Großteil der Tische weggeschoben, damit es einfacher war, sich dort zu duellieren. Zwar konnte ich nicht sehen, was genau in dem Duell vor sich ging, aber ich kannte die Decks meiner Freunde mittlerweile gut genug, um das Spiel vor meinem Geistigen Auge mitverfolgen zu können.

Es war ein sehr schöner, ruhiger Abend. Vom Stöhnen der Monster, die in dem Duell zerstört wurden, mal abzusehen, war er schon fast harmonisch…
 

Auf einmal hörte ich, wie Holz zerbrach.

Runde 41: Der Geist, der gerufen wurde

Das Scheppern war definitiv nicht durch das Duell meiner Freunde verursacht worden. Irritiert nahm ich das Fleisch von der Hitze, drehte den Herd ab und lief zu meinen Hauskollegen und Professor Banner.

Jay und Sy hatten das Duell abgebrochen und standen bei einem Obelisk Blue Studenten, der wörtlich mit der Tür ins Haus gefallen war. Auf allen Vieren am Boden sitzend zitterte er unkontrolliert – ich vermutete allerdings, dass der Schnee nicht die Ursache dafür war. Der Obelisk hatte schulterlange, braune Haare, trug eine Brille und war kreideweiß.

„Dich kenn ich doch.“, meinte Banner, „Dein Name ist Torry. Du warst in meinem Kurs für übersinnliche Duelle.“

„Ja.“, nickte der Neuzugang, immer noch auf den Knien sitzend, „Richtig, Professor Banner. Und alles, was Sie gesagt haben stimmt.“, verzweifelt packte er unseren Dozenten an den Beinen, „Ich meine dass die Duellgeister wahr sind… das… das alles entspricht der Wahrheit.“

Das taten sie, ja, mein Kleiner Engelsbote oder Jadens Geflügelter Kuriboh waren die perfekten Beispiele... Aber wie kam er darauf?

Jaden schien ihm nicht ganz zu glauben, obwohl er ja einen Duellgeist besaß „Besser, wir fahren ihn gleich ins Krankenhaus…“

Behutsam ging Banner auf die Knie und legte seine rechte Hand auf Torys Schulter, „Jetzt erst mal schön der Reihe nach. Erzähl mir, was passiert ist.“

„Ja, Professor.“, er schien sich ein wenig zu schämen, „Vor einer Weile habe ich einigen von meinen Freunden von Ihrem Kurs erzählt: Das unter bestimmten Umständen Duellgeister lebendig werden können… und dann haben wir versucht entsprechende Gegebenheiten herzustellen… obwohl wir wussten, dass die Akademie das verbietet. Wir haben es ein paarmal versucht, aber nichts ist passiert. Bis gestern. Vielleicht lag es daran, dass wir unsere Bettlaken als Umhänge benutzten, oder Dr. Crowlers Badezimmerkerzen nahmen… wie auch immer… dieses Mal war alles anders… wir legten unsere Hände auf eine mystische Box und dann passierte es… naja… und dann buchstabierte die mystische Box: Geb mir drei und ich bin frei. Wir dachten damit sind die Karten gemeint…“, verzweifelt hob er seinen Blick und sah in die Runde.

Diese ganze Geschichte klang ein wenig abstrus… aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass er log. Allein der Gedanke an die Karte Jinzo schaffte es, dass mir ein eisiger Schauer den Rücken herunter lief… obwohl ich mich noch nie gegen ihn duelliert hatte… oder? Zumindest mal nicht, solange ich mich erinnern konnte… da war mir die Dunkle Todesfurcht um hunderte Male lieber…

„Du liebe Güte, nein.“, seufzte der Lehrer entsetzt, „Jinzos Appetit ist niemals durch Karten zu stillen. Das ist wirklich eine ganz furchtbare Sache.“

„Augenblick mal… was hat die Drei denn zu bedeuten?“, Syrus war ein wenig verwirrt… oder er wollte die Antwort nicht wahr haben.

„Na was wohl… Menschen…“, beantwortete Torry das offensichtlichste… zumindest mal für mich.

Aber nicht für meinen kleinen Freund. Er war überaus schockiert, „Menschen?“

„Leider hatten wir zugestimmt ohne nachzudenken. Das wussten wir doch nicht.“

„Wo sind deine Freunde?“

„Die sind beide verschwunden. Ich hab überall nach ihnen gesucht, aber es ist, als hätten sie sich in Luft aufgelöst… Erst der eine… und kurz darauf der andere… Ich wusste genau, dass ich der nächste sein würde…“

Aus Schock gaben Syrus‘ Beine nach. Zitternd saß er neben Torry und Professor Banner auf dem Boden.

„Könnte es nicht einfach sein, dass sie über die Ferien nach Hause gefahren sind, Torry?“, dieses Mal war es Jaden, der durch Fragen versuchte, sich einen ‚realistischen‘ oder auch ‚logischen‘ Reim auf die Situation zu machen… allerdings waren ja Duellgeister real… somit klang für manche – die nicht an Duellgeister glaubten - die Wahrheit wie ein Hirngespinst.

„Das hatte ich gehofft. Ich hatte ihre Eltern angerufen, aber die wussten leider auch nicht, wo sie sind. Ich glaube auch nicht, dass sie es nach Hause geschafft hätten… Ich habe schließlich selbst versucht, die Insel zu verlassen. Aber es ging nicht. Wisst ihr: Als ich zur Fähre kam, da war er schon da… und wartete auf mich.“, Torry begann zu schluchzen, „Es gibt kein Entkommen.“

Ich schluckte… konnte ein Duellgeist, der sich in unserer Welt manifestieren wollte, wirklich so hartnäckig sein und Menschen sogar verfolgen? Noch nie – zumindest soweit ich mich erinnern konnte – hatte ich von solchen Vorfällen gehört. Wie konnte sich Jinzo so unproblematisch bewegen und sogar Menschen verschleppen, wenn er doch eigentlich nur ein Geist war? Ich wusste genau, wie schwierig es für eine spirituelle Gestalt war, irgendetwas anzufassen… oder zu unternehmen. Als der Dämon in mir die Kontrolle übernommen hatte… da wollte ich ihn festhalten… doch das war unmöglich…

Plötzlich wurde es dunkel. Irgendjemand hatte das Licht ausgeschaltet. Ängstlich zuckte ich mit dem erschrockenen Maunzen und Fauchen Pharaos zusammen. Dies verhieß definitiv nichts Gutes.

„Was war das?“, fragte Syrus irritiert.

Ich brachte keinen Ton heraus. Auf der einen Seite war ich starr vor Angst, auf der anderen war ich bereit mich gegen alles zu wehren, was da auf einmal auftauchen könnte.

„Ganz ruhig Syrus. Vielleicht war das nur eine Sicherung.“, versuchte unser Professor uns zu beruhigen, doch Zweifel lag in seiner Stimme.

„Oder die Glühbirne ist durchgeknallt.“, suchte Chumley mit zitternder Stimme eine weitere, weniger gruselige, Erklärung.

Mein Herz schlug mir bis zum Hals. War es wirklich Jinzo? Oder nur ein blöder Zufall?

Plötzlich mischte sich eine unbekannte Stimme ein. Sie klang, als würde jemand durch einen Stimmverzerrer sprechen, „Oder vielleicht war ich das auch.“

Mein Herz sprang durch die Decke. Die Beine wollten vor Schreck nachgeben. Auf einmal war er aufgetaucht, stand in der Tür: Groß, schlank, in einen dunklen Mantel gekleidet, der mit dem Kragen und einem Hut das Gesicht verdeckte. Jinzo trug den bewusstlosen Korrey unter seinem Arm.

„Lass ihn gehen, Jinzo.“, Jaden war der erste, der seine Stimme wieder gefunden hatte.

„Wir haben eine Abmachung.“, antwortete der Duellgeist, wandte sich um und rannte weg.

„Nicht, wenn ich es verhindern kann!!“, rief Jay und wir liefen dem Duellgeist hinterher. Aus dem Speisesaal in die Nacht…

Doch ich kam leider nicht weit. Während der ersten paar Meter hatte Jaden mich an der Schulter gepackt und zum Anhalten gezwungen, „Jane, du bleibst hier und wartest auf uns. Vielleicht kommen ja die Freunde von Torry vorbei. Halte hier die Stellung. Du musst dich doch schonen.“

Ich war verblüfft. Damit hatte ich jetzt nicht gerechnet, „A… aber Jay.“

Doch er war schon weiter gerannt, „Warte hier!“, rief er noch über seine Schulter. Dann waren meine Freunde und Professor Banner schon in der Dunkelheit der Nacht verschwunden.

Runde 42: Nicht ganz so allein

„Bei Slifer, das ist doch jetzt nicht wahr.“, schimpfte ich, während ich mich wieder zurück in den dunklen Speiseraum der Roten Unterkunft begab. Mit einem schweren Seufzer setzte ich mich auf den Tisch, der am weitesten vom Eingang entfernt – und somit nahe der Küche – war. Mir war klar, dass ich meine Wut, dieses Duell nicht mitverfolgen zu dürfen, schnell beseitigen musste. Anderenfalls könnte die Stimme in meinem Kopf… dieser Dämon… wieder Kontrolle über mich übernehmen. Merkwürdigerweise war er im Moment ungewöhnlich still. Es war doch immer ein Fressen für ihn gewesen, wenn meine Freunde nicht wollten, dass ich sie wohin begleite…?

Irgendwie beunruhigte mich die Abstinenz der Stimme noch mehr… und die Dunkelheit in der Kantine…

Mir war klar, warum Jaden nicht wollte, dass ich sie begleite. Doch seit wann war er so… nunja… eigentlich war es nicht das passende Wort… rücksichtsvoll? Jay achtete immer auf seine Freunde, doch wenn es um eine brenzlige Situation ging – oder um ein Duell – so bemerkte er nicht immer das Befinden der Menschen um ihn herum. Warum gerade jetzt? Warum dachte er im schlimmsten Moment überhaupt an meine Verletzungen – die der Grund waren, weshalb er meinte, ich solle mich schonen? Sah ich so schlimm aus? Wirkte ich so, als könnte ich keine fünf Meter rennen? Vielleicht würde es ein wenig schmerzen, doch das hätte ich liebend gern in Kauf genommen, wenn dies bedeutete, dass ich meine Freunde in der Rettung von Torry unterstützen konnte…

Oder…

„Er dachte du seist zu gefährlich.“, kicherte auf einmal der verschwunden geglaubte Dämon in meinem Kopf.

Ich zuckte furchtbar zusammen… irgendwie hatte ich sowohl die Angst, als auch die Hoffnung gehabt, er hätte sich für immer verzogen. Die Angst bestand darin, dass er einen anderen Wirt gefunden hatte, der bei einer Kontrollübernahme keinen Widerstand leistete… und meine Hoffnung… nun, sie war eigentlich selbsterklärend… ich würde mich dann nicht mehr als verrückt ansehen, wenn ER auf einmal weg wäre.

„Meine kleine Jeany ist eine Gefahr für alle. Sie ist eine tickende Zeitbombe…“, lachte er weiter, „Das hat sogar der großkotzige Junge herausgefunden. Und auch der schlanke, der vor dir abgehauen ist. Denkst du wirklich, er hatte zu viel um die Ohren? Hör auf dich selbst zu belügen: Er weiß genau was du bist. Genau deshalb hatte dein geliebter Bruder den Kontakt abgebrochen und will dich über die Ferien nicht sehen.“

„Nein…“, murmelte ich, „Das ist nicht wahr.“, wie immer wusste er genau, wie er mich durch die Zweifel an mir selbst und in meinem Herzen verunsichern oder sogar schwächen konnte. Das schlimmste dabei war… ich spürte, wie er im Moment gar nicht versuchen wollte, die Kontrolle zu übernehmen… vielmehr verletzte er meine Psyche nur so zum Spaß.

„Du weißt, dass das wahr ist. Jinzo ist schon schlimm… aber überlege mal: Was, wenn du dabei gewesen wärst und du dich auf Jinzos Seite gestellt hättest?“, hisste er amüsiert weiter, „Oder du auf einmal ein Spiel der Schatten begonnen hättest?“

„Das würde niemals passieren. Ich bleibe meinen Freunden loyal. Du weißt, dass ich für sie alles geben würde…“

„Nur nicht die Wahrheit über dich selbst.“, nannte er wieder meine eigenen Zweifel. Ich konnte nie mit ihm diskutieren, weil er genau wusste, wie er eine solche Unterhaltung gewann. Er hatte Recht. Jeder Tag… jede Stunde… die ich länger damit verbrachte meinen Freunden – und vor allem Zane – nichts von all meinen Problemen zu erzählen lastete mehr auf meiner Seele. Doch ich hatte so eine furchtbare Angst. Wer wollte noch mit mir verkehren, nachdem ich von all diesen Problemen erzählt hatte?

„Keiner.“, lachte er, während er meine stille Frage beantwortete, „Mein vorheriger Wirt hatte auch nie Freunde. Er hatte sie alle in das Reich der Schatten verbannt, weil sie Angst vor ihm hatten. Letzten Endes sogar sich selbst.“

„WAS?!“, rief ich entsetzt. Tränen traten in meine Augen. Das musste doch eine Lüge sein! Er wollte mich nur verunsichern… sich ein Spektakel aus meiner Angst machen…

„Und wenn nicht? Was ist, wenn ich heute so freundlich bin und dir die Wahrheit erzähle… Jeany… du bist doch ein schlaues Mädchen… denk doch mal nach: Du bist mein Neuer Wirt… das heißt:“

Ich begann unkontrolliert zu zittern. Mir war klar, was er damit sagen wollte, „Es ist etwas mit meinem Vorgänger passiert…“

„Bingo, Schätzchen.“

Würde mich auch so ein schreckliches Schicksal ereignen, wenn ich irgendwann nicht mehr von Nutzen wäre…? Irgendwie musste ich versuchen, ihn loszuwerden… doch wie? Mir kam nur eine einzige Lösung in den Sinn… doch ich fürchtete mich zu sehr davor… wenn ich mich gegen ihn duellieren würde… in einem Spiel der Schatten… doch dafür müsste ich auch mein Leben riskieren… und vor allem… falls ich verlieren würde… so hätte der Dämon völlige Kontrolle über meinen Körper… oder? Wenn ich ein Duell verlor, so würde ich doch sterben… somit wäre mein Körper wiederum nutzlos für ihn… aber auf der anderen Seite war mir aufgefallen, dass der Dämon, als er Besitz von mir ergriffen hatte, nicht so schmerzempfindlich war, wie ich. Würde ich verlieren und er meinen Körper sofort einnehmen… würde er das überleben? Wie sollte ich überhaupt gegen einen Geist in einem Duell antreten können?

Jinzo kam mir ins Gedächtnis. Egal wie er es anstellte… er war doch dabei sich zu manifestieren… anderenfalls wäre es ihm doch nicht möglich gewesen Torry zu tragen, oder?

Ein kurzes Vibrieren an meinem Oberschenkel ließ mich schrecklich zusammenzucken. Wer schrieb mir so spät am Abend eine E-Mail?

Mit einem Seufzer nahm ich den PDA in die Hand, inständig hoffend, dass es nicht schon wieder dieser unbekannte Absender war, sondern Zane oder mein Bruder…

Leider wurde ich schon wieder enttäuscht. Es war Unbekannt:

‚Hoffentlich werden deine Freunde von Jinzo absorbiert.

Doch du hast scheinbar andere Sorgen… alleine im Speiseraum der roten Unterkunft auf einem Tisch sitzend… Selbstgespräche führend…‘

Ein eisiger Schauer lief meinen Rücken herunter. Woher wusste er das alles? Er musste in meiner Nähe sein… sonst wusste niemand etwas von den sogenannten Selbstgesprächen.

Reflexmäßig stellte ich mit einer Handbewegung sicher, dass meine Duell Disk noch auf meiner linken Seite lag. Falls ich angegriffen werden würde, so könnte ich mich wenigstens in einem Duell verteidigen… auch wenn dies ein erneuter Aufenthalt im Krankenzimmer zur Folge hätte…

Sollte ich ihm antworten? Ich hatte so viele Fragen… wer war er? Weshalb schrieb er mir ständig? Warum wollte er mir Angst einjagen?

Hatte sich einmal ein Gedanke in meinem Kopf festgesetzt, so wurde ich ihn schwer wieder los… mir blieb nur eine einzige Möglichkeit: Angespannt schrieb ich ihm eine Antwort, zitternd hoffend, dass er nicht zurück schreiben würde ‚Wo bist du?‘

Mein Herz raste. Pure Panik machte sich in mir breit. Es war mir nicht klar, warum, aber das Gefühl beschlich mich, dass ich gar nicht wissen wollte, wo Unbekannt war…

Nur Augenblicke später bekam ich eine Antwort… der Schreck fuhr in all meine Glieder, als ich die Mail öffnete.

Runde 43: Absender Unbekannt

Es war ein Bild; ein Foto um genau zu sein, was der Unbekannte mir als Antwort geschickt hatte.

Eine dunkle, weibliche Silhouette saß im Seitenprofil auf einem Tisch, der an einer Wand stand. Sie hielt ein elektrisches Gerät in den Händen, durch dessen Licht ihr sowieso blasses, ein wenig verweintes Gesicht sie wie eine Leiche wirken ließ. Ihr rotes Oberteil war an manchen Stellen dunkel verfärbt; die braun und schwarz gestreiften Haare hingen, nass vom Schnee, strähnig von ihrem Kopf und klebten in ihrem Gesicht. Eine Duell Disk lag zu ihrer linken…

Ein kleiner Schrei entwich mir, als ich realisierte, dass der Fremde, der mir ständig Mails zukommen ließ, die nie etwas Gutes verhießen, mir ein Foto von mir selbst geschickt hatte. Er war hier. Nur Meter von mir entfernt…

Sollte ich zu ihm? Eigentlich war dies keine gute Idee… doch Pandoras Büchse hatte ich mit meiner Frage schon geöffnet. Es gab kein Zurück mehr. Langsam, damit ich nicht zu viele Geräusche verursachte, rutschte ich von der Tischplatte herunter.

Meine Knie drohten nachzugeben, als ich stand. Ich hatte solch eine Angst. Was wollte er von mir? Wer war er? Oder war es sogar eine sie?

Mir war klar, von wo er das Bild geschossen hatte. Leider war der Strom hier im Speisezimmer noch immer abgeschaltet, sonst hätte ich nicht solch eine Angst. Wenn ich durch die Perspektive des Fotos den Standort des Unbekannten rekonstruierte, so hatte er im Türrahmen zwischen dem Raum, in dem ich mich aufhielt und Küche gestanden. Weiterhin vermutete ich, dass er sich wieder in das andere Zimmer zurückgezogen hatte…

Auch wenn mir klar war, dass ich genau das tat, was er wollte, so lief ich bereitwillig in seine Falle. Ängstlich nahm ich die Duell Disk, die neben mir gelegen hatte und klemmte sie mir an den linken Arm, was sich eigentlich schon immer unnatürlich angefühlt hatte, da ich Linkshänderin war… lieber würde ich sie am rechten Arm tragen... gerade bei dieser Anspannung wurde mir das noch mehr klar…

Schritt für Schritt näherte ich mich dem Türrahmen. Auch wenn ich ursprünglich nur zwei Meter davon entfernt war, so schien es mir, als hätte sich der Raum auf einmal in die Länge gezogen.

Mein Herz begann zu rasen. Es schlug so laut, dass ich nicht einmal mehr fähig war, meine eigenen Schritte zu vernehmen. Hoffend, dass ich nicht zu hören war, kam ich der Tür immer näher.

Es fühlte sich an, wie eine Ewigkeit, bis ich den Türrahmen erreicht hatte. Die Augen hatten sich zwar an die Dunkelheit gewöhnt, doch viel sehen konnte ich trotzdem nicht. Angespannt lugte ich um die Ecke.

Vor lauter Angst setze mein Herz einen Schlag aus…
 

Die Küche war leer.

Irritiert sah ich mich um. Wie war dies möglich? Er hatte doch von hier dieses Foto geschossen, oder? Doch er war nicht da.

„Welch ein Glück“, seufzte ich leise. Wahrscheinlich hatte er ein Foto von mir gemacht und stahl sich daraufhin weg. Erleichterung machte sich in mir breit. Warum fürchtete ich mich vor ihm so sehr? Ich konnte es mir nicht erklären, doch wenn ich eine Nachricht von ihm las, dann fühlte es sich an, als würde eine kalte, dunkle Hand nach meinem Herzen greifen… zusätzlich war er scheinbar noch ein Stalker…

„Suchst du mich?“, fragte plötzlich eine männliche, tiefe Stimme hinter mir. Er war nah… hatte meine Hände gepackt, damit ich mich nicht wehren konnte. Mit seinem Mund nur Zentimeter von meinem rechten Ohr entfernt hisste er, „Jetzt kannst du noch umkehren, Schatten. Doch gehst du nur einen Schritt weiter, so wird dir das größte Elend auf dieser Erde widerfahren.“, er hatte sich nicht in die Küche zurückgezogen, sondern die Dunkelheit des Speiseraums ausgenutzt?! Nach diesem Bild musste er nur noch warten, bis ich ihm den Rücken gekehrt hatte… bis ich in seine Falle trat…

Ich hatte Panik. Er könnte alles in diesem Moment mit mir machen… mich sogar umbringen… verzweifelt versuchte ich mich zu wehren, doch sein Griff war eisern. Kein Entkommen… mir blieb nur die Möglichkeit mit selbstsicherem Auftreten mich aus dieser Situation zu befreien.

Gleichzeitig wurde ich – vom Dämon angeschürt – wütend. Ich war auch nur ein Mensch… konnte mich deshalb nicht vor solchen Emotionen abschotten. Nicht einmal Zane war dies möglich…

„Was willst du?“, fragte ich mit zusammengeknirschten Zähnen.

„Dein Ableben.“, kicherte er unheilvoll, „Meine Rache.“, langsam zog er seinen Kopf von meinem Ohr weg. Ich spürte, wie er noch einmal an meinem Haar roch, „Wir sehen uns, Schatten…“

Mit einem kräftigen Stoß, schleuderte er mich in die Küche. Davon überrascht, war es mir nicht möglich diese Kraft mit meinen Beinen abzufangen. Stattdessen stolperte ich… konnte mich aber gerade noch rechtzeitig am Küchentresen festhalten.

Genau in diesem Moment hatte mein Körper vom Vernunftmodus auf Autopilot geschaltet. Das Sicherste wäre gewesen, wenn ich schnell in mein Zimmer gerannt wäre, die Tür verschlossen hätte und auf Jaden gewartet hätte…

Doch in diesem Moment war mir meine eigene Sicherheit egal. Ich wollte wissen, was es genau mit Unbekannt auf sich hatte… deshalb stieß ich mich mit all meiner Kraft von dem Tresen ab und begann zu rennen. Erst aus der Küche, dann aus dem Speiseraum. Der Unbekannte hatte zwar einen Vorsprung, aber ich hatte einen Vorteil. Es schneite… Schnee lag auf dem Boden… und zu meinem Glück konnte er nicht fliegen.

Er hinterließ Fußabdrücke auf dem Weiß und… sie führten direkt in den Wald…
 

So schnell ich konnte, folgte ich den Spuren. Mein Körper signalisierte mir schon seit einigen Metern, dass ich mich noch nicht vollständig von meinem Duell mit Zane erholt hatte… nach ein paar raschen Schritten war ich schon kurzatmig, hatte weiche Knie und jede Zelle in mir schmerzte. Allerdings war diese Neugier… dieser Trieb… mehr über den Unbekannten herauszufinden stärker, als jedes Schmerzempfinden.

Kalter Wind peitschte mir entgegen, seit dem ich in den Wald betreten hatte. Meine Augen tränten, wodurch ich alles nur noch verschwommen sah.

Allerdings trug meine Hartnäckigkeit Früchte. Einige Meter vor mir konnte ich die große, dunkle Silhouette erkennen, die in ein Haus flüchtete.

DAS Haus… oh nein… es gab hier auf dem Akademiegelände nur ein einziges Gebäude, das so verlassen und heruntergekommen im Wald stand, wie dieses… Die verlassene Unterkunft… jener Ort, durch den ich eine Weile im Reich der Schatten zubringen musste.

Instinktiv wollte ich stehen bleiben, doch meine Beine liefen einfach weiter… unter dem Torbogen hindurch… in das Gebäude hinein…

Dort, genau vor den Steintafeln, die etwas über die Millenniums-Gegenstände schilderten, stand er und wartete auf mich.

Der Unbekannte trug einen schwarzen, langen Umhang, der mit einer daran befestigten Kapuze auch das Gesicht im Schatten verbarg. Das einzige, was ich von ihm sagen konnte war, dass er etwa einen Kopf größer war, als ich. Aus der Dunkelheit funkelten mich seine Augen unheilvoll an, „Du hast deine Wahl getroffen; dich für dein eigenes Verderben entschieden…“

Runde 44: Die Taten der Vergangenheit

Endlich standen wir uns gegenüber. Der unbekannte Absender zahlreicher E-Mails und ich. Unser Schauplatz hätte nicht unheilvoller gewählt sein können… die Verlassene Unterkunft.

Zitternd versuchte ich nach dem langen Sprint wieder zu Atem zu kommen… blinzelte mehrmals, um meine Augen am weiteren Tränen zu hindern und sie an die Dunkelheit zu gewöhnen, „Was willst du? Warum verfolgst du mich?“

„Wie schon gesagt: Ich will Rache. Für alles, was du mir angetan hast.“, antwortete er mit einem Grollen in der Stimme. Doch er blieb äußerlich völlig gelassen, lehnte sich sogar an eine der Steintafeln. Nämlich an die, die den Millenniums-Ring darstellte…

„Und das wäre?“, fragte ich, so selbstbewusst ich konnte. Auch wenn mir völlig anders zu Mute war, musste ich die Starke mimen… anderenfalls würde er meine Schwächen wahrscheinlich genauso ausnutzen, wie der Dämon in mir, von dem ich seit unserer Unterhaltung im Speiseraum nichts mehr gehört hatte.

Der Unbekannte schwieg. Wahrscheinlich war er am Abwägen, ob ich wirklich unwissend war, oder nur die Ahnungslose spielte.

„Was soll ich dir angeblich angetan haben?“, meine Stimme bebte vor Angst. Eigentlich wollte ich es nicht wissen. Man trachtete einer anderen Person doch nur nach dem Leben, wenn sie das eigene zerstört hatte… was hatte ich in meiner Vergangenheit getan…?

„Spiel nicht die Unschuldige!“, offensichtlich kam er zu dem falschen Schluss, dass ich sowohl meine Angst, als auch die Ahnungslosigkeit nur spielte.

„Ich weiß es nicht!“, rief ich, am ganzen Körper zitternd. Meine Stimme drohte zu versagen, die Beine nachzugeben.

„Ach was? Du kannst dich nicht daran erinnern, wie du mich vor Jahren ins Reich der Schatten verbannt hast?“, schrie er wutentbrannt.

Mein Herz setzte kurz aus. Waren meine Befürchtungen wahr? All das, wovor ich mich fürchtete war, dass ich ein völlig anderer Mensch im meinem vorigen Leben war: Eine rücksichtslose Duellantin, die Schattenspiele liebte… die vor nichts und niemandem zurückschreckte… und der auch egal war, ob der Gegner verletzt würde oder nicht.

„Du hast mein Leben zerstört! Meine Karriere! Wegen dir fiel ich nach jedem nennenswerten Turnier immer mehr in Ungnade! Ich musste in der Gosse leben!! Letzten Endes hattest du mich ganz weggeschickt!!!“, er konnte sich gerade noch so beherrschen, damit er mir nicht an die Kehle ging.

Mir fehlten die Worte. Ich hatte seit Wochen nicht mehr versucht, mich an die eigene Vergangenheit zu erinnern, da ich genau dies befürchtete: Vor meinem Koma war ich ein völlig anderer Mensch.

Tränen rannen meine Wangen herunter. War das, was er gesagt hatte, wirklich wahr?

Plötzlich packte der Unbekannte mich am Kragen meines Oberteils und der Krawatte, zog mich zu ihm und drückte mich mit seinem Unterarm an dieselbe Wand, an der er vor Augenblicken noch gestanden hatte. Entsetzt sah ich ihn an. Er würde mir wirklich etwas antun. Ja, ich hatte es eigentlich nichts anderes verdient… aber das war in einem vorigen Leben… und ich konnte mich an nichts erinnern. Ich hoffte, dass er log… doch dieser Zorn würde nicht einfach so aus einer Lüge entspringen.

„Wie ist dein Name!?!“, schrie er, drückte mit der freien Hand Stückchen für Stückchen meinen Hals fester zusammen.

„Was?“, mir wurde schwindelig; bekam kaum noch Luft. Die Finsternis begann in einem Strudel vor meinem inneren Auge zu verschwimmen. Oh nein... das wollte ich nicht sehen…
 

Ich stand meinem Gegner gegenüber. Er war groß, trug einen dunklen Umhang mit Kapuze, sodass ich sein Gesicht nicht erkennen konnte. Auch wenn er mir optisch keine Anhaltspunkte bot, wer er war, konnte ich seine Identität erahnen. Es war dieser Typ, um nicht zu sagen, diese Niete, der mich bei jedem verdammten Turnier herausforderte und immer verlor. Vielleicht war er vor dem Beginn meiner Karriere eine große Nummer gewesen, doch heute nicht mehr. Er hatte mich schon so oft belästigt, mich so oft verletzt… mir so viel angetan…

Und jetzt würde alles wieder auf ihn zurück kommen. In einem Spiel der Schatten! Heute würde er für die Pein bezahlen!

Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Auch wenn ich schon Teilnehmerin an so vielen Spielen der Schatten gewesen war – bewusst oder unbewusst -, hasste ich das Gefühl der Ungewissheit. Ich duellierte mich hier, damit ich wieder zurück ins Licht kam... Zu meinem Bruder… zu unseren Freunden…

„Du hast einen Fehler begangen, als du annahmst, du könntest mich besiegen!“, rief ich wütend, „Denkst du wirklich, nach so vielen verlorenen Duellen, gegen mich ankommen zu können? Heute wirst du mit mehr zahlen, als mit deinem Ansehen!“

„Das ist mir egal.“, antwortete diese tiefe Stimme, „Denn du wirst verlieren. Ich habe einflussreiche Freunde! Wenn ich siegreich aus dem Duell hervorgehe, so werde ich alles, was ich verloren hatte, wiederbekommen. Ich werde ein Profi, sobald du verschwunden bist!“

Unsagbarer Zorn überkam mich. Er hatte mich schon mehrmals fast getötet. Dieser Mann würde über Leichen gehen, um sein Ziel zu erreichen… am liebsten aber, über meine… und dafür müsste er bezahlen…

Ich zog…
 

Schlagartig fand ich mich in der Gegenwart wieder. Er hatte die Wahrheit gesagt?! Ich hatte ihn in die Schatten verbannt?! War ich wirklich so ein Monster?

Wie konnte ich all dies wieder gut machen? Wie war es mir möglich, für das Elend zu bezahlen? Zwar fürchtete ich mich vor den Schatten, aber das Wissen über meine vergangenen Taten lastete umso mehr auf meinem Herzen.

Von dem Unbekannten immer noch gegen die Steintafel gedrückt, eine Hand fest um meinen Hals geschlossen, hatte ich keine Angst mehr. Vielmehr verspürte ich Reue. Ohne mit der Wimper zu zucken hatte ich mich in einem Spiel der Schatten gegen ihn duelliert? Wohl wissend, was dies für Konsequenzen für den Verlierer haben würde…

Traurig senkte ich meinen Blick, „Es tut mir leid.“, mein Entschluss stand fest. Ich wusste genau, was ich zu tun hatte.

Irritiert ließ er mich los, „Wie bitte?“

Meine Knie gaben nach. Auf dem Boden sitzend begann ich zu weinen, „Es tut mir leid, was ich dir angetan hatte… nichts auf dieser Welt legitimierte mein Verhalten, ein Spiel der Schatten zu beginnen…“

Der Unbekannte… mein Gegner aus meiner Erinnerung… zögerte, bevor er wütend brüllte, „Denkst du, ein paar Tränen können das alles wieder gut machen? Ich habe Jahre in der Finsternis zubringen müssen, allein wegen dir!!!“

„Es gibt nur einen Weg für dich, Genugtuung zu erhalten.“, mit schmerzverzerrtem Gesicht rappelte ich mich wieder auf, nahm in einer geschmeidigen Bewegung mein Deck aus der Box an meinem Gürtel, „Und zwar in einem Duell… einem Schattenduell“

„Du willst mich wohl veralbern!“, rief mein Gegner ungehalten.

„Nein.“, seufzte ich entschlossen, „In diesem Duell werde ich mich nicht wehren. Ich werde kein Monster beschwören… freiwillig das Duell verlieren, damit du deinen Frieden und deine Rache erlangst.“

„Warum denkst du, das würde mir genügen?“

„Weil ich realen Schaden in einem Duell erhalte. Jeder Angriff verletzt mich…“, antwortete ich, vergeblich versuchend, das Zittern meiner Stimme zu unterdrücken. Heute musste ich für meine Taten der Vergangenheit bezahlen.

Runde 45: Die Abschiedsdrohung

Mein vermeintlicher Gegner stand mir gegenüber, abwägend, ob er das Angebot eines einfach gewonnenen Spiels der Schatten annehmen sollte, oder nicht. Mir war klar, dass ich das Tageslicht und meine Freunde wahrscheinlich nie wieder sehen würde… im besten Falle würde ich in das Reich der Schatten verbannt werden… im schlimmsten… nun dann hatten mich meine vergangenen Sünden eingeholt. Ich wollte eigentlich nicht über den eigenen Tod nachdenken.

„Was sagst du? Nimmst du mein Angebot an?“, fragte ich mit gespieltem Selbstbewusstsein. Ohne seine Antwort abzuwarten, aktivierte ich meine Duell Disk und war gerade dabei, mein Deck in die dafür vorgesehene Öffnung zu stecken, doch nur Zentimeter davor hörte mein rechter Arm, in dessen Hand ich mein Deck hielt, auf sich zu bewegen.

In dem Moment, in dem ich dies bemerkte schrie eine Stimme in meinem Kopf „NEIN!“

Der Dämon hatte die Kontrolle über beide Arme übernommen. Sie gehorchten mir nicht mehr. Ich konnte kein Duell starten.

Entschlossen versuchte ich gegen ihn anzukämpfen, „Lass mich.“, knurrte ich, „Das ist meine Entscheidung!“

„Aber es ist unser Körper! Und ich toleriere dein kindisches Vorhaben nicht!“, fauchte der Dämon in meinem Kopf. Meine Arme begannen zu zittern. Wir kämpften um die Kontrolle; ich drückte die Arme zusammen, er zog sie auseinander. Letzten Endes blieben sie an Ort und Stelle und waren einfach nur schrecklich angespannt.

„Es ist mein Körper!“, schrie ich, „Du kannst mir nichts verbieten.“

„Mir gefällt es auch nicht, dass wir aufeinander angewiesen sind, aber wenn du stirbst, habe ich wieder keinen Wirt und werde in das Reich der Schatten zurückgezogen! Ich werde nicht zulassen, dass du, nachdem ich dich so mühselig aus der Finsternis befreit hatte, all meine Pläne zu Nichte machst!“, er schaffte es, meine Hand einige Zentimeter weiter von der Duell Disk zu entfernen. Ich konnte ihm nicht stand halten… ihn nicht bekämpfen… er war einfach zu stark…

Letzten Endes war es der Unbekannte, der nicht auf meine Herausforderung eingehen wollte, „Erst einmal, Schatten, musst du mit dir selbst und all der Reue weiter leben. Das ist eine weitaus größere Strafe, als all das, was ich dir im Moment antun könnte. Doch sei gewarnt: Bis zu unserem Duell wirst du alles verloren haben. Deine Freunde, dein Vertrauen, die Personen, die du liebst. Bei deinem Bruder habe ich schon begonnen. Er hasst dich, möchte dich nie wieder sehen… es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich auch Zane und Jaden von dir entfernen. Erst, wenn du nichts und niemanden mehr hast, werde ich dich holen, dich bestrafen. Dann erst wirst du verstehen können, was ich wegen dir alles durchmachen musste.“, auf diese Drohung folgte ein wahnsinniges Lachen, bevor er sich umwandte und in der verlassenen Unterkunft verschwand.

Ich konnte mich noch immer nicht rühren. Meine Knie zitterten. Eigentlich wollte ich mich auf dem Boden zusammenrollen und hoffen, dass all das nur ein schlimmer Traum war.

War es wirklich wahr? Hatte der Unbekannte wirklich dafür gesorgt, dass mein Bruder nichts mehr mit mir zu tun haben wollte? Ging dies wahrhaft auf sein Konto? Allein durch den Gedanken daran schmerzte mein Herz…

„Du dummes Balg!“, brüllte der Dämon in meinem Kopf wütend. Ich versuchte nicht einmal mehr gegen ihn anzukämpfen. Ich fühlte mich einfach nur schwach, leer und kraftlos. Mir war klar, dass er meinen Körper aufrecht hielt. Anderenfalls wäre ich schon längst auf den Boden gesunken.

„Warum hast du mich gestoppt?“, fragte ich antriebslos, „Das wäre doch ganz nach deinen Vorstellungen gewesen: Meine Seele wäre weg und du könntest den Körper kontrollieren.“

„Idiot.“, zeterte er, „Dein Körper wäre nicht mehr zu gebrauchen. Ich habe einen anderen Plan für dich. Doch dafür musst du erst einmal stärker werden. Sowohl psychisch, als auch physisch. Du wirst noch einige Duelle bestreiten müssen, bis du bereit bist, von mir vollständig eingenommen zu werden.“

„Warum?“, eigentlich wollte ich nicht fragen, doch er würde wahrscheinlich nie wieder mit diesem Thema beginnen. Wenn ich das nächste Mal von seinem Plan erfahren würde, würde es wohl zu spät sein.

„Weil mir seit meinem letzten Wirt ein bestimmtes Mittel fehlt, durch das es mir vereinfacht wurde, dauerhaft jemanden zu kontrollieren. Leider muss ich dein Geheule und deine Zweifel so lange ertragen, bis du stark genug … und nachlässig bist. Dadurch das ich dich schwäche wirst du stärker. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die liebe kleine Jeany… unser kleiner Schatten… nicht mehr weiter machen will… und dann bin ich da.“, lachte er hämisch.

Ein eisiger Schauer lief meinen Rücken herunter. Das war genau das, was ich nicht gebrauchen konnte. Im allgemein schon nicht, aber jetzt war der überhaupt schlechteste Zeitpunkt. Er durfte nie wieder die Kontrolle übernehmen… und schon gar nicht dauerhaft.

Auch wenn ich völlig kraftlos war, wurde mein Lebensgeist mit dem plötzlich aufflackernden Kampfeswillen gestärkt, „Ich werde alles tun um dich aufzuhalten. Kampflos werde ich mich nicht ergeben. Bis zu meinem letzten Atemzug werde ich Widerstand leisten, damit du niemals meinen Körper kontrollieren und meine Freunde gefährden kannst. Auch wenn das mein Tod bedeutet…“

Offensichtlich hatte ich einen wehen Nerv getroffen. Wutentbrannt ließ meine rechte Hand die Karten auf den Boden fallen, „Du blödes Gör, denkst du wirklich, du kannst gegen mich ankommen? Ohne mich wärst du gar nicht hier. Ich bin der Grund, warum du nicht mehr gefangen bist!“, die von ihm kontrollierte Hand holte weit aus. In diesem Moment war ich so davon überrascht, dass ich nicht reagieren konnte – mal davon abzusehen, dass mein linker Arm sich zentnerschwer anfühlte: er ohrfeigte mich. Als wäre dies das Stichwort gewesen, gaben meine Beine nach und ich fiel auf den Boden. Kraftlos lag ich dort.

„Ohne mich kannst du nicht einmal stehen.“, spottete der Dämon, „Wie willst du denn nur gegen mich ankommen, wenn ich es bin, der dich am Kollabieren hindert? Deine Freunde werden dir nicht helfen. Jinzo hat sie sich bereits einverleibt.“, mit einem diabolischen Lachen wurde es wieder still. Er hatte sich scheinbar wieder zurückgezogen.

Ich zitterte. Erst jetzt wurde mir bewusst, wie viel von meinem Schmerz der Dämon zurückgehalten hatte. Jede Wunde an meinem Körper tat weh. Egal wie sehr ich versuchte, mich aufzurappeln, mir war es nicht einmal möglich, einen Finger zu rühren. Meine Sinne begannen immer weiter zu schwinden, während mein Tinnitus immer lauter wurde. Verzweifelt versuchte ich an meine Freunde zu denken. Hoffend, dass sie es geschafft hatten, Jinzo zu besiegen…

Ich wünschte mir, dass dies nicht ein neuer Teil meiner mittlerweile verhassten Vergangenheit war. Zitternd gab ich den Kampf um das Wachsein auf.

Alles verschwamm in Schwarz, bis ich nichts mehr erkennen konnte.

Runde 46: Unverhofft

Das alles musste doch nur ein böser Traum gewesen sein, anderenfalls konnte ich mir nicht erklären, warum ich in einem weichen Bett lag. Meine Augen waren noch sehr lichtempfindlich, deswegen öffnete ich sie nicht, aber allein die Wärme der Decke, die bequeme Matratze ließ mich glauben, dass ich nur schlecht geträumt hatte. Meine Freunde würden wahrscheinlich bald an meine Tür klopfen, damit Jaden wieder mich zu einem Duell herausfordern würde, was ich mit dem Attest von Madame Fontaine vertröstete.

Im ersten Moment schien alles perfekt zu sein… doch etwas stimmte nicht… seit wann war mein Bett so bequem?

Erschrocken riss ich die Augen auf, während ich mich aufrichtete. Scheinbar träumte ich immer noch … oder? Dies war nicht die Slifer Unterkunft! Auch wenn ich im ersten Augenblick nicht scharf sehen konnte, realisierte ich, dass das Bett, auf dem ich lag, in einem großen, von Sonnenlicht durchfluteten Raum stand. Auf der linken Seite konnte ich eine Balkontür erkennen. Das ganze Zimmer war in Blautönen gehalten, mir gegenüber stand eine große, grüne Couch vor einer Kommode, auf der ein Fernseher stand. Zu meiner Rechten betrat man dieses Schlafzimmer wohl, da dort die einzige, normale Tür – zumindest mal für mich – zu erkennen war.

Wo war ich? Wie kam ich hierher? Hatte der Dämon in mir wieder die Kontrolle übernommen und mich hierher gebracht?

Wahrscheinlich nicht. Er wollte mir nach unserer Begegnung mit dem unbekannten E-Mail Absender eine kleine Lektion erteilen. Ohne ihn konnte ich mich nicht mehr auf den Beinen halten. Wieso sollte er jetzt für mein Wohlergehen sorgen? Nun… auf der einen Seite saßen wir im selben Boot… besser gesagt Körper… aber er war so sauer… und hätte ich die ganze Nacht in der Verlassenen Unterkunft zugebracht, dann wäre ich doch auch nicht gestorben…

Wer war es also dann?

Das Öffnen der Tür zu meiner Rechten beantwortete meine Frage.

Zwar konnte ich noch immer nicht scharf sehen, aber die dunkelblauen Haare, diese weiße Obelisk Blue Uniform… das Bild dieser Person hatte sich, seit dem ich ihn das erste Mal sah, für immer in mein Gedächtnis eingebrannt. Er war der Mann, der mir das Leben gerettet hatte, als ich mich, vom Zorn geleitet, unbedingt gegen ihn duellieren wollte. Mittlerweile waren wir sehr gute Freunde… und genau deshalb wusste ich, dass dieses Bild von Zane nur eine Täuschung des Dämons sein konnte, denn er hatte in den Ferien wegen seiner Sponsoren sehr viel um die Ohren…

Aber wer oder was war es dann?

Meine Sicht hatte wieder ihre vollständige Schärfe erreicht. Irritiert musterte ich ihn von Kopf bis Fuß, während er mit einem leichten Lächeln auf den Lippen zu mir ans Bett kam, „Na, Dornröschen, ausgeschlafen?“, witzelte er in der trockenen Art, die nur von ihm kommen konnte. Das war definitiv kein Trugbild. Nicht einmal in meiner Vorstellung – oder in der Täuschung des Dämons – hätte man diesen trockenen Humor so authentisch darstellen können.

Mir fehlten die Worte. Verblüfft sah ich ihn einfach nur an. Wie konnte das sein? Es war wirklich Zane… ohne jeden Zweifel… aber hatte er nicht wichtigeres zu tun?

Als könnte er meine Gedanken lesen, setzte er sich auf die Bettkante, „Ich habe meine Verhandlungen mit den Sponsoren schneller zum Abschluss bringen können, als gedacht.“

„A… aber warum…?“

„Ich hier bin?“, er zuckte die Schultern, „Nun… sagen wir es mal so: Eine gewisse Jane Yaki hatte die letzten eineinhalb Wochen auf keine meiner E-Mails geantwortet. Ich habe mir Sorgen gemacht, dass sie in ein Duell verwickelt worden und verletzt sein könnte…“, prüfend sah er mich an, „Irgendwas war scheinbar wirklich vorgefallen, sonst hätte ich dich nicht in der verlassenen Unterkunft gefunden…“

Leider ließ meine Verwirrung mit seiner Erklärung nicht nach, „Zane… ich habe keine einzige E-Mail bekommen…“, in Gedanken fügte ich noch, während ich ein wenig rot wurde, hinzu, ‚Ich dachte du hast mich vergessen.‘

„Warum hätte ich dir nicht schreiben sollen?“, fragte er verwundert, „Wir haben doch ausgemacht, dass wir über die Ferien in Kontakt bleiben.“

„Ich weiß.“, murmelte ich, „Es war irgendwie komisch…“

„Glaube mir: Ich habe dich nicht vergessen.“

Hatte er meine Gedanken von vorhin gelesen? Ein wenig von dieser Aussage überrascht sah ich zu ihm auf. Sein kaum zu erkennendes Grinsen sprach Bände: Er wusste genau, was ich fühlte. Immerhin war ich für ihn ein offenes Buch… obwohl es scheinbar für Zane leichter war, mich zu lesen, als für mich selbst.

Um das Thema so schnell wie möglich zu wechseln fragte ich neugierig, „Wie waren die Sponsoren so?“

Beiläufig zuckte er mit den Achseln, „Ich werde der erste Duellant sein, der von diesem Mann gesponsert wird, der nicht in der Tag-Liga antritt. Eigentlich ist er sehr bekannt. Viele berühmte Geschwisterpaare, die sich gemeinsam duelliert haben, kamen mit ihm groß raus. Wollen wir mal hoffen, dass dies auch bei mir der Fall sein wird. In einer Woche hatten wir alles durchgesprochen. Mein erstes Duell wird kurz nach Beginn der Sommerferien stattfinden. Mein Vertrag ist schon unterschrieben.“

Endlich mal eine gute Nachricht, „Das ist ja wirklich klasse.“, jubelte ich, „Vor allem, da du endlich einen Sponsor gefunden hast, kannst du dich jetzt in Ruhe auf deinen Abschluss vorbereiten.“, auch wenn es mir schwer fiel, mir eine Duell Akademie ohne Zane vorzustellen, so gönnte ich ihm den Abschluss und den Beginn einer großartigen Karriere von ganzem Herzen.

„Ja, so in etwa.“, nickte er zustimmend.

Darauf folgte eine kurze, aber unangenehme Pause…

Irgendwie musste ich diese Stille durchbrechen, weshalb ich das erste fragte, was mir in den Sinn kam, „Wie hast du mich gefunden?“, beim besten Willen war es mir nicht möglich eine plausible Erklärung dafür finden. Keiner wusste, dass ich dort war… und gerade dies war der letzte Ort, an dem ich mich freiwillig aufhalten würde…

„Sagen wir es mal so… du hast einen kleinen Schutzengel, der mich zu dir geführt hatte…“, antwortete er, leicht lächelnd.

Jetzt war ich erst recht verwirrt. Das einzige, was zur Beschreibung von ‚kleiner Schutzengel‘ passte, war meine Karte ‚Kleiner Engelsbote‘… aber konnte Zane wirklich Duellgeister sehen? Oder bezog er sich auf etwas anderes…?

„Sag mal…“, riss er mich aus den Gedanken, „was hast du in der Verlassenen Unterkunft gemacht? Vor allem: Warum warst du alleine dort? Wo waren Jaden und mein Bruder?“, weitete er das Thema aus.

Schlagartig kamen mir die Ereignisse des vergangenen Abend wieder in den Sinn, die daran schuld waren, dass ich mich alleine in der roten Unterkunft aufgehalten hatte, „Oh, bei Slifer!“, Jinzo!!! Ich musste sofort los und nach meinen Freunden suchen.

Gerade, als ich aus dem Bett springen wollte, hielt Zane mich auf, „Sie sind wohlauf in der Roten Unterkunft. Kein Grund zur Sorge. Ich hatte sie in der Frühe nach Hause laufen sehen.“

Erleichtert atmete ich aus. Zane würde mich in solchen Belangen nicht belügen… eigentlich hatte er mich noch nie angelogen, oder?

„Slifer, Ra und Obelisk sei Dank.“, seufzte ich erleichtert. Nachdem mir Zanes fragender Blick auffiel, erklärte ich einige Vorkommnisse vergangener Nacht, „Wir waren im Speiseraum, als ein Obelisk Blue Student namens Torry, hereingestürzt kam und panisch davon berichtete, dass er und seine Freunde den Duellgeist Jinzo beschworen hatten, ohne zu wissen, dass dieser drei Menschenopfer verlangte. Die beiden Freunde waren bereits verschwunden… und auf einmal erschien Jinzo in der Tür, schnappte sich Torry und floh. Als wir ihm hinterher rannten drängte Jaden mich, in der Unterkunft zu bleiben und mich zu schonen… weil ich doch verletzt bin und so…“

Zane nickte, „Das erklärt aber nicht, weshalb du alleine in der Verlassenen Unterkunft warst…“

Wie konnte ich ihm das bloß erläutern? Sollte ich ihm wirklich von dem Unbekannten erzählen? Dem Mann, den ich in meinem früheren Leben ins Reich der Schatten verbannt hatte?

„Nun…“, ich wollte Zane nicht belügen. Wie konnte ich mich da wieder rausreden? Er wusste doch nichts von dem Dämon… oder dem Absender… zwar wollte ich ihm die Wahrheit sagen, wusste aber nicht wie (vor allem deshalb, weil ich nicht wollte, dass ich so klang, als wäre ich psychisch gestört oder eine Gefahr für die Allgemeinheit)…

„Ich weiß wirklich nicht, wie ich es erklären soll…“, seufzte ich niedergeschlagen, „Es ist alles so verworren… alles so verrückt.“

Zane nickte, „Ich verstehe. Kannst du dich an etwas aus deiner Vergangenheit erinnern?“

Runde 47: Ein Teil der Wahrheit

Genau diese Frage wollte er mir doch nicht stellen! Die Bilder vergangener Nacht schossen durch meinen Kopf… vor allem die aus meiner Erinnerung… in der ich mich, in meinem früheren Leben, als eine vollkommen andere Person kennengelernt hatte. Wie viele unschuldige Menschen hatte ich in das Reich der Schatten verbannt?

Ich konnte nichts dagegen unternehmen… Tränen schossen in meine Augen. Mehr denn je brauchte ich jemanden, mit dem ich über das Erlebte reden konnte… er hatte genau die Situation erwischt, in der ich nicht, wie sonst immer, die Unbekümmerte spielen konnte… verzweifelt vergrub ich mein Gesicht in meinen Händen, „Seit Wochen hatte ich so eine Ahnung… dass es besser wäre … die Vergangenheit ruhen zu lassen… Ich habe kein einziges Mal mehr versucht mich zu erinnern… Aber… aber…“

Eine Hand legte sich auf meine rechte Schulter. Aufsehen wollte ich nicht… Zane sollte mein verheultes Gesicht nicht sehen – es war sowieso schon schlimm genug, dass ich weinte.

Kurz hielt ich inne, doch er sprach kein Wort. Mir war klar, er wollte, dass ich fortfuhr…

Mit einem tiefen Atemzug versuchte ich meinen Horror in Worte zu fassen, „ein maskierter Mann bedrohte mich… als ich allein in der Roten Unterkunft war… ich wollte herausfinden, wer er war… und deshalb folgte ich ihm… in der Verlassenen Unterkunft hatte ich ihn dann eingeholt… er… wollte Rache… und meinte, ich hätte ihn in meinem vorigen Leben…“, meine Stimme versagte. Der Kloß in meinem Hals wurde unerträglich groß… Ich konnte es nicht aussprechen. Die Worte wollten einfach nicht über meine Lippen.

Zane holte tief Luft, „Du kannst es nicht sagen, oder?“

Schluchzend nickte ich.

„Hat es etwas mit Duellen zu tun?“, fragte er weiter. Er schien eine gewisse Ahnung zu haben, sonst könnte er nicht so speziell nachharken.

„J… ja…“

„Spiel der Schatten.“, flüsterte er.

Allein diese drei Worte reichten aus, sodass es mir eiskalt den Rücken herunterlief. Woher kannte Zane die Schattenspiele? Ja, aus dem Unterricht… aber wie kam er sofort auf solch eine Vermutung? Etwas anderes musste in seinem Leben vorgefallen sein… und das hatte mit dieser Finsternis zu tun gehabt.

Zaghaft bewegte ich meinen Kopf leicht auf und ab. Allein durch die Tatsache, dass Zane diese Worte gesagt hatte, und nicht ich, half mir, mich ein wenig zu beruhigen, „Das schlimme ist… er hatte recht… ich hatte ein Flashback… und dort befand sich dieser Unbekannte und ich… nun…“

„Ihr hattet eines dieser Spiele gespielt.“, beendete er mein Gestammel, „Kannst du dich daran erinnern, wie es begonnen hatte?“

Verwirrt sah ich auf. Zanes Blick war ernst. Ich fürchtete, dass er gerade am Abwägen war, ob ich eine zu große Gefahr für ihn war, oder nicht.

„N-nein. Das Duell war in Medias Res… mitten in der Sache… mir war es nicht einmal möglich zu erkennen, welche Monster ich gespielt hatte…“

Ohne ein weiteres Wort zu sagen stand er auf. Er sah mich nicht mehr an, sondern ging zur Balkontür.

Dort blieb er stehen, betrachtete die Natur außerhalb des Zimmers.

Eigentlich hätte ich mich besser fühlen müssen. Er kannte einen Teil der Wahrheit über mich… doch eine eisige Hand schloss sich um mein Herz. Würde Zane nichts mehr mit mir zu tun haben wollen? Mir war nicht einmal klar, wie ich mich verhalten sollte. Tief atmete ich ein und wieder aus, um einen erneuten Gefühlsausbruch zu verhindern.

Betreten sah ich zu ihm, wie er, mit vor der Brust verschränkten Armen, rücklings zu mir stand… versuchte mir jedes Detail von ihm einzuprägen, denn das Gefühl machte sich in mir breit, dass ich ihn nie wieder treffen würde. Allein der Gedanke daran zerriss mir das Herz. Zane war der, dem ich am meisten Vertrauen entgegenbrachte. Es lag nie in meinem Naturell, einem Menschen über mich zu erzählen… deshalb wussten meine anderen Freunde auch nichts von den Verletzungen… oder meinem Bruder… oder von den Treffen zwischen Zane und mir…

Minuten fühlten sich an, wie Stunden.

Ich konnte nicht mehr sagen, wie lange wir uns angeschwiegen hatten.

Doch irgendwann musste ich das Unaussprechliche sagen. Mit zitternder Stimme kämpfte ich gegen einen neuen Tränenansturm an, „Ich kann verstehen, wenn du nicht mehr mit mir verkehren möchtest.“

Zane zuckte leicht zusammen. Leider wusste ich nicht, ob er einfach nur erschrocken war, weil ich die Stille durchbrochen hatte, oder weil ich seine Gedanken erahnt hatte.

Langsam verließ ich das Bett, richtete mich auf, „Es tut mir Leid, dass ich dich in solch eine Gefahr gebracht hatte.“, traurig lief ich zur Tür. Ich wollte nicht zurücksehen. Das Bild des abweisenden Zane durfte sich nicht in meiner Erinnerung manifestieren… anderenfalls wäre dies ein weiterer Grund meiner Verzweiflung… ich würde dem Dämon direkt in seine Hände spielen.

Runde 48: Plötzliche Wendung

„In welche denn?“, brach Zane auf einmal das Schweigen, nur Augenblicke, bevor ich die Türklinke in die Hand genommen gehabt hätte.

Irritiert blieb ich stehen, wandte mich wieder zu ihm. Er stand noch an derselben Stelle, doch irgendwie schien er anders zu sein… vor Augenblicken wirkte er abweisend… doch jetzt nicht mehr. Jetzt war er nur noch nachdenklich…

„Unter anderem meine ich die Gefahr, dass ich dich ins Schattenreich ziehen könnte…“, gab ich zögernd zurück.

„Wenn der Teil deiner Erinnerung wirklich mitten im Geschehen begonnen hatte, weißt du doch gar nicht, ob du für dieses Spiel verantwortlich warst.“, noch immer den Rücken zu mir gewandt, begann er seine Schlussfolgerungen zu äußern. War es das, worüber er die ganze Zeit nachgedacht hatte? „Auch wenn du es wirklich – und vor allem absichtlich – begonnen hattest, so bin ich mir sicher, dass du im Hier und Jetzt niemals freiwillig ein Schattenspiel anzettelst. Von deinen Verletzungen abzusehen, bist du nicht der Typ von Mensch, der zu solchen Taten fähig wäre.“

„A… aber…“, ich war sprachlos. Niemals hätte ich damit gerechnet, dass Zane so reagieren würde. In meinen vorgestellten Szenarien hatte er mich sofort weggeschickt… oder mir eingeredet, dass ich einfach nur verrückt war. Nie hatte er versucht mich ‚aufzumuntern‘… mir Hoffnung zu machen, dass meine Vergangenheit nicht so schlimm war… und wenn doch, so gab er mir das Gefühl, dass ich mich verändert hatte… und nicht mehr in der Lage war, solch grausames zu tun. Zwar wusste er noch immer nichts von dem Dämon in mir, doch in diesem Moment machte sich das Gefühl in mir breit, dass dieser es niemals wieder schaffen würde, die Kontrolle zu übernehmen.

„Die Vergangenheit definiert zwar den Menschen, doch er lernt auch aus den Fehlern. Wenn es stimmt und du wirklich öfter in Spiele der Schatten verwickelt warst, wäre es auch möglich, dass wir hier die Ursache deines Komas gefunden haben. Lassen wir außer Betracht, ob du es freiwillig oder gezwungen bestritten hast, würde ein Aufenthalt im ‚Reich der Schatten‘ vielleicht sogar deine Gedächtnislücken erklären… Leider wissen wir heute noch viel zu wenig darüber… Die wahre Existenz der Spiele der Schatten wird noch immer bestritten… dementsprechend ist uns unbekannt, welche Folgen beide Beteiligten ertragen müssen…“

Unglaublich! Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Überrumpelt stand ich einfach nur vor der Tür und sah ihn an.

Langsam wandte er sich wieder zu mir um. Er wirkte zwar ernst, doch nicht im bösen Sinne… vielmehr schien er sich die ganze Zeit mit dem Rätsel meiner Vergangenheit befasst zu haben und nicht mit der Abwägung ob er den Kontakt abbrechen sollte.

Ein leichtes Lächeln huschte über seine Lippen, als er meine Fassungslosigkeit bemerkte, „Würdest du dich bitte setzen? Anderenfalls fürchte ich, dass deine Beine wieder nachgeben.“

Peinlich berührt lief ich wieder zum Bett und ließ mich auf der Mitte der Seitenkante nieder. Sah er wirklich solch eine schwache Frau in mir? Ich hätte ohne Probleme noch länger dort stehen bleiben können… oder war er einfach wirklich nur in Sorge…?

Auf einmal spürte ich, wie Zane zu meiner Rechten Platz nahm. Dabei hatte ich nicht einmal realisiert, dass er somit vor mir vorbeigelaufen sein musste. Anscheinend war ich noch immer etwas ausgelaugt… um nicht zu sagen geistesabwesend.

„Wurdest du geschlagen?“, fragte er besorgt, während er mich offensichtlich gemustert hatte.

Verwundert sah ich ihn an, „Wie kommst du denn darauf? Ich habe mich nicht duelliert… und wenn ich besiegt worden wäre, würde ich wahrscheinlich um einiges schlimmer aussehen…“

„Ich meine kein Duell… Deine rechte Wange… ein leichter Bluterguss hat sich darauf abgezeichnet. Es sieht so aus, als wärst du geohrfeigt worden… genauso wie an deinem Hals… über der langen, feinen Narbe auf deinem Kehlkopf bist du blau… man kann sogar den Abdruck einer Hand erkennen…“

Oh… Mist… zwar wurde ich von diesem Unbekannten gewürgt, aber geschlagen hatte mich der Dämon mit meiner eigenen Hand… Moment einmal… Narbe an meinem Hals? Beim besten Willen war mir dort noch nie eine Narbe aufgefallen… doch auf der anderen Seite hatte ich so viele auffällige Verwachsungen meiner Haut am ganzen Körper… da fiel eine ausnahmsweise gut verwachsene Narbe wahrscheinlich so gut wie gar nicht auf…

„Jane?“, riss mich Zanes Stimme aus den Gedanken. Bei Slifer… warum driftete ich immer so schnell ab? War ich schon in meiner Vergangenheit so gewesen, oder waren die Gedächtnislücken und der Dämon ein Grund dafür?

„Ja… er hatte mich gewürgt…“, antwortete ich wahrheitsgemäß, „Als er dann verschwunden war und von mir abgelassen hatte, gaben meine Beine nach. Wahrscheinlich bin ich mit meiner Wange auf die Hand gefallen…“, verlegen kratzte ich mich am Hinterkopf. Wirklich gelogen hatte ich nicht… nur ein wenig die Wahrheit verdreht.

Scheinbar genügte Zane diese Antwort, „Du musst vorsichtiger sein. Eigentlich brauchst du einen Bodyguard, so oft, wie du in Schwierigkeiten gerätst, in denen du verletzt wirst.“, er lächelte, „Da ich offensichtlich der einzige bin, der so viel von dir weiß und dich jetzt schon mehrmals verwundet gefunden hatte, stelle ich mich freiwillig zur Verfügung.“, ohne den Blick von mir abzulassen - und mit einem leichten Lächeln auf den Lippen - legte er etwas auf meinen Schoß, „Frohe Weihnachten.“

Unsicher blinzelte ich ihn an. Das waren zu viele Informationen auf einmal für mich… zumindest in meinem aktuellen Zustand… ein normales Gefühlschaos wäre leichter zu beseitigen gewesen … war das wirklich sein Ernst? Bodyguard… Zane…? Fühlte er sich so verantwortlich für mich? Offensichtlich schon… er war absichtlich früher auf die Akademie-Insel zurückgekehrt, als er befürchtete, etwas sei mit mir geschehen… hatte ein verbotenes Gebäude betreten… mich über die halbe Insel getragen…

Aber… Frohe Weihnachten? War es wirklich schon so weit? Oh nein… ich hatte nicht einmal ein Geschenk für ihn… oder für irgendjemanden… im allgemein hatte ich Weihnachten vollständig verdrängt, da dies bekanntlich das Fest der Liebe und der Familie war… aber weil mein Bruder nicht hier war, besser gesagt, er mich nicht sehen wollte, hatte ich diesen Feiertag einfach ad Acta gelegt und nicht weiter darüber nachgedacht…

Scheinbar hatte Zane meine Unsicherheit bemerkt, „Du hast mir schon das gegeben, was ich mir gewünscht hatte.“, dieses Mal war das Lächeln wirklich untypisch für ihn. Es war sehr herzlich. Solch einen immensen Gefühlsausbruch hatte ich bei meinem Freund noch nie erlebt…

„Und das wäre…?“, fragte ich verwirrt.

„Ein Teil der Wahrheit... Ich kann mir denken, warum es schlimm für dich war, mir davon zu erzählen. Du siehst dich selbst als eine Gefahr für die Allgemeinheit… hast nur wenige Freunde… eigentlich kannst du keinem vollständig vertrauen, aus Angst, sie würden sich daraufhin von dir distanzieren… Du hast mir ein Stück mehr von deinem Vertrauen geschenkt. Das war das einzige, was ich wollte.“, mit einem Nicken deutete er auf den Gegenstand, den er auf meinen Schoß gelegt hatte, „Und hier ist ein Zeichen meinerseits, dass ich dir vertraue.“

Er hatte mal wieder meine Gedanken gelesen. Woher kannte er mich so gut? Nur der Dämon wusste von meinen Selbstzweifeln… von der Angst, meine Freunde zu verlieren… oder ihnen wehzutun… und doch freute Zane sich darüber, dass er etwas von meiner dunklen, verborgenen Vergangenheit wusste? Ja… in diesem Sinne war es wirklich Freude. So sehr kannte ich ihn, um die Emotionen hinter der Fassade deuten zu können… vielleicht war ich auch wirklich die einzige…? Unsere freundschaftliche Beziehung war ein äquivalenter Tausch: Meine Vergangenheit und Gedanken für seine wahren Emotionen… umso mehr bedeutete es mir, dass er auf dem Festland scheinbar wirklich an mich gedacht hatte…

Zögernd sah ich auf meine Beine. Eine kleine, in rotes Papier eingepackte, Schachtel lag dort. Die Schleife in der Mitte war blau… Es waren die Farben des Hauses Slifer und Obelisk… in diesem Moment war mir egal, was sich darin verbarg. Allein schon das Wissen, dass sich Zane darüber Gedanken gemacht hatte, freute mich sehr.

Vorsichtig löste ich das Papier - ohne es zu zerreißen - und gab dadurch ein kleines, schlichtes, graues Kästchen preis.

„Öffne es.“, sagte Zane sanft.

Zaghaft hob ich den Deckel an. Auf einem roten Samtkissen lag ein silberner Kettenanhänger. Ein einzelner Flügel, der von einer Schlange zwei Mal umschlungen wurde. Der Kopf des Tieres bildete gleichzeitig, durch seinen nach oben geschwungenen Hals, die Öse, durch die eine feine Kette gezogen wurde. Erst bei genauerem Hinsehen bemerkte ich, dass dieses Wesen um den Engelsflügel eine kleine Version des Cyber Drachen war. Die Kette war wunderschön… sie symbolisierte das Zusammentreffen unserer Monster in unserem Duell und dadurch die Geburt unserer Freundschaft.

Unsicher sah ich zu Zane auf. Soweit ich mich erinnern konnte, wurde mir noch nie etwas geschenkt… und vor allem nicht so etwas Schönes.

„Gefällt sie dir?“, fragte er gespannt.

In diesem Moment war all das Drama aus meinem Gedächtnis verschwunden. Vor Freude schlug mein Herz schneller, „Wie könnte ich sie nicht mögen? Sie ist atemberaubend.“, ich spürte, wie ich wieder rot wurde, „Vielen Dank, Zane.“

„Das wichtigste ist: Sie ist nicht nur hübsch anzusehen.“, mit seinem linken Zeigefinger wies er auf den Kopf des Cyber Drachen, „Wenn du hier drauf drückst bekomme ich eine Nachricht auf meinen PDA, in der mir dein aktueller Aufenthaltsort mitgeteilt wird. Ich werde alles in meiner Macht stehende tun, um dich aus den Schwierigkeiten, wie zum Beispiel einem ungewollten Duell oder einem erneuten Treffen mit diesem Unbekannten aus deiner Vergangenheit herauszuholen.“, er war ein Pragmatiker, durch und durch. Doch die Nachricht, die sich darin verbarg war eigentlich ganz süß. Er würde alles versuchen, um mich zu beschützen. Dabei war es ihm sogar egal, ob die anderen Studenten der Akademie dies mitbekommen würden, „Dann muss ich dich nicht auf der gesamten Akademie Insel zu suchen, sondern weiß genau, wo du bist.“

Ich schluckte. Nicht einmal in meinen kühnsten Träumen hätte ich damit gerechnet. Stolz nahm ich die Kette aus der kleinen Schachtel und legte sie mir um. Dabei bemerkte ich, dass ich meine roten Armstulpen gar nicht trug… sondern etwas… weißes?

„Ich habe dich nicht zu Madame Fontaine ins Krankenzimmer gebracht, weil ich dich nicht noch weiter in Schwierigkeiten stürzen wollte.“, wechselte er das Thema. Oder war das der Beginn einer Erklärung meiner unausgesprochenen Frage?, „Du hast mir erzählt, dass du wohl schon bald eine disziplinarische Maßnahme wegen des Betretens der Verlassenen Unterkunft am Hals haben wirst. Damit ich dir eine weitere erspare habe ich dich in die Obelisk Blue Unterkunft gebracht.“

„Und was ist, wenn dich jemand gesehen hätte?“, fragte ich verwundert. Moment… war ich wirklich in Zanes Zimmer? Ich hatte mich schon oft gefragt, wie die Obelisk Blues so lebten… doch dies übertraf alles. Große Räume, wahrscheinlich eigene Badezimmer, ein sehr schönes Dekor… der Erbauer dieser Akademie hatte wirklich alles daran gesetzt, dass das Erreichen des Obelisk Blue Ranges so erstrebenswert wie möglich war… auch wenn Zanes Schlafzimmer mit dem wenigen an persönlicher Einrichtung schon etwas rustikal und unpersönlich zu wirken schien…

„Unwahrscheinlich. In den Weihnachtsferien sind so gut wie alle Obelisk-Blues nach Hause gefahren. Ein oder zwei sind noch hier, aber das wars schon. Um diese Uhrzeit haben sowieso alle geschlafen.“

„Ist das nicht ein Regelverstoß? Sowohl die Tatsache, dass sich ein Slifer in der Jungenunterkunft befindet, als auch, dass ich weiblich bin?“, ich war verblüfft, wie gut Zane das alles durchdacht hatte… auch wenn mich dies eigentlich nicht mehr wundern sollte… er plante immer die Konsequenzen seines Handelns mit ein und suchte einen Weg, wie er diese weitestgehend verhindern konnte… genauso duellierte er sich ja auch. Dennoch konnte er für das, was er getan hatte, bestraft werden.

„In der Tat, aber bei uns Obelisken wird dies nicht zu eng genommen. Vor allem bei mir nicht. Dementsprechend habe ich noch nicht einmal eine Rüge bekommen, als ich dich nach unserem Duell und weit nach der Ausgangssperre zu Madame Fontaine gebracht hatte.“

Stimmt. Soweit hatte ich gar nicht gedacht. Die Obelisken konnten sich immer mehr herausnehmen, als wir Slifer… wir wurden bei jedem kleinen Fehltritt bestraft… aber Zane war noch eine Ausnahme der Ausnahme, „Du hast recht… Keiner würde sich freiwillig mit dem Kaiser der Akademie anlegen.“, scherzte ich.

Ein wenig verwundert über diesen Witz sah er mich an. Auch wenn ihn seit diesem Jahr scheinbar keiner mehr so nannte, wusste ich über seinem inoffiziellen Titel Bescheid.

Zane lachte kurz, „Stimmt. Abgesehen von Jaden und dir.“, bevor er mich wieder ein wenig ernster ansah, „Und genau deshalb trägst du diesen etwas älteren Mantel von mir. Ich trug ihn im ersten Jahr, dementsprechend sollte er dir auch in der Länge passen. Hier gilt das Gebot: besser zu lang, als zu kurz. Somit kannst du dir – zumindest wenn es dunkel ist – auch ein paar Rechte der Obelisken einverleiben. Vor allem, wenn du mit mir reden möchtest. Keiner wird Verdacht schöpfen, wenn er jemanden in diesem Mantel sieht, der durch die Dunkelheit läuft. Falls etwas passieren sollte und du mich hier aufsuchen willst, kannst du hiermit auch ganz einfach dieses Gelände betreten. Dennoch wäre es besser, wenn du den Baum vor meinem Balkon heraufklettern würdest, anstatt den Haupteingang zu benutzen.“

Ich nickte, fühlte mich zugleich geehrt, „Vielen Dank… Doch ich muss ihn gut verstecken… falls die falschen Personen davon Wind bekommen, könnte ich ganz schöne Probleme hineingeraten…“

Runde 49: Ein scheinbar normaler Schultag

Nachdem ich in Zanes Zimmer aufgewacht war, brachte er mich wieder zu meinen Freunden in die Rote Unterkunft, natürlich inkognito, da er sich seinem Bruder gegenüber bedeckt und als ständigen Ansporn verhalten wollte. Glücklicherweise hatte er mich wirklich nicht belogen und sie waren nach dem Duell gegen Jinzo alle wohlauf.
 

Der Rest der Ferien verging wie im Fluge. Genauso wie die ersten paar Schulwochen.

Da ich durch Madame Fontaines Attest vor jeglichen Duellen geschützt war, hatte es Jaden mittlerweile aufgegeben, mich herauszufordern und meinte, das sei einfach nur doof und langweilig.

Viel war während der Zeit passiert, auch wenn ich nicht bei allem dabei war: ein sogenannter Duellgigant hatte sein Unwesen getrieben, Jaden war jetzt mit Alexis verlobt – auch wenn ich mir bis dato nicht sicher war, ob er überhaupt wusste, was dies bedeutete –, wir hatten bis gestern noch einen neuen Studenten in der Slifer Red Unterkunft gehabt, der im Zimmer meiner Freunde wohnte… allerdings entpuppte er sich als ein weiteres Zane Fan-Girl, das noch in der Grundschule war (weshalb sie uns auch am Tag zuvor – völlig in Jaden verknallt - verlassen hatte)… und vor einigen Tagen wurde Yugi Mutos Deck hier in der DA ausgestellt. Allerdings wurde es von einem etwas verrückten Ra-Yellow gestohlen…

Genau hierüber versuchte sich Jaden mit mir, während Doktor Crowlers Vorlesung, zu unterhalten.

„Mann, Jane… du hättest das echt sehen müssen.“, schwärmte mein Sitznachbar, genauso wie schon die gesamten letzten zwei Wochen, „Ich habe wahrhaftig gegen das Deck des Königs der Spiele gewonnen. Dimitri hatte alle nennenswerten Monster beschworen: Den Schwarzen Magier, das Schwarze Magier Mädchen, den dunklen Magier des Chaos, Soldat des schwarzen Lichts und sogar Kuriboh.“

Zwar war ich wirklich gut im Multi-Tasking, doch einer Unterhaltung zu folgen, dem Doktor zuzuhören, mir Notizen zu machen UND die von Jaden genannten Karten ins Gedächtnis zu rufen, war sogar für mich zu viel. Seufzend legte ich den Stift auf das fast voll geschriebene Blatt. Das Thema war ausnahmsweise mal wirklich interessant… es handelte von den Götterkarten… eigentlich wollte ich nichts davon verpassen… doch Jaden würde es mir übel nehmen, wenn ich ihn jetzt auch mit dieser Unterhaltung vertrösten würde. Immerhin hatte ich vielleicht das beste Duell seines Lebens verpasst… ein etwas schlechtes Gewissen hatte ich als eine Freundin von ihm schon, „Waren eigentlich in diesem Deck auch die Götterkarten vorhanden?“, fragte ich neugierig. Natürlich war es eine Glanzleistung gegen das Deck des Königs der Spiele zu gewinnen, aber es war nicht mit dessen Seele verbunden und somit nicht so stark, wie es bei seinem Besitzer gewesen wäre… das Herz der Karten schlug nämlich nicht für einen Dieb... Hätte Dimitri allerdings die Götterkarten in diesem Duell eingesetzt gehabt, so wäre dies noch großartiger gewesen… und ich hätte mich noch mehr geärgert, dass ich das alles verpasst hatte.

„Nein…“, verlegen kratzte Jaden sich am Kopf, „Wurden sie nicht auch vor ein paar Jahren zerstört, weil sie so gefährlich waren?“

Unwissend zuckte ich mit den Schultern, „Keine Ahnung.“ Diese paar Jahre, die er erwähnte, lagen in meiner noch immer ungewissen Vergangenheit. Egal wie sehr ich in diesen letzten Wochen versucht hatte, mich zu erinnern… ich bekam nichts, außer Kopfschmerzen…

„Warum wolltest du genau noch mal nicht mit in die Ausstellung?“, änderte Jaden plötzlich die Richtung dieser Unterhaltung.

Verdutzt sah ich ihn an, nicht wissend, wie ich reagieren sollte. Vor ein paar Tagen hatten Jaden, Syrus und Chumley an meiner Zimmertür geklopft und mich mit der „großartigen“ Idee konfrontiert, mich mit ihnen in die Ausstellung zu schleichen und mir Yugis legendäres Deck anzusehen. Völlig von dem Vorschlag verdutzt hatte ich abgelehnt… aus zweierlei Gründen: Ich wollte mich an diesem Abend wieder mit Zane treffen (der mir denselben Vorschlag wie meine anderen Freunde unterbreitet hatte) und ich hatte eine böse Ahnung, was das Deck belangte. Hierbei sorgte ich mich weniger um die gebrochenen Schulregeln, die diese Tat mit sich gebracht hätte, sondern vielmehr um diesen Dämon in meinem Kopf, der alles in Bewegung setzen wollte, damit ich mir diese Karten ansah. Genau deshalb hatte ich schweren Herzens sogar Zanes Einladung ausgeschlagen… diese Stimme in meinem Kopf war schrecklich auf dieses Deck fixiert… murmelte ständig etwas von Pharao… da wollte ich ihm zu allem Übel nicht noch nachgeben…

Ausnahmsweise fiel mir aber auf Jadens Frage eine ehrliche Antwort ein, „Nun… ich wollte mir nicht zu viel spoilern…“, ein wenig beschämt lächelte ich meinen Sitznachbarn an.

„Inwiefern?“, fragte er verwirrt, „Du hast die Battle City DVDs Alexis doch zurück gegeben.“

„Nun…“, mein Blick war entschuldigend, „Ich habe Alexis die Staffel wieder gegeben… ja… aber…“, mir war klar, dass ich begann etwas zu mir selbst zu murmeln. Eigentlich war dies so gar nicht meine Art… aber durch diesen Dämon hatte ich zu große Angst gehabt, dass diese DVDs ihm noch mehr Kraft verliehen. Glücklicherweise hatte ich durch Zane keine Angst mehr vor meiner Vergangenheit… oder davor, mich zu erinnern…, „ich kam nicht dazu, sie mir anzusehen…“

Leider war ich nicht leise genug. Jaden hatte jedes Wort verstanden. Fassungslos packte er mich an den Schultern, „Jaaannnneeee.“, rief er entsetzt, „Wir hatten doch darüber gesprochen: Battle City, wahres Leben? Erinnerst du dich? Wie war es möglich, dass du dir nicht ein einziges Duell angesehen hast? Obwohl du wusstest, dass du vielleicht nie wieder die Chance hast Yugis Deck life zu sehen?“

Ich wurde rot. Eigentlich hätte ich mir die Duelle dieses Turniers schrecklich gerne angesehen… genauso wie Yugis Karten… doch dieser Dämon…

Bevor ich überhaupt etwas sagen konnte, hörte ich, wie ich angesprochen wurde, „Miss Slifer Niete?“

Oh nein… es war Doktor Crowler… er hatte – was allerdings nicht schrecklich schwer war – bemerkt, dass meine ganze Sitzreihe seinem Unterricht nicht gefolgt war… und da er Jaden und seine Freunde sowieso nicht leiden konnte, wartete er immer auf solche Gelegenheiten.

Beschämt stand ich auf, „Ja, Doktor Crowler?“

„Nennen Sie mir doch die besonderen Fähigkeiten des ‚Geflügelten Drachen des Ra‘.“, forderte er mich schadenfroh auf, „Oder ziehen Sie es vor, für immer ein Slifer zu bleiben?“

Alle Augen ruhten auf mir. Meine Beine zitterten. Ich hatte auf einmal einen schrecklich trockenen Hals… ich kannte eigentlich keine einzige Fähigkeit des Ra… oder?

Unsicher schloss ich meine Augen, „Erst einmal müssen wir die Fähigkeiten in drei Abschnitte unterteilen: auf der Karte stehend, nicht auf der Karte stehend und spezielle Modi.“, sagte ich das wirklich? Das alles floss einfach aus meinem Mund heraus, ohne das ich überhaupt wusste, was ich da sprach, „Auf der Karte selbst wird beschrieben, dass sich die Angriffs- und Verteidigungspunkte aus den gesamten ATK und DEF der drei geopferten Monster zusammensetzen. Wird der Geflügelte Drache des Ra spezialbeschworen, so wird er nach der End-Phase auf dem Friedhof abgelegt. Er bleibt von jeglichen Zauber- oder Fallenkarten, genauso wie von Monstereffekten unberührt… jetzt kommen wir zu den Fähigkeiten, die nicht auf der Karte stehen: Man kann seine eigenen Lebenspunkten diesem Gott zukommen lassen, wodurch die ATK sich um die Anzahl des Opfers erhöht… es gibt zwei Modi: Sphärenmodus und Phönixmodus-“

„Genug!“, rief Crowler ungehalten, „Denken Sie wirklich mit solchen Erfindungen kommen Sie hier durch? Es gibt keine Effekte, die nicht auf der Karte stehen. Entweder sie stehen dort, oder nicht! Das müsste sogar eine Niete, wie Sie, in der Duellvorschule gelernt haben!“

Ich war verwirrt. Auch wenn ich nicht wusste, was ich da alles gesagt hatte, so war ich mir sicher, dass die Aufzählung richtig war. Ausnahmsweise verletzten mich die Gehässigkeiten des Doktors nicht… viel zu sehr war ich von meinem eigenen Wissen irritiert…

„Ich dachte du hast Battle City noch nie gesehen…“, flüsterte Syrus über Jaden hinweg, „Wie kannst du dann von Ras Fähigkeiten kennen?“… also hatte ich recht?

„Dies sind keine Erfindungen.“, antwortete ich, so gelassen ich konnte, auch wenn sich Panik in mir breit machte. Am liebsten wäre ich im Erdboden versunken.

Angewidert verzog der Lehrer seine lila Lippen, „Gehen Sie umgehend zum Kanzler.“

Der Schreck fuhr durch all meine Glieder. Hatte er wirklich das gesagt, was ich gehört hatte?, „Entschuldigung?“

„Scheinbar ist unsere Miss Slifer Niete hier nicht nur dumm, sondern auch taub. Doch weil ich so großzügig bin, widerhole ich es noch einmal für die langsamen unter uns: Kanzler Sheppard möchte, dass Sie sich in seinem Büro einfinden.“ 



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Kommentare zu dieser Fanfic (43)
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Von:  fahnm
2016-05-19T03:53:55+00:00 19.05.2016 05:53
Ein Tolles Kapitel
Was hat den der Alte Crowler?
Jane hat ihm doch nur die Wahrheit gesagt.
Jetzt bin ich gespannt was Kanzler Sheppard von ihr möchte.
Von:  fahnm
2016-04-23T23:07:43+00:00 24.04.2016 01:07
Oh da bahnt sich was an zwischen Zane und Jane.
Ich bin sehr gespannt wie es weiter gehen wird.
Von:  fahnm
2016-04-21T03:49:50+00:00 21.04.2016 05:49
Ein Tolles Kapitel
Ich bin sehr gespannt wie es weiter gehen wird.
Von:  fahnm
2016-04-21T03:44:48+00:00 21.04.2016 05:44
Da hat Jane noch mal Glück gehabt.
Ich bin neugierig wie es weiter gehen wird.
Von:  fahnm
2016-04-11T22:02:22+00:00 12.04.2016 00:02
Ist sie verrückt?
Das wird ihr ende bedeuten.
Hoffentlich geht das Gut aus.
Von:  fahnm
2016-04-08T21:50:05+00:00 08.04.2016 23:50
Hammer Kapitel
Jetzt wieder ein Schattenduell.
Bin mal gespannt wer der Fremde ist.
Von:  fahnm
2016-04-06T07:32:15+00:00 06.04.2016 09:32
Wow
Was ist Passiert?
Hoffentlich nichts Schlimmes.

Von:  fahnm
2016-04-06T07:26:49+00:00 06.04.2016 09:26
Oh Jane soll den Spass verpassen?
Das ist aber schade.
Von:  fahnm
2016-04-06T07:21:35+00:00 06.04.2016 09:21
Zane ist cool.
Ob Jane ihn die Wahrheit sagen kann?

Von:  fahnm
2016-04-02T22:41:02+00:00 03.04.2016 00:41
Ein Tolles Kapitel
Mach weiter so^^


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